Kitabı oku: «Das kleine Dummerle», sayfa 4

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Greiner nahm diese Anfrage schwer auf. Ihn drückte ohnedies die Sorge für seine Familie; es war kein Brot übrig und war kein Platz frei für ein weiteres Familienglied. Er war kränklich und schwach und wollte sich keine neue Lasten aufbürden, die alte drückte ihn schon schwer genug. Aber seine Frau sah’s anders an. »Wir nehmen das Mädchen,« sagte sie, »die Große, die Siebenjährige. Bedenk doch nur den Nutzen! Ein Bett hat sie, denn in reichen Familien hat jedes ein Bett, das muß sie mitbringen, da kann unsere Marie bei ihr schlafen, denk nur die Wohltat. Und dann die Arbeit, die sie tun kann! Sieben Jahre, wahrscheinlich bald acht, gleich kann sie Bälge füllen und jedes Jahr verdient sie mehr. Und dann bedenk doch, es sind doch deiner Schwester Kinder!«

Vater Greiner wurde ganz überstimmt, denn auch die Kinder stellten sich auf der Mutter Seite, Marie vor allem freute sich bei dem Gedanken an eine große Schwester. Aber wenn er auch nicht mehr viel sagte, es lag ihm doch schwer auf der Seele, und oft mußte ihn seine Frau in den nächsten Tagen drängen, bis endlich ein Brief nach Köln abging, in dem sich Greiner bereit erklärte, Edith, das siebenjährige Töchterchen, aufzunehmen. Gleich darauf kam der dritte Brief aus Köln. Er war von der Hand eines jungen Mädchens geschrieben, das als Kinderfräulein in der Familie Langbeck diente, und gerichtet an Frau Greiner. Sie teilte mit, daß Edith, schon ehe Greiners Brief angekommen war, eine freundliche Unterkunft gefunden habe, nicht so die Knaben. Sie bitte nun im Einvernehmen mit dem Vormund herzlich, statt Edith das jüngste Knäblein, den kleinen Alex, aufzunehmen. »Es ist ein goldiges Kind,« schrieb das Fräulein. »Es war unser aller Liebling; ich mag gar nicht daran denken, daß ich mich nun von ihm trennen muß, und ganz gewiß werden auch Sie und Ihr Herr Gemahl die größte Freude an ihm haben, und er wird herrlich gedeihen in der köstlichen Luft des Thüringer Waldes. Ich bin im Begriff, in meine Heimat zu reisen, komme nahe an Thüringen vorbei und wurde von dem Vormund der Kinder gebeten, Ihnen den Kleinen zu übergeben. So bringe ich Alex, wenn Sie nicht abtelegraphieren, schon übermorgen. [*] Unter Soxhlet versteht man eine Vorrichtung zum Kochen der Milch für kleine Kinder. Alex ist mit Soxhlet[*] aufgezogen, ich bringe diesen deshalb auch mit. Wenn Sie dadurch auch mehr Mühe haben, wird es doch für die ersten Wochen, bis der Kleine eingewöhnt ist, gut sein.« Der Brief war unterschrieben: »Elisabeth Moll, Kindergärtnerin.«

Frau Greiner hatte den Brief vorgelesen. Bei dem Wort »Soxhlet« stockte sie, das Wort hatte sie noch nie gelesen. »Wen bringt sie mit?« fragte Greiner. »Den Soxhlet bringt sie mit; das muß der größere Bruder sein, der vierjährige, der wilde, von dem sie neulich geschrieben haben.«

»Soxhlet, den Namen habe ich aber noch nie gehört,« sagte Greiner. »Die vornehmen Leut’ haben immer so tolle Namen«, meinte die Frau. »Alex steht gerade so wenig im Kalender, und Edith heißt bei uns auch niemand. Es kann auch gar niemand anders sein, als der größere Bub, sie schreibt ja, das Mädchen habe eine Unterkunft gefunden, aber die Buben nicht. So schicken sie halt beide zu uns, das ist eine schöne Bescherung!«

Diesmal war sogar Frau Greiner besorgt, wie das gehen solle, und große Bestürzung herrschte in der Familie. Vater Greiner war ungehalten. »Mir kommt’s auch gar nicht recht vor, wenn man schreibt, man wolle ein Mädchen und man schickt einem dann zwei Buben! Man hätt’s nicht tun sollen, und wenn’s auch meiner Schwester Kinder sind!«

»Wer weiß, ob sie nur Betten mitbringen,« sagte Frau Greiner. »Kinder, da dürft ihr euch schmal machen.«

»Wie heißt der Böse, Mutter?« fragte Marie.

