Kitabı oku: «Ärzte, Liebe, Schicksal: Arztroman Sammelband 3 Romane», sayfa 4
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„Du hast dir Arbeit mit nach Hause genommen?“, fragte Jana Härtling, als ihr Mann in seinem Arbeitszimmer eine Flügelmappe aus seinem Aktenkoffer holte und auf den Schreibtisch legte. So etwas kam nicht oft vor. Wenn zusätzliche Arbeit anfiel, blieb Dr. Härtling zumeist etwas länger in der Klinik und erledigte, was sich nicht aufschieben ließ, lieber da.
„Arbeit kann man das nicht nennen“, erwiderte Sören ausweichend und schloss den Aktenkoffer. „Ich hab’ da nur etwas zu lesen ...“
„Was?“, bohrte Jana.
Sören wand sich.
„Nun ja ...“
Jana lächelte.
„Ein Klinikgeheimnis?“
Sören schüttelte den Kopf. „Nicht direkt.“
„Du machst mich neugierig.“
Sören seufzte: „Gerade das wollte ich vermeiden.“
„Wie du weißt, bin ich Mitbesitzerin der Paracelsus-Klinik ...“
Sören legte die Hand auf die Flügelmappe.
„Die Sache hat nur indirekt mit der Paracelsus-Klinik zu tun.“
„Darf ich einen Blick in die Mappe werfen?“, fragte Jana Härtling.
„Nein. Lieber nicht.“
„Nur einen klitzekleinen.“ Jana zeigte mit Daumen und Zeigefinger etwa zwei Millimeter.
„Jana, bitte“, sagte Sören mit Nachdruck. „Du bringst mich da in eine unangenehme Situation. Ich ... ich soll darüber nicht reden.“
„Mit mir kannst du über alles reden. Mir kannst du alles anvertrauen. Ich bin deine Frau. Wir sind ein Ehepaar. Wir sind eins. Wir hatten noch nie Geheimnisse voreinander, und du weißt, dass ich schweigen kann wie ein Grab.“
Dr. Härtling sah ächzend zur Decke.
„Sie wird mich steinigen.“
„Wer wird dich steinigen, Liebling?“
„Schwester Annegret“, antwortete Sören Härtling.
„Befindet sich in dieser Mappe etwas, das sie betrifft?“, wollte Jana wissen.
„Ja“, kam es dumpf über Sörens Lippen. Er bereute schon, das Manuskript mit nach Hause genommen zu haben.
„Und es ist nur für deine Augen bestimmt?“, fragte Jana mit lauerndem Blick.
„Nicht einmal für meine Augen“, sagte Sören.
„Das musst du mir erklären.“
Sören versuchte es, und damit machte er Jana noch neugieriger.
„Ein Buch von Schwester Annegret!“, rief sie überrascht und begeistert aus. „Das muss ich unbedingt lesen!“
„Es sind erst zwei Kapitel.“
Jana nickte.
„Ich gebe mich fürs Erste auch damit zufrieden.“
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Harry Burg gehörte wieder dazu. Er fühlte sich wohl bei seinen malenden Freunden. Es kam ihm so vor, als wäre er nie weg gewesen. Sie erzählten ihm von ihren Erfolgen und Misserfolgen im vergangenen halben Jahr, und er stellte bei sich fest, dass sie alle viel fleißiger gewesen waren als er. Doch was hatte es ihnen gebracht? Ein Leben, wie er es führte, hätten sie sich trotz ihres Fleißes nicht leisten können. Wer also macht da etwas falsch?, fragte sich Harry. Ich doch nicht!
„Wann hast du deinen letzten Akt gemalt, Harry?“, erkundigte sich Nikki Mandrakis.
„Ist schon eine Weile her“, antwortete er. „Ist überhaupt schon eine Weile her, dass ich was gemalt habe.“
„Wenn du möchtest, stehe ich dir Modell. Du brauchst mir nicht einmal etwas dafür zu bezahlen. Für dich würde ich es umsonst machen. Just for fun.“
„Wenn ich deine Dienste als Aktmodell in Anspruch nehme, dann bezahle ich dich auch dafür“, entgegnete Harry. „Oder hast du was zu verschenken?“
Nikki kicherte.
