Kitabı oku: «Akrons Crowley Tarot Führer», sayfa 4
II Das Buch Thoth –
die magische Ausrichtung
Es ist schon wahr, dass meine erste Begeisterung für Crowley weder seinem intellektuellen Credo noch seinem schöpferischen Gloria, sondern ganz einfach seiner schillernden Persönlichkeit galt: seinem Ruf, ein Rebell, ein Aussteiger und ganz nebenbei auch noch der größte Magier des 20. Jahrhunderts zu sein. Einem Mann also, dem die Kunde vorauseilte, mit den Dämonen ins Bett zu gehen und mit den weiblichen Buhlteufeln wieder aufzuwachen. Er war aber nicht nur der Begründer des modernen Satanismus, ein Vertreter der gnostischen Literatur, der Hermetica, des Abramelin oder des Necronomicon, der die Henochischen Beschwörungen wieder entdeckte, die magische Formel des Alchemisten John Dee, mit dem er den Dämon Choronzon in der Sahara beschwor. Er war auch Bergsteiger, Yogameister, Philosoph, Poet, Pirat, exzellenter Maler und suggestiver Beschwörer, ein kreativer Genius, dem das Wort Freiheit auf der Stirn geschrieben stand. Sein Einfluss auf einen Teil der Jugendkultur ist nicht zu unterschätzen, gerade weil viele der ihn hochpushenden Rockmusiker den Eindruck erweckten, als sei er der Teufel höchstpersönlich und sie seine auserwählten Schüler. Dieser Mann war Erbe und Erneuerer einer Strömung aus dem Dunkel des Mittelalters1, nämlich der Magie, die er selbst und einige seiner Anhänger Magick nannten. Die einen sahen in ihm nicht nur den größten Magier des vergangenen Jahrhunderts, sondern auch den Verkünder einer neuen Religion, und für die anderen war er einer der finstersten Menschen aller Zeiten. Für sich selbst war er einfach nur groß: Ich mag vielleicht ein Schwarzmagier sein, aber dann wenigstens ein verdammt guter! soll er einmal gesagt haben. Er diente der Nachkriegsgeneration sozusagen als Opiumersatz. Diese hatte von den Zusammenhängen des komplexen Wirtschaftswunders keine Ahnung und war gerade im Begriff, sich von den Erwartungen der Alten loszureißen, sie wollte neben Fun und Musik auch Sex und Magie (Sexualmagie) haben und jemanden, der sich mit Drogen auskannte. Es ging einfach um den Kick, um die suggestive Botschaft Tue, was du willst!, ähnlich, wie John Lennons krächzendes Drogenbekenntnis Ticket to ride oder Sprüche wie Wer zweimal mit derselben pennt, gehört schon zum Establishment Balsam auf die Blasen einer gelangweilten, sich am eigenen Wohlstand »wund gescheuerten« Jugend war.
Wenn ich durch die Erfahrungen der nächsten vierzig Jahre heute auch glaube, zur tiefen Auseinandersetzung mit dem Propheten und Geisterbeschwörer Crowley gehöre schon etwas mehr als nur schwelgerische Phantasie, jugendliche Sinn- und Idolsuche beim Ausloten geeigneter Projektionsflächen, so war das damals trotzdem nicht verkehrt. Nicht nur, weil viele junge Menschen im Kampf gegen die Ablösung von den Werten der Nachkriegskultur in diesem genialen Schlangenbeschwörer mit seinem prallen Korb an esoterischem Wissen aus allen Kulturen eine geistige Heimat fanden, sondern weil er dem schwärmerischen, unreflektierten Idealismus junger Menschen – da sie genau auf der aufmüpfigen, pöbelnden Frequenz seines überlieferten Klischees schwangen – auf der Suche nach Revolution und Sprengung der Gesellschaftsmuster entsprach. Ganz ähnlich wie der rebellierende John Lennon, der sich mit Jesus verglich, Bob Dylan, der wie Crowley von einem neuen Horizont sprach und zum Symbol einer neuen Generation suchender Kinder wurde, oder die anfänglich zumindest für die Fotografen randalierenden Rolling Stones oder Pretty Things, deren Sänger bei Auftritten ins Publikum pinkelte, verrührte Crowley in seiner Lehre klassische und fernöstliche Überlieferungen aus fremden Töpfen zu einer neuen Bedeutung, die sogar ein Neues Zeitalter als Zukunftsvision kreierte, eine Botschaft, die ihre Anhänger in die Lage versetzte, durch spezielle (sexualmagische) Techniken ein geschärftes Auge für die spirituellen Möglichkeiten des Menschen zu entwickeln, und der keiner eine starke Faszination und ein großes Charisma absprechen konnte.
