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Kitabı oku: «Der Graf von Bragelonne», sayfa 3

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Der lange Greis ließ sich das nicht wiederholen; er lief mit offenen Armen herbei. Raoul ersparte ihm die Hälfte des Wegs.

»Wollen wir nun mit einander in den Garten gehen, Raoul? Ich zeige Euch die neue Wohnung, die ich Euch für Eure Urlaube habe bereiten lassen, und während wir die Pflanzungen, die ich angelegt, und zwei neue Reitpferde, die ich getauscht, anschauen, gebt Ihr mir Nachricht von unsern Freunden in Paris.«

Der Graf schloß sein Manuscript, nahm den jungen Mann beim Arm und ging mit ihm in den Garten.

Grimaud schaute schwermüthig Raoul nach, der mit dem Kopf beinahe an dem Querholz der Thüre anstreifte, und während er seinen weißen Knebelbart streichelte, entschlüpfte ihm das tiefe Wort:

»Groß geworden.«

V.
Worin von Cropoli, von Cropole und von einem anderen unbekannten Maler die Rede sein wird

Während der Graf de la Fère mit Raoul die neuen Gebäude besucht, die er hatte errichten lassen, und die neuen Pferde die er gekauft, werden uns unsere Leser erlauben, sie nach der Stadt Blois zurückzuführen und einer ungewöhnlichen Bewegung in dieser Stadt beiwohnen zu lassen.

Es hatte sich besonders in den Gasthöfen der Gegenschlag der von Raoul überbrachten Neuigkeit fühlbar gemacht.

In der That, wenn der König und der Hof, das heißt hundert Reiter, zehn Carossen, zweihundert Pferde und ebenso viele Bedienten. als Herren in Blois angekommen wären, wo würden sich alle diese Menschen unterbringen, wo würden sich alle die Edelleute aus der Umgegend einquartieren, welche in zwei bis drei Stunden eintreffen müßten, sobald die Nachricht das Centrum ihrer Verbreitung erweitert hätte, wie jene wachsenden Kreise, welche das Fallen eines in einen ruhigen See geschleuderten Steines hervorbringt?

Am Morgen so friedlich, wie wir gesehen, als der ruhigste See der Welt, füllte sich Blois bei der Nachricht von der Ankunft des Königs mit Lärmen und Gesumme.

Alle Bedienten des Schlosses gingen unter der Aufsicht der Hausofficianten in die Stadt, um Mundvorräthe zu holen, und zehn Couriere zu Pferd galoppirten nach Chambord, um Wildpret zu bestellen, nach den Fischereien von Beuvron, um Fische herbeizuschaffen, nach den Gewächshäusern von Chaverny wegen der Blumen und Früchte.

Man zog aus dem Meublemagazin kostbare Teppiche und Tapeten, Lustres mit vergoldeten Ketten; ein Heer von Armen fegte die Höfe und wusch die steinernen Vorplätze ab, während ihre Weiber jenseits der Loire die Fluren durchwühlten, um allerlei Gras und Feldblumen zu suchen. Um nicht unter diesem Luxus der Reinlichkeit zu bleiben, machte die ganze Stadt ihre Toilette mit großer Verstärkung an Bürsten, Besen und Wasser. Durch die beständigen Waschungen angeschwellt, wurden die Bäche der obern Stadt Flüsse in der untern Stadt, und das, es ist nicht zu leugnen, zuweilen sehr schmutzige kleine Pflaster scheuerte sich, brillantirte sich in den befreundeten Strahlen der Sonne.

Die Musiken bereiteten sich vor; die Schubladen leerten sich, man kaufte bei den Handelsleuten Wachs, Bänder und Degenquasten; die Hausfrauen sorgten für Vorräthe an Fleisch, Brod und Spezereien, Viele Bürger, deren Haus ausgestattet war, als sollte es eine Belagerung aushalten, zogen schon, da sie sich mit nichts Anderem mehr zu beschäftigen hatten, ihre Festtagskleider an und wandten sich nach dem Thore der Stadt, um die Ersten zu sein, welche den Zug sehen oder signalisiren würden, Sie wußten wohl, der König würde erst in der Nacht, oder vielleicht erst am folgenden Morgen ankommen. Doch was ist das Warten, wenn nicht eine Art von Tollheit, und was ist die Tollheit, wenn nicht ein Uebermaß von Hoffnung?

In der untern Stadt, kaum hundert Schritte vom Schloß der Stände, zwischen dem Mail und dem Schloß, in einer ziemlich hübschen Straße, die man damals die Rue Vieille nannte, und die auch in der That sehr alt sein mußte, erhob sich ein ehrwürdiges Gebäude mit spitzigem Giebel, von breiter, untersetzter Form, verziert mit drei Fenstern nach der Straße im ersten Stock, zwei im zweiten und einem kleinen Ochsenauge im dritten.

Auf den Seiten dieses Dreiecks hatte man vor Kurzem ein ziemlich weites Parallelogramm gebaut, das ohne alle Umstände in die Straße eingriff, nach dem Gebrauch, der in jener Zeit bei dem Bauherrnamt ganz einheimisch war. Wohl sah sich die Straße um ein Drittel verengt, aber das Haus fand sich beinahe um die Hälfte erweitert: ist das nicht eine hinreichende Ausgleichung?

