Kitabı oku: «Lost in Gentrification», sayfa 2

Leo Fischer, Tilman Birr, Volker Strubing, Sebastian 23, Patrick SalmenElla Carina WernerAhneMarc-Uwe Kling ve dahası
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1. gentrification

Hier isses nicht anders als woanders
Julius Fischer

Wenn in Berlin ein Haus umfällt, dann wissen alle Bescheid, ah ja, da, im Prenzlauer Berg, direkt neben dem Laden mit den Weinbergschneckencroissants, wo Marvin und Constanze ihren Laden haben, eine Mischung aus Boutique und Café, ein Bouticafé, bei dem wir noch froh sein können, dass sie ihn nur »Süßstoff« genannt haben und nicht »CoMa«, wegen Constanze und Marvin.

In Leipzig gibt es solche Läden auch, aber es kennt sie eben keiner.

Leipzig gilt nur einer ausgewählten Gruppe von Studenten und Frührentnern mit akademischem Hintergrund als interessante Adresse.

Ab und zu kommen Nazis vorbei, aber die müssen schon am Hauptbahnhof die Schuhe ausziehen und verlieren damit ihre militärische Ordnung, denn dann offenbart sich die echte rechte Natur, und man kann wohl so viel verraten: Braun ist eine recht seltene Sockenfarbe. Was, wenn die Renee-Freundin am Tag vor der Demo Waschtag hatte und nun nur noch ein paar eingelaufene Diddl-Socken zur Verfügung stehen …

Wie in Berlin, nur ohne dass davon Notiz genommen wird, ziehen in Leipzig alle paar Jahre Leute von dem einen in den anderen Stadtteil, weil es in ersterem zu teuer geworden ist, in letzterem aber nicht nur die Mieten günstiger sind, sondern auch auf der einen Hauptstraße zwei total schnuckelige Cafés aufgemacht haben, die von den Wohngemeinschaften oben drüber bewirtschaftet werden.

Toll!

Ich bin auch umgezogen, allerdings innerhalb meines Stadtteils, einfach zwei Straßen höher. Das kann man sich trauen, jetzt, wo die Aasgeier der Gentrifizierung weitergezogen sind.

Stadtteile, die als nicht mehr so hip angesehen werden, finde ich sehr hip.

Keine Studenten, kaum Kleinkinder, alles ein bisschen weniger provisorisch.

Vielleicht bin ich aber auch nur ein Snob.

Mir wurde neulich von einem Übernachtungsgast vorgeworfen, ich sei in der gehobenen Mittelschicht angekommen, weil ich ihm zwei unterschiedliche Sorten Käse vorsetzte, die nicht einer »ja!«-Packung »Aufschnitt light« entstammten.

Ich wohne einfach gerne gut, ohne daraus gleich ein Happening zu machen.

Ich bin Freund sanierter Altbauwohnungen, wo man nicht mehr auf halber Treppe dem Nachbarn dabei zuhören muss, wie er mit einer Leidenschaft, die er bei der Lebensplanung manchmal vermissen lässt, seinen Verdauungsapparat derart bemüht, dass ein postmoderner Künstler beim Hören der Audioaufnahmen vor Entzücken in Ohnmacht fallen würde.

Diese Auffassung kann natürlich auch negative Auswüchse haben, Stichwort: repräsentative Neubauten. In Leipzig wurde scheinbar ein wildgewordener, cracksüchtiger Baubürgermeister auf die Innenstadt angesetzt. Wo man hinsieht, Glas und Beton vor den alten Fassaden.

Ich frage mich, wie viele Universitätshauptbauten die Stadt seit dem Bestehen dieser heiligen Institution gesehen hat. Zehn oder zwanzig? Und dann pisst man auf die Tradition und klotzt an die DDR-Struktur ein bißchen Beton dran, baut eine Kirche nach, die aussieht wie aus Lego, putzt die Flure und nennt das Fortschritt?