»Soxhlet heißt er.«

»Bei wem schläft der? Vor dem fürcht’ ich mich, gelt, den legst nicht zu mir?«

»Der kommt ja nur für ein paar Wochen,« sagte die Mutter.

»Ja, wenn das nur wahr ist,« sagte Greiner. »Wenn ihn aber niemand abholt, dann bleibt er halt an uns hängen, auf die Straße kannst ihn doch nicht setzen.«

»Du meine Güte, du denkst auch gleich ans Schlimmste,« rief Frau Greiner. »Das wär doch gar zu arg. Es ist schon der Kleine schlimm, der schreit noch bei Tag und Nacht, und das ist noch das ärgste, wenn man nicht einmal seine paar Stunden Nachtruh’ hat. Aber auch noch so einen Wilden dazu, der die Sägspäne verstreut oder deine Köpfe umstößt, so einen können wir nicht brauchen. Weißt noch, wie der Lehrer einmal so Kostbuben gehabt hat? Gleich ist der eine zum Täuflingsmacher und hat das Papiermasché umgeworfen! Jetzt rechne nur einmal die Kosten!«

»Sie schreibt doch etwas vom abtelegraphieren; kann man das nicht telegraphieren, daß sie den Soxhlet nicht mitbringen sollen?«

»Wenn’s halt nicht recht teuer ist, so ein Telegramm nach Köln.«

»Man könnt’ ja fragen, was es kostet.«

»Jedes Wort wird da gerechnet, bis du nur überschreibst: an Fräulein Elisabeth Moll in Köln am Rhein, äußere Ringstraße Nr. 5, hast schon – zähl’ einmal – hast schon zehn Wörter und steht noch nichts vom Soxhlet darin. Dann, so barsch möcht’ ich auch nicht sein, daß ich nur schreibe, sie sollen ihn nicht mitbringen, man müßt’ doch auch erklären, warum. Wieviel gäb’ das Wörter! Das geht nicht in ein Telegramm.«

»Und zum Brief ist’s zu spät?«

»Ja, zu spät.«

Jetzt wurde es ganz still im Zimmer. Vater Greiner bückte sich wieder über seine Arbeit wie immer, nur sah sein abgemagertes Gesicht noch sorgenvoller aus, als sonst, und auch Frau Greiner hatte nicht ihren gewohnten fröhlichen Ausdruck. Marie hatte sich gefreut auf die Genossin, nun kamen statt ihrer kleine Buben, von denen hatte sie schon vorher genug. So machte auch sie ein betrübtes Gesicht, während sie die Puppenbälge mit Sägspänen ausstopfte, und es lag eine rechte Mißstimmung über der ganzen Familie. Aber nach einem kleinen Weilchen erschien schon wieder ein heiterer Zug auf dem Gesicht von Frau Greiner, und indem sie nach ihrem Mann hinsah, sagte sie: »So hat dich wohl niemand genannt, ›mein Herr Gemahl!‹« und sie lachte und die Kinder auch. »Was wohl das Fräulein, wenn sie kommt, für Augen macht, wenn sie meinen Herrn Gemahl sieht in seinem großen Schurz voll Papiermaschétropfen und in seinem verflickten Kittel? Ich meine, die stellen sich alles viel nobler bei uns vor, weil sie doch auch immer an den Herrn Fabrikbesitzer schreiben. Die denkt nicht, daß du nur ein Drücker bist und bei uns alles so armselig ist.«

Ja, damit hatte Frau Greiner richtig geraten. Fräulein Elisabeth Moll, die seit einem Jahr in der Familie Langbeck treue Dienste leistete, hatte sich eine ganz falsche Vorstellung von der Familie Greiner gemacht. Frau Langbeck hatte von ihren Verwandten in Thüringen nur einmal gesprochen. »Mein Bruder,« hatte sie gesagt, »verfertigt solche Puppen, wie Edith hier eine hat. Auch mein Vater hat sich schon damit abgegeben.« Da nun Herr Langbeck Besitzer einer großen Fabrik war, so hatte sich das Fräulein unwillkürlich Herrn Greiner als den Besitzer einer eben so großen Puppenfabrik vorgestellt, und weil in der Familie Langbeck alles hübsch und vornehm eingerichtet war, so machte sie sich auch vom Haus Greiner ein solches Bild. Sie war es, die den Vormund auf diesen Bruder der Frau, auf den Fabrikbesitzer Greiner, aufmerksam gemacht hatte. Der Vormund fühlte sich sehr erleichtert, als sich eine anscheinend so günstige Aussicht für einen seiner kleinen Pflegebefohlenen eröffnete. Er war nicht allzu gewissenhaft, hielt es nicht für nötig, sich näher nach den Thüringer Verwandten zu erkundigen, noch auch mit ihnen persönlich in Briefwechsel zu treten. Im Vertrauen auf das bewährte Kinderfräulein beauftragte er dieses, bei der Familie Greiner anzufragen, und als kein absagendes Telegramm eintraf, wurden die Reisevorbereitungen getroffen.

