Kitabı oku: «Baphomet», sayfa 4

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Das zweite Siegel

Die Suche nach dem Paradies funktioniert – überspitzt formuliert – nicht nur dadurch, dass wir es nie finden können, sondern auch, indem wir diese Tatsache verdrängen, um weiter nach dem perfekten System suchen zu können. Es ist falsch zu glauben, dass sich unsere Entwicklung in einem Umfeld des Gleichgewichts vollziehen kann; sie mag es zwar ständig suchen, aber sie darf es nicht erreichen, damit Entwicklung überhaupt möglich ist.

Akron

Fast scheint es so, als erlebten wir heute die Geburt eines neuen Weltbildes – oder wenigstens die Erweiterung des weltanschaulichen Rahmens für unsere Bilder. Diesen gilt es jetzt auszufüllen, damit wir ein größeres Stück der Wirklichkeit in unser Bewusstsein integrieren können. Das erste, was uns ins Auge sticht, ist der Umstand, dass die großen religiösen Institutionen in unseren Breitengraden an charismatischem Glanz verloren haben. Ihr vormaliges Erlösungsmonopol müssen sie jetzt mit Heilslehren aus anderen Kulturen und mit den üppig ins Kraut schießenden esoterischen Selbsterfahrungsgruppen teilen. Durch bewusstes und intensives Wahrnehmen und Fühlen versuchen die Menschen, sich ihrem eigentlichen Wesen zu nähern. Bisweilen wirkt es schon kurios, wenn zeitgenössische Erleuchtete im Selbsterfahrungs-Workshop genau denselben göttlichen Plan in atemberaubendem Tempo zu durchschauen meinen, den sie im Religionsunterricht noch als höchst lächerlich empfanden. Wir können von unseren selbst geschaffenen Bildern des Göttlichen nämlich nicht so einfach lassen! Die gegenwärtige Epidemie von Selbsterkenntniskursen verwandelt die alten patriarchalischen Gottesbilder in „Große-Mutter-Gottheiten“ oder ähnliche zeitgemäße Varianten. Alter Wein in neuen Schläuchen! In der Spätantike gab es auch keine größere Stadt, in der nicht ein Mithräum oder ein Isis-Tempel stand, wo man sich in die Geheimnisse der Mysterien einweihen lassen konnte. Die Sehnsüchte haben lediglich ihre rituellen Vehikel gewechselt. So fliegen sie denn jetzt auf den Selbsterfahrungs-Besen des neuen Göttinnen-Kults oder anderer esoterisch verbrämter Zeiterscheinungen in die tiefen Brunnenstuben der Ur-Mütter hinab, um die inneren Geheimnisse zu entdecken, die Schleier von den verborgenen Mysterien zu reißen und die wahre Selbsterkenntnis zu finden.

Eines aber bleibt sich immer gleich: Böses wird verdrängt und auf andere projiziert, und die negativen Prägungen des eigenen Selbst werden vor sich selbst und anderen versteckt. Ihren Ursachen wird nicht begegnet, und da wir in einer Zeit psychologischer Erkenntnisse nicht mehr dumm genug sein dürfen, das Dunkle, Schattenhafte in uns vollkommen zu leugnen, dürfen wir ihm wenigstens falsche Namen geben. Wir nennen es Blindheit oder Unbewusstheit und bringen es mit der negativen Seite eines Geisteszustandes in Verbindung, dessen Gegenstück die Vollständigkeit oder Ganzheit wäre. Das heißt, wir gehen davon aus, dass das Böse die Abweichung vom Guten ist und dass es durch Erkenntnis und Bewusstseinserweiterung zu überwinden sei. Dabei merken wir nicht, dass gerade in diesen esoterischen Modellen der eigentliche, wahre Teufel sitzt, weil durch sie suggeriert wird, dass Bewusstwerdung und Erkenntnis der Tod des Teufels wären.

Das dritte Siegel

Das Böse ist nicht der Widerspruch zum Guten. Es kann nicht durch das Gute vermieden werden, sondern es ist jene Seite des Guten selbst, die wir vom Guten abgetrennt haben, damit die andere Seite als Gutes weiter existieren darf.

