Kitabı oku: «Der erste Landammann der Schweiz»

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Wir danken für die Unterstützung:

Fondation d‘Affry, Givisiez

Fondation des Suisses dans le monde, Genf

© der Originalausgabe: Georges Andrey, Alain-Jacques Czouz-Tornare: Louis d‘Affry 1743–1810. Premier Landamman de la Suisse. La Confédéfation suisse à l‘heure napoléonienne. Éditions Slatkine. Genève 2003.

Dieses Buch ist nach den neuen Rechtschreibregeln verfasst. Quellenzitate sind aus dem Französischen übersetzt.

Hinzufügungen sind in [eckigen Klammern] eingeschlossen, Auslassungen mit [...] gekennzeichnet.

Die Kapitel 5 und 6 der Originalausgabe sind nicht übersetzt worden.

Übersetzung: Paul Zurfluh

Lektorat: Regula Bühler und Urs Hofmann, hier + jetzt

Bildverarbeitung: Thomas Humm dtp, Matzingen

Dieses Werk ist auf www.libreka.de auch als E-Book erhältlich:

ISBN E-Book 978-3-03919-846-7

eBook-Herstellung und Auslieferung:

Brockhaus Commission, Kornwestheim

www.brocom.de

©2012 hier + jetzt, Verlag für Kultur und Geschichte GmbH, Baden

www.hierundjetzt.ch ISBN Druckausgabe 978-3-03919-225-0

INHALT

VORWORT

EINLEITUNG: DIE «GRANDE MÉDIATION» (1803–1813)

Das Prestige des Grossen Konsuls

Originalität der Mediationsregierung

Die Schweiz in Frieden in einem Europa im Krieg

Die Mediation, eine umfassende Regelung der schweizerischen Probleme

Das Land mit «weniger Staat» dynamisieren

Der neue Föderalismus: kantonale Unabhängigkeit trotz nationaler Verbundenheit

Eine neue «politische Kultur»

Wirtschaftliche Erholung mit landwirtschaftlicher Hegemonie

Entwicklung von Industrie und Dienstleistungssektor

Mehr als Wirtschaft: der moralische Wiederaufbau des Landes

Solidarität und Subsidiarität als Motor des nationalen Zusammenhalts

Recht auf Ausbildung und Wissen

IM SCHATTEN DES VATERS

Eine Freiburger Adelsfamilie im Dienst der schweizerisch-französischen Beziehungen

Wurzeln und familiäres Umfeld

Lehrjahre

Eine beispielhafte militärische Laufbahn

Kindheit in Freiburg, Jugend in Paris

Einführung in die Diplomatie im Jahre 1759

Der ergebene Sohn

Die Rolle von Louis d’Affry während der Freiburger Unruhen

Der Liebe Prüfung

Die Zeit der Französischen Revolution

Die d’Affrys erleben die Anfänge der Revolution in vorderster Reihe

Die umstrittene Rolle der Familie d’Affry während der Revolution

D’Affrys Entsendung nach Huningue im Januar 1791

Louis d’Affry versucht ab dem Frühjahr 1791, Haut-Rhin zu verlassen

Louis d’Affry zieht sich im Juni 1792 zurück

Die d’Affrys am 10. August 1792

Rettet den Soldaten d’Affry!

Die Reaktion in der Schweiz

Im September 1792 ist d’Affry wieder auf seinem Posten

Die Heimkehr von d’Affry Vater im Oktober 1792

Der Edelmann von Murten (1792–1802)

Von den Tuilerien nach Prehl

Vorspiel zur schweizerischen Revolution: Ende der Durststrecke

Die französische Vormundschaft und die Idee der Mediationsakte

Sturz des Corps helvétique (1798)

DIE CONSULTA

In Erwartung der Consulta

Louis d’Affry bereitet seinen Auftritt vor

Die Verfassung von Malmaison von 1801

Staatsstreiche in Serie

Bonaparte proklamiert sich zum Mediator

Freiburg, Hauptstadt im Werden

Neudefinition der Schweiz in Paris (November 1802 bis Februar 1803)

D’Affry wird als Abgeordneter der Consulta gewählt

Die Schweizer hören sich Bonaparte an ... Bonaparte sich die Schweizer

Die Consulta, Theaterstück in fünf Akten (10. Dezember 1802 bis 19. Februar 1803)

Prolog. Plenarsitzung: Verlesung des Schreibens des Ersten Konsuls am 10. Dezember/19. Frimaire des Jahres XI

Erster Akt: Napoleon empfängt die Kommission

Zweiter Akt: Alle Abgeordneten an der Arbeit

Dritter Akt: Wer wird erster Landammann?

