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Kitabı oku: «Adams Söhne», sayfa 3

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III. Kapitel

Östlich von Grödig, unter dem Hellbrunner Fels, liegt das Schloss und das Dorf Anif; parkähnlicher Wald und Wiesen trennen dann noch Anif von der breiten Salzach, die in rauschender Eile nach den Hügeln, Türmen und Brücken von Salzburg strebt. Auf dem Waldweg, der nah an dem Flusse hinführt und bald rechts, bald links einen ahnungsvollen Ausblick an die Gebirge hat, die das Tal begleiten, war an eben diesem Nachmittag, von Salzburg her, ein einsamer Wanderer stromauf geschritten; von den sonnig leuchtenden Bergen hatte er aber wenig geseh’n, denn er war in seine Gedanken versunken. Sein Hut saß im Nacken; den abgetragenen schwarzen Rock hatte er ausgezogen und über den Arm gelegt; er trug einen Knotenstock, den er nur zuweilen schwenkte, ohne sich auf ihn zu stützen.

Die Gestalt war stämmig, plebejisch, doch bewegte sie sich mit elastischer Leichtigkeit; so war denn auch das bartlose Gesicht jung und kraftvoll, wenn es auch nicht eigentlich jugendlich zu nennen war. Ein altklug nachdenklicher Zug hatte sich darin eingenistet; die Schärfe eines trotzigen und zersetzenden Denkens, die zwischen Nase und Mund allerlei Falten gegraben und auf die knochige Magerkeit des Gesichts gleichsam noch den hinweisenden Zeigefinger gelegt hatte.

Das schlichte Haar lag feucht und wirr auf der breiten Stirn, die von Schweißtropfen perlte; die grauen Augen waren tief unter die Stirn versenkt, während das Kinn hervortrat. Der junge Mann war bis an den Rand der schmalen Waldung gekommen, die zwischen Anis und der Salzach liegt; er wollte weitergehen, aber ein Anblick, der auch für diesen versonnenen Grübler merkwürdig war, hielt ihn auf. Am letzten Baum, einem großen Ahorn, lag ein junger Mensch im Gras, den Kopf auf seiner schwarzen Reisetasche, und schlief. Die im Westen weiterwandernde Sonne schien ihm jetzt gerade auf die Augenlider, doch ohne ihn zu wecken; sie vergoldete seine verwirrten blonden Locken und goss eine sanft glühende Verklärung über die auffallende Schönheit seines Gesichtes aus. Die zarten und edlen Formen waren in vollkommener Harmonie; Nase und Kinn überaus fein gebildet, die Wangen schienen ein wenig eingefallen, der Mund, fest geschlossen, war von fast rührendem Liebreiz, ohne doch unmännlich oder unentwickelt zu sein. Es war die allererste Blüte eines schönen Jünglings; der leuchtenden Haut fehlte nur dieser rosige Schimmer, der sonst bei so rein blonden nordischen Menschen aus den Adern durchscheint.

Er war blass. Selbst die Lippen hatten ein etwas verblasstes Rot. Vielleicht verstärkte das den eigentümlich idealen, rührenden, an Heiligenbilder erinnernden Ausdruck, der über dem zarten, bartlosen Antlitz lag; der in diesem Zeitalter so befremdend und überraschend war, dass der Wanderer stehen blieb und ihm ein Laut der Verwunderung entschlüpfte.

Der Schläfer rührte sich nicht. Er war fein gekleidet; ein blaues, lose geschlungenes Halstuch lag auf der hellen Weste; sein Panama-Hut war nach hinten gesunken. Eine goldene Uhr, die an goldener Kette hing, schaute ein wenig aus ihrer Tasche hervor, die Sonne spielte auf ihr.

›Wenn man nicht so ein anständiger Mensch wäre‹, dachte der mit dem Knotenstock, ›so tauschte man jetzt dem seine Uhr ab; der junge Aristokrat schläft so gut, der würd’ es nicht merken. Es ist eigentlich verrückt, dass man so anständig ist! – Allerdings, meine alte silberne, geh’n tut sie auch. Ich brauch’ dein goldenes Spielzeug nicht, junger Aristokrat. – Ein schöner Kerl. – Ein gar feines Bürschchen. – Adieu!‹

Er wollte weiter geh’n. Eben begann der Schläfer zu lächeln, offenbar im Traum. Der andre sah hin, blieb steh’n; es war ein so unschuldiges, gutes Lächeln. Wovon mochte er träumen? – Der junge Mensch fing an zu sprechen; doch zuerst so hastig und undeutlich, dass kein Wort zu verstehen war. Dann lächelte er noch einmal, und sagte langsam:

»Ach ja! Ein Eierkuchen! Sehr gut!«

Murmelnd wiederholte er: »Eierkuchen!« und machte eine Bewegung mit dem Arm, als wollte er ihn essen.

