Kitabı oku: «Das Halsband der Königin Denkwürdigkeiten eines Arztes 2», sayfa 6
»Ach!«
»Was soll ich Ihnen sagen, Madame? Eines Tags hatte ich das Glück, einem Wagen zu begegnen, der langsam das Faubourg Saint Marcel hinauf fuhr; vier Lakaien standen hintenauf, eine noch junge Frau saß darin; ich streckte die Hand nach ihr aus; sie befragte mich; meine Antwort und mein Name setzten sie in Erstaunen, sie war aber ungläubig. Ich gab Adresse und Auskunft. Schon am andern Tag wußte sie, daß ich nicht gelogen hatte; sie nahm sich meines Bruders und meiner an, brachte meinen Bruder zu einem Regiment und mich in ein Nähhaus. Wir waren beide vor dem Hunger geschützt.«
»Ist diese Dame nicht Frau von Boulainvilliers?«
»Sie selbst.«
»Sie ist, glaube ich, gestorben?«
»Ja, und ihr Tod hat mich wieder in den Abgrund gestürzt.«
»Doch ihr Gatte lebt noch, er ist reich.«
»Ihrem Gatten habe ich alles Unglück als Mädchen zu verdanken, wie ich meiner Mutter alles Unglück als Kind zu verdanken habe. Ich war groß, vielleicht schön geworden; er bemerkte es und wollte einen Preis auf seine Wohlthaten setzen; ich weigerte mich. Mittlerweile starb Frau von Boulainvilliers, und ich, die sie an einen braven und redlichen Militär, Herrn von La Mothe, verheirathet hatte, fand mich, da ich von meinem Mann getrennt lebte, nach ihrem Tod noch verlassener, als ich nach dem Tod meines Vaters gewesen war.
»Dieß ist meine Geschichte, Madame; ich habe abgekürzt: die Leiden haben immer ihre Längen, mit denen man glückliche Menschen verschonen muß, und wären Sie auch so wohlthätigen Sinnes, wie Sie zu sein scheinen, meine Damen.«
Ein langes Stillschweigen folgte auf diese letzte Periode der Geschichte der Frau von La Mothe.
Die ältere der beiden Frauen brach es zuerst und fragte:
»Und Ihr Mann, was macht er?«
»Mein Mann ist in Garnison in Bar-sur-Aube, Madame; er dient bei der Gendarmerie und wartet auch auf bessere Zeiten.«
»Aber Sie haben bei Hofe sollicitirt?«
»Gewiß.«
»Durch Titel nachgewiesen, mußte der Name Valois Sympathie erwecken!«
»Ich weiß nicht, Madame, welche Gefühle mein Name erwecken konnte, denn ich habe auf keines meiner Gesuche eine Antwort erhalten.«
»Sie haben jedoch die Minister, den König und die Königin gesehen?«
»Niemand. Ueberall vergebliche Versuche,« erwiderte Frau von La Mothe.
»Sie können doch nicht betteln?«
»Nein, Madame, ich habe die Gewohnheit verlernt. Aber…«
»Aber was?«
»Ich kann verhungern, wie mein Vater.«
»Sie haben kein Kind?«
»Nein, Madame, und mein Mann, wenn er sich für den Dienst des Königs tödten läßt, wird wenigstens seinerseits ein glorreiches Ende für sein Elend finden.«
»Können Sie, Madame, ich bedaure auf diesem Gegenstand beharren zu müssen, können Sie die rechtskräftigen Beweise Ihrer Genealogie liefern?«
Jeanne stand auf, suchte in einem Schrank und zog einige Papiere heraus, die sie der Dame reichte.
Da sie aber den Augenblick benützen wollte, wo diese Damen, um die Papiere zu untersuchen, sich dem Lichte nähern und ihr Gesicht ganz enthüllen würden, ließ Jeanne ihr Manöver durch die Sorgfalt errathen, mit der sie den Docht der Lampe abschnitt, um die Helle zu verdoppeln.
Da drehte die Dame vom Guten Werke, als ob das Licht ihre Augen verletzte, der Lampe und folglich Frau von La Mothe den Rücken zu.
In dieser Stellung durchging sie alle Stücke, eines nach dem andern.