Napoleonische Gebärde (Kopfbedeckung des Horus) um 1910 im schrillen Kleid eines »halluzinogenen« Photoshop-Designs
Von außen lassen sich bei Crowley mehrere, sich aufeinander beziehende Beweggründe ausmachen: Einerseits dient ihm seine ganze Magie als der Versuch einer erfolgreichen Selbsttherapie, einer Persönlichkeitsaufarbeitung, nämlich durch die Entwicklung einer eigenen Lehre nicht nur die ihm in der Kindheit aufgedrückten Sektenmodelle zu desavouieren, sondern auch Einfluss, Freiheit und Macht zu gewinnen.2 Folgerichtig benutzt er das esoterische Vakuum seiner Umwelt, stellt sich darauf ein, damit sich die Leute darin wieder erkennen, und versucht sie Schritt um Schritt mit ihren Widersprüchen zu konfrontieren, die auch seine eigenen sind, und streift ihnen dabei sein magisches Weltbild über. Es ist die zynisch-rebellische Aufbruchsposition eines Wissenden, dem durch seine rebellische und selbstgefällige Art keine andere Wahl blieb als entweder klein beizugeben oder aber sein eigenes »Ding zu drehen«. Er beginnt auf der Tastatur esoterischer Techniken wie mit Zauberbällen zu spielen, wobei er wie ein Jongleur komplexe esoterische Modelle wie I Ging, Astrologie und Kabbala mit den Eiern, Bananen oder Salatköpfen seiner eigenen obskuren Ideen und revolutionären Einsichten zusammenmischt.3 Gleichzeitig muss man sich auch fragen, ob sich der Obermeister selbst immer ganz ernst nimmt, denn allzu oft gibt es bei ihm Stellen, in denen er seine eigenen Sprüche karikiert oder uminterpretiert, was in den Augen kritischer Betrachter Zynismus-Alarm auslöst.
Man könnte etwas überspitzt auch sagen, dass sich das sozial subversive Element von Crowley mittels Beschwörungsritualen und suggestiven Übertragungen gerne in den Köpfen geeigneter, auf der gleichen Frequenz schwingender Anhänger auslöst. Das Vorgehen ist äußerst simpel: Negative Abspeicherungen wie etwa Hure Babylon oder Tier 666 werden einfach umgedreht und dadurch erlöst. Plötzlich begegnet uns der Teufel im Kleid des Positiven, Erstrebenswerten, den es nur noch seiner hässlichen alten Hülle zu entkleiden gilt, um zu den höheren Weihen aufzusteigen. Damit hat Crowley seinen Finger erfolgreich auf die Relativität menschlicher Wahrnehmung, auf die einseitige Sicht der herrschenden Moralvorstellungen gelegt. Das, was er sieht, ist wahr, auch wenn er diese Erkenntnis letztlich in seiner eigenen Haltung widerlegt, wenn er der Versuchung erliegt, religiöse Dogmen und Intoleranz sektenhafter Systeme, wie er sie erlebt hat, nicht nur nicht zu vernichten, wofür er angetreten ist, sondern sie am Ende durch die Überführung in seine eigene Lehre geradezu zu bestätigen.
