Kitabı oku: «Das Horoscop»
Erster Band
Prolog
I.
Die Landimesse
Gegen Mitte Juni des Jahres 1559, an einem herrlichen Sommermorgen, drängte sich eine Volksmenge, die man etwa auf dreißig bis vierzigtausend Personen schätzen konnte, auf dem Sankt-Genovefaplatz zusammen.
Ein Mensch, der ganz frisch aus seiner Provinz gekommen und auf einmal mitten in die Straße St. Jacques gerathen wäre, wo er diese Menge hätte sehen können, würde sich gewiß gewaltig den Kopf darüber zerbrochen haben, was diese zahlreiche Versammlung auf diesem Punkt der Hauptstadt bedeuten solle.
Das Wetter war herrlich: man wollte also nicht wie im Jahr 1551 das Reliquienkästchen der heiligen Genovefa hervorholen, um das Aufhören des Regens zu erlangen.
Es hatte zwei Tage vorher geregnet: man führte also nicht das besagte Reliquienkästchen der heiligen Genovefa in Prozession herum, um wie im Jahr 1556 Regen zu erflehen.
Man hatte keine unglückliche Schlacht nach Art der von St. Quentin zu beklagen: man zog also nicht wie im Jahr,1557 mit dem Reliquienkästchen der heiligen Genovefa umher, um den Schutz Gottes zu erlangen.
Nichtsdestoweniger war es augenscheinlich, daß diese ungeheure Volksmasse, die sich auf dem Platz der alten Abtei versammelt hatte, irgend eine große Feier begehen wollte. Aber welche Feier?
Sie war nicht Religiös denn, obschon man da und dort unter der Menge einige Mönchskutten bemerkte, so waren diese verehrungswürdigen Gewande doch nicht in genügender Anzahl vorhanden, um dem Fest einen religiösen Charakter zu geben.
Sie war nicht militärisch, denn der Kriegerstand war nur schwach vertreten, und die anwesenden Mitglieder desselben hatten weder Partisanen noch Musketen.
Sie war nicht aristokratisch, denn man sah über den Köpfen nicht die wappengeschmückten Fahnen der Edelleute, noch die Federbüsche auf den Castetten der vornehmen Herren flattern.
Was in dieser tausendfarbigen Menge, wo Edelleute, Mönche, Diebe, Bürgersfrauen, Freudenmädchen, Greise, Hanswurste, Zauberer, Zigeuner, Handwerker, Bettelreimer, Verkäufer von Kräuterbier, die Einen zu Pferd, die Andern zu Maulesel, Diese zu Esel, Jene in Kutschen – man hatte just in diesem Jahr die Kutschen erfunden – sich unter einander drängten, und deren Mehrzahl gleichwohl hin und herging, sich herumstieß, herumwimmelte und sich abmühte, um in den Mittelpunkt des Platzes zu gelangen; was, sagen wir, in dieser Menge vorherrschte, das waren die Studenten: Studenten der vier Nationen, Schotten, Engländer, Franzosen, Italiener.
Es verhielt sich in der That so: man hatte den ersten Montag nach dem St. Barnabastag, und diese ganze Menge war versammelt, um auf die Landimesse zu gehen.
Aber vielleicht verstehen die Leser dieses Wort nicht, das der Sprache des sechzehnten Jahrhunderts angehört. Erklären wir ihnen also, was die Landimesse war.
Gebt Achtung, liebe Leser, wir müssen jetzt Etymologie treiben, nicht mehr und nicht weniger als ein Mitglied der Academie der Inschriften und schönen Wissenschaften.
Das lateinische Wort indictum bedeutet einen Tag und Ort, die für irgend eine Volksversammlung indicirt oder bezeichnet sind.
Das i wurde Anfangs in e, dann später bleibend in a verwandelt. Man sagte also statt indictum nach einander: l'indit, l'endit, dann l'arndit und endlich landit.
Daraus folgt, daß dieses Wort Tag und Ort bedeutet, die zu seiner Versammlung bezeichnet sind.
Zur Zeit Carls des Großen, des in Aachen residirenden Teutonenkönigs, zeigte man den Pilgern jedes Jahr einmal die heiligen Reliquien in der Kapelle.
Carl der Kahle versetzte diese Reliquien von Aachen nach Paris, und man zeigte sie dem Volk einmal im Jahr auf einem Markt, der in der Nähe des Boulevards St. Denis abgehalten wurde.
Der Bischof von Paris, welcher fand, daß bei der zunehmenden Frömmigkeit der Gläubigen das Marktfeld in keinem Verhältnis: zu der Menge der Herbeiströmenden stand, verlegte das Landifest in die Ebene von St. Denis.