Das einzig Positive am Augustusplatz in Leipzig, der vor sogenanntem Fortschritt nur so strotzt, ist der Umstand, dass es dort kein Café gibt, von welchem man Übersicht über den ganzen Platz hätte.

Ich denke, wenn ich Kaiser bin, werde ich als Erstes die Architekten verbieten. Ich bräuchte irgendeinen fadenscheinigen Grund … – Nö, bräuchte ich nicht, ich wäre ja Kaiser.

An die Stelle der Architekten würden Restaurateure treten, Spitzenkräfte mit Blick fürs Alte. Herrlich wäre das.

Ich bin ja nicht gegen Fortschritt. Fortschritt fetzt. Weiterkommen ist super, immer schön upleveln, die Gesellschaft.

Ich verstehe nur nicht, wie das Gehirn des Menschen sich stetig weiterentwickelt, aber die Augen nicht. Oder der Sinn für das Schöne, Bewahrenswerte.

Eine andere Möglichkeit ist die der Eigeninitiative, sprich, man übergibt alle restaurationswürdigen Gebäude einer Gruppe von Hippies, die ein alternatives Hausprojekt daraus machen.

Dagegen habe ich nichts, mir fehlt nur für so etwas einfach die Zeit, das handwerkliche Geschick und die Ideale. Ich habe selbst Freunde in alternativen Hausprojekten.

Hin und wieder besuche ich sie, sitze im Hinterhof, das Lagerfeuer flackert, alle trinken Wein und diskutieren über Anonymous. Dann denke ich: Wie schön wäre das, hier zu bleiben und mich in eine Ecke zu legen, zusammen mit den Hunden und dem Punker, der vorübergehend keine Bleibe hat. Aber eigentlich bin ich nicht so einer. Ich glaube nicht an den Kommunismus.

Wer seine eigenen Bedürfnisse immer hinter die der Gruppe zurückstellt, der wird mit der Zeit depressiv oder aggressiv. Oder beides.

Ich bin wahrscheinlich ein Opportunist, aber dafür habe ich immerhin keine Dogmen.

Die Freunde wohnen im Leipziger Westen, einer Gegend, in der das einsetzt, was manche Leute mit der Bezeichnung »Gentrifizierung« versehen. Die Straßen sind gepflastert, die Häuser unsaniert, genau der richtige Ort für Künstler, Studenten und andere Menschen, deren Wunsch nach Gestaltung hyperaktive Züge erreicht. Das war so im Süden, das ist jetzt so im Westen und irgendwann, in zehn Jahren, wird es irgendein anderes Gebiet sein, vielleicht Halle.

Das ist der Lauf der Dinge, und wenn mir wieder jemand mit Gentrifizierung kommt, weise ich gerne auf das Spiel Die Gilde 2 hin. Ich denke, alle Probleme in der Welt können behoben werden, indem man schaut, wie das in Computerspielen läuft. Wenn beispielsweise das Leben der Menschheit von Dämonen mit hundert Affenköpfen bedroht ist, bedarf es nur eines Auserwählten, der seine Skills durch Cheaten in die Höhe schraubt, um zum Schluss den Endgegner zu köpfen. Also mehrmals. Sind ja hundert Affenköpfe.

In der Gilde 2 jedenfalls geht es darum, in einem Dorf ein Wirtschaftsimperium aufzubauen. Wächst das eigene Imperium, wächst auch das Dorf. Man beginnt als Bauer und bäckt Graubrot. Büke man Kuchen, wäre dieser ein Ladenhüter, da die anderen Dorfbewohner arme Schweine sind, die sich die Dukaten fürs Graubrot mühevoll in ihren eigenen Betrieben (zum Beispiel »Räubernest«) erarbeiten müssen. Steigt die Begütertheit der People, kaufen sie Kuchen wie blöde, als hätte Marie Antoinette ein Thesenpapier an die Dorfkirche gehängt. Und so geht das weiter, später gibt es dann die Optionen »Bio-Brötchen« und »vegane Sachertorte«.

