Kitabı oku: «Die Suizid-App», sayfa 3

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Ivon hörte selbst ihre Stimme nicht mehr, da sie vom lauten Knall der Pistole taub war. Während sich ihr gelbes Abendkleid langsam orange vom Blut ihres Mannes färbte, stammelte sie immer wieder dieselben Worte: „Ich habe Dir doch immer gesagt…eine Waffe in der Wohnung bringt Unglück…ich habe es Dir doch immer…gesagt…eine Waffe…“

Unterwegs

Es war mittlerweile dunkel geworden und die Straße glänzte regennass. Felix zog den Reißverschluss seiner Jacke bis an den Hals und stellte seinen Kragen hoch. Der Kopfschmerz wurde nun von einer leichten Übelkeit abgelöst.

Felix hing seinen Gedanken nach. Weshalb reden heute alle von Suizid, dachte er, während er aufstoßen musste. Auf einem Straßenschild las er den Namen Steinweg. Ja, der Weg wird steinig werden, aber dann geht es mir in der Ewigkeit besser, dachte er.

Wenn man sich umbringt braucht man kein Essen mehr und es wird einem auch nicht mehr übel. Bei den Tabletten versagt die Leber, wahrscheinlich hat man dadurch wahnsinnige Schmerzen. Doch die Schmerzen halten sicher nur kurz vor. Was ist das im Vergleich, was ich seit Wochen durchmachen muss?, waren seine Gedankenfetzen, als er über die Brücke ging. Weit unten floss träge das Wasser des Kanals. Dann stoppte er und kletterte über das Geländer.

Eine Frau schrie, wie von Sinnen:

„Der will sich umbringen…umbringen! Hilfe! So helfen Sie doch!“

Zwei junge Männer, von der Erscheinung her zwei Studenten, rannten auf die Stelle zu, an der Felix nun mit dem Rücken am Geländer lehnte.

„Timo, halte ihn!“, rief der eine, der deutlich einen Kopf größer war als sein Kumpel.

„Das muss es sein…ein schneller Tod. Die Atemnot lässt dich Wasser atmen…an mich denkt sowieso keiner“, flüsterte Felix halblaut.

Die beiden Studenten hielten ihn plötzlich an den Handgelenken fest. Ein anderer Passant mit einem Fahrrad telefonierte und rief irgendwelche Leute herbei. All das nahm Felix nur wie unter Trance wahr. Weshalb ließ man ihn nicht springen?, fragte er sich noch, ehe er ohnmächtig wurde.

Regensburger Lokalanzeiger

Blutiges Familiendrama

Im sonst so beschaulichem Regensburger Innerer Westen, einer der teuersten Wohngegenden der Stadt, kam es in den gestrigen Abendstunden zu einem blutigen Familiendrama.

Der 51jährige Diplom-Biologe Martin B. erschoss sich mit einer großkalibrigen Sportwaffe. Wie der Polizeisprecher, Ulf Karsten, mitteilte, kann ein Fremdverschulden nach bisherigen Erkenntnissen weitgehend ausgeschlossen werden. Über die Hintergründe der Tat ist nichts bekannt.

Die 43jährige Ehefrau stand unter Schock.

Lebensmüde: Sprung von Brücke

Ebenfalls in den gestrigen Abendstunden versuchte ein offensichtlich geistig verwirrter Mann von der Protzenweiher Brücke zu springen.

Nur durch das beherzte Eingreifen von Passanten konnte der Lebensmüde an seiner Absicht gehindert werden.

Die Polizei sucht Zeugen, insbesondere die jungen Männer, die den 37jährigen, arbeitslosen Bankfachmann an der Tat hinderten.

United Company of Drugs and IT (UCD), New York City

Alexander Schönherr stand rauchend vor der Panoramascheibe seines Büros, in der einhundertsechzehnten Etage. Es bot sich ihm ein freier Blick entlang der 7th Avenue. Der typische Straßenlärm, ein Gemisch aus Fahrgeräuschen, Straßenmusik, Polizeisirenen und den Presslufthämmern der wohl nie enden wollenden Bauarbeiten, sickerte kaum hörbar herauf.