In einen Reisekoffer packte das Fräulein die ganze niedliche Aussteuer des Kindes: all die spitzenbesetzten Hemdchen, die gestickten Kleidchen und die feine Bettwäsche. Den Kleinen kleidete sie mit besonderer Sorgfalt an, damit er den Verwandten einen guten Eindruck mache. In den Güterwagen wurde des kleinen Reisenden Korbwagen gestellt, daß er bei Ankunft in Thüringen sein gewohntes Bett gleich fände. So trat das junge Mädchen die Reise an, froh, das Haus verlassen zu dürfen, dessen Zusammenbruch sie miterlebt hatte, und in der besten Zuversicht, für ihr geliebtes Pflegekind treu gesorgt zu haben.

Der kleine Alex lachte fröhlich, als die Fahrt begann. Er wußte nicht, was dieser Tag für sein Leben bedeutete. Ahnungslos ließ er sich aus dem Haus des Reichtums und Wohllebens in die Stätte der Armut und Not versetzen.

Die ganze Nacht hindurch und den folgenden Morgen dauerte die Reise. Sonneberg war die letzte Station; hier mußte Elisabeth die Bahn verlassen. Der Korbwagen wurde ausgeladen, der schlafende Kleine liebevoll hineingebettet und nun stand sie da und sah sich um. Sie hatte sicher gehofft, hier abgeholt zu werden und wartete, sich umsehend, eine gute Weile. Es mußte für Herrn Fabrikant Greiner oder seine Gemahlin ein leichtes sein, sie und ihr zukünftiges Pflegekind aufzufinden.

Ach, sie wartete vergeblich. Greiner und seine Frau saßen an der Arbeit wie immer; keinem wäre auch nur der Gedanke gekommen, einen Arbeitstag zu versäumen, selbst wenn sie genau die Ankunftszeit der Reisenden gewußt hätten. Aber nun sah Fräulein Elisabeth jemand, der ihr als Wegweiser dienen konnte. Am Bahnhof standen wartend zwei Frauen. Die trugen eine große »Schanze«, einen flachen Korb, in dem wohl ein halbes Hundert Puppen dicht aneinandergeschichtet lagen, lauter Puppen, in Hemden und Häubchen, offenbar frisch aus der Fabrik – gewiß aus der Fabrik von Herrn Greiner, dachte das Fräulein. Sie ging auf die beiden Frauen zu und fragte, ob sie aus der Fabrik von Herrn Greiner in Oberhain kämen. Nein, daher kamen sie nicht, wußten auch nichts von dem Namen; aber das Dorf Oberhain war ihnen wohlbekannt und auch, daß heute kein Postwagen mehr dorthin ging. So erkundigte sich das junge Mädchen nach einem Gasthaus und bat dort um einen Wagen, der sie mit dem Kleinen sofort nach Oberhain fahren könnte. Ein solcher fand sich auch, groß genug, daß hintenauf der Korbwagen gepackt werden konnte, und Elisabeth stieg mit Alex ein, froh, endlich so weit zu sein. »Wo soll ich halten in Oberhain?« fragte der Kutscher.

»Bei Herrn Fabrikbesitzer Elias Greiner,« sagte Elisabeth, »die Wohnung kennen Sie ja wohl?« Nein, er kannte sie nicht, er war schon oft in Oberhain gewesen, hatte aber nie eine Fabrik bemerkt. Er wollte sie aber schon erfragen. Nun ging’s vorwärts, zuerst flott und rasch durchs Städtchen, dann langsamer die aufwärts steigende Straße hinan, rechts Wald, links Wald, ein herrlicher Anblick für die Städterin. Die köstliche Waldluft strömte herein, Elisabeth war in glücklichster Stimmung.

