Kitabı oku: «Dantes Inferno III», sayfa 3

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Sonne in Steinbock
Sünder

Starre, die spielerische, kindliche und hingabebedürftige Seite verdrängende Seelen, die die materiellen Werte nicht loslassen können – die sich am Sicherheit versprechenden Rahmen einer gesellschaftlichen Ordnung festhalten, ohne deren Werte in Frage zu stellen

Disposition

Der Schattenbereich von Sonne im Steinbock und Sonne im 10. Haus sowie disharmonische Sonne/Saturn-Aspekte

Schuld

Stress, Überforderung, Erschöpfung aus übertriebenem Streben nach Verantwortung aus mangelndem Selbstvertrauen und einem tiefen inneren Misstrauen gegen sich selbst, Abwehr des Lebens aus unbewusster Angst vor Ablehnung und emotionalem Versagen, Leistung und Erfolg auf Kosten persönlicher Gefühle (innere Leere wird durch ein typisches Über-Ich-Verhalten und seelische Schwäche mit einem fast biblischen Gerechtigkeits- und Strafbedürfnis kompensiert), zwanghaftes Erreichen wollen unerreichbarer Ziele = Sisyphos-Syndrom

Strafe

Sisyphos’ Unvermögen besteht darin, einen Felsblock vergeblich einen Berg hinaufrollen zu können. Immer kurz vor dem Ziel entgleitet ihm der Stein, und er muss wieder von vorne anfangen. Im Gegensatz zum Mythos liegt der Sinn dieser Hölle aber nicht darin, voller Mühsal und in immerwährender Qual die Last zu tragen, die tief und schwer im Inneren sitzt, sondern es handelt sich vor allem darum, die Grundlagen aufzuarbeiten, warum das so ist, und zwar so lange, bis sich jeder egoistische, kompensierende Funke bis zur Unkenntlichkeit am Schicksalsrad abgeschliffen hat – bis wir all die aus Schuld entstandene Schlacke alter Sünden abgetragen haben.

Lösung

Dieser Ort spiegelt also weder ewige Vergeblichkeit noch Untergang, sondern es geht hier einfach darum, die Voraussetzung der inneren Stagnation und Versteinerung – also das, warum die Pläne am Ende meistens scheitern – im eigenen Tun und Handeln zu erfahren. Erkennt der Mensch, dass die Schuld dieser Hölle nicht vordergründig in einem „Bild von Schuld“, sondern in seinem unbewussten Verlangen nach Strafe aufgrund verfehlter Leistungsziele steckt, die weniger in seiner persönlichen Eigenart, sondern mehr in den ihm aufoktroyierten Zielen der Umwelt liegen, die er aber unbewusst für seine eigene Verhinderung benutzt, kann er sich befreien und seinen „persönlichen“ Seelenbrocken loslassen. Der den Berg wieder hinunterrollende Stein zeigt den Weg der Freiheit, den der Sünder aber nicht im Außen, sondern in seinem Inneren bewältigen muss. Die Bürde ist der Fokus, das ist die Crux, denn sie zeigt die innere Botschaft dieser Hölle: Erst mit der Suche nach Schuld beginnt die Tragödie. Erkennt er das, dann braucht er keine Lösung, denn die Erlösung liegt jetzt in ihm selbst.

Der Turm der Fron
Die Hölle lustloser Pflichterfüllung

Widerwillig streifte ich mir das Laken über und griff nach dem mir von Akron hingehaltenen Korb, in den er seinen Stein bereits hineingelegt hatte.

„Ich kann noch immer keinen Sinn darin entdecken, diese Strapazen zu durchleiden“, startete ich einen letzten schwachen Versuch, die bevorstehende Tortur vielleicht doch noch abwenden zu können.

Akrons Antwort machte diese Hoffnung jedoch schnell zunichte: „Alle Widrigkeiten, Ängste und Erschwernisse des Lebens, denen unter dem Licht von Saturns schwarzer Sonne zu begegnen sind, tragen in ihrem innersten Kern jenen erhellenden Erkenntnisfunken, den wir sonst nur als Schöpferprinzip im strahlenden Glanz der Sonne zu verehren gewohnt sind. Und doch bedeutet die Erkenntnis dieses Fegefeuers nicht notwendigerweise Erlösung, sondern es geht einfach darum, die Voraussetzung unserer Stagnation und Versteinerung im eigenen Tun und Handeln zu erkennen.“

Da ich einsah, dass Widerstand hier wenig Sinn machte, setzte ich mir den Korb murrend auf den Rücken und ließ mir von Akron helfen, das zusätzliche Trageband über die Stirn zu legen. Dann ging es los.

