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Kitabı oku: «Die Mühle zu Husterloh», sayfa 15

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28. Kapitel

Es war ein glühender August voll gleißenden Sonnenscheins. Das Gras auf den Wiesen stellte sich dünn. Nur magere strohige Stängel reckten sich und schauten sich um, ob es den Lanzenblättern des Rasens möglich sein werde, ihnen zu folgen. Aber sie blieben allein, umgeben von hässlich grauen Brandplacken, auf denen es selbst der Grille zu heiß wurde. Umsponnen und rostig hing das Laub von den Obstbäumen nieder, die Stängel der Früchte wurden dürr, diese selber fielen ab, und die Mäuse an den Straßenböschungen hatten billige Mahlzeiten. Im Tannenwald brütete die Hitze, brachte die Nadeln am Boden zum Aufstehen, stieg an den Stämmen in die Höhe und schmolz das Harz, dass es in Tropfen niederrann und feinen Terpentingeruch ausströmte. Es duftete wie in einer Schreinerwerkstätte und war heiß wie in einer Backstube. Die Sonne, die unbarmherzige Sonne tat, was sie nur konnte, um sich gründlich verhasst zu machen. Sie zerrieb den Straßenkot zu scharfem Pulver und schickte kleine Tagediebe von Wirbelwinden, die ihn Menschen und Tieren ungezogen in die Augen werfen mussten. Wer konnte, wich diesen Gemeinheiten aus, lag auf einer Bank, gähnte, schwitzte und hütete sich, Wasser zu trinken, um nicht noch mehr schwitzen zu müssen. Die Wege waren verödet, die Dörfer leer, selbst Enten und Gänse wollten sich nicht die Füße verbrennen an den glühenden Pflastersteinen; sie blieben lieber in den Tümpeln um den Dunghaufen stehn. Kein Ton weit und breit. Nicht einmal die Kegel rappelten auf den Kegelbahnen. Ob die Grillen zirpten? Ich weiß es nicht, und auch die zwei Wanderer wissen es nicht, die matt und schwerfällig sich die Straße hinanschleppten und sich umdrehten, wenn in der Ferne eine Windhose ihre ärgerliche Spirale in die Luft schraubte. Dem einen der Wegemüden hing die Zunge heraus, und ab und zu fiel ein Tropfen von ihr nieder und bildete im Straßenstaub eine feuchte, erbsengroße Kugel. Auch der andere stieß zuweilen die Zunge etwas hervor und befeuchtete damit die trockenen Lippen unter leisem Ächzen.

In der Ferne sah man ein weißgestrichenes Chausseehaus, das einen langen Arm vorstreckte, an dem es einen Elefanten schlankweg in die Luft hinaushielt. Diesem Zeichen steuerten die zwei Wanderer mühsam entgegen, traten durch die Haustür und wurden von einer sanften Kühle und einladendem Weingeruch, die beide aus dem Keller kamen, freundlich empfangen. Aber im nächsten Augenblick schon erhob sich ein schreckliches Gekläff und Gewinsel, das von einem Wollklingel ausging, der nach einem Mausloch suchte, um sich darin zu verkriechen.

»Barmherziger Himmel,« klang eine metallene Stimme aus der Küche, »was für ein Eselshuf mag dem Zamperle aufs Fell getreten haben, dass er gar so erbärmlich jammert?« Und ein Weiberrock stürzte hervor und wickelte den Wollklingel in die Schürze, wo er aber immer noch fortfuhr zu protestieren und zu wettern, als ob ihm ein bis dato unerhörtes Unrecht widerfahren wäre.

»Potz Schweineschwänzchen und kein Ende,« hob die Blechtrompete wieder an, »füttern sie herumlungernde Handwerksburschen mit dem Ungetüm, Herr Höhrle? Nun, dann gut, dann mag der Sauhund billig halten sein, aber Kartoffel, Kartoffel! Ein Rittergut bringt in dem trockenen Jahrgang nicht soviel hervor, als der brauchen könnte, und nun gar die ausgemergelten Lappen ihres Alten,« und sie warf den kläffenden Wollklingel unter die Zudecke eines Kinderwagens, der da im Wege stand.