Akron

Der Kampf gegen das Böse ist absurd. Denn er bringt nie das Gute, sondern immer nur das Böse im Kleid des Guten hervor. Lohnt es sich überhaupt, das Böse zu bekämpfen? Einerseits haben alle Kämpfe gegen äußere Widersacher, Minderheiten oder Probleme gezeigt: Je mehr man dagegen ankämpft, desto hartnäckiger widersetzen sie sich dem eigenen Bemühen. Andererseits liegt auch darin durchaus ein Sinn, wenn auch ein verborgener: So hat zum Beispiel die Kirche im Teufel ihren verdrängten Schatten nur deshalb heraufbeschworen, um sich selbst im Kampf gegen das Böse zu legitimieren und damit das verdrängte Böse in sich selbst aggressiv – und gleichzeitig unerkannt – auszuleben, indem man durch die Zerstörung des angeblich Bösen ja vermeintlich Gutes tat. Dies zeigt nur, wie unlösbar jede Existenz an ihren verdrängten Schatten, den Teufel, gebunden ist: Indem sie ihn bekämpft, verhilft er ihr zum seelischen Gleichgewicht. Um nichts anderes geht es, wenn man das Böse legitimiert, um das Gute zu bewirken.

Damit wird auch klar, dass der Teufel die andere Seite Gottes ist, also jener Teil, der im Schatten existieren muss, damit der andere sich weiter im Licht sonnen kann. Beide Teile bedingen sich gegenseitig, und es ist nicht – wie Schiller meinte – der Fluch der bösen Tat, dass sie fortzeugend Böses muss gebären, sondern es ist das Muster des einen, das das Muster des anderen bedingt und ausgleicht. Das Gute ist nicht einfach das Gute, und das Böse ist nicht einfach das Böse, denn beides ist je nach dem Standpunkt des Betrachters sehr verschieden. Was für den einen das Gute ist, ist für dessen Feind das Böse – zumindest, solange er sein Feind ist. Umgekehrt ist die Faszination des Bösen auch nur so lange faszinierend, wie wir seine Bindung an das Gute nicht erkennen. Durch die Verdrängung des Bösen verhelfen wir diesem Bösen – ob gewollt oder ungewollt – zu einer kultischen Größe, was weniger seiner wahren Natur als Böses, sondern vielmehr der Tatsache entspricht, dass es uns, aus uns selbst entfernt, außerhalb unserer selbst an unser eigenes Unentdecktes erinnert. Es ist in der Tat ein „höllisches“ Gebilde, von dem wir uns zwar bewusst abgestoßen fühlen, das uns aber unbewusst durch alle Verdrängungen hindurch anzieht, weil es der unentdeckte Teil unserer selbst ist. Doch es zieht uns nur so lange an, wie wir es nicht in uns selbst erkennen! Der Satanskult oder die Teufelsbeschwörungen in ihren schillernden Ausprägungen haben deshalb keine eigenständige, negativ-destruktive Bedeutung, sondern sie sind einfach die Umkehrung der überlieferten Position: ein revolutionärer Akt gegen die Herrschenden und gleichzeitig so unlösbar mit dem Bekämpften verbunden, dass man fast geneigt ist, ihn als unbedeutend abzutun, wenn sich unter seiner übertriebenen Einseitigkeit nicht auch das unbewusste Streben nach Ganzheit verbergen würde.

Das vierte Siegel

Solange das Bild der Erbsünde und des Sündenfalls eine Rolle spielt, mögen manche im Leben die Strafe für das Streben sehen, wie Gott werden zu wollen. Es war die Schlange, die zu Eva sprach:

„Sobald ihr davon esst, gehen euch die Augen auf; ihr werdet wie Gott und erkennt Gut und Böse“ (1. Mose 3,5). Die Bibelstelle zeigt aber auch, dass die Schuld am Sündenfall Eva in die Schuhe geschoben wurde, die sich von der Schlange verführen ließ und den schwachen Adam mit in den Untergang riss.

