Kitabı oku: «Der Weltensegler», sayfa 8
Seit dem Aufstieg an jenem denkwürdigen Dezemberabend auf dem Cannstatter Wasen waren nahezu dritthalb Jahre vergangen. Unterdessen hatte sich der Mars wieder um eine ganz gewaltige, viele Millionen von Kilometer betragende Entfernung von der Erde wegbewegt und war von dieser heute nahezu doppelt so weit entfernt als zur Zeit der Abreise. Stiller rechnete aus, daß sie, nach Erdenzeit gemessen, mindestens fünf volle Monate in der Gondel zuzubringen hätten und auch dies nur unter der Voraussetzung, daß kein unvorhergesehenes Ereignis den Flug des Weltenseglers störe. Waren er und seine Gefährten einst in befriedigender körperlicher Verfassung und ohne nennenswerte Störungen nach dem Mars gelangt, warum sollte die Rückkehr nach der Erde schließlich nicht auch erträglich vonstatten gehen?
Allerdings erschreckte die Länge der bevorstehenden Reise den sonst so mutigen Mann doch etwas. Fünf volle Monate in der Gondel eingeschlossen zuzubringen, die vielerlei damit verknüpften Entbehrungen wieder auf sich zu nehmen, den Mangel des natürlichen Lichtes, der Bewegung zu ertragen, das mußte auch auf das tapferste Gemüt niederdrückend wirken; Aber Stiller schüttelte alle trüben Gedanken nachdrücklich ab und freute sich über die großartigen technischen Kenntnisse der »Findigen«, die ihm nicht nur ein ähnliches Gas zur Füllung seines Luftschiffes bereiteten, wie es das Argonauton war, sondern die auch durch die Kunst der Haltbarmachung der wichtigsten Nahrungsmittel für die Reise meisterhaft zu sorgen verstanden. An elektrischer Kraft, fester Luft und dergleichen, deren Herstellung den Findigen schon seit alten Zeiten bekannt war, fehlte es auch nicht, und der Weltensegler führte jetzt ganz andere Mengen dieser Kräfte und Existenzmittel mit sich als zur Zeit seines Aufstieges. Ohne Lärm, ohne den geringsten Verdruß war die Instandsetzung des Luftschiffs vor sich gegangen. Wie vorteilhaft stach diese Art der Arbeit hier gegen die auf dem Cannstatter Wasen vor mehr als zwei Jahre ab! Dank der hohen Intelligenz, der Bereitwilligkeit und dem Eifer der Findigen befand sich der Weltensegler in so vortrefflichem Zustande, daß die gefahrvolle Reise jederzeit angetreten werden konnte.
Stiller hielt es für seine Pflicht, seine Gefährten über den Gang der Vorbereitungen zur Abfahrt auf dem laufenden zu halten. Er verschwieg den Freunden auch nicht die ungefähre Dauer der Rückreise. Anfangs waren die Kollegen über die Aussicht, so viele Monate in der Gondel zubringen zu müssen, sehr erschrocken gewesen, hatten sich dann aber rasch wieder gefaßt und sahen der Zukunft mit Mut und Vertrauen entgegen. Nur Frommherz äußerte sich nicht. Still und scheu schlich er herum, während die übrigen Herren ihre bescheidenen Habseligkeiten zu packen und in die Gondel zu schaffen anfingen.
Der Weltensegler war aus seinem Unterkunftshause herausgenommen worden und schaukelte sich, sorgfältig verankert, an dem Orte, an dem er einst niedergegangen war. Der letzte Tag des Aufenthaltes auf dem Mars war nur zu schnell herangekommen. Morgen in aller Frühe sollte die Abfahrt von Lumata erfolgen. Eran, der gastfreie, würdige Alte, hatte es sich nicht nehmen lassen, seinen Gästen noch ein reiches Abschiedsmahl zu bieten, zu dessen Verschönerung und Weihe die Harfenspieler und Sänger von Lumata wieder das Ihrige beitrugen. Ganz Lumata war auf den Füßen. Die Arbeit ruhte überall. Allerorts hatten sich die biedern Schwaben beliebt zu machen verstanden. Niemand war da, der den Fortgang der wackeren Männer nicht aufrichtig bedauerte. Aber sie hatten Familie, hatten Väter, Mütter, Brüder und Schwestern unten auf der Erde. Eine Rückkehr dahin erschien den Marsiten mit ihrem so hoch entwickelten Familien- und Gemeinsinn nur als ein Gebot der Pflicht.