Das war der Empfang, den Holofernes und sein Herr im Weißen Elefanten zu Weiher fanden, als sie eben in die Herbstferien gingen. Mehrere Stunden Eisenbahnfahrt, mehrere Stunden Fußmarsch liegen hinter ihnen, und hinter ihnen am Eisenbahnschalter liegt ihr letzter Groschen. Wer in solcher Verfassung hungrig und müde in ein Wirtshaus tritt, sollte eine bessere Stimmung finden wie die war, die Holofernes, wenn auch ohne es zu wollen, vorbereitet hatte. Die Wirtin war verdrossen. Verdrossen stellte sie einen Schoppen Apfelwein auf den Tisch, verdrossen schlug sie mit dem Kochlöffel die Eier in ihrer Lederschürze zu einem Pfannkuchen, verdrossen stellte sie denselben auf den Tisch und gerade vor die Nase des am Tische stehenden Holofernes, dessen Tugend dadurch einer schweren Versuchung ausgesetzt war. Dann lehnte sie sich mit dem Rücken an den Uhrkasten, steckte beide Hände unter die Schürze und sah mit verhaltenem Ingrimm zu, wie ein halber Laib schweren Bauernbrotes mitsamt den Eiern in zwei Mäulern verschwand.

So lange das Essen währte, befand sich Hans Höhrle leidlich wohl, dann aber wurde er unruhig. Er sah zuweilen auf die Straße hinaus und dachte: »Wenn ich nur erst so weit von diesem Hause weg wäre, als man von hier aus sehen kann.« Zuweilen zog er seine Uhr in auffälliger Weise hervor, weil er hoffte, dass deren Anblick seine Kreditwürdigkeit in den Augen der Wirtin steigern könne.

Holofernes, der zum Ärger der lauernden Frau unglaublich große Brotbrocken verschlungen hatte, schlief und schnarchte sogar ein wenig. Er war satt und kannte über das hinaus keine Sorge. Ein Schwarm von Mücken hatte sich über die mikroskopischen Reste von beider Wanderer Mahlzeit hergemacht. Sie fragten nicht, was es etwa kosten könne. Beide, Hund und Mücken, überließen es vertrauensselig unserem Hans, darüber nachzudenken, wie er, ohne einen Pfennig in der Tasche, die Zeche begleichen möchte. Verdammt, wenn nur die Wirtin nicht gar zu bärbeißig dreinschauen möchte; sie kannte ihn doch, warum richtete sie nicht eine einzige Frage an ihn? Hans suchte ihre Stimmung mit einer Schnurre zu verbessern.

»Im Halben Mond zu Trippsdrill wettete der Postmeister Hallwachs, dass sein Stangenreiter in einem Sitz einen Hammel essen könne. Die Leute lachten ihn aus. Da schickte er nach seinem Vielfraß. Der kam und hörte, wie der Postmeister sich hineingeredet hatte.

›Ich lass meinen Herrn nicht stecken,‹ sagte er und setzte sich mit dem Todesmut eines Gladiators im Gesicht hinter den Tisch. Mau brachte ihm das Opferlamm zu Ragout geschnitten. Ist’s da ein Wunder, wenn der Brave den Hammel nicht erkannte und ihn für eine Vorspeise hielt, die seinen Appetit reizen sollte? Er aß mit Lust so eine Stunde und wohl auch zwei; da aber, als eben die Wirtin die letzten Brocken von dem geschlachteten Tiere brachte, erwachte in ihm das Bewusstsein, dass er für das Interesse seines Herrn zu speisen habe.

›Wenn jetzt der Hammel nicht bald kommt,‹ sagte er entrüstet, ›so hör’ ich auf zu essen. Ich sehe schon, ihr wollt mir meinen Appetit verderben.‹«

Leider verfehlte die Erzählung ihren Zweck. Die Wirtin zum Elefanten zog den Mund in ihrem Kürbisgesicht ein wenig in die Breite und zeigte zwei mächtige Zahnlücken; das war rein alles, was aus ihr herauszuholen war.

Indessen verglühte die Sonne im Westen, die Linde vorm Weißen Elefanten warf einen Schatten ans Fenster, und die Uhr über dem Kopfe der Wirtin behauptete, ohne Widerspruch zu finden, dass die neunte Abendstunde gekommen sei. Nun musste irgendetwas geschehen, um eine Auseinandersetzung mit dem Elefantenweibe herbeizuführen. Haus holte sein Portemonnaie heraus und fragte nach der Rechnung. Sie war an sich nicht groß, nur eben in diesem Augenblick unerschwinglich.

»Können Sie einen Hundertmarkschein wechseln?« fragte Hans mit einem erwartungsvollen Blick in das Kürbisgesicht. Bei Gott, die Wirtin konnte das, denn sie nickte mit dem Kopfe.

