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Kitabı oku: «Ange Pitou Denkwürdigkeiten eines Arztes 3», sayfa 14

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Eine halbe Minute nachher ist er auf der andern Seite des Grabens und hat das Billet, das man ihm an der Degenspitze reicht.

Mit derselben Ruhe, mit derselben Festigkeit des Ganges kehrt er über das Brett zurück.

Doch in dem Augenblick, wo alle Welt sich um ihn drängt, um zu lesen, stürmt ein Hagel von Kugeln von den Zinnen herab, während man zugleich einen entsetzlichen Donner des Geschützes vernimmt.

Ein einziger Schrei, doch einer von den Schreien, welche die Rache des Volkes verkündigen, dringt aus der Brust aller hervor.

»Traut den Tyrannen!« ruft Gonchon.

Und ohne sich mehr mit der Kapitulation zu beschäftigen, ohne sich um das Pulver zu bekümmern, ohne an sich, ohne an die Gefangenen zu denken, ohne auf etwas anderes, als auf Rache zu sinnen, zu wünschen, zu verlangen, stürzt das Volk in die Höfe, nicht mehr zu Hunderten, sondern zu Tausenden.

Was das Volk einzudringen verhindert, ist nicht das Musketenfeuer: es sind die zu engen Thore.

Bei diesem Donner des Geschützes weisen sich die zwei Soldaten, die ihn nicht verlassen haben, auf Herrn de Launay, ein dritter bemächtigt sich der Lunte und zertritt sie unter seinem Fuß.

De Launay zieht seinen in seinem Stocke verborgenen Degen und will sich damit erstechen; man zerbricht den Degen zwischen seinen Händen.

Er begreift nun, daß er nichts anderes mehr zu thun hat, als zu warten, und er wartet.

Das Volk rückt heran, die Garnison reicht ihm die Hände, und die Bastille ist im Sturm, mit Gewalt, ohne Kapitulation genommen.

Seit hundert Jahren ist es nicht mehr die träge Materie, die man in die königliche Feste einschließt, es ist der Geist. Der Geist hat die Bastille gesprengt, und das Volk ist durch die Bresche eingedrungen.

Was das Schießen mitten unter dem allgemeinen Schweigen, während des Waffenstillstandes, betrifft, was diesen, unvorhergesehenen, unpolitischen, tödlichen Angriff betrifft, niemand hat je erfahren, wer den Befehl dazu gegeben, wer ihn angeregt, vollbracht.

Es giebt Augenblicke, wo die Zukunft einer ganzen Nation in der Wage des Schicksals gewogen wird. Eine von den Schalen gewinnt die Oberhand. Schon glaubt jeder das vorgesetzte Ziel erreicht zu haben. Plötzlich läßt eine unsichtbare Hand die Klinge eines Dolches oder die Kugel einer Pistole in die andere Schale fallen. Da verändert sich alles, und man hört nur noch einen einzigen Schrei: Wehe dem Besiegten!

XVIII.
Der Doktor Gilbert

Während das Volk, brüllend zugleich vor Freude und vor Wut, in die Höfe der Bastille stürmt, plätschern zwei Menschen im schlammigen Wasser der Gräben.

Diese zwei Menschen sind Billot und Pitou.

Pitou unterstützt Billot; keine Kugel hat ihn getroffen, kein Schuß hat ihn erreicht, doch sein Sturz hat den guten Pächter ein wenig betäubt.

Man wirft ihnen Stricke zu, man reicht ihnen Stangen.

Pitou erwischt eine Stange, Billot einen Strick.

Nach fünf Minuten werden sie im Triumph umhergetragen und umarmt, so kotig sie auch sind.

Der eine giebt Billot einen Schluck Branntwein, der andere stopft Pitou mit Wurst und gießt Wein darauf.

Ein dritter reibt sie ab und führt sie in die Sonne.

Plötzlich durchzuckt ein Gedanke, oder vielmehr eine Erinnerung den Geist von Billot; er entreißt sich der geschäftigen Sorge der Teilnehmenden und eilt gegen die Bastille zu.

»Zu den Gefangenen!« ruft er im Laufe, zu den Gefangenen!

»Ja, zu den Gefangenen!« ruft Pitou, dem Pächter nacheilend.

Die Menge, die bis dahin nur an die Henker gedacht hatte, bebt im Gedanken an die Opfer.

Sie wiederholt mit einem Schrei: »Ja, ja, zu den Gefangenen!«

Und ein neuer Strom von Angreifenden durchbricht die Dämme und scheint die Seiten der Festung zu erweitern, um die Freiheit hineinzutragen.