Bevor ich meinen Fuß jedoch auf den Pfad setzte, nahm mich mein Seelenführer noch einmal auf die Seite: „Vergiss nicht, dass du deinen Korb erst abnehmen darfst, wenn du oben angekommen bist. Stellst du ihn vorher ab oder unterbrichst du deinen Aufstieg aus einem anderen Grund, wirst du deinen Weg wieder von hier unten beginnen müssen.“

„Eine schöne Motivation, die du mir da mit auf die beschwerliche Reise gibst“, erwiderte ich missmutig.

„Nicht wahr“, grinste er, „und wenn dir unterwegs doch einmal die Puste ausgehen sollte, denk einfach immer an den Esel, der solange weiterläuft, wie die Karotte vor seiner Nase baumelt.“

„Mir wäre lieber, du würdest mir erzählen, was mich dort oben erwartet, damit ich der Karotte einen Sinn zuordnen kann.“

„Oh, mach dir darum keine Sorgen“, lächelte Akron. „Du hast diesen Turmbau hier illuminiert, da wird dein Vorhaben sicherlich nicht an solch einer unbedeutenden Kleinigkeit scheitern.“

„Dein Wort in Gottes Ohr“, warf ich ihm als letztes zu, bevor ich damit begann, mich brav in die lange Gruppe von Arbeitern einzureihen, die mit ihrem Lastenkorb von hier aus starteten.

Das Ersteigen des ersten Abschnitts bereitete mir wenig Mühe. Zu meinem eigenen Erstaunen spürte ich in mir einen starken Ehrgeiz, meinem Lehrer zu beweisen, dass ich durchaus in der Lage war, diesen Turm in einer absehbaren Zeitspanne zu erklimmen. Da mir das Tempo der Arbeitsschlange viel zu langsam ging, scherte ich schon bald seitlich aus, um an den anderen vorbeizuziehen. Die bedachten meine Absicht mit unverständigem Kopfschütteln, was mich jedoch nicht weiter kümmerte. Erst als mein Pulsschlag zu galoppieren begann, verlangsamte ich meine Schritte und musste erkennen, dass ich die Umrundung des ersten Streckenabschnitts gerade bis zur Hälfte hinter mich gebracht hatte.

Mein Vordermann, der seine Bürde offensichtlich nicht zum ersten Mal hinauf trug, riet mir, jegliches Denken fahren zu lassen, um durch Schmerz und Erschöpfung jenen kostbaren Moment visionärer Innenschau zu erlangen, den es hier zu gewinnen galt. Von dieser Aussicht beflügelt biss ich die Zähne zusammen und keuchte weiter. Vor Anstrengung begann das Blut in meinen Schläfen zu hämmern und der staubige Pfad zu meinen Füßen begann sich plötzlich zu einer pulsierenden Lebensschlange auszuformen, auf deren Rücken ich meinem Ziel entgegenritt. Schon tauchten in meinen Augenwinkeln die tanzenden Schimären nackter Leiber auf, die sich eng umschlungen und liebesbrünstig in den Zuckungen der ewigen Kundalinischlange suhlten. All meine durchlebten Leidenschaften vergangener Abenteuer mit dem anderen Geschlecht schoben sich vor mein inneres Sehen, das mich gleichzeitig auch die Vergänglichkeit all dieser Begegnungen erkennen ließ. So wundervoll sie alle auch gewesen sein mochten, so waren sie doch nur ein matter Abglanz dessen gewesen, was ich im tiefsten Innern meiner Seele wieder zu erreichen begehrte.