»Mein kleiner Schatz,« sagte sie zu dem schlummernden Kind, »gelt, ich habe dir eine schöne Heimat ausfindig gemacht, wie wirst du da rote Bäckchen bekommen, mein Liebling – aber Papa und Mama können sich nicht mehr darüber freuen, armer Schneck!«

Als die ersten Schieferhäuschen von Oberhain auftauchten, fuhr der Kutscher langsamer, wandte sich zurück und rief in den Wagen: »Wie soll die Fabrik heißen?«

»Elias Greiner.« Ein paar Schulkinder kamen des Wegs. »He,« rief der Kutscher sie an, »wo ist die Fabrik von Elias Greiner?« Die sahen sich an und kicherten und ein Junge sagte: »Bei uns im Dorfe ist keine Fabrik.« Fräulein Elisabeth wurde ängstlich. »Das kann ich nicht begreifen,« sagte sie. »Ich weiß aber gewiß, daß der Name richtig ist, wir haben erst vorige Woche so überschrieben und Antwort erhalten.«

»Wir wollen’s schon herausbringen,« sagte der Kutscher, »es heißt sich mancher Fabrikant, der keine Fabrik hat.« Er trieb die Pferde an, daß sie rasch durch die Dorfstraße fuhren bis ans Wirtshaus. Bei dem Geräusch des vorfahrenden Wagens trat der Wirt unter die Türe. Die Kutsche hielt, der Kleine wachte auf und fing an zu weinen. Neugierig sammelten sich einige Leute um die Kutsche, während der Kutscher vom Bock aus mit dem Wirt Beratung hielt. Elisabeth verstand nicht genau, was die beiden im Thüringer Dialekt miteinander verhandelten, aber sie hörte, wie der Wirt dem langsam Davonfahrenden nachrief: »Es kann gar kein anderer gemeint sein, als der Drücker Greiner; keiner sonst heißt Elias.«

Und nun ging’s noch ein Stück langsam weiter, die Dorfstraße wurde enge, ein Häuschen kam zum Vorschein mit einem halb zerfallenen Bretterzaun, über und über mit blassen Puppenköpfen ohne Augen besteckt – vor dem hielt der Kutscher, sprang vom Bock, öffnete den Schlag und sagte: »So, jetzt haben wir die Fabrik!« und sich dem Fenster zuwendend, wo Maries Kopf erschien, rief er: »Wohnt da der Elias Greiner?« Der hatte schon den Wagen halten hören, und nun kamen sie alle heraus: Voran die Frau, dann die Kinder, barfüßig alle, der Johann in bloßem Hemdchen, zuletzt der Mann. Ach, dem Fräulein wurde so weh ums Herz – das sollte die Fabrik sein, der Fabrikant! Ärmlichere Gestalten hatte sie kaum je gesehen! Noch hoffte sie, es möchte ein Irrtum sein, aber nun kam Greiner dicht heran, sah das Kind auf dem Arm des Fräuleins, betrachtete bewegt das liebliche Gesichtchen und sagte: »Das ist also meiner Schwester Kind!« »Ja,« sagte Elisabeth, aber unwillkürlich blieb sie dicht am Wagen stehen – keinen Schritt machte sie auf das Haus zu.

Frau Greiner fand bestätigt, was sie sich schon gedacht hatte – das junge Mädchen war enttäuscht über das, was sie vor sich sah, bitter enttäuscht. Sprachlos und ratlos stand sie da, das Kind fest an sich drückend. Frau Greiner war nicht gekränkt darüber, das junge Mädchen dauerte sie. »Kommen Sie nur herein, Fräulein,« sagte sie, »das Kind ist ja noch so klein, das merkt den Unterschied noch gar nicht. Gelt du, Kleiner, gelt du bist froh, wenn du nur etwas zu essen bekommst?« Freundlich blickte sie das Kind an und dieses lächelte wieder, und ehe sich’s Elisabeth versah, hatten diese ärmliche Mutter und dieses schön geputzte Kind die Arme nacheinander ausgestreckt und lachend trug Frau Greiner den kleinen Alex ins Häuschen.

Ihr folgten die Kinder, die bewundernd auf den neuen Ankömmling sahen, während Greiner half, den Koffer abzuladen, und Elisabeth den Kinderwagen richtete. Es war ihr schon ein wenig leichter ums Herz, hatte sie doch ihren kleinen Pflegling in Mutterarme übergeben. Sie folgte ins Zimmer. Da freilich war eine Hitze, ein Dunst und Geruch, daß sie nicht glaubte, bleiben zu können. »Sie haben Feuer an diesem heißen Tag?« fragte sie.

»Das bringt eben das Geschäft mit sich,« sagte Greiner und deutete auf seine Arbeit.