Ein entsetzliches Schauspiel bot sich nun den Augen von Billot und Pitou. Trunken, wütend, rasend, war die Menge in die Höfe gestürzt. Den ersten Soldaten, der ihr in die Hände gefallen, hatte sie in Stücke gehauen.

Gonchon ließ sie gewähren. Ohne Zweifel dachte er, der Zorn des Volkes sei wie der Strom der großen Flüsse, er richte mehr Unheil an, wenn man ihn aufzuhalten suche, als wenn man ihn ruhig sich verlaufen lasse.

Elie und Hullin dagegen hatten sich den Schlächtern entgegengeworfen: sie baten, sie flehten, sie sagten – eine großmütig erhabene Lüge – sie hatten der Garnison die Erhaltung ihres Lebens versprochen.

Die Ankunft von Billot und Pitou war eine Verstärkung für sie.

Billot, den man rächen wollte, Billot lebte; Billot war nicht einmal verwundet, es hatte sich nur das Brett unter seinem Fuße gedreht. Er hatte nur ein Schlammbad genommen, und nichts andres.

Auf die Schweizer war man hauptsächlich erbost; doch man fand keine Schweizer mehr. Sie hatten Zeit gehabt, Kittel von grauer Leinwand anzuziehen, und man hielt sie für Knechte oder für Gefangene. Die Menge zerschmetterte mit Steinwürfen die zwei Gefesselten der Uhrtafel. Die Menge eilte auf die Höhe der Türme, um die Kanonen zu beschimpfen, die den Tod gespieen hatten. Die Menge packte die Steine an und machte sich die Hände blutig, indem sie dieselben ausreißen wollte. Als man die ersten Sieger auf der Plattform erscheinen sah, ließ alles, was außen war, das heißt, hunderttausend Menschen, ein ungeheures Geschrei vernehmen.

Dieses Geschrei erhob sich über Paris und schwang sich wie ein Adler mit raschen Flügeln über Frankreich hin:

Die Bastille ist genommen!

Bei diesem Ruf zerschmolzen die Herzen, befeuchteten sich die Augen, öffneten sich die Arme; es gab keine entgegengesetzte Parteien, keine feindliche Kasten mehr; alle Pariser fühlten, daß sie Brüder, alle Menschen begriffen, daß sie frei waren.

Eine Million Menschen hielt sich in gegenseitiger Umarmung.

Billot und Pitou waren im Gefolge den einen und den andern voranschreitend eingedrungen; sie wollten nicht ihren Anteil am Triumph, sondern die Freiheit der Gefangenen.

Als sie durch den Hof des Gouvernements kamen, gingen sie an einem Mann in grauem Rock vorüber, der ruhig und die Hand auf einen Stock mit goldenem Knopf gestützt da stand. Dieser Mann war der Gouverneur. Er wartete unbeweglich, bis entweder seine Freunde ihn retten, oder seine Feinde ihn erschlagen würden.

Billot, als er ihn erblickte, erkannte ihn sogleich, gab einen Schrei von sich und ging gerade auf ihn zu.

De Launay erkannte den Pächter auch. Er kreuzte die Arme und wartete, Billot anschauend, als wollte er zu ihm sagen:

»Bist du es, der mir den ersten Streich versetzen wird?«

Billot begriff und blieb stehen.

»Wenn ich mit ihm spreche,« sagte er zu sich selbst, »so mache ich, daß man ihn erkennt; wird er erkannt, so ist er tot.«

Doch wie den Doktor Gilbert inmitten dieses Chaos finden? Wie der Bastille das in seinen Eingeweiden verschlossene Geheimnis entreißen?

Dieses ganze Zögern, dieses ganze heldenmütige Bedenken begriff de Launay ebenfalls.

»Was wollen Sie?« fragte halblaut de Launay.

»Nichts,« erwiderte Billot, indem er mit dem Finger auf das Thor deutete, um ihm zu bezeichnen, die Flucht sei noch möglich. »Nichts. Ich werde den Doktor Gilbert wohl finden können.«

»Dritte Bertaudiere,« antwortete de Launay mit weicher, beinahe gerührter Stimme.

Und er blieb auf derselben Stelle.

Plötzlich sprach eine Stimme hinter Billot:

»Ah! hier ist der Gouverneur.«

Die Stimme war ruhig, als ob sie nicht dieser Welt angehört hätte, und dennoch fühlte man, daß jedes Wort, das sie gesprochen, ein scharfer, gegen die Brust von de Launay gerichteter Dolch war.

Gonchon hatte so gesprochen.

