Kitabı oku: «Die Familiensaga der Pfäfflings», sayfa 3
So unterhandelten sie miteinander, gaben von ihren Forderungen etwas ab und waren froh, dass das Geld wenigstens zum Allernotwendigsten reichte. Es blieb kein großer Rest mehr in der kleinen Schublade.
Als kurze Zeit darauf die Lateinschüler und die Töchterschülerinnen sich wieder auf den Schulweg gemacht hatten, kam Frau Pfäffling zu ihrem Mann in das Musikzimmer, wo sie gerne nach Tisch ein Weilchen beisammen saßen.
»Sieh nur, Cäcilie,« sagte er zu ihr, »die trostlos leere Kasse. Es ist höchste Zeit, dass wieder mehr hineinkommt! Wenn sich nur auch neue Schüler melden, die besten vom Vorjahr sind abgegangen und es sind jetzt so viele Musiklehrer hier; von der Musikschule allein könnten wir nicht leben.«
»Es werden gewiss welche kommen,« sagte Frau Pfäffling, aber sehr zuversichtlich klang es nicht und eines wusste von dem andern, dass es sorgliche Gedanken im Herzen bewegte.
In die Stille des Eckzimmers drang vom Zimmermannsplatz herauf der wohlbekannte Klang der Harmonika. Frau Pfäffling trat ans offene Fenster und sah die beiden kleinen Geschwister auf den Brettern sitzend. »Es ist doch schon 2 Uhr vorbei,« sagte sie, »hat denn Frieder heute nachmittag keine Stunde?« und sie rief dieselbe Frage dem kleinen Schulbuben hinunter. Die Harmonika verstummte, die Kinder antworteten nicht, sie sahen sich nur bestürzt an und die Eile, mit der sie von den Brettern herunterkletterten und durch den Hof rannten, dem Haus zu, sagte genug.
»Er hat wahrhaftig die Schulzeit vergessen,« rief Herr Pfäffling, »daran ist wieder nur das verwünschte Harmonikaspielen schuld!« Als Frieder die Treppe heraufkam – ohne jegliche Rücksicht auf abgetretene Stufen – streckte der Vater ihm schon den Arm entgegen und nahm ihm die geliebte Harmonika aus der Hand mit den Worten: »Damit ist's aus und vorbei, wenn du sogar die Schulzeit darüber vergisst!«
Frieder beachtete es kaum, so sehr war er erschrocken. »Sind alle andern schon fort? Ist's schon arg spät?« fragte er, während er ins Zimmer lief, um seine Bücher zu holen. Elschen stand zitternd und strampelnd vor Aufregung dabei, während er seine Hefte zusammenpackte, rief immer verzweifelter: »Schnell, schnell, schnell!« und hielt ihm seine Mütze hin, bis er endlich ohne Gruß davoneilte. Auf halber Treppe blieb er aber noch einmal stehen und rief kläglich herauf: »Mutter, was soll ich denn zum Lehrer sagen?« »Sage nur gleich: es tut mir leid,« rief sie ihm nach. So rannte er die Frühlingsstraße hinunter und rief in seiner Angst immer laut vor sich hin: »Es tut mir leid.« Die Vorübergehenden sahen ihm mitleidig lächelnd nach – es war leicht zu erraten, was dem kleinen Schulbuben leid tat, denn es schlug schon halb drei Uhr, als er um die Ecke der Frühlingsstraße bog.
Herr Pfäffling nahm die Harmonika und besah sie genauer, ehe er sie in seinen Schrank schloss. »Redlich abgenützt ist sie,« sagte er sich, »sie wird bald den Dienst versagen und den kleinen Spieler nimmer in Versuchung führen. Es hat wohl auch keinen Tag gegeben in den letzten zwei Jahren, an dem er sie nicht benützt hat. Er ist ein kleiner Künstler auf dem Instrument, aber er weiß es nicht und das ist gut und von den Geschwistern hört er auch keine Schmeicheleien, sie ärgern sich ja nur über den kleinen Virtuosen. Ich wollte, ich hätte auch nur einen Schüler, der so begabt wäre wie Frieder! Aber dass er seine Schule über der Musik versäumt oder ganz vergisst wie heute, das ist doch ein starkes Stück am ersten Schultag, das geht doch nicht an,« und nun wurde die Harmonika eingeschlossen.