Die Geistlichkeit von Paris brachte die Reliquien in Procession dahin; der Bischof predigte daselbst und ertheilte dem Voll seinen Segen; aber es verhielt sich mit dem Segen wie mit den Geistern des Nebenmenschen oder den Früchten des Nachbars: nicht Jeder der will kann ihn ertheilen; die Geistlichen von St. Denis behaupteten, ihnen allein stehe auf ihrem Gebiete das Recht der Segnung zu, und sie verklagten den Bischof beim Parlament von Paris wegen Eingriffs in ihre Gerechtsame.
Die Sache wurde von beiden Seiten hartnäckig und mit solcher Beredtsamkeit verfochten, daß das Parlament, da es nicht wußte, wem es Recht geben sollte, allen beiden Unrecht gab, und in Anbetracht der Unruhen, die sie veranlaßten, sowohl den Bischöfen auf der einen, als den Abbé's auf der anderen Seite verbot sich auf der Landimesse blicken zu lassen.
Der Rector der Universität war es, der die in Anspruch genommenen Vorrechte ererbte: er hatte das Recht sich alljährlich am ersten Montag nach St. Barnabas auf die Landimesse zu begeben, um daselbst das nothwendige Pergament für alle seine Collegen auszuwählen; den auf dem Markt sitzenden Kaufleuten war sogar verboten auch nur ein einziges Blatt zu verkaufen, bevor der Herr Rector alle seine Einkäufe gemacht hatte.
Dieser Spaziergang des Rectors, der mehrere Tage dauerte, brachte die Studenten auf die Idee ihn zu begleiten, und sie ersuchten ihn um Erlaubnis. Sie wurde ihnen gewährt, und von diesem Augenblick an wurde die Reise alljährlich mit allem Pomp und aller Pracht veranstaltet, die man sich nur denken kann.
Professoren und Studenten versammelten sich zu Pferd auf dem St. Genovefaplatz und zogen von da in guter Ordnung auf das Marktfeld. Die Cavalcade kam ziemlich ruhig an ihrem Bestimmungsort an, dort aber schlossen sich ihnen alle Zigeuner und Hexenmeister – man zählte ihrer damals dreißigtausend in Paris – alle zweideutigen Frauenzimmer – die Zahl von diesen hat noch nie ein Statistiker angegeben – in Mannskleidern so wie sämmtliche Fräulein vom Vald'Amour, von Chaud-Gaillard, von der Straße Froid-Mantel an; eine wahre Armee, ähnlich jenen großen Völkerwanderungen vom vierten Jahrhundert, nur mit dem Unterschied, daß diese Damen keine Barbarinnen oder Wilde, sondern vielmehr nur allzu civilisirt waren.
Auf der Ebene St. Denis machte Jeder Halt, stieg von seinem Pferd, seinem Esel oder Maulthiere, schüttelte einfach den Staub von seinen Stiefeln, Schuhen und Camaschen ab, wenn er zu Fuß gekommen war, mischte sich in die ehrenwerthe Gesellschaft und versuchte auf ihren Ton einzugehen oder ihn zu steigern. Man setzte sich, man aß Blutwürste, Bratwürste und Pasteten, man trank auf die blumigen Wangen der Damens schreckliche Quantitäten weißer Weine von allen Hügeln der Umgegend, von St. Denies, la Briche, Epinaylez, St. Denis und Argenteuil. Die Köpfe wurden warm bei den Liebesreden und Trinksprüchen, dann entstand ein Lärm, Geschrei, und Gejohle, es wurden Wettkämpfe im Trinken gehalten, die Zecher forderten immer mehr und mehr, sie behaupteten ein rechter Kellner müßte wie Briareus hundert Hände haben, um unermüdlich einschenken zu können. Kurz und gut, man führte förmlich das fünfte Capitel von Gargantua auf.
Die schöne Zeit oder vielmehr, das müßt Ihr selbst zugeben, die lustige Zeit, wo Rabelais, Pfarrer von Meudon, den Gargantua, und wo Brantome, Abt von Bourdeille, galanten Damen schrieb.
War man einmal betrunken, so sang man, umarmte sich fing Händel an, machte tausend Tollheiten, verhöhnte die Vorübergehenden. Man mußte sich doch lustig machen, zum Teufel!
Man knüpfte daher mit dem ersten besten Ankömmling, der unter die Hand fiel, Gespräche an, die je nach dem Charakter der Leute mit Gelächter, Beleidigungen oder Prügeln endeten.