Achtes Kapitel
Ein Abtrünniger
Während des Essens und der allgemein herrschenden bewegten Stimmung war es niemand besonders aufgefallen, daß Frommherz verschwand. Als nach dem Schlusse des Mahles, das sich bis in die ersten Morgenstunden des neuen Tages hineingezogen hatte, die Erdensöhne aufstanden und im Begriffe waren, das Haus Erans, das sie zwei Jahre lang beherbergt hatte, zu verlassen, entdeckte man das Fehlen des Freundes. Man suchte ihn überall im Hause, fand ihn aber nicht. Dagegen entdeckte man einen Brief, der auf dem Tische seines Zimmers lag. »An meine Freunde und Gefährten!« lautete die Adresse.
Stiller öffnete das Schreiben und überflog dessen Inhalt. »Wir haben es leider mit einem Abtrünnigen zu tun,« erklärte er den besorgten Genossen. »Hören Sie, was Frommherz schreibt. Aber setzen wir uns zunächst wieder, und beratschlagen wir nachher, was zu tun ist.«
Die Herren entsprachen der Bitte, und Stiller ersuchte Eran und die übrigen Marsiten unter Hinweis auf das Fehlen des siebenten und letzten Reisegenossen um einen kurzen Augenblick Geduld. Eran zog sich sofort mit den Seinen zurück und ließ die Herren allein.
»Zum Kuckuck, dacht’ ich mir’s doch so halb und halb, daß Frommherz fahnenflüchtig werden würde!« begann Piller zornig. »Lesen Sie einmal die Epistel vor, Stiller!«
»Verzeiht mir, teure Freunde und Gefährten, daß ich Euch eine schmerzhafte Enttäuschung bereite. Ich kann es nicht über mich bringen, mit Euch nach der Erde und nach unserer alten Heimat zurückzukehren. Aufs schwerste habe ich deshalb mit mir gekämpft und gerungen. Ich vermag den Mars nicht zu verlassen, es würde mein sicherer Tod sein, und den wollt Ihr doch auch nicht. Hier oben habe ich alles verwirklicht gefunden, was ich unten in ahnender Sehnsucht geträumt. Und nun soll ich ein Eden verlassen und in enge, unaufrichtige Verhältnisse und Lebensanschauungen wieder zurückkehren, nachdem ich so lange das reine Licht der Wahrheit geschaut habe? Nein, es kann nicht sein! Hat uns nicht der ehrwürdige Anan selbst in Angola das Bleiben hier oben freigestellt? Gut, so will wenigstens ich von diesem Anerbieten Gebrauch machen und Euch allein heimwärts ziehen lassen.
Wohl weiß ich, daß ich Euch durch meinen Entschluß kränke, aber ich kann wirklich nicht anders handeln. Richtet nicht zu strenge über mich und verzeiht mir, wenn möglich, in Liebe! Freiwillig bleibe ich hier oben. Es kann Euch somit keine Verantwortung dafür treffen, daß Ihr allein, ohne mich, nach der Heimat zurückkehrt. Möget Ihr sie glücklich erreichen! Dies ist mein innigster, aufrichtigster Wunsch. Grüßt mir mein Tübingen, grüßt mir mein liebes Schwabenland und meine Verwandten dort! Sagt ihnen, daß ich mich hier oben überglücklich, wie im Paradiese fühle und deshalb nicht mehr zur Erde mit ihrer Qual zurückgekehrt sei. Macht keine Anstrengungen, mich zu suchen. Ihr würdet mich doch nicht in meinem sichern Versteck finden, in dem ich so lange bleiben werde, bis Ihr abgefahren seid. Lebt wohl! In treuem Gedenken bin und bleibe ich Euer Friedolin Frommherz.«
In finsterem Schweigen verharrten die Herren einen Augenblick, nachdem Stiller den Brief vorgelesen hatte.
»Der elende Drückeberger!« hob Dubelmeier zu knurren an. »Jetzt fällt es mir wie Schuppen von den Augen, warum er sich in den letzten Wochen so sonderbar benommen hat.«
»Blamiert sind wir, heillos blamiert!« schrie Piller. »Wie stehen wir nun da? Wo bleibt unsere gerühmte Ehrenhaftigkeit?«
»Beauftragen wir Eran, Frommherz zu suchen! Der findet den Ausreißer gewiß,« riet Hämmerle.
»Diesem Vorschlage möchte ich beistimmen,« fügte Thudium bei.
»Es geht doch nicht an, daß wir Frommherz hier zurücklassen. Entweder wir bleiben alle, oder wir gehen alle zusammen. Das ist klar!« fügte Brummhuber bei.