Akron

Wie relativ Gut und Böse sind, erleben wir gerade auch im Umgang mit der Sexualität, denn der allzu freie Umgang mit der Liebe galt schon immer als eine der großen Herausforderungen für das soziale Gefüge einer Gesellschaft. Vor diesem Hintergrund wird man sich auch über die Gründe klar, warum das Patriarchat unter dem Deckmantel von Recht und Ordnung in den vergangenen Jahrhunderten die Triebnatur des Menschen so sehr bekämpfte. Indem die herrschende Klasse alles sich der Kontrolle Entziehende in der Welt verfolgte, sorgte sie dafür, dass Trieb und Instinkt insgeheim in der aggressiven Entladung gegenüber dem „Bösen“ überlebten. Gleichzeitig wurde damit ein Beitrag zur Stabilisierung seiner eigenen Herrschaft geleistet, denn der Kampf gegen das Böse richtete sich immer auch gegen die „Feinde“ des Patriarchats.

Hier könnte eine mögliche Erklärung dafür liegen, warum wir auf der einen Seite die Grundlagen unseres Lebens unmerklich zerstören und auf der anderen Gott den Herrn zu uns sprechen lassen, wir sollten brav und gut sein und nur die „Bösen“ töten, sonst müssten wir in der Hölle schmoren! Erst wenn wir erkennen, dass wir nicht nur den Himmel, sondern auch die Unterwelt suchen, um uns aus unserer unerlösten Leiblichkeit durch Strafe zu erlösen, bekommt unser widersprüchliches Verhalten einen Sinn. Wir müssen uns unsere Strafe wahrlich noch verdienen!6 Da wir dies aber nicht erkennen wollen, müssen wir es gleichzeitig vor uns verbergen, indem wir (aus Furcht vor Strafe) die Aggressionen unterdrücken – und damit für ihr sicheres Überleben sorgen.

Erst wenn wir den Sinn in der Zerstörung, die wir anrichten, erkennen, können wir auch erkennen, dass wir in allem nur die Strafe für das Leben suchen: für die bare Tatsache, dass wir ins Leben geboren sind, so wie es Schopenhauer als Verneinung des Willens zum Leben ausdrückte. In einer solchen Welt findet sich die „Summe menschlicher Erkenntnis“, die am Ende ihrer Weisheit angelangt ist und die sich jetzt vernichten will, in jener Liebe, die sich im Tod wieder mit der Triebnatur zu versöhnen sucht.

Zwar ist es das Ziel jedes Einweihungsweges, danach zu suchen, was wir sind; aber weil wir nicht ahnen, dass das wirkliche Ziel nicht darin besteht, zu finden, was wir sind, sondern nur die Voraussetzungen dafür zu erfahren, warum wir nicht erfahren können, was wir sind, deshalb führt uns jede Selbsterkenntnis vom Weg des Suchens ab. Alles, was wir finden, sind immer nur die Prägungen, die innerhalb der Strukturen unseres Vorstellungsvermögens liegen – also innerhalb des Rahmens, der unserer Bewusstseinskontrolle unterliegt.

Es ist deshalb nur folgerichtig, wenn auf der einen Seite heilige Frauen mit Kristallen die Erde reinigen, während auf der anderen Soldaten „im Namen Gottes“ dieselbe Erde vergiften und auf Jahre hinaus verwüsten. Wenn man den Advocatus Diaboli fragen würde, wer denn nun von beiden der kosmischen Harmonie ein Stück näher ist, würde er vermutlich nur antworten, dass beide gleich weit entfernt von ihr sind, da beide ihren Anteil an der Wahrheit übertreiben.

Das fünfte Siegel

Das einzige, was wir in der Welt finden, sind die Bilder und Vorstellungen, die wir uns ausgedacht haben, um uns einen höheren Lebenssinn zu erzwingen, und dagegen ist auch nichts einzuwenden, solange diese Modelle das Leben erleichtern oder soziale Aufgaben erfüllen. Letztlich geht es auch nicht um ein Ziel, sondern um die Auseinandersetzung mit der Suche selbst.