Es waren zwanzig Parlamentsbeschlüsse nöthig, um diesem Unfug zu steuern; zuletzt mußte man versuchsweise die Messe auf der Ebene in die Stadt St. Denis selbst verlegen.
Im Jahr 1550 wurde beschlossen, daß die Studenten nicht mehr in corpare der Landimesse anzuwohnen, sondern dieselbe blos durch Deputationen von zwölf Mann für jedes der vier Nationalcollegien,wies man sie damals nannte, und zwar die Professoren mit inbegriffen, zu beschicken hätten.
Aber da geschah Folgendes:
Die nicht zugelassenen Studenten legten ihre Universitätskleider ab, zogen kurze Mäntelchen an, setzten farbige Hüte auf, trugen zerfetzte Strümpfe, fügten, um diesen Saturnalien Ehre zu machen, den Degen, der ihnen verboten war, zu, dem Dolch, den zu tragen sie sich seit unvordenklichen Zeiten das Recht angemaßt hatten, und zogen auf allen möglichen Straßen nach dem Sprichwort: Jeder Weg führt nach Rom, nach St. Denis; da sie nun unter ihren Masken der Wachsamkeit ihrer Lehrer entgingen, so wurde der Unfug noch unendlich größer als vor der, Ordonnanz, die man erlassen hatte um ihm zu steuern.
Man war also im Jahr 1559, und wenn man die Ordnung sah, womit das Collegium sich in Marsch zu setzen begann, so hätte man auf hundert Meilen nicht an die Ausschweifungen gedacht, denen es sich überlassen sollte, sobald es einmal angekommen war.
Diesmal also zog wie gewöhnlich die Cavalcade in ziemlich guter Ordnung auf, kam in die große Rue St. Jacques, ohne allzu viel Lärm zu machen, stieß vordem Chatelet angelangt eines jener Verwünschungshurrahs aus, zu denen nur Pariser Volkshaufen fähig sind – denn die Hälfte der Mitglieder, welche die Versammlung bildeten, kannte gewiß die unterirdischen Gefängnisse dieses Monuments anders als von bloßen Höransagen – und nach dieser Kundgebung, welche immerhin eine kleine Herzenserleichterung war, drang sie in die Rue St. Denis.
Laß uns ihr vorangehen, geneigter Leser, und sodann in der äbtlichen Stadt St. Denis Platz nehmen, um daselbst einer Episode des Festes anzuwohnen, welche sich an die Geschichte knüpft, die zu erzählen wir unternommen haben.
Das officielle Fest war allerdings in der Stadt, in der Hauptstraße der Stadt selbst; in der Stadt und besonders in der Hauptstraße war es, wo die Barbiere, die Bierwirthe, Tapetenmacher, Krämer, Weißzeughändlerinnen, Kummetmacher, Sattler, Sailer, Spornmacher, Lederhändler, Weißgerber, Rothgerher, Schuhmacher, Muldenmacher, Tuchmacher, Wechsler, Goldschmiede, Gewürzkrämer und besonders die Schenkwirthe in hölzernen Buden, die sie schon zwei Monate vorher hatten erbauen lassen, ihren Geschäften oblagen.
Wer vor etwa zwanzig Jahren dem Markt von Beaucaire oder, noch einfacher, vor zehn Jahren dem Jahrmarkt von St. Germain angewohnt hatte, der kann sich einen Begriff von der Landimesse machen, wenn er das Gemälde, das er in diesen beiden Lokalitäten gesehen, auf riesige Verhältnisse ausdehnt.
Wer aber regelmäßig jedes Jahr diese selbe Landimesse besuchte, die man noch in unsern Tagen in der Unterpräfectur der Seine feiert, der kann sich, wenn er sieht was sie jetzt ist, schlechterdings keine Vorstellung von dem machen, was sie früher war.
Statt dieser düstern schwarzen Kleider, die bei allen Festen unwillkürlich als eine Erinnerung an Trauer, als eine Protestation der Traurigkeit, der Königin dieser armen Welt, gegen die Heiterkeit, die nur als Usurpatorin erscheint, selbst die am wenigsten Melancholischen wehmüthig stimmen, schimmerte diese ganze Masse in hellen Tuchkleidern, in Gold und Silberstoffen mit Borten, Tressen, Federn, Bändern, Sammt, golddurchwirktetn Tafft, Atlas mit Silberlahn, diese ganze Menge, sagen wir, funkelte der Sonne und schien ihr ihre glühendsten Strahlen in Blitzen zurückzusenden; in der That war niemals ein ähnlicher Luxus von den obersten bis in die untersten Schichten der Gesellschaft entfaltet worden, und obschon seit dem Jahr 1543 zuerst Franz I. und dann Heinrich IV. zwanzig Luxusgesetze erlassen hatten, so waren dieselben doch niemals zur Ausführung gekommen.