„Aber ja doch - sehr viel Liebe.“
Harry hob die Hand, als sein Bierglas leer war.
„Bernd!“, rief er.
Bernd Lehmann beugte sich über den Tresen.
„Noch ’ne Runde!“, rief Harry Burg.
„Kommt sofort.“
Tassilo Maier - er signierte seine Werke mit Tassilo Mai grinste.
„Endlich sitzt mal wieder einer an diesem Tisch, der keine Löcher in den Taschen hat und weiß, was sich gehört.“
Lehmann brachte die vollen Gläser und räumte die leeren ab.
„Du machst hoffentlich mit“, sagte Harry Burg.
„Klar, Junge“, gab Lehmann grinsend zurück. „Mein Frischgezapftes wartet auf dem Tresen auf mich.“
Tassilo Meier hob sein Glas.
„Auf den edlen Spender! Er lebe hoch - hoch - hoch!“
Man stieß mit Harry Burg an, pries lautstark seine Großzügigkeit, die der Herr ihm erhalten möge, ließ das kühle Blonde in die Gurgel rinnen. Nikki Mandrakis ließ keine einzige Runde aus. Harry verlor bald die Übersicht, aber er konnte sich auf Bernd Lehmann verlassen, der würde ihm kein einziges Glas Bier mehr verrechnen, als tatsächlich getrunken worden war. Bernd war eine ehrliche Haut ...
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Während Harry Burg mit seinen Freunden ausgiebig Wiedersehen feierte, ließ Jana Härtling ihren Mann allein, damit er in seinem Arbeitszimmer ungestört Schwester Annegrets Manuskript lesen konnte. Doch bevor sie hinausging, sagte sie: „Wenn du es gelesen hast, möchte ich mir auch meine eigene Meinung über Annegrets schriftstellerisches Talent bilden. Nur ganz für mich allein. Sie wird es nie von mir erfahren. Ich bin ja bloß so neugierig, weil ich Annchen schon so ewig lange kenne. Ich würde mich ehrlich für sie freuen, wenn es ihr gelänge, ein Buch zu schreiben.“
Josee und Tom hatten mal wieder eine laute Meinungsverschiedenheit. Jana Härtling lächelte ihren Mann an.
„Wir haben sehr lebhafte Kinder.“ Sie schloss die Tür, und Sören hörte, wie sie zu Josee und Tom sagte: „Wollt ihr euren Streit wohl etwas leiser austragen? Vati hat zu arbeiten!“
Danach war nichts mehr zu hören.
Stille.
„Wir haben nicht nur sehr lebhafte, sondern auch sehr rücksichtsvolle Kinder“, murmelte Dr. Härtling, und ein liebevolles Lächeln umspielte dabei seine Lippen. Er lehnte sich zurück, lockerte den Knoten seiner Krawatte und öffnete den darunter befindlichen Hemdkragenknopf. Dann klappte er die Flügelmappe auf und nahm das Manuskript heraus.
Seite eins. Kapitel eins.
Sören begann zu lesen ...
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„Wer hätte gedacht, dass wir heute so ein Riesenfass aufmachen würden?“, grinste Tassilo Maier.
„Das Leben ist voller Überraschungen“, stimmte Gotthilf Wiesmath, der neben ihm saß, ihm zu. Er trug stets eine Baskenmütze, weil er, obwohl erst neunundzwanzig, kaum noch Haare auf dem Kopf hatte. Böse Zungen behaupteten, er würde die Mütze sogar im Bett tragen, doch das stimmte nicht, das konnte Nikki Mandrakis bestätigen. Harry hatte bereits einen leichten in der Krone, als ihm eine großartige Idee kam.
„Herhören!“, sagte er.