Tief in meine Betrachtungen versunken hatte ich die erste Etappe meines Ziels hinter mich gebracht. Ich stoppte einen kurzen Moment, um mir einen weiteren Blick nach oben zu gönnen, doch war das Ende des Turmes zwischen den tief hängenden Wolken noch immer nicht zu sehen. So machte ich mich an die zweite Hürde. Doch während die erste Umrundung noch relativ leicht vonstatten gegangen war, verspürte ich nun einen deutlichen Kräfteverlust. Das Gewicht auf meinen Schultern schien sich verdoppelt zu haben, und ich begann schon nach wenigen Schritten jämmerlich zu keuchen. Der Schweiß brach mir aus allen Poren, rann mir die Glieder hinab und wurde von meinem Büßergewand aufgesogen, das schon bald wie eine zweite Haut an mir klebte. Gequält richtete ich den Blick auf den vor mir ausschreitenden Sünder, der sein Tempo ebenfalls verlangsamt hatte. Angestrengt sann ich darüber nach, wie viele unzählige Liter Schweiß während diesem mühsamen Streben sich bereits auf diesem staubigen Pfad verteilt haben mussten. Hätte ich solch eine Überlegung sonst gerne noch jemandem mitgeteilt, schien sie mir unter den gegebenen Umständen nicht mal einer Erwähnung wert. Zu kostbar dünkte mich jeder Atemstoß, den ich nicht mit unnützen Worten zu verschwenden gedachte. Das vierte und letzte magische Grundprinzip, das Schweigen, kam mir in den Sinn, das mir nirgendwo angebrachter erschien als hier. Diesmal sah ich vor meinem inneren Auge eine hochschwangere Frau, die als Urprinzip allen Seins die gesamte Welt aus sich hervorbrachte. Gefühlsregungen in all ihren schillernden Facetten ergriffen von mir Besitz und ließen mich abwechselnd auflachen oder vor Traurigkeit laut aufschluchzen. Die erwachenden sexuellen Kräfte schienen eine gewaltige Verunsicherung in mir zu verursachen, denn mir kam ein lange zurückliegendes Erlebnis aus meiner Pubertät wieder in den Sinn, über das ich bereits in der Krebs-Hölle meditierte, als ich beim Onanieren vom Vater überrascht worden war. Ich sah die hämischen Gesichter des Pfarrers, meines Onkels, und meines Vaters vor mir auftauchen und schickte ihnen die Botschaft, dass ich ihnen ihr Unvermögen, der Freude der Schöpfung um ihrer selbst willen damals nicht anders begegnen zu können, bereits verziehen hatte.

Als ich wieder aufblickte, hatte ich die zweite Umrundung geschafft und überlegte, ob es nicht besser wäre, kurz anzuhalten, um etwas Luft und neue Kraft zu schöpfen. Doch Akrons warnende Worte und die Aussicht, damit das Eintreten einer erneuten Vision unnötig hinauszuzögern, hielten mich davon ab. So schleppte ich mich mühsam weiter. Allerdings sollte ich meinen Entschluss sogleich bereuen, denn es kam mir vor, als hätte sich die auf meinen Schultern ruhende Last abermals verdoppelt. Alle Mühsale und Qualen dieser Welt schienen den Entschluss gefasst zu haben, sich mir auf einmal aufbürden zu wollen. Die Riemen des Korbes schnitten mir wie glühendes Eisen ins Fleisch und drohten mir jegliche Blutzufuhr abzuklemmen. Meine wunden Füße bereiteten mir schon jetzt erhebliche Pein, ein schmerzendes Rückgrad tat das übrige, und ich begann mich ernsthaft zu fragen, ob es vor mir wohl schon irgendjemandem gelungen war, diesen Turm tatsächlich ohne Rast an einem Stücke zu bezwingen? Offensichtlich meinem Seelenführer, dessen letzte Worte mir noch in den Ohren lagen, bevor er sich mit dem Lastenaufzug bequem hatte in die Höhe hieven lassen.

Dieser Gedanke gab mir unversehens Auftrieb. Ich richtete mich kurz auf, verlagerte meine Last ein wenig und verfiel in einen harmonischen Rhythmus, indem ich völlig abschaltete und meine Beine sich wie von selbst bewegen ließ. Schritt um Schritt schleppte ich mich weiter nach oben, während mir der Schweiß immer öfter in die Augen rann. Ich begann den Schmerz zu ignorieren und als ein notwendiges Übel zu erachten, dessen Durchleiden mich dorthin führte, wo Verstand und Ratio sich zu verabschieden begannen. Mein Körper schüttete Endorphine am Fließband aus und reduzierte meine physische Wahrnehmung auf ein Minimum. Dafür tauchte eine alte Szene aus der Stier-Hölle auf, in der ich meinen Vater im Knabenalter erblickte, der sich gerade anschickte, einen großen Stapel Holz vor dem Hause seiner Eltern aufzuschichten. Großvater kam mit einem Lederriemen aus der Tür und drohte ihm, dass es nicht nur kein Abendessen, sondern auch noch eine tüchtige Tracht Prügel gäbe, wenn dieser Stapel nicht binnen zweier Stunden aufgeschichtet wäre. Wer essen wolle, müsse zuerst arbeiten. Vater verdoppelte seine Bemühungen, während ich seine Gefühle wie eine dunkle Aura um ihn herum wahrnehmen konnte, die sich in ihrer kindlichen Entfaltung blockiert wieder nach innen zurückzog, während sein aus Ohnmacht und Wut gespeister Überlebenswille ihm signalisierte, dass man im Leben zunächst zu beweisen hatte, dass man der Liebe in Form emotionaler Zuwendung und Anerkennung auch wirklich wert war – ein wesentlicher Grundsatz seiner Erziehung, den er mir später ebenso vehement eintrichterte.