Jetzt aber sprach Frau Greiner die Frage aus, die allen längst auf den Lippen lag: »Haben Sie den Soxhlet nicht mitgebracht?«

»Doch,« sagte Elisabeth, »ich werde ihn gleich hereinholen, er ist draußen im Koffer, ich will nur zuerst dem Kleinen das Reisekleidchen abnehmen.« Greiner und seine Frau warfen sich vielsagende Blicke zu, sie wußten nun, daß Soxhlet kein menschliches Wesen war. Nicht so die Kinder. Für sie war die ganze elegante Erscheinung des Fräuleins mit dem Kind, der schöne Korbwagen, der feine Lederkoffer so wunderbar, daß es ihnen auf ein Wunder mehr auch nicht ankam, und sie glaubten nicht anders, als daß der wilde Soxhlet im Koffer eingesperrt sei. Neugierig schlichen sie miteinander hinaus in den kleinen Vorplatz, wo der Koffer abgestellt worden war. Marie blieb vorsichtig in einiger Entfernung stehen, Philipp aber trat näher.

»Bleib da!« rief die Schwester ängstlich und leise, daß es der Soxhlet nicht hören sollte. Als sich aber der unheimliche Koffer ganz still verhielt, wurden die Kinder kecker. Sie kamen nahe heran, Philipp wagte sogar mit dem Fuß einen Stoß gegen den Koffer, sprang aber dann doch vorsichtig zurück. »Hast nicht gehört, wie er gebrummt hat?« sagte Marie, »paß auf, daß er nicht herausfährt. Der muß doch arg bös sein, daß er so eingesperrt wird!«

Jetzt kam Fräulein Elisabeth mit dem Kofferschlüssel heraus, kniete nieder und schloß auf. Die Kinder blieben ängstlich und fluchtbereit in der Ferne stehen, wunderten sich, daß ihre Mutter so ruhig herantrat, und dann waren sie halb beruhigt, und doch halb enttäuscht, als der Deckel aufgehoben wurde und lauter harmlose Dinge, Kleidungsstücke und Wäsche hervorkamen. »Und da ist der Soxhlet,« sagte das Fräulein und vor den erstaunten Augen der Umstehenden zog sie ein Blechgestell mit einer Anzahl leerer Fläschchen heraus, ein Ding, so harmlos und unschuldig wie nur möglich, so daß die Kinder sich verblüfft ansahen. »Das ist der Soxhlet?« sagte Frau Greiner und machte dabei ein nicht eben geistreiches Gesicht.

»Sie haben sich den Soxhlet vielleicht anders vorgestellt,« sagte das Fräulein. »Ich will Ihnen gleich die Behandlung erklären. In der Berliner Anstalt, wo ich als Kindergärtnerin ausgebildet wurde, hat man uns so gelehrt: ›Um die Milch keimfrei zu machen, wird sie in die Fläschchen gefüllt, die mit durchlochter Gummiplatte bedeckt und in den Blechtopf voll kochenden Wassers gestellt werden, woselbst man sie fünf Minuten kochen läßt. Danach werden die Fläschchen durch Glaspfropfen geschlossen und die Milch noch eine halbe Stunde gekocht.‹« Frau Greiner hatte geduldig und aufmerksam zugehört. Jetzt schloß das Fräulein mit der Bemerkung: »Alex ist doch ein zartes Kind, über die Sommermonate sollten Sie ihn noch weiter so ernähren.«

»Ja,« sagte Frau Greiner, »ich will schon alles recht machen. Milch haben wir ja nicht, wir kaufen halt so viel, daß es grad zum Kaffee reicht. Aber den wird er schon auch mögen und auch Kartoffeln, und an Speck und Hering soll’s ihm gewiß nicht fehlen. Das ist bei uns zulande die Hauptnahrung.«

»Aber doch nicht für so kleine Kinder?« sagte Elisabeth entsetzt.

»Es ist ja kein Wochenkind mehr,« entgegnete Frau Greiner. »Seien Sie nur ruhig, ich will’s ihm schon in die Soxhletfläschchen tun, so oft eben Milch da ist.« Inzwischen hatte Elisabeth weiter ausgepackt. »Da sind seine Badehandtücher,« sagte sie, »und da ist der Badethermometer, ich habe ihn mitgebracht, aber ich weiß nicht,« setzte sie zweifelnd hinzu, »ob Sie den Thermometer ver – – – ob Sie an ihn gewöhnt sind? Wir haben das Bad auf 24 Grad erwärmt, ich glaube, auf dem Lande prüft man die Wärme mehr so mit dem Arm, oder nicht? Sie baden Ihre Kinder doch auch?«

»O ja, gebadet wird jedes, so bald als es auf die Welt kommt, aber hernach kommt man nimmer leicht dazu, das braucht’s auch nicht!«