»Das sind aber nur Abschriften von Urkunden und ich sehe kein authentisches Stück dabei,« sagte sie.
»Die Originale sind an sicherem Orte aufbewahrt, und ich werde sie beibringen.«
»Wenn sich eine ansehnliche Gelegenheit bieten würde, nicht wahr?« sagte lächelnd die Dame.
»Allerdings, Madame, eine ansehnliche Gelegenheit, wie die, welche mir die Ehre Ihres Besuches verschafft; doch die Documente, von denen Sie sprechen, sind so kostbar für mich, daß…«
»Ich verstehe, Sie können sie nicht dem Ersten Besten übergeben.«
»Oh! Madame!« rief die Gräfin, welche endlich das würdevolle Antlitz der Beschützerin erschaut hatte; »oh! Madame, mir scheint, für mich sind Sie nicht die Erste Beste.«
Und sie öffnete sogleich einen andern Schrank, in dem eine Geheimschublade spielte, und zog die Originale der Beweisstücke heraus, welche sorgfältig in einem alten Portefeuille mit dem Wappen der Valois eingeschlossen waren.
Die Dame nahm sie und sprach nach einer Prüfung voll Verstand und Aufmerksamkeit:
»Sie haben Recht, diese Titel sind vollkommen in Ordnung; verfehlen Sie nicht, sie geeigneten Ortes zu überreichen.«
»Und was werde ich Ihrer Meinung nach dadurch erlangen, Madame?«
»Ohne Zweifel eine Pension für Sie und ein Avancement für Herrn von La Mothe, wenn dieser sich einigermaßen selbst empfiehlt.«
»Mein Mann ist ein Muster von Ehrenhaftigkeit, und nie hat er sich gegen die Pflichten des Militärdienstes verfehlt.«
»Dieß genügt, Madame,« sprach die Dame, während sie die Kaputze ganz über ihr Gesicht vorschlug.
Frau von La Mothe folgte ängstlich jeder dieser Bewegungen.
Sie sah sie in ihrer Tasche stöbern, aus der sie zuerst ein gesticktes Sacktuch zog, das ihr zum Verbergen ihres Gesichtes gedient hatte, als sie im Schlitten die Boulevards entlang fuhr.
Auf das Sacktuch folgte ein Röllchen von einem Zoll im Durchmesser und drei bis vier Zoll lang.
Die Dame legte das Röllchen auf den Nähtisch und sprach:
»Das Bureau vom guten Werk bevollmächtigt mich, Madame, Ihnen in Erwartung von Besserem diese geringe Unterstützung anzubieten.«
»Drei-Livres-Thaler,« dachte sie; »das müssen wenigstens fünfzig oder sogar hundert sein. Das sind hundertundfünfzig oder dreihundert Livres, die uns vom Himmel herab zufallen. Für hundert ist es sehr kurz, für fünfzig aber ist es sehr lang.«
Während sie diese Beobachtungen anstellte, waren die zwei Damen in die erste Stube gegangen, wo Frau Clotilde auf einem Stuhl bei einem Licht schlief, dessen rother, rauchiger Docht sich in einer Lache von flüssigem Unschlitt erhob.
Der scharfe, stinkende Geruch versetzte derjenigen von den zwei Damen, welche das Röllchen auf den Nähtisch gelegt hatte, den Athem. Sie fuhr rasch in ihre Tasche und zog einen Flacon heraus.
Doch auf den Ruf von Jeanne erwachte Frau Clotilde und ergriff mit ihren Händen den Rest des Lichtes. Sie hielt es wie ein Leuchtfeuer über die dunklen Stufen, trotz der Einwendungen der beiden Damen, die man durch diese Dienstfertigkeit zugleich vergiftete.
»Auf Wiedersehen, auf Wiedersehen, Frau Gräfin!« riefen sie und eilten die Treppe hinab.
»Wo könnte ich die Ehre haben, Ihnen zu danken, meine Damen?« fragte Jeanne von Valois.
»Wir werden es Ihnen zu wissen thun,« erwiderte die ältere der beiden Damen, so rasch als möglich hinabsteigend.
Und das Geräusch ihrer Tritte verlor sich in der Tiefe der unteren Stockwerke.