Als ich die Augen öffnete, hatte ich die dritte Ebene des Turmes tatsächlich erreicht, und obwohl die Aussicht auf eine erste Rast mehr denn je lockte, gab mir mein gefundener Rhythmus doch genügend Vertrauen in die eigene Kraft, auch die kommenden Stufen auf diese Weise zu bewältigen. Zwar schien sich auch diesmal wieder ein zusätzliches Gewicht auf meinen gepeinigten Rücken zu legen, doch da ich diesmal darauf vorbereitet war, erschien mir der Korb zu meinem eigenen Erstaunen nicht wesentlich schwerer. Wieder tauchte mein Blick nach innen und im nächsten Augenblick empfand ich mich als zehnjährigen Knaben, der sich im Klassenzimmer seiner ehemaligen Schule wieder fand. Mein alter Mathelehrer stand vor mir und forderte mich mit sardonischem Lächeln auf, mich vorne an die Tafel zu begeben. Wohl wissend, dass ich keine seiner Fragen beantworten konnte, da ich meine Hausaufgaben wie meistens nicht gemacht hatte, gedachte er mich vor versammelter Klasse abzufragen. Mit sichtlichem Genuss weidete er sich an meinem Unbehagen und freute sich über die lachenden Spottrufe meiner Mitschüler, vor denen er mich als Deppen und Versager vorführen konnte. Auf diese Weise ließ er mich seine Macht spüren, in der ich all die Autorität ablehnte und bekämpfte, mit der mich Zuhause schon mein Vater in meiner entfaltenden Kreativität behinderte, was mich später dazu bewog, grundsätzlich alles abzulehnen, was mich unter Druck setzte und sich nicht auf irgendeine Weise mit einem Lustgewinn verbinden ließ. All die Ohnmacht dieser peinlichen und zutiefst demütigenden Situation kehrte zurück und ich erkannte, in welchen negativen Mustern wir uns gegenseitig unterwerfen und gefangen halten. Fehlendes Selbstvertrauen wird durch Rebellion gegen autoritäre Instanzen und ihre Vertreter kompensatorisch ausgelebt, weil man die Verantwortung für sein eigenes Leben nicht übernehmen will.


Ich bemerkte kaum, dass ich bereits die vierte Stufe des Turmes erklommen hatte, denn die nächste Vision reaktivierte in mir einen Traum, den ich einst als junger Mann gehabt hatte. In dieser Szene war ich ebenfalls auf einem schmalen Bergpfad in die Höhe gewandert, allerdings an der Seite eines alten Bekannten, mit dem ich seinerzeit befreundet war. Es galt für uns beide einen gewaltigen Gletscher zu umrunden, von dem wir wussten, dass der enge Weg uns irgendwann zum Gipfel führen würde. Mein Freund, ein magisch verbrämter Selbstverhinderer, eilte mir mit schnellen Schritten voraus und hielt mich stets an, es ihm nachzutun. Dies tat ich auch, bis ich irgendwann den Kopf hob, um zu bemerken, dass die terrassenartigen Windungen des Bergpfades so dicht übereinander lagen, dass man ohne große Mühen die nächsthöhere Schleife erklimmen konnte, ohne dabei den langen Umweg um den Berg herum nehmen zu müssen. Ich rief ihm meine Entdeckung nach, doch er winkte nur beleidigt ab und bezeichnete mich als Drückeberger, der den Herausforderungen des Lebens lieber ausweichen wolle, anstatt sich ihnen zu stellen, um sie in Demut anzunehmen. Obwohl mir seine Worte tief ins Gewissen schnitten und an meiner Mannesehre rüttelten, konnte ich dennoch wenig Sinn darin erkennen und kletterte kurzerhand auf die nächste Ebene, um dort auf ihn zu warten. Als er nach langer Zeit endlich auftauchte, schien er nicht nur deutlich gealtert, müde und erschöpft, sondern obendrein noch verbittert und mit dem Vorwurf behaftet, dass ich ihn auf seinem beschwerlichen Weg verraten und im Stich gelassen hätte. So ging er enttäuscht an mir vorbei, um sich im Kampf gegen sich selbst auch weiterhin einsam an die nächste mühevolle Umrundung des Gletschers zu machen, dessen Gipfel mehr denn je in weite Ferne gerückt war.