»Ach,« sagte Elisabeth, »uns hat man gelehrt, daß die Hautpflege so wichtig sei bei den Kleinen; Alex ist auch so rein am ganzen Körperchen, wäre es nicht möglich, daß Sie ihn wenigstens immer am Samstag baden? Haben Sie eine Badewanne? Nein? Ich wollte ihm gerne noch eine kaufen von meinem Geld, wenn hier welche zu haben sind; oder ich schicke Ihnen eine aus Sonneberg.«

»Lassen Sie das nur, Fräulein, meine Waschwanne tut’s schon auch, und so oft ich Zeit habe, will ich ihn schon baden.«

»Ach ja, bitte, und dann hätte ich noch etwas auf dem Herzen: In dem Zimmer riecht es so stark und es ist so überhitzt; Sie werden das gar nicht so bemerken, weil Sie es gewöhnt sind; könnte Alex nicht in einem andern Zimmer sein?«

»Ein anderes Zimmer haben wir gerad’ nicht, aber wegen der Luft dürfen Sie gar nicht sorgen, liebes Fräulein, die ist berühmt im Thüringer Wald, deretwegen kommen die Leute oft weit hergereist. Sehen Sie nur meine Kinder an, die sind ja auch alle gesund, auch meine verstorbenen drei waren ganz gesund.«

»Woran sind sie denn gestorben?« fragte Elisabeth.

»Das eine ist verunglückt, das arme Tröpfle hat den heißen Brei über sich geschüttet, den mein Mann braucht zu den Köpfen; und eines hat’s auf der Lunge gehabt, und das dritte ist uns nur so über Nacht weggestorben, niemand hat recht gewußt, daß ihm was fehlt. Es hat uns weh getan, aber so ist’s halt; wir haben ja auch an dreien genug und jetzt sind’s eben auf einmal vier geworden!«

Während dieses Gesprächs waren alle Habseligkeiten des kleinen Alex ausgepackt worden mit vielen Anweisungen über die Verwendung; was jetzt noch im Koffer verblieb, war des Fräuleins Eigentum. Sie schloß wieder zu und kam mit Frau Greiner ins Zimmer, wo Vater Greiner an der Arbeit saß.

Der kleine Alex lag inzwischen in seinem Wagen, die Kinder standen bewundernd um ihn herum, Marie fuhr ihn vorsichtig hin und her. Elisabeth trat hinzu und sagte leise zu Marie: »Willst du ihm eine treue Schwester sein? Sieh, der arme Kleine hat es daheim so schön gehabt. Gelt, du fährst ihn manchmal spazieren und sorgst recht schön für ihn?« Die kleine Marie nickte und sah mit großen Augen das Fräulein an, das gegen die Tränen ankämpfte, als sie sich über den Kleinen beugte, ihn herzte und küßte und leise sagte: »Behüt’ dich Gott, mein Liebling, ich habe es gut mit dir gemeint, ich bin nicht schuld. Warum haben dich deine Eltern verlassen, wie konnten sie dir das antun?«

»Ich muß gehen,« sagte sie, indem sie zu Greiner trat, und sie nahm sich zusammen, um ihren Tränen zu wehren. »Ich habe Sie noch etwas fragen wollen,« sagte Greiner, und nun zitterten auch seine Lippen; »was war denn das für ein Unglücksfall mit meiner Schwester und ihrem Mann?«

»Sie starben beide in der Nacht, ehe der Zusammenbruch des Geschäfts bekannt wurde. Näheres kann ich nicht sagen.« Greiner fragte auch nicht weiter.

Ein paar Stunden später fuhr das Fräulein ihrer Heimat zu, und während sie nach langer Zeit wieder am elterlichen Tisch saß, nahm Alex auf dem Schoß der neuen Pflegemutter zum erstenmal Anteil am Familienmahl und so oft er den kleinen Mund aufsperrte, wurde ihm ein Stückchen Kartoffel hineingeschoben, ein sorgsam geschältes!

Danach, da es Feierabend, draußen aber noch hell und warm war, gingen sie alle zusammen hinaus. Frau Greiner trug stolz den schönen Kleinen auf dem Arm, und da er verwundert nach den Tannen sah, die am Wege standen und leise vom Wind bewegt wurden, hob sie ihn hoch bis zu den Ästen und rief ihm freundlich zu: »Da, schau nur, Alex, schau, jetzt bist du im Thüringer Wald!«