War Frieder als letzter in die Schule gekommen, so kam er auch als letzter heraus. Die Geschwister daheim hörten von der kleinen Schwester, was vorgefallen war, und berieten, wie es ihm in der Schule ergangen sein mochte. Sie hatten viel Erfahrungen bei allerlei Lehrern gesammelt, und die Wahrscheinlichkeit sprach ihnen dafür, dass es glimpflich abgehen würde. Aber Frieder hatte einen neuen Lehrer, den kannte man noch nicht und die neuen waren oft scharf. Als nun endlich der Jüngste heimkam und ins Zimmer trat, wo sie alle beisammen waren, sahen sie ihn begierig, zum Teil auch ein wenig spöttisch an. Aber das Spöttische verging ihnen bald beim Anblick des kleinen Mannes. Er sah so kläglich verweint aus! Keine Frage, der Lehrer war scharf gewesen. Zuerst wollte Frieder nicht recht herausrücken mit der Sprache, denn der Vater war auch im Zimmer und das war in Erinnerung an sein zürnendes Gesicht und die weggenommene Harmonika nicht aufmunternd für Frieder. Aber Herr Pfäffling ging ans Fenster, trommelte einen Marsch auf den Scheiben und achtete offenbar nicht auf die Kinder. Da hatte Marie bald alles aus dem kleinen Bruder herausgefragt, denn sie hatte immer etwas Mütterliches gegen die Kleinen, auch der Mutter Stimme. So erzählte denn Frieder, dass der Lehrer ihm zuerst nur gewinkt hätte, sich auf seinen Platz zu setzen, aber nach der Schule hatte Frieder vorkommen müssen, ja und dann – dann stockte der Bericht. Aber die Geschwister kannten sich aus, sie nahmen seine Hände in Augenschein, die waren auf der Innenseite rot und dick. »Wieviel?« fragte Marie. »Zwei.« »Das geht noch an,« meinte Karl, der große. »Es kommt darauf an, ob's gesalzene waren,« und nun erzählte Wilhelm, der zweite: »Bei uns hat einer auch einmal die Schule vergessen, dann hat er zum Lehrer gesagt, er habe Nasenbluten bekommen und so ist er ohne alles durchgeschlupft, der war schlau!« Da hörte auf einmal das Trommeln an den Fensterscheiben auf, der Vater wandte sich um und sagte: »Der war ein Lügner und das ist der Frieder nicht. Geh her, du kleines Dummerle du, wenn dir der Lehrer selbst deinen Denkzettel gegeben hat, dann brauchst du von mir keinen, du bekommst deine Harmonika wieder, aber – «
Die gute Lehre, die dem kleinen Schulknaben zugedacht war, unterblieb, denn in diesem Augenblick kam durchs Nebenzimmer Frau Pfäffling und sagte eilfertig: »Kinder, warum macht ihr nicht auf? Ich habe hinten im Bügelzimmer das Klingeln gehört und ihr seid vorn und achtet nicht darauf!« Schuldbewusst liefen die der Türe am nächsten Stehenden hinaus und riefen bald darauf den Vater ab, in freudiger Erregung verkündend: »Es handelt sich um Stunden! Eine vornehme Dame mit einem Fräulein ist da!« »Und ihr habt sie zweimal klingeln lassen! Wenn sie nun fortgegangen wären!« sagte die Mutter vorwurfsvoll.
»Manchmal ist's recht unbequem, dass Walburg taub ist,« meinte Anne und Else fügte altklug hinzu: »Es gibt Dienstmädchen, die hören ganz gut, die hören sogar das Klingeln, wenn wir so eine hätten!« »Seid ihr ganz zufrieden, dass wir unsere Walburg haben,« entgegnete Frau Pfäffling, »wenn sie nicht bei uns bleiben wollte, könnten wir gar keine nehmen, sie tut's um den halben Lohn. Und wieviel tut sie uns! Es ist traurig, zu denken: weil sie ein solches Gebrechen hat, muss sie sich mit halbem Lohn begnügen. Wenn ich könnte, würde ich ihr den doppelten geben.« Unvermutet ging die Türe auf und die, von der man gesprochen hatte, trat ein. Unwillkürlich sahen alle Kinder sie aufmerksamer an als sonst, sie bemerkte es aber nicht, denn sie blickte auf das große Brett voll geputzte Bestecke und Tassen, das sie aus der Küche hereintrug. Walburg war eine ungewöhnlich große, kräftige Gestalt und ihr Gesicht hatte einen guten, vertrauenerweckenden Ausdruck. Vor ein paar Jahren war sie aus einem Dienst entlassen worden wegen ihrer zunehmenden Schwerhörigkeit, die nun fast Taubheit zu nennen war. Als niemand sie dingen wollte, war sie froh, bei kleinem Lohn in der Familie Pfäffling ein Unterkommen zu finden. Seitdem sie nicht mehr das Reden der Menschen hörte, hatte sie selbst sich das Sprechen fast abgewöhnt. So tat sie stumm, aber gewissenhaft ihre Arbeit, und niemand wusste viel von dem, was in ihr vorging und ob sie schwer trug an ihrem Gebrechen. Durch der Mutter Worte war aber die Teilnahme der jungen Pfäfflinge wach geworden und mit dem Wunsch, freundlich gegen sie zu sein, griff Marie nach den Bestecken, um sie einzuräumen; die andern bekamen auch Lust zu helfen, und im Nu war das Brett leer und Walburg sehr erstaunt über die ungewohnte Hilfsbereitschaft. »Freundlichkeit ist auch ein Lohn,« sagte Frau Pfäffling, »wenn ihr den alle sieben an Walburg bezahlt, dann – « »Dann wird sie kolossal reich,« vollendete Karl.