Das finstere Gesicht des Zuschauers erheiterte sich.

»Ob der Hunger hat?« sagte er vor sich hin. Ihm fiel darüber ein, dass er eigentlich selber Hunger habe, und dass seine Zeit gekommen sei, zu essen. Er zog aus einer seiner großen Rocktaschen ein Päckchen in grobem, grauem Papier hervor, und setzte sich zwei Schritte von dem Schläfer unter den nächsten Baum. Dann öffnete er das Päckchen, indem er das Papier auf seinem Schoß zur Tischplatte machte, holte ein starkes Messer aus der Tasche, und fing an, sein einfaches Mahl: Käse und Brot, zu verzehren.

Während er die vorspringenden Kinnbacken in Bewegung setzte, blickte er wieder auf den ›Aristokraten‹ hin.

Dem war das Lächeln vergangen; der geträumte Eierkuchen war offenbar nicht bis zu ihm gekommen. Die feinen Brauen zogen sich leicht zusammen. Um den Mund zuckte eine schmerzliche Bewegung, und ein schwacher Laut des Bedauerns entstand hinter den geschlossenen Lippen. Als der andre dies hörte, machte er eine Gebärde des Mitleids, die er aber sogleich wieder unterdrückte.

»Nu!« sagte er vor sich hin, »warum soll so ein ›Feiner‹ nicht einmal im Schlaf hungern? Andere hungern im Wachen. Seufz’ du nur weiter!«

Er vertiefte sich in seine wohltuende Beschäftigung, – selber noch ein Stück von einem ›Aristokraten‹, da er Brot und Käse mit dem Messer schnitt, statt allein mit den Zähnen zu arbeiten. Eine Weile vergaß er seinen Nachbar, der nichts mehr von sich vernehmen ließ. Als er dann wieder aufblickte, wäre er fast erschrocken: das bleiche Gesicht des Schläfers starrte ihn aufgerichtet an. Der junge Mensch musste sich fast unhörbar leise erhoben haben; er saß, seine großen, hellblauen, etwas matten Augen waren auf das ›Tischtuch‹ mit dem Brot und Käse geheftet, als wollten sie sich daran satt sehen, nachdem jener Traumkuchen sich so unredlich verflüchtigt hatte.

»Aha, Sie sind aufgewacht!« sagte der andre trocken. »Sie sehen meinen Käse an. Wenn Sie mittun wollen, – gerne. Oder haben Sie selber was, da in Ihrer Tasche?«

Der Jüngling schüttelte den Kopf.

»Nun, dann langen Sie zu! – Oder nein: das muss ja feiner gemacht werden. Da haben Sie die ganze Mahlzeit, und hier ist das Messer; – wenn Sie nicht lieber Ihr eigenes nehmen. Aber meins ist rein. Kurz, bedienen Sie sich, wie es Ihnen beliebt!«

»Ich danke Ihnen«, sagte der junge Mensch mit einer weichen, fast gerührten Stimme. »Ich – ich esse jetzt nicht.«

»Ist Ihnen mein Käse zu schlecht? – Oder bin ich Ihnen zu schlecht?«

»O nein; ganz und gar nicht. Wie können Sie das sagen. Ich esse nur nicht – weil ich keinen Hunger habe.«

»Sie haben keinen Hunger?«—

Der ›Plebejer‹ sah den ›Aristokraten‹ sehr verwundert an.

»Sie haben doch eben erst Eierkuchen essen wollen, – im Traum, mein’ ich. Und haben dann geseufzt. Und dann haben Sie auf meinen Käse einen Blick geworfen – einen Blick, dass mir sogleich der halbe Appetit vergangen ist! – Ja, ja!« setzte er hinzu, mit einem Lächeln, in dem wirklich Güte lag und das dieses knochige, harte Gesicht verschönte.

Der Blasse errötete.

»Ich hab’ also im Schlaf gesprochen?« fragte er.

»Ja freilich. Vom Essen. Und dann dieser Blick … Wie können Sie dann sagen, dass Sie keinen Hunger haben?«

Der Jüngling zuckte hilflos die Achseln. Er war noch schöner, als vorhin im Schlaf; auf den erröteten Wangen lag es wie hingemalte Rosenblätter, die nur allzu bald wieder verschwanden. Eine sonderbare Schwäche schien dann über seine feine, schlanke Gestalt zu kommen. Er sah sich um, wie nach einer Stütze, lehnte sich gegen seinen Ahornbaum und schloss flüchtig die Augen.

»Was haben Sie? – Fehlt Ihnen was?« fragte der andere.