»Meine lieben Freunde, schenken Sie mir ein wenig Gehör,« bat Stiller die aufgeregten Gefährten. »Ich begreife und billige ja völlig Ihre Entrüstung über das Benehmen Frommherz’ und teile es. Aber wir haben durchaus kein Recht, ihm unsern Willen aufzuzwingen. Er ist seinerzeit freiwillig mitgegangen und mag freiwillig zurückbleiben. Aber er hätte klar und offen handeln sollen. Mag er diese Handlungsweise vor seinem eigenen Gewissen verantworten! Nehmen wir die Sache, wie sie einmal ist. Unserm Andenken und unserer persönlichen Ehrenhaftigkeit kann das Bleiben Frommherz’ hier oben nicht das geringste anhaben. Im Gegenteil! Wir stehen immer als das da, wofür man uns nahm und hielt. Frommherz dürfte in dieser Beziehung bei den strengen Moralbegriffen der Marsiten nicht gut wegkommen. Ziehen wir also allein, ohne ihn! Ja, ich rate sogar zur Nachsicht und Milde. Seien wir aufrichtig! Ziehen wir vielleicht gern, leichten Herzens von hier fort?«
»Nein, gewiß nicht!« ertönte es fünfstimmig.
»Nun wohl! So wollen wir die Lage, in die sich unser Frommherz freiwillig begeben, wenigstens zum Guten zu wenden suchen: wir empfehlen den Zurückbleibenden der Güte und Nachsicht unseres lieben, ehrwürdigen Eran.«
»Das fehlte noch!« wetterte Piller.
»Warum nicht?«
»Ich verstehe Sie einfach nicht, Stiller!«
»Nun, so lassen Sie mich ruhig fortfahren. Während des Lesens von Frommherz’ Brief ist mir der Gedanke gekommen, daß unser Freund nach unsrer Abreise zur Strafe für sein eigenmächtiges Zurückbleiben und den dadurch bewiesenen Mangel an Gemeinschaftsgefühl möglicherweise nach den Gefilden der Vergessenen verbannt werden könnte.«
»Was ihm ganz recht geschehen würde!« warf hier Brummhuber ein.
»Nein, das wollen wir ihm eben zu ersparen suchen. Möge er unter ähnlichen Bedingungen wie bisher hier weiter leben! Dieses Bewußtsein läßt uns später mit reineren Gefühlen an den Freund zurückdenken und wirft keinen Schatten auf die Erinnerung an unsere schöne Aufenthaltszeit hier oben. Nun wohl, so lassen Sie mich, bitte, gewähren! Ich rede nachher mit Eran und suche mit ihm zusammen das Unangenehme möglichst gut zu ordnen.«
»Stiller, Sie beschämen uns, Sie sind ein braver Kerl – der Beste von uns!« Piller schneuzte sich sehr kräftig nach diesen Worten . . .
»O nein, mein Lieber! Ich war nur nicht umsonst hier oben unter diesen prächtigen, hoch denkenden und handelnden Menschen. Sie sehen nur, daß ich von ihnen etwas gelernt habe.«
»Wenn einer oben zu bleiben wirklich würdig wäre, so wären Sie es, Stiller!« rief begeistert Hämmerle.
»Lassen wir das!« wehrte Stiller ab. »Und nun will ich mit Eran Rücksprache nehmen.« Ohne das geringste Zeichen des Erstaunens zu zeigen oder einen Laut der Verwunderung hören zu lassen, vernahm der ehrwürdige Alte den Bericht Stillers.
»Auch ich finde, daß du wohl daran tust, deinen Bruder nicht zu zwingen, die Rückreise mit euch anzutreten. Ein jeder Mensch hat bis zu einem gewissen Grade das Recht der Selbstbestimmung. Aber dieses Recht schließt nicht das Unrecht eures flüchtigen Bruders aus, das ich in der Art und Weise erblicke, wie er sein Hierbleiben durchsetzen will. Laß ihn aber nur hier und zieh mit deinen Brüdern hinab auf die Erde! Wir werden mit Friedolin nicht allzu scharf ins Gericht gehen.«
»Darüber möchte ich eben beruhigt werden, ehrwürdiger Eran.«
»Sei deshalb ohne Sorge! Taucht er nach eurer Abreise auf, so werde ich ihn persönlich nach Angola bringen und bei Anan Fürsprache für den Sünder einlegen. Aber eine kleine Strafe muß sein. Ich habe bereits über ihre Art nachgedacht.«
»Worin soll sie bestehen?« fragte neugierig geworden Stiller.