Unser Musiklehrer kam vergnügt aus seinem Eckzimmer hervor: »Ein guter Anfang des Schuljahrs,« sagte er. »Die Dame hat mir ihre Tochter als Schülerin angetragen. Zwei Stunden wöchentlich in unserem Haus. Das Fräulein mag etwa 17 Jahre alt sein und kommt mir allerdings vor, als sei es noch ein dummes Gänschen, aber ein freundliches, es lacht immer, wenn nichts zu lachen ist, und kam in Verlegenheit, als die Frau Mama nach dem Preis fragte mit der Bemerkung, sie zahle immer voraus. Sie zog auch gleich ein hochfeines Portemonnaie und zählte das Geld auf den Tisch. ›Wenn es auch nur eine Bagatelle ist,‹ sagte die Dame, ›so bringt man doch die Sache gerne gleich in Ordnung.‹ Darauf empfahl sie sich, das Fräulein knixte und lachte und morgen wird die erste Stunde sein. Da ist das Geld, wirst's nötig haben,« schloss Herr Pfäffling seinen Bericht und reichte seiner Frau das Geld hin. Die Kinder drückten sich an die Fenster, sahen hinunter und bewunderten die Dame, die mit ihrem seidenen Kleid durch die Frühlingsstraße rauschte, begleitet von der Tochter, die mehr noch ein Kind als ein Fräulein zu sein schien. »Hat je eines von euch schon diesen Namen gehört?« fragte Herr Pfäffling und hielt ihnen die Visitenkarte der Dame hin. Sie schüttelten alle verneinend, der Name war ganz schwierig heraus zu buchstabieren, er lautete: Frau Privatiere Vernagelding.
2. Kapitel Herr Direktor?
November! Du düsterer, nebeliger, nasskalter Monat, wer kann dich leiden? Ich glaube, unter allen zwölfen hast du die wenigsten Freunde. Du machst den Herbstfreuden ein Ende und bringst doch die Winterfreuden noch nicht. Aber zu etwas bist du doch gut, zur ernsten, regelmäßigen Arbeit.
Was wurde allein in der Familie Pfäffling gearbeitet an dem großen Tisch unter der Hängelampe, die schon um 5 Uhr brannte! Von den vier Brüdern schrieb der eine griechisch, der andere lateinisch, der dritte französisch, der vierte deutsch. Der eine stierte in die Luft und suchte nach geistreichen Gedanken für den Aufsatz, der andere blätterte im Lexikon, der dritte murmelte Reihen von Zeitwörtern, der vierte kritzelte Rechnungen auf seine Tafel. Dazwischen wurde auch einmal geplaudert und gefragt, gestoßen und aufbegehrt, auch gehustet und gepustet, wie's der November mit sich bringt. Die Mutter saß mit dem Flickkorb oben am Tisch, neben sich Elschen, die sich still beschäftigen sollte, was aber nicht immer gelang.