Gotthilf Wiesmath plapperte irgendetwas, das keinen interessierte.
„Alle mal herhören!“ rief Harry Burg.
Gotthilf plapperte weiter.
„Schnauze!“, rief Harry.
Jetzt erst verstummte Gotthilf Wiesmath.
„Ich hatte da eben einen tollen Einfall“, ließ Harry Burg seine Freunde wissen.
„Hört, hört!“, rief Tassilo Maier - alias Tassilo Mai.
„Ich finde, es wird Zeit, dass wir mal wieder so richtig schön die Sau rauslassen“, tönte Harry.
„Hört, hört!“, rief Tassilo Maier sofort wieder. Diesmal begeistert.
„Eine Party“, sagte Harry. „Bei mir. Morgen. In meinem Atelier. Ihr seid alle eingeladen und könnt mitbringen, wen ihr wollt.“
„Mann, das wird die fetzigste Fete des Jahres!“, jubelte Tassilo.
„‘ne große Sause bei Harry!“, rief Gotthilf Wiesmath entzückt. „Das lasse ich mir nicht entgehend“
Nikki Mandrakis schmiegte sich an Harry Burg.
„Darf ich auch kommen?“
„Wenn ich sage, ihr seid alle eingeladen, gilt das selbstverständlich auch für dich.“
„Ich würde mich sehr über eine Extraeinladung freuen“, säuselte Nikki.
„Okay.“ Harry wandte sich grinsend zu ihr. „Hiermit lade ich dich ganz offiziell und ganz extra und ganz herzlich zu meinem Atelierfest morgen Abend ein.“
„Danke, Harry“, flötete Nikki.
„Gern geschehen.“
„Bringst du mich jetzt nach Hause, Harry?“, fragte Nikki Mandrakis.
Er tätschelte ihre Wange.
„Mach’ ich, Mädchen, mach’ ich.“ Er erhob sich, klopfte mit den Fingerknöcheln auf den Tisch und sagte zu seinen Freunden: „Ich sehe euch also alle morgen bei mir.“
„Worauf du dich verlassen kannst“, gab Tassilo für alle zurück.
Harry bezahlte die Zeche und verließ mit Nikki das „Boheme“. Obwohl er einiges getrunken hatte, sah er keinen Grund, den Wagen stehen zu lassen und ein Taxi zu nehmen.
„Kannst du noch fahren?“, fragte Nikki, als er den Wagenschlag auf der Beifahrerseite öffnete.
„Ich bin nicht betrunken“, gab er zurück.
„Das nicht, aber ...“
„Wenn ich ’n bisschen was gebechert habe, fahre ich immer ganz besonders konzentriert und deshalb doppelt so sicher wie in nüchternem Zustand“, belehrte er sie.
„Aber wenn die Polizei dich erwischt, bist du deinen Führerschein los.“
Harry lachte unbekümmert.
„Dann fahre ich eben ohne.“
Nikki stieg ein. Sobald er neben ihr saß, schmiegte sie sich an ihn. Sie behinderte ihn ein wenig beim Lenken, doch er sagte nicht, sie solle auf ihrer Seite bleiben, denn ihre Nähe tat ihm gut.
Es gab nichts, was Nikki Mandrakis ihm nicht gegeben hätte, wenn er es hätte haben wollen. Sie kam ihm vor wie eine streunende Katze, die bei jedem schnurrte, der sie streichelte. Nikki war eine Frau, die sehr viel Liebe und Zuneigung gebraucht hätte, aber die Männer, an sie sie immer geriet, gingen mit ihr nur ins Bett, ohne sie zu lieben. Ja, sie achteten sie nicht einmal. Nikki war nicht dumm. Sie wusste, dass es an ihr lag - kein Mann hat Achtung vor einer Frau, die er nicht zu erobern braucht, die er sofort haben kann, die sich ihm aufdrängt, aber sie konnte es nicht ändern. Sie war eben, wie sie war. Jeder Mensch hat Fehler. Ihr Kopf ruhte auf Harrys Schulter. Er fuhr langsam, und er dachte: Wenn Marianne uns jetzt sehen würde, wäre es aus, dann würde sie aus der Beziehungspause ein Beziehungsende machen.
