Kitabı oku: «Der Wünscheerfüller», sayfa 4

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V.

Natürlich hatte ich mit der Erkältung recht behalten und natürlich haben auch Sie recht, wenn sie meinen, die Aktion im Park sei unbeholfen und holprig verlaufen. Denken Sie daran, dass ich solch finales Handeln nicht gewohnt war und noch lernte. Für Mord gab es keinen Ausbildungsgang, der den Auszubildenden sanft an die Grundlagen heranführte, eine psychologische Absicherung für gesteigerte Kaltblütigkeit vermittelte und nach mehreren Versuchen mit einem gelungenen Gesellenstück in die gesicherte Selbstständigkeit entließ. Was glauben Sie, warum derartig viele Dilettanten herumlaufen, die geradezu danach schreien, erwischt zu werden. Sie sind auf sich gestellt und haben keine Lobby. Mörder sind klassische Autodidakten. Ich finde, dafür hatte ich meine Sache recht ordentlich gemacht.

Sicher, ich war auch vom Glück begünstigt. Zuallererst schreibe ich meinen Erfolg aber meiner Willensstärke zu. Determinismus war ein weiterer Begriff der mich prägen sollte und die Entschlossenheit, das zu tun, was getan werden musste, hielt mich auch in dieser Nacht schniefend und hustend aufrecht, als ich meine verdreckte Kleidung wusch und entsorgte und das Fahrrad an einer einsamen Straßenlaterne anlehnte, nachdem ich ihm eine ausgiebige Dusche mit dem Gartenschlauch gegönnt hatte.

Die weitaus größte Sorgfalt verwendete ich auf das Verstecken des Geldes. Hatte ich erwähnt, dass ich einige Scheine im brennenden Wagen zurückließ? Der im Kofferraum kauernde Bert mit dem lackverschmierten Kinn würde darauf aufpassen und die Hyänen von der Presse würden die Geschichte des Mannes verbreiten, der mit seinem Geld verbrannte. Ich machte mir keine Illusionen. Knappe zwei Millionen Euro in Fünfzigern würden vermisst werden. So schmerzlich vermisst, dass man Fragen stellte. Es war besser, den Fragestellern nicht zu begegnen. Meine Hoden gaben ein Lebenszeichen und schrumpften bei dem Gedanken an die vergangene Sonderbehandlung zusammen, bis sie die Größe von Minigebäckkugeln erreichten.

Meine Mutter nahm in jener Nacht nur am Rande Kenntnis von mir, weil sie sich im Rahmen eines lukrativen Vertragsverhältnisses mit zwei Geschäftsleuten abmühte, die eine ansehnliche Summe für eine Spezialbehandlung offerierten und diese, nach der Geräuschkulisse zu urteilen, auch bekamen. Ich hatte nicht das Gefühl, dass ich vermisst worden war. Einige Male betätigte ich die Toilettenspülung und rumorte in der Küche, um mich bemerkbar zu machen und konnte schließlich den Erfolg verbuchen, dass meine Mutter leise „Bert“ rief und ein „Nein, nur ich“ erntete, worauf sie sich umgehend ihren Klienten zuwandte, für die sie mit wallender roter Perücke und einem hautengen Latexgewand auftrat. Sie würde ohne Weiteres bestätigen, dass ich den ganzen Abend in meinem kleinen Zimmer am Ende des Korridors zugebracht hatte. Schließlich hatte mir Bert für die Zeit nach 20.00 Uhr ein Ausgehverbot verordnet, bis ich von meinen falschen Wegen abschwor und mit einem ordentlichen Job zum Familieneinkommen beitrug. Bert war der erste Mann, der Autorität über mich hatte. Und ich hörte auf ihn.

Es ist schwer, sich in Morpheus Armen zu wiegen, wenn man innerlich aufgewühlte ist und so dämmerte ich in der Bettwäsche meines Lieblingsfußballvereins dem Morgen entgegen. Die Kunden meiner Mutter waren dazu übergegangen, auf ihre halblauten Kommandos hin die Wohnung zu putzen. Solche Leute waren mir die liebsten Gäste. Sie putzten nicht aus Pflichtgefühl, sondern mit wahrer Hingabe. Eine verschmierte Zierleiste, verbunden mit einem verächtlichen Kommando einer rothaarigen Walküre mit Krampfadern, löste bei ihnen eine hartnäckige Erektion aus. Am Morgen würde die Wohnung blitzblank sein. Ich schniefte noch einmal und schlief beruhigt ein.