Von hier oben wirkten die Menschen, die sich vor dem Eingang zur Hotellobby des Pennsylvania-Hotels aus einem Bus drängten, wie Ameisen, die man mit einem Insektizid besprüht hatte.

„Alles nur kopflose und manipulierbare Subjekte“, murmelte er.

Doch dann stockte er und war sich mit einem Mal bewusst, dass man Leute ohne Kopf nicht manipulieren konnte.

Als sein iPhone klingelte, straffte er sich innerlich und als er die Nummer sah, bemerkte er befriedigt, dass er mit seiner Vermutung recht hatte. Am Apparat war ein Controller.

Von der Konzernmutter rief seit Monaten niemand an, weshalb auch, die Geschäfte liefen gut. Die neue Substanz war in der Pipeline und machte sich daran, die nächste Hürde der Arzneimittelzulassung erfolgreich zu nehmen. Der wichtigste Unterpfand, dachte Schönherr in diesem Moment, waren die firmeneigenen Monitore, also die Mitarbeiter, die die ordnungsgemäße Testung der neuen Substanzen in unabhängigen Fremdinstituten anleiteten und überwachten.

Dagegen waren die Controller für den eigentlichen Zweck, ein Arzneimittel auf den Markt zu bringen, sicherlich entbehrlich. Aber Schönherr hatte auf diese Leute bestanden. Offiziell waren sie dafür zuständig, die Qualität der Abläufe und der einzelnen Schritte während der Produktion bis hin zur Auslieferung zu überwachen und ständig zu verbessern. Einige taten dies auch. Jedoch war ein gutes Drittel dieser Leute zu einer Art Privatarmee von Schönherr geworden. Allerdings arbeitete diese Armee im Untergrund. Auch wenn die eigentlichen Aufgaben und vor allem die Mittel und Methoden dieser Leute geheim blieben, so konnte es für die Mehrheit der Mitarbeiter des Konzerns jedoch nicht unentdeckt bleiben, dass deren Anzahl und Aktivitäten immer dann wuchs, wenn neue Substanzen erprobt wurden. Hinter vorgehaltener Hand sprach man schon, in Anlehnung von Hitlers „Gestapo“, von „Schönherrs Gesapo“, seiner geheimen Saisonpolizei. Aber selbst das war Schönherr bekannt.

Die übrigen Mitarbeiter arrangierten sich notgedrungener Maßen im Alltag mit diesen Leuten, auch wenn man sie nicht mochte und eher fürchtete. Keiner konnte trotz vermeintlich guter Arbeit und Engagement vor deren Sammelwut von Informationen sicher sein. Viele fragten sich, ob über sie bereits ein Dossier bestand.

Schönherr forderte bei Nachfragen und Kritiken von leitenden Mitarbeitern absolute Loyalität ein und sprach sofort von möglichen Konsequenzen hinsichtlich eines möglichen negativen Betriebsergebnisses, falls die Arbeit der Controller behindert werden würde. Nur Schönherr selbst und seine Personalabteilung kannten den oft mehr als zweifelhaften Hintergrund seiner Controller. Qualifikation und Teamfähigkeit spielten eine höchst untergeordnete Rolle. Zum einen übten die Controller eine Kontrolle über die Kontrollorgane der Firma aus, zum anderen hatten sie Informationen abzuschöpfen aus Bereichen, die normalen Mitarbeitern des Konzerns nicht zugänglich gewesen wären. Hier ging es um Einrichtungen, die nicht zum Konzern gehörten, aber sehr wohl für den Konzern mittel- oder unmittelbar arbeiteten, beziehungsweise nützlich waren. Nur Schönherr und ein sehr kleiner Personenkreis aus der Führungsriege des Mutterkonzerns kannten diese speziell ausgewählten Einrichtungen. Dazu gehörten bestimmte Abteilungen mit Belegbetten in ausgewählten Krankenhäusern, aber auch diverse Gemeinschaftspraxen und Rehabilitationseinrichtungen. Aber selbst die Einflussnahme als Administratoren auf Patientenplattformen im Netz, die Betreuung von Gesprächsforen, virtuellen und realen Selbsthilfegruppen zählten dazu.

