Kitabı oku: «Mord aus kühlem Grund», sayfa 7

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9. Kapitel

Lucy war so in den ellenlangen Artikel über Theo Kronberger vertieft, dass sie den Mann mit dem Schnauzer erst bemerkte, als er sich mit beiden Ellenbogen auf ihren Tresen lehnte. Mit der Rechten hielt er ihr einen Presseausweis vor die Nase.

»Tachchen, Reisser, Mindelheimer Zeitung, ich bin der Erste, will ich hoffen«, sagte er und ließ einen Raucherhusten vom schwersten Kaliber hören. Lucy lehnte sich zurück, verschränkte ihre massigen Arme vor ihrer massigen Oberweite und runzelte die Stirn. Dieser Mensch war ihr auf Anhieb so unsympathisch wie kalte Pommes.

»Nee, Meister, außer Ihnen waren schon alle da«, war ihre prompte Antwort. Einen Moment lang stutzte er, dann verzog er den Mund zu einem gelbzahnigen Lächeln.

»Nicht mit mir, hübsche Frau. Ich bin es gewohnt, der Erste zu sein.« Er senkte seine Reibeisenstimme etwas. »Und wenn ich der Einzige bleibe, soll mir das schon was wert sein. Sagen Sie den Kollegen von der Konkurrenz einfach, Sie wüssten von nichts.« Er ging noch etwas tiefer mit seiner Stimme. »Und mir flüstern Sie einfach alles ins Ohr, wie wär’s?«

»Allein bei dieser Vorstellung rollen sich meine Fußnägel auf und ich wäre Ihnen sehr verbunden, wenn Sie Ihr Nikotin nicht in meine Richtung ausatmen. Vielleicht verzichten Sie überhaupt aufs Ausatmen, wie wäre das?« Er stieß einen heiseren Lacher aus, gefolgt von einem ausführlichen Hustenanfall. Lucy stieß nach. »Außerdem wäre es mir sehr lieb, wenn Sie unsere Putzfrau von Ihren unappetitlichen Hinterlassenschaften verschonen würden.« Er nahm die Ellenbogen vom Tresen, richtete sich auf und packte sein Grinsen ein.

»Hoppla, hübsche Frau, in so einem prachtvollen Körper hätte ich aber etwas mehr Humor erwartet.« Jetzt riss Lucy der Geduldsfaden.

»Packen Sie Ihr Testosteron mal wieder in den Kühlschrank. Sie werden es im Alter brauchen.« Das brachte ihn für einen Moment aus dem Konzept. Er räusperte sich.

»Schon gut, schon gut, lassen wir die Hormone mal aus dem Spiel. Die werden sowieso überschätzt. Ich will mit Ihrem Chef reden.«

»Warum?«

»Sagen wir mal: Massives öffentliches Interesse.«

»Er ist nicht da.«

»Glaub ich nicht. Und jetzt reicht es mit dem Geplänkel, Teuerste. Heute Vormittag gab’s eine Panik in der Therme, ausgelöst von einem mutmaßlichen Terroranschlag und das in Bad Wörishofen. Und Sie wollen mir weismachen, der zuständige Polizeichef sei nicht zu sprechen? Polizei hilflos, ratlos, sprachlos – was ist los mit Alois Klopfer? Ist er als Chef der hiesigen Polizei noch der Richtige? Wie gefallen ihm wohl diese Schlagzeilen?« Lucy reckte ihre drei Doppelkinne.

»Er wird sie nicht lesen.«

»Aber die Mehrheit der Bevölkerung wird sie lesen, sie wird sie geradezu verschlingen. Und ganz bestimmt wird sie der Chef von Herrn Klopfer lesen. Der Polizeipräsident ist sehr auf die Außenwirkung seines Vereins bedacht. Ganz zu schweigen davon, wie wohl die Reaktion von Herrn Kronberger ausfallen dürfte.« Er hatte sich in eine ordentliche Betriebstemperatur geredet. Lucy schaute ihm unbeeindruckt in die zusammengekniffenen Augen. Dann öffnete sie beiläufig ihre Schublade.