So ist es bei mir auf der Straße auch. Plötzlich, nach einigen Jahren florierender Geschäfte haftet an jedem zweiten Einzelhandel in den umliegenden Blocks ein Zettel mit dem Hinweis »Wegen Renovierung geschlossen«. Aus dem schäbigen Hähnchengrill mit angeschlossenem Dönerspieß wird ein orientalisches Bistro, aus dem Hippiekeramikladen wird ein Hippiekeramikladen, aber man hat mehr Auswahl und die Duftkerzen wechseln alle drei Tage. Aus dem Büro des Bauingenieurs Dipl. Ing. Herbert Dippel wird die »Bauen by Dippel Inc«.

Ist doch klasse, kann man sich doch mal für die freuen.

Ich meine: Klar, sobald ein BASE-Laden im Erdgeschoss aufmacht, muss man aufpassen.

Da gilt die Devise: Böser Blick vom Morgengrauen bis in die Dämmerung.

Nur reicht das manchmal nicht.

Man muss es irgendwie schaffen, Stadtteile attraktiv zu machen, ohne sie attraktiv zu machen.

Hier einige Vorschläge:

1. Alle Investoren töten. Schwierig! Man bräuchte schon das geheimdienstlerische Potential der Vereinigten Staaten oder

2. eine Atombombe, um sicherzugehen, dass wirklich niemand auf die Idee kommt zu investieren. Sehr sichere, wenn auch mit ein paar kleinen Problemen in der Nachbereitung behaftete Methode.

3. Den Stadtteil abriegeln: Einem kleinen, bekannten gallischen Dorf gleich, da hatte ja auch kein Römer Lust, einen – sagen wir – Pizzaverleih aufzumachen. Man könnte das als Performance aufziehen, alle, die da einziehen, müssten mitmachen, jeder trüge Umlandhosen (vorne Cord, hinten Karo) und Hooligan-Inseln auf dem Kopf und jeder »Fremde« würde angepöbelt werden. Und zum Einkaufen geht’s per Assi-Shuttle in die Innenstadt, da ist eh nix mehr zu retten. Das wäre Assi-milation.

4. Nicht via Twitter über Gentrifizierung aufregen, sondern einfach das Handy wegwerfen und in die Uckermark ziehen.

Oder 5., um die Kritik für alle sichtbar zu machen, sollte man sich am Elsterufer eine Lehmhütte bauen und sich Bisamratten und Großstadtkabeljaue direkt von der Angel weg grillen.

Aber es wird nicht lange dauern, bis junge Herren in Cord-jackets und Mädchen in viel zu großen, pastellfarbenen Anoraks sich nebenan auf ihre Stoffbeutel setzen und eine Club-Mate trinken. Dann macht ein Atelier auf, in einem hohlen Baum, zur ersten Vernissage kommt jemand und fotografiert das Ganze für Facebook, dann legt auch schon der erste Techno-DJ auf, dann kommen Horden mobiler Biersurrogatverkäufer und Zack, schon hat der erste BASE-Stand aufgemacht.

Dann folgen die Stempel der postmodernen Konsumgesellschaft, die man so kennt: Bäckerkette, H&M, Marktforscher, BubbleTea-Läden, BubbleTea-Kaufhäuser, BubbleTea-Wolkenkratzer, BubbleTea-Freizeitparks.

Man kann davon ausgehen, dass die Megastädte der Zukunft an genau solchen Orten geboren werden. Das ist Fortschritt. Und so schön Fortschritt ist, ich hoffe, ich bin dann irgendwo anders! In der Uckermark zum Beispiel oder in Halle.