Vierter Akt: In einem schlecht beheizten Salon der Tuilerien

Epilog: «Die Schweizer Angelegenheit klug beendet»

Die Vollmachten der Tagsatzung und des Landammanns

Die Schweiz im europäischen Kontext von 1803: ein Fall von mehreren

Das Beispiel Deutschland

Der Fall Schweiz

LOUIS D’AFFRY, ERSTER LANDAMMANN DER MEDIATION (1803)

Dem miteidgenössischen Direktorium entgegen

Das erste Jahr von Louis d’Affry als Landammann

Rückkehr in die Schweiz

Freiburg in Feststimmung

Die Helvetische Republik geht offiziell am 10. März 1803 zu Ende

Der Ehrenkampf der Unitarier in Freiburg

Erste Amtshandlungen von Landammann d’Affry

Freiburg empfängt 1803 die erste eidgenössische Tagsatzung

Die ersten Arbeiten der Tagsatzung

Die letzte französisch-schweizerische Allianz vom 27. September 1803

Die Rückkehr der traditionellen Allianz

Mühsame Verhandlungen

D’Affry erzielt ein positives Ergebnis

Mehrere Eisen im Feuer

Die Erneuerung der Militärkapitulationen

Die französischen Dienste: eine lange Tradition

Schweizer Soldaten in der französischen Armee

Die Kapitulation von 1803

Die Übergabe der Macht

Der Diplomat

Die Mission von 1804

Die Krönung Napoleons am 11. Frimaire des Jahres XIII der französischen Republik

Die Mission von 1805

LOUIS D’AFFRY, HANS VON REINHARD, NIKLAUS RUDOLF VON WATTENWYL: DAS TRIUMVIRAT DER MEDIATION

Wer sind die Triumvirn?

Ihre Allgegenwart

Politisches Gespür und soziale Affinität

Ablehnung der Revolution

Bodenständige Männer

Die aristokratische Sensibilität

Ein Netz der Loyalitäten

Französisch als gemeinsame Sprache

Das Triumvirat bewährt sich

Die Consulta, Wiege des Triumvirats

Vollblutpferd, Löwe und Ochse

1803: das Jahr d’Affrys

1804: der Bockenkrieg

1804/05: Diplomatie und Krieg in Europa

Fortsetzung der gegenseitigen Beziehungen: die Tagsatzung von Bern (1804)

Vaterlandsliebe als gemeinsame Wertvorstellung, oder: Wie lässt sich die Landesverteidigung stärken?

Die Triumvirn auf der ordentlichen Tagsatzung in Solothurn (1805)

Das Triumvirat und der dritte Koalitionskrieg

D’Affry und Wattenwyl als Kandidaten für den Generalsposten

Freiburg wählt Bern!

Bilanz des Triumvirats Ende 1805

1806–1808: Zwischenkriegszeit

«Der Kaiser liebt die Schweiz»

Napoleon empfängt Wattenwyl (1807)

Das Triumvirat in der Krise (1807)

Die Affäre Münchenwyler und Clavaleyres – ein Seeungeheuer

Reinhard vermittelt zwischen Bern und Freiburg

Louis d’Affry als Mann des Friedens

1809 oder wie sich das Triumvirat in Freiburg wiederfindet

Zweites Landammannat von Louis d’Affry

Das Triumvirat, die Kanalisierung der Linth und die Besetzung des Tessins

Das Werk des Triumvirats: eine Bilanz

LOUIS D’AFFRY IM ALLTAG

Person der Öffentlichkeit

Arbeit paart sich mit Gesellschaftlichkeit

Kann jemand die Schweiz regieren, der nur Französisch spricht?