Die Erklärung dieses unerhörten Luxus ist höchst einfach. Die Entdeckung der neuen Welt durch Columbus und Americas Vespucius, so wie die Kriegszüge eines Fernando Cortez und Pizarro nach dem berühmten Königreich Cathay, das von Marco Polo angezeigt worden, hatten eine solche Menge baar Geld nach ganz Europa geworfen, daß ein Schriftsteller dieses Jahrhunderts sich über das Ueberfluthen des Luxus so wie über das Steigen der Waarenpreise beklagt, die sieh, wie er behauptet, binnen achtzig Jahren mehr als vervierfacht hatten.
Inzwischen war die pittoreske Seite des Festes nicht in St. Denis selbst. Zwar hatte die Ordonnanz des Parlaments es in die Stadt verlegt, aber die unendlich mächtigere Ordonnanz des Volkes hatte es an den Fluß versetzt. Somit war die Messe in St. Denis, das Fest aber am Ufer. Da wir nichts zu laufen haben, so wollen wir uns hiermit an das Ufer unterhalb der Insel St. Denis begeben, um allda zu sehen und zu hören, wie es zugeht.
Die Cavalcade, die wir vom St. Genovefaplatz aus die Rue St. Jacques hinabziehen, das Chatelet mit einem Hurrah begrüßen und von da in die Rue St. Denis einmünden sahen, hatte zwischen elf und halb zwölf ihren Einzug in der königlichen Necropole gehalten; sodann entwischten die Studenten gleich Schafen, die man bei ihrer Ankunft auf der Wiese in Freiheit läßt, ihren Professoren und ergossen sich theils über die Felder, theils über die Stadt, theils über das Seineufer hin.
Es war, das muß man gestehen, für sorglose Herzen – dergleichen es auch jetzt noch, obschon nur wenige, gibt – ein herrlicher Anblick, da und dort im Sonnenschein, auf dem Gras des Uferrandes, eine Meile in der Runde frische Studenten von zwanzig Jahren zu den Füßen schöner junger Mädchen mit Schnürleibchen von rothem Atlas, Wangen von rosenfarbigem Atlas und Hälsen von weißem Atlas liegen zusehen.
Dies Augen Boccoacios mußten den azurnen Teppich des Himmels durchdringen und liebevoll auf diesen gigantischen Decameron herabschauen. »Der erste Theil des Tages verging ganz gut. Man hatte warm und trank. Man hatte Hunger und aß. Man ruhte sitzend oder liegend aus. Dann begannen die Unterhaltungen lärmend zu werden und die Köpfe sich zu erhitzen. Gott weiß, wie viele Weintöpfe gefüllt und geleert, wieder gefüllt und wieder geleert, aufs Neue gefüllt und zuletzt zerschlagen wurden, worauf man einander die Scherben an die Köpfe warf.
So kam es, daß gegen drei Uhr das Ufer mit theils ganzen, theils zerbrochenen Töpfen und Tellern, mit vollen und leeren Tassen, mit Paaren, die in zärtlicher Umarmung auf dem Rasen lagen, mit Ehemännern, die fremde Frauenzimmer für ihre Weiber, mit Weibern, die ihre Liebhaber für ihre Männer nahmen, bedeckt, daß, sagen wir, das Ufer, das kaum noch grün, frisch gewesen und wie ein Dorf am Arnostrande gefunkelt hatte, jetzt einer Teniersschen Landschaft glich, die einer flämischen Kirchmeß als Rahmen diente.
Auf einmal erhob sich ein furchtbares Geschrei.
»Ins Wassers ins Wasser!« rief man.
Alles erhob sich, das Geschrei wurde immer arger.
»Ins Wasser mit dem Ketzer! ins Wasser mit dem Protestanten! ins Wasser mit dem Hugenotten! ins Wasser mit dem Gottlosen! ins Wasser, ins Wasser, ins Wasser!«
»Was gibt es denn, riefen zwanzig, hundert, tausend Stimmen.
»Er hat Gott gelästert, er hat an der Vorsehung gezweifelt, er hat gesagt, es werde regnen.«
So unschuldig diese Anklage auf den ersten Blick erscheinen mochte, so rief sie doch eine ungeheure Aufregung unter der Menge hervor. Die Menge amüsirte sich und wäre wüthend gewesen, wenn ein Gewitter sie in ihren Lustbarkeiten gestört hätte. Die Menge hatte ihre Sonntagskleider an und wäre wüthend gewesen, wenn der Regen ihre Sonntagskleider verderbt hätte. Das Geschrei in Folge dieser Aufklärung wurde daher immer ärger. Man näherte sich dem Ort, woher die Stimmen kamen, und allmählig drängte sich ein so dichter Volkshaufen dort zusammen, daß selbst der Wind Mühe gehabt hätte durchzukommen.