Marie und Anne, die Zwillingsschwestern, saßen selten dabei. Sie hatten ein Schlafzimmer für sich, und in diesem ihrem kleinen Reich konnten sie ungestört ihre Aufgaben machen. Zwar war es ein kaltes Reich, denn der Ofen, der darin stand, wurde nie geheizt, aber die Schwestern wussten sich zu helfen. Sie lernten am liebsten aus einem Buch, dabei rückten sie ihre Stühle dicht zusammen, wickelten einen großen alten Schal um sich und wärmten sich aneinander. Nur mit der Beleuchtung hatte es seine Schwierigkeit. Eine eigene Lampe wurde nicht gestattet, es wäre ihnen auch nicht in den Sinn gekommen, einen solchen Anspruch zu machen. Aber im Vorplatz auf dem Schränkchen stand eine Ganglampe. Sie musste immer brennen wegen der Stundenschüler, die den langen Gang hinunter gehen mussten bis zu dem Eckzimmer, in dem Herr Pfäffling seine Stunden gab. Hatte aber ein Schüler den Weg gefunden und hinter sich die Türe des Musikzimmers geschlossen, so konnten die Mädchen wohl auf eine Stunde die Ganglampe rauben. Dann war es freilich stockfinster im Vorplatz und manchmal stolperte eines der Geschwister, wenn es über den Gang ging und begehrte ein wenig auf, aber das nahmen die Schwestern kühl. Schlimmer war's, wenn sie etwa überhörten, dass die Musikstunde vorbei war und die Schüler im Finstern tappen mussten. Dann erschraken sie sehr, stürzten eilig hinaus, um zum Schluss noch zu leuchten, entschuldigten sich und waren froh, wenn der Vater es nicht bemerkt hatte.
Am 1. November ging die Sache nicht so gut ab. Fräulein Vernagelding hatte Stunde, die Ganglampe war weg. Aus der Ferne hörten die Mädchen das Spiel. Jetzt wurde es still, rasch gingen sie hinaus mit der Lampe. Aber die Stunde war noch nicht aus, sie lauschten und hörten den Vater noch sprechen: »das ist doch nicht e, wie heißt denn diese Note?«
»Sie sind noch nicht fertig,« sagten sich die Schwestern und gingen wieder an ihre Arbeit. Aber Herr Pfäffling sagte nur noch etwas rasch zu seiner Schülerin: »Ich glaube, es ist genug für heute, besinnen Sie sich daheim, wie diese Note heißt,« und gleich darauf kam Fräulein Vernagelding heraus und stand in dem stockfinsteren Gang. Jede andere hätte ihren Rückweg im Dunkeln gesucht, aber das Fräulein gehörte nicht zu den tapfersten, sie kehrte um, klopfte noch einmal am Eckzimmer an und sagte mit ihrem gewohnten Lachen: »Ach bitte, Herr Pfäffling, mir graut so vor dem langen dunkeln Gang, würden Sie nicht Licht machen?«
Da entschuldigte sich der Musiklehrer und leuchtete seiner ängstlichen Schülerin, aber gleichzeitig rief er gewaltig: »Marianne!« und die Schwestern mit der Lampe kamen erschrocken herbei. Sie wurden noch in Gegenwart von Fräulein Vernagelding gezankt, so dass dieser ganz das Lachen verging und sie so schnell wie möglich durch die Treppentüre verschwand. Das Arbeiten im eigenen Zimmer musste also mit mancher Aufregung erkauft werden, aber sie mochten doch nicht davon lassen.
So lernten denn die jungen Pfäfflinge an den langen Winterabenden, der eine mehr, der andere weniger, im ganzen hielten sie sich alle wacker in der Schule, machten ihre Aufgaben ohne Nachhilfe und brachten nicht eben schlechte Zeugnisse nach Hause.
An einem solchen Novemberabend war es, dass Herr Pfäffling in das Zimmer trat und seiner Frau zurief: »Cäcilie, komme doch einen Augenblick zu mir herüber, aber bitte gleich!« und er hatte kaum hinter ihr die Türe zugemacht, als er ihr leise sagte: »Ein hochinteressanter Brief!« Sie folgte ihm über den Gang, dieser war wieder stockfinster, aber sie beachteten es nicht. Im Musikzimmer, wo die Klavierlampe brannte, lag auf den Tasten ein Brief. Lebhaft reichte er ihn seiner Frau: »Lies, lies nur!« und als er sah, dass sie mit der fremden Handschrift für seine Ungeduld nicht schnell genug vorwärts kam, sprach er: »Die erste Seite ist nebensächlich, die Hauptsache ist eben: Kraußold aus Marstadt schreibt, es solle dort eine Musikschule gegründet werden, und er wolle mich, wenn ich Lust hätte, als Direktor vorschlagen. Ob ich Lust hätte, Cäcilie, wie kann man nur so fragen! Ob ich Lust hätte, in einer größeren aufblühenden Stadt eine Musikschule zu gründen, alles nach meinen Ideen einzurichten, ein mit festem Gehalt angestellter Direktor zu werden, anstatt mich mit Vernagelding und ähnlichen zu plagen; Cäcilie, hast du Lust, Frau Direktor zu werden?« Da wiederholte sie mit fröhlichem Lachen seine eigenen Worte: »Ob ich Lust hätte? Wie kann man nur so fragen!«
Und nun setzten sie sich zusammen auf das kleine altmodische Kanapee und besprachen die Zukunftsaussicht, die sich so ganz unvermutet eröffnete. Und sprachen so lang, bis Elschen herübergesprungen kam und rief: »Walburg hat das Abendessen hereingebracht und nun werden die Kartoffeln kalt!«
»Eine ganz pflichtvergessene Hausfrau,« sagte Herr Pfäffling neckend, folgte Mutter und Töchterchen und war den ganzen Abend voll Fröhlichkeit, ging singend oder pfeifend im Familienzimmer hin und her, und die glückliche Stimmung teilte sich allen mit, obwohl nach stiller Übereinkunft die Eltern zunächst vor den Kindern noch nichts von dem unsicheren Zukunftsplan erwähnten.