Frau von Valois kehrte voll Ungeduld zu erfahren, ob ihre Beobachtungen sich als wahr erweisen werden, in ihre Wohnung zurück. Während sie aber durch die erste Stube schritt, stieß ihr Fuß an einen Gegenstand, der von der Strohmatte, die dazu diente, die Thür unten zu verstopfen, auf den Boden rollte.
Sich bücken, den Gegenstand aufheben, an die Lampe laufen, dieß war die erste Eingebung der Gräfin von La Mothe.
Es war eine runde, glatte und ziemlich einfach guillochirte goldene Büchse.
Diese Büchse enthielt einige Kügelchen von duftender Chocolade: aber so glatt sie auch war, so hatte diese Büchse doch sichtbar einen doppelten Boden, dessen Feder die Gräfin einige Zeit nicht finden konnte.
Endlich fand sie die Feder und ließ sie spielen.
Sogleich erschien ein ernstes, von kräftiger Schönheit und gebieterischer Majestät glänzendes Frauenportrait vor ihren Augen.
Ein deutscher Kopfputz, ein herrliches, dem eines Ordens ähnliches Halsband verliehen dem Portrait dieser Physiognomie eine Erstaunen erregende Seltsamkeit.
Eine Chiffre, bestehend aus den zwei in einem Lorbeerkränz verschlungenen Buchstaben M und T, nahm den unteren Theil der Büchse ein.
Nach der Aehnlichkeit dieses Portraits mit dem Gesichte der jungen Dame, ihrer Wohlthäterin, vermuthete Frau von La Mothe, es sei das Portrait einer Mutter oder einer Großmutter, und es muß hier bemerkt werden, ihre erste Regung war an die Treppe zu laufen, um die Damen zurückzurufen.
Die Thüre vom Gang schloß sich.
Sie lief an's Fenster, um die Damen zurückzurufen, da es zu spät war, sie einzuholen.
Doch am Ende der in die Rue Saint-Louis einmündenden Rue Saint-Claude war ein rasches Cabriolet der einzige Gegenstand, den sie erblickte.
Als die Gräfin keine Hoffnung mehr hatte, ihre zwei Beschützerinnen zurückzurufen, betrachtete sie abermals die Büchse und gelobte sich, dieselbe nach Versailles zu schicken; dann nahm sie die auf dem Nähtischchen liegen gebliebene Rolle und sagte:
»Ich täuschte mich nicht, es sind nur fünfzig Thaler.«
Und das ausgeleerte Papier fiel auf den Boden.
»Louisd'or! Doppellouisdor!« rief die Gräfin. »Fünfzig Doppellouisdor! zweitausend vierhundert Livres!«
Und die gierigste Freude malte sich in ihren Augen, während Frau Clotilde, ganz verblüfft beim Anblick einer größern Summe als sie je gesehen, mit aufgesperrtem Mund und gefalteten Händen dastand.
»Hundert Louisd'or!« wiederholte Frau von La Mothe… »Diese Damen sind also sehr reich? Oh! ich werde sie wiederfinden!«
IV.
Bélus
Frau von La Mothe täuschte sich nicht, wenn sie glaubte, das Cabriolet, das sie hatte verschwinden sehen, habe die wohlthätigen Damen entführt.
Die zwei Damen hatten wirklich unten vor dem Hause ein Cabriolet gefunden, wie man es damals baute, nämlich mit hohen Rädern, leichtem Kasten, erhabenem Spritzleder und einem bequemen Sitzchen für den Jokey, der sich hinten hielt.
Dieses Cabriolet, bespannt mit einem herrlichen irischen Pferd mit kurzem Schweif, fleischigem Kreuz, und von braunrother Farbe, war nach der Rue Saint-Claude von demselben Bedienten, dem Führer des Schlittens, gebracht worden, den die ältere Dame, wie wir oben bemerkt, Weber genannt hatte.
Weber hielt das Pferd am Gebiß, als die Damen kamen: er suchte die Ungeduld des hitzigen Thiers zu mäßigen, das mit einem nervigen Fuß den Schnee stampfte, der sich seit der Wiederkehr der Nacht allmälig verhärtete.