Sie können sich vorstellen, wie beunruhigt ich war, als ich gemeinsam mit meiner Mutter feststellen musste, dass Bert verschwunden war. Sicher, er unterhielt ein eigenes Domizil, das keiner von uns je betreten hatte. Aber das machte er nur, weil unsere Wohnung in erster Linie einen Arbeitsbereich darstellte, der dem Verdienst des Lebensunterhaltes gewidmet war. Die Zeitungen hatten mit den bizarren Todesumständen des Unbekannten im Stadtpark aufgemacht. In den Lokalnachrichten fand sich noch ein kleiner Artikel über einen mysteriösen Säureanschlag auf einen Kastanienbaum. Die Journalisten hatten beide Ereignisse in keinen Zusammenhang gebracht. Investigativen Journalismus hatte man auch schon besser erlebt.

Ich bemühte mich nach Kräften, die Zeitungen außerhalb der Reichweite meiner Mutter zu halten und ihr den Zugriff zu den tröstenden Flaschen zu erleichtern. In ihrem derangierten Zustand war sie ohnehin außerstande, sich auf die Wünsche ihrer Klientel zu konzentrieren. Und seien wir ehrlich, das Geld hatten wir nicht mehr wirklich nötig. Wir taten etwas, was uns in früheren Zeiten ausgezeichnet hatte. Wir rückten zusammen und verhalfen uns zu mitmenschlicher Wärme inmitten trüber Spekulationen.

Wenn Sie glauben, die Polizei habe uns mit einem Durchsuchungsbeschluss und ausgeklügelten Ermittlungsmethoden im Gepäck heimgesucht, liegen Sie falsch. Ein Blatt Recyclingpapier in einem offiziell aussehenden Briefumschlag lud meine Mutter vor. Die Frau war längst von ihrer eigenen Melodramatik geschluckt worden und trug die unförmige schwarze Trauerkleidung einer Verlassenen. Einzig die eleganten hochhackigen Schuhe verblieben als Reminiszenz an ihre ungebrochene Weiblichkeit. Beim Anblick der Vorladung brach sie erneut in Tränen aus und zerknüllte dekorativ ein besticktes Taschentuch. Ich musste ihr mit eindringlichen Worten klarmachen, dass sie nüchtern und konzentriert zu erscheinen und ihre Aussage zu machen hatte. Fest an mich geklammert fuhren wir die drei Haltestellen mit dem Bus. Das maskenhaft aufgespachtelte Make-up verschmierte meinen Jackenärmel. Ich sah großzügig darüber hinweg.

Die Einvernahme dauerte fast zwei Stunden und brachte mich an den Rand einer Cappuccino-Vergiftung. Als meine Mutter wieder erschien, war sie ein anderer Mensch. Traurig zwar, aber nicht mehr verzweifelt. Bert hatte sie nicht verlassen. Sie war nicht für irgendein Flittchen weggeworfen worden wie ein abgelegtes Kleidungsstück. Bert hatte sich für sein Fernbleiben das denkbar beste Alibi verschafft. Er war ermordet worden. Das Andenken an ihn würde in verklärte Höhen steigen. Ich war der Ausbund an Betroffenheit. Bert hatte mir schließlich den Weg zurück in die bürgerliche Existenz gewiesen, bevor ich ihm den Weg gewiesen hatte. Ich wusste, dass Gott seiner armen Seele nicht gnädig sein würde. Deshalb versuchte ich es gar nicht erst, diese fromme Floskel auf ihn zu verschwenden. Ich ließ meiner Mutter alle Zeit der Welt. Sollte sie doch durch die Trauer den Weg zurück ins Leben finden. Sie hatte erst am übernächsten Tag wieder einen Freier.

Können Sie sich einen Pragmatiker wie mich bei Früchtetee und Plätzchen vorstellen? Genauso sah unser vertrautes Familienidyll aus. Ich schwöre es. Meine Mutter warf eine ganze Menge durcheinander und ich musste mehr Geduld zeigen, als mir üblicherweise zur Verfügung steht. Die wesentlichen Eckpunkte ihrer verworrenen Schilderung der Vernehmung stimmten mich hoffnungsfroh. Mit ihrer authentischen Art hatte sie mir en passant ein felsenfestes Alibi gezimmert. Sie hatte Stein auf Bein geschworen, dass ich am fraglichen Abend schmollend in meinem Zimmer saß und überlagerte diese Schilderung mit der bereitwilligen Aussage eines ihrer Lieblingsmasochisten, der als putzwütiger Junggeselle nichts Ehrenrühriges darin sah, die Angaben seiner Herrin zu bestätigen.