Bei seinen Worten, wie beim Schalle einer Sturmglocke bebten alle diese rachetrunkenen Menschen; sie schauten mit flammenden Augen umher, erblickten de Launay und stürzten auf ihn los.

»Retten Sie ihn, oder er ist verloren,« sagte Billot, an Elie und Hullin vorübergehend.

»Helfen Sie uns,« erwiderten die zwei Männer.

»Ich muß hier bleiben, ich habe auch einen zu retten.«

In einem Augenblick war de Launay von tausend Händen bedroht, emporgehoben, fortgeschleppt.

Elie und Hullin eilten ihm nach und riefen:

»Haltet ein, wir haben ihm Schonung seines Lebens zugesagt.«

Das war nicht wahr; doch die erhabene Lüge drang gleichzeitig aus diesen zwei edlen Herzen hervor.

Unter dem Geschrei: Nach dem Stadthaus! nach dem Stadthaus! war de Launay, gefolgt von Elie und Hullin, in einer Sekunde durch den Gang verschwunden, der aus der Bastille führt.

De Launay, eine lebendige Beute, war für gewisse Sieger so viel wert, als die tote Beute der Bastille.

Sie bot übrigens ein seltsames Schauspiel, die traurige, schweigsame Feste, seit vier Jahrhunderten nur durch Wachen, Kerkermeister und einen düstern Gouverneur besucht, nun aber die Beute des Volks geworden, das in den Höfen umherlief, die Treppen auf- und abstieg, wie ein Bienenschwarm summte und den Granitkorb mit Bewegung und Geräusch erfüllte.

Billot schaute de Launay einen Augenblick nach; dieser wurde mehr fortgetragen, als geführt, und schien über der Menge zu schweben.

Doch in einer Sekunde war er verschwunden. Billot seufzte, sah umher, erblickte Pitou, eilte nach einem Turme und rief: »Dritte Bertaudiere!«

Ein zitternder Gefangenenwärter fand sich auf seinem Wege.

»Dritte Bertaudiere,« sagte Billot.

»Dorthin, mein Herr,« erwiderte der Gefangenenwärter, »doch ich habe die Schlüssel nicht.«

»Wo sind sie denn?«

»Man hat sie mir genommen.«

»Bürger, leihe mir deine Axt,« sprach Billot zu einem Vorstädter.

»Ich gebe sie dir,« antwortete dieser, »ich brauche sie nicht mehr, da die Bastille genommen ist.«

Billot ergriff die Axt und eilte, von dem Gefangenenwärter geführt, eine Treppe hinauf.

Der Gefangenenwärter blieb vor einer Thüre stehen.

»Dritte Bertaudiere?« fragte er.

»Ja.«

»Das ist hier.«

»Heißt der Gefangene, der in diesem Zimmer eingeschlossen ist, nicht Doktor Gilbert?«

»Ich weiß es nicht.«

»Seit fünf bis sechs Tagen erst angekommen.«

ich weiß es nicht.«

»Nun,« sagte Billot, »ich werde es erfahren.«

Und nun griff er die Thüre mit gewaltigen Axtstreichen an.

Sie war von Eichenholz; doch unter den Streichen des kräftigen Pächters zersprang das Holz in Splitter.

Nach einigen Sekunden konnte der Blick in die Zelle dringen.

Billot hielt sein Auge an die Öffnung. Durch die Öffnung tauchte sein Blick in das Gefängnis.

In der Linie des Lichtstrahls, der in den Kerker durch das vergitterte Fenster des Turms eindrang, stand, ein wenig zurückgebogen, in der Hand ein aus seinem Bett gerissenes Querholz haltend, ein Mann in verteidigender Stellung. Dieser Mann hielt sich offenbar bereit, den ersten, der eintreten würde, niederzuschlagen.

Trotz seines langen Bartes, trotz seines bleichen Gesichtes, trotz seiner kurz geschnittenen Haare erkannte ihn Billot. Es war der Doktor Gilbert.

»Doktor! Doktor! sind Sie es?«

»Wer ruft mich?« fragte der Gefangene.

»Ich, ich, Billot, Ihr Freund.«

»Sie, Billot?«

»Ja! ja! er! er! wir! wir!« riefen zwanzig Stimmen, die bei den furchtbaren Streichen, die Billot that, auf dem Ruheplatz stehen geblieben waren.

»Wer, ihr?«

»Wir, die Sieger der Bastille! Die Bastille ist genommen. Sie sind frei«!

»Die Bastille ist genommen! ich bin frei!« rief der Doktor.

Und er streckte seine beiden Hände durch die Öffnung und rüttelte so gewaltig an der Thüre, daß die Angeln und das Schloß sich losreißen zu wollen schienen, und daß ein schon durch Billot erschütterter eichener Flügel krachte, zerbrach und in den Händen des Gefangenen blieb.