»Friedolin soll uns ein Wörterbuch eurer Sprache schreiben. Ihr habt uns ja als Andenken einige Werke eurer hervorragendsten heimischen Dichter und Denker geschenkt. Nun gut, wir wollen diese Werke in der Originalsprache lesen, um uns ein klares Bild von euren Meistern machen zu können. Dazu brauchen wir aber ein Wörterbuch.«
»Diese Strafe lasse ich mir gefallen. Freund Friedolin wird die ihm gestellte Aufgabe zu eurer Zufriedenheit lösen, davon bin ich überzeugt.«
Damit war der Fall Frommherz erledigt. Stiller setzte seine Gefährten von dem Ergebnis der Besprechung in Kenntnis, und die Herren priesen von neuem die Güte und Nachsicht Erans, des wackern Patriarchen.
Nach der Zeitrechnung der Erde, die Stiller auch auf dem Mars unter genauester Berücksichtigung der Unterschiede in den täglichen Umdrehungszeiten von Mars und Erde weitergeführt hatte, war heute der siebente März herangekommen und mit ihm die Stunde der Abfahrt.
Eran hatte darauf bestanden, die sechs Erdensöhne zum Weltensegler zu begleiten. Auch Lumatas erwachsene Bevölkerung zog mit. Ernstes Schweigen, der Ausdruck ehrlichen Schmerzes über die Trennung, herrschte in der ganzen Schar. So schritten sie wortlos dahin zu der Wiese, auf der sich der Weltensegler in der klaren und reinen Luft des heraufziehenden Tages schaukelte.
»Nehmen wir kurz und rasch Abschied, vergrößern wir nicht das Weh der Trennung durch weitere Worte!« sprach Eran, einen der Schwaben nach dem andern umarmend. »Möge ein gutes Geschick eure Heimreise begleiten! Kommt glücklich in eurer Heimat an.«
Ein Händedruck noch, ein Winken von allen Seiten, und die kühnen Weltensegler stiegen in die Gondel. Die Taue wurden gelöst, langsam und stolz, begrüßt von den ersten Strahlen der aufgehenden Sonne, begann sich der Ballon zu heben. Da kam eilenden Laufes Friedolin Frommherz daher. Die Menge machte ihm Platz.
»Lebt wohl, Freunde!« rief er mit lauter Stimme. »Nochmals: verzeiht mir, daß ich bleibe und nicht mit euch zurückkehre! Reist glücklich und grüßt, mir mein teures Schwabenland!«
Aber die Herren in der Gondel hörten nur noch schwach, was ihnen Frommherz nachrief. Zu antworten vermochten sie nicht mehr. In immer rascherem Fluge entfernte sich der Weltensegler von dem wunderbaren Planeten und schwebte bald im dunkeln, kalten Weltenraum.
Neuntes Kapitel
Wieder auf der Erde
Der Zeiger der Zeituhr war auch in Stuttgart nach der so ungeheures Aufsehen erregenden Abfahrt der sieben Söhne des Schwabenlandes um Jahr und Tag vorgerückt. Wo mochten sie wohl stecken, die wagemutigen Landsleute? Ob sie wirklich den Mars erreicht hatten? Möglicherweise waren sie gar nicht nach diesem Planeten gelangt, sondern vielleicht auf einem der zahlreichen Planetoiden abgestiegen, oder die Expedition war verunglückt und die arme Forscherschar dann für immer verschollen im ungeheuren Weltenraume. Letztere Ansicht wurde allgemein als die richtige angenommen und geglaubt.
Nach dem Aufstieg des Weltenseglers unterhielt man sich anfänglich in Stuttgart noch viel und lebhaft über die Reise der Forscher, und Fragen aller Art waren aufgeworfen worden; nach und nach aber schlief das früher so lebhafte Interesse für die Marsexpedition ein. Neue Zeitfragen, aktuelle Ereignisse waren aufgetaucht und verdrängten schließlich die Erinnerung an das märchenhafte Unternehmen.
Da, plötzlich wie ein Blitzstrahl aus heiterm Himmel schlug an einem Septembertage die Nachricht in Stuttgart ein, die Herren Professoren, die vor bald drei Jahren vom Cannstatter Wasen aus nach dem Mars abgefahren waren, seien auf einer Insel in der fernen Südsee niedergegangen, und zwar mit ihrem Luftschiff, dem Weltensegler. Im ersten Augenblick wollte kein Mensch an diese Nachricht glauben; man hielt sie für einen schlechten Scherz. Als sie aber unter den amtlichen Mitteilungen im »Staatsanzeiger« erschien und durch Tausende von Extrablättern sofort weiter verbreitet wurde, da wurden schließlich auch die hartnäckigsten Zweifler von der Wahrheit der Nachricht überzeugt.