»Das nicht«, erwiderte er sanft. »O nein!« —

Er raffte sich dann auf und suchte männlich gleichgültig zu lächeln:

»Ich muss Ihnen nur – — Ich hab’ Ihnen noch nicht einmal gedankt. Wie gut sind Sie. Das Wenige, was Sie haben, wollten Sie mit mir teilen. Und dabei – —«

Er sah an den einfachen, stark verbrauchten Kleidern des andern hinunter, und auf den abgetragenen schwarzen Rock, der im Grase lag.

»Dabei sind Sie wahrscheinlich kein Rothschild … Und mancher reiche Mann hätte nicht daran gedacht, gleich mit mir zu teilen!«

»Ja, die Reichen! Die Reichen!« murmelte der andre.

Er setzte dann lauter hinzu, mit einem Blick über die Achsel:

»Sie wissen ja, was die Bibel von den Reichen sagt. Eher wird ein Kamel – — übrigens, Bibel oder nicht: diesen Reichen wird man’s noch ganz anders sagen!«

Er hob seinen Knotenstock und schlug damit gegen die weiche Erde.

»Oder gehören Sie auch dazu?« sagte er dann mit einem kurzen Lachen. »Da oben – er deutete auf sein Gesicht – seh’n Sie nicht so aus; aber da unten: die Kleider und die Kette. Und meinen plebejischen Käse essen Sie ja doch nicht. Lieber hungern Sie. Einer ist wie der andre!«

»Da irren Sie sehr«, sagte der blasse Jüngling mit einem wunderbaren, schlicht überzeugenden Ton seiner weichen Stimme.

Überrascht sah der ›Plebejer‹ auf. Es war ihm, als hätte er einen jungen Christuskopf vor Augen; etwas, das ihn zum Lächeln reizte, aber dieses Lächeln ging dann in Erstaunen unter. Er hatte nie so einen Menschen geseh’n.

Die jungen, blauen Augen strahlten von Güte und Menschenliebe; in dem schrägen Blick, im Lächeln zeigte sich eine schwärmerische Erhebung der Gefühle, die nach Worten zu suchen schien, aber zu keusch war, um sich auszusprechen.

Die Schwäche, die ihn vorhin befallen hatte, schien verflogen zu sein. Er neigte sich etwas vor, sah seinen Reisegefährten ruhig an, und drückte sich den Hut in die weichen Locken.

»Inwiefern irr’ ich denn?« fragte der Grobknochige, nachdem er eine Weile gezögert hatte.

Der Jüngling bewegte die Lippen, antwortete dann aber nicht. Er warf einen Blick auf die Sonne, und verwunderte sich.

»Wie lange hab’ ich denn geschlafen?« sagte er, wie mit sich allein. Er sah auf die Uhr. Er schüttelte den Kopf.

»Nun, wie lange haben Sie denn geschlafen?« fragte der andre, der wieder seinen Käse anschnitt.

»Zwei Stunden, glaub’ ich; und mehr! – Das ist doch des Teufels!«

Der andre horchte hoch auf; es überraschte ihn, dass dieser Jüngling ›aus einer anderen Welt‹ auch so menschlich und natürlich den Teufel in den Mund nahm.

»Und ich weiß nicht einmal, wie ich eingeschlafen bin«, fuhr der junge Mensch fort. »Es kam so auf einmal – eine Art von Schwäche – kurz, ich wurde müde. Aber ich warf mich nur ins Gras, um einen Augenblick auszuruhen. – Und machte die Augen zu. Als ich sie wieder aufmachte, saßen Sie da und aßen; – und zwei Stunden lang hab’ ich fest geschlafen!«

»Und Sie hungerten im Schlaf«, setzte der andre hinzu. »Sie müssen schon erlauben, junger Herr, dass ich mir bei alledem etwas denke; ich bin auch nicht auf den Kopf gefallen. Da irren Sie sehr, sagten Sie vorhin. Und dazu haben Sie so ein – merkwürdiges Gesicht … Inwiefern irr’ ich denn?«

Der Jüngling hob den Kopf, wie um zu antworten, blieb aber wieder still.