»Warten Sie, warten Sie,« sagte Billot, denn er begriff, eine zweite der ersten ähnliche Anstrengung würde des Doktors überreizten Kräfte erschöpfen, »warten Sie.«

Und er verdoppelte seine Streiche.

Durch die Öffnung, die sich immer mehr vergrößerte, konnte er den Gefangenen sehen. Dieser war wieder auf seinen Stuhl gesunken, bleich wie ein Gespenst und unfähig, das Querholz aufzuheben, das bei ihm lag, der kurz vorher, einem Simson ähnlich, beinahe die Bastille erschüttert hätte.

»Billot! Billot!« murmelte er.

»Ja! ja!« und auch ich, der Pitou, »Herr Doktor; Sie erinnern sich wohl des armen Pitou, den Sie bei Tante Angélique in die Kost gebracht haben; auch Pitou kommt, um Sie zu befreien.«

»Aber ich kann ja durch diese Öffnung schlüpfen,« sagte der Doktor.

»Nein! nein!« antworteten die Stimmen; »warten Sie.«

Alle Anwesenden vereinigten ihre Kräfte in einer gemeinschaftlichen Anstrengung. Die einen schoben ein Brecheisen zwischen die Mauer und die Thüre, andere ließen einen Hebel am Schloß spielen; wieder andere drückten und stießen mit ihren angestemmten Schultern und ihren krampfhaft zusammengezogenen Händen. Das Eichenholz ließ ein letztes Krachen hören, die Wand schieferte sich ab, und alle stürzten miteinander durch die zerbrochene Thür, durch die abgestoßene Mauer wie ein Strom in das Innere des Gefängnisses. Gilbert befand sich in den Armen von Pitou und von Billot.

Gilbert, der kleine Bauer vom Schlosse Tavernen, Gilbert, den wir in seinem Blute gebadet in einer Grotte der Azoren gelassen haben, war nun ein Mann von vier- bis fünfunddreißig Jahren, von bleicher, aber nicht krankhafter Gesichtsfarbe, mit leuchtenden Augen, voll entschlossener Willenskraft. Nie verlor sich sein Blick umherirrend im Räume; heftete er ihn nicht auf einen äußeren Gegenstand, der ihn zu fesseln würdig war, so heftete er ihn auf seine eigenen Gedanken, und wurde darum nur umso düsterer und tiefer. Seine Nase war gerade und stand mit seiner Stirne durch eine direkte Linie in Verbindung; sie überragte eine stolze Oberlippe, die durch einen leichten Zwischenraum, der sie von ihrer Unterlippe trennte, den blendenden Schmelz seiner Zähne sehen ließ. In gewöhnlichen Zeiten war sein Anzug einfach und streng, wie der eines Quäkers. Doch diese Strenge grenzte durch die außerordentliche Reinlichkeit an die Eleganz. Sein etwas mehr als mittlerer Wuchs war schön geformt; was seine ganz nervöse Stärke betrifft, so haben mir soeben gesehen, wie weit sie in einer ersten Bewegung der Gereiztheit gehen konnte, mochte diese Gereiztheit nun den Zorn oder den Enthusiasmus zur Ursache haben.

Obschon seit sechs Tagen im Kerker, hatte doch der Gefangene dieselbe Sorge auf sich verwendet; sein mehrere Linien langer Bart hob noch mehr sein blasses Gesicht hervor und zeigte die einzige Spur von Vernachlässigung.

Nachdem er Pitou und Billot in seine Arme geschlossen. wandte er sich gegen die in sein Gefängnis eingedrungene Menge.

Dann, als ob ein Augenblick genügt hätte, ihm die ganze Herrschaft über sich selbst wieder zu verleihen, sprach er:

»Der Tag, den ich vorhergesehen, ist gekommen. Dank Euch, meine Freunde, Dank dem ewigen Geiste, der über der Freiheit der Völker wacht.«

Und er reichte seine beiden Hände der Menge, die, an der Erhabenheit seines Blickes, an der Würde seiner Stimme einen großen Mann erkennend, dieselben kaum zu berühren wagte.

Dann verließ er seine Zelle und ging, gestützt auf die Schulter von Billot und gefolgt von Pitou und seinen Befreiern, allen diesen Menschen voran.

Der erste Augenblick war von Gilbert der Freundschaft und der Dankbarkeit geschenkt worden, der zweite hatte die Entfernung erwogen, die den gelehrten Doktor getrennt von dem unwissenden Pächter, dem guten Pitou und dieser ganzen Menge, die ihn befreite.