»Dann, dann,« fing Hans zu stottern an, »nun, dann brauchen Sie ja das Geld nicht so nötig und können meine Rechnung mit der Kreide einstweilen hinter die Kammertür schreiben.«

»Na, so was,« brach die Dicke los, »so was läuft in der Welt herum mit zwei Mäulern und hat nicht für eines Futter. Glaubt er, meine Henne müht sich ab, um Eier zu legen für Leute von seiner Sorte? Und die Zumutung an ein rechtschaffenes Weib, bei solcher Hitze am Herd zu stehen und zu backen für Leute, die nicht zahlen wollen. Kredit geben, wem denn? Dem Sohne des Bankerottmüllers? Heißt das nicht, sein Geld in die Furche werfen und hoffen, dass es wie grüne Erbsen wieder herauswachsen werde? Daraus wird nichts!« schrie das ergrimmte Weib und stemmte die fetten Hände auf die prominenten Hüften.

Hans war in qualvoller Verlegenheit und hätte mit Vergnügen seinen Hunger und seinen Durst wieder eingetauscht gegen dieses mit solcher Beschämung gepfefferte Gefühl des Sattseins. Er hätte von seinen Händen einen Finger hergegeben für einen Taler, den er diesem Weibe ins Gesicht werfen konnte. Er sah an sich nieder, zog die Uhrkette durch das Knopfloch und legte sie mitsamt der Uhr auf den leeren Teller, der vor ihm stand.

»Euer Essen war gut. Dafür nehmt, was hier vor euch liegt. Für den Nachtisch aber, den ihr mir hoffentlich unentgeltlich geliefert habt, dafür segne euch Gott!« Und er nahm sein Ränzlein über die Schulter und schritt, von Holofernes gefolgt, über die Schwelle des ungastlichen Hauses.

Das Gehen förderte unsere Reisenden mächtig voran, denn Hans war in Erregung. Wie war es nur möglich, dass dies Weib ihm derartig begegnen konnte, ihm, dem auf dem Trottoir der Universitätsstadt mancher auswich, der über einen klangvollen Namen und starken Arm verfügte? Ihm, hinter dessen Klinge die Luft sang, wenn er sie über den Köpfen seiner Gegner schwirren ließ. Hatten denn die Riegel, die auf Stirn und Wange lagen und vernehmlich predigten, dass ihr Träger das Schwert als seinen Rächer führte, auf dies inferiore Menschenkind keinen Eindruck gemacht? War es denn mit den Münzen, die auf der Universität galten, so windig bestellt, dass man sie beim ersten Schritt ins Leben hinein in den Straßenkot werfen konnte? Während Hans über diesen Gegenstand nachdachte, rieselte viel überspannter Idealismus durch seine Haut hernieder und ging verloren, wenn nicht allenfalls Holofernes ihn auflas.

Andere Gedanken, Kanonen von schwerem Kaliber, fuhren vor dem Studenten auf und versuchten, ihm eine ernste Wahrheit ins Ohr zu donnern. Was sollte die maliziöse Bemerkung heißen: »Dem Sohne des Bankerottmüllers?« Stand es denn wirklich so schlecht um seinen Alten? War er denn nicht mehr der Sohn vermöglicher Leute? Saß zu Hause die Not am Tisch und schnitt das Brot vor, während er im Burschenhaus gemächlich tafelte? Nie doch hatte der Vater mit einem Worte verraten, dass ihn der Mangel drückte. Aber Hans hätte sehen können, wie er gebeugt einherlief, wie sein Rock, sein Hut schon fast um ein Almosen bettelten.

Auch das Bild seiner Schwester kam vor seine Seele. Sie sah seit dem Tode der Mutter so hausgemacht aus, so zusammengemustert. Die Stoffe ihrer Kleider waren geringwertig, und manche Jacke saß, als ob sie mit der Heugabel an ihren Leib geworfen wäre. Hans schämte sich, wenn er sein wohlgepflegtes Äußere sich neben dem seiner Schwester vorstellte, und er war froh, dass die Dunkelheit, die sich niedersenkte, ihn vor sich selber in einem verschwommenen Grau verbarg. So kam er nach dem kleinen Marktplatz von Husterloh und kehrte in dem Eckhause ein, wo sein Onkel Schütteldich zwischen gewässerten Stockfischen und stinkenden Schwefelhölzern noch immer ein sehr erträgliches Leben führte. Bei ihm, wo die dem Verderben geweihten Reste einer Viktualienhandlung immerhin noch Leckerbissen für eine Hundetafel abgaben, sollte Holofernes bleiben. Er selber wünschte von dem Onkel nichts als einige Aufklärung über die Verhältnisse des Vaters, die ihm seit seiner Einkehr im Weißen Elefanten wenig vertrauenerweckend vorkamen.