Herr Kraußold aus Marstadt, der durch seinen Brief so freudige Aufregung hervorgebracht hatte, war Herrn Pfäffling aus früheren Jahren gut bekannt, doch hatte er die Familie Pfäffling noch nie besucht. Bei diesem Anlass nun kündigte er sich zur Vorbesprechung der Angelegenheit auf den nächsten Mittwoch an. Zeitig am Nachmittag wollte er eintreffen und mit dem fünf Uhr Zug wieder abreisen. Herr Pfäffling war in einiger Aufregung wegen des Gastes. »Er ist ein etwas verwöhnter Herr,« sagte er zu seiner Frau, »ein Junggeselle, der nicht viel Sinn für Kinder hat, am wenigsten für sieben auf einmal. Sie sollten ganz in den Hintergrund treten.«
»Du wirst ihn wohl im Musikzimmer empfangen, dann stören die Kinder nicht,« sagte Frau Pfäffling.
»Aber zum Tee möchte ich ihn herüber ins Esszimmer bringen. Die Kinder können ja irgendwo anders sein, dann richtest du für uns drei einen gemütlichen Teetisch.«
Am Mittwoch wurde bei Tisch den Kindern mitgeteilt, dass sie an diesem Nachmittag möglichst unhörbar und unsichtbar sein sollten wegen des erwarteten Gastes. Um der Sache mehr Nachdruck zu geben, sagte der Vater zu den Kleinen: »Lasst euch nur nicht blicken, wer weiß, wie es euch sonst geht, wenn der Kinderfeind kommt!«
Zunächst mussten alle zusammen helfen, die schönste Ordnung herzustellen, bis der Vater mit dem Fremden vom Bahnhof herein käme. Das Wetter war leidlich, sie wollten sich unten im Hof aufhalten.
Am Fenster stand immer einer der Brüder als Posten und als nun der Vater in der Frühlingsstraße in Begleitung eines kurzen, dicken Herrn auftauchte, rannte die ganze junge Gesellschaft die Treppe hinunter und verschwand hinter dem Haus. Dort war der Boden tief durchweicht und mit dem zäh an den Fußsohlen haftenden Lehm ließ sich nicht gut auf den Balken klettern. Elschen fiel gleich beim ersten Versuch herunter und weinte kläglich, denn sie sah übel aus. Die Schwestern bemühten sich, mit Wischen und Reiben ihr Kleid wieder zu säubern. Da tat sich ein Fenster auf im unteren Stock und die Hausfrau rief: »Kinder, ihr macht das ja immer schlimmer, das kann ich gar nicht mit ansehen, kommt nur herein, ich will euch helfen. Es ist doch auch so kalt, geht lieber hinauf!«
»Es ist ja der Kinderfeind droben!« rief Elschen kläglich.