Bei der Thüre angelangt, blieb Gilbert vor dem Lichte des Himmels, das ihn überströmte, stehen. Er blieb stehen, kreuzte die Arme auf seiner Brust, schlug die Augen zum Himmel auf und sprach:

»Gegrüßet seist du, schöne Freiheit; ich habe deiner Geburt bereits drüben in der neuen Welt beigewohnt, und wir sind alte Freunde. Gegrüßet feist du, schone Freiheit!«

Und das Lächeln des Doktors besagte in der That: der Jubel, den er hier von einem ganzen freiheitstrunkenen Volke vernahm, sei für ihn nichts neues.

Nachdem er sich sodann einige Sekunden gesammelt hatte, fragte er:

»Billot, das Volk hat also den Despotismus besiegt?«

»Ja, Herr.«

»Und Sie haben sich geschlagen?«

»Ich bin gekommen, um Sie zu befreien.«

»Sie wußten von meiner Verhaftung?«

»Ihr Sohn hat mich heute morgen davon unterrichtet.«

»Armer Emil! haben Sie ihn gesehen?«

»Ich habe ihn gesehen.«

»Ist er ruhig in seiner Kostschule geblieben?«

»Ich habe ihn, sich sträubend, in den Händen von vier Krankenwärtern gelassen.«

»Ist er krank, hat er das Delirium?«

»Er wollte mit uns ziehen, um sich zu schlagen.«

»Ah!« rief der Doktor, und ein Lächeln des Triumphes umspielte seine Lippen. Sein Sohn entsprach seiner Hoffnung.

»Sie haben also gesagt?« fragte er Billot.

»Ich habe gesagt, da der Doktor Gilbert in der Bastille ist, so nehmen wir die Bastille. Nun ist die Bastille genommen. Das ist noch nicht alles.«

»Was giebt es noch?«

»Das Kistchen ist gestohlen.«

»Das Kistchen, das ich Ihnen anvertraute?«

»Ja.«

»Und durch wen gestohlen?«

»Durch Leute, die sich unter dem Vorwand, Ihre Broschüre in Beschlag zu nehmen, bei mir eingeschlichen, mich verhaftet, eingeschlossen, das Haus durchsucht, das Kistchen gefunden und fortgenommen haben.«

»An welchem Tage?«

Gestern.

»Ho! ho! es findet offenbar ein Zusammenhang zwischen meiner Verhaftung und dem Diebstahl statt. Dieselbe Person, die mich festnehmen ließ, hat zu gleicher Zeit auch das Kistchen stehlen lassen. Erfahre ich den Urheber der Verhaftung, so kenne ich auch den Urheber des Diebstahls. Wo sind die Archive?« fragte der Doktor den Gefangenenwärter.

»Im Hofe des Gouvernements, mein Herr,« antwortete dieser.

»Zu den Archiven also, Freunde, zu den Archiven!« rief der Doktor.

»Mein Herr,« sagte der Gefangenenwärter, der ihn einen Augenblick zurückhielt, »lassen Sie mich Ihnen folgen, oder empfehlen Sie mich diesen wackern Leuten, damit mir kein Unglück widerfährt.«

»Es sei,« sprach Gilbert.

Dann wandte er sich an die Menge, die ihn mit einer Mischung von Neugierde und Ehrfurcht umgab, und sagte:

»Freunde, ich empfehle euch diesen braven Mann; er trieb sein Handwerk, indem er die Thüren öffnete und schloß; doch er war mild gegen die Gefangenen, und es werde ihm kein Leid angethan.«

»Nein! nein!« rief man von allen Seiten; »nein, er fürchte sich nicht, er braucht nicht bange zu haben, er komme.«

»Ich danke, mein Herr,« sagte der Gefangenenwärter; »doch wenn Sie in die Archive wollen, beeilen Sie sich; ich glaube, man verbrennt die Papiere.«

»Oh! dann ist kein Augenblick zu verlieren!« rief Gilbert; in die Archive!

Und er eilte nach dem Hofe des Gouvernements; die Menge, an deren Spitze beständig Billot und Pitou marschierten, folgte ihm auf den Fersen.

Fünftes bis achtes Bändchen

XIX.
Das Dreieck

Vor der Thüre des Saales der Archive brannte ein ungeheures Feuer von Papieren.

Man hatte sich der Archive der Bastille bemächtigt. Es war ein weiter, mit Registern und Plänen gefüllter Saal; die Akten von allen seit hundert Jahren in der Bastille eingeschlossenen Gefangenen lagen hier aufgehäuft. Das Volk zerriß diese Papiere voll Wut; ohne Zweifel dünkte es ihm, wenn es alle die Gefängnisregister zerreiße, gebe es auf eine gesetzliche Weise den Gefangenen die Freiheit.