Die Tür des Kramladens war etwas geöffnet, und Hans sah, wie sein Onkel mit einem brennenden Streichholz von einem Leiterstuhl herunterstieg, während eine verstaubte Petroleumlampe über seinem Haupte einen zunächst schwachen Versuch machte, Klarheit auszubreiten über tausend verworrene Kleinigkeiten, die ohne innere Wahlverwandtschaft sich nebeneinander gelagert hatten, wie es der Zufall gerade wollte. Da der junge Student einen Schritt vorwärts, Herr Schütteldich einen rückwärts machte, so waren Onkel und Neffe im nächsten Augenblick näher beieinander, als es durch die bestehenden Familienbande und durch die Rücksicht auf die beiderseitigen Hühneraugen geboten erschien.

»Ei, Hundebuckel und keine Quaste dran,« platzte der alte Jäger heraus. »Was für ein Seiler möchte hier wohl aus vier Menschenbeinen einen Strang flechten?« Und er drehte sich mitsamt dem Streichholz auf dem Absatz herum und leuchtete seinem Neffen ins Gesicht.

»Tausend Dackelhunde, du hier, und mit einer Visage voller Schnörkel wie ein Judengrabstein? Wer in aller Welt hat dir das Aleph, Beth, Gimel, Daleth ins Gesicht gezeichnet?«

»Ich bin gefallen, Onkel,« sagte Hans ausweichend.

»Dann sicher in den Warenhaufen eines Trödeljuden. Wie könntest du sonst aussehen wie ein Gartenbeet, in dem die Hühner scharrten! Bei Gott, Hans, mein Junge; dein Onkel knöpft seine Hosen nicht mit der Kneifzange zu. Welcher Held aus des Caroli magni Tafelrunde hat dich bekriegt? Repetent in der Quinta, dann Schnupftabakslieferant für den Wirt in der Hirschgasse zu Heidelberg, wie sollte mir da der Unterschied zwischen einer Quart und einem Durchzieher ein Geheimnis bleiben? Keine Flausen, mein Wickelkind; hier, sieh nach meiner Uhrkette! Menschenzähne, so wahr ich Schütteldich heiße, und nicht von einem Barbier herausgezogen, nein, herausgeschlagen mit einer Tiefquart, die ich vom linken Ohrläppchen bis in den Mundwinkel zog. Ich, ich, dein leibhaftiger Onkel,« und dabei nahm er Hans an einem Westenknopf und zog ihn neben sich auf das Ledersofa, in dessen fettigem Glanze sich die Petroleumlampe gar anmutig bespiegelte.

Während sich diese Erkennungsszene abspielte, hatte sich richtig Holofernes mit den Vorderfüßen in eine Kanne Bodenöl verirrt und war nun eifrig dabei, das, was er mit den Pfoten aufgetragen hatte, mit der Rute glattzustreichen über die Diele hin. Nach getaner Arbeit kam er näher und legte Herrn Schütteldich zutraulich die Schnauze aufs Knie, weil er irgendein Kartellverhältnis zwischen diesem und seinem Herrn voraussetzte.

»Du treibst wohl neben deinen Studien ein kleines Milchgeschäft?« fragte Schütteldich und suchte mit der Hand auf dem Hundefell nach Kahlhieben, wie sie das Ledergeschirr an Arbeitshunden zu schlagen pflegt.

»Doch nicht,« sagte Hans mit Lachen, »der Hund gehört der Burschenschaft; ich habe ihn nur mitgebracht, weil ich dir, dem Onkel Nimrod, eine Freude machen wollte und weil ich dachte, er wird in unserem Hofe niemanden genieren.«

»Das schon,« sagte Schütteldich, »der Hof ist hoch und tausend Hunde hätten darin Platz, wenn man sie übereinander stellt; nur fressen dürfen sie nicht, denn Milch und Kartoffeln sind bei dir zu Hause ein wenig knapp. Aber dies alles,« betonte er großartig, »sind nur transitorische Zustände. Fortuna tanzt auf einem Rad. Im Nu sind Nord- und Südpol vertauscht. Im Weltschirm trinken die Leute Champagner, und wenn dein Vater morgen Abend wiederkommt und rouge et noire sind günstig gefallen, so ist Futter da für dich und Holofernes. Indessen bleibt ihr gelehrten Herren bei dem Repetenten aus der Quinta; er will den erhabenen Moment genießen, wenn zwei Millionäre, Vater und Sohn, sich die Hände schütteln.«