Sobald die beiden Damen erschienen, sagte Weber:
»Madame, ich hatte Scipio bestellen lassen, der sehr sanft und leicht zu führen ist; doch Scipio hat sich gestern Abend verrenkt; es blieb nur noch Bélus und Bélus ist schwierig.«
»Oh! für mich, Ihr wißt das, Weber,« erwiderte die ältere der zwei Damen, »für mich ist das ohne Belang; ich habe eine kräftige Hand und bin an das Fahren gewöhnt.«
»Ich weiß, daß Madame sehr gut fährt, aber die Wege sind äußerst schlecht. Wohin fährt Madame?«
»Nach Versailles.«
»Ueber die Boulevards also?«
»Nein, Weber, es gefriert und die Boulevards werden voll Glatteis sein. Die Straßen müssen, da Tausende von Fußgängern den Schnee erwärmen, weniger Widerstand bieten. Geschwind, Weber, geschwind!«
Weber hielt das Pferd, während die Damen behend in das Cabriolet stiegen; dann schwang er sich hinten auf und meldete, daß er seinen Sitz eingenommen.
Die ältere der beiden Damen wandte sich nun an ihre Gefährtin und sagte:
»Was denken Sie von dieser Gräfin, Andrée?«
Und während sie so sprach, ließ sie dem Pferd die Zügel schießen, und dieses jagte wie ein Blitz um die Ecke der Rue Saint-Louis.
Es war dieß der Augenblick, wo Frau von La Mothe das Fenster öffnete, um die beiden Damen zurückzurufen.
»Madame,« erwiderte diejenige von den zwei Frauen, welche man Andrée nannte, »ich denke, Frau von La Mothe ist arm und unglücklich.«
»Gut erzogen, nicht wahr?«
»Ja, ohne Zweifel.«
»Sie sind kalt in Bezug auf diese Frau, Andrée.«
»Sie hat, wenn ich es Ihnen gestehen soll, etwas Verschmitztes in ihrer Physiognomie, was mir mißfällt.«
»Oh! ich weiß, Sie sind mißtrauisch, Andrée, und um Ihnen zu gefallen, muß man Alles vereinigen. Ich, ich finde diese kleine Gräfin interessant und einfach in ihrem Stolz, wie in ihrer Demuth.«
»Es ist sehr erfreulich für sie, Madame, daß sie das Glück gehabt hat, Ihnen zu gefallen.«
»Aufgepaßt!« rief die Dame lebhaft, indem sie ihr Pferd, das einen Lastträger umzuwerfen im Begriff war, auf die Seite zog.
»Aufgepaßt!« schrie Weber mit einer Stentorsstimme.
Und das Cabriolet fuhr weiter.
Nun hörte man die Verwünschungen des Menschen, der den Rädern entgangen war, und mehrere echoartig brummende Stimmen erhoben sogleich ein gegen das Cabriolet äußerst feindseliges Geschrei.
Doch in wenigen Secunden brachte Bélus zwischen seine Gebieterin und den Lästerer den ganzen Raum, der sich von der Rue Sainte-Catherine bis zur Place Baudoyer erstreckt.
Hier bildet der Weg bekanntlich eine Gabel, aber die geschickte Führerin warf sich entschlossen in die Rue de la Tixeranderie, eine volkreiche, schmale und sehr wenig aristocratische Straße.
Trotz der sehr wiederholten »Aufgepaßt!« die sie von sich gab, trotz des Brüllens von Weber, hörte man daher nichts als wüthende Ausrufungen der Fußgänger.
»Oh! das Cabriolet! … Nieder mit dem Cabriolet!«
Bélus blieb unaufhaltsam, und seine Führerin ließ ihn trotz ihrer kindlich zarten Hand rasch und ausnehmend geschickt in den Lachen flüssigen Schnees oder auf den noch gefährlicheren Eisanhäufungen laufen, welche Gossen und Schlaglöcher bildeten.
Es geschah indessen wider alles Erwarten kein Unglück; eine glänzende Laterne sandte ihre Strahlen voraus, und dieß war ein Luxus der Vorsicht, den die Polizei den Cabriolets jener Zeit nicht vorgeschrieben hatte.