Das familiäre Netzwerk der d’Affrys

Die kleinen Lappalien, die den Alltag ausmachen

Der vernünftige Glaube des Louis d’Affry

Das Freimaurertum

«Die Kranken, die uns regieren»: der Fall Louis d’Affry

DAS ZWEITE LANDAMMANNAT DES LOUIS D’AFFRY

Rückkehr an die Macht

Die Amtsübergabe

Die Verletzung des Schweizer Territoriums in Basel

D’Affry beruft eine ausserordentliche Tagsatzung ein

D’Affry mobilisiert im April 1809 General von Wattenwyl und schickt Reinhard nach Regensburg

Die ordentliche Tagsatzung vom Juni 1809

Das heikle Dossier der Rekrutierung von Regimentern im Dienst Frankreichs

Die letzten Wochen an der Macht

Erneute Verletzung des Schweizer Territoriums

Napoleon fügt seinen Titeln jenen des Mediators bei

Letzte Machtübergabe durch Louis d’Affry

Die letzte «Sondermission»

Letzte Frankreichreise

Der fruchtbare Dialog mit dem Kaiser vom 15. April

Abschied in Saint-Cloud am 17. Juni

«Ich werde vergehen wie ein Schatten»

Die letzten Stunden

Die Beisetzung

Das feierliche Requiem vom 22. November 1810

Die Zeit nach d’Affry

Das Bild d’Affrys in der Geschichte

Die d’Affrys nach 1810

Das Schicksal von Charles

Die letzten d’Affrys

SCHLUSSWORT

ANHANG

Geneologie

Chronologie

Anmerkungen

Bibliografie

Bildnachweis

Personenregister

VORWORT

Seit meiner Kindheit komme ich jeden Sommer nach Givisiez bei Freiburg in das alte Haus der d’Affry, in dem der Geist der Geschichte weht wie ein Hauch, dem man sich nicht entziehen kann. Unter den Vorfahren hat mich Louis d’Affry immer am meisten interessiert, besser gesagt angesprochen. Sein Porträt als Greis mit dem sanften, sich in der Weite verlierenden Blick faszinierte mich: Ich wunderte mich, dass es keine Biografie über den ersten Landammann der Schweiz gab. Ich wollte mehr wissen und sammelte mit meinem Vater alle sich auf ihn beziehenden Urkunden, Briefe und Objekte. Daraus entstand dann der Plan, ihn zur 200-jährigen Wiederkehr der Mediationsakte im Jahre 2003 aus dem Schatten der Vergessenheit herauszuholen. Die Stiftung d’Affry verdankt den Historikern Georges Andrey und Alain-Jacques Tornare die Umsetzung dieses Projekts. Als ich im November 2003 die Freude hatte, die Biografie von «Louis d’Affry, premier Landammann de la Suisse» vorzustellen, habe ich nicht nur den Wunsch, sondern das Versprechen ausgedrückt, dass eine deutsche Fassung des Buches in einigen Jahren erscheinen würde. Von dem Vorsatz bis zu seiner Verwirklichung war es ein langer Weg. An dieser Stelle möchte ich die hervorragende Leistung des Übersetzers, Herrn Paul Zurfluh, unterstreichen, dem wir die deutsche Fassung verdanken. Die Vielfalt der Sprachen ist ein Reichtum und ein Merkmal Europas, aber zu oft auch ein Hindernis. Diese Veröffentlichung will dem deutschsprachigen Publikum den Zugang zu einem Buch ermöglichen, dessen Gegenstand alle 19 Kantone der Mediation und die Entwicklung der gesamten modernen Schweiz angeht.