»Wann haben Sie denn heute zuletzt gegessen, wenn ich fragen darf?«

»Heute?« – Der Jüngling lächelte und sah auf seine Füße, die er sacht, wie spielend, aneinander rieb. »Heute hab’ ich noch nicht gegessen.«

»Was? – Noch gar nicht?«

»Nein.«

»Und wann denn zuletzt?«

»Wozu fragen Sie? – Sie werden die ganze Sache komisch finden…«

»Nein«, sagte der andere trocken. »Ich werde die ganze Sache gar nicht komisch finden; das versprech’ ich Ihnen. Also wann aßen Sie denn zuletzt?«

»Vorgestern Abend – wenn Sie’s denn wissen wollen.«

»Nu, das ist mehr, als ich je geleistet habe! – Und was mich betrifft, ich tat’s unfreiwillig; aber Sie – — Sie sehen so aus, als hätten Sie’s nicht nötig. Als hätten Sie nur zum Spaß – —. Nein, nicht zum Spaß. Das ist ein dummes Wort; das passt nicht zu Ihnen. Warum haben Sie denn gehungert? – — Sagen Sie mir das nicht? Bin ich Ihnen zu schlecht gekleidet, oder sonst zu ordinär, um mich mit einer offenen Antwort zu beehren?«

Der Jüngling machte eine hastige Bewegung, seine sanften Augen blitzten. Er zwang sich aber wieder zur Ruhe, indem er mit der linken Hand langsam an sich hinunterstrich.

»Ich werd’s Ihnen also sagen … Aber so müssen Sie nicht reden. Was gehen Sie oder mich unsere Kleider an? Sie sind ein Mensch, ich auch. – Warum ich hab’ hungern wollen? Nun – um einmal zu fühlen, wie’s tut.«

»Und warum wollten Sie das? Ihnen kann’s ja genug sein, dass andre dazu verdammt sind.«

»Das ist ja eben der Jammer, dass es solche gibt! Und dass – — kurz, dass die einen mehr leiden als die andren; – und dass die andren so gern die Achseln zucken und sagen: das ist nun einmal so verteilt, was ist da zu machen! – Es wäre aber doch wohl etwas zu machen, wenn nur alle wollten. … Kurz und mit einem Wort: besser muss es werden. Das Glück soll zu allen kommen, alle sollen gleich sein. Und jeder muss dazu tun, was er kann!«

»Hm!« murmelte der andere. Er warf wieder einen staunenden, halb verblüfften Blick auf diesen sonderbaren Menschen. Dann stieß er scheinbar spöttisch oder unwirsch heraus: »Und darum haben Sie gehungert?«

»Nun ja!« sagte der junge Mensch, über sich selber lächelnd. »Nur so ein Versuch. … Um es nicht besser zu haben; und um mir’s wirklich vom Munde abzusparen, was ich andren gebe. Dass ich doch sagen kann: ich hab’ gefastet, damit ein anderer satt wird. – Was wollen Sie? Warum sehen Sie mich so grimmig an?«

»Seh’ ich Sie grimmig an? – Das wusst’ ich nicht. So hab’ ich’s nicht gemeint. Ich dachte nur —«

»Nun, was dachten Sie?« fragte der junge Schwärmer, da der andere stockte.

»Ich dachte nur: ist der wirklich lebendig? Solche Leute, meint’ ich, hätt’ es nur im Mittelalter gegeben. Herr, Sie sind also wirklich so einer? So ein Pelikan, der sein Blut für die andern hingibt —«—

»Nein, der tut’s nur für sein eigenes Fleisch und Blut. Das ist nichts Besondres.«

»Sie tun’s für die andern, für die, welche vor der Tür stehen. Darum auch dies Gesicht!«

»Was denn für ein Gesicht? – Was hab’ ich denn getan? Ich kann ja noch nichts. Ich erwerb’ ja noch nichts; bin ein Student, im ersten Semester, also ein halber Mensch. Während Sie – — Sie sind doch wohl auch noch jung; aber Sie leben gewiss nicht mehr aus des Vaters Tasche. Sie bringen sich selber fort. O lassen Sie mich erst auch so einer werden: dann – dann —«

Er sprach nicht zu Ende, weil auf einmal die innere Bewegung sich nicht mehr unterdrücken ließ und durch die Glieder ihren Ausweg suchte. Er hob die Arme, bewegte sie in der Luft – mit einer gewissen ungeschickten Anmut – und dehnte, tief atmend, die Brust. Seine Augen leuchteten, nach oben gerichtet. Der junge ›Plebejer‹ konnte nicht umhin, diesen schönen Schwärmer mit einer Art von Andacht anzustarren. Es rührte sich dabei auch ein Missgefühl, das ihm etwas in die Brust schnitt; er spürte es, ohne zu fragen, was es von ihm wolle.

»Nu, Sie wissen ja, ein Schelm tut mehr, als er kann!« sagte er nach einer Weile, fast brummig. »Wer für andere hungern kann, der kann wohl eines Tages noch mehr. Davon reden wir noch, wenn es Ihnen recht ist … Nun sollten Sie aber doch von meinem Käse essen; denn gefastet, mein’ ich, haben Sie nun genug!«

»Apage Satanas!« erwiderte der Jüngling lächelnd, mit einer abwehrenden Bewegung der Hand. – »Verzeihen Sie!« setzte er dann etwas verlegen hinzu.