Nikkis Augen waren geschlossen, aber sie schlief nicht. Als Harry seinen zweisitzigen Sportwagen anhielt, machte sie die Augen sofort wieder auf.
„Du bist da“, sagte Harry.
Nikki Mandrakis setzte sich überrascht gerade.
„Als ich dich fragte, ob du mich nach Hause bringst, meinte ich zu dir nach Hause.“
„Das hast du nicht gesagt.“
„Mein Fehler. Aber er lässt sich noch korrigieren.“
Harry schüttelte ernst den Kopf.
„Nein, Nikki.“
„Ist dein Bett noch warm von Mariannes Körper?“, fragte sie leise.
„Ja.“
Sie schmunzelte.
„Mich würde das nicht stören.“
„Gute Nacht, Nikki.“
Sie disponierte rasch um.
„Kommst du noch mit zu mir hoch?“
„Nein.“
„Ich möchte noch nicht allein sein, Harry“, flüsterte sie.
„Dann hättest du noch im ‘Boheme’ bleiben sollen“, gab Harry standhaft zurück. „Wir sehen uns morgen bei mir.“
„Da werde ich dich nicht für mich allein haben“, schmollte sie.
„Ich hoffe, du bist trotzdem dabei“, entgegnete Harry, streckte sich an ihr vorbei und öffnete die Tür.
Sie war ihm nicht böse. Sie wusste, dass er eine harte Nuss war, und sie hatte die Hoffnung noch lange nicht aufgegeben, ihn eines Tages doch noch zu knacken.
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Nach Sören las Jana das Manuskript, und im Bett redete sie mit Sören dann darüber.
„Was hältst du von den beiden Kapiteln?“, fragte sie ihren Mann.
„Was hältst du davon?“
„Man beantwortet eine Frage nicht mit einer Gegenfrage“, rügte Jana ihn. „Das trichtere ich unseren Kindern seit einer Ewigkeit ein.“
Dr. Härtling schmunzelte. „Mit Erfolg?“
„Bisher noch nicht. Weil ihnen nämlich der eigene Vater mit schlechtem Beispiel vorangeht.“
Sören Härtling sah seine Frau erwartungsvoll an.
„Du wolltest mir sagen, wie dir Schwester Annegrets Arbeit gefallen hat.“
„Wollte ich nicht. Ich habe zuerst gefragt. Also lass mich deine Meinung hören.“
Sören holte tief Luft.
„Ich würde sagen ...“ Er unterbrach sich schon wieder.
„Was?“, fragte Jana, damit er weitersprach.
„Schwester Annegret ist eine ganz hervorragende Pflegerin“, ließ Dr. Härtling eine Lobeshymne vom Stapel. „Es gibt keine bessere. Man sollte sie für irgendeinen besonderen Orden mit viel Gold vorschlagen ...“
Jana ließ sich weder ablenken noch verwirren.
„Aber?“, fragte sie, damit er seine Rede auf den Punkt brachte. Sören wirkte irritiert.
„Wie?“
„Da kommt doch noch ein Aber, oder etwa nicht?“
„Ich schätze Schwester Annegret als Mitarbeiterin sehr. Sie achtet auf meine Gesundheit. Wenn ich bereits zu viel Kaffee getrunken habe, bekomme ich keinen mehr von ihr, da bleibt sie beinhart. Sie weiß auf medizinischem Gebiet oft mehr als so mancher junge Assistenzarzt, kann ganz hervorragend mit Kranken umgehen, ist nicht aus der Ruhe zu bringen. Kurzum, sie ist ein wahres Juwel und fast so lange in der Paracelsus-Klinik, wie ich alt bin. Ich liebe diese resolute, verantwortungsbewusste, zuverlässige Frau ...“
Jana blieb schmunzelnd am Ball. „Aber?“
„Aber - es tut mir leid, das sagen zu müssen - schreiben kann sie nicht“, rückte Sören Härtling nun endlich mit seinem Urteil heraus. „Oh, grammatikalisch ist alles richtig. Diesbezüglich gibt es an den beiden Kapiteln nichts auszusetzen, aber der Stil ist schwülstig und nicht im Mindesten zielstrebig. Sie verliert sich pausenlos in Nebensächlichkeiten, langweilt den Leser, der ihren Ausführungen nur mit Mühe folgen kann, und hat im Grunde genommen überraschend wenig zu sagen. Sie verwässert die Dinge so sehr, dass sie breiig, zäh und uninteressant werden.“
Jana küsste ihren Mann.