Kritik der modernen Architektur
Oder: glas brennt nicht – schade.
Tobias Kunze

Diese Kanten, karatescharf geschnitten. Dieses glamouröse, gläserne, glatte Glitzern. Diese betonungslosen Betonrampen. Diese mondäne Monotonie. Ich frage mich, wer das schön findet. So durchsichtige, mehrstöckige Stahlwürfel mit Glaswänden, die die Ödnis der vorgelagerten Parkplätze reflektieren. Wer bloß findet das erhaben, wenn der Fluss damit zugestellt wird? »Oh, schau mal, wie toll sich das dunkelgrünbraune Brackwasser in den Fenstern spiegelt und mit dem Himmel vermischt!« Hui, wie poetisch, diese freudlos frontal dahingestemmten Blöcke, hingeknallt wie abgeworfene Borgwürfel, mit Oberflächen, wie sie für die Geschäftswelt nur sinnbildlich stehen können: vordergründig durchsichtig, aber innendrin intransparent. Oder: vorne glotzig, hinten fotzig.


Da fällt eine Horde windiger Projektmanager, planierfreudiger Planer, obskurer Baulöwen, imminenter Immobilienspekulanten, angeblicher Architekten, eigentümlicher Grundstückseigner und begeisterter und anderweitig überzeugt wordener Pappkameradpolitiker in ein alternatives Viertel ein. Diese Baumöwen klemmen sich die Brachgelände und nachgenutzten Fabrikruinen – Meins! Meins! – Meins! – und entrollen fallschirmgroße Planungsplakate. Dann strecken die Bauherren die Arme aus wie einst andere unter Adi, entklappen ihre Zeigefinger, Handkanten zerschneiden die Luft wie bei Kung-Fu-Filmen in Zeitlupe und dann heißt es: »Da kommt das hin, hier das, dort das, da drüben entsteht das, so was bauen wir hier und da hinten, na ja, das wär dann so die kleine Stadtteilecke, da dürfen die Eingeborenen, äh, die Anwohner auch ma’ eine rauchen!« Yippiee! Und stolzgeschwollen bollern Bauherrenbrüste über Brückenbrüstungen, geldheischerisch schmirgeln sich Handteller heiß. Abriss in großem Stil wird angestrebt, rumorend heulen die Motoren der Knabberbagger auf und hungry vibriert die Maschinenmeute im Nahkampf. In den WGs des Bezirks klirren die aus den umliegenden Clubs geklauten Gläser im Buffet. Unterdessen fressen sich Betonköpfe in den Stadtplan wie Stephen Kings Langoliers. Kräne kreisen kranichgleich und krönen kranzartig die Stadt, Nest und Brutstätte der Kräne. Wie die Störche stolzieren, bezirzen und zirkulieren die Gerüste zirkusgleich über den Dachfirsten und picken sich Nistmaterial in ihre Horste, dass man sich fragen muss: »Ei verbibsch, ist hier irgendwo ein Glas aufgegangen?«

Doch dann wundern sich alle, wieso sich vor Ort Widerstand regt. »Wieso wollen die das nicht?«, fragen sich die Verantwortlichen bräsig an der Platte kratzend. »Öhm, wir dachten, die woll’n Arbeitsplätze!«

Dann reden die Verantwortlichen den Widerstand klein, vorneweg die Politiker, die wollen in solch Bauprojekten Visionen, Missionen und Investitionen in die Zukunft erkennen, argumentieren ahnungslos mit angeblicher Aufwertung und Arbeitsplatzschaffung, bis die Köpfe der Zuhörer und der Presse hospitalistisch nicken, »ja – ja – hm – hm–ja–hm–ja, is’ recht, hm-hm, nehm ich, kauf ich, wähl ich, will ich!«