»Sie können ja plötzlich ganz manierlich formulieren. Lauter gerade Sätze. Wer hätte das gedacht«, sagte sie gelassen und griff nach einem Schokoriegel. »Hier! Das hat Sie doch sicher Energie gekostet. Beißen Sie da mal rein. Vermutlich können wir uns danach fast wie Erwachsene unterhalten.« Zum ersten Mal seit langer Zeit war Egon Reisser sprachlos.

Zweifel legte die Serviette, die mit physikalischen Formeln bedruckt war wie ein vollgekritzelter Spickzettel, neben seinen leeren Teller und atmete tief durch.

»Die Quantität wurde tatsächlich von der Qualität übertroffen. Langsam mach ich mir Sorgen, was die Preise in diesem Lokaltheater angeht.«

»Ist doch ein Arbeitsessen, Chef.«

»Richtig. Arbeit. Wie lautete jetzt Schillings Ausrede?« Melzick leckte ein letztes Mal ihren Löffel ab.

»Er hat keine. Außer Kronberger.«

»Wie darf ich das verstehen?«

»Der hat ’ne Allergie gegen jede Form staatlicher Einmischung und hat damit Schilling erfolgreich angesteckt. ›Die Polizei will ich nicht in meinem Haus sehen. Wir brauchen sie nicht.‹ So lautet Kronbergers Dogma, das Schilling wortgetreu befolgt und zwar aus eigener Überzeugung.«

»Aha. Offensichtlich reicht die Phantasie dieser beiden Herren nur bis zum Beckenrand.«

»Na ja – ein Beinahe-Terroranschlag und ein Ertränkter in der Sauna – Sie müssen zugeben, sowas denkt sich doch höchstens ein gelangweilter Schriftsteller aus.«

»Ich gebe gar nichts zu. Jedenfalls wächst meine Vorfreude auf das Gespräch mit diesem Herrn Kronberger stündlich.«

»Hat Penny sich zwischenzeitlich mit Ihnen in Verbindung gesetzt?«

»Ach ja – auf die ist Verlass. Sie hat jede Menge Fingerabdrücke sichergestellt. Sie wissen ja, was ich davon halte. Außerdem hat sie ein paar Grashalme, zwei winzige Kieselsteine und einen noch winzigeren, dunkelgrünen Metallsplitter in der Stollensauna gefunden. Das passt zu dem, was unsere Leute auf dem Gelände entdeckt haben.«

»Und das wäre?«

»Am westlichen Rand des Geländes, auf der Rückseite der Blockhäuser mit den finnischen Außensaunen, wurde der dunkelgrüne Drahtzaun fein säuberlich aufgeschnitten. Fußspuren konnten zwar nicht identifiziert werden. Trotzdem war klar zu erkennen, dass sich dort jemand Zutritt verschafft hat. Ich hab mir die Stelle kurz angeschaut. Mucki hat dort ganz in der Nähe ein verdächtiges Fahrzeug gesehen.«

»Wer ist denn Mucki und was für ein Fahrzeug?«

»Nepomuk Steiner, Baggerfahrer. Hat nicht weit von dem Loch im Zaun eine Art Lieferwagen stehen sehen. Da führt nur ein Feldweg hin, der für den öffentlichen Verkehr gesperrt ist. Er hat beobachtet, wie zwei Männer, angezogen wie Sanitäter, eine Tragbahre ausgeladen haben, mit einer Person darauf.«

Melzick überlegte kurz.

»Taxi für einen Toten, würde ich mal behaupten. Und die zwei haben die bleiche Leiche dann einfach so in der Sauna deponiert, oder wie?«

»Fischli hat mir einen Seiteneingang gezeigt, der angeblich immer verschlossen ist. Der war heute allerdings offen für alles.«

»Hat Mucki gesehen, wie sie ihn reingetragen haben?«

»Das nicht. Die Arbeit rief und lenkte ihn ab.«

»Trotzdem deutet wohl alles darauf hin, dass Kronbergers Sohn auf die Art heimlich in der Sauna gelandet ist.«

»Tja, das ist eben das Merkwürdige, Melzick. Wie heimlich war das denn bitte? Am helllichten Tag im offenen Gelände mit vielen potentiellen Zuschauern?«

»Hat denn irgendeiner von denen was gesehen?«

»Eben nicht. Zumindest haben wir bisher keinen gefunden. Die Panik hat alle abgelenkt.«