»So viel Lateinisch versteh’ ich noch«, sagte der andre, der dies ›Verzeihen Sie‹ wohl begriffen hatte. »Ich bin auch eine gute Strecke weit durch die Schulen gelaufen; wenn ich auch als ein armer Hund im Handwerk stecken geblieben bin: Mechaniker, Kunstschlosser. Afinger ist mein Name Rudolf Afinger.«

»Berthold Wittekind«, erwiderte der Student mit einer Art von Verneigung.

»Nicht von Adel?« fragte der andre verwundert.

»Nein.«

»Ich dachte: wegen der Nase – und der feinen Hände … Also von meinem Käse wollen Sie nichts essen?«

»Nein, nein, nein; reden Sie mir nicht mehr zu. Eh’ ich meinen Vater nicht gesehen habe, will ich nichts mehr essen. Ich war etwas hungerschwach, das ist wieder vorbei. Es tut mir gut – inwendig, mein’ ich – noch etwas zu fasten. Und mein Körper ist stark, dauerhaft; viel zäher, als man ihm ansieht. Kommen Sie, wenn es Ihnen recht ist; geh’n wir wieder weiter.«

»Also Sie haben Lust, noch eine Weile in meiner Gesellschaft zu bleiben?« fragte der Kunstschlosser, wieder mit seinem irreführenden ›grimmigen‹ Gesicht.

»Ja, ich habe Lust. Kommen Sie Herr Rudolf Afinger!«

»Ich bin so frei, Herr Berthold Wittekind!«

Ein etwas spöttisch klingendes Lachen folgte diesen Worten. Afinger stieß den Rest von seinem Brot und Käse mit der Hand ins Gras – schon wieder mehr Aristokrat, als zu ihm gehörte – und stand langsam, sich reckend auf.

Der junge Wittekind war schon auf den Beinen. Die beiden Gestalten standen sich nun aufrecht gegenüber: die schlanke, feingebaute neben der untersetzten, kraftdurchwachsenen.

»Wo wollen Sie denn Ihren Vater seh’n?« fragte Afinger.

»In Grödig, an der neuen Bahn, denk’ ich ihn zu finden.«

»Da geh’n Sie also durch Anif; und bis Anif haben wir denselben Weg: von da will ich auf der Bahn nach Salzburg zurück. Denn in Salzburg wohn’ ich jetzt. Als Mechaniker – und Weltverbesserer. … Denn ich bin auch so einer wie Sie: ich will die Welt auch nicht so lassen, wie sie ist; will sie anders machen. Aber auf meine Art; nicht so sanft wie Sie!«

»Was verstehen Sie unter Ihrer Art?« fragte Berthold arglos.

Der Mechaniker sah ihn, während sie schon ausschritten, von der Seite an; offenbar mit sich uneinig, wieviel er diesem jungen ›Idealisten‹ im ersten Anlauf davon verraten solle. Nach einem leisen Summen antwortete er:

»Na, es ist ja gewiss eine schöne Sache, wenn dieser und jener aus reiner Menschenliebe – so, wie Sie – für die Elenden, die Unterdrückten, die Sklaven etwas opfern will; ich bin gar nicht verknöchert, Herr, ich weiß das zu schätzen. Aber so ein paar Tropfen höhlen nicht den Stein! Sie können sich als Pelikan ganz zu Tode bluten, die Welt bleibt doch so schofel, wie sie ist. Die, welche etwas haben, wollen’s auch behalten; so freiwillig wie Sie geben sie’s nicht her. Darum muss man nachhelfen! Und dann muss man eine solche Ordnung machen, dass dieses Unkraut von Blutsaugern, Prassern und Selbstvergötterern nicht wieder nachwachsen kann!«

»Wie meinen Sie das?« fragte Berthold.

Der andre antwortete nicht; er zog nur die Achseln.

»Nun, wie war Ihnen gestern und heute beim Fasten?« fragte er dann zurück.

»Wie mir war?« – Berthold lächelte: »Gut war mir nicht. So krampfig. So hohl. … Und so wenig Leben im Kopf; bis die Phantasien kamen, die nicht enden wollten. Phantasien vom Essen und vom Trinken, mein’ ich.«

»Grausame Phantasien! Und beneideten Sie nicht all die andern, die was essen konnten?«

»Wie sollt’ ich sie denn beneiden? Ich tat’s ja, damit andre essen konnten. Wenn ich unterwegs ein paar alte Leute, die nach Armut aussahen, oder ein zerlumptes Kind sah, die führt’ ich zum nächsten Wirtshaus, ließ ihnen zu essen geben, und sah ihnen zu. Es tat mir weh und wohl. Wunderbar tat’s wohl; eben weil’s auch wehtat. Es gab mir so eine sichere Kraft, fröhlich auszuhalten!«

»Aber kam Ihnen nicht die Wut auf die andern, die es nicht so machen, die sich übersatt fressen und uns hungern lassen?«

»Wut? – Ich dachte mehr: wenn ihr wüsstet, wie so ein Opfer wohltut, ihr ließet euer Schlemmen sein und tätet mir’s nach!«

»Können Sie denn nicht hassen, Herr?« fragte Afinger etwas ungeduldig, den Stock heftiger aufstoßend.