In lakonischer Kürze lautete der telegraphische Bericht:
Matupi, 31. August, nachts.
Weltensegler vom Mars zurück, hier niedergegangen. Stiller, Piller, Brummhuber, Hämmerle, Dubelmeier, Thudium. Befinden relativ wohl.
In der ersten großen Überraschung fiel es vielen gar nicht auf, daß in dem Telegramm nur von sechs Teilnehmern die Rede war. Erst nach und nach wurde des fehlenden siebenten Mitgliedes der Expedition gedacht. Die Meinung hierüber war rasch gefaßt: Frommherz mußte während der Reise zweifellos gestorben sein.
Mit größter Ungeduld sah die engere wie die weitere Heimat, die gesamte Kulturwelt näheren Nachrichten entgegen. Welch interessante, spannende Berichte standen von den schon verloren geglaubten Forschern zu erwarten!
– — – — – —
Die erste Zeit nach der Abreise vom Mars verstrich den Insassen der Gondel ganz erträglich. Nach Professor Stillers Ausspruch befand sich der Weltensegler auf der richtigen Bahn und in der Anziehungssphäre der Erde. Die Reise stellte an die Herren wieder die höchsten Anforderungen in Bezug auf ihre Gesundheit, Geduld und Ausdauer. Monate waren seitdem schon vergangen, und das Ziel, die Erde, wollte noch immer nicht auftauchen. Die Dulder fingen an, sich mehr und mehr erschöpft zu fühlen und beneideten in Gedanken oft den zurückgebliebenen Freund Frommherz.
Aber schließlich muß ja auch die längste, dunkelste Nacht dem hellen Tag weichen. Es ging gegen Ende August. Über fünf Monate schon zog der Weltensegler durch den Ätherraum. Stiller erwartete von einem Tage zum andern den Eintritt des Luftschiffes in die Atmosphäre der Erde. Richtig! Eine beginnende Dämmerung zeigte ihre Nähe an.
Wie einst bei der Annäherung an den Mars alle Drangsale der Reise im Handumdrehen aus der Erinnerung verschwanden, so war es auch diesmal wieder der Fall. Als Herr Stiller seinen Gefährten mitteilte, daß sie soeben in die Erdatmosphäre eingefahren und wahrscheinlich heute noch unten auf der Erde irgendwo landen würden, falls die Freunde nicht vorzögen, mit dem Weltensegler unmittelbar nach Deutschland zu steuern, da erhob sich heller Jubel in der Gondel. Vergessen waren plötzlich alle Mühe und Drangsal, alles körperliche Unbehagen.
»Wo es auch ist, nur herunter und heraus aus diesem verdammten Kasten!« erklärte Piller. »Wahrhaftig, wir sind jetzt lange genug eingesperrt gewesen!«
»Piller hat recht,« stimmte Thudium bei
»Keine Stunde länger als unumgänglich notwendig bleibe ich in diesem fürchterlichen Käfig,« entschied Hämmerle, und ihm pflichteten Dubelmeier und Brummhuber bei.
»Nun, wenn es so mit Ihnen steht, so landen wir, wo es eben möglich ist,« antwortete in gewohnter Ruhe Stiller. »Wir müssen aber Sorge dafür tragen, daß wir in zivilisierter Gegend absteigen und nicht aus Versehen in den offenen Ozean geraten.«
»Das recht zu machen, ist Ihre Sache, Stiller,« entschied Piller. »Und nun, Gefährten, nehmen wir einen Schluck des herrlichen Marsweines als Ausdruck unserer Freude über die glücklich vollendete Reise! Dubelmeier, zu meiner innigen Freude und aufrichtigen Genugtuung haben Sie sich auf dieser Fahrt vom Saulus in einen Paulus verwandelt und an Stelle des Wassers den edlen Wein gesetzt. Also trinken wir!«
Während die übrigen Herren den Pokal, eine wunderbare Marsarbeit und ein Geschenk von Angola her, kreisen ließen, hatte Herr Stiller die Ventile des Luftschiffs gelockert und eines der Gondelfenster geöffnet. Der Weltensegler fiel rasch abwärts.
»Täuscht mich nicht alles, so schweben wir gerade über der australischen Ostküste,« sprach Herr Stiller, nachdem er einen raschen Blick aus dem Gondelfenster geworfen hatte. »Wir werden bei Brisbane in Queensland landen.«
»Prächtig, Stiller, alter Knabe! Prosit! Da, nehmen Sie auch einen Schluck!«
Piller wollte gerade seinem Kollegen den Pokal mit dem Weine reichen, als plötzlich ein furchtbarer Windstoß die Gondel traf und mitsamt dem Luftschiff in eine drehende, wirbelnde Bewegung versetzte. Der Pokal fiel zu Boden, und die Herren selbst mußten sich an den nächsten festen Gegenständen in der Gondel festhalten, um nicht wie Bälle herumgeschleudert zu werden.