Onkel Schütteldich, der gute Onkel, hatte übrigens für ein reichliches Nachtessen gesorgt, und Hans ging nach demselben zeitig zu Bett. An der blau und weiß gestreiften Tapete seines Zimmerchens hing in einem runden Holzrahmen das Bild seiner Mutter. Hans lag schon unter der schwellenden Bettdecke, in deren Entstehungsgeschichte die Leiden geschundener Gänseherden eine Rolle spielten, aber er konnte sich nicht entschließen, das Licht auszublasen. Sein Blick wanderte auf den Streifen der Tapete unruhig hin und her, bis er immer und immer wieder zurückkehrte zum Bilde der Mutter. Ihr Gebein ruhte nicht weit von dem seinen, und die Eule, die zuweilen durch die Nacht rief, saß vielleicht auf der Traueresche, die ihre Zweige über ihren Grabstein niederrieseln ließ. Außer der Eule ließ sich in regelmäßigen Zeitabständen das Kuhhorn des Nachtwächters hören und streifte von Hans alles ab, was so von studentischer Hyperkultur an ihm hing. Der Stehumlegkragen verlor seine herausfordernde Bedeutung, die Sparröllchen errangen sich das Bürgerrecht. Der Atem der Vergangenheit stieg mit dem Geruch der Heimaterde vor ihm auf und führte Gestalten mit sich, die im Getriebe der Stadt sich nicht sehen lassen durften, aber doch echt waren und ganze Menschen.

Da war die Zuckerbäckersfrau, die mit dem Staubbesen die Übertretung des siebenten Gebots an Hansens Sitzfleisch rächte. Da waren die Esel wieder, die einst das Haus Höhrle in grenzenlose Verlegenheit gestürzt hatten. Da war Agnes, und der sonnendurchleuchtete Septembernebel, der vorm Walde ihr beider süßes Geheimnis überschleierte. Da war die hohe Tromm und jener Septembervollmond, der herniederblickte, als zwei Menschenkinder sich das Versprechen gaben, eins zu werden und eins zu bleiben, was auch das Leben bringen mochte. Hans fragte sich, ob er zu seinem Teil getan habe, was er konnte, um diesem Ziele näher zu rücken, und er antwortete vor sich selber: Ja. Aber er verhehlte sich nicht, dass auf dem Wege zum Gipfel noch eine schwierige Kletterpartie vor ihm liege. Sein Vater, sein guter, ehrlicher Vater war auf einen Weg gedrängt worden, auf dem nur der Leichtsinn des Onkel Schütteldich das Glück suchen konnte. Wie, wenn die Heimtücke der rollenden Kugel, die Bosheit der fallenden Kartenblätter gegen ihn entschieden! Hans sah den Postwagen ankommen, sah ein kleines zusammengeschrumpftes Männlein, dem der Rockkragen über den Schädel hinwegguckte, aussteigen, sah, wie der Wind dies schwankende Skelett vor sich hin blies immer das Tal hinab, immer die Straße entlang, die er, der Vater und die Schwestern am Begräbnistag der Mutter so trübselig gewandert waren.

Wohin, du armer, du gequälter Pilger? Weißt du nicht, dass da oben auf dem Kirchhof für dich ein Bett bereitet ist? Was ziehst du noch einmal an deiner Herberge vorüber, noch einmal in jenes Haus, in dem vier vorwurfsvolle Augen auf dich warten, Susens Augen und die des alten, treuen Mühlbaschel?

Ein namenloses Mitleid mit dem Bilde seines Vaters packte unseren Hans und warf ihn aus dem Bett, in dem er Schlaf gesucht hatte. Er trat ans Fenster und sah zum Weltschirm hinüber, wo herabgelassene Vorhänge die rote Glut der Lampen filtrierten und ein gemildertes Licht auf die Nacht der Straße fallen ließen. In diesem Lichte sah er einen Mann stehen mit einer Hellebarde in der Faust, eine Hubertusmütze mit hoher Reiherfeder auf dem Kopfe. Das Ganze glich einem Stück Mittelalter aus der Erbachschen Sammlung zu Erbach. Der Mann hatte einen Stein unter seine Füße gewälzt und streckte sich an der Mauer empor, offenbar um durch irgendeinen Vorhangsspalt ins Innere des Zimmers sehen zu können, und blieb solange an der Fensterbrüstung hängen, bis drüben das Licht erlosch. Dann hörte man grobe Stiefel ungeniert lärmend über das Pflaster schreiten, aber nicht lange. Es verhallten die Tritte, und Hans zog daraus den Schluss, dass der Mann da irgendwo in der Nähe sich untergebracht habe, um den Verlauf irgendeiner unheimlichen Sache zu beobachten. Jetzt war die Bühne leer. Zu sehen war nichts, zu hören auch nichts. Hans schloss das Fenster, kroch unter die Bettdecke und schlief nach einem grausamen Tage, der ihm so manches geraubt, einem noch grausameren entgegen.