Noch interessanter war die Information, dass Bert sich offenbar in Kreisen bewegt hatte, die die perfektesten fünfzig Euro Blüten hergestellt hatten, die je Bulgarien verließen. Die Observationen waren in vollem Gange gewesen und das tragische Ende des vielseitig begabten Fitnesstrainers schien einige Anstrengungen der Ermittler zunichtegemacht zu haben. Meine Mutter hatte keinen Kopf für derart überflüssigen Kram. Sie gelobte rasch und glaubwürdig, nie etwas von Falschgeld gehört oder gesehen zu haben. Mir ging es da anders. Ich hatte eine gewisse Ahnung, wo die heiße Ware geblieben sein könnte und beglückwünschte mich zu der Geistesgegenwart, einige Scheine im Auto zurückgelassen zu haben. Man könne ziemlich sicher sein, dass das Geld zusammen mit Bert verbrannt sei, erklärte der Beamte meiner Mutter. Die Blüten seien so gut, dass sie nur von Experten von echtem Geld zu unterscheiden wären. Jetzt fange man noch einmal von vorne an.

Meine Mutter erzählte die Episode nicht etwa als zusammenhängenden Gedankengang am Stück, sondern unterbrochen von abgrundtiefen Seufzern und der Besorgnis, man habe weder Kaffee noch Kondome im Haus. Belästigt von klebrigem Tee und zuckrigem Gebäck, presste ich die für mich wichtigen Informationen durch stetiges Nachfragen aus ihr heraus, während sie über den verblichenen Bert plapperte, als sei er das Geschenk Gottes an die Frauen und deren erwachsene Söhne gewesen. Der nette Beamte habe ihr sogar Tee mit Kandiszucker angeboten und bekannt, dass er von ihrem ausgezeichneten Freundschaftsservice für gute Freunde gehört habe. Dabei habe er mit den Augen gezwinkert und gelächelt. Ich brauchte gar nicht erst zu fragen. Der Mann hatte einen Vollbart. Meine Mutter stand entweder auf südländisch wirkende schlampige Machotypen oder auf hagere Bartträger, die selbst im Bett eine korrekte Haltung einnehmen. Wie diese Bandbreite an Vorlieben zu erklären war – ich hatte keine Ahnung. Nur eines wusste ich genau. Je flexibler der Männergeschmack meiner Mutter, desto sprudelnder die Einnahmequelle. Ich würde zukünftig mehr Vorsicht walten lassen müssen, damit sie sich nicht noch in andere ihrer Galane verliebte. Sich regelmäßig dieser Verehrer entledigen zu müssen, wäre auf Dauer zu anstrengend und zu zeitaufwendig.

Es mag Sie überraschen, aber eine der ersten Maßnahmen, die ich traf, war, dass ich mich auf einer ambitionierten Abendschule anmeldete, um mein Abitur nachzumachen. Ich war volljährig, konnte den immensen Wert von Bildung sehr gut einschätzen und war der Hüter über einen Falschgeldschatz, der nur darauf wartete, von einem gebildeten jungen Herrn zum Einsatz gebracht zu werden. Außerdem hatte ich bei Besuchen von Spielhallen und Kasinos eine schöne Summe falscher Fünfziger unter die Leute gebracht, die nie beanstandet worden waren. Ehrlich gesagt war es mir trotz intensiven Studiums der Sicherheitsmerkmale der Scheine nicht gelungen, sie als Fälschungen zu identifizieren. Unter ultraviolettem Licht offenbarten sie Wasserzeichen und bunte Einsprengsel ebenso perfekt wie den Sicherheitsfaden mit dem aufgedruckten Wert des Scheins.

Letztlich war es mir einerlei, denn auf diese Art konnte ich sicher sein, dass auch andere Durchschnittsbürger dem schönen Schein nicht misstrauen würden. Zwischenzeitlich hatte ich meine Sozialstunden vollständig abgeleistet und den Führerschein gemacht. Meine heimliche Liebe gehörte allerdings den krachenden und ruckenden Gelenkbussen der städtischen Verkehrsbetriebe, die die Stadt mit einem dichten Netz an Servicelinien überzogen. Besonders angetan hatte es mir die Linie fünf, die von den mit Stacheldraht umzäunten Kasernen bis zum Bahnhof quer durch die Stadt fuhr. In dem Bus, der auf seinen Flanken ein uneingeschränktes Werbebekenntnis zu einer bestimmten Matratze abgab, stieg an der Haltestelle, die auch ich nahm, eine junge Frau zu, die es sich zur Aufgabe gemacht hatte, mich mit ihrem Lächeln zu verzaubern.