Es geschah also kein Unglück, sagen wir. Kein Wagen wurde angehakt, kein Meilenstein gestreift, kein Vorübergehender berührt; es war dieß ein Wunder, und dennoch folgten sich die Schreie und Drohungen unablässig.
Das Cabriolet fuhr mit derselben Geschwindigkeit und demselben Glück durch die Rue Médéric, die Rue Saint-Martin und die Rue Aubry-le-Boucher.
Unsere Leser denken vielleicht, als sich das aristocratische Gefährt den civilisirten Quartieren genähert, werde der Haß gegen dasselbe minder heftig geworden sein. Aber im Gegentheil; kaum kam Bélus in die Rue de la Feronnerie, als Weber, beständig durch das Geschrei des Pöbels verfolgt, Gruppen auf dem Wege des Cabriolets erblickte. Mehrere Personen machten sogar Miene, ihm nachzulaufen, um es einzuholen.
Weber wollte indessen seine Gebieterin nicht beunruhigen. Er bemerkte, wie viel Kaltblütigkeit und Gewandtheit sie entwickelte, wie geschickt sie durch alle diese träge oder lebendige Hindernisse durchschlüpfte, die dem Pariser Kutscher zugleich zur Verzweiflung und zum Triumph gereichen.
Fest auf seinen stählernen Haxen war Bélus nicht einmal ausgeglitscht, so sehr wußte die Hand, die ihn führte, die Abhänge und Gefährlichkeiten des Terrains für ihn vorherzusehen.
Man murrte nicht mehr um das Cabriolet her, man schrie: die Dame, welche die Zügel hielt, bemerkte es, und da sie diese Feindseligkeit einer alltäglichen Ursache, wie der Strenge der Zeiten oder auch der Mißstimmung zuschrieb, so beschloß sie, die Prüfung abzukürzen.
Sie schnalzte mit der Zunge, und bei dieser Aufmunterung allein bebte Bélus und ging vom kurzen Trab in den gestreckten über.
Die Buben flohen, die Fußgänger warfen sich auf die Seite.
Das: »Aufgepaßt! aufgepaßt! hörte nicht auf.
Das Cabriolet berührte beinahe das Palais-Royal und war an der Rue du Coq-Saint-Honoré vorübergefahren, vor welcher der schönste Schneeobelisk noch ziemlich stolz seinen durch das Aufthauen verminderten Gipfel, einer Stange Gerstenzucker ähnlich, welche die Kinder durch Saugen in Spitzen verwandeln, emporstreckte.
Ueber diesem Obelisk prangte ein Büschel von allerdings etwas verwitterten Bändern, welche eine Tafel hielten, auf die der öffentliche Schreiber des Quartiers mit großen Buchstaben folgende Strophe gezeichnet hatte, die zwischen zwei Laternen gaukelte:
Reine dont la beauté surpasse les appas,
Près d'un roi bienfaisant occupe ici ta place:
Si ce frêle édifice est de neige et de glace,
Nos coeurs pour toi ne le sont pas.3
Hier stieß Bélus zum ersten Mal auf ernstliche Schwierigkeiten. Das Monument, das man eben beleuchtete, hatte eine Menge von Neugierigen herbeigelockt; die Neugierigen bildeten eine Masse und man konnte im Trab nicht durch diese Masse kommen.
Bélus war also genöthigt, im Schritt zu gehen.
Aber man hatte Bélus wie der Blitz herbeischießen sehen, man hörte das Geschrei, das ihn verfolgte, und das Cabriolet schien, obgleich es beim Anblick des Hindernisses angehalten hatte, die schlimmste Wirkung hervorzubringen.
Die Menge öffnete sich indessen abermals.
Aber hinter dem Obelisk kam eine andere Ursache der Zusammenschaarung.
Die Gitter des Palais-Royal waren offen, und im Hofe erwärmten ungeheure Gluthpfannen ein ganzes Heer von Bettlern, unter welche die Bedienten des Herrn Herzogs von Orléans Suppen in irdenen Näpfen austheilten.
Doch die Leute, welche aßen und sich wärmten, waren immer noch weniger zahlreich, als diejenigen, welche ihnen beim Essen und Trinken zuschauten. In Paris ist es eine Gewohnheit: für einen Schauspieler, was er auch thun mag, gibt es immer einen Zuschauer.