Nichts ist, wie es ist, sondern nur, weil es einer so sieht, wie er es sieht, und der sieht es anders, als ein anderer es sieht, denn jeder sieht es so, wie man ihm beigebracht hat, es zu sehen. Die gesellschaftliche Prägung ist der Gott, dem wir dienen müssen und der uns zwingt, die Welt so zu sehen, wie wir sie durch unsere soziale Umwelt eingelöffelt bekommen haben. Diese Ordnung oder diesen Gott hat Crowley mit seiner persönlichen Revolution sabotiert und das ist auch sein schöpferischer Trick: die Realität, die ihn negativ berührt, in die »Vorstellung eines Neuen Æons« einzupacken, wodurch das Unbehagen am eigenen Versagen gleichzeitig als kreative Handlung gewürdigt wird. Die Widersprüche verbünden sich in einer crowleyschen Zukunftsoption zu einer Aussage, die ihr Potential aus der rebellischen Umschichtung gewinnt, wobei Crowley auf gewisse magische Techniken setzt, die über die beschissene Realität hinausführen, als Gegengewicht zu einer Gesellschaft, die seine Werkzeuge, seine Fähigkeit als Magier nicht erkennt. Somit ist der Rebell (nicht zuletzt auch) als ästhetischer Egomane entlarvt.
Der Channel und das Liber Legis
Original-Titelseite des Liber Al vel Legis
Kommen wir nun zum spirituelleren Teil. Am 8., 9. und 10. April empfing Crowley in Kairo durch die geistige Vermittlung seiner Frau Rose eine kuriose Botschaft, die er sofort zu Papier brachte, das Liber Al vel Legis, das Buch des Gesetzes. Es ist eine eigenartige Vision, wie eine Art stenografisch verkürzter Prosa-Dichtung, die ihnen eine geheimnisvolle geistige Erscheinung mit dem Namen Aiwass auf ihrer Hochzeitsreise zukommen ließ. Die Message ist einfach: Sie verkündet den Beginn eines Neuen Æons, in dem die spirituellen Formeln vorangegangener Äone ergänzt werden sollen, damit sie mit dem erweiterten Bewusstsein der Menschen besser im Einklang sind. Es geht uns hier aber nicht um die Frage, ob Crowleys Botschaften authentisch sind oder nicht – das lässt sich sowieso nicht herausfinden –, sondern es geht uns darum, darüber zu spekulieren, ob sie etwas Tieferes, Kollektiveres zum Ausdruck bringen, das im Menschen etwas auslösen kann, oder ob sie einfach Crowleys mysteriöse Überhöhungen und geliebte Versteckspielereien repräsentieren, die im Prinzip ein Spiel mit sich selbst sind. Es geht darum, ob der Psyche im spirituellen Sinn eine Landkarte in die Hand gedrückt wird, anhand derer sie sich auf höhere innere Frequenzen einschwingen kann, oder ob es sich einfach um das Material auf der Ebene seiner persönlichen Traumsphäre handelt, innerhalb derer die Botschaften mehr von individuellem als von kollektivem Wert sind. Also im Grunde um die Antwort, ob die Überlieferungen von Aiwass die Botschaft einer höheren Wesenheit darstellen oder einfach so etwas wie ein umfassender seelischer »Versprecher« sind, wie ihn Sigmund Freud den unbewussten Bereichen einer jeden Persönlichkeit zuweist. Die zentrale Frage, die sich dabei stellt, ist: Wer ist Aiwass?