„Und wie fandest du die zwei Kapitel?“, wollte Sören Härtling wissen.
„Wir sind mal wieder einer Meinung“, antwortete Jana.
Sören seufzte.
„Ja, und was nun?“
„Wirst du Schwester Annegret gegenüber das, was du soeben gesagt hast, wiederholen?“
Sören schüttelte den Kopf.
„Nicht mit dieser schmerzlichen Deutlichkeit. Das könnte ich ihr nicht antun.“
„Was wirst du ihr sagen?“, fragte Jana. „Dass die Flügelmappe zwar sehr schön, ihr Inhalt aber nicht zu gebrauchen ist?“
„Ich weiß noch nicht, was ich sagen werde. Ich werde improvisieren. Irgendetwas wird mir schon einfallen. Hoffentlich nimmt sie mein Urteil nicht allzu persönlich. Außerdem - ich kann mich ja auch irren.“
„Aber können wir uns beide irren?“, gab Jana leise zurück.
„Gute Nacht, Schatz“, sagte Sören. Sie küssten sich und löschten ihre Nachttischlampen.
„Schatz.“ Das war noch einmal Sören.
„Ja, Liebling?“
„Ich wollte, ich hätte Annchen nicht so gedrängt, mir das Manuskript zu geben“, sagte Dr. Härtling bedauernd. „Damit hätte ich mir einiges Unangenehme erspart.“
„Wer weiß, wozu es gut ist, dass wir Annchens Werk gelesen haben.“
Sören versuchte ein paar Pluspunkte zusammenzubekommen.
„Sie wird nicht weiter an ihrem Erstlingswerk schreiben, in der Klinik wieder konzentrierter arbeiten und nicht länger das Opfer des Irrglaubens sein, wie ihre Jugendfreundin Jutta Grosse über eine schriftstellerische Begabung zu verfügen.“
„Womit es sich mal wieder beweist, dass kein Schaden ohne Nutzen ist.“
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„Nikki, Nikki ...“ Harry Burg redete mal wieder mit sich selbst, während er nach Hause fuhr. Der größte Vorteil von Selbstgesprächen ist der, dass die Person, zu der man redet, auf keinen Fall intelligenter ist als man selbst. „O Nikki, du kleines Biest, du wirst wohl nie damit aufhören, hm? Jedes Mal, wenn wir uns begegnen, versuchst du mich herumzukriegen. Warum siehst du nicht endlich ein, dass es dir nicht gelingen wird? Ich kann dich zwar sehr gut leiden, aber ich liebe dich nicht. Ich weiß, das ist dir nicht so wichtig sollte es aber sein. Vielleicht würdest du dann endlich nicht immer bloß Schwarz tragen. Du bist hübsch. Du könntest mit ein bisschen Farbe eine strahlende Schönheit aus dir machen. Warum musst du immer wie eine alte Vogelscheuche herumlaufen? Wen versuchst du damit abzuschrecken? All die netten Männer, die dich auf Händen tragen würden, wenn sie wüssten, wie toll du ohne diese schwarze Maskerade aussiehst?“
Zu Hause angekommen, nahm Harry eine Bierdose aus dem Kühlschrank und riss sie auf. Wenn er ein bestimmtes Quantum getrunken hatte, konnte er nur schwer ein Ende finden. Er trank und hörte sich dabei an, was sich auf dem Anrufbeantworter befand.