Aber Schönherr glaubte auch zu wissen, dass Einrichtungen die Nutzen erzeugen, jederzeit auch Schaden anrichten konnten. Da wollte Schönherr als erster Bescheid wissen und nicht von langsam arbeitenden Konzernstrukturen abhängig sein. Er war seit jeher ein Verfechter von flachen Hierarchien, insbesondere dann, wenn alle Fäden letztlich in seiner Hand zusammen liefen.

„Schönherr“, sagte Alexander mit fragendem Unterton.

„Controlling 463 am Apparat. Tut mir leid Sie stören zu müssen, aber ein Patient…

„Kommen Sie mir bitte nicht mit Patienten! Wofür haben wir Teamleiter, Monitore, Bereichsleiter und Projektleiter?

Sollte es ein Problem geben, treten Sie der ASAC auf die Füße. Sie kennen die Einsatzregeln…nicht über Telefon. Lassen Sie sich einen Termin geben. Danke!“

So ein Idiot…und ruft hier an! Es fehlte nur noch die Dummheit, dass er seinen Namen genannt hätte.

Dieser Berger ist ein Schwächling, ich wusste das schon immer, aber man muss nehmen, wen man für solche Arbeiten bekommt, dachte Schönherr und zündete sich noch eine Zigarette an. Für das hochgeheime Zusatzprojekt 1A/463 würde dieser Berger auf keinen Fall mehr in Frage kommen. Also musste ein neuer Clinical-Programm-Leader, ein neuer Verantwortlicher für das Studienprogramm her!

Nachdem Schönherr vor gut einer Stunde aus der Beratung im Pentagon zurück in sein Büro gekommen war, plagten ihn nicht nur Personalprobleme.

Das Projekt 1A/463 würde alle bisherigen Dimensionen an Maßnahmen, Personaleinsatz und Logistik übertreffen. Deshalb kamen die schlechten Zahlen, die ihm der zuständige Leiter der Abteilung Klinische Forschung Head of Clinical Research Professor Miller und der Senior Biostatistician Doktor Ferrow vorhin mitteilte, gerade zur Unzeit.

Allein die Geschichte des neuen Wirkstoffes war schon spektakulär.

Innerhalb des von der Regierung ursprünglich geförderten Forschungsprojektes zur Behandlung von depressiven Soldaten mit posttraumatischem Syndrom, war aufgrund gewonnener Erkenntnisse eine Abspaltung einer völlig anderen Forschungsrichtung erfolgt. Die neu gebildete Arbeitsgruppe nutzte geschickt ihre Verbindungen zu Finanzexperten. Und so kam es, dass die Regierung letztlich eine von ihr nicht genehmigte Forschung mitfinanzierte.

Das Präparat 463 war von einer Arbeitsgruppe mit der Bezeichnung „DRUG-BRAIN-MODULATION“ aus einer Vielzahl von neuen Wirkstoffen ausgewählt worden. Diese Arbeitsgruppe gab es offiziell nicht und hunderte Beschäftigte im Pentagon taten ihr Übriges dafür, dass niemals auch nur ein Kongressabgeordneter davon erfahren würde.

Nachdem sich herausgestellt hatte, dass das Präparat in höherer Dosierung steuerbare Amnesien auszulösen vermag, das heißt, man würde möglicherweise in die Lage versetzt werden, bei den Soldaten Erinnerungen löschen zu können, kam es sofort in den speziellen Focus einiger Militärs. Ein weiteres Novum bestand darin, dass die Soldaten unter dem Einfluss des Präparates voll handlungsfähig bleiben würden, was man von Drogen, Alkohol und aufputschenden Substanzen nicht behaupten konnte. Unmittelbar nach dem Kampfeinsatz würde somit jederzeit ein neuer Einsatz stattfinden können, ohne dass sich der Teilnehmer zeitlich und inhaltlich an den vorangegangenen Einsatz erinnern könnte. Die große zu lösende Frage war nun, ob die praktisch stattfindende „Überschreibung der Erinnerungsdaten“ im Gehirn dauerhaft sein würde.