Dass die Mediationszeit (1803–1813) für viele Schweizer immer noch ein umstrittenes Kapitel ihrer Geschichte darstellt, wurde im Jubiläumsjahr 2003 sichtbar. Einige Kantone feierten großzügig, wie zum Beispiel die Waadt, die ihre Erhebung zum eigenständigen Kanton der Mediationsakte verdankt, andere, wie die Kantone Bern oder Zürich, kaum. Die Person von Louis d’Affry, dem ersten Landammann der Schweiz nach dem Willen von Bonaparte, wurde in vielen Artikeln gewürdigt, dabei aber auch als eine Kreatur Napoleons kritisiert. Diese Zwiespältigkeit hat Louis Auguste Philippe d’Affry selbst bewusst erlebt wie ein Schicksal, dem er nicht entfliehen konnte. Die Biografie von Georges Andrey und Alain-Jacques Tornare beschreibt das Leben eines Mannes, der die Wirren seiner Zeit mit Weitsichtigkeit beobachtet und unbeirrbar den Weg verfolgt, der nach seiner Meinung seinem Land am besten dient. Der Sohn des Generalobersten der Schweizergarde am französischen Königshof konnte nicht vorhersehen, dass er in fortgeschrittenem Alter der erste Präsident einer Schweiz werden sollte, die im Unterschied zu vielen von Frankreich annektierten Gebieten ihre Selbstständigkeit bewahren konnte, wenn auch in einem kaum verschleierten Vasallenverhältnis.

Der Handlungsspielraum von Louis d’Affry war angesichts des unaufhaltsamen Aufstiegs Frankreichs unter Napoleon Bonaparte sehr eng. Die Mediationsakte von 1803 verschaffte der Eidgenossenschaft den bestmöglichen Rahmen einerseits für die Wiederherstellung des inneren Friedens nach den Unruhen der letzten Jahre der Helvetischen Republik und andererseits für die Bewahrung des äußeren Friedens in einer Zeit, in der kaum einem Land Europas der Krieg erspart wurde. Der aufgeklärte Aristokrat Louis d’Affry wird in den sechs Jahren bis zu seinem Tod alle seine Kräfte einem Ziel unterordnen: der unabdingbaren Einhaltung der Mediationsakte. Diese war die Grundlage für eine erneuerte Schweiz, welche die Gleichberechtigung aller Personen und Kantone garantierte. Sie ist auch der Schild gegen offene oder versteckte Drohungen gewesen, die aus Frankreich kamen. Immer wieder wurden d’Affry delikate Missionen anvertraut. Mit diplomatischem Geschick, unendlicher Geduld und zäher Beharrlichkeit bemühte er sich – auch bei seinen Landsleuten –, die dünnen Fäden dieser Schutzkonstruktion zusammenzuhalten. Seine guten Beziehungen zu Napoleon nutzte er aus, um den grossen Mediator zu besänftigen und zur Einhaltung der Mediationsakte zu beschwören. Einfach war es nicht, und man kann sagen, dass er im Dienste seines Landes gestorben ist – am 26. Juni 1810 unmittelbar nach seiner Rückkehr aus Paris, wo er ein langes Gespräch mit Napoleon geführt hatte.

200 Jahre nach dem napoleonischen Epos erschienen viele Bücher in Frankreich und anderen Ländern, die verschiedene Aspekte dieses Kapitels der europäischen Geschichte neu beleuchten. Meine Dankbarkeit gilt dem Verlag hier + jetzt, der dem Buch über den ersten Landammann der Schweiz einen verdienten Platz in seiner Reihe von Biografien eingeräumt hat. Mit Bildern illustriert, mit Verweisen, einer Genealogie, Chronologie und einem Index bereichert, soll das Buch einem breiten Publikum das Leben eines Mannes näherbringen, der einen Epochenwechsel erlebt und mitgestaltet hat.

Viel liegt an dem Engagement einzelner Personen. Ohne Herrn Anselm Zurfluh, Leiter des Museums der Schweizer in der Welt, wären Übersetzung und Veröffentlichung dieses Buches nicht zustandegekommen. Meinen besonderen Dank an ihn verbinde ich mit dem Wunsch, dass in Zukunft immer mehr historische Werke in mehreren der Landessprachen der Schweiz erscheinen.

Berlin, im Oktober 2011. Monique von Wistinghausen, Vorsitzende der Stiftung d’Affry

EINLEITUNG: DIE «GRANDE MÉDIATION» (1803–1813)

«Endlich ist die so glückliche und heiss ersehnte Zeit angebrochen, wo wir durch die Güte des Allerhöchsten in den Genuss unserer Freiheit und Souveränität zurückkehren und wo wir durch die mächtige Vermittlung des grossen Konsuls wieder die Verfassung haben, die erkauft mit dem Blut unserer Vorfahren aus ihnen und ihren Nachkommen während Jahrhunderten das glücklichste Volk gemacht hat.»1

Dies sind die ersten Worte eines Briefes des Kantons Uri,2 kurz nach der Unterschrift der Mediationsakte vom 19. Februar 1803 in Paris an den Kanton Waadt3 geschrieben, um ihn als Freund in der neuen Eidgenossenschaft, die von nun an 19 Mitglieder umfasst, zu empfangen. Der im «Journal Helvétique», einem wichtigen Organ der Westschweizer Presse,4 publizierte Text ist in mehrfacher Hinsicht bedeutsam.