»O ja; ein edler Hass ist auch eine gute Sache. Aber der Hass kann doch nur vernichten; und nur die Liebe kann aufbauen.«

Afinger lachte kurz auf.

»Meinen Sie? Kann die Liebe das? – Herr Wittekind, Sie sind sehr jung. Nehmen Sie’s nicht übel. Da will ich Ihnen doch gleich zeigen, wie diese schofle Welt beschaffen ist, und was darin zu tun ist! – Seh’n Sie nur einmal auf; Sie haben noch gar nicht bemerkt, wo wir sind, Sie in Ihren idealen Gedanken. Das ist der Park von Anif; und das ist das Schloss. Da wohnt auch so einer von den großen Herrn, denen unser Schweiß Milch und Honig ist, die sich’s wohl sein lassen!«

Sie waren einen Fußweg gegangen, der durch das gepflegte Baum- und Wiesenland in den eigentlichen Schlossgarten von Anif geführt hatte. In einem kleinen See, den herrliche alte Bäume umstanden, lag das Schloss wie eine alte Burg, vom regungslosen Wasser umflossen, durch eine Brücke mit dem Land verbunden, und spiegelte seinen Turm, seine Zinnen, die das Sonnenlicht übergoldete, in der verklärenden Flut. Berthold blieb betroffen stehen, mit einem Ausruf der Bewunderung.

»Wie schön das ist!« sagte er in jugendlicher Freude.

»Ja, ja!« murmelte Afinger. »So sagt ihr immer, ihr geschulten Herren und gebildeten Damen: wie schön das ist! – Wer hat’s denn so schön gemacht? Die ›Stiefkinder der Natur‹ – so nennt man sie ja – die ihr Dasein verwünschen. Tausend leiden für einen! Millionen für Tausend! Die Tausend aber sagen dann: die Welt ist schön, und der Mensch ist groß! – Da seh’n Sie zum Beispiel diese Buche an; die Blutbuche hier mein’ ich. Wie groß, und wie schön gewölbt! Was? Und so ‘ne richtige Blutbuche, über und über blutrot. Nun treten Sie aber gefälligst zwischen den hängenden Ästen durch, stellen Sie sich an den Stamm, wie ich. So. Was seh’n Sie nun? Seh’n Sie ein rotes Blatt? All die Blätter da, rund um Sie her und über Ihnen – zu denen die Sonne nicht durchkommt; die ›Stiefkinder der Natur‹ – sind sie nicht alle grün geblieben? Alle?«

Berthold erstaunte sehr: Afinger hatte Recht. Er sah nur dunkelgrüne, wenn auch rot gerippte, Blätter, wohin er auch sah. Dass er unter einer ›Blutbuche‹ stünde, wäre ihm vermutlich nicht in den Sinn gekommen, wenn er’s nicht gewusst hätte.

»Nun, und wenn Sie draußen steh’n«, fuhr Afinger fort, indem er wieder heraustrat, – »was sagen Sie dann? Dann sagen Sie wie alle andern: das ist eine Blutbuche und hat rote Blätter! So ist alles Betrug, Herr! In der Natur wie bei uns! – Kommen Sie, ich will Ihnen noch so einen Prachtbaum zeigen…«

Er ging voran, zu einem gewaltigen Kastanienbaum, der sein dichtes Laub in herrlicher Rundung ausgebreitet hatte.

»Bitte, treten Sie auch hier gefälligst unter, seh’n Sie drinnen um sich! Seh’n Sie überall hinauf!«—

Berthold tat es und war überrascht: so viele verkümmerte, gelbe, herbstlich vergehende Blätter zeigten ihm ihr trauriges, verborgenes Dasein, im Innern dieser entzückenden Laubkrone.