Dieses letzte Traumbild hatte mich unversehens auf die fünfte Stufe geführt und staunend bemerkte ich, dass sich dieser Pfad bereits in den Wolken befand. Ich hielt kurz an und verlagerte den schweren Korb stöhnend auf meinen wundgescheuerten Schultern. Während meiner kaum merklichen Rast beobachtete ich einige der anderen Sünder, deren Reihen sich hier oben schon deutlich gelichtet hatten. In allen Gesichtern hatten die Falten der Mühseligkeit tiefe Spuren hinterlassen, doch unterschieden sich diese deutlich von denen der unteren Stufen, die noch nicht einmal erkannt hatten, dass ihr Leben von unerlösten emotionalen Mustern gesteuert und fremdbestimmt wurde, gegen die sie sich durch harte Arbeit und Weltflucht vergeblich glaubten abgrenzen zu können. Hier oben waren jene Menschen anzutreffen, deren Geist bereits im Begriff war, die Übersicht über ihre Gedanken und Gefühle zu erringen, die im Außen letztlich immer eine Manifestation unserer subjektiven Realität darstellen. Während ich den Schmerz in meinen Oberschenkeln damit etwas zu lindern hoffte, indem ich sie abwechselnd ausschüttelte, bemerkte ich einen alten gebeugten Mann, der sich etwas abseits von mir auf den Boden setzte, um ebenfalls zu rasten. Was mich irritierte, war die Tatsache, dass er offensichtlich nicht wie ich und all die anderen hinauf wollte, sondern, im Gegenteil, von oben zu kommen schien.

Neugierig ging ich auf ihn zu. Als sich sein Kopf langsam in meine Richtung drehte, erschrak ich bis ins Mark, denn ich schaute in ein Gesicht, das durch die Gezeiten hinweg fast selbst zu Stein geworden war. Ich entdeckte Furchen und Narben, die nur die durchlittenen Qualen unzähliger Existenzen hineingemeißelt haben konnten. Als er die Furcht in meinem Blick gewahrte, verzogen sich seine Lippen zu einem leichten Lächeln, das mir erschien, als ob eine Maske aus Pappmaché in einer Presse auf eine freundliche Form zurechtgestutzt worden war. Das einzige Erbauliche, das mir in diesem harten Antlitz auffiel, waren die hellen kristallklaren Augen, die mir aus tiefen Höhlen entgegenleuchteten – und mit einem Schlag wusste ich, wer vor mir saß.


„Du bist Sisyphos, nicht wahr?“ sprach ich ihn direkt an.

Mein Gegenüber seufzte: „Ja, und ich spüre auch, dass du mich verachtest. Ich sehe, dass du meine Rolle nicht akzeptierst, dass du verstehen möchtest, welche Kraft mich zwingt, mein offensichtlich sinnloses Vorhaben bis in alle Ewigkeiten fortführen zu müssen.“

Ich bejahte, war aber nicht imstande, meinerseits etwas zu erwidern. Schon längst hatte ich es aufgegeben verstehen zu wollen, welche Erscheinungen mir auf meiner Reise immer wieder begegneten. Ich stand hier auf dem steilen Pfad, irgendwo zwischen Himmel und Hölle, und lauschte den Worten einer Gestalt, die über die Jahrtausende zu einem Archetypus des sinnlos leidenden Menschen geworden war.