Erstens bezeugt er den Enthusiasmus der Urner – direkte Nachfolger der im Mittelalter in der Urschweiz gegründeten Eidgenossenschaft – für die in der französischen Hauptstadt zwischen dem Ersten Konsul Napoleon Bonaparte und der stattlichen Schweizer Delegation geschlossene Übereinkunft. Es handelte sich um einen Vertrag von beträchtlicher Tragweite, da er den jahrhundertealten Föderalismus wiederherstellte, der durch die Revolution 1798 brutal abgeschafft und durch das zentralistische Regime der Helvetischen Republik mit der Devise «ein und unteilbar» ersetzt worden war. Dank dieser ebenso radikalen wie spektakulären Gegenbewegung bekamen die Kantone ihre traditionelle Freiheit, sich selber regieren zu können, wieder zurück. Das konkrete Symbol der direkten Demokratie: Wie in der Vergangenheit konnte die Landsgemeinde von Uri ihre Bürger wieder versammeln.5

Zweitens: Der urnerische Text spricht die in der Zentralschweiz empfundene Bewunderung für den von der Vorsehung bestimmten Mann aus – ist Napoleon nicht der Gesandte des «Allerhöchsten»! –, dank dem die Mediationsakte dem Bürgerkrieg, dem berüchtigten «Stecklikrieg», der die Schweiz 1802 entzweite,6 ein Ende setzte. Nach dem Schock von 1798, den politischen Wirren ohne Ende in der Helvetik, der Besetzung der Schweiz durch fremde Armeen – französische, russische, österreichische – und nach dem darauf folgenden wirtschaftlichen Zusammenbruch hatten sich zwei Schweizer Armeen, die eine zur Verteidigung des an der Macht stehenden helvetischen Regimes, die andere, es zu stürzen, im Mittelland aufgestellt, um die Entscheidung zu suchen. Als die Seite, welche für die Wiederherstellung des Föderalismus kämpfte, dabei war, den Sieg zu erringen, mischte sich Frankreich in extremis militärisch ein, um einen Waffenstillstand durchzusetzen, die geflohene helvetische Regierung wieder einzusetzen und seine Vermittlung anzubieten. Die beiden Konfliktparteien nahmen die Offerte des Ersten Konsuls an und entsandten ihre Delegationen nach Paris. Von Dezember 1802 bis Februar 1803 arbeitete die Consulta ununterbrochen, um das Fundament für ein neues staatliches Gebäude zu setzen, das den wiedergefundenen Frieden garantieren sollte.7

Drittens: Die Haltung der Urner, die sich in ihrer veröffentlichten Botschaft widerspiegelt, widerspricht den schweizerischen Geschichtsbüchern, denen zufolge die verzagten Eidgenossen gegen ihren Willen die Mediationsakte ertragen hätten, in der ungeduldigen Erwartung des günstigen Augenblicks, sie wieder aufzukündigen.8 In Wirklichkeit hatten die Schweizer und mit ihnen die Urner – diese hatten sich gegen den französischen Besetzer 1798 sogar militärisch gewehrt – das Werk des «Grand Consul» mit Eile, wenn nicht gar mit Freude angenommen trotz der Tatsache, dass es ausserhalb der vaterländischen Grenzen entworfen, redigiert und bekannt gemacht worden war.9