»Sorry, das will mir nicht in den Kopf.«

»Vielleicht gibt es ja jemanden, der was beobachtet, aber dem Ganzen keine große Bedeutung beigemessen hat. Ein Haufen Badegäste ist uns ja durch die Lappen gegangen. Die kommen doch von überall her.« Zweifel kratzte sich am Kopf. »Ein Aufruf in der Presse wird da wenig bringen.«

»Und was ist mit denen, die die Kollegen befragt haben?«

»Das waren zumeist Leute, die ganz nah am Geschehen dran waren. Die waren so mit sich selbst beschäftigt, von denen hat keiner was bemerkt.«

»Wenn ich etwas bemerken dürfte«, sagte völlig unerwartet Maitre Max, der sich an den Tisch herangeschlichen haben musste. Beide schauten auf, als hätte er sie bei etwas Verbotenem ertappt. »Ihr 17 Uhr-Termin. Sie können ihn noch einhalten.« Zweifel warf einen raschen Blick auf seine Uhr. Maitre Max räusperte sich ebenso energisch wie vornehm hinter vorgehaltener Hand. »Ihrer sofortigen Abreise steht nichts im Wege außer einem leichten finanziellen Ungleichgewicht.«

»Sie meinen ich soll bezahlen?« Maitre Max senkte die Augenlider.

»Wenn Sie dies in Erwägung ziehen wollen.«

»Dann schlage ich vor, Sie nennen mir eine Zahl«, sagte Zweifel und holte seine Brieftasche hervor. Maitre Max trat einen Schritt zurück.

»Sie beide durften bei uns eine neue Erfahrung machen. Das ist an sich unbezahlbar. Sie genießen sozusagen als Studienanfänger bei uns heute das einmalige Privileg, den Preis nach Gusto selbst festzulegen.« Damit zauberte er ein kleines schwarzes Tellerchen hinter seinem Rücken hervor und stellte es auf den Tisch. Zwei Toffees in dunkelbraun lagen darauf und schmolzen schicksalsergeben dahin. Max entfernte sich auf seine bekannte Art. Zweifel tauschte mit Melzick ratlose Blicke. Dann starrte er auf seine Serviette mit den Formeln.

»’ne echte Herausforderung, Chef«, meinte Melzick, »sowohl verhaltenstechnisch als auch finanztechnisch.« Zweifel nickte.

»Immerhin fühlte es sich äußerst originell an, in diesem Lokal meinen Hunger zu bekämpfen. Das verlangt ein angemessenes Honorar. Er legte zwei rote Scheine auf den Tisch. Wie aus dem Nichts tauchte der befrackte Max auf.

»Wie ich sehe, haben Sie darauf geachtet, dass Ihr Preis-Leistungs-Quotient kleiner eins ist. In diesem Fall dürfen Sie uns gerne wieder heimsuchen.«

Zweifel steckte seine Brieftasche weg.

»Auf meiner Liste der angenehmen Dinge, die nach einer Wiederholung rufen, stehen Sie ganz oben, Maitre. Sind übrigens Videokameras in Ihrem Theater erlaubt?« Max hob abwehrend beide Hände und bewegte seinen Kopf genau einmal von links nach rechts. »Ich werde demnächst meine Studien bei Ihnen fortsetzten. Die dunkle Materie, serviert in einem Schälchen, übt eine gewisse Anziehungskraft aus.«

»Somit hat sie ihren Zweck erfüllt«, erwiderte Max und nahm die Scheine an sich. Zweifel schnappte sich ein Toffee und deutete kauend mit dem Zeigefinger auf Melzick.