»O weh!« sagte die Hausfrau mit freundlicher Teilnahme, »was tut auch ein Kinderfeind bei euch! Dann kommt nur zu mir, aber streift die Füße gut ab.«
Die Mädchen ließen sich's nicht zweimal sagen. Aber Frieder wusste nicht recht, ob er auch mit der Einladung gemeint sei. Er sah sich nach den Brüdern um, die waren hinter den Balken verschwunden. So wollte er doch lieber mit hinein zu der Hausfrau. Inzwischen waren aber auch die Schwestern weg und bis er ihnen nach ins Haus ging, hatten sie eben die Türe hinter sich geschlossen. Anklingeln wollte er nicht extra für seine kleine Person. So hielt er sich wieder an seine treueste Freundin, die Ziehharmonika, und bestieg mit ihr den Thron, hoch oben auf den Brettern. Im neuen Schuljahr wurden neue Choräle eingeübt, die wollte er auf seiner Harmonika herausbringen. Darein vertiefte er sich nun und hatte kein Verlangen mehr nach den Brüdern, obwohl er sie von seinem hohen Sitz ans gleich entdeckt hatte. Die drei standen an dem Zaun, der den Balkenplatz von dem Kasernenhof und Exerzierplatz trennte. Im Oktober waren neue Rekruten eingerückt, die nun täglich ihre Turnübungen ganz nahe dem Zaune machten. Unter diesen Soldaten war ein guter Bekannter, ein früherer Lehrling des Schreiners Hartwig, der zugleich ein Verwandter der Hausfrau war und bei ihr gewohnt hatte. Diesen nun in Uniform zu sehen, ihm beim Turnen und Exerzieren zuzuschauen, war von großem Interesse. Er kam auch manchmal an den Zaun und plauderte freundschaftlich mit Karl.
Aufmerksam sahen die jungen Pfäfflinge nach dem Turnplatz hinüber. Unter den Rekruten, die jetzt eben am Turnen waren und den Sprung über ein gespanntes Seil üben sollten, waren drei, die sich gar ungeschickt dazu anstellten. Der eine zeigte wenigstens Eifer, er nahm immer wieder einen Anlauf, um über die Schnur zu kommen und wenn es ihm fünfmal misslungen war, so kam er doch das sechste mal darüber und der Schweiß redlicher Anstrengung stand ihm auf der Stirn. Die beiden anderen Ungeschickten machten gleichgültige, störrische Gesichter und träge Bewegungen. Als die Abteilung zur Kaserne zurück kommandiert wurde, mussten sie nach exerzieren. Das war nun kein schöner Anblick. Dazu fing es an zu regnen, große wässerige Schneeflocken mischten sich darunter, und die kleinen Zuschauer entfernten sich im lebhaften Gespräch über die unbeholfenen Turner. So wollten sie sich einmal nicht anstellen. Sie wollten all diese Übungen schon vorher machen, gleich morgen sollte da, zwischen den Balken, ein Sprungseil gespannt werden. Sie kamen an Frieder vorbei; der hatte auch bemerkt, dass Schnee und Regen herunter fielen und kletterte von seinem Brettersitze. Nun besprachen sich die Brüder über ihn. Er würde vielleicht auch einmal so ein Ungeschickter. Welche Schande, wenn ein Pfäffling so schlecht auf dem Turnplatz bestünde. Es durfte nicht sein, dass er immer nur Harmonika spielte, sie wollten ihn auch springen lehren, er musste mittun, gleich morgen. Er sagte auch ja dazu, aber es war ihm ein wenig bedenklich und mit Recht: drei eifrige Unteroffiziere gegen einen ungeschickten Rekruten!
Als sie ans Haus kamen, fiel ihnen erst wieder der Gast ein, der droben die Gegend unsicher machte. War er vielleicht schon fort? Die Mädchen, die noch bei der Hausfrau waren, wurden gerufen und beschlossen, dass sie erkundigen sollten, wie es oben stünde. Marie wagte sich hinauf, erschien bald wieder an der Treppe und winkte den anderen, leise nachzukommen. Elschen folgte nur zaghaft den Geschwistern, sie stellte sich den Kinderfeind als eine Art Menschenfresser vor.
»Er ist im Wohnzimmer,« flüsterte Marie, »wir gehen in das Musikzimmer, da hört man uns nicht.«
Auf den Zehen schlich sich die ganze Kindergesellschaft in das Eckzimmer. Dort fühlten sie sich in Sicherheit. Nur war von allem, was sie gerne gehabt hätten, von Büchern und Heften oder Spielen hier nichts zu haben. So standen sie alle sieben herum, warteten und fingen an, in dem kühlen Zimmer zu frieren, denn sie waren naß und durchkältet. »Wir wollen miteinander ringen, dass es uns warm wird,« schlug Wilhelm vor und Otto ging darauf ein. Karl war auch dabei: »Ich nehme es mit der ganzen Marianne auf,« rief er, »kommt, du Marie gegen meine rechte Hand, du Anne gegen meine linke, Frieder, Elschen, stellt die Stühle aus dem Weg.« Sie taten es und dann machten sie es den großen Geschwistern nach. Das gab ein Gelächter und Gekreisch und aber auch einen großen Plumps, weil Otto und Wilhelm zu Boden fielen.