DAS PRESTIGE DES GROSSEN KONSULS

«Grand Consul»! Man kann sich kaum vorstellen, welches Prestige Napoleon Bonaparte im Europa des Frühlings 1803 genoss, ein Jahr vor der offiziellen Ankündigung seiner Thronbesteigung als Kaiser.10 Um dieses Prestige deutlich zu machen, versuchen wir, ein Bild des damals mächtigsten und widersprüchlichsten Mannes zu zeichnen. Bald wird die englische Karikatur, die beste Europas, ihn mit der scheusslichen Fratze eines kinderfressenden Korsen darstellen. Er träumt davon, Grossbritannien in die Knie zu zwingen, eine ebenso stolze wie mächtige Nation, Beherrscherin der Meere11 und Vorreiterin des wirtschaftlich-industriellen Fortschritts. Noch präsentiert er sich aber, mit 34 Jahren, als friedenbringender Krieger der modernen Zeiten, in einer Hand den Degen, in der anderen den Olivenzweig, mit schmaler Silhouette und langen Haaren. Als militärischer Held und politisches Genie repräsentiert er den unbesiegbaren Kriegshelden12 und den nicht zu umgehenden Friedensstifter.13 Gefürchtet und gleichzeitig bewundert, vereint er in sich nicht nur die Kraft zum Dienst am Frieden, sondern auch die Autorität im Dienste von Recht, Justiz, Ruhe und Ordnung14 in einem von der Revolution erschütterten Europa. Die fehlgeschlagenen Attentate15 gegen seine Person erweisen seinen Feinden einen schlechten Dienst und verleihen ihm den Ruf der Unverwundbarkeit. Der Sohn der Revolution hört nicht auf, jedem immer und immer wieder zu sagen: «Die Revolution ist beendet!» Staats- und Armeechef eines Frankreich, das noch kürzlich in Auflösung war, erscheint er wie ein Wundertäter, um das Land in kürzester Zeit wieder aufzurichten. Er ist der Übermensch, der Europa, dem Zentrum der Welt, geschenkt wurde, um dessen Schicksal in die Hand zu nehmen. Es ist noch nicht so weit, aber eines Tages wird man von ihm ohne Übertreibung sagen, dass er «der Kopf von Cäsar auf den Achseln von Alexander dem Grossen» ist: Alles scheint so abzulaufen, wie wenn er es schon wäre. Mythos oder Realität, das ist jedenfalls das Bild, das die schweizerische, deutsche, italienische und selbstverständlich die französische Presse dieser Zeit von ihm zeichnet. Die französische wird von den Lesern bevorzugt, weil sie aus Paris, wo sich alles entscheidet, immer das Neueste berichtet. Ein Bild, das durch die Propaganda noch aufgebauscht wird – Bonaparte ist darin schon Meister16 –, das aber in Bezug auf seine universell anerkannten, gewaltigen Talente, die eine glänzende Zukunft ankündigen, nicht falsch ist.

Schon damals kennt man die überragende Rolle, welche der französische Staatschef bei der Gestaltung und Ausarbeitung der Mediationsakte persönlich gespielt hat – daran lassen die von der Presse publizierten offiziellen Texte keinen Zweifel aufkommen.17 Es war eine derart massgebliche Rolle, dass man sie eher mit derjenigen eines Schiedsrichters als eines Vermittlers vergleichen muss. Ein Vermittler schlägt vor, ein Schiedsrichter verfügt.18 Bonaparte, unter dem schon Napoleon hervorbricht – um Victor Hugo zu zitieren –, verkörpert in vollendeter Form den Entscheidungsträger in Politik und Militär. Als er 1799 Erster Konsul wird, zirkuliert in Paris ein Bonmot: «Was beinhaltet die Verfassung?» – «Bonaparte!» Gleichfalls hätte einem Neugierigen am Tag nach dem 18. Februar 1803 auf die Frage: «Was beinhaltet die Mediationsakte?» ein gewitzter Mann antworten können: «Den Mediator!»