Seine Mutter: „Ich möchte in vierzehn Tagen nach Rom fahren. Hättest du Lust, mich zu begleiten?“
Sein Vater: „Ich rufe aus der Paracelsus-Klinik an, habe soeben eine schwierige Magenresektion beendet. Deine Mutter möchte in vier oder fünf Wochen - ich hab’ ehrlich gesagt nicht so genau zugehört - nach Rom fahren. Vielleicht könntest du es einrichten, sie zu begleiten. Mir wäre das sehr recht. Schau mal wieder bei uns rein! Also bis demnächst mal. Ich liebe dich.“
Nikki Mandrakis: „Hast mich elegant abgeschoben, das muss ich schon sagen, aber so schnell werfe ich das Gewehr nicht ins Getreide. Morgen ist auch noch ein Tag. Und übermorgen. Und überübermorgen. Und die ganze Zeit, die deine Beziehungspause dauert.“
Weitere Anrufe waren nicht auf dem Band. Marianne Rath hatte nicht versucht, ihn zu erreichen. Oder hatte sie - und nur keine Nachricht hinterlassen?
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Der Trubel und die Hektik endeten, sobald die Kinder aus dem Haus waren.
„Heute Mittag gibt es einen leckeren Kaninchen-Schalotten-Topf, Herr Doktor“, kündigte Ottilie an.
„Hört sich verlockend an“, sagte Sören Härtling.
„Und was halten Sie von einer Preiselbeer-Biskuit-Rolle zum Nachtisch?“, fragte die Wirtschafterin.
„Sie verwöhnen uns mal wieder, Ottilie.“
Jana schmunzelte.
„Die gute Ottilie macht es uns nicht leicht, schlank zu bleiben“, sagte sie.
„Essen und trinken hält Leib und Seele zusammen“, erwiderte die Haushälterin mit wichtiger Miene.
„Ich muss in die Klinik“, erklärte Sören bedauernd.
Jana brachte ihm seinen Aktenkoffer, in dem sich Schwester Annegrets schriftstellerischer Fehlschlag befand.
„Weißt du schon, wie du es Annegret beibringen wirst?“, fragte sie.
Sören schüttelte den Kopf.
„Ich habe mir ein paar Varianten zurechtgelegt. Für welche ich mich entscheiden werde, weiß ich noch nicht.“
Jana gab ihm einen Kuss auf den Mund.
„Wir sehen uns zu Mittag!“
„Einen schönen Vormittag, Herr Doktor“, wünschte die Wirtschafterin dem Chefarzt.
„Danke, Ottilie“, gab Sören zurück.
„Arbeiten Sie nicht zu viel!“
„Sie auch nicht“, lächelte Dr. Härtling und verließ die Villa.
Die Paracelsus-Klinik befand sich nur wenige Autominuten davon entfernt. Moni Wolfram wünschte ihm einen wunderschönen guten Morgen. Ihr Mann, Dr. Michael Wolfram, einer der jungen Assistenzärzte, schien in der vergangenen Nacht besonders nett zu ihr gewesen zu sein.
Sören holte die Flügelmappe aus seinem Aktenkoffer und schloss sie wieder in der Schreibtischschublade ein. Top secret! For your eyes only! Amüsiert dachte der Leiter der Paracelsus-Klinik an James Bond, 007, den Agenten Ihrer Majestät.
Es dauerte nicht lange, bis Schwester Annegret um eine kurze „Audienz“ bat. Als sie Dr. Härtling gegenübersaß, war sie unsicher und nervös.
„Haben Sie mein Manuskript gelesen, Chef?“, fragte sie zaghaft.
Sören nickte. „Mit großem Interesse.“
„Und - wie hat es Ihnen gefallen?“
Plötzlich passten alle Varianten nicht, die Sören Härtling sich zurechtgelegt hatte, und er suchte krampfhaft nach Worten, die die Wahrheit nicht verschwiegen, der Schwester aber nicht wehtaten.