»Falls Sie bereit sind, sich weiterhin trotz Urlaubs in diesen Fall zu verbeißen,« er schob ihr das Tellerchen mit dem zweiten Toffee zu, »schlage ich vor, dass Sie sich für den Rest des Tages mit zwei Dingen beschäftigen.« Er legte eine kleine Karte auf den Tisch. »Das ist Lukas Freuns Studienausweis. Interviewen Sie den jungen Mann so ausführlich wie möglich. Zweitens: Ich hab Ihnen ja erzählt, was diese Frau Sontheimer beobachtet hat. Finden Sie heraus, welcher der Handwerksbetriebe der näheren Umgebung seine Mitarbeiter in bordeauxrote Overalls steckt. Und falls Ihnen das Spanisch vorkommt, halten Sie nach einem Franzosen Ausschau. Er ist verdächtig, die zwei Rauchgasgranaten in so einem Overall versteckt und in der Ladengalerie unter den Sitzbänken deponiert zu haben.«

»Soll ich ihn gleich verhaften?«, fragte Melzick und schnappte sich das zweite Toffee. Zweifel warf ihr einen spöttischen Blick zu. »Schon gut, Chef. Ich such ihn erstmal, dann sehen wir weiter.« Zweifel stand auf.

»Morgen um neun bin ich in der Therme. Wäre mir recht, wenn Sie mich da flankieren könnten.«

»Kronberger und Schilling, das wird nicht einfach werden, Chef, aber ich bin dabei.«

»Gut, dann werd’ ich jetzt mal Klopfer durch mein pünktliches Erscheinen verblüffen.«

Polizeichef Alois Klopfer brütete. Das konnte ein gutes Zeichen sein oder ein schlechtes. Lucy hatte in den sechs Jahren, die sie nun schon in seiner unmittelbaren Umgebung verbringen durfte, noch nicht herausgefunden, wie das Stimmungsbarometer des Chefs bei diesem Verhalten zu deuten war. Wie von ihm befohlen, hatte sie ihn in Rekordzeit mit umfangreichem Material zu Theo Kronberger versorgt. Das knappe Dutzend Seiten hatte ihm immerhin ein freundlich geknurrtes ›Danke‹ entlockt. Dennoch konnte sie nicht wissen, ob noch ein weiteres Gewitter in Klopfer rumorte, oder ob die Luft rein war. Und ausgerechnet in dieser fifty-fifty-Situation musste die Presse in Gestalt Reissers über sie kommen. Den hatte sie zwar mit ihrem überraschenden Schokoladenangriff für den Augenblick ruhiggestellt, aber deswegen noch lange nicht vom Hals. Nachdem sie dummerweise voreilig behauptet hatte, der Chef sei nicht da, verbot es sich von selbst, vor Reissers Augen zu seinem Büro zu gehen und zu fragen, ob er vielleicht doch da sei. Erschwerend kam hinzu, dass man nie wissen konnte, ob Klopfer gerade Lust hatte, mit der Presse zu reden oder nicht. Die Tagesform war ausschlaggebend. Immerhin könnte sie ihn ja auf seinem Handy anrufen, ohne das Gesicht zu verlieren. Sie griff nach ihrem Telefonhörer und überprüfte nebenbei unauffällig Ihren Schokoriegelvorrat. Reisser hatte ihr den Rücken zugekehrt und lehnte lässig an der Theke, während er die Kunstdrucke an der gegenüberliegenden Wand abfällig musterte. In seiner rechten Hand knisterte das leere Schokoriegelpapier. Mit einem abschließenden Schmatzen drehte er sich zu Lucy um, die gerade Klopfers Mobilfunknummer wählte und dabei hoffte, dass er den Vibrationsalarm eingestellt hatte. Reisser zeigte seine gelben Beißer.

»Sie haben nicht zufällig noch so ein Teil?«, fragte er sie und legte das zerknäulte, klebrige Papier auf den Tresen. Wortlos holte sie ihren eisernen Kalorienvorrat aus der Schublade und hielt ihn Reisser mit strengem Blick hin.

»Das ist mein Letzter. Bei Gelegenheit dürfen Sie meinen Vorrat gerne wieder auffüllen.«

»Sicher doch, ich werde ja heute nicht das letzte Mal hier sein, Gnädigste«, sagte er und riss gierig das Papier ab. Hinter der Bürotür Klopfers ertönte in diesem Augenblick unverkennbar Obladi Oblada von den Beatles. Lucy fluchte, aber nur innerlich. Klopfers Stimme war für Reissers Ohren laut genug. Er sah Lucy trotz vollem Mund mit spöttischem Grinsen an. Sie legte mit einem Seufzen auf.