Inmitten dieser Gruppe, die beinahe von sich selbst erstickt wurde, kämpfte sich ein junger Mensch von etwa zwanzig Jahren ab, in dem man leicht einen vermummten Studenten erkannte; mit blassen Wangen, bleichen Lippen, aber geballten Fäusten schien er darauf zu warten, daß kühnere Angreifer als die andern, statt sich mit bloßem Geschrei zu begnügen, wirklich Hand an ihn legten, und dann wollte er Alles zu Boden schlagen, was ihm unter die beiden Streitkolben geriethe, die seine geschlossenen Fäuste bildeten.
Er war ein großer Blondin, aber ziemlich mager und leibarm; er sah aus wie eines der als Herrn verkleideten galanten Jüngfernchen, von denen wir so eben sprachen; seine Augen mußten, wenn sie gesenkt waren, die außerordentlichste Ehrlichkeit anzeigen, und wenn die Demuth eine menschliche Gestalt angenommen hätte, so würde sie keinen andern Typus gewählt haben als denjenigen, welchen das Gesicht dieses Jünglings darbot.
Welches Verbrechen konnte er doch begangen haben, daß dieser ganze Volkshaufe ihm zu Leibe wollte, daß diese ganze Meute hinter ihm herbellte, daß all diese Arme sich ausstreckten, um ihn ins Wasser zu werfen?
II.
Worin erklärt ist, warum es, wenn's am St. Medardustag regnet, vierzig Tage später regnet
Wir haben es im vorstehenden Capitel gesagt, er war Hugenott und hatte erklärt, daß es regnen würde.
Die Sache war ganz einfach, wie ihr sehen werdet, und ging folgendermaßen zu.
Der junges Blondin, der einen Freund oder eine Freundin zu erwarten schien, ging am Ufer hin spazieren. Von Zeit zu Zeit blieb er stehen und schaute ins Wasser; dann, als er das Wasser lange genug angeschaut hatte, schaute er auf den Rasen; endlich, nachdem er den Rasen zur Genüge betrachtet, schlug er die Augen auf und sah zum Himmel empor.
Man kann allerdings finden, daß dieß eine einthönige Beschäftigung war, aber man wird gestehen müssen, daß sie harmlos war. Gleichwohl stießen sich einige der Personen, welche das Landifest nach ihrer Weise feierten, daran, daß dieser junge Mann es nach der seinigen feierte. Seit ungefähr einer halben Stunde hatten mehrere Spießbürger, vermischt mit Studenten und Handwerkern, deutlich genug verrathen, daß sie sich über die dreifacher, Betrachtungen des jungen Mannes ärgerten; sie ärgerten sich um so mehr, als dieser selbe junge Mann ihnen nicht die mindeste Beachtung zu schenken schien.
»Ah,« sagte eine Mädchenstimme, »ich bin nicht neugierig, aber ich möchte doch gerne wissen. warum dieser junge Mensch so hartnäckig zuerst das Wasser, dann die Erde und dann den Himmel ansieht.«
»Du willst es wissen? meine Herzensperrette?« fragte ein junger Spießbürger, welcher galant den Wein aus dem Glas der Dame und die Liebe aus ihren Augen trank.
»Ja, Landry, und ich werde demjenigen, der mirs sagt, einen tüchtigen Kuß geben.«
»Ach, Perrette. ich wollte, daß Du für einen so süßen Lohn etwas Schwierigeres fordertest.«
»Ich will mich mit dem begnügen.«
»Versprich mirs noch einmal.«
»Da hast Du meine Hand.«
Der junge Spießbürger küßte die Hand des jungen Mädchens und erhob sich mit den Worten:
»Du sollst es sogleich erfahren.«
Sofort schritt er auf den einsamen und stummen Betrachter zu.
»He da, junger Mann,« redete er ihn an, »ohne Euch befohlen zu wollen, warum schaut Ihr denn den Rasen so an? Habt Ihr Etwas verloren?«
Als der junge Mann bemerkte, daß. man ihn Meinte, drehte er sich um, nahm höflich seinen Hut ab und antwortete mit der größten Freundlichkeit: »Ihr täuscht Euch, mein Herr, ich sah nicht auf den Rasen sondern in den Fluß.«
Nach diesen wenigen Worten drehte er sich wieder auf die andere Seite. Meister Landry war ein wenig verblüfft; er hatte keine so höfliche Antwort erwartet. Diese Höflichkeit rührte ihn. Er kehrte zu seiner Gesellschaft zurück und kratzte sich hinter dem Ohr.