Roses handschriftliche Ergänzungen
Dazu muss man aber wissen, dass Roses Beitrag an dieser Operation vom Meister nicht gerade ins (Rampen-)Licht gezerrt worden ist. Im Manuskript finden wir einige handschriftliche Änderungen, die nicht seinem Schriftbild entsprechen und damit eine gewisse Mitwirkung Roses an diesem Prozedere nahe legen. Man mag darüber streiten, ob und in welchem Umfang sie auf die Aufzeichnungen Einfluss genommen hat. Fakt ist, dass es ohne sie kaum zu Aiwass’ Erscheinen gekommen wäre. Sie war es, die Crowley zum Besuch des Boulak-Museums überredete und zu der bestimmten Stele führte, und sie war es auch, die ihm die Rituale nach ihren Anweisungen ans Herz legte, die – wie wir noch sehen werden – im Anschluss zu den historischen Aufzeichnungen führten. Damit ist sicher, dass sich »das Höhere« ihrer Stimme bediente und sie sich mit Madame Blavatsky oder Edgar Cayce die Ehre eines frühen Vorläufers der gegenwärtig boomenden Channeling-Szene teilen kann. In der Zwischenzeit gibt es ganze Heerscharen gechannelter Geistesführer, die der Menschheit etwas mitzuteilen haben, und die konventionelle Forschung hat bislang keine akzeptablen Erklärungen für solche Trance-Persönlichkeiten gefunden. Andererseits greift es zu kurz, wenn wir alles, für das es keine Erklärungen gibt, als Traumfiguren oder Abspaltungen des Ichs bezeichnen, wie dies in klassischer psychologischer Sicht geschieht. Damit ist die moderne spirituelle Seele nicht zufrieden, denn es gibt kaum einen größeren Gräuel als die Menschen, die ihre Person hinter den sich selbst aufoktroyierten wissenschaftlichen Modellen zelebrieren. Umgekehrt darf es aber nicht dahin führen, jeden mystisch-verbrämten Schutt aus der kollektiven Seelenmüllhalde zum alternativen Zukunftsmodell zu stilisieren. Grundsätzlich geht es um die Sehnsucht des Menschen nach seinen unentdeckten Teilen, die ihn einladen, sich über visionäre Erfahrungen mit diesen unbewussten Strömen zu verbinden. Dahin zielen auch die alten Totenbücher der Ägypter und Tibeter. In der Auseinandersetzung und Beschäftigung mit jener höheren Ebene geht es weniger um den Tod als um eine spirituelle Perspektive auf der Grundlage des Lebens.
April 1904
Rose Crowley
Crowley und seine Frau Rose verbrachten gerade ihre Flitterwochen in Kairo, als Rose in Trance fiel und stammelte, die alten ägyptischen Götter, insbesondere Horus, wären über sie gekommen und liehen sich ihre Stimme, und sie möchten mit ihm, Crowley, Kontakt aufnehmen. Nachdem er sich ihrer Medialität dadurch versicherte, indem er ihr einige Fachfragen zu Horus stellte, die sie ihm überraschenderweise beantworten konnte, obwohl sie weder über okkulte noch ägyptologische Bildungsinhalte verfügte, willigte er ein. Beim Besuch des Boulak-Museums Kairo (dessen Sammlungen heute zum Bestand des Cairo-Museum gehören), bat er sie, ihm das Geheimnis von Horus zu offenbaren. Dabei ignorierte sie die üblichen Abbilder von Horus und zeigte auf eine schlichte Stele mit der Katalognummer 666 als die Quelle der Botschaften. Crowley war überrascht. Es war die Begräbnis-Stele des Ankh-af-na-Khonsu, eines Hohepriesters des Kriegsgottes Mentu in Theben.1 Die auf der Stele verwendeten Bildelemente Nuit, Hadit und Re-Harachte werden, wie wir noch sehen werden, von Crowley in Atu XX dann konsequent umgesetzt. Diese »Stele der Offenbarung«, wie sie Crowley später nannte, wurde nun zur Ikone des Gesetzes von Thelema, zum Fundament einer ganzen Palette magischer Eingebungen, die sich in Crowleys »Buch des Gesetzes« krönten, das für das »Buch Thoth« wiederum als Quelle diente. Man kann ohne zu übertreiben sagen, dass das der Schnittpunkt war, an dem sich seine magische Ader und sein Profilierungsstreben die Hand gaben und zum göttlichen Manna wurden, aus dem Crowleys Lebenswerk entsprang. Darauf erhielt er von Rose die Anweisung, ein Ritual nach ihrer Vorgabe durchzuführen, der er mehrmals nachkam, und in deren Verlauf er am 8., 9. und 10. April 1904 die Anweisungen eines geistigen Wesens namens Aiwass bekam, die er dann zu den drei Kapiteln des »Liber Al« zusammenfasste.