»Wahrscheinlich hat er den unterirdischen Geheimgang benutzt«, sagte Reisser kauend und pulte mit dem Zeigefinger Karamellreste aus seinen Backenzähnen. »Oder er hat sich in sein Büro beamen lassen. Was das wieder den Steuerzahler kostet.«

»Schlucken Sie Ihre Bemerkungen und was Sie sonst noch im Mund haben erst mal runter und warten Sie hier!«, sagte sie im Befehlston und wuchtete sich aus ihrem Bürostuhl.

»Ich laufe nicht weg«, sagte er schmatzend, »aber ich geh auch nicht ans Telefon, wenn’s klingelt.« Sie verdrehte die Augen und klopfte an Klopfers Bürotür.

»Schön, dass Sie meine Zeitvorgaben neuerdings ernst nehmen«, sagte Klopfer. Zweifel setzte sich an den Besprechungstisch in dem geräumigen Büro seines Chefs. Es war Punkt 17 Uhr. Klopfer raffte ein paar Blätter zusammen und kam hinter seinem ausladenden Schreibtisch hervor. Auftritt Lucy mit einer Kanne Kaffee.

»Keine weiteren Störungen Lucy. Wenn noch so ein öffentlich Interessierter aufpoppt, wimmeln Sie ihn ab.«

»Mit welcher Begründung?«, fragte sie und stellte die Kanne neben die Tassen auf den Glastisch.

»Lassen Sie sich was einfallen. Oder schauen Sie in den Arbeitsanweisungen nach. Da steht doch für alle Fälle was drin.«

»Da bin ich aber mal gespannt«, murmelte sie in das oberste ihrer drei Kinne und schwebte aus dem Raum.

»War etwa die Presse schon da?«, fragte Zweifel und füllte die Tassen. Klopfer ließ sich ihm gegenüber nieder.

»Wundert Sie das? Es ist Sauregurkenzeit. Die kommen so sicher wie die Stechmücken.« Er nahm seine Tasse von Zweifel entgegen und schlürfte heftig.

»Welche Mücke war es denn?«, fragte Zweifel.

»Reisser, Mindelheimer Zeitung. Bin ihn nur mit äußerster Mühe losgeworden.« Zweifel wusste, was das bedeutete.

»Ich hoffe, Sie haben ihm nicht zu viel Honig versprochen, Chef, sonst haben Sie ihn morgen gleich wieder an der Backe.«

»Es ist meine Backe, Zweifel. Und nun lassen Sie mal hören, wo wir stehen.« Zweifel legte die bisherigen Zeugenaussagen und Ermittlungsergebnisse wie Puzzleteile auf den Tisch.

»Ein toter Mann in der Sauna und eine Massenpanik drum herum«, sinnierte Klopfer.

»Diese Panik wurde gezielt inszeniert, so viel ist sicher«, sagte Zweifel.

»Sicher ist gar nichts, Zweifel. Die Sache behagt mir ganz und gar nicht. Da spielt jemand den großen Manipulator. Das fängt schon bei dieser Kinderstimme an, die Sie und Melzick zum Tatort gelockt hat. Und dann diese ominösen Schreie. Die würde ich mir gern mal anhören. Haben Sie die Platte noch?«

»CD. Bring ich Ihnen mal vorbei.« Klopfer lehnte sich zurück.

»Da sorgt also jemand für markerschütternde Schreie, blockierte Türen, Rauchgaswolken und mysteriöse Durchsagen, die das Ganze zum Kochen bringen.«

»In so einer Situation, wie Fischli, der Bademeister, sie geschildert hat, achtet niemand auf zwei Sanitäter, die einen Körper auf einer Bahre durch die Gegend tragen.«

»Aha, soso. Wir sollen also denken, dass das Tohuwabohu extra zu diesem Zweck veranstaltet wurde. Aus genau diesem Grund müssen wir auch andersrum denken, Zweifel.« Der Kommissar nippte nachdenklich an seiner Tasse.

»Wenn die Panik und der Leichentransport nichts miteinander zu tun haben, wer sollte denn dann einen Grund gehabt haben, so ein Spektakel, das ganz böse enden kann, heraufzubeschwören?« Klopfer stellte seine Tasse ab, verschränkte beide Arme hinter dem Kopf und schaute an die Decke.