„Nun, voller Mühsal schreite ich meiner immerwährenden Qual hinterher, um erneut den einen Stein zu wälzen, der tief und schwer in der Brust eines jeden Steinbocks sitzt“, fuhr er müde fort, „und zum Los der Sinnlosigkeit kommt auch noch der Umstand hinzu, sich dieser Sinnlosigkeit in jedem Augenblick bewusst sein zu müssen.“ Er machte eine kurze Pause. „Doch es ist nicht alles schlecht. Auch wenn der Abstieg meist in den alten Schmerz zurückführt, so kann er auch in Freude enden.“

„In Freude enden?“ echote ich höhnisch. „Alles, was ich sehe, ist ein gebrochener alter Mann, der sich sein Gesicht bis zur Unkenntlichkeit am Schicksalsrad abgeschliffen hat. Oder willst du mir weismachen“, wurde meine Stimme schriller, als mir lieb war, „dass all dies Leiden am Ende einen Sinn ergibt?“

Der Alte ließ sich durch meinen Protest nicht aus der Ruhe bringen: „Hier, unter Saturns schwarzer Sonne, tragen wir die Bürde unserer Fron, bis wir all die aus Schuld entstandene Schlacke alter Sünden abgetragen haben. Das Ziel des Menschen ist nicht, die Sinnlosigkeit des Lebens auszuhalten, sondern die Unfähigkeit zu ertragen, den Mechanismus dahinter je zu erfahren. Das ist die innere Botschaft dieses Leidens: Erst mit der Suche nach Schuld beginnt die Tragödie. Das ist der Moment, da der Fels oben an der Spitze wieder ins Tal hinunterrollt. Diese Erkenntnis, o Wanderer, mag dir am Ende deines Weges entgegenleuchten.“

Er wandte sich wieder ab und ich begriff, dass jede Stufe dieses Turmes einer Art Metamorphose entsprechen musste, die eine bereits abgearbeitete Ebene transzendierte, was wiederum dem Loslassen einer Sichtweise gleichkam, in der wir uns selbst gefangen haben. Beharrlich halten wir am Sicherheit versprechenden Rahmen einer gesellschaftlichen Ordnung fest, deren Werte wir erst dann in Frage zu stellen bereit sind, wenn sie unser Bild von Freiheit bedroht. Die Konsequenz liegt darin, beim Wegfall dieser Zwänge die Verantwortung für die eigenen Begrenzungen künftig selbst zu übernehmen. Dies wiederum ist aber einzig jenen vorbehalten, die bereits verinnerlicht haben, dass der Mechanismus der menschlichen Psyche immer nur jene Realität erschaffen kann, deren Wahrheitsgehalt der eigenen begrenzenden Perspektive entspricht. Wirkliche Sicherheit kann niemals in den ewigen Verwandlungen der sichtbaren Welt gefunden werden, sondern lediglich im Ablauf ihrer zyklischen Gesetzmäßigkeiten, in deren zeitlichen Veränderungen gerade die Unveränderlichkeit des Ewigen pulsierte.

Schritt um Schritt wich der karge Boden unter meinen bereits aufgeplatzten Füßen dahin. Obwohl ich begriff, dass der Pfad dieses Bauwerks vom Knochenstaub längst verblichener Suchender gepflastert war, die ihn schon zu Abertausenden vor mir gegangen waren, rief gerade diese Erkenntnis eine solche Leichtigkeit in mir hervor, dass ich mir einen Ruck gab, um auch den letzten Rest meines Weges fortzusetzen. Zu meinem großen Erstaunen schien sich das Gewicht meiner Last, das sich bisher jedes Mal verdoppelt hatte, halbiert zu haben. Da der Turm nach oben hin zusehends schmäler wurde, verringerte sich dementsprechend die Länge, leider aber auch die Breite des Weges zu meinen Füßen. Dieser schien genau den benötigten Umständen zu entsprechen, denn für mich und die wenigen Sünder, denen ich hier noch begegnete, war immer noch genügend Platz vorhanden. Gleichzeitig aber wurde die Luft etwas dünner, was dafür aber mein inneres Sehen wieder erweiterte.