Stele der Offenbarung
Wer also ist Aiwass? – Tue, was du willst, sei das ganze Gesetz und Liebe ist das Gesetz, Liebe unter Willen sind die populärsten Hits, die er uns übermittelt hat. Die spröde Form der Botschaft, obwohl auf den ersten Blick scheinbar klar strukturiert, sagt beim näheren Betrachten nichts Genaues aus. Es sind tranceartige Bilder, in rätselhafte Assoziationen gehüllt, aus denen Crowley sein Gesetz von Thelema kreierte. Die Worte scheinen weniger Bedeutungsträger als Meditationswerkzeuge zu sein, die in den geeigneten Personen die Kanäle öffnen können, durch die sie in einen Bewusstseinszustand gelockt werden, auf dessen Ebene sie die verklausulierten Botschaften verstehen.
Drehen wir die Frage einmal um: Wer ist Crowley, und zwar vor dem Hintergrund seiner eigenen Entität? Wie empfände Aiwass Crowley als Teil seiner geistigen Realität? Wenn Crowley predigt Tue, was du willst, dann stellt sich doch die Frage, was wer will? Ist Aiwass ein innerer Aspekt von Crowleys höherem Selbst, der sich einfach im Außen manifestieren will, oder ist er eine Botschaft aus dem kosmischen Raum, ähnlich wie die Beatles oder die Erfindung des Internets, die ihr Publikum erreicht, wenn die Zeit dafür reif geworden ist? Jeder Mann und jede Frau ist ein Stern zeigt die Individualität des Menschen als höchstes Gut. Gilt das aber auch für die anderen, wäre die Frage, die man Crowley stellen müsste, insbesondere für die eigenen Feinde? Und weiter: Wenn alle Menschen so einzigartig und aus sich heraus strahlend sind, wozu bedürfen sie dann eines Propheten? Trotz dieser Widersprüche ist die Botschaft nicht falsch: Jedes Individuum fühlt in sich gelegentlich eine Inspiration oder wird von einem Gespür oder einer Vision überrascht, die sich unerklärlicherweise erfüllt. Die meisten Menschen machen in ihrem Leben immer wieder erstaunliche mediale Erfahrungen. Einigen wir uns also auf die Aussage, dass es Propheten braucht, um den Menschen beizubringen, dass es hinsichtlich ihrer eigenen Gaben, die sie nur zu entwickeln brauchten, gar keiner Propheten bedarf. Und wenn doch, dann auch nur deswegen, weil sie ihren inneren Propheten noch nicht erweckt haben. Trotzdem bleibt die Frage offen: In welchem Sinn kann Crowleys Lehre seinen eigenen Anhängern hilfreich sein? Geht es ihm wirklich um die Befreiung des Menschen, oder ist das Ziel »seiner« eigenen Befreiung der Mittelpunkt? Thelema versteht sich zwar als Universalphilosophie, aber ist es nicht so, dass die Lehre und alle mit ihr korrespondierenden sozial-gesellschaftlichen Utopien wie vorgefertigte Stanzformen einzig im magischen Weltbild ihres Meisters wurzeln? Visionäres Erleben wird auf vorgefertigte Schablonen reduziert, die in den Kreationen ihres Schöpfers gründen, dabei könnte man fast schon behaupten, dass das blinde Nachfolgen von Crowleys Lehre eigentlich in sich selbst gegen das Gesetz von Thelema verstößt. So wie er alle Lehren benutzte, um ihnen seine eigene Vorstellung aufzudrücken, müsste er eigentlich seine Anhänger ermuntern, seine Vorgaben selbst wiederum um ihre eigenen Erkenntnisse zu erweitern und nach ihrem inneren Empfinden umzubiegen. Crowley-like wäre nicht das Zementieren, sondern das beständige Umschichten und Erweitern der heiligen Bücher. Der kritische Punkt jeder elitären Gemeinschaft ist wie immer das Ego-Problem ihrer Führer. Alphatiere können anderen niemals das zugestehen, was sie selbst für ihre eigene Entwicklung beanspruchen, und letztlich ist es die Selbsterhebung des gesteigerten Ich-Empfindens, das sich hinter den Masken von Göttlichkeit und Befreiung der Menschen in einem stets auf die eigene Biographie verweisenden Dogma verbirgt. In diese Richtung argumentiert auch Peter Sloterdijks und Thomas H. Machos Theorie der Gnosis als wiederholte Selbsterfindung2. Crowley erklärt sich zum Idol, und alles, was er sagt, verweist immer nur auf ihn selbst.