Und wenn alles in trockenen Tüchern ist und die letzten angeketteten, von Bullen weich geklopften Protestler abgesägt und vertrieben sind, wenn die letzten Backsteinbrachen zerbröselt und der einsame Lampion einer ehemaligen Strandbar traurig in Pfützen noch dümpelt, dann prahlen und protzen sie in der Presse und polieren sich auf Empfängen die Eier wund, die Investoren, freuen sich, mit was für sterilen Prestigegebäuden man wieder renommieren kann, mit Centern und Lichttürmen und Arcaden und Arenen und ach, guckemalda, wurde dort sogar extra was Altes an Bausubstanz belassen, es ist ein Stück Kopfsteinpflaster, aus dem Steinewerfer einst ihre Munition brachen, integriert wurde es als Reminiszenz, quasi historische Kultstätte, und es liegt nun völlig verloren neben einem Parkplatz mit Rampen aus Sichtbeton und diesen kleinen illuminierenden Nachtlichtern, falls es mal spät wird in der Werbeagentur, weil es immer spät wird in der Werbeagentur, weil O2 angerufen hat. »Ach, das Telekommunikationsunternehmen?« – »Nee, das Element, du Arsch! Alles Luft, heiße Luft, aus dem Arsch in den Mund in das Ohr ins Gehirn!«

Apropos später. Wird man einst, wenn man das Wasser nur noch von den Brücken aus sieht, sagen: »Guck mal, früher saßen wir da am Ufer …«?

»Jetzt ist da ein Metallzaun mit Pausenpark nur für Mitarbeiter.«

»Früher stand da die Mauer!«

»Na ja, die war wenigstens niedriger!«

»Und bunter!«

»Ja, ja!«

Ja, ja … »Ja, ja« heißt: leckt mich am Arsch, ihr Investoren, die ihr nur lechzend auf die Möglichkeiten wartet, eure Penis-kompensationen allerorten als Prestigekonstruktionen in Stahl und Glas gießen lassen zu können. Ihr trampelt durch Städte, redet heiße Luft, engagiert die fantasielosesten Architekten und wedelt mit schönfrisierten Analysen, welche stets von handzahm gefütterten Firmen stammen. Nachnutzung sei zu teuer, Sanierung auch. Zu teuer. Sagt ihr. Sobald euer Gelumpe irgendwelche Auflagen kriegt, haltet ihr die Hand auf wie beleidigte Künstler. Ach was, Architektur sei Kunst. All der geile Glanz, all die geckenhafte Gelecktheit. Zeitgemäßes Bauen, klare Linie und so … seit den Fünfzigern nichts gelernt? Steht ihr auf das, was ihr da baut? Wer erfreut sich denn bitte an dieser kühnen, unterkühlten Glasästhetik? Steht ihr so auf euer Badezimmer, dass ihr es überall hinmauern lasst? Das sieht doch alles aus wie nach außen gekrempelte Duschbadausstellungen! Und jetzt sagt nicht: »Na, der junge Mann hat doch keine Ahnung von Architektur!« Habe ich auch nicht. ABER ICH HAB AUGEN! Und ich komme aus Hannover, da weiß ich, wo das hinführt! Seid froh, dass Glas nicht brennt!

In Hamburg nehmt ihr mit St. Pauli das größte zusammenhängende urbane Feuchtbiotop auseinander. Legt es trocken mit Gebäuden, die aussehen wie Spielzeugverpackungen, sofern sie irgendwelche Shows beherbergen, oder mit Wolkenkratzern, die eurer Auffassung nach »tanzen« sollen, aber eher in bester deutscher Hüftsteifigkeit unschlüssig dastehen, was einer architektonischen Querschnittslähmung gleichkommt. Die Hafenkrone ist nicht mehr das einstige Backsteindiadem, sondern eine unansehnliche Mischung aus Aquarium und Schießscharte.

In Berlin setzt ihr den partyverwöhnten Stadtteilen eine Hospitalismussymptome auslösende Spaßbremse in Gebäudeform vor, an denen jede Art von Kreativität verpufft wie Wassertropfen in heißen Teflonpfannen, mit Fassaden, die man auf jedes Gewerbegebiet hätte kleben können, ohne dass es irgendjemandem aufgefallen wäre und nennt es in täuschender Absicht »Mediaspree«, um mit dem ersten Namensteil die Hauptarbeitgebersparte Berlins und mit dem zweiten lokale Identifikation vorzutäuschen.