Gilbert trat ein; unterstützt von Pitou, durchsuchte er die Register, die noch aufrecht in den Fächern standen; die Register des laufenden Jahres fanden sich nicht.

Der Doktor, sonst ein ruhiger, kalter Mann, stampfte vor Ungeduld mit dem Fuße. In diesem Augenblicke gewahrte Pitou einen von den heldenmütigen Straßenjungen, deren es immer noch bei den Volkssiegen giebt; er lief nach dem Feuer und trug auf seinem Kopf einen Band, der seiner ganzen Form nach demjenigen ähnlich war, welchen der Doktor Gilbert durchblätterte.

Pitou eilte ihm nach und hatte ihn mit seinen langen Beinen bald eingeholt. Es war das Register vom Jahre 1789.

Die Unterhandlung dauerte nicht lange. Pitou gab sich als Sieger zu erkennen, erklärte, ein Gefangener bedürfe des Registers, und der Straßenjunge trat es ihm ab und tröstete sich mit den Worten: Bah! ich werde ein andres verbrennen.

Pitou öffnete das Register, suchte, blätterte, las, und fand, bei der letzten Seite angelangt, die Worte: Heute, am 9. Juni 1789, ist Herr Gilbert, Philosoph und sehr gefährlicher Publizist, eingetreten; in den engsten Gewahrsam zu bringen.

Er brachte das Register dem Doktor.

»Herr Gilbert, ist das nicht das, was Sie suchen?«

»Oh!« rief der Doktor, das Register ergreifend, »ja, das ist es. Wir wollen sehen, von wem der Befehl kommt.«

Und er suchte am Rande.

»Necker!« rief er, »der Befehl, mich zu verhaften, von Necker, meinem Freunde, unterzeichnet. Oh! hier waltet sicherlich ein Irrtum ob.«

»Necker ist Ihr Freund?« rief die Menge voll Achtung, denn man erinnert sich, welchen Einfluß dieser Name auf das Volk übte.

»Ja, ja, mein Freund, ich behaupte es,« sagte der Doktor, »und Necker, davon bin ich fest überzeugt, wußte nicht, daß ich im Gefängnis war. Doch ich will ihn aufsuchen und  . . .«

»Wo aufsuchen?« fragte Billot.

»In Versailles.«

»Herr Necker ist nicht in Versailles; Herr Necker ist in der Verbannung, in Brüssel.«

»Aber seine Tochter?«

»Die Tochter wohnt auf dem Gute Saint-Quen,« sprach eine Stimme aus der Menge.

»Ich danke,« sagte Gilbert, ohne nur zu wissen, an wen er seinen Dank richtete.

Dann wandte er sich gegen die Verbrenner und sprach:

»Freunde, im Namen der Geschichte, die in diesen Archiven die Verurteilung der Tyrannen finden wird, flehe ich euch an, haltet ein mit der Verwüstung! Zerstört die Bastille Stein um Stein, daß keine Spur davon übrig bleibt, aber verschont die Papiere, verschont die Register, das Licht der Zukunft liegt darin.«

Kaum hatte die Menge diese Worte gehört, als sie dieselben mit ihrem erhabenen Verstande erwog.

»Der Doktor hat recht,« riefen hundert Stimmen, »keine Verwüstung! Nach dem Stadthause alle Papiere!«

Ein Pompier, der mit fünf bis sechs von seinen Kameraden, eine Feuerspritze schleppend, in den Hof gekommen war, richtete die Röhre seines Werkzeugs nach dem Herd und löschte ihn aus.

»Und auf wessen Verlangen sind Sie verhaftet worden?« fragte Billot.

»Ah! das ist es gerade, was ich suche und nicht herausbringen kann, der Name ist nicht beigeschrieben,« antwortete der Doktor.

Und nachdem er einen Augenblick nachgedacht hatte, fügte er hinzu:

»Doch ich werde es erfahren.«

Und er riß das Blatt, das ihn betraf, heraus, legte es zusammen und steckte es in seine Tasche. Dann sprach er zu Billot und Pitou:

»Freunde, laßt uns gehen, wir haben nichts mehr hier zu thun.«

»Gehen wir,« erwiderte Billot; »nur ist das leichter gesagt, als ausgeführt.«

Durch die Neugierde gedrängt, strömte gegen das Innere der Höfe eine solche Menge durch den Eingang der Bastille, daß sie deren Thore versperrte. Am Eingang der Bastille waren die andern Gefangenen.