Die Abweichler hatten in der Folge weiter ungeheures Forscherglück. Schon kurze Zeit später beobachtete man bei den Probanden, bei denen in kürzeren Zeitabständen Dosiserhöhungen vorgenommen worden waren, eine enorme Zunahme von kognitiven Fähigkeiten.

Doch nicht nur das, über Stunden hinweg hatten viele von ihnen eine unglaubliche Steigerung des Hörvermögens, das denen von Hunden gleichkam. Das Geruchsvermögen verdoppelte sich und die Probanden erhielten kurzzeitig die Fähigkeit, bei absoluter Dunkelheit etwas sehen zu können.

Doch die unglaublichste Nebenwirkung des Medikamentes erfuhr Schönherr erst heute. Zuerst wollte er es nicht glauben, aber als allen Anwesenden ein Filmbeitrag vorgeführt wurde, wurde es auch für ihn zur Gewissheit. Nun begann er zu verstehen, weshalb man bereit war, jegliches Risiko einzugehen.

Forensische Psychiatrie und Psychotherapie

„Im Moment keine Besucher, Medikation Citalopram 40, abends Haloperidol 2 Milligramm, auf Wunsch auch ein Z-Hypnotikum. Nach drei Tagen wie immer unser Programm. Und nicht vergessen, Sie kennen meine Meinung, bei versuchtem Suizid kommt mir bitte kein Anfänger ran an den Patienten, die sollen woanders Erfahrungen sammeln. Also geben sie Doktor Mertens Bescheid, noch irgendwelche Fragen?“, fragte Professor Goldstein, Leiter der Klinik, routiniert. Dabei drehte er sich auf dem Absatz um und war schon im Begriff das Patientenzimmer zu verlassen.

„Herr Professor, gestatten Sie die Bemerkung, der Patient hatte ein Präparat bei sich. Wahrscheinlich eine Studie. Ich glaube, wir sollten hier nicht überreagieren. Als der Patient ansprechbar war, teilte er mit, dass sein Hausarzt Doktor Schwenker ist. Der Kollege hat seine Belegbetten bei uns in der zweiten Etage. Deshalb schlage ich vor, statt Citalopram Beibehaltung der Medikation von Doktor Schwenker und abends sowie zur Nacht, wie von Ihnen festgelegt“, empfahl der Oberarzt selbstbewusst.

„Einverstanden, kein Problem, schirmen Sie ihn mir nur gut ab. Ich möchte keine hysterischen Verwandten hier und die Lokalpresse bekommt keinerlei Auskunft. Wir sind kein Aquarium, wo sich alle die Nasen dran platt drücken und die Fische beim Laichen beobachten können.“

Der Professor, der bereits sein siebzigstes Lebensjahr überschritten hatte, liebte diese ins Maritime gehenden Vergleiche. Alle Mitarbeiter der Abteilung kannten diese Marotte des Professors und fürchteten sie zugleich. Denn wenn er anfing, von seinen Tauchexkursen vor der Küste Kenias zu erzählen, konnte man selbst dringend zu erledigende Aufgaben getrost vergessen.

„Ach, sagen Sie, wann war denn die Polizei raus? Ich hasse solcherlei Störungen in meinem Haus seit ich im August…warten Sie siebenundsechzig, nein…das muss doch neuzehnhundertneunundsechzig…“

„Die waren, wie immer nach der Protokollaufnahme nach etwa dreißig Minuten draußen.“

Doktor Renner hielt dem Professor in vorauseilender Höflichkeit die Tür auf.

„Wie auch immer, ich mag diese Leute nicht in meinem Haus“, beharrte der Professor und war schon auf dem Flur, in Richtung des gegenüber liegenden Patientenzimmers.