In diesem Augenblick ging die Türe auf; Herr Pfäffling hatte ahnungslos seinen Besuch aufgefordert, das Klavier zu probieren und so traten sie miteinander ins Musikzimmer. Nein, auch für einen Kinderfreund wäre dieser Knäuel sich balgender Knaben und ringender Mädchen kein schöner Anblick gewesen, und nun erst für den Kinder feind!
Er prallte ordentlich zurück. Elschen schrie beim Anblick des gefürchteten Fremden laut auf und ergriff eiligst durch den anderen Ausgang die Flucht, alle Geschwister ihr nach. Aber noch unter der Türe besann sich Karl, kehrte zurück, grüßte und sagte: »Entschuldige, Vater, wir wollten drüben nicht stören, deshalb sind wir alle hier gewesen,« dann stellte er rasch die Stühle an ihren Platz und rettete dadurch noch einigermaßen die Ehre der Pfäfflinge, die sich wohl noch nie so ungünstig präsentiert hatten, wie eben diesem Fremden gegenüber.
Eine kleine Weile darnach reiste der Gast ab, von Herrn Pfäffling zur Bahn geleitet. Die Kinder nahmen wieder Besitz von dem großen Tisch im Wohnzimmer und saßen bald in der gewohnten Weise an ihren Aufgaben, doch war ihnen allen bang, wie der Vater wohl die Sache aufgenommen habe und was er sagen würde bei seiner Rückkehr von der Bahn; die Mutter war ja nicht dabei gewesen, sie konnte es nicht wissen.
Nun kam der Vater heim. Eine merkwürdige Stille herrschte im Zimmer, als er über die Schwelle trat. Er blieb einen Augenblick stehen und betrachtete das friedliche Familienbild. Dann sagte er: »Da sitzen sie nun wie Musterkinder ganz brav bei der Mutter, sanft wie unschuldige Lämmlein, nicht wieder zu erkennen die wilde Horde von drüben!« Bei diesem Scherzenden Ton wurde ihnen allen leicht ums Herz, sie lachten, sprangen dem Vater entgegen und Elschen fragte: »Ist der Herr weit weggereist, Vater, und bleibt der jetzt schön da, wo er hin gehört?«
»Jawohl, du kannst beruhigt sein, er kommt nicht mehr. Und wenn er käme oder wenn ein anderer kommt,« setzte Herr Pfäffling hinzu, indem er sich an seine Frau wandte, »dann geben wir uns gar keine Mühe mehr, unser Hauswesen in stiller Vornehmheit zu zeigen und in künstliches Licht zu stellen, denn so ein künstliches Licht verlöscht doch plötzlich und dann ist die Dunkelheit um so größer.«
Ein paar Stunden später, als Elschen längst schlief, die Schwestern Gute Nacht gesagt hatten und Frieder mit Wilhelm und Otto im sogenannten Bubenzimmer ihre Betten aufsuchten, saß Karl noch allein mit den Eltern am Tisch. Seit seinem fünfzehnten Geburtstag hatte er dies Vorrecht. Es wurde allmählich still im Haus. Auch Walburg hatte Gute Nacht gewünscht; manchmal lag kein anderes Wort zwischen ihrem »Guten Morgen« und »Gute Nacht«.
Die drei, die nun noch am Tische saßen, waren ganz schweigsam und bewegten doch ungefähr denselben Gedanken.
Herr Pfäffling dachte: Wenn nur Karl auch zu Bett ginge, dass ich mit meiner Frau von Marstadt reden könnte. Die Kinder sollen ja noch nichts davon wissen. Er zog seine Taschenuhr – es war noch nicht spät. Dann ging er auf und ab, sah wieder nach der Uhr und wurde immer ruheloser.
Frau Pfäffling dachte: Meinem Mann ist es lästig, dass wir nicht allein sind, aber er möchte Karl doch nicht so früh zu Bett schicken. Nein, diese Unruhe! Und dagegen die Ruhe, mit der Karl in sein Buch schaut und nicht ahnt, dass er stört.
Darin täuschte sich aber Frau Pfäffling, denn Karl dachte: Der Vater schweigt und die Mutter schweigt. Wenn ich zur Türe hinausginge, würden sie reden, über Herrn Kraußold aus Marstadt, denn mit diesem hat es eine besondere Bewandtnis. Nun zieht der Vater zum dritten Mal in fünf Minuten seine Uhr. Er möchte mich fort haben und doch nicht fortschicken. Und die Mutter auch. Da ist's wohl angezeigt, dass ich freiwillig gehe. Er klappte das Buch zu, stand auf und sagte: »Gute Nacht, Vater, gute Nacht, Mutter, ich will jetzt auch gehen.«
»Gute Nacht, Karl.«
Sie waren überrascht, dass er so bald aufbrach. »Es ist Zufall,« sagte Herr Pfäffling. »Oder hat er gemerkt, dass er uns stört,« meinte die Mutter. »Woran sollte er das gemerkt haben? Wir haben nichts gesagt und er hat gelesen.«
»Dir kann man so etwas schon anmerken,« erwiderte Frau Pfäffling lächelnd.