Wieviel Arbeitsstunden waren bei Greiners versäumt worden durch all die Briefe, durch die Ankunft des kleinen Pflegekinds und alles, was damit zusammenhing! Als am Samstag der große Huckelkorb vollgepackt wurde, fand sich, daß alles leicht hineinging und daß Maries neuer Korb ganz überflüssig war; bei weitem nicht alle versprochene Arbeit war fertig geworden. Marie blieb auch ganz gern daheim; den eleganten Kinderwagen mit dem schönen neuen Brüderchen vor dem Haus herumzufahren und allen staunenden Nachbarn zu zeigen war noch ein größeres Vergnügen, als mit der Mutter zu gehen. So wanderte Frau Greiner allein der Stadt zu, die Arbeit abzuliefern. Aber diesmal kam sie übel an! Der Sonneberger Fabrikant hatte fest gerechnet auf das, was sie versprochen hatte zu liefern; die Zeit drängte, was er heute nicht erhielt, konnte er nicht fertig stellen bis zu dem Tag, wo die Sendung abgehen sollte, um das Schiff zu erreichen, das nach Australien ging.

Frau Greiner entschuldigte sich, die Schwester ihres Mannes sei gestorben und sie hätten ein Waisenkind aufnehmen müssen. Die Entschuldigung wurde ganz ungnädig aufgenommen. Ob sie meine, daß das Schiff warte, bis alle Waisenkinder versorgt seien? Sie solle nicht mehr Arbeit versprechen, als sie leisten könne. Zum Unglück hatten noch einige Arbeiter weniger geliefert, als sie versprochen hatten, und so war der Fabrikant wirklich in Verlegenheit.

»Wenn ich mein Wort nicht halte,« sagte er, »so verliere ich meine Kundschaft, was wollen Sie dann machen, wenn keine Puppen mehr bestellt werden?« Ganz schuldbewußt und zerknirscht stand Frau Greiner da und wagte kein Wörtlein zu sagen, als ihr auf dem Zettel ein gehöriger Abzug am verabredeten Lohn gemacht wurde. Der Herr schien auch gar keine Lust zu haben, ihr neue Aufträge zu geben, und ließ sie lange stehen, wie wenn sie nicht mehr da wäre. Da aber noch große Bestellungen vorlagen, so bekam sie schließlich doch wieder Aufträge genug, und diesmal verließ sie ohne Verzug die Stadt und kehrte nicht einmal bei ihrer Mutter ein, um keine Zeit zu verlieren. Jetzt, in den besten Arbeitswochen, ein so elendes Sümmchen Geld heimzubringen, kam ihr fast wie eine Schande vor und sie fürchtete schon ihres Mannes grämliches Gesicht, wenn sie so wenig abliefern konnte. Im Sommer wollte er doch immer etwas zurücklegen für den Winter, wo das Puppengeschäft stockt. Aber schließlich konnte sie auch nichts dafür, es war ja sein Schwesterkind an allem schuld.

In diesen Gedanken ging sie ihrem Dorfe zu. Mit ihrem flinken Schritt holte sie bald einen jungen Burschen ein, der auch von Sonneberg kam und gemütlich, eine Zigarre rauchend, dem Dorfe zuschlenderte. Frau Greiner kannte ihn wohl, er war auch von Oberhain und war ein Neffe ihres Mannes. Die Woche über arbeitete er in Sonneberg in der Fabrik, Samstag abends kam er heim zu seinen Eltern. Frau Greiner hatte gern Reisegesellschaft, sie rief schon von ferne dem Burschen zu: »Georg, wart ein wenig!«

Er wandte sich um, gesellte sich zu ihr, und vom Geschäft plaudernd gingen sie nebeneinander her und kamen bis zu dem Punkte, wo der Fußweg nach Oberhain von der großen Straße abzweigt und ein Wegweiser nach verschiedenen Richtungen zeigt. An diesem Wegweiser stand ein Herr, der an seinem Reiseanzug leicht als Fremder zu erkennen war und der nun, als unsere beiden Leutchen an ihm vorbeikamen, mit fremder Betonung fragte, wie weit es noch bis Oberhain sei. Ein Stündchen war’s immerhin noch auf dem Fußweg, den aber ein Fremder leicht verfehlen konnte. So schloß sich der Herr an und sie gingen zu dritt weiter. Zuerst schweigsam, dann siegte bei Frau Greiner die Neugier über die Schüchternheit und sie fragte, ob der Herr kein Deutscher sei? Nein, er war Amerikaner, ein Kaufmann, der wegen des Puppengeschäfts nach Sonneberg gekommen war. Die deutsche Sprache hatte er aber gut gelernt, man konnte sich wohl mit ihm verständigen. Er fragte Frau Greiner, was sie zu Markte gebracht habe und was ihr Mann sei. »Mein Mann ist Drücker,« sagte Frau Greiner.