29. Kapitel

Am anderen Morgen erweckte ihn ein Gespräch, das aus dem Lagerschuppen seines Onkels unter ihm zu kommen schien.

»O, du Leuchte in den Finsternissen, du Spieß der Gerechtigkeit, du Haubenlerche, die im Rathausspeicher nistet, sag’ mir doch, Schnapskrüglein der Witwe von Sarepta, das nie leer wird, sag’ mir von welchem Strauchdieb hast du mit Augenzudrücken das Geld verdient für deinen Morgentrunk? Hüte dich, Judas Ischariot! Wenn die Gerechtigkeit einmal hinter dir auf dunklen Pfaden hertappt, dann kannst du wieder mit dem Bettelsack statt des Spießes spazieren gehen.«

Dieser Stimme, der Stimme des Onkels, antwortete eine andere.

»O du Haberguck unter den Propheten, du Bannerträger der Faulheit, hättest du dein Geld so sauer und ehrlich verdienen müssen wie ich, du könntest an einem Reisigbesen Maß nehmen lassen zu deiner Hosentaille. Geh doch, Stückfass, und bring ein Schnapsglas her, so groß wie dein Magen, aber platze nicht unter der Last. Ich möchte nicht in der Nähe sein, wenn ein Pfuhlfass berstet. Der Tod des Ertrinkens wäre mir gesichert und dem Ratsschreiber ein schwerer Tag, weil er deine Grabschrift umdichten müsste, des Umstandes wegen, dass dich der Tod bei einer Arbeit gefunden.«

Hans hörte, wie zwei Pantoffeln schlürften, und wie eine Kiste gerückt wurde, und schloss daraus, dass der Nachtwächter seinen Schnaps im Sitzen zu sich nehmen wolle. Dann war eine Zeitlang alles still. Mit einem Male schlürften die Pantoffeln wieder, und der Dialog nahm seinen Fortgang.

»Ei, da bist du ja wieder heil und ganz, du Fauler, du Lumpiger, und das Schnapsgläschen hat dich nicht in den Boden gedrückt? Ja, bei meiner Seele Seligkeit, ich bin ein ehrlicher Mann. Jeden Pfennig unrechten Gutes, den du bei mir findest, magst du auf die Ofenplatte legen, wenn meine Frau die Wäsche bügelt für die Gerichtsherrn von Husterloh, und ich schluck ihn dir glühend herunter. Aber wenn man bezahlt wird dafür, dass man bloß die Zunge im Maule hält? Sollte das ein Unrecht sein, so ist es doch leider die einzige Konjunktur, die im Berufe eines Nachtwächters möglich ist. Bezahlt werden für sein Maulhalten. Kann man mit noch weniger Arbeit sein Geld verdienen? Und wie leicht mir diese Mühe fällt! Ich kann schweigen, wie, na, wie denn? Nun wie ein Sargdeckel, der redet mit keinem Menschen ein Wort, nicht einmal mit dem, der unter ihm liegt.«

An dieser Stelle wurde ein Schnapsgläschen gefüllt mit grünem Wachtmeister hochgehoben, und sein Inhalt verschwand unter einem vernehmlich glucksenden Geräusch. Dann ging die Belehrung weiter:

»Sieh, da ist im Alten Testament ein schwatzhafter Mann mit Namen Jesus Sirach oder so etwas, der sagt: ›Reden ist Silber, Schweigen ist Gold.‹ Hat der sich nun an das, was er predigt, gehalten. Nein, er hätte dann seine unnötige Weisheit bei sich behalten. Leute, wie ich, die schweigen können, haben sie nicht nötig, anderen nützt sie nichts. ’s ist nicht zu sagen, was gerade die Propheten oft für Dummheiten machen. Siehst du, ich halte es mit meiner Arbeitgeberin der Nacht. Wes Brot ich ess, des Lied ich sing. Diese schweigt und erzählt mir doch allerlei, was außer ihr und dem Himmel keiner gesehen hat. Läuft da nach Mitternacht ein Mann wider mich, dem vorher im Weltschirm da drüben ein schönes Kind auf den Knien gesessen hat. Ich werde mich hüten zu sagen, wer’s war.«