Acht Gefangene, Gilbert mitgezählt, hatte man befreit.

Sie hießen: Jean Bechade, Bernard Laroche, Jean Lacaurege, Antoine Pujade, von White, der Graf von Solage und Tavernier.

Die vier ersten flößten nur ein geringes Interesse ein. Sie waren beschuldigt, einen Wechsel gefälscht zu haben, ohne daß sich je ein Beweis gegen sie erhoben hatte, was auf den Glauben führen sollte, die Anklage sei falsch gewesen. Sie befanden sich erst seit zwei Jahren in der Bastille.

Die anderen waren der Graf von Solage, von White und Tavernier.

Der Graf von Solage war ein Mann von ungefähr dreißig Jahren, voll freudigen Ergusses; er umarmte seine Befreier, pries ihren Sieg und erzählte ihnen seine Gefangenschaft. Im Jahr 1782 verhaftet und in Vincennes infolge eines von seinem Vater erlangten Geheimbriefes eingesperrt, war er von Vincennes nach der Bastille gebracht worden, wo er fünf Jahre geblieben, ohne daß er einen Richter gesehen, ohne daß man ihn ein einziges Mal verhört hatte. Seit zwei Jahren war sein Vater tot, und niemand hatte an ihn gedacht; wäre die Bastille nicht genommen worden, so hätte sich wahrscheinlich keine Seele mehr seiner erinnert.

Von White war ein Greis von sechzig Jahren; er sprach mit einem fremden Accent unzusammenhängende Worte. Auf die vielen sich kreuzenden Fragen antwortete er, er wisse nicht, seit wie langer Zeit er verhaftet sei und aus welchem Grunde man ihn verhaftet habe. Er erinnerte sich nur, daß Herr von Sartines ein Vetter von ihm war, mehr nicht. Ein Schließer, Namens Guyon, hatte in der That einmal gesehen, wie Herr von Sartines in den Kerker von White eingetreten war und ihn eine Vollmacht hatte unterzeichnen lassen. Doch der Gefangene hatte diese Umstände völlig vergessen.

Tavernier war der Älteste von allen. Er zählte zehn Jahre Gefangenschaft auf den Sainte-Marguerite-Inseln und dreißig in der Bastille; er war ein Greis von neunzig Jahren, mit weißen Haaren und weißem Bart; seine Augen hatten sich in der Dunkelheit abgestumpft, und er sah nur noch wie durch eine Wolke. Als man in sein Gefängnis eintrat, begriff er nicht, was man hier wollte; und als man ihm von Freiheit sprach, schüttelte er den Kopf; erst dann, als man ihm bemerkte, die Bastille sei genommen, rief er aus:

»Ho! ho! was werden König Ludwig XV., Frau von Pompadour und der Herzog von La Vailliere dazu sagen?«

Tavernier war durch die lange Gefangenschaft noch nicht zum Narren geworden; er war nur, wie White, Idiot.

Die Freude dieser Menschen war gräßlich anzuschauen, sie schrie nach Rache, sie war eine Freude mit Angst und Schrecken gepaart. Zwei oder drei schienen nahe daran, unter diesem, aus einem hunderttausendfachen Geschrei bestehenden Tumult zu verscheiden. Sie, die seit ihrem Eintritt in die Bastille nie mehr die Stimmen von zwei zugleich sprechenden Menschen gehört hatten; sie, die nur noch an das langsame geheimnisvolle Geräusch des Holzes, das in der Feuchtigkeit knarrt, der Spinne, die heimlich ihr Gewebe mit einem Picken, ähnlich dem einer unsichtbaren Pendeluhr, verfertigt; oder an das Geräusch der Ratte gewöhnt waren, die kratzt und weiter läuft.

In dem Augenblick, wo Gilbert erschien, machten die Enthusiasten den Vorschlag, die Gefangenen im Triumphe umherzutragen, welcher Vorschlag einstimmig angenommen wurde.

Gilbert hätte sehr gewünscht, dieser Huldigung zu entgehen, aber es war nicht möglich; er, Billot und Pitou waren bereits erkannt.

Das Geschrei: »Nach dem Stadthaus! nach dem Stadthaus!« erscholl abermals, und Gilbert sah sich auf die Schultern von zwanzig Personen zugleich emporgehoben.

Vergebens wollte der Doktor widerstehen, vergebens teilten Billot und Pitou ihre kräftigsten Faustschläge an ihre Waffenbrüder aus: die Freude und die Begeisterung hatten die Haut des Volkes abgehärtet. Faustschläge, Schläge mit Pikenschäften, mit Flintenkolben kamen den Siegern wie Liebkosungen vor und verdoppelten nur ihre Berauschung.