»Was ist das, Drücker?«

»Wenn man das Papiermasché in die Formen drückt, daß es Puppenköpfe gibt.«

»Helfen Sie auch drücken?«

»Nein, ich bin Balgnäherin, was die Körper für die Puppen gibt. Und die Kinder helfen auch, sie wenden um und stopfen aus mit Sägespänen.«

»Was fehlt noch an den Puppen, wenn Sie sie abliefern?«

»Dann haben sie noch keine Augen und –«

»Wer macht die Augen?«

»Die werden in Lauscha gemacht, da kommen ganze Schachteln voll her in allen Größen, die muß der Augeneinsetzer hineinmachen.«

»Ist das das Letzte?«

»Nein, die Maler müssen doch erst die Backen malen und die Lippen, und die Friseurin muß die Haare aufsetzen, dann wird erst der Kopf auf den Balg geleimt.«

»Das kann Ihr Mann nicht?«

»O, mein Mann kann das alles und als jung ist er in die Industrieschule geschickt worden, hat schon Köpfe und all die Formen machen lernen, aber dann ist sein Vater gestorben; gleich hat er dann das Lernen aufgeben müssen und hat seines Vaters Sach übernommen und ist halt auch wieder Drücker geworden. Mein Mann war von den besten einer auf der Schul’, aber er hat halt heim müssen, die Not ist gar groß bei uns.«

»Wieviel verdienen Sie in der Woche?«

»Ja Herr, das wechselt sehr, bald ist’s mehr, bald weniger. Es gibt Wochen im Winter, da bekommt man gar keine Bestellung.«

»Aber in der besten Zeit des Jahrs, auf wieviel bringen Sie es in der Woche, Sie mit Mann und Kindern?«

»Die vorige Woche hab’ ich fünfundzwanzig Mark heimgebracht, es ist auch schon auf dreißig gestiegen, aber da muß man schon die Nacht durcharbeiten. Und davon müssen wir alles selbst anschaffen, was wir zu den Puppen brauchen, gar nichts bekommen wir geliefert, das meiste geht dafür wieder hinaus und man bringt’s fast nicht dazu, daß man sich für den Winter etwas zurücklegt. Mein Mann sorgt sich jetzt schon wieder darum; ich nicht, im Sommer mag ich gar nicht an den Winter denken, sonst wird man ’s ganze Jahr nicht froh.«

»Ist Ihr Mann gesund?«

»Er hustet halt, das kommt von dem Staub vom Papiermasché und von den Sägspänen, aber krank ist er nicht, gottlob.«

Jetzt mischte sich Georg ins Gespräch. »Die kräftige Nahrung fehlt halt da außen auf dem Land, in der Stadt essen sie besser.«

»Ja, Fleisch gibt’s nicht viel bei uns, der Kaffee und die Kartoffeln sind die Hauptsache, bei uns heißt’s: Kartoffeln in der Früh, zu Mittag in der Brüh, des Abends mitsamt dem Kleid, Kartoffeln in Ewigkeit!«

Der Amerikaner fragte nun nicht weiter, der Weg wurde steiler und eine Viertelstunde gingen die drei still nebeneinander, bis sie die Höhe erreicht hatten, wo sie wieder auf die Landstraße einmündeten und von der Ferne einzelne schiefergraue Dächer sichtbar wurden.

»Das ist unser Dorf,« sagte Frau Greiner; »geht der Herr noch weiter heut’?«

»Ja, aber Mittwoch komme ich wieder hier durch und dann will ich Ihren Mann aufsuchen.« Er blieb stehen bei diesen Worten und sagte, indem er Frau Greiner ernst und forschend ansah: »Sagen Sie ihm einstweilen, daß ein Amerikaner zu ihm kommt und mit ihm sprechen will. Es ist vielleicht gut, wenn ich Ihnen vorher schon sage warum. Ich möchte so eine Familie, die den ganzen Puppenbetrieb versteht, mit hinübernehmen nach Amerika. Ich habe dort Ländereien, Wald; die Eisenbahn geht vorbei, es ist gar nicht viel anders wie hier. Ich sehe nicht ein, warum wir die Puppen alle so weit her holen sollen, das könnten wir drüben auch machen, wenn wir nur die Leute dazu hätten. Dreimal so viel Lohn als Sie hier in der besten Woche haben, kann ich Ihnen für drüben das ganze Jahr hindurch versprechen. Alles schriftlich, natürlich. Ich bin schon mit dieser Absicht herübergekommen und nehme jedenfalls Leute von hier mit. Wenn Sie klug sind, reden Sie Ihrem Manne zu.«

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