Sie haben mich natürlich durchschaut. Eine solche Schmonzette würde sich in meinem Leben niemals ereignen. Weder war das Mädchen mit den Zöpfen eine niedere Dienstmagd, die in Wirklichkeit von einem bösen König ausgesetzt und von armen Leuten großgezogen worden war, noch war ich ein tugendhafter Prinz, der sich auf dem Weg in die Schlacht in die unbekannte Schöne unsterblich verliebte und diese nach etlichen voraussehbaren Intrigen und Verwicklungen ehelichte, worauf sie glücklich waren bis an ihr Lebensende.

Nun ja, selbstverständlich war es nicht so. Ein bisschen allerdings ähnelte unsere erste Begegnung dem typischen Märchenschema. Zunächst – das Mädchen hatte tatsächlich Zöpfe. Es waren richtig schwere Flechtzöpfe, die von einer Unzahl Spangen und Bändern in Form gehalten wurden. Das Mädchen war auch ärmlich gekleidet. Ihre Strickjacke schien schon vor langer Zeit von Hand gestrickt worden zu sein und bewegte sich in Erhaltungszustand und Design außerhalb jeglicher Bewertungskriterien. Die Ballerinas an den Füßen drohten, sich in dem Schneematsch aufzulösen. Die Arme musste völlig blau gefroren sein. Sie hatte ein liebreizendes Gesicht mit Grübchen in den Wangen und riesigen dunklen Augen unter dunklen Haaren. Jawohl, ich scheue mich nicht die Vokabel „liebreizend“ zu gebrauchen. Man sollte ruhig altmodisch sein, wenn es angebracht ist. Hier war es angebracht.

Mit war nicht entgangen, dass sie ansonsten eher untersetzt und stabil gebaut war, und wenn ich die Gelegenheit gehabt hätte, ihre Mutter zu begutachten, wäre ich sicher zu dem Ergebnis gekommen, dass junge Frauen wie sie bis zum Alter von Ende zwanzig zu grazilen Schönheiten erblühten, dann eine kurze Üppigkeitsphase hinter sich brachten, die mit dem Gebären von Kindern und der Ausprägung eines Doppelkinns in Zusammenhang stand und im Alter von gerade einmal Anfang dreißig rasch verwelkten und zu unansehnlichen Muttertieren mit Hängebrüsten und kapitalen Bäuchen verkamen. Die einzige Kompensation für diese unausweichliche Mutation war, dass die Frauen in diesem Stadium kochen konnten und den Haushalt so rigoros an sich rissen, dass die Männer ihr Heil im Müßiggang suchten.

Ich hingegen würde für lange Zeit der begehrte Prinz bleiben und dann zu einem Hagestolz an Aristokraten reifen, der sich vom Alter den aufrechten Gang nicht nehmen ließ. Der rotznäsige kleine Junge mit dem blassen Gesicht an der Hand des Mädchens holte mich in die Wirklichkeit zurück. Zögerlich hob er das Pappschild an, das er an den Kanten festhielt, als sei es sein kostbarster Besitz. „Wir haben Hunger“ stand darauf. Noch ehe ich reagieren konnte, drückte das Mädchen das Schild hastig herunter. Der Kleine fror. Er war nicht viel älter als fünf Jahre. Ein feister Mensch, der auf seinem Kugelkopf einen Jägerhut von der Sorte trug, von der man meinte, sie existiere nicht wirklich in freier Wildbahn, sondern sei eine Erfindung der Medien, um die Biedermänner von den Normalos unterscheiden zu können, giftete etwas von Ausländerpack und Hungerleidern, die man in diesem Land auf Kosten der arbeitenden Bevölkerung beherberge. Das Mädchen duckte sich zur Seite, als seien die Worte böse Flüche, die verletzen und entstellen konnten, wenn sie trafen.