Felix dämmerte im Haloperidol-Schlaf bis pünktlich drei Uhr nachts. Er wurde nicht wach, weil sich der Fernseher ausschaltete, er wurde wach, weil es drei Uhr nachts war.

Mit dem Infusionsschlauch kann ich wenig machen und die Fenster sind auch vergittert, war sein erster Gedanke.

Sein Blick glitt vom Infusionsschlauch hinunter zu der in einer seiner Venen steckenden Kanüle. Sie war mit einem weißen Pflaster auf seinem Handrücken fixiert.

Das gibt eine riesige Schweinerei, wenn ich mir damit die Blutgefäße aufritze. Aber leider dauert das dann eine Ewigkeit bis endlich der Tod eintritt. Außerdem kann mich die Nachtschwester überraschen, dann werde ich womöglich noch fixiert und mit starken Beruhigungsmitteln vollgepumpt. Nein, nein, ich muss hier mitspielen, wenn ich hier raus will. Ich finde dann draußen schon einen besseren Weg, mein Leben zu beenden. Felix, sei einfach geduldig, dachte er und schlief wieder unruhig ein.

Einen Tag später

„Sind Sie bereit, mit mir zu sprechen? Ich hätte ein paar Fragen. Es dauert auch nicht lange“, fragte Doktor Renner, der sich dabei einen Stuhl heranzog und sich neben Felix‘ Bett setzte.

Felix war erst seit kurzer Zeit wach, nickte aber zum Einverständnis.

„Also, wir reden heute nicht darüber, was gestern vorgefallen ist. Heute interessiert mich Ihre Kindheit, wie sie aufgewachsen sind, Ihr Verhältnis zu Ihren Eltern und wenn Sie haben, zu Ihren Geschwistern…“

„Wieso das denn…, was sollen denn die damit zu tun haben? Ich verdanke denen natürlich viel, ich meine meinen Eltern…“

„Liebten Sie Ihre Eltern oder besser liebten Sie einen Elternteil mehr, als den…?“

„Ach wissen Sie, von Liebe kann man da nicht sprechen, vor allem als Kind nicht. Ich mochte meine Mutter mehr, ja bis zu einem bestimmten Grad, mochte ich sie mehr. Ich habe immer funktioniert, brachte die besten Zensuren nach Hause. Ich war also ein gutes Kind, wie man so sagt.“

„Gab es so etwas wie Selbstbefriedigung bei Ihnen?“

„Ja na klar, wer hat das noch nicht gemacht…ist doch normal, vor allem in der Jugend…“

„Haben Sie die Selbstbefriedigung zu Hause oder an anderen Orten gemacht? Sie müssen nicht antworten, wenn Ihnen diese intimen Fragen zu weit gehen“, meinte Dr. Renner und vertiefte sich dabei in seine Aufzeichnungen.

„Okay, hab eigentlich kein Problem damit, bin auch nicht verklemmt. Also es war mal so und mal so…aber meistens zu Hause.“

„War es davon öfter in den Räumen der Familie oder öfter in Ihrem Kinderzimmer?“

„Glauben Sie, es gab den Begriff oder überhaupt die Tat Selbstbefriedigung bei meinen Eltern? Ha, das ich nicht lache. Aufklärung hat es in der Schule zu geben. Das war deren Meinung! Die haben geprügelt, wenn man sich widersetzlich verhielt!

Aber was bringt denn jetzt diese ganze Fragerei? Das ist doch alles schon vergessen. Mir hat sowie nie jemand in meinem Leben geholfen. Ich musste immer alleine zurechtkommen. Meine beruflichen Erfolge wurden von meinen Eltern ebenso hingenommen, unter dem Motto: Haben wir ja schon immer gesagt und Wem hast Du dass alles zu verdanken?.

Alles Quatsch! Alles verlorene Zeit, meine Eltern sind jetzt schon zwei Jahre tot. Sie starben kurz hintereinander…also weshalb fragen Sie solche Sachen?“

„Einige Ärzte und da gehöre auch ich dazu, sehen Ihre Erkrankung unter anderem als eine gegen sich selbst gerichtete Aggression.