In München zieht ihr entlang der Bahntrasse die grausligsten Kulissen von Eintönigkeit hoch, die sich wie Zeichentrickfilm-Hintergründe rhythmisch zu wiederholen scheinen und in einer sonst recht prunkvollen Stadt so befremdlich wirken – als hätte man das Lächeln der Mona Lisa durch das Emoticon :/ ersetzt.

In Stuttgart baut ihr nicht nur einen Cyber-Bahnhof, den manche nur deshalb wollten, weil er in Science-Fiction-Werbefilmchen wie eine Raumschiffandockstation daherkam, sondern pflastert den frei werdenden Stadtteil darüber mit purer Langeweile aus leeren Plätzen ohne Nutzen, deren Anrainer – hauptsächlich irgendwelche Banken – die noch so kleinsten Moosknospen aus den Ritzen kratzen lassen, damit nirgendwo auch nur ein Hauch von Leben entsteht, aber noch drei drehbare Holzbänke an den Rand stellen, falls irgendwann, irgendwo, irgendwie eine Person vielleicht mal sitzen und sich die optische Ödnis antun möchte.

Apropos Verbleib: Wer zieht bloß an solchen Orten in die Wohnungen ein? Maine-Coone-Züchter, die ihre sonst tüchtig bräsigen Schnurrhaarträger auf die Loggia entlassen, wenn die Katzenmutanten in einem Anfall von Wildnisrudimenz mal wieder die Vorhänge zu Autositzfüllungen zerfetzen? Oder Zahnärzte, die schon mit der abstrus hässlichen Kunst in ihren Praxen die Öffentlichkeit ihrem Privatgeschmack aussetzen? Zeigefreudige Großstadtperverse, die Glasscheiben bis zum Boden für den letzten Schrei halten und sich vor allem derart mit Katalogbildern identifizieren, dass sie ihr hippes Quartier als Terrarium den Blicken der Nachbarschaft zur Verfügung stellen, um selbst zu einer Art lebendiger Katalogbevölkerung zu werden? Menschen, die vermeintlich aussagekräftige Brillengestelle tragen, aber aussehen, als hätte ihnen ein verrückter Wissenschaftler eine Kirmes für Frettchen auf die Nase gelötet? Menschen eben, die mit Kubismus nichts gemein haben, aber deren Augen quadratisch und deren Köpfe eckig sind, und die deshalb Gebäude, die aussehen wie derangierte Rubikwürfel, total geil finden.

Ihr teilt etwas: eure Unfähigkeit, euch in gewachsene Strukturen einzufügen. Na gut, »wohlfühlen« muss man sich hier nur bedingt. Nur die Karre parken und arbeiten. Arbeiten am Wasser. Warum nicht gleich unter Wasser? Mediaspree und HafenCity versenken! Ihr, mit euren Lofts und Loggias und Autofahrstühlen samt Parkplatz neben dem Weinregal, wollt Stadtteilflair? Gut, ich reibe euch scheiß Schnöselnasen jeden Tag drei Kilo Hundekot in den Wohnzimmerteppich! Ihr mit eurer klinisch saubergekärcherten Welt, die ihr den Großstadtdreck am liebsten im Museum betrachten würdet: »O, guck mal, so haben die hier mal gewohnt! So mit Scherben und Kotze und allem!«

»Ja, voll eklig, guck mal, da ist Urin! Ui, wie primitiv!«

Was heißt hier »primitiv«? Ihr, die ganze Städte zu Flughäfen runtersterilisieren wollt. Wie viele Möbel habt ihr zu Hause? Drei? Und wie viele sind davon aus Plastik? Vier? Ihr Kopfspastis! Durch euch werden Städte gesichtslos und austauschbar! Lieber arm dran als Gesicht wech! Wenn ich einen von euch in die Finger kriege, will ich ihn packen und schütteln und anschreien: »NEIN NEIN NEIN NEIN NEIN! Aus! Pfui! Sitz! Das dürfen nicht mal Hunde, die Stadt so vollklötzern!!« Baut euch doch eure eigene Stadt. Ich hab gehört, in der Wüste soll noch was frei sein. Ihr baut doch eh auf Sand. Passt bloß auf. Ich sag nur: Augen auf beim Stadtteilkauf. Glas brennt nicht. Aber es kann schmelzen.