Zivilcourage ist nicht die Sache von Businsassen. Businsassen schauen bei Beleidigungen und tätlichen Angriffen gerne zur Seite, auch wenn es dort gar nichts zu sehen gibt. Sie stehen in der Hierarchie unter den Autofahrern und haben das Duckmäusertum im Blut. Sie denken ökologisch und gehören den unteren bis mittleren Einkommensstufen an. Businsassen halten sich aus Streitigkeiten heraus und hoffen, dass jemand anders eingreift. Alle starren auf den Busfahrer und der starrt auf die Straße. Er erbringt eine Beförderungsleistung und hat sich für einen Hungerlohn die letzten zwanzig Jahre im Dienste der Kommune einen Quadratarsch in unansehnlich grauen Stoffhosen ersessen und seine Speckfalten in einen formlosen blauen Pullunder ergossen. Alles, was er zu sagen hat, steht auf den großzügig verteilten Klebeschildern. „Busfahrer während der Fahrt nicht ansprechen“ ist sein erklärtes Lieblingsschild.

Mit Sitzbänken im Bus ist es wie mit öffentlichen Toiletten. Man konnte nie wissen, wer auf dem Nachbarsitz saß. In Toiletten wird das von den meisten Leuten berücksichtigt und man findet selten jemanden, der ungehemmt furzt und singt, nur weil das der Stil seiner Verrichtung ist. Sie wissen doch selbst wie das ist. Man gibt allerhöchstens schleichende, unterdrückte Geräusche von sich, die wie ein Kolibri davon flattern oder sich anhören, als sei man auf ein kleines Tier getreten. Bei der geringsten Befürchtung man könne die Darmtrompete entfesseln, greift man zu ausgefeilten Ablenkungsmanövern, wie dem Geklapper mit einem Schlüsselbund oder einem geräuschvollen Schneuzen, das die peinlichen Untertöne überlagert.

Der Ballonkopf vor mir verstieß vorsätzlich gegen die Konvention, in öffentlichen Verkehrsmitteln nur halblaute Gespräche zu führen, die den Intimradius nicht verließen. Korrekt ausgedrückt führte er kein Gespräch, weil es ihm an einem Dialogpartner mangelte. Er räsonierte, und das mittlerweile ohne Unterlass und in einer Lautstärke, die den gesamten Bus beschallte. Er wollte gehört werden und das betretene Schweigen der anderen bestärkte ihn. Mein Motto war, dass der, der in den Wald ruft, auch das Echo vertragen muss.

Ich lächelte verbindlich, als ich ihm mit spitzen Fingern den Jägerhut vom Kopf nahm. Zwischen dichten grauen Stoppeln schimmerte die Kopfhaut rosig wie die eines Babys. Der Mann hatte in letzter Zeit nicht viel Sonne abbekommen. Mit schlabberigen Hängewangen schaute er zu mir auf und streckte instinktiv die Hände nach dem Hut aus. Als ich die Literflasche Fanta über seinen Schädel goss, reagierte er zunächst nicht. Ich liebe Fanta wegen seines künstlichen Sonnengeschmacks und würde sie niemals weggießen, aber man muss in besonderen Situationen Opfer bringen. Dies war eine besondere Situation.

Ich goss langsam und mit Bedacht. Das Gluckern und Zischen des Getränks ging einher mit einem sanft aufsteigenden Orangenaroma, das in den hinteren Sitzreihen die Oberhand über die Abgasdünste gewann. Gibt es einen friedlicheren Weg, einen rassistischen Monolog zu beenden? Ich glaube nicht. Man konnte nur Vermutungen anstellen, ob es die zuckrige Brause war, die den Lodenmantel des Ballonkopfes und alles, was er darunter trug, in einer süßen Umarmung ertränkte oder meine freundlich, zurückhaltende Art, mit der ich mein Anliegen ohne Worte vortrug; jedenfalls versiegte der Redestrom unseres aufrechten Bürgers und machte einer Schreckstarre Platz, die nicht weichen wollte, als die Flasche leer und wieder verschraubt war. Es war eine Pfandflasche und ich hatte nichts zu verschenken.