»Nun wohl?« fragte ihn Perrette.
»Nun wohl, wir täuschten uns,« sagte Landry in ziemlich kläglichem Tone, »er sah nicht den Rasen an.«
»Was denn?«
»Den Fluß.«
Man lachte dem Boten unter die Nase, so daß ihm die Schamröthe ins Gesicht stieg.
»Und Ihr habt ihn nicht gefragt, warum er in den Fluß schaue?« fragte Perrette.
»Nein,« antwortete Landry; »er war so höflich, daß ich dachte, es wäre unbescheiden noch eine zweite Frage an ihn zu richten.«
»Zwei Küsse Jedem, der ihn fragt, warum er in den Fluß schaue?« sagte Perrette.
Drei oder vier Liebhaber erhoben sich.
Aber Landry gab durch ein Zeichen zu verstehen, daß er die Sache einmal angefangen habe und folglich auch zu Ende bringen müsse.«
Man gab die Richtigkeit seiner Forderung zu.«
Er wandte sich also von Neuem gegen den jungen Blondin und redete ihn zum zweiten Mal an.
»He da, junger Mann,« fragte er ihn, »he da junger Mann, warum seht Ihr denn so in den Fluß hinein?«
Die vorige Scene erneuerte sich wieder. Der junge Mann drehte sich um, nahm seinen Hut ab und antwortete fortwährend höflich:
»Entschuldigen Sie mich, mein Herr, ich sah nicht den Fluß an, sondern den Himmel.«
Nach diesen Worten salutirte der junge Mann und begab sich auf die andere Seite.
Aber Landry, der schon durch diese zweite Antwort aus seiner Fassung gebracht worden war, wie vorher durch die erste, glaubte seine Ehre im Spiel, und da er seine Gesellschaft laut lachen hörte, so faßte er Muth, nahm den Studenten an seinem Mantel und sagte dringend zu ihm:
»Dann junger Mann, wollt Ihr mir vielleicht gefälligst sagen, warum Ihr den Himmel ansehet?«
»Mein Herr,« antwortete der junge Mann, »wollt Ihr mir gütigst sagen, warum Ihr mich das fraget?«
»Nun wohl, ich will mich offen gegen Euch erklären, junger Mann.«
»Das soll mich freuen, mein Herr.«
»Ich frage es Euch, weil meine Gesellschaft sich darüber ärgert, daß Ihr seit einer Stunde unbeweglich wie ein Klotz dastehet und immer die gleichen Bewegungen machet.«
»Mein Herr,« antwortete der Student, »ich bin unbeweglich, weil ich einen Freund erwarte. Ich bleibe stehen, weil ich ihn beim Stehen aus größerer Ferne kommen sehe. Da er nun nicht kommt und das Warten mich langeweilt, da ferner die Langeweile mich zum Gehen veranlaßt, so sehe ich auf den Boden, um meine Schuhe nicht an den Scherben zu zerreißen, womit der Rasen übersäet ist; wenn ich dann lang genug auf den Boden gesehen habe, so sehe ich in den Fluß; endlich, wenn ich lang genug in den Fluß gesehen habe, so sehe ich zum Himmel hinauf.«
Der Spießbürger nahm diese Erklärung nicht für Das was sie war, nämlich für die reine und einfache Wahrheit, sondern glaubte sich mystifcrirt und wurde roth wie die Klatschrosen, die man von Ferne in den Klee und Kornfeldern schimmern sah.
»Und gedenket Ihr, junger Mann,« fragte er, indem er sich herausfordernd auf seine linke Hüfte stützte und gewaltig in die Brust warf, »gedenket Ihr diese langweilige Beschäftigung noch lange zu treiben?«
»Ich gedachte sie noch bis zu dem Augenblick zu treiben, wo mein Freund zu mir kommen würde, mein Herr, aber« – der junge Mann schaute zum Himmel empor – »ich glaube nicht, daß ich warten kann, bis es ihm gefällig ist. . .«
»Und warum wollt Ihr nicht auf ihn warten?«
»Weil es dergestalt regnen wird, mein Herr, daß weder Sie, noch ich, noch sonst Jemand in einer Viertelstunde noch im Freien bleiben können.«
»Ihr sagt, es werde regnen?« fragte der Spießbürger mit der Miene eines Menschen, welcher glaubt, daß man sich über ihn lustig mache.
»Ja,« und zwar tüchtig, mein Herr, antwortete der junge Mann ruhig.