»Das weiß ich nicht. Wir wissen überhaupt noch viel zu wenig. Wir wissen nicht, wer Sie angerufen hat, warum diese Studentin, wie heißt sie gleich …?«

»Kohler, Henriette Kohler.«

»… warum diese Kohler nicht erschienen ist, wer an ihrer Stelle diese Durchsagen gemacht hat, wer diesen Seiteneingang aufgeschlossen hat, wer die ganze Elektronik lahmgelegt hat und wie, wer die Rauchgasgranaten gezündet hat …«

»Wenigstens wissen wir, wer geschrien hat«, warf Zweifel ein. Klopfer warf ihm einen scharfen Blick zu.

»Wir wissen auch, dass der Tote ein Sohn von Theo Kronberger ist. Hier …«, er schob Zweifel den Stapel Blätter zu, »das hat Lucy an Hintergrundinformationen zusammengestellt. Auswendiglernen! Leider kann ich morgen nicht dabei sein, ich muss nach München.« Zweifel überflog die zuoberst liegende Seite und murmelte ein für seinen Chef gut hörbares »wie bedauerlich«. Klopfer ignorierte die Bemerkung.

»Sie halten mich auf dem Laufenden. Auch was Penny Stocks und Dr. Kälberers Ergebnisse angeht. Ich erwarte morgen mehr Antworten als Fragen, Zweifel.«

Lucy saß oder besser thronte auf ihrem Bürostuhl, hatte Schokolade weder in der Hand noch im Mund und blickte skeptisch auf die unwegsame Landschaft aus Aktenordnern, Notizbüchern, Papierstapeln, Filzstiften, Lochern, Kalendern, Tassen, Tellern und einem einzelnen Radiergummi auf ihrem Schreibtisch, als sei irgendjemand anders dafür verantwortlich. Als sie Zweifel aus Klopfers Büro kommen sah, schnaufte sie erleichtert. Der Kommissar legte erst das Dossier über Kronberger und dann beide Ellenbogen auf ihren Tresen.

»Gute Arbeit, Lucy«, sagte er und klopfte auf die oberste Seite, auf der unter anderem auch ein Pressefoto Theo Kronbergers abgebildet war. Lucy nickte.

»War ’ne Kleinigkeit. Im Internet gibt’s jede Menge Klatsch und Tratsch über den Mann. Ich hab einfach die Gerüchte, Verleumdungen, die Home-Stories und die Aussagen der sogenannten für gewöhnlich gut unterrichteten Kreise weggelassen. Die sind für gewöhnlich gut erfunden.«

»Respekt. Das Weglassenkönnen ist eine große Kunst, Lucy. Manche Maler sagen das und viele Schriftsteller.«

»Meinetwegen. Ich hab da viel Erfahrung damit. Vielleicht sollte ich bei der VHS einen Kurs anbieten. ›Ihr Schreibtisch – eine Oase des Nichts‹ oder:›Von der Vielfalt zur Einfalt in dreiundzwanzig Schritten.‹ Allerdings gibt es da etwas, das ich nicht weglassen kann.« Sie öffnete ihre Schreibtischschublade und schenkte Zweifel einen verzweifelten Blick. »Schauen Sie sich das bloß an. Diese gähnende Leere macht mich fertig.« Zweifel riskierte ein Auge und war verblüfft.

»Ich glaube, das ist das erste Mal in sechs Jahren, dass in dieser Schublade ein Schokoladenvakuum herrscht. Wie kommt denn solches, Lucy? Kein Geld? Keine Disziplin? Keine Planung?«

»Ha!«, sie warf beide Arme in die Luft, »ich wurde heimgesucht.«

»Aha. Und von welcher Plage?«

»Ein Presseköter. Von der unerfreulichen Sorte.«

»Und den belohnen Sie auch noch?«

»Ich bin ja selbst fassungslos. Aber dieser Reisser …«

»Ich verstehe. Klopfer hat sowas erwähnt. Mit der Presse müssen Sie leben lernen, Lucy.«

»Aber ich hab ihn mit meinen letzten beiden Riegeln gefüttert. Die hatte ich mir gerade erst besorgt. Den werd’ ich doch nie wieder los.«

»Vielleicht frisst er Ihnen beim nächsten Mal aus der Hand. Da sollten Sie ein paar Leckerli parat haben.«

»Das Gleiche hat der Chef mir auch schon empfohlen«, sagte sie und seufzte.