»Wir sind im letzten Augenblick in einen Zyklon geraten, wie sie hier herum häufig sind,« schrie Stiller seinen erschrockenen Gefährten zu. »Nun heißt es, allen Mut zusammennehmen. Der blinde Zufall ist jetzt unser Führer.«
In unverminderter Stärke und Heftigkeit wütete der Orkan während der folgenden bangen Stunden. Der Wind pfiff heulend durch das offene, zerschmetterte Fenster der Gondel und wirbelte in ihr alles herum, was nicht befestigt war. In dem fürchterlichen Toben des Orkanes war jede Verständigung ausgeschlossen. Die Insassen der Gondel mußten sich schließlich der größeren Sicherheit wegen auf den Boden legen. Hilflos trieb das Luftschiff dahin, wohin es der rasende Sturmwind trug. Es war ein tragisches Verhängnis, das im letzten Augenblick der Reise, kurz vor der Landung auf der Erde, die Reisenden traf. Und dabei bestand noch die große Gefahr, daß der Weltensegler ins offene Meer treiben, und die Expedition, die die ungeheure Reise nach und von dem Mars bisher so glücklich überwunden hatte, zum Schlusse noch ertrinken werde.
Traurige, trübe Gedanken bewegten die Männer. So war eine Reihe von Stunden vergangen. Der Tag, der so vielversprechend begonnen hatte, neigte sich seinem Ende zu. Die Gewalt des Sturmes schien nachzulassen. Möglich auch, daß der Weltensegler gegen die Peripherie des Wirbelsturmes hinausgetrieben worden war, kurz, die tolle Fahrt durch die Luft verringerte sich zusehends, und die Herren konnten endlich ihre unbequeme Lage verlassen und Ausschau halten. Zu ihrer Freude nahmen sie wahr, daß der Ballon in eine weite, geräumige Bucht eintrieb, deren Hintergrund ein Wald von grünen Kokospalmen bildete, umsäumt von freundlichen, kleinen Häusern.
Rasch entschlossen öffnete Stiller die Ventile des Weltenseglers, als er gerade über dem Palmenwalde schwebte. Einem Riesengewichte gleich fiel der Ballon in die hohen Palmbäume, die krachend unter der merkwürdigen Last zusammenbrachen. Weißgekleidete Männer eilten an den Ort des Niederganges herbei. Ihnen gesellten sich die fast nackten, dunkeln Gestalten der Eingeborenen bei, die schreiend und gestikulierend um den Platz herumstanden, den sich der Weltensegler in ihrem Palmenwalde geschaffen hatte.
Bald lag der übel zugerichtete Weltensegler fest verankert im Palmenwalde.
»Wo sind wir denn?« fragte Piller zum Gondelfenster heraus.
»Auf Matupi, im Südseearchipel,« lautete die Antwort.
»Wahrlich, das war noch Glück! Beinahe wären wir ertrunken; viel fehlte nicht mehr,« meinte Dubelmeier.
»Nun, dann hätten Sie eben im Wasser, Ihrem Element, geendet,« brummte Piller.
»Heraus, Freunde, heraus aus der Gondel und endlich hinab auf festen Boden!« drängte Stiller.
Als die Herren ausgestiegen waren, stellte sich der Führer der Weißen als Gouverneur der Insel vor.
»Wir sind aus Schwaben,« entgegnete Stiller lächelnd, »Professoren an der Universität in Tübingen, und sind seinerzeit von Deutschland aus mit dem Luftschiff aufgestiegen. Schwaben kennt man ja überall in der Welt. Sollten Sie je einmal nach dem fernen Mars kommen, so werden Sie selbst da einen zurückgebliebenen engeren Landsmann von uns antreffen.«
Der Gouverneur starrte etwas verwirrt den Sprecher, an, den er nicht recht begriffen hatte.