»Nicht wahr«, rief Afinger aus, »da sagen Sie nicht, ›wie schön das ist!‹ – Und so ist’s bei den andern Bäumen auch, überall; treten Sie unter welchen Sie wollen. Glauben Sie auch nicht, weil wir ›Juli‹ schreiben, erst die Sommerhitze hätte das gemacht; das war schon im Mai so. Herr, so ist’s auch bei uns! Alles ungerecht! Die einen haben alle Sonne, die andern nicht einen Strahl. Die einen grünen und gedeihen vom ersten bis zum letzten Tag, die andern kommen schon als elende, kranke Blätter auf die Welt. Warum? Weil ihnen die andern alle Sonne nehmen. Das ändert man nicht mit der ›Liebe‹, Herr! Da muss was anderes helfen!«

»Und was soll man denn tun?« fragte Berthold nachdenklich.

»Was? Luft und Licht schaffen! Die zu üppigen Zweige weghauen, damit die ›Stiefzweige‹ auch ihre Sonne kriegen!«

»Die edlen Bäume verstümmeln?«

»Ah bah!« rief Afinger mit seiner harten, schneidenden Stimme. »Was liegt daran! – In den Ofen mit ihnen, wenn nicht Licht wird für alle!«

Berthold erwiderte nichts. Er sah in das Gesicht des andern, das sich gerötet hatte, und fühlte sich von einem heißen, fanatischen Glanz in dessen Augen getroffen, der in ihm selber etwas gefrieren machte. Dennoch fesselte ihn dieses harte, grob geformte, aber schwärmerisch vergeistigte Gesicht. ›Ein Kunstschlosser‹, dachte er, ›und mit was für Augen sieht er in die Welt, mit was für einem Herzen eifert er für die „Stiefkinder der Natur“. Was tut denn ihr, ihr Gebildeten? Ihr Reichen? Ist der da mit dem Knotenstock nicht hundertmal mehr als ihr? Er hasst euch, er will euch zu Boden drücken; aber wer ist daran schuld?‹

Berthold trat schweigend unter dem Baum hervor und ging langsam weiter. Das Elend der Welt lag ihm schwer auf dem jungen Herzen. Auch der andere schwieg, und forschte nur von der Seite in dem rosig angehauchten, erregten Antlitz. Sie gingen in gleichem Schritt nebeneinander her.

»Dass Sie mich nur auch recht versteh’n«, sagte Afinger endlich, indem er seinen Stock langsam, von Zeit zu Zeit, durch die Luft niedersinken ließ. »Für mich will ich nichts! Ich kann mein Handwerk und ich hab’ mein Brot. Ein Schloss wünsch’ ich mir nicht. Ehrgeiz hab’ ich nicht. Ich kann’s nur nicht ruhig mit ansehen, dass die Welt verkehrt steht; und wenn ich einsehe: damit sie richtig wird, muss man sie auf den Kopf stellen, – so stell’ ich sie auf den Kopf! – Jetzt nur in Gedanken, versteht sich – aber von ganzem Herzen. Und das tun Sie auch, Herr, oder – nehmen Sie’s nicht übel – oder Ihre ganze Menschenliebe ist nur Kinderei! Alte Weiber gibt’s – von beiderlei Geschlecht – die wimmern und winseln so von der Menschenliebe, und stricken Strümpfchen oder schmieren Traktätchen, und legen sich dann zufrieden aufs Ohr und auf ihr ›gutes Gewissen‹. Zu diesen frommen Missgeburten gehören Sie ja doch nicht. Sie mit Ihrem feinen Gesicht, Sie haben das Feuer in sich, das den Märtyrer macht. Oder wären Sie nicht ganz bereit dazu, für Ihre armen, unterdrückten Brüder sich aufzuopfern? Für eine große Sache zu sterben?«

Berthold begann vor Erregung leise am ganzen Körper zu zittern.

»Ob ich das möchte!« sagte er nur, weiter nichts.

Seine blassen Wangen erglühten.

»Ich wusst’ es ja«, entgegnete Afinger. »Es gibt Leute genug, die uns ausholen, die uns täuschen wollen; aber Sie können nicht täuschen. In Ihnen – — in Ihnen steckt etwas Großes, glauben Sie mir das; wenn Sie nur nicht zu sanft und fromm bei der ›Liebe‹ bleiben. Ich hab’ einmal ein Bild vom heiligen Georg geseh’n, wie er den Lindwurm tötet; er sitzt zu Pferd, mit seinem langen Spieß; – der hatte auch so ein junges, feines, sonderbar schönes Gesicht. Nu ja, warum soll ich’s nicht sagen; ’s ist die reine Wahrheit; schmeicheln tu’ ich nicht. Aber der schöne Jüngling, der Georg, fackelte nicht lange, er stieß dem großen Ungeheuer, dem Drachen, dem Weltscheusal seinen Speer in den Leib!«

»O, ich wollte wohl«, sagte Berthold, dem die Stimme vor Bewegung stockte. »Große Dinge müssen geschehen, das weiß ich. Schonen würd’ ich mich nicht!«

»Nun also!«

»Aber was soll man tun?«

Afinger blieb steh’n. Mit beiden Händen auf seinen Stock gestützt sah er dem Jüngling so fest und scharf in die Augen, dass dieser sich anstrengen musste, den Blick auszuhalten.