»Das muss ich noch erfahren,« sagte Herr Pfäffling lebhaft und rief seinen Jungen noch einmal zurück: »Sage offen, warum du so bald zu Bett gehst?« Einen Augenblick zögerte Karl, dann erwiderte er schelmisch: »Weil du dreimal auf deine Uhr gesehen hast, Vater.«
»Also doch? So geh du immerhin zu Bett, Karl, es ist nett von dir, dass du Takt hast – übrigens, wenn du Takt hast, dann kannst du ebenso gut hier bleiben, dann wirst du auch nicht taktlos ausplaudern, was wir besprechen.« »Das meine ich auch,« sagte Frau Pfäffling, »er wird nun bald sechzehn Jahre. Komm, Großer, setze dich noch einmal zu uns.«
Dem Sohn wurde ganz eigen zumute. Mit einmal fühlte er sich wie ein Freund zu Vater und Mutter herbeigezogen, und in dieser Abendstunde erfuhr er, was seine Eltern gegenwärtig freudig bewegte.
Als er sich aber eine Stunde später leise neben seine Brüder zu Bette legte, da besann er sich, ob irgend etwas auf der Welt ihn bewegen könnte, das Vertrauen der Eltern zu täuschen, und er fühlte, dass keine Lockung noch Drohung stark genug wäre, ihm das anvertraute Geheimnis zu entreißen.
In aller Stille reiste am folgenden Sonntag unser Musiklehrer nach Marstadt, um sich dort den Herren vorzustellen, die über die Ernennung des Direktors für die neu zu gründende Musikschule zu entscheiden hatten. Es kam noch ein anderer, jüngerer Mann aus Marstadt für die Stelle in Betracht, und nun musste sich's zeigen, ob Herr Pfäffling wirklich, wie sein Freund Kraußold meinte, die besseren Aussichten habe. Unterwegs nach der ihm unbekannten Stadt wurde Herr Pfäffling immer kleinmütiger. Warum sollten sie denn ihn, den Fremdling, wählen, statt dem Einheimischen? Sie konnten ja gar nicht wissen, wie eifrig er sich seinem neuen Beruf widmen wollte und wie ihm dabei all seine seitherigen Erfahrungen an der Musikschule zustatten kommen würden!
In Marstadt angekommen, machte er Besuche bei den Herren, die sein Freund Kraußold ihm nannte. War er bei dem ersten noch verzagt, so wuchs seine Zuversicht bei jedem weiteren Besuch, denn wie aus einem Munde lautete das Urteil über seinen Mitbewerber: »Zu jung, viel zu jung zum Direktor« Und einmal, als er in Begleitung seines Freundes über die Straße ging, sah er selbst den Jüngling, der sein Mitbewerber war, und von da an war er beruhigt; das war noch kein Mann für solch eine Stelle, der sollte nur noch zehn Jahre warten!
In froher Zuversicht konnte unser Musiklehrer die Heimreise antreten. Am Bahnhof von Marstadt bot ein Mädchen Blumen an. In seiner hoffnungsfreudigen Stimmung gestattete er sich einen bei ihm ganz unerhörten Luxus: Er kaufte eine Rose. Sein Freund Kraußold sah ihn groß an: »Zu was brauchst du so etwas?«
»Für die zukünftige Frau Direktor,« antwortete Herr Pfäffling fröhlich, und als sein Freund noch immer verwundert schien, setzte er ernst hinzu: »Weißt du, sie hat es schon manchmal recht schwer gehabt in unseren knappen Verhältnissen.«
Sie verabschiedeten sich und Kraußold versprach, am nächsten Donnerstag gleich nach Schluss der Sitzung ihm den Entscheid über die Besetzung der Stelle zu telegrafieren. Als bei seiner Heimkehr Herr Pfäffling seiner Frau die Rose reichte, wusste sie alles, auch ohne Worte: seine glückselige siegesgewisse Stimmung, seine Freude, dass er auch ihr ein schöneres Los bieten konnte, das alles erkannte sie an der unerhört verschwenderischen Gabe einer Rose im November!