Doch so zuversichtlich meine erneute Etappe auch begonnen hatte, so sehr überfiel mich bald auch die Angst vor dieser erweiterten Perspektive, die mich wegzuschwemmen drohte. Die Zertrümmerung meines bisherigen Weltbildes wurde durch das Eintreten in eine neue Daseinsdimension der allumfassenden Matrix abgelöst, die mich zunächst in ein völliges Chaos stürzen ließ. In Sekundenbruchteilen spulte sich vor mir die gesamte Schöpfung ab, in der sich das immerwährende kosmische Schauspiel von Geburt und Tod vollzog. Ich sah unzählige Körper von zappelnden Säuglingen, die sich blutend aus ihrem mütterlichen Uterus herauswanden, um darauf in Gedankenschnelle wieder zu gebeugten Greisen zu werden, die sogleich wieder zu Staub zerfielen. Aus diesem Staub, einer schleimigen Ursuppe gleich, begann der gleiche Vorgang sich sofort aufs Neue zu wiederholen, bis sich diese Suppe schließlich in gleißendem Licht auflöste. Ich wohnte der Geburt von Planeten, Sonnen und ganzen Universen bei, die sich auf eine gewaltige Größe ausdehnten, um nach Äonen wieder in sich zusammenzufallen. Das ständige Ein- und Ausatmen meiner Lunge, der Wechsel von Tag und Nacht, die ständig sich wiederholenden Jahreszeiten – alles pflanzte sich fort, bis dieser rhythmische Pulsschlag in den Urtiefen meiner innersten Zellkerne vibrierte. Ich sah in die Urgründe aller physischen Krankheiten und Übel, während mein sich am Leben festklammerndes Ego seine Angst vor dem Ende in die Ewigkeit hinausschrie. Und im Moment dieser ungeheuren Offenbarung, als ich schon schwankte und ins Leere zu taumeln drohte, durchbrach ich die Wolkendecke und erblickte über mir das letzte Plateau des turmähnlichen Bauwerkes. Und auf der flachen Spitze gewahrte ich blinzelnd die Silhouette meines Seelenführers, die vom dunklen Licht einer leuchtenden Korona überstrahlt wurde. Es war wie ein leuchtender Wirbel in einem regenbogenfarbigen Licht, ausgehend von der schwarzen Sonne, die am Firmament im Zenit des Turmes pulsierte.

Endlich! Es war geschafft! Mit letzter Kraft erklomm ich die restlichen Meter und ließ mir den Korb der Mühsal erschöpft von den Schultern gleiten. Akron stand wie ein Gott auf der zwei Welten miteinander verbindenden Bewusstseinsbrücke und lächelte mir entgegen.

„Gratuliere! Ich wusste, dass du es schaffen würdest …“

„Wieso? Bestand überhaupt die Gefahr eines Versagens?“ fragte ich noch völlig außer Atem, während ich stöhnend meine schmerzhaften Glieder streckte.

„Nun – viele kehren auf dieser letzten Station wieder um, da die vermeintliche Größe der zu erfassenden Erkenntnis sie gänzlich niederdrückt. Es ist halt ein alchemistischer Prozess.“ Er deutete auf meinen Korb: „Schau mal hinein, was sich während deines Aufstiegs verändert hat.“


Langsam folgte mein glasiger Blick seinem Zeigefinger, um den von mir unter Qualen nach oben transportierten Stein erneut in Augenschein zu nehmen, und siehe da, statt des staubigen, kinderkopfgroßen Felsbrockens lag eine Handvoll lupenreiner Kristalle und Diamanten darin. Irgendwie schien es mir, als wären es die Augen des Engels, Erinnerungen aus einer anderen Welt, die mich anstrahlten.

„Wie ist das möglich?“ stotterte ich. Akron lächelte abermals und machte eine ausholende Armbewegung über das kleine Plateau, das vom unwirklichen Licht der schwarzen Sonne durchflutet wurde.

„Wer bis hier oben hin gelangt ist, dessen untrügliche Sicht ist so rein und klar geworden wie die Reinheit einer kühlen Bergquelle. Es fehlt nur noch die Seele.“

„Seele?“ Erst da fiel mir auf, dass die ganze Spitze des Turmes aus kristallenem Eis gebildet war, in dem ein scharlachroter Funke wie die Sehnsucht eines kleinen Herzens glühte.

„Zerbrich dir nicht den Kopf “, sagte er, als könnte er meine Gedanken lesen. „Wer versucht, das herauszufinden, reduziert die Seele auf etwas Triviales. Sie ist ein Geheimnis – die Lösung ist der Weg.“ Dann rümpfte er die Nase und wies auf mein Büßergewand: „Du kannst diesen verschwitzten Lappen getrost wieder ausziehen.“