Als mögliche psychische Ursachen für Ihre bestimmte Form der Depression, sehen wir so genannte dysfunktionale Familien. Häufig sind in solchen Familien die Eltern mit der Erziehungsarbeit überfordert oder sie haben einfach keine Zeit für die Kinder. Es wird jedoch gerade in diesen Verhältnissen von den Kindern erwartet, dass sie die Eltern glücklich machen, durch außerordentlich hohe Leistungen in der Schule, zumindest aber wird von den Kindern verlangt, dass sie problemlos „funktionieren“. Nur so fühlen sich die Eltern sicher, um nicht das fragile familiäre System aus dem Gleichgewicht zu bringen.

Nicht alle Kinder, aber einige fühlen sich dadurch tagtäglich überfordert, entwickeln einen ausgeprägten, ja man kann sagen übersteigerten Ehrgeiz. Sie wollen damit ihre Überforderung kompensieren, indem sie sich bedingungslos an die familiären Bedürfnisse anpassen. Diese Kinder sind in ihrem späteren Leben besonders depressionsgefährdet.

Einige entwickeln in Ihrem späteren Leben ein Helfersyndrom…“

„Nee, nee ich bestimmt nicht!“, sagte Felix leise.

„Andere wollen ständig Erwartungen von Vorgesetzten erfüllen. Das steigert sich bis zu narzisstischen Größenphantasien. Dieses so entstandene „Ich“ verzeiht aber dann die Ohnmacht nicht mehr, alle Erwartungen immer und jederzeit erfüllen zu können. Was bleibt, ist die absolute Hilflosigkeit, also es ist eine erlernte Hilflosigkeit…ja und manche machen dann…ach das lassen wir jetzt. Jedenfalls bin ich bei Ihnen nun sehr optimistisch hinsichtlich der Behandlung. Kopf hoch! Das kriegen wir gemeinsam wieder hin“, erklärte Doktor Renner, während er aufstand.

„Sie schauen mich aber trotzdem an, als ob ich verrückt wäre…“, meinte Felix leise.

„Ich kann Ihnen als Spezialist nur so viel sagen, dass es den Begriff der Verrücktheit im wissenschaftlichen Sinne, Gott sei Dank, nicht mehr gibt.“

„Und wieso nicht?“, ließ Felix nicht locker.

„Also gut, drei Minuten für eine Privatvorlesung habe ich noch“, antwortete Doktor Renner, schaute dabei auf die Uhr, setzte sich wieder auf den Stuhl.

Doktor Renner legte die Fingerspitzen beider Hände aneinander und schaute Felix dabei aufmerksam in die Augen. Dann holte er tief Luft und sagte:

„Wir leben im Heute und Jetzt Herr Patient. Früher teilte man den von Ihnen genannten Begriff ein in nützlichen Wahnsinn, in Unvernunft, in ganz normale Verrücktheit, damit meinte man eine milde Verrücktheit, auch bekannt als meschugge, dann gab es die Begriffe der Melancholie, Manie und auch Hysterie. Welche dieser Normabweichung noch als Verschrobenheit und welche bereits als Verrücktheit galten, bestimmte häufig ein Gericht oder ein Landesherr. Letztlich war dies abhängig, aus welcher Region die Person stammte und hing vor allem auch vom sozialen Status ab, also ob man reich oder arm war. Heute gelten für uns Psychiater wissenschaftlich moderne Krankheitskriterien und…“

„Aber Sie haben vorhin Gott gedankt…“, warf Felix ein.

„Ja, warum nicht? Das eine schließt das andere nicht aus. Im Übrigen ist Glauben anstrengend! Versuchen Sie es und Sie werden sehen, es ist viel einfacher intelligent zu sein.

So, nun ist meine Zeit aber um.

Ich danke Ihnen erst mal, schlafen Sie sich aus. Wir reden morgen weiter“, sagte Doktor Renner, stand auf und verließ das Krankenzimmer.

Die Schatten der Kindheit balgten sich jetzt in Felix‘ Kopf mit den Schatten, die das Gitter des Fensters warf.

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