Gilbert war also genötigt, sich auf den Schild erheben zu lassen.

Der Schild war ein Tisch, in dessen Mitte man eine Lanze aufgepflanzt hatte, die dem Triumphator als Stützpunkt dienen sollte.

So beherrschte der Doktor Gilbert diesen Ocean von Köpfen, der von der Bastille nach der Arcade Saint-Jean seine Wogen schlug, ein Meer voller Stürme, dessen Wellen mitten unter Piken, Bajonetten und Waffen von allen Arten, von allen Formen und Epochen die Gefangenen im Triumph davontrugen.

Doch zu gleicher Zeit wälzte der erschreckliche, unwiderstehliche Ozean eine andere Gruppe fort, die so fest zusammengedrängt war, daß sie eine Insel zu sein schien. Diese Gruppe führte de Launay als Gefangenen weg. In ihrem Umkreis machten sich nicht minder geräuschvolle, nicht minder enthusiastische Schreie hörbar, doch es waren keine Siegesrufe, sondern Todesdrohungen.

Von dem erhabenen Punkte aus, wo er sich befand, verlor Gilbert nicht den kleinsten Umstand von dem furchtbaren Schauspiel.

Unter all den Gefangenen, denen man die Freiheit wiedergegeben, war nur Gilbert im vollen Besitz seiner Fähigkeiten. Die fünf Tage Gefangenschaft bildeten nur einen dunkeln Punkt in seinem Leben. Sein Auge hatte nicht Zeit gehabt, in der Finsternis der Bastille zu erlöschen oder schwach zu werden.

Doch bei den großen Volksmeuten, wie Frankreich so viele seit der Jacquerie bis auf unsere Tage gesehen hat, suchen die Waffen, welche die Furcht fern vom Kampfe gehalten, die der Lärmen gereizt hat, zugleich wild feig, nach dem Siege irgend einen Antheil an dem Kampfe z nehmen, dem sie nicht ins Gesicht Trotz zu bieten gewagt haben.

Sie nehmen ihren Antheil an der Rache.

Seit seinem Abgang aus der Bastille war der Marsch des Gouverneurs der Anfang seiner Hinrichtung.

Elie, der das Leben von Herrn de Launay unter seine Verantwortlichkeit genommen hatte, ging an der Spitze, beschützt durch seine Uniform und die Bewunderung des Volks, das ihn zuerst hatte ins Feuer gehen sehen. Er hielt in der Hand, an der Spitze seines Degens, das Billet, das Herr de Launay durch eine der Schießscharten der Bastille dem Volke hatte zukommen lassen.

Nach ihm kam der Aufseher der königlichen Steuern, die Schlüssel der Festung in der Hand haltend; dann Maillard mit der Fahne; dann ein junger Mann, der das Reglement der Bastille, von seinem Bajonett durchlöchert, zeigte, ein verhaßtes Reskript, kraft dessen so viele Thränen geflossen waren.

Endlich kam der Gouverneur, beschützt durch Hullin und zwei bis drei andere, die aber unter der Masse von drohenden Fäusten, unter den geschwungenen Säbeln und den bebenden Lanzen verschwanden.

Neben dieser Gruppe schleppte man den Major von Losme. Der Major von Losme war ein guter, braver, vortrefflicher Mann. Viele Unglückliche hatten ihm, seitdem er in der Bastille war, eine Linderung zu verdanken gehabt. Doch das Volk wußte das nicht, das Volk hatte ihn mit den Waffen in der Hand gefangen genommen. Das Volk hielt ihn nach seiner glänzenden Uniform für den Gouverneur, während der Gouverneur in seinem grauen Rock, ohne irgend eine Stickerei, ohne das Ordensband des heiligen Ludwig, das er mit eigener Hand abgerissen, sich in einen gewissen beschützenden Zweifel flüchtete.

So war das Schauspiel, das der sichere Blick von Gilbert beherrschte, dieser immer beobachtende und ruhige Blick des Mannes, der sich selbst unter Gefahren, die ihn persönlich bedrohten, seine mutvolle Fassung bewahrte.

Als Hullin aus der Bastille trat, rief er seine sichersten und ergebensten Freunde, die mutigsten, an diesem Tag volkstümlichen Soldaten zu sich; vier bis fünf antworteten auf seinen Ruf und suchten seine edelmütige Absicht durch Beschirmung des Gouverneurs zu unterstützen. Es waren drei Männer, deren Andenken die unparteiische Geschichte geheiligt hat; sie hießen: Arnet, Chollat und Lepine.

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