»Das könnt’ ich Ihnen sagen«, fing er dann langsam an. »Aber jetzt – — jetzt sind Sie erschöpft von dem langen Fasten; und Sie wollen zu Ihrem Vater nach Grödig, und ich muss nach Salzburg. Wie lange bleiben Sie in dieser Gegend, Herr Wittekind?«

»Ich weiß es noch nicht. – Nach Salzburg komm’ ich ganz gewiss zurück.«

»Wollen Sie mich da besuchen, Herr? Und noch so ein paar Schwärmer und Lindwurmtöter bei mir kennenlernen? Junge Kerle von Herz, die Mark in den Knochen haben?«

»Wo wohnen Sie?« fragte Berthold.

»Am Kapuzinerberg; aber auf der Nordseite, an der Straße nach Ischl.«—

Er beschrieb ihm das Haus genau. —

»Eine kleine Bude, mein Zimmer; ich gehör’ ja eben auch zu den ›Stiefkindern‹. Würden Sie kommen, Herr?«

»Ganz gewiss. Da haben Sie meine Hand!«

»Teufel, ist das eine feine Hand«, sagte Afinger lächelnd, indem er sie mit seiner derben, rauen Faust eine Weile umschlossen hielt. »Aber das tut nichts; Sie haben das Herz auf dem rechten Fleck. Wie der Sankt Georg. Also ich zähl’ auf Sie! Jeden Abend in dieser Woche, gegen sieben Uhr, träfen Sie mich gewiss.«

»Ich komme!«

»Nun, dann leben Sie wohl. Da geht Ihr Weg weiter gegen Grödig; dort liegt’s. Eine gute Viertelstunde, wenn Sie ausschreiten; – ich wundre mich nur, dass Sie nach diesen Hungertagen noch so rüstig sind. Ja, ja, es ist Kraft in Ihnen. Mein Weg geht hier rechts zur Bahn. Sie müssen aber heute noch essen; lieber Herr, Sie seh’n doch erbärmlich aus. Sie können Besseres tun, als fasten; und Sie werden es tun! Adieu!«

Er gab ihm noch einmal die Hand, und nickte ihm zu, mit einem wirklich warmen, herzlichen Blick. Dann lüftete er höflich den Hut. Im nächsten Augenblick ging er mit großen Schritten nach rechts auf das Schienengeleise zu, auf dem eben vom Gebirge her ein Bahnzug heranrollte.

Berthold sah ihm noch eine Weile nach; darauf schritt er auch seines Weges weiter. Eine Art von Nebel lag ihm vor den Augen, ein Gefühl von Taumel im Hirn; war es nur die Hungersschwäche, die ihm wieder fühlbar ward, oder auch die Erregung, die Nachwirkung dieses merkwürdigen Gesprächs? Seine Füße gingen nicht sicher, und darum desto hastiger. ›Sankt Georg!‹ dachte er; und mit halblauter Stimme sagte er dann mehrmals, wie von einer gewissen Freude trunken, vor sich hin: »Sankt Georg! – Ja, etwas Großes tun; etwas tun für die arme Menschheit; sich zum Opfer bringen…«

Er suchte den stechenden, wühlenden Schmerz nicht zu fühlen, der sich in ihm rührte. Er bemühte sich, über diesen neuen Menschen, diesen Afinger nachzudenken, sich ein klares Bild von dessen Seele zu machen: was war er denn eigentlich, dieser derbknochige, harte, aufgeregte, dann kalte, dann schwärmerisch bewegte Mensch? War er edel? Gut? Verbittert? Rücksichtslos revolutionär? – Sein junger, unerfahrener Kopf, jetzt von diesem Taumel durchwogt, konnte die Fragen nicht lösen, die Gestalt nicht fassen. Die Sonne, die ihm gegenüberstand, glühte ihm so blendend in die umnebelten Augen; er zog sich den Hut tiefer in die Stirn und schwankte eilig auf der ebenen Straße hin.

Auf einmal war ihm, als spüre er die Nähe seines Vaters, des geliebtesten aller Menschen, und eine selige Empfindung ging ihm durch die Brust. Er fühlte keinen Schmerz, keine Schwäche mehr; er fing an zu singen. Dann war ihm, als höre er seines Vaters Stimme. Er sang lauter, wie toll, wie ein Trunkener. So kam er an den ersten Häusern vorbei, kam um die Ecke, und plötzlich lag er in Vater Wittekinds Armen.

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