»Ihr wollt ohne Zweifel spaßen, junger Mann?«
»Ich schwere Euch, daß ich nicht die geringste Lust dazu habe.«
»Dann wollt Ihr Euch über mich lustig machen?« fragte der Spießbürger erbittert.
»Mein Herr, ich gebe Euch mein Wort, daß ich dazu eben so wenig Lust habe als zu einem Spasse.«
»Warum sagt Ihr mir dann, es werde regnen, während das Wetter doch herrlich ist?« heulte Landry, der immer hitziger wurde.
»Ich sage aus drei Gründen, daß es demnächst regnen werde.«
»Kenntet Ihr mir diese drei Gründe anführen?«
»Allerdings, wenn es Euch Freude macht.«
»Es macht mir Freude.«
Der junge Mann salutirte höflich und mit einer Miene, welche besagen wollte: »Ihr seid so liebenswürdig mein Herr, daß ich Euch Nichts abschlagen kann.«
»Ich erwarte Eure drei Gründe,« sagte Landry mit geballten Fäusten und zähneknirschend.
»Der erste, mein Herr,« sprach der junge Mann, »besteht darin: Da es gestern nicht geregnet hat, so ist dieß ein Grund, daß es heute regnen wird.«
»Ihr verhöhnt mich, mein Herr?«
»Ganz und gar nicht.«
»Nun denn, laßt den zweiten hören.«
»Der zweite besteht darin, daß der Himmel die ganze Nacht wie auch den ganzen Morgen überzogen war und es noch in diesem Augenblick ist.«
»Weil der Himmel überzogen ist, so ist das noch kein Grund, daß es regnen wird, versteht Ihr mich?«
»Es ist wenigstens eine Wahrscheinlichkeit.«
»Gebt jetzt Euren dritten Grund zum Besten: nur sage ich Euch zum Voraus, wenn er nicht besser ist als die zwei ersten, so werde ich böse.«
»Wenn Ihr böse würdet, mein Herr, so müßtet Ihr einen abscheulichen Character haben.«
»Ah! Ihr sagt, ich habe einen abscheulichen Character?«
»Mein Herr, ich spreche in der bedingten Zeit und nicht im Präsens.«
»Der dritte Grund, mein Herr? Der dritte Grund?«
»Der dritte Grund zum Regnen ist, das es regnet, mein Herr.«
»Ihr behauptet, daß es regne?«
»Ich behaupte es nicht blos, sondern ich versichere es.«
»Nein, das ist unerträglich!« sagte der Spießbürger außer sich.
»Es wird sogleich noch unerträglicher werden.« sagte der junge Mann.
»Und Ihr glaubt, daß ich mir das gefallen lasse?« rief der Spießbürger scharlachroth vor Wuth.
»Ich glaube, daß Ihre Euch so gut gefallen lassen müßt wie ich,« sagte der Student, »und wenn ich Euch einen Rath ertheilen darf, so machet es wie ich: suchet eine Unterkunft.«
»Ha, das ist zu stark!« heulte der Spießbürger, indem er sich gegen seine Gesellschaft zurückwandte.
Dann rief er denjenigen, die im Bereich seiner Stimme waren, zu:
»Komm Alle hierher! kommt, kommt!«
Er schien so wüthend, daß Jedermann auf seinen Ruf herbeieilte.
»Was gibt es?« fragten die Frauenzimmer mit gellenden Stimmen.
»Was ist los?« fragten die Männer mit heiseren Stimmen.
»Was es gibt?« sagte Landry, als er sich unterstützt sah, »es gehen da ganz unglaubliche Sachen vor.«
»Was denn?«
»Dieser Herr will mich ganz einfach am hellen Mittag die Sterne sehen lassen.«
»Ich bitte um Verzeihung, mein Herr,« versetzte der junge Mann »mit der größten Sanftmuth »ich habe Euch im Gegentheil gesagt, der Himmel sei schrecklich überzogen.«
»Das ist eine Figur, Herr Student,« versetzte Landry, »versteht Ihr mich, das ist eine Figur.«
»In diesem Fall ist es eine schlechte Figur.«
»Ihr sagt, daß ich eine schlechte Figur mache!« heulte der Spießbürger, dem das Blut zu den Ohren drang, so daß er absichtlich oder unwillkürlich schlecht hörte. »Ha, das ist zu stark, meine Herrn Ihr sehet ganz deutlich, daß dieser Schlingel da sich über uns lustig macht.«
»Daß er sich über Euch lustig macht,« sagte eine Stimme, »nun ja, das ist möglich.«
»Ueber mich wie über Euch und uns Alle; er ist ein Witzbold, der blos Possen im Kopf hat und Euch zum Schabernack einen Regen herbeiwünscht.«
»Mein Herr, ich schwöre Euch, daß ich keinen Regen wünsche, da ich sonst eben so naß werde wie Ihr, ja sogar noch nässer, weil ich drei oder vier Zoll mehr habe als Ihr.«
»Ihr wollt also sagen, daß ich ein Knirps sei?«
»Das ist mir nicht eingefallen, mein Herr.«
»Ein Zwerg?«
»Das wäre eine ungerechtfertigte Beleidigung. Ihr habt beinahe fünf Fuß, mein Herr.«
»Ich weiß nicht, warum ich Dich nicht ins Wasser werfe!« ruft Landry.