Juni 2006
Wenn ich mir beim Schreiben über die Schulter gucke, sozusagen über meine eigenen Eingebungen beim Schreiben reflektiere, kann ich erkennen, wie ich durch Denken und Konzentration versuche, verschiedene Teile meines Wissens miteinander in Verbindung zu bringen, um eine passende Aussage zu formulieren, von der ich annehme, dass sie den Leser interessieren könnte. Wenn es bei mir aber zum Fließen kommt, dann ist es so, wie wenn mein Denken anhält und ich mit einem Mal über einen Fluss innerer Informationen verfüge, die ich wie ein umsichtiger Orchesterleiter dirigiere, der weiß, dass er nicht der Komponist des Werkes ist. Plötzlich bekomme ich ein leichtes und gutes Gefühl und muss mich auch nicht mit den Begriffen herumquälen und der Selbstkritik, ob das, was ich formulieren will, für den Leser überhaupt nachvollziehbar ist. Als ich das zum ersten Mal begriff, schien es mir, als ob ich nicht bloß Vermittler verschiedener Abteilungen meines angelernten Wissens wäre, sondern auch Mittler zwischen verschiedenen Bewusstseinsebenen, deren Schnittpunkte irgendwie in meinem Hirn lagen, aber nicht in der Form des Denkens, das darauf Einfluss nimmt, sondern in Form des Fühlens, das die Impulse in die Tasten tippt.3 Versuche ich mich in das Geschriebene jedoch »gedanklich« einzumischen, erlischt der Fluss und ich gerate wieder in den stockenden Strom der dualen Quader des zu einem Turm aufeinandergeschichteten Denkens. Wenn ich mich über die Auseinandersetzung mit Crowley in den Geist hineinversenke, dann kommt beim Fließen am Ende etwas heraus, das irgendwie mit Crowley korrespondiert, aber niemals mit meiner bewussten Meinung über Crowley übereinstimmt. Im vorliegenden Fall kommt es zu einer viel härteren und analytischeren Aufarbeitung, als es dem in magischen Kreisen überlieferten Klischee des Meisters entspricht, und andererseits sind es genau die Energieströme, die mich durchziehen, wenn ich mich bemühe, mich in Crowley hineinzufühlen.
Kommen wir zur Frage zurück: Wer ist Aiwass, der ihm am 8., 9. und 10. April via Rose das Buch diktierte, das die Ankunft eines Neuen Æons verkündete?4 Obwohl sich Crowley anfänglich gegen diese Botschaft sträubte, wie er selbst bekannte, da der mitleidslose Geist der Übermittlung die moralischen Grundfesten seiner Seele schwer erschütterte, triumphierte schließlich sein uneigennütziger Verstand. Letztlich konnte er es der Menschheit doch nicht antun, sie so völlig »ungebremst« ins Verderben rennen zu lassen, und so brachte er schweren Herzens ein Rundschreiben heraus, das ein neues Zeitalter ankündigte.5 Im selben Aufwasch ließ er S. L. Mathers wissen, dass er von der Geistigen Loge der Geheimen Oberen dazu auserkoren worden sei, die Leitung des Golden Dawns zu übernehmen, und man mag sich bildhaft vorstellen, wie sehr sich dieser darüber gefreut haben mag. In seinem heroischen Versuch, sich dem Neuen Æon zu verschließen, entdeckte er in der Folge noch eine Vielzahl von Ausflüchten, sich dieser Versuchung zu widersetzen, und das gipfelte im »glücklichen Missgeschick«, dass er das Manuskript (vorübergehend) verlegte. Erst der Umstand, dass er die Aufzeichnungen 1909 auf dem Dachboden seines Hauses im schottischen Hochland wiederfand, war für ihn der unumstößliche Beweis für die Gültigkeit und Wichtigkeit seiner Offenbarung. Damit war der Weg zu einer neuen Weltordnung geebnet.