Akron

Der erwachte Mensch richtet sich nicht mehr an äußeren Dingen, sondern an seinem inneren Empfinden aus. Er strebt nach einem tieferen Erkennen, das sich selbst höchstes Gesetz ist. Er hört den Ruf der Seele, aufzubrechen und alle Räume der Erkenntnis zu entdecken, die es gibt. Er begibt sich auf den Weg, sich lebendig zu fühlen und das Leben in Übereinstimmung mit dem Höheren zu bringen. Er beschäftigt sich mit dem Erkennen von kosmischen Zusammenhängen und Gesetzmäßigkeiten: Ganzheitlichkeit, Karma, Sphärenharmonie und so weiter. Die Absicht, kosmisches Bewusstsein zu erlangen, ist aber mehr eine Folge der menschlichen Prägung, sich im Rahmen der einverleibten Modelle selbst zu bespiegeln, und deshalb führt dieser Weg auch weniger zur Erfahrung des Göttlichen als zu einer mehr oder weniger starken Identifikation mit diesen religiösen oder spirituellen Vorgaben, die dann spiegelfechterisch gegen andere Modelle verteidigt werden müssen. Dahinter wirkt ein seelischer Suchtmechanismus, der das Ziel der Erkenntnis im Überfluss der ins Kraut schießenden Wahrheiten ertränkt: In kurzer Zeit möchte das Bewusstsein alle Blockaden beseitigen, alle alten Muster auflösen, alle überholten Bindungen hinter sich lassen, Kontakt mit dem höheren Selbst herstellen, sein volles Potential realisieren, den göttlichen Plan erkennen und seine eigene Bestimmung finden. Doch trotz alledem bleibt ihm verborgen, dass sich in diesem Akt weder Bewusstseinserfahrung noch Gotteserkenntnis, sondern nur die das Ego aufblähenden Auswirkungen einer grandiosen Selbstdarstellung realisieren.

In diesem Sinne ist jeder „esoterische“ Mensch eine Neuauflage des alten Tempelpriesters, der die Schaffung seines inneren Gottesbildes selbst in die Hand genommen hat. Er manifestiert das Verlangen, der Sehnsucht nach Gott ein inneres Bild zu widmen und dieses „in die Welt zu schicken“, damit er es „draußen“ finden und wieder in die Seele zurückspiegeln kann. Und da er stets ein Wissen vermittelt, das er selbst gar nicht durchschaut, sondern an das er nur gefühlsmäßig glaubt, weil es seine inneren Sehnsüchte entflammt, identifiziert er sich gerne mit Rollen, die mit Bewusstseinserweiterung zu tun haben. Deshalb ist er darauf erpicht, auch seinen Mitmenschen einen erweiterten Bewusstseinshorizont zu vermitteln. Dabei geht es nicht um Wissen im eigentlichen Sinne, sondern vielmehr darum, das Wissen dingfest zu machen: Jede Bewusstseinserweiterung setzt nämlich einen geistigen Fixpunkt voraus, um von diesem aus dann in sein eigenes Universum abheben zu können.

In dieser Art von Sinnfindungsprozess manifestiert sich die unbewusste Absicht, „draußen“ zu finden, was man „innen“ sucht. Tatsächlich ist der Mensch selbst der Schöpfer seines Gottes, ohne es wahrhaben zu wollen, dass er sich dabei nur selbst – sich seines Selbst von ferne erinnernd – in seiner eigenen Schöpfung entdeckt. Der rote Faden seiner Erkenntnissuche liegt einzig und allein in der Sicherheit der Erinnerung, und seine eigene Schöpfung entspringt der Sehnsucht, stets das zu erstreben, was er auch prompt immer wieder „findet“ – ein im Suchen selbst liegender Lebenssinn! Was der Mensch aus dieser Not heraus „Gott“ nennt, ist in Wahrheit sein eigenes, von ihm allein geschaffenes Ebenbild, weil er sich an Gott selbst nicht (mehr) erinnern kann. Und was er als Ziel bezeichnet, enthüllt im Grunde nur seine Absichten, und zwar in Form des von ihm selbst entworfenen Schöpfungssinns. Finden ist seine spezifische Form von Suchen!