»Kerl,« sagt er, »kannst du schweigen?«

»Unverschämt,« sage ich, »und er drückt mir fünf harte Taler in die Hand. Dabei bleibt’s, mehr sag ich nicht, und nun gehe, du Vorstand aller Faultiere, und bring die Flasche her, damit du dir die Beine nicht zur sehr abläufst. Ich habe für eine Woche im voraus Geld verdient, also kann ich auch für eine Woche im voraus trinken.«

Onkel Schütteldich ging und mischte eine stärkere Sorte unter den grünen Wachtmeister. »Voll wird er doch,« dachte er, »er quatscht sich schneller aus, und ich gewinne Zeit. ›Wer nicht arbeiten will, muss sparen,‹ sagt ein altes Wort. Ich tue das letztere, obwohl ich nicht weiß, was ich mit der gesparten Zeit anfangen soll. Aber immerhin, man soll die Weisheit der Sprüche ehren, schon um deswillen, weil man sich verspätete Vorwürfe spart.«

Als der Nachtwächter nun erst das Klappern der Pantoffelabsätze wieder hörte, fuhr er fort:

»Dienstgeheimnis, für wen ist ein Dienstgeheimnis? Nur für Leute, die nicht schweigen können. Ich, meinerseits, ich brauche keines. Wirst du mir glauben, dass ich schon seit vierzehn Tagen weiß, was im Weltschirm vorgeht, und dass ich kein Sterbenswörtlein davon gesprochen habe? Geht dir da drüben zwei Wochen zurück, nachts zwischen elf und zwölf ein Familiengewitter nieder, in welchem der alte Pfahlbauer Strohstühle durch die Luft wirft wie Donnerkeile. Du weißt, ich lausche nicht, aber wer kann sagen, er habe gelauscht um den Donner nicht zu überhören? Auch kann ich stehen, wo ich will, wenn ich nur kein Verkehrshindernis bin. Na also ich stehe und habe meine Ohren bei mir und höre zwischen dem Klirren zerschlagener Weinflaschen das Gebrüll des Alten: ›An dem Buben hängt sie, dem verdorbenen, der seinen Vater an den Bettelstab bringt. Im Leben wird aus dem nichts. Wer mit der blanken Waffe das Leben seiner Mitmenschen bedroht, der ist schon gar kein Christ mehr, hat der Pfarrer gesagt.‹ Klirr, da flog eine Flasche in die Ecke, ›und das sag ich auch und sag’s zweimal,‹ klirr, klirr da flogen zwei andere nach.

Na, denk ich, der Narr wird doch keine vollen Flaschen wegwerfen, werde neugierig, roll einen Stein ans Fenster und streck’ mich, und was seh’ ich durch den Vorhangsspalt? Drinnen steht der Pfahlbauer hemdärmelig, wie ein Apostel, hinterm Büfett und schlägt leere Sodawasserflaschen zusammen, dass die Scherben gefährlich durchs Zimmer fliegen. Am Tisch aber sitzt Agnes und ihre Mutter, sie haben die Schürzen vorm Gesicht und weinen wie eine Dachtraufe im Novemberregen. Das rührt aber den Alten nicht. Jetzt schlägt er zur Abwechslung Sauerwasserkrüge kaputt, dann stellt er sich auf den Scherbenhaufen, damit er imponierender aussehe, und nun donnert er los: ›So nu, wenn jetzt die Liebelei mit dem Studentenbuben kein Ende nimmt, und die Agnes nimmt den Schrot nicht mit sei’m vielen Geld, dann nimm ich mir’s Leben, – den Strick hab ich, und ihr alle am Hals, dass ihr’s wisst, seitdem ich nämlich an der vermaledeieten Spielbank war, – oder ich fang’s Saufen an.‹

Na, denk ich, das letztere brauchst nit mal erst anzufangen und geh von meinem Stein runter. Jetzt siehst, dass unsereiner was weiß und dass man’s bei sich behalten kann! Von mir erfährt kein Mensch was.«

Und er hob zur Bekräftigung seiner Worte das Schnapsgläschen und, glucks, war sein Inhalt über den Kehldeckel hinweggerutscht.

Über eine Weile und er fing an zu singen:

 
»Zu Bette ging die schöne Maid und wollt’ sich eben lausen,
Ihr blonder Schatz stand draußen.«
 

Damit war des Biedermanns Bedarf an gereimter Literatur gedeckt, oder er hörte auf zu singen, weil er noch einen Stein auf dem Herzen hatte, den er abladen wollte.