Fast noch unbeweglicher als der eingeweichte Ballonkopf kauerten die von ihm aufs Korn Genommenen neben dem hinteren Ausstieg. Die Augen des schmächtigen Jungen klebten an mir wie Leim und die Zopfträgerin schaute besorgt durch die Reihen, als erwarte sie einen kollektiven Angriff. Natürlich geschah nichts dergleichen. Die Passagiere folgten dem bewährten Muster und starrten demonstrativ auf ihre Schuhspitzen oder in ihre Lektüre. Nichts regte sich außer dem Orangenaroma, das sich auf den Weg durch den Röhrenkörper des Busses gemacht hatte. Ich setzte dem Geduschten den Jägerhut auf den klebrigen Schädel und steckte dem Jungen fünfzig Euro zu. Beide schraken aus unterschiedlichen Gründen zurück. Das Gesicht des Mädchens hatte eine tiefrote Färbung angenommen. Der Bus bog in die Haltebucht am Bahnhof ein. Der Schneematsch unter den Reifen machte unanständige Geräusche. Beim Aussteigen kamen wir uns sehr nahe, aber nicht nahe genug, um miteinander zu sprechen.

Ich musste noch einmal zurück. Der Ballonkopf hob abwehrend die Hände. Mein schwarzer Aktenkoffer lag noch auf dem Sitz und wartete. Er war mit meiner Messersammlung, dem Pfefferspray und dem Taser fast ein wenig überladen. Hätten mein Aktenkoffer und ich schlechtere Laune gehabt, wäre die Episode für den Lodenmanteltypen nicht so glimpflich ausgegangen.

So aber konzentrierten wir uns auf das, was vor uns lag.

VI.

Leugnen Sie nicht, dass Sie mir in Gedanken den Bruch meiner Vorsätze und den Verrat an den Interessen von Susi, der Krautsalatkünstlerin, vorgeworfen haben. Warum, denken Sie, bin ich mit dem Bus zum Bahnhof unterwegs? Ein aufstrebender Geschäftsmann wie ich hatte wahrlich andere Dinge zu tun, als in einer tristen Kleinstadt im Winter Busfahrten zu unternehmen. Eine Kreuzfahrt läge da schon näher. Meine platonische, aber ungebrochen intensive Zuneigung zu Susi war der Grund für diese Ausflüge. Ich breche niemals meine Versprechen, auch wenn ich sie nur mir selbst gegenüber abgegeben habe und kein anderer davon weiß. Das ist ein eherner Grundsatz.

Ich war nicht nur ein Altruist, sondern auch ein Determinist. Aber das wissen Sie ja schon. Determinismus ist Entschlossenheit und Vorbestimmung. Ich ging meinen Weg und fühlte, dass es der richtige war. Er gab mir Halt und Richtung und wenn andere wie Susi davon profitieren konnten – umso besser. Was ich damit sagen will: Ich war kein Robin Hood, kein uneigennütziger Wohltäter und keiner der selbstlosen Superhelden, die anonym und missverstanden in ihren Superheldenkostümen vegetierten, bis ein Bösewicht sie erneut auf den Plan rief. Nein, so war ich wahrlich nicht. Was ich tat, machte ganz einfach Spaß und ich wüsste nicht, was dagegen spräche, auch noch einen ungewöhnlichen Broterwerb damit zu verknüpfen.

Determinismus hat als Quersumme der Buchstabenwerte die „Sieben“. Ich hoffe, es klingelt bei Ihnen. Selbstverständlich ist das kein Zufall. Die Sieben steht in der unbestechlichen Überlieferung der neun Schlüssel für „Sieg“. Sie erinnern sich: Altruist ergab die Zwei und damit den Verweis auf die absolute Weisheit. Es ist selbst für einen nicht Eingeweihten nur ein kleiner Schritt zu dechiffrieren, dass angewandte absolute Weisheit zu nichts anderem führen kann als zum Sieg. Und auf diesem Weg war ich. Die Schicksalsgötter hatten diese Bestimmung für mich ausersehen. Sie handelten ganz ohne mein Zutun.

Das Wenige, das ich beitragen konnte, lag zu zwei Dritteln hinter mir. Ich hatte mehr als genug Zeit damit verbracht, den untreuen Ehemann von Susi zu beschatten und Beweise zu sammeln. Er war Metzger und tat die meiste Zeit des Tages das, was Metzger tun. Der Schlachthof ist ein Ort, dem nur Spezialisten etwas abgewinnen können. Alles dreht sich um Fleisch und seine Verarbeitung. Das Töten hilfloser Kreaturen hat mich schon immer abgestoßen und so war es kein Wunder, dass ich dem rohen Gewerbe auf Fernglassicht entfloh, bis ich mir einreden konnte, die niedrigen Gebäude mit dem verwahrlost wirkenden Innenhof dienten einem ganz gewöhnlichen Industrieunternehmen.