Das sechste Siegel

Man sagt, dass Krisen von Menschen ausgelöst werden, aber das ist nicht ganz präzise:

Krisen werden von den Inhalten und Systemen, die den Menschen aufoktroyiert worden sind, ausgelöst, wenn die Menschen ihre angelernten Inhalte in der Welt zu verwirklichen trachten.

Akron

Die logischen Axiome des Aristoteles, seit mehr als zweitausend Jahren das Fundament des abendländischen Denkens, sind nicht nur die sichere Grundlage, auf der unser Weltbild steht, sondern sie sind gleichzeitig auch der Preis für diese Sicherheit. Sie errichten nicht nur die hohen Mauern der rationalen Wissenschaften, die alles ausgrenzen, was sich nicht in die Gesetze der Logik eingliedern lässt, sondern sie mutieren auch zu einem Filter unserer Erkenntnis, der alles aussondert, was nicht durch Stoff und Form, Bewegung und Ziel definiert werden kann. Doch es geht auch anders. Im Gegensatz zu Aristoteles ging Platon davon aus, dass wir im sichtbaren Objekt nur das erkennen können, was dem inneren Urbild dieses Objektes entspricht, d. h. was wir an Informationen oder Vorstellungen über das betreffende Objekt in uns tragen. Das bedeutet, dass unser Bewusstsein im Objekt immer nur unsere eingegebenen Erfahrungen erkennt, und dass wir, indem wir das Objekt erkennen, im Grunde immer nur uns selbst erkennen, oder genauer: unsere Perspektive gegenüber dem Objekt.

Aus Platons Blickwinkel heraus betrachtet, ist Aristoteles’ Modell also nur eine „Vorstellung vom Leben“ – eben aus der Perspektive der Wissenschaft heraus gesehen. Denn alles, was wir in unserer Anschauung der Welt erfassen, ist eine Vorstellung von Wahrheit, ein Abbild der Wirklichkeit, abhängig von Gesetzen, die wir uns selbst geschaffen haben. Bei Letzterem beherrscht die Vorstellung bereits die Wirklichkeit, und viele Suchende glauben, dass die Vorstellung die Wirklichkeit nur ausdrückt. Wie kann die Vorstellung aber die Wirklichkeit ausdrücken, wenn sie nicht weiß, was die Wirklichkeit ist? Deshalb lässt sich im wissenschaftlichen Streben auch nicht das schöpferische Bemühen erkennen, die Natur zu verstehen, sondern höchstens das menschliche Bestreben, aus der Natur heraus das abzuleiten, was der duale Geist seinen Verständnismodellen als „zusammenhängende Erinnerungen“ dann wieder abringen kann.

Um es ein wenig bissig auszudrücken: Eigentlich spielt es keine Rolle, was wir sehen, oder wie wir das interpretieren, was wir zu erkennen glauben – was sich vor unserem Auge abspielt. Im Grunde ist es auch völlig egal, ob wir lügen oder die Wahrheit sagen, weil die Wahrheit sowieso immer ein Teil der Lüge ist. Aber nicht, weil sie unwahr, sondern weil sie immer nur die Hälfte eines unerkannten Ganzen ist, das wir nie sehen dürfen, weil sonst unser ganzes Weltbild, das die Dinge polarisiert, zusammenbricht. Deshalb ist es nur natürlich, dass unsere Welt lückenhaft und unvollkommen ist. Denn von einem Modell, das immer einen Teil seiner selbst gegen sich selbst mobilisieren muss, um den anderen Teil zu stützen, ist schlechterdings keine Vollständigkeit zu erwarten.