»Du, Schütteldich,« sagte er lüstern und lehnte seinen Kopf vertraulich an dessen Busen, »Schütteldich, als der Pfahlbauer heute Nacht an der Treppe verschwand, war es zwölf Uhr. Im zweiten Stock wurde ein Fenster hell, dann erlosch das Licht oben, unten aber auch. Nun sag’ mir doch, was können zwei Menschen im Dunkeln treiben, zwei Stunden lang, denn als der Schrot wider mich lief, hatte mein Kuhhorn die zweite Morgenstunde verkündet.«

»Man kann im Dunkeln Garn wickeln, oder einen Rosenkranz beten,« sagte Schütteldich.

»Recht so, Rosenkranz beten,« lachte der Nachtwächter, »die Gegrüßet seist du Maria lässt man unter Küssen durch die Finger laufen. Beim Vaterunser überspringt man die sechste Bitte. Siehst du, Schütteldich, so war’s früher, so wird’s noch heute sein. Schade, dass wir alt geworden sind. Aber, was kümmert mich das Treiben der Jungen? Ich bin bezahlt dafür, dass ich meine Zunge hüte, und das tue ich. Von mir erfährt keine Menschenseele das Geringste.«

Und in der Tat, jetzt schwieg er, und alles um ihn her, bis ein eiserner Spieß dröhnend zur Erde fiel und ein phänomenales Schnarchen verriet, dass der Mann, der die gefährliche Wehr zum Zeichen seiner Würde trug, eingeschlafen war.

Hans Höhrle hatte auch die Pantoffeln des Onkels Schütteldich von dannen schleifen hören und wusste, dass von da unten nichts weiter zu erwarten sei. Es dauerte eine Weile, bis er die Bruchstücke des Gehörten wie Mosaiksteine zu einem traurigen Gesamtbilde zusammensetzen konnte. Da, als er das Ganze in seinen Ursachen und Wirkungen überblickte, fasste ihn eine finstere Wut, und während er sein Gesicht in die Kissen vergrub, tastete seine Faust an der Wand hin, dorthin, wo im Alkoven der Universitätsstadt seine Waffen hingen. Es wäre ihm leichter geworden, viel leichter, wenn seine Finger in dem Korb des Säbels wühlen, seine Klinge umfassen konnten, sie, die einzige Freundin, die er bitten durfte, seine Schmach zu rächen. Ach, die Quarten, die Terzen alle, die sein starker Arm hinausschickte, um Leute zu verwunden, die ihm gleichgültig waren, hier wären sie wie ein Hagelwetter vernichtend auf einen Boden niedergefallen, der ein Gottesgericht verdiente. Wie schade, dass dieser Schrot zu platt war, als dass man ihn zerdrücken konnte! Hans quälte sein armes Gehirn, was er tun, was er lassen könne, um diesen hergelaufenen Glücksritter zu bestrafen.

Was immer er denken, was immer er ausbrüten mochte, allem hing der Fluch der Lächerlichkeit an, und er sah ein, dass der Mann, vernichtet und zertreten, nur eben stinken würde wie eine zerquetschte Feldwanze.

Aber hing die ganze Schuld an ihm? Konnte, durfte Agnes so nachgiebig sein? Bei diesem Gedanken zog ein trüber Pessimismus in seine Seele ein. Pfui über die Weiber und ihre käuflichen Werte! Warum war er so töricht und übersah den schmachtenden Duft all’ der Gänseblümchen, die in der Universitätsstadt vor seinem Fenster an der Pumpe blühten, einer Rose zu liebe, von der er sich eingebildet hatte, dass sie der Himmel extra für ihn geschaffen habe. Wie schade um die versäumten Gelegenheiten! Hans wollte nicht mehr der Adler sein, der sein Nest in der Eiche baut. Er nahm sich vor, sich mit den Sperlingen ins gefällige Rohr zu setzen, das sich biegt, wenn einer kommt, und in den Sumpf sinkt, wenn’s eben mehrere sind.

Als er erst einmal so weit war in seinem Gedankenspiel, war er auch aus dem Bette und in den Stiefeln drinnen. Die belebende Kühle des Waschwassers vollends half ihm den Wirrwarr des Für und Gegen in seinem Kopfe zu ordnen. Schlag fünf Uhr stand er, ein aufrechter Mann, zu jedem Opfer bereit, vor dem Onkel, der ihn mit einem seltsam weichen Gesichtsausdruck lauernd musterte.

Holofernes hatte mit der Pfote die Klinke niedergedrückt und war eben daran, mit dem breiten Keil seines Kopfes im Türspalt Platz zu schaffen für seine mächtigen Schultern, als Onkel Schütteldich nach seinem Halsband griff und ihn schonend zurückzog.