Bonaparte war im helvetischen Streit zwischen «den Parteien, welche die Schweiz teilen»19 also eher Schiedsrichter als Vermittler. Aber auch in dieser Rolle war er gewissen Zwängen unterworfen. Die Historiker stimmen darin überein, dass er als anerkannt grosser Stratege die zwingende Notwendigkeit begriffen hatte, an der Ostgrenze von Frankreich den Verteidigungswall wiederherzustellen, den die Eidgenossenschaft seit der Einverleibung der bisher spanischen Freigrafschaft (Franche-Comté) durch Ludwig XIV. 1678 gebildet hatte. Der Einmarsch der Armeen des Direktoriums 1798 in die Schweiz war ein Fehler gewesen. Die Invasion hatte aus der Eidgenossenschaft, die seit dem Ende des 15. Jahrhunderts vom Krieg verschont geblieben war, das Schlachtfeld Europas gemacht. General Bonaparte musste den helvetischen Schild wiederherstellen, und wäre es nur, um auf dem so schwierigen Gelände nicht einen gewichtigen Teil seiner Kräfte binden zu müssen. Ausserdem schätzte er als guter Kenner der Verhältnisse den Kampfwert der Schweizer Soldaten so hoch ein, dass er auf sie nicht verzichten oder, noch schlimmer, sie sich zum Feind machen wollte. Die Schweiz sollte auf dem Markt der Reisläuferei bleiben, was sie schon immer gewesen war: ein zwar teures, aber privilegiertes und volkreiches Reservoir. Nicht vergebens zirkulierte in Frankreich der Ausspruch: «Kein Geld, keine Schweizer!» Darüber hinaus konnte die Neutralität, der die Schweizer sehr zugetan waren, die aber – ein anderer Fehler – 1798 um den Vorteil einer offensiven Allianz willen geopfert worden war, Frankreich in einem europäischen Krieg nützlich sein.20

Unter diesem Blickwinkel ist es erlaubt, in der Mediationsakte von 1803 wie auch in der sie ergänzenden Defensivallianz und im Militärvertrag, genannt Capitulation, eher den Ausdruck einer Übereinstimmung der französisch-schweizerischen Interessen als das einseitige Zeichen des Willens des Stärkeren zu sehen. Als sich die Schweizer im Winter 1802 zur Pariser Consulta begaben, taten sie dies nicht auf den Knien bittend. Seinerseits ging Napoleon nicht das Risiko ein, seine Gäste zu demütigen, indem er ihnen etwas aufzwingen wollte. Die beträchtliche Zeit, welche ein so beschäftigter Staatsmann wie Bonaparte den Angelegenheiten der Schweiz ganz persönlich gewidmet hat, zeigt zur Genüge, worum es ihm ging. Seine Gesprächspartner haben seine umfassende Kenntnis des helvetischen Dossiers ebenso wie sein Rednertalent und vielleicht auch sein Schauspieltalent bewundert. Die Schweizer haben einen Mann mit aussergewöhnlicher Arbeitsintensität am Werk gesehen, der sich für ihre Anliegen interessierte und sie zuvorkommend behandelte. Jeder verstand seine Entschlossenheit, nahm aber auch wahr, dass sein sachter Druck mit brutaler Energie oder Hinterlist eines Kriegsführers im Felde nichts zu tun hatte.21 Der neue Hannibal, der 1800 über den Grossen Sankt Bernhard22 marschiert war, hatte nach der Rückkehr in seine Pariser Büros die Uniform mit dem Gehrock vertauscht, den er ebenso gut trug. Er, der an der Spitze einer Armee von 40 000 Mann nur zehn Tage gebraucht hatte, um seine einzigartige Unternehmung zu Ende zu führen, setzte mehr als zwei Monate ein, um von seinen Gästen – einer paritätischen Delegation von zehn Schweizern und vier französischen Senatoren – eine für beide Seiten akzeptable Formulierung zu erreichen. Kurz gesagt, auch die Schweizer verbargen unter ihrer starken Panzerrüstung solide Verhandlungsqualitäten. Hätte der Herr von Frankreich das nicht gewusst, die Consulta hätte es ihm beigebracht.23