Die Thesen:
These 1 – Alpha-Zustand-Variante: Aiwass ist eine halbbewusste Energiegestalt aus der inneren Trancewelt Crowleys, und der Alpha-Zustand eine Art Sicherungsseil, an dem er sich (im Geist) festhalten kann, wenn er in die Tiefe des Unbewussten eindringt. Er ist mit seinem Bewusstsein verbunden, während er sich gleichzeitig in die tieferen Ebenen hinabfallen lässt.
These 2 – Schulpsychologie-Variante: Aiwass ist ein abgespaltener Teil, wie es die alte Schulpsychologie formuliert, der sich nicht in die Persönlichkeit eingebunden hat und sich eines Tages plötzlich zurückmeldet. In diesem Falle ist die Prophetie die eigene Vision, die von der Ratio des Betreffenden unterdrückt wurde und jetzt frei geworden ist.
These 3 – Multipersonale Variante: Aiwass ist ein tiefer liegender, im Unbewussten angesiedelter Teil von Crowleys Persönlichkeit. Wenn Crowley auf der Denkebene für hellseherische Informationen offen war, informierte seine mentale Kontrollinstanz den anderen Energieteil über den »Zentralcomputer« von diesem offenen Kanal, der flugs erschien und ihm die Informationen vermittelte, die der andere Teil auf der Bewusstseinsebene gewissenhaft aufschrieb. Mit einem Wort: Sein Ich stimmte sich auf einen unbewussten Teil seiner eigenen Wesenheit ein.
These 4 – Kollektive Schicksals-Variante: Aiwass ist ein unbewusstes, kreatives Selbstverwirklichungsprogramm, das schon lange in Crowley »beabsichtigt« worden ist und bis zum »Knall« tief im Unbewussten schlummert. Irgendwann steigt dieser Plan als verschwommene Vision im Bewusstsein auf und das Ego heftet sich an die Fersen seiner längst vergessenen Botschaft, die es aber, damit sein Weltbild keine Sprünge erleidet, aus sich entfernt, also von außen erlebt.6
These 5 – Erich v. Däniken-Variante: Aiwass ist ein fremdes Energiefeld, das sich vorübergehend in Crowleys Geist fokussiert und ihm Botschaften zum Sinn und Zweck anvertraut, dass er sie im Sinne seiner Magie nach außen trägt.
These 6 – Kosmische Variante: Aiwass ist ein kosmisches Programm (das entspräche Crowleys selbst propagierter These). Diese Vision wird im Zeitgeist aktualisiert, wenn die Menschheit dafür bereit ist, und das vom Geist berührte Bewusstsein verändert Zivilisation und Kultur.
These 7 – Esoterische Variante: Aiwass ist die Verbindung zu Ankh-f-n-Khonsu, einer weit zurückliegenden leiblichen Verkörperung des Meisters (das reflektiert die andere Seite von Crowleys spirituellem Empfinden, denn zeit seines Lebens trug er einen großen Siegelring mit dem Namen des Priesters in ägyptischen Hieroglyphen), der vor mehr als zweieinhalbtausend Jahren ähnlich wie Nostradamus eine Zukunftsperspektive entwarf, die in Crowley die Erinnerung an seine ägyptische Inkarnation erweckte, was er gleich als Vorwand zur Festsetzung des Beginns des neuen Zeitalters benutzte.
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