Ich folgte seiner Anweisung und streifte mir den durchweichten Fetzen über den Kopf. Ich überlegte, wie viele Büßer diesen Pfad wohl schon vergeblich bestiegen haben mochten, der sich jedem Suchenden in einer anderen Länge präsentierte. Nicht jeder konnte das durchlittene Leid mit der Einsicht verbinden, dass man sich seine eigenen Ziele stets immer noch ein Stück weiter vor die Nase setzte, um in dieser Hölle am letzten Hindernis doch noch scheitern zu können. Denn sobald es galt, ein durchlittenes Muster loszulassen, um zu neuen Ufern ins Unbekannte vorzustoßen, stellt man sich lieber ein weiteres Stockwerk auf das schon bestehende Weltgerüst drauf, dessen Fundament, ganz gleich wie instabil und verrottet es auch sein mochte, zumindest eine gewisse Scheinsicherheit versprach. So wuchs der ganz persönliche Turm eines jeden Einzelnen solange weiter empor, bis sich sein Ausmaß irgendwann nicht mehr überblicken ließ und sein undurchdringliches Gemäuer nur noch durch ein Unglück oder einen schweren Schicksalsschlag zum Einsturz gebracht werden konnte. Unweigerlich kam mir die Tarot-Karte Turm in den Sinn, die diesen Vorgang auf eindrückliche Weise beschrieb.

Mein Blick fiel auf die Silhouette meines Seelenführers. Er stand irgendwie entrückt da – unbeweglich, verklärt. Der Ring an seinem Finger schien ein Lichtsignal in den Kosmos auszustrahlen und seine Augen glühten wie zwei Laserstrahlen, die mit einer höheren Welt in Kontakt waren. Ich wollte ihn nicht stören, und so begann ich gedanklich noch einmal die verschiedenen Stationen meiner Turmbesteigung zu reflektieren. Obwohl ich mehr als froh darüber war, dieses hohe Bauwerk endlich bezwungen zu haben, schien in meiner Aufrechnung noch ein Stockwerk zu fehlen: „Verzeih meine Frage, Akron, aber sprach der Wächter nicht von einem siebenstufigen Weg, den es hier zu erklimmen gilt?“


Wächter: Mit etwas Übung wirst du entdecken, dass du mehr bist als nur der Verstand, der das alles von außen beobachtet. Dann kannst du durch die Glut deines Bewusstseins hindurchwachsen und brauchst dich nicht mehr länger nur von der einen oder anderen Seite deines mehrschichtigen Wesens aus zu betrachten. Dort kannst du dich mit deinem Geistwesen verschmelzen, das gleichzeitig innerhalb und außerhalb von dir ist. Weißt du noch, wo die Erkenntnis auf dich gewartet hat?

Träumer: Ja! Der alte Magus sprach von einer Schwelle, die von den Träumern von zwei verschiedenen Seiten her passiert werden musste.

Wächter: So kommen wir deiner Erinnerung schon ziemlich nahe. Von der einen Seite näherst du dich dem Wächter, der dich erwartet. Nun überleg dir mal, wie sich das Ganze aus Sicht des andern, sozusagen von der anderen Seite her, darstellt?

Träumer: Hmmm … vielleicht wartet da einer darauf, dass ein anderer kommt, dem er die Pforte öffnen kann.

Wächter: Exakt! Auf der Suche nach Erkenntnis hast du dir selbst das Bild des Wächters geschaffen, den du nicht suchen musst, sondern der dich findet, wenn die Zeit der Antworten gekommen ist.

Träumer: Wen? Mich?

„Oh ja“, lächelte er mich wissend an, „du hast dich nicht verzählt, es fehlt noch die letzte Stufe ins Licht. Dieses letzte Stück zur Erlösung muss von jedem Kandidaten in seiner Seele selbst errichtet werden.“

Ich schaute mich auf dem Plateau suchend um, erblickte aber nichts, was sich in geeigneter Weise als möglicher Baustoff anbot.

Akron grinste: „Doch nicht auf der materiellen Ebene …“ Ich spürte mich in eine goldene Flamme eingehüllt, die sich wie ein elektrostatisches Phänomen in seiner Hand entlud. Dann zog er an einem dicken Tau, worauf der weit ausladende Baum eines Hebekranes herüberschwang. Am Ende des Seiles hing ein aus Schilfrohr gefertigter Lastenkorb, der baumelnd über einer kleinen kreisrunden Öffnung zum Stehen kam, die ich bisher noch gar nicht bemerkt hatte. Mit bangem Blick starrte ich in diesen gähnenden Schlund, dessen Grund sich irgendwo in der Dunkelheit verlor. Mit stummer Gebärde wies mein Seelenführer mich an, in den Korb hineinzuklettern.

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Litres'teki yayın tarihi:
22 aralık 2023
Hacim:
524 s. 157 illüstrasyon
ISBN:
9783905372410
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