ORIGINALITÄT DER MEDIATIONSREGIERUNG

Die am 10. März 1803 in Kraft getretene Mediationsakte, die eher ein schiedsrichterliches Resultat einer langen, bilateralen franko-schweizerischen Verhandlung als ein Kompromiss war, der zwei rivalisierenden helvetischen Fraktionen mit einer Ermattungsstrategie abgerungen worden war, eröffnete eine beispiellose Periode der Schweizer Geschichte. Sie erstreckte sich über ein gutes Dezennium (sie endete am 29. Dezember 1813) und dauerte doppelt so lange wie die Helvetische Republik (1798–1803). Zum Vergleich: Die Restauration hatte 16 Jahre Bestand (1814–1830) und die Regeneration 18 (1830–1848). Sie als «Protektorat» zu bezeichnen, unter dem die Schweiz von 1798 bis 1813 gestanden hätte, ist im juristischen Sinn ein ungenauer Ausdruck.24 Gewisse Historiker haben daraus trotzdem ihr Glaubensbekenntnis gemacht.25 Andere26 bestanden auf dem Wort Domination, selbstverständlich der französischen Herrschaft, ohne einzusehen, dass die Könige von Frankreich während Jahrhunderten eine eigentliche Schutzherrschaft über die Schweiz ausgeübt haben. Wieder andere haben richtig erkannt, dass die Fremdherrschaft in der Schweiz mit ihren wiederholten Einmischungen in die eidgenössischen Angelegenheiten und ihrem militärischen, politischen, diplomatischen, ökonomischen und religiösen Druck von 1798–1848 ein halbes Jahrhundert fortbestanden hat, aufgeteilt in zwei Zeiträume, wobei der Kongress von Wien die Zäsur bedeutete: 1798–1815 (französische Periode), 1815–1848 (Periode der Heiligen Allianz).27

In diesem halben Jahrhundert stürmischer Geschichte hat die Mediation, welche nur mit einem Fünftel der Zeitdauer von der Revolution bis zum Sonderbund zu Buche schlägt (10 von 50 Jahren), ihren gut markierten Platz und besticht durch ihre ganz eigene Physiognomie. Das Bild, das sich im Spiegel der Geschichte zeigt, unterscheidet sich von einem Autor zum andern, von einer Epoche zur anderen, von einer historischen Schule zur anderen. Soweit Geschichte ein Gebiet der Humanwissenschaften ist, erfordert sie eher Scharfsinn und Einfühlsamkeit als geometrischen Geist, um mit Blaise Pascal zu sprechen. Glücklicherweise ist der Beruf der Clio nicht eine exakte Wissenschaft und das Feld der möglichen Interpretationen unbegrenzt. Beispielsweise könnte man mit gutem Grund die Mediation als uneheliche Tochter des Ancien Régime und der Revolution betrachten, da sie von ihren beiden Eltern Erbgut übernommen hat: vom Ancien Régime das Fehlen einer zentralen Regierung und der Gewaltentrennung, von der Revolution die Postulate der Gleichheit der Stände und Personen, die Niederlassungs-, Handels- und Industriefreiheit wie auch und vor allem den Verzicht auf Privilegien.

War die Mediation ein zwitterhaftes Regime, das niemanden zufriedenzustellen vermochte, oder im Gegenteil ein sinnreicher Kompromiss, ein Mittelweg zwischen Revolution und Gegenrevolution? Sollte man auf sie nicht die Formulierung anwenden, die Ludwig XVIII. später anstelle eines politischen Programms für das Frankreich unter seiner Herrschaft erfunden hat: «Das Ancien Régime ohne seine Missbräuche»? Eine klug dosierte Mischung von Tradition und Moderne, das war, könnte man sagen, die «weise Mediation». Aber welch eine seltene Tugend ist die Weisheit! War die Mediation in Wirklichkeit nicht nur ein einfacher Übergang, eine «kleine Restauration» in Erwartung der grossen (1814/15)? Um ein gastronomisches Bild zu bemühen, können wir sagen, dass diese «kleine Restauration» aus Speisen bestand, welche von einer neuen «classe politique», je nach Kanton anders zusammengesetzt, von aufgeklärten Aristokraten von früher und in der Zwischenzeit klug gewordenen Demokraten aus der Revolutionszeit gemeinsam genossen worden war. Der Zutritt zum Restaurant – der Ausdruck stammt aus der Epoche – war nicht gratis: Ein verschärfter Wahlzensus filterte die Tischgenossen und beugte dem Zustrom des Plebs aus der Landschaft vor, der berüchtigten «Bauernkratie».28 Man blieb unter seinesgleichen, unter «honnêtes gens». Nachdem man sich mit der soeben vergangenen und bereits vergessenen Zeit versöhnt hatte, sang man im Chor Lobeshymnen auf den Mediator und die Verdienste der Mediation. Doch die Mediation wird mit ihrem Vermittler untergehen.

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