»Ach ja, ins Wasser! ins Wasser! sagten mehrere Stimmen.
»Wenn Ihr mich ins Wasser werfet, mein Herrn,« sagte der junge Mann mit seiner gewöhnlichen Höflichkeit, »so würdet Ihr nichtsdestoweniger naß werden.«
Da der junge Mann durchs diese Antwort bewiesen hatte, daß er für sich allein mehr Geist besaß als alle Andern, so kehrten sich alle Andern gegen ihn. Ein großer Kerl trat heran und sagte halb spöttisch, halb drohend zu ihm:
»Sag einmal, Du Spitzbube, warum behauptest Du, daß es in diesem Augenblick regne?«
»Weil ich Tropfen gespürt habe.«
»Tropfen!« rief Landry. »Wenn es Tropfen regnet, so ist Dieß noch kein starker Regen, und er hat ausdrücklich gesagt, daß es tüchtig regnen werde.«
»Du stehst also mit einem Astrologen in Verbindung?« sagte der große Kerl.«
»Ich stehe mit Niemand in Verbindung, mein Herr,« antwortete der junge Mann, der sich zu ärgern anfing, »nicht einmal mit Euch; der ihr mich dutzet.«
»Ins Wasser! ins Wasser!« riefen Mehrere Stimmen.
In diesem Augenblick war es, daß der Student, als er den Sturm heftiger werden sah, seine Fäuste ballte und sich zum Kampf vorbereitete. Der Kreis um ihn herum begann sich zu verdichten.
»Ei, sieh da,« sagte Einer der neu Angekommen, »es ist Medardus.«
»Was ist mit Medardus?« fragten mehrere Stimmen.
»Dieß ist der Heilige, dessen Fest wir heute feiern,« versetzte ein Spaßvogel.
»Schon gut,« sagte derjenige, der den jungen Mann erkannt hatte, »dieser da ist kein Heiliger, sondern vielmehr ein Ketzer.«
»Ins Wasser mit dem Ketzer!« rief die Menge, »ins Wasser mit dem Ketzer! ins Wasser mit dem Gottlosen! ins Wasser mit dem Albigenser! Ins Wasser mit dem Hugenotten!«
Und alle Stimmen wiederholten im Chor:
»Ins Wasser! ins Wasser! ins Wasser!«
Dieses Geschrei war es, wodurch das Fest unterbrochen wurde, mit dessen Beschreibung mir im besten Zug waren.
Aber just in diesem Augenblick, wie wenn die Vorsehung dem jungen Mann die Hilfe zusenden wollte, deren er so bedürftig schien, kam der erwartete Freund – ein schöner Cavalier, von zwei bis dreiundzwanzig Jahren, dessen vornehme Miene den Edelmann und dessen ganze Turnüre den Fremden verrieth – der erwartete Freund sagen wir, kam herbeigelaufen, durchbrach die Menge und hatte sich bis auf zwanzig Schritte von seinen Freund vorangearbeitet, als dieser von vorn, von hinten, an den Füßen und am Kopfe zugleich gepackt wie ein Rasender um sich schlug.
»Vertheidige Dich, Medardus!« rief der neue Ankömmling, »vertheidige Dich!«
»Ihr sehet, daß es wirklich Medardus ist!« rief derjenige, der ihn mit diesem Namen begrüßt hatte.
Und als ob die Führung dieses Namens ein Verbrechen wäre, schrie die ganze Menge:
»Ja, es ist Medardus! ja, es ist Medardus! Ins Wasser mit dem Ketzer! ins Wasser mit dem Hugenotten!«
»Wie kann ein Ketzer die Frechheit haben den Namen eines so großen Heiligen zu führen?« rief Perrette.
»Ins Wasser mit dem Gottlosen!«
Und die Leute, die den armen Medardus ergriffen hatten, schleppten ihn nach dem abschüssigen Rand.