Gleich neben der U6 nach Tegel west Georg Wilhelm Friedrich Hegel
Oder: Die Schwaben und ihre Berliner
Bov Bjerg

Nach dem arabischen Frühling in Tunesien und Ägypten fanden Ende März 2011 auch in Baden-Württemberg freie Wahlen statt. Das Ergebnis: Diktator Mappus gestürzt! Ganz Berlin freute sich mit den Exilschwaben: Können sie bald in ihre Heimat zurück?

Doch die Sympathie verflog bald wieder. Kurz darauf legte ein junger Mann aus Neukölln Feuer in Wohnhäusern in Prenzlauer Berg. Sein Motiv: »Hass auf Schwaben«.

Die Schwaben in Prenzlauer Berg waren entsetzt. In Neukölln, da gab’s doch auch Schwaben! Hätte der junge Mann sich das Fahrgeld nicht sparen können?

Die Kritik an der Wohnungspolitik des Berliner Senats, an der Privatisierung von landeseigenen Wohnungen, an der völligen Abschaffung des Sozialen Wohnungsbaus, die Kritik an der Luxussanierung und der Umwandlung von Miet- in Eigentumswohnungen wird also immer fundierter und präziser: »Schwaben raus!«, »Schwaben verpisst euch!«, und nicht zuletzt das berühmte, analytisch knappe »Tötet Schwaben!«.

Höchste Zeit, einen ausführlichen Essay zu dem Thema zu schreiben.

Was ist ein Essay? Ein Essay ist, wenn man etwas erlebt hat, oder wenn man von etwas gehört hat, was einer von einem erzählt bekommmen hat, der was erlebt hat, und wenn man das dann aufschreibt. Man schreibt es auf und wickelt beim Aufschreiben eine Theorie drumrum. Die Theorie ist wichtig, besonders wichtig ist aber das Aufschreiben, weil: wenn man es nicht aufschreibt, nennt man den Essay nicht Essay, sondern Stammtisch.

Ein bekannter Essay ist zum Beispiel das Buch von Thilo Sarrazin, »Deutschland schafft sich ab«. Auch so ein leeres Politikerversprechen.

Der Verlag hat inzwischen mitgeteilt, »Deutschland schafft sich ab« sei »das meistverkaufte Sachbuch seit 1945«. Hm. Da scheut wohl einer den direkten Vergleich.

Jedenfalls, mein Essay heißt: »Berliner und Schwaben«.

Abstract: Berliner und Schwaben – man darf sie nicht miteinander kreuzen, denn sonst bekommt man Großmaultaschen.


Bis 1990 waren Schwaben die zweitgrößte Minderheit Berlins, gleich nach den Türken. Seit der Wiedervereinigung besteht die größte Minderheit Berlins aus Ostberlinern. Der Prozess ihrer Anpassung an das großstädtische Leben verläuft schleppend und führt regelmäßig zu Unmut unter den alteingesessenen Türken, Schwaben und Westberlinern.


Exkurs:

In Prenzlauer Berg kursiert eine mythische Zahl: In den letzten zwanzig Jahren seien achtzig Prozent der Bevölkerung »verdrängt« worden!

Diese achtzig Prozent sind merkwürdigerweise seit circa zehn Jahren konstant. Ethnologen vermuten, es handele sich um eine Heilige Zahl. Es ist tabu, sie zu verändern, zu verringern oder zu erhöhen, und wer es trotzdem tut, wird in einer Dachgeschosswohnung am Kollwitzplatz wiedergeboren.