»Sie kommen mit Ihrem Luftschiff aus Deutschland her?«
»Direkt nicht, indirekt ja, direkt vom Mars! Haben Sie niemals von der Expedition nach dem Mars gehört? Es sind allerdings jetzt ungefähr zwei und drei viertel Jahre her, seit wir vom Cannstatter Wasen abgereist sind.«
»Ah – ja, jetzt erinnere ich mich, von dieser ganz ungeheuerlich klingenden Reise einst gelesen zu haben. Und Sie wären wirklich die kühnen Reisenden . . .?«
»Ja,« unterbrach Piller den Zweifelnden, »glauben Sie denn, daß sechs ehrenhafte schwäbische Professoren Ihnen etwas Unwahres vordunsten wollen? Wir sind die sieben Schwaben, die nach dem Mars fuhren. Wir waren zwei Jahre oben und kommen nur deshalb zu sechst zurück, weil der siebente oben geblieben ist. Verstehen Sie nun? Im übrigen heiße ich Professor Paracelsus Piller.«
»Entschuldigen Sie,« erwiderte, der Gouverneur, »ich glaube Ihnen aufs Wort. Ich war nur furchtbar verwirrt, und meine Gedanken jagten sich förmlich unter dem Eindrucke des Gehörten. – Darf ich Sie nun zu einem Mahl und einem guten Trunk einladen?«
»Aber natürlich! Gewiß! Mit größtem Vergnügen!« erklärten die Herren, die seit bald einem halben Jahr keine warme Suppe mehr gesehen hatten.
»Das Gehen wird uns etwas schwer. Unsere Gliedmaßen sind ziemlich steif geworden,« erklärte Stiller dem Gouverneur, als er etwas mühsam neben ihm dessen naher Behausung zuschritt. »Wir sind am 7. März von oben abgefahren. Heute haben wir, irr’ ich mich nicht, den 31. August. Mithin sind wir nahezu sechs Monate in der Gondel gewesen. Eine lange, bange Zeit!«
»Wie stolz bin ich darauf, daß Sie gerade hier bei uns landen mußten!«
»Na, um ein Haar wäre unsere Expedition in letzter Stunde noch verunglückt, und niemand hätte dann die Ergebnisse unserer Reise erfahren. Doch einstweilen genug davon! Wir scheinen hier zur Stelle zu sein.«
»Treten Sie ein in mein Haus, das nun das Ihre ist, und lassen Sie mich der erste sein, der Ihnen, den kühnsten Reisenden, die je gelebt, den Willkomm auf unserer Mutter Erde bietet. Entschuldigen Sie, daß ich diese Begrüßungsformel erst jetzt ausspreche. Allein ich war durch Ihre überraschende Ankunft hier tatsächlich ganz verblüfft.« Der Gouverneur schüttelte jedem der Professoren herzlich die Hand und stellte sie den übrigen Herren vor, die voll Hochachtung auf die vom Himmel heruntergefallenen Gäste blickten.
Die Weltensegler entledigten sich zunächst ihrer Pelzmäntel und nahmen gern das freundliche Anerbieten an, die schwere Reisekleidung gegen leichte, weiße Tropenanzüge zu vertauschen, die den Herren in einem Nebenzimmer bereitgelegt wurden. Rasch war dieser Wechsel vollzogen, und bald lagen die Herren in ihrer bequemen Tropentracht auf der luftigen Veranda in großen Korbstühlen. Draußen strömte der Regen nieder, und sein prasselndes Geräusch auf dem Dache erhöhte noch das Gefühl der Behaglichkeit.
Unterdessen sorgte der Gouverneur für einen stärkenden Trank. Gekühlter Champagner wurde durch die lautlos herumhuschende schwarze Dienerschaft den Herren kredenzt.
»Sie müssen morgen unsere Marstropfen versuchen,« sprach Piller zum Gouverneur, als er sein Glas mit einem Zuge ausgetrunken hatte und es zum zweiten Male füllen ließ.
»Was, Sie haben sogar Wein von oben mitgebracht?« antwortete der erstaunt.
»Und was für einen guten!« schmunzelte Piller. »Sogar mein sonst nur wassertrinkender Kollege hier, Herr Professor Dubelmeier, ist durch diesen Göttertropfen besiegt worden.«
»Nur durch die Gewalt der Umstände,« wehrte sich Dubelmeier.
»Streiten wir nicht darüber, Dubelmeierchen! Lassen Sie uns alle anstoßen und rufen: Hoch Deutschland und das Schwabenland!« Die Gläser klangen zusammen.
»Ein Hoch unsern hochverehrten Gästen!« lud der Gouverneur die Beamten von Matupi ein. Nachdem dieser Ruf verklungen war, wurde das Essen als angerichtet gemeldet, und die Gesellschaft begab sich in das Speisezimmer. Mit gutem Appetit langten die Herren zu, und bald herrschte eine allgemeine rege Unterhaltung.