Das Cabriolet, nachdem es das erste Hinderniß überwunden, war daher genöthigt, beim zweiten anzuhalten, wie ein Schiff mitten in der Brandung.
Sogleich gelangten die Schreie, welche die beiden Frauen bisher nur wie ein unbestimmtes, verworrenes Geschrei gehört hatten, deutlich aus der Menge zu ihren Ohren.
Man rief:
»Nieder mit dem Cabriolet! nieder mit den Zerquetschern!«
»Ist dieses Geschrei auf uns gemünzt?« fragte die ältere Dame ihre Gefährtin.
»Ich fürchte es in der That, Madame,« erwiderte diese.
»Haben wir denn Jemand niedergefahren?«
»Niemand.«
»Nieder mit dem Cabriolet! nieder mit den Zerquetschern!«
Der Sturm bildete sich, das Pferd wurde am Zügel gefaßt, und Bélus, der wenig Geschmack an der Berührung dieser rohen Hände fand, stampfte und schäumte furchtbar.
»Zum Commissär! zum Commissär!« rief eine Stimme.
Die beiden Frauen schauten sich mit dem höchsten Erstaunen um.
Alsbald widerholten tausend Stimmen:
»Zum Commissär. Zum Commissär.«
Indessen kamen die neugierigen Köpfe unter dem Verdeck des Cabriolets hervor.
Die Commentare liefen in der Menge umher.
»Ah! es sind Frauen,« sagte eine Stimme.
»Ja, Puppen von Soubise, Frauenzimmerchen von Hennin.«
»Tänzerinnen von der Oper, die sich berechtigt glauben, die armen Leute niederzufahren, weil sie zehntausend Livres monatlich haben, um die Spitalkosten zu bezahlen.«
Diese letzte Geißelung wurde mit einem wüthenden Hurrah aufgenommen.
Dieses brachte eine verschiedenartige Wirkung auf die zwei Frauen hervor. Die Eine zog sich zitternd und bleich in den Hintergrund des Cabriolets zurück. Die Andere streckte entschlossen, mit gefalteter Stirne und zusammengepreßten Lippen den Kopf vor.
»Oh! Madame, was machen Sie?« rief ihre Gefährtin sie zurückziehend.
»Zum Commissär! zum Commissär!« riefen die Erbitterten, »man muß sie kennen lernen!«
»Oh! Madame, wir sind verloren,« sagte die jüngere der beiden Frauen ihrer Gefährtin in's Ohr.
»Muth, Andrée, Muth!« erwiderte die Andere.
»Man wird Sie sehen, vielleicht erkennen!«
»Schauen Sie durch das Fensterchen, ob Weber immer noch hinten auf dem Cabriolet ist.«
»Er sucht hinabzusteigen, doch man belagert ihn; er vertheidigt sich. Ach! nun kommt er.«
»Weber! Weber!« sagte die Dame deutsch, »macht, daß wir aussteigen können.«
Weber gehorchte und öffnete mit Hilfe zweier Schulternstöße, wodurch er die Angreifenden zurücktrieb, das Spritzleder des Cabriolets.
Die zwei Frauen sprangen leicht zu Boden.
Mittlerweile fiel die Menge das Pferd und das Cabriolet an, dessen Kasten sie zu zerbrechen anfing.
»Aber was gibt es denn um Gottes willen?« fragte die ältere Dame deutsch; »versteht Ihr, was das bedeuten soll, Weber?«
»Meiner Treue, nein, Madame,« erwiderte der Diener, dem es in dieser Sprache viel behaglicher war, als in der französischen, während er nach allen Seiten mächtige Fußtritte austheilte, um seine Herrin frei zu machen.
»Das sind keine Menschen, das sind wilde Thiere,« fuhr die Dame immer deutsch fort; »was werfen sie mir denn vor?«
Alsbald antwortete eine artige Stimme, welche seltsam mit den Drohungen und Schmähworten contrastirte, deren Gegenstand die Damen waren, im reinsten Deutsch:
»Sie werfen Ihnen vor, Madame, daß Sie der Polizeiverordnung trotzen, die diesen Morgen in Paris erschienen ist und bis zum Frühjahr das Fahren der Cabriolets verbietet, die schon bei gutem Pflaster gefährlich sind, aber tödtlich werden, wenn es gefriert und man den Rädern nicht ausweichen kann.«
Die Dame wandte sich um, um zu sehen, woher diese artige Stimme mitten unter all diesen drohenden Stimmen käme.