In den letzten zwanzig Jahren achtzig Prozent verdrängt. Schlimm. Welcher Schrecken wird die Menschen überkommen, wenn sie erst einmal erfassen, dass in den letzten hundert Jahren sage und schreibe hundert Prozent der Bevölkerung verdrängt worden sind? Ja, man muss es so hart sagen: Von denen, die 1910 in Prenzlauer Berg lebten, ist praktisch keiner mehr übrig! Wo sind sie hin? Keine Panik – die meisten sind ins Grüne gezogen.

Ende des Exkurses.


Jeder klagt über Gentrifizierung. Dass die Häuser alle saniert werden. Dass die Mieten jetzt so hoch sind. Am lautesten jammert, wer selbst am meisten dazu beigetragen hat.

»Mieter vor Wild-West schützen!« plakatiert im Wahlkampf DIE LINKE – eine Partei, die in Berlin zehn Jahre lang an der Regierung war und alles getan hat, Zigtausende von landeseigenen Wohnungen irgendwelchen Investmentfonds zum Fraß vorzuwerfen und die Verwandlung von Wohnraum in Ware bloß nicht zu behindern.

Ach, Linkspartei. Fidel Castro zum Geburtstag gratulieren, aber eine Wohnungspolitik wie von Batista.

Der Lokalpatriotismus will wie der große Patriotismus eines Sarrazin, dass alles bleibt, wie es ist. Wer zuerst da war, ist im Recht!

Jeder will, dass die Straße exakt so bleibt, wie er sie zuerst gesehen hat. Egal, ob das vor zwei, vor fünf oder vor zwanzig Jahren war. Die kleine Graugans schlüpft, sieht eine Bruchbude und hält sie bis zum Ende ihres Lebens für die Mama.

My Kiez is my castle.

In Flugblättern wird gegen »Vertreibung« gewettert, als ob Erika Steinbach persönlich die Schriftleitung übernommen hätte, und von der NPD abgekupferte Slogans wünschen Schwaben und anderen Eindringlingen »Gute Heimfahrt«.

Aber woher kommt nun dieser Hass ausgerechnet auf die Schwaben?

Es ist wegen dem Essen. Raffinesse und Distinktionsvermögen der Berliner Kochkunst gipfeln in einer einzigen Frage: »Mit Darm oder ohne?«

Erbspüree ißt der Berliner für sein Leben gern. Überhaupt ist Matsch die präferierte Zubereitungsweise: Erbsenmatsch, Kartoffelmatsch, Grünkohlmatsch, Rotkohlmatsch. Matsch mit Salz.

Das Grundrezept ist so einfach wie schmackhaft: Beliebige Zutat grob schreddern und mit der gleichen Menge Salz zwei bis drei Wochen zugedeckt köcheln lassen. Am Wochenende das Umrühren nicht vergessen!

Die Zunge des Berliners unterscheidet die Geschmäcker »heiß« und »kalt«. Zur differenzierten Würdigung der indigenen Küche genügt das vollauf.

Da ist es nur zu verständlich, dass die Konfrontation mit der überlegenen Kultur des deutschen Südwestens Neid erzeugt, Frustration, ohnmächtige Wut und schließlich Hass. Der Hass geht durch den Magen.

Das soll nicht heißen, dass der Berliner sich überhaupt nicht um die Verfeinerung seiner kulinarischen Sitten bemüht. Damit täte man ihm wirklich unrecht. Folgendes Rezept etwa wird in Berliner Familien seit Langem sorgfältig gehütet und von Generation zu Generation weitergetragen – und ganz zart schlägt das Rezept ein kleines Brücklein der Versöhnung zu den Schwaben:

»Hausgemachte Berliner Maultaschen (2 Pers.):

1 Dose Ravioli 10 min. im Wasserbad erwärmen – fertig!«

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Lost in Gentrification
Leo Fischer
v.s.
Metin
₺299,63
Yaş sınırı:
18+
Hacim:
195 s. 43 illüstrasyon
ISBN:
9783944035017
Editör:
Sebastian Lehmann,
Volker Surmann
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