»Wollen Sie nicht Ihre Ankunft nach Stuttgart kabeln?« fragte der Gouverneur. »Welch ungeheure Überraschung wird diese Mitteilung in Ihrer Heimat erregen!«
»Ja, das werden wir,« entgegnete Stiller. »Ich denke übrigens, daß wir mit dem nächsten Schiffe von hier nach Deutschland abreisen.«
»Wir haben vierzehntägige Dampferverbindung zwischen hier und Singapore. Dort können Sie dann sofort Anschluß nach Europa finden. Aber ich bin glücklich darüber, daß vor einer Woche der letzte Dampfer von hier abfuhr und Sie daher, meine verehrten Herren, noch volle sieben Tage unsere willkommenen Gäste sein müssen,« sprach der Gouverneur lächelnd. »Sie haben wohl Wunderbares auf Ihrer Reise und oben auf dem Mars erlebt?«
»Darüber wollen wir einige Bücher veröffentlichen, denn unsere Berichte werden Bände füllen,« erwiderte Stiller.
»Und Sie sollen das Werk später erhalten als Zeichen unseres Dankes für Ihre gastliche Aufnahme,« fügte Piller bei, »denn wenn wir Ihnen alles mündlich erzählen wollten, was wir erlebt haben, so müßten wir manchen Dampfer versäumen. Das geht aber nicht. Es drängt uns, endlich wieder heimzukommen.«
»Das kann ich mir lebhaft vorstellen. Sie werden wohl allerlei interessante Sachen vom Mars mitgebracht haben?«
»Gewiß! Morgen sollen Sie verschiedenes sehen, und daraus können Sie dann leicht erkennen, auf welch hoher Stufe der Kultur die Bewohner jenes prächtigen Planeten stehen, die das Menschentum in seinem erhabensten Begriffe verwirklichen,« erwiderte Stiller. »Zum zweiten Male möchten wir aber die Reise nicht mehr machen. Nicht nur ist sie voller Gefahren, sie ist auch fürchterlich anstrengend. Es war nicht unser eigenes Verdienst, sondern lediglich ein Spiel des Zufalles, daß wir die Reise hin und her im Weltraum unter verhältnismäßig guten Bedingungen ausführen konnten. Und heute morgen, als wir über Queensland schwebten und gerade im Begriffe waren, auf Brisbane zuzusteuern, da packte uns plötzlich der Orkan und warf uns hierher.«
»Das ist allerdings sehr zu bedauern, daß Sie zum Schluß Ihrer ungeheuren Reise noch in den Zyklon geraten mußten. Wie ich vernahm, hat der Sturm auf den andern Inseln des Archipels schwer gehaust. Aber ich preise ihn doch ein wenig, diesen Wirbelwind, hat er uns doch Sie, die berühmten Söhne des Schwabenlandes, als Gäste zugeführt.«
Nach Beendigung des Begrüßungsmahls wurden die Reisenden in den Häusern der verschiedenen Beamten auf Matupi untergebracht, und bald lagen sie in tiefem, traumlosem Schlafe. Noch in der gleichen Nacht ging das Telegramm nach Stuttgart ab.
Als sich die Reisenden am andern Morgen durch ein Bad in dem klaren Wasser der Bucht erquickt hatten, traf bereits die Antwort von Stuttgart ein: Staatsregierung und Stadtrat hatten den ersten warmen Willkomm aus der Heimat gesandt und zugleich um Auskunft über Herrn Frommherz gebeten, da er nicht auf der Liste der Zurückgekehrten angeführt war. Die Antwort lautete:
»Frommherz freiwillig auf Mars zurückgeblieben. Expedition dahin geglückt. Zwei Jahre oben gewesen. Hoffen, in etwa vier Wochen in Stuttgart einzutreffen.
Stiller.«
Mit Staunen betrachteten der Gouverneur und die Beamten von Matupi die geniale Einrichtung der Gondel, die ihnen von Stiller gezeigt und erklärt wurde. Noch mehr aber staunten sie über die Kunsterzeugnisse aus Silber und Gold und über die mannigfachen und wertvollen Geschenke der Marsiten. Leider fand sich das goldene Buch nicht mehr vor. Da die Gondel abgeschlossen war, so konnte an einen Diebstahl während der Nacht um so weniger gedacht werden, als auch die Eingeborenen für den Wert des Gegenstandes kein Verständnis gehabt hätten. So mußte angenommen werden, daß das Buch durch eine der Gondelklappen hinaus in den Weltenraum gefallen sei, ein unersetzlicher Verlust, der auf das Gemüt der Professoren recht niederdrückend wirkte. Schließlich aber siegte die Freude der Rückkehr über alle trüben Gedanken.