»Apropos empfehlen«, sagte Zweifel und tippte auf das Dossier. Sie haben das alles ja schon gelesen. Was halten Sie von Kronberger? Wie würden Sie sich verhalten?« Lucy schob ihre Schublade vorsichtig zu und schaute Zweifel nachdenklich an.

»Dieser Mann gibt sich nie mit weniger als 100% zufrieden. Er ist sehr klein und sehr leise und immer sehr höflich, aber er hat etliche Millionen in seinem Geldspeicher. Also hat er in seinem Leben sehr viel sehr richtig gemacht. Er hat keine Frau und er hat keine Geduld, vor allem mit Leuten, die etwas falsch machen. Und jetzt hat er einen toten Sohn und Sie dürfen ihm das morgen Vormittag beibringen.« Sie legte ihre Hände zusammen. »Ich schlage vor, Sie frühstücken vorher was Ordentliches.«

»Sie meinen, ich soll von meinem Frühstücksbüffet mal nichts weglassen.« Sie nickte.

»Falls doch was übrigbleibt, dürfen Sie es bei mir entsorgen.«

»Ich nehme Sie beim Wort Lucy.«

»Da werd’ ich gern genommen.« Zweifel zwinkerte ihr zu, schnappte das Dossier und wandte sich zum Gehen. Lucys Blick fiel auf einen ihrer Notizzettel, die sie in Augenhöhe auf den Rand der Theke geklebt hatte. »Hat Sie übrigens Ihr Freund aus Berlin erreicht?« Zweifel drehte sich abrupt um.

»Welcher Freund?«

»Daniel Braun oder Brahm oder so. Schreckliches Gekritzel, das ich da fabriziert habe«, sagte sie und wedelte mit dem Zettel in der Luft herum. Zweifel starrte sie an.

»Wann hat der angerufen?« Lucy ahnte nichts Böses.

»Na Freitagabend, Sie waren schon weg. Sagte er hätte Sie ewig nicht gesehen und wäre gerade in der Nähe.« Zweifel trat ganz dicht an die Empfangstheke und fixierte Lucy, der ein wenig unbehaglich wurde.

»Daniel Braun«, sagte er langsam und musste sich räuspern.

»Also doch. Hab ich’s ganz richtig notiert. Er war sehr freundlich am Telefon und schien gut aufgelegt. Sagte, er wäre dabei gewesen, als das mit Ihrer Frau passierte, damals in Berlin.«

»So, sagte er das?« Zweifels Stimme klang plötzlich etwas heiser.

»Ja, er konnte mir viele Einzelheiten nennen. Und dann sagte er, er hätte eine wichtige Nachricht für Sie. Hat er Sie denn nicht angerufen?« Zweifel strich über seine Augen.

»Ich hab seit vier Wochen eine neue Geheimnummer, Lucy, das wissen Sie doch. Er kann mich gar nicht angerufen haben, es sei denn …« Lucy schluckte. »Lucy …!«

»Na ja, er war so glaubwürdig und …«

»Haben Sie ihm etwa die Nummer gegeben?« Sie nickte trotzig.

»Ist er etwa nicht Ihr Freund?« Zweifel schaute an die Decke und holte tief Luft. Er schüttelte den Kopf und fuhr sich nochmal mit der Hand über die Augen. Dann schaute er Lucy an.

»Daniel Braun war mein Freund, Lucy. Wir haben uns wirklich ewig nicht gesehen und wir werden uns ewig nicht wiedersehen. Er war tatsächlich dabei, damals, als meine Frau starb. Aber er ist mit ihr in die Luft gesprengt worden, Lucy. Er kann daher wohl kaum in der Nähe sein und das bedeutet Sie haben meine Geheimnummer einem Wildfremden gegeben.« Lucy öffnete den Mund, aber ihr fehlten die Worte. Zweifel war schon an der Tür, als er sich nochmal umdrehte. »Und ja, Lucy, ich bin angerufen worden. Heute Morgen. Von einer äußerst merkwürdigen Stimme.«

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