Sie erblickte einen jungen Officier, der, um sich ihr zu nähern, sicherlich ebenso muthig hatte kämpfen müssen, als Weber, um sich auf seinem Platze zu behaupten.
Das liebreizende, ausgezeichnete Gesicht, die martialische Stimme des jungen Mannes gefielen der Dame und diese erwiderte sogleich deutsch:
»Oh! mein Gott! mein Herr, ich wußte nichts von dieser Verordnung, durchaus nichts.«
»Sie sind fremd, Madame?« fragte der junge Officier.
»Ja, mein Herr; doch sagen Sie mir, was soll ich thun? man zertrümmert mein Cabriolet.«
»Sie müssen es zertrümmern lassen, Madame, und mittlerweile verschwinden. Das Volk von Paris ist wüthend gegen die Reichen, welche den Luxus im Angesicht des Elends zur Schau tragen, und kraft der diesen Morgen erlassenen Verordnung wird man Sie zum Commissär führen.«
»Oh! wie,« rief die jüngere der beiden Damen, »wie!«
»Dann benützen Sie die Oeffnung, die ich in der Menge machen werde, und verschwinden Sie,« versetzte der junge Officier.
Diese Worte wurden mit einem leichten Ton gesprochen, der den Fremden begreiflich machte, der Offizier habe die Commentare des Volks über die von den Herren von Soubise und Hennin unterhaltenen Mädchen gehört.
Doch es war dieß nicht der Augenblick, um empfindlich zu sein.
»Geben Sie mir Ihren Arm bis zu einem Fiaker, mein Herr,« sprach die ältere der beiden Damen mit einem Ton voll Autorität.
»Ich wollte Ihr Pferd sich bäumen lassen, und in dem nothwendig durch diese Bewegung hervorgebrachten Getümmel wären Sie entflohen, denn,« fügte der junge Mann bei, der gern die Verantwortlichkeit eines gewagten Patronats von sich ablehnen wollte, »denn das Volk wird müde, uns eine Sprache sprechen zu hören, die es nicht versteht.«
»Weber,« rief die Dame mit starker Stimme, »laß Bélus sich bäumen, daß die ganze Menge erschrickt und beiseit geht.«
»Und dann, Madame…«
»Und dann bleibe, während wir uns entfernen.«
»Und wenn sie den Kasten zertrümmern?«
»Sie mögen ihn zertrümmern, was ist daran gelegen? rette Bélus, wenn Du kannst, und Dich besonders, das ist das Einzige, was ich Dir empfehle.«
»Gut, Madame,« erwiderte Weber.
Und in demselben Augenblick kitzelte er den reizbaren Irländer, der mitten im Hofe aufsprang und die Leidenschaftlichsten, die sich am Zügel und an der Gabeldeichsel angeklammert hatten, niederwarf.
Groß waren in diesem Augenblick der Schrecken und die Verwirrung.
»Ihren Arm, mein Herr,« sagte nun die Dame zu dem Officier; »kommen Sie, Kleine,« fügte sie bei, indem sie sich an Andrée wandte.
»Vorwärts, muthige Frau,« flüsterte der Officier. Und er bot auf der Stelle und mit einer wirklichen Bewunderung derjenigen, welche ihn darum ersuchte, seinen Arm.
In einigen Minuten hatte er die zwei Frauen auf den nächsten Platz geführt, wo Fiakerkutscher, auf ihren Sitzen schlafend, der Kundschaft entgegenharrten, während ihre Pferde mit halbgeschlossenen Augen und gesenkten Köpfen auf die magern Abendrationen warteten.
Königin, deren Schönheit ihre Reize noch übersteigt,nimm Deinen Platz hier bei einem wohlthätigen König ein.Ist dieses zerbrechliche Gebäude auch von Eis und von Schnee,so sind es doch unsere Herzen nicht für Dich.
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