Das siebente Siegel

Krisen sind immer auch ein notwendiger Teil der Entwicklung, und es ist auch nicht die Aufgabe des Menschen, daraus zu lernen. Das – so zynisch es klingt – würde die Entwicklung hemmen. Die menschliche Entwicklung lag noch nie im Zurückbuchstabieren oder in der Umkehr, der Rückkehr, sondern darin, dass sie in den Lösungen von heute auf die Probleme von gestern die Probleme von morgen schafft, die nach Lösungen von übermorgen verlangen.

Akron

Von der Voraussetzung ausgehend, dass alles, was wir in der Welt gestalten, zuerst als Bild in uns selbst ist, äußert sich im Wunsch nach Weltgestaltung gleichzeitig auch der Wunsch nach Selbsterkenntnis. Wir müssen unsere inneren Muster in Frage stellen, wenn wir die äußere Welt verstehen wollen, aus der uns unsere eigenen inneren Fallstricke und Gefahren entgegenblicken. So können wir auch unseren eigenen Schatten sehen lernen.

Der Schatten ist nicht nur dort, wo man ihn identifiziert, personalisiert und stigmatisiert, sondern er ist gerade auch dort, wo man ihn nicht sieht, weil man scheinbar Gutes tut. Der Schatten ist daher nicht nur in den Hexenverbrennungen, den Massakern des Dritten Reiches oder den Gräueltaten militärischer Regime zu finden. Dort tritt er nur offen zutage. Viel raffinierter versteckt er sich in den Wohltaten und Wohltätern der modernen Gesellschaft, zum Beispiel in den Wirtschaftssystemen, die auf dem Zwang zum Wachstum gründen und daher in ihrer inneren Struktur zutiefst lebensfeindlich sind.

Unter dem Vorwand des Fortschritts haben wir die in den Atomen schlummernden Urkräfte geweckt und den Entdeckern dafür reihenweise Nobelpreise verliehen. Heute nennen wir die Entdeckung böse, dabei ist sie weder gut noch böse, sondern nichts anderes als die natürliche Fortsetzung des im Kinde wirkenden Urtriebes, seinen Teddy zu zerstören, um zu sehen, wie er innen aussieht. Es ist das krampfhafte Streben nach Fortschritt, das uns Menschen zwingt, uns immer weiterzuentwickeln, selbst wenn diese Entwicklung in eine Sackgasse führt. Dieses Streben entwickelt seine eigene Dynamik, die uns über die Grenzgebiete der Gegenwart hinaus ins Niemandsland der Zukunft trägt. Und da das Prinzip des äußeren Fortschritts dem Prinzip der inneren Entwicklung des Menschen entspricht, dürfen wir dieses Prinzip als solches nicht ungestraft in Frage stellen, auch wenn wir mit den Schattenseiten des Fortschritts konfrontiert werden. Denn es ist allemal folgerichtig, was geschieht – selbst wenn es das Ende wäre. Verlust und Zerstörung wären nicht das Risiko des Fortschritts, wenn sie nicht als solche schon im menschlichen Verhalten angelegt wären. Die menschliche Entwicklung ist ohne Risiko und Zerstörung gar nicht denkbar – ob wir dies wahrhaben wollen oder nicht.

Die furchtbare Bedrohung durch eine Technologie, die alles Leben vernichten kann, wenn sie in falsche Hände gerät, löst längst vergessen geglaubte Urängste aufs Neue aus. Das ist der Preis für den Fortschritt, für die Atombombe und den Retortenmenschen, für den Computer, der den Menschen überflüssig macht, für die digitalen Träume virtueller Realitäten, die langsam in die Wirklichkeit eindringen, für die Gentechnologie, die Menschen als maßgeschneiderte Produkte aus dem Embryo-Supermarkt heranwachsen lässt, wo Gehirne gespeichert, programmiert und direkt miteinander verbunden werden, um globale Gruppeninteressen zu sichern, Bedürfnisse, die sich über Bildschirme selbst aussteuern und sich das Blaue vom Himmel herunter simulieren. Wir sind aus Zuschauern des Schöpfungsdramas zu seinen Regisseuren geworden, die ihre inneren Bilder in ihren eigenen Schöpfungen inszenieren – ein Trauma wie aus Dantes höllischem Inferno, das aber immer auch die Möglichkeit des geistigen Erkennens in sich trägt. Schließlich erkennen wir nicht aus Lust an der Erkenntnis, sondern die Erkenntnis ist die einzige Erfahrung, um die Bedingungen und die Grundlagen unserer Selbsttäuschung kennen zu lernen und damit die Voraussetzung zu deren Beseitigung. Der Wunsch nach Wissen ist der Wunsch nach Erlösung, der Wunsch nach Befreiung von sich selbst. Die inneren Ängste sind dazu da, in eine sichtbare Form gegossen zu werden, und das kann man nur dadurch, indem man sie auslebt. Das Ausleben bedingt das Scheitern, und das Scheitern ist die Form, die eigenen Gespenster zu erkennen. Sich im Scheitern zu erkennen, ist Erkenntnis, und diese ist gleichzeitig das Ziel, das allein im Scheitern liegt.