Die meiste Zeit verrichtete der Metzger seine Arbeit wie ein Uhrwerk. Er trug die Gummistiefel und die Plastikschürze, als seien sie mit ihm verwachsen. In den Zigarettenpausen trat er auf die Lieferrampe und machte sich noch nicht einmal die Mühe, den weißen Kopfschutz und den Kettenhandschuh auszuziehen, der ihn vor Schnitten schützen sollte. Er wirkte griesgrämig und verschlossen. Wahrscheinlich wurde man so, wenn man sein Leben zwischen frisch geschlachteten Tierkadavern verbrachte, die blutend und leblos an Haken hingen. Es reichte, dass ich mir den Fettgeruch vorstellte, um zu würgen. Über meine Vorstellungskraft hinaus ging es, wie ein solches Wesen für jemand anderen eine derartige Faszination ausüben konnte, dass man es begehrenswert und unwiderstehlich fand. Und dennoch schien die Beweislage eindeutig. Susi hatte tränenreich von eindeutigen E-Mails gesprochen, die mehrfach die Fingerfertigkeit des Metzgers beim Sex rühmten.

Die Treffen fanden in einem abgetakelten Schuppen in der Nähe des Bahnhofs statt. Es ist nicht wirklich einfallsreich, sich zu einem Stelldichein im Rotlichtbezirk zu verabreden, aber was sollte ich machen. Das „Palais d’Amour“ sah nicht danach aus, als ob sich die anonymen Sexsüchtigen zu Therapiestunden trafen. Mit knallroten Herzchen und Laternen geschmückt prostituierte sich das ehemals brave Mehrfamilienhaus zunächst als Bordell mit Anspruch, danach als Puff für abgetakelte Fregatten und ihre Low Budget Kundschaft und schließlich als Stundenhotel, das versiffte Zimmer und von schwitzenden Leibern durchgewalkte Matratzen als „Ruheräume von höchstem Komfort“ anpries.

Der Besitzer war Portier, Koch und Zimmerpersonal in einer Person. Er gehörte zu der gelassenen Sorte Männer unbestimmten Alters, die die Hosen bis unter die Brust zogen und schon alles gesehen hatten. Wie das Haus, das er verwaltete, leistete er sich keine Eitelkeiten. Ihn kümmerte es nicht, dass immer ein ansehnlicher Trupp Schuppen aus seinen strähnigen Haaren auf die Kragen seiner Billighemden rieselte und er verband keinen Imageverlust damit, dass er weiße Socken zu altmodisch geflochtenen Sandalen trug. Er war über dieses Stadium hinaus. Er war ein müde und phlegmatisch wirkender Mensch mit Raubvogelgesicht und hellen Augen, die trotz deutlicher Anzeichen der Resignation noch scharf zu blicken vermochten. Männern wie ihm stand als Alternativberuf der des Philosophen zur Verfügung. Und wer weiß, vielleicht war er einer.

Ganz und gar andersgeartet waren die Besucher des Etablissements. Während meiner Beobachtungen hätte ich soziologische Studien anstellen können. Gemessen an der Artenvielfalt der Typen wären manche auch als zoologische Studienobjekte geeignet gewesen. Der Männeranteil überwog den der Frauen eindeutig. Szenen von Gruppensexorgien und sonstigen Ausschweifungen, bei denen die Männerpositionen doppelt besetzt sein müssen, um den dreifachen Spaß zu garantieren, gingen mir durch den Kopf. Im Grunde war ich froh, dass die Fantasien eher rational gesteuert zu sein schienen, denn sie lösten kein unerfülltes Verlangen aus, sondern einen dumpfen Kopfschmerz.

Mein Metzger kam dienstags. Damit meine ich jeden Dienstag. Dienstag war sein Fremdficktag. Andere kegeln, er hatte sich für die befriedigendere Lösung entschieden. Ich kann verstehen, dass sich Susi über die generalstabsmäßig ausgeführten Seitensprünge empörte. Keine der Frauen, die das „Palais d’Amour“ an Dienstagen frequentierten, konnten Susi das Wasser reichen. Soweit ich es erkennen konnte, handelte es sich durch die Bank um abgetakelte Flittchen, die auf hohen Hacken herumstaksten oder um ausgezehrte Drogenfreaks, denen die Todessehnsucht in die Haut gebeizt war. Mein Metzger ließ sich durch solche Kleinigkeiten nicht beeindrucken und schlurfte mit seiner prall gefüllten Leinentasche in die Kaschemme, um spät nachts in gleicher Manier und unverändert erscheinendem Gemütszustand wieder aufzutauchen. Er nahm immer das Zimmer 23 im zweiten Stock, direkt neben der Fluchttreppe. Ich hatte diskrete Erkundigungen eingezogen. Wenn Sie jemals in die Verlegenheit kommen, ein Stundenhotel zu buchen, denken Sie bitte daran, dass es um den Datenschutz fürchterlich bestellt ist.