„Nun ... Also ...“ Er räusperte sich. „Ich meine ...“ Räuspern. „Ich denke ...“
„Danke, Chef, das genügt mir“, sagte die alte Pflegerin.
„Annchen, ich ...“
Die Pflegerin hob die Hand.
„Schon gut, ich weiß Bescheid.“
„Ich habe ja noch gar nichts gesagt.“
Annegret nickte. „Eben.“
„Grammatikalisch ist an Ihrem Manuskript nichts auszusetzen“, bemühte sich Sören Härtling, etwas Positives zu sagen.
„Es ist Mist“, erklärte die alte Annegret nüchtern.
„Das würde ich nicht sagen“, widersprach Sören Härtling - mehr höflichkeitshalber.
„Es gehört auf den Müll“, sagte die alte Pflegerin streng.
„Man muss es nicht gleich auf den Müll werfen.“
„Es taugt nichts“, ging Schwester Annegret gnadenlos mit ihrem Werk ins Gericht. „Geben Sie es mir! Ich werde es entsorgen.“
„Seien Sie doch nicht so schrecklich radikal, Annchen!“
„Ich bin - das darf ich wohl von mir behaupten - eine gute Krankenschwester, aber Bücher schreiben kann ich nicht, also werde ich in Zukunft die Finger davon lassen und mich wieder ausschließlich auf das konzentrieren, was mir liegt. Das Schreiben war für mich ohnedies viel zu mühsam. Richtige Knochenarbeit war das. Wenn dabei wenigstens etwas Vernünftiges herausgekommen wäre ... Aber nein, es hat mir ja nicht einmal selbst gefallen. Wie sollte es da jemand anders interessieren? Jetzt weiß ich erst Jutta Grosses Leistung richtig zu schätzen. Ein Buch zu schreiben - das kann eben doch nicht jeder.“ Ein dünnes Lächeln zuckte um ihre Lippen. „Darf ich mein Manuskript nun wiederhaben, Chef?“
Sören Härtling schloss die Schreibtischlade auf, nahm die Flügelmappe heraus und legte sie vor die grauhaarige Pflegerin hin.
„Tut mir leid, Annchen.“
Die Schwester schüttelte den Kopf.
„Es braucht Ihnen nicht leidzutun. Ich bin nicht frustriert. Ich bin froh, dass diese Spinnerei ein Ende hat. Sie hat mich ohnedies zu sehr von meiner Arbeit hier in der Klinik abgelenkt. Dazu wird es mit Sicherheit nicht mehr kommen, das kann ich Ihnen heute garantieren.“ Sie nahm das Manuskript an sich, stand auf und sagte: „Entschuldigen Sie mich, Chef. Ich habe zu tun.“ Sie ging zur Tür.
„Annchen!“
Sie drehte sich, fast schon bei der Tür, um.
„Ja, Herr Doktor?“
„Meine Frau hat die beiden Kapitel auch gelesen.“ Sören konnte das nicht für sich behalten. Es wäre ihm unehrlich vorgekommen. Die Pflegerin nickte. Es schien ihr nichts auszumachen.
„Damit habe ich gerechnet“, sagte sie gleichgültig. „Ich nehme an, ihr hat mein schriftstellerischer Erguss genauso wenig gefallen wie Ihnen.“
„Ich hoffe, Sie sehen es nicht als Vertrauensbruch an ...“
„Sie und Ihre Frau sind für mich eine homogene Einheit“, erklärte Schwester Annegret. „Sie gehören zusammen. Man kann Sie nicht voneinander trennen. Ich finde das wunderbar. Wären nur alle Ehen so wie Ihre, dann gäbe es viel weniger familiäre Probleme auf der Welt.“
„Danke, Annchen“, sagte Sören.
„Ich habe zu danken“, gab die Krankenschwester zurück und ging hinaus.