Das Schicksal, das uns von außen trifft, ist immer auch ein Anstoß zur Heilung, ein Entwicklungsprozess, um die eigene Mitte zu finden und um die Ganzheit unseres Selbst zu verwirklichen. Wenn wir das, was in uns selbst verwirklicht werden will, nicht freiwillig annehmen, dann wird es uns aufgezwungen. Natürlich ist diese Art der Schicksalserfüllung nicht besonders angenehm. Zwang und Reibungsverluste setzen jedoch eher, als es ein glatter Verlauf vermöchte, die notwendigen Reparaturarbeiten in Gang. Und darin erkennen wir die Weisheit des Schicksals: Krisen, Krankheiten und Katastrophen machen nicht nur ehrlich, weil sie die Auswirkungen unserer eigenen Handlungen sind, sondern sie machen auch vollständig, weil sie eben auch jenen Teil unserer selbst in die Welt bringen, demgegenüber wir in unserem Inneren blind sind.

So schrieb Steve M., der mit 35 Jahren starb, am Schluss seines Abschiedsbriefes: Well, weil ich Aids bekam, lernte ich, mich selbst zu lieben, wie ich wirklich bin, und der Wahrheit ins Auge zu sehen, und gipfelte im selbstvernichtenden Exkurs, und das war die Erfahrung wert … In diesem Bekenntnis liegt nicht nur ein Akt höchster Selbsterkenntnis, sondern auch ein Überwinden des eigenen Endes, ein seelisches Ringen, das dabei so sehr mit der Struktur der menschlichen Entwicklung verbunden ist, dass man fast meinen könnte, nur im Angesicht des Schattens sei Licht!

1 vgl. auch Baphomet, S. 223-225

2 Mittelalterliche Überlieferung, zitiert nach: Handwörterbuch des deutschen Aberglaubens, (Neuaufl.) Berlin 1986, Bd. 4, S. 236.

3 Baphomet: Das Licht der Hölle (Bisher unveröffentlichte, apokryphe Schrift)

4 Der Beiname des Teufels, Luzifer, stammt aus dem kirchenlateinischen Lucifer. Dies bedeutet eigentlich „Lichtbringer“ (zu lateinisch lux „Licht“ und ferre „tragen“).

5 Aleister Crowley: Das Buch Toth. Urania: Neuhausen (7. Aufl.) 1991, S. 113

6 Der patriarchalische Monotheismus beruht maßgeblich auf der Zwangsvorstellung, der „Geist der Schlange“ wäre durch Evas Fehltritt im Fleisch verankert. Um das sündige Leben aus dem Leib der Mutter zu erlösen, braucht es einen Akt der Heilung – die Taufe. Da der Mutterschoß seine Frucht mit dem Bösen infiziert, muss das Kind durch den priesterlichen Akt der Sühne gleich nach der Geburt von der Sünde, den Teufel im Bauch der Mutter berührt zu haben, reingewaschen werden – ein wahrer Zirkelschluss unbewusster Schuldverdrängung.

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Litres'teki yayın tarihi:
22 aralık 2023
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614 s. 108 illüstrasyon
ISBN:
9783905372441
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