Um den Bogen zurückzuschlagen, waren meine Observationen der Grund für den Inhalt meines Aktenkoffers. Präzise ausgedrückt handelte es sich noch nicht einmal um einen Aktenkoffer, obwohl er stark danach aussah. Eigentlich war das gute Stück ein Besteckkoffer für ein ekelerregend protziges Goldbesteck mit Prägung, das meine Mutter in einem Anfall völliger Geschmacksverirrung von einem fliegenden Händler erstand. Bis heute weiß ich nicht, was diese Kollektion ausgesuchter Hässlichkeit gekostet hatte. Was ich ganz sicher weiß, ist, dass die Löffel derart ausladend geformt waren, dass man sie nicht ansatzweise im Mund unterbringen konnte und sich der Verdacht aufdrängte, es handele sich um verkappte Geburtszangen.

So sehr ich das Besteck verachtete, so sehr hatte es mir der Koffer angetan. Er war ein kleines Schmuckstück mit einem Antlitz aus Krokoimitat und schwungvoll geformten Messingbeschlägen, die dem Erscheinungsbild den letzten Pfiff gaben. Wenn er sein Maul aufriss, tat er es mit einem samtrot ausgeschlagenen Schlund, der mit Besteckfächern bestückt war, die den vorgesehenen Inhalt passgenau aufnahmen. Die Fächer konnte ich für meine Zwecke nicht brauchen, denn ich benötigte einen angemessenen Aufbewahrungsort für meine Messersammlung und weitere Kleinigkeiten.

Wenn, wie in meinem Fall, ein feines Messer Schicksal spielt und man von einem Hodenquetscher in eine längere Rekonvaleszenzphase geschickt wird, wo Zeit und Schmerz im Überfluss zu haben sind, entwickelt man auch zu leblosen Gegenständen eine starke Bindung. Die Damaszener Klinge war mir förmlich aufgedrängt worden und erschien mir anfangs wie ein Schreckgespenst, mit dem ich möglichst nie mehr in Berührung kommen wollte. Sie war Albtraummaterial und selbst in Sachen Bert hatte ich komplizierte Umwege gewählt, anstatt über eine simple Messerlösung nachzudenken.

Sie wissen es selbst – der Mensch ändert sich. Zeit überwindet alles, auch Abneigungen. Genau wie Sie hatte ich in der populärwissenschaftlichen Literatur über Ängste und Verdrängungsmechanismen gelesen. Die Thesen der Konfrontationstheorie erschienen mir einleuchtend und gaben den Ausschlag, mich mit Messern zu beschäftigen. Sie glauben gar nicht, wie befreiend es ist, wenn man sein persönliches Tabuobjekt zum ersten Mal in den Händen hält und mit dem Daumen die Schärfe der Klinge prüft.

Ich war so vorgegangen, wie Sie es von mir erwarten – generalstabsmäßig. Im Internet hatte ich Schneidwaren aus aller Welt identifiziert, ihre Machart und Verwendungsweise studiert und mich ihren blanken, seelenlosen Blicken und ihren Raubtiergebissen ausgeliefert. Sie erschienen niemals harmlos oder sogar dekorativ, wie Pistolen mit ihren plumpen, verkleideten Körpern, die sich gerne einen spielzeugartigen Anstrich geben, bis die Kugel das Leben ausgelöscht, das bis zuletzt die Hoffnung hatte zu entkommen. Ich stimme in keinem Fall mit der häufig zu lesenden Charakterisierung überein, dass Handfeuerwaffen Furcht und Schrecken verbreiten, wo immer sie sich zeigen. Ganz im Gegenteil. In Katalogen und auf Messen ziehen sie bewundernde Blicke auf sich. Es sind stille und schwerfällige, manchmal auch dekorative Gesellen, die Macht verkörpern und zum willfährigen Werkzeug ihres Besitzers werden.

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