Eine Ueberlieferung behauptete, dieses Haus mit dem spitzigen Giebel sei zur Zeit von Heinrich III, von einem Rathe der Stände bewohnt gewesen, den die Königin Catharina nach den Einen besucht habe, nach den Ändern habe erdrosseln lassen. Wie dem auch sein mag, die gute Dame mußte ihren Fuß vorsichtig auf die Schwelle dieses Gebäudes gesetzt haben.

Nachdem der Rath durch Erdroßlung oder eines natürlichen Todes gestorben war, gleichviel, wurde das Haus verkauft, sodann verlassen und endlich von den andern Häusern der Straße vereinzelt. Erst um die Mitte der Regierung von Ludwig XIII. richtete sich ein Italiener Namens Cropoli, der aus den Küchen des Marschall d’Ancre entkommen war, in diesem Hause ein. Er gründete eine kleine Gastwirthschaft, worin so vortreffliche, so seine Macaroni fabricirt wurden, daß man von mehreren Meilen in der Runde herbeikam, um solche zu holen oder zu essen.

Die Verherrlichung des Hauses rührte davon her, daß die Königin Maria von Medicis, welche bekanntlich im Schloß der Stände gefangen saß, einmal davon hatte holen lassen.

Es geschah dies gerade an dem Tag, wo sie sich durch das berühmte Fenster flüchtete. Die Platte mit Macaroni war, kaum berührt von dem königlichen Mund, auf dem Tisch geblieben.

In Folge der doppelten Ehre, die dem dreieckigen Haus widerfahren war, der Ehre einer Erdroßlung und einer Schüssel Macaroni, war dem armen Cropoli der Gedanke gekommen, seiner Gastwirthschaft einen pomphaften Titel zu geben. Doch seine Eigenschaft als Italiener war keine Empfehlung in jener Zeit, und sein geringes, sorgfältig verborgenes Vermögen hinderte ihn, sich zu sehr hervorzustellen.

Als er sich dem Sterben nahe sah, was im Jahr 1643, nach dem Tod von König Ludwig XIII., geschah, ließ er seinen Sohn, einen Küchenjungen von den schönsten Hoffnungen, kommen, empfahl ihm, das Geheimniß der Macaroni wohl zu bewahren, seinen Namen französisch zu machen, eine Französin zu heirathen und endlich, wenn der politische Horizont von den Wolken, die ihn bedeckten, frei wäre, – man gebrauchte schon in jener Zeit diese rednerische Figur, welche in unsern Tagen in den leitenden Artikeln der Pariser Journale und in der Kammer so sehr beliebt ist, – von dem benachbarten Schmied ein schönes Schild machen zu lassen, worauf ein berühmter Künstler, den er zum Voraus bezeichnete, zwei Portraits von Königinnen, mit den Worten als Umschrift:

AUX MÉDICIS

malen sollte.

Nach dieser Empfehlung hatte der gute Cropoli nur noch die Kraft, seinem jungen Nachfolger einen Kamin zu bezeichnen, unter dessen Platte er tausend Louis d’or von zehn Franken vergraben hatte, worauf er verschied.

Cropoli Sohn ertrug als ein Mann von Herz den Verlust mit Resignation und den Gewinn ohne Anmaßung.

Er fing an, das Publicum daran zu gewöhnen, daß er das Schluß-I so wenig als möglich klingen ließ, und mit Unterstützung der allgemeinen Gefälligkeit nannte man ihn bald nur noch Herr Cropole, was ein ganz französischer Name ist.

Sodann heirathete er, da er gerade eine kleine Französin bei der Hand hatte, in die er verliebt war und deren Eltern er eine anständige Mitgift dadurch entriß, daß er die Unterlage der Platte vom Kamin zeigte.

Nach Erfüllung dieser zwei ersten Punkte forschte er nach dem Maler, der das Schild machen sollte.

Der Maler war bald gefunden.

Es war ein alter Italiener, ein Nacheiferer der Raphael und Carracci, aber ein unglücklicher Nacheiferer. Er behauptete, von der venetianischen Schule zu sein, ohne Zweifel, weil er ungemein die Farbe liebte. Seine Werke, von denen er nie eines verkauft hatte, verletzten das Auge auf hundert Schritte und mißfielen den Bürgern furchtbar, so daß er am Ende nichts mehr that.

Er rühmte sich immer, einen Badesaal für die Frau Marschallin d’Ancre gemalt zu haben, und beklagte sich, daß dieser Saal bei dem Unglück des Marschalls verbrannt worden sei.

Als Landsmann war Cropoli nachsichtig gegen Pittrino, Dies war der Name des Künstlers, Vielleicht hatte er die berühmten Gemälde des Badesaals gesehen. Soviel ist jedenfalls gewiß, daß er eine solche Ächtung, sogar eine solche Freundschaft für den ausgezeichneten Pittrino hegte, daß er ihn zu sich nahm.

Dankbar und von Macaroni gefüttert, war Pittrino bemüht, den Ruf dieses nationalen Gerichtes zu verbreiten, und er hatte auch zur Zeit seines Gründers dem Hause Cropoli durch seine unermüdliche Zunge vortreffliche Dienste geleistet.

Als er alt wurde, hing er sich an den Sohn an wie früher an den Vater, und er wurde eine Art von Aufseher eines Hauses, wo ihm seine unbescholtene Redlichkeit, seine anerkannte Mäßigkeit, seine sprichwörtliche Keuschheit und hundert andere Tugenden, deren Aufzählung wir für unnöthig erachten, einen ewigen Platz am Herd mit dem Rechte der Ueberwachung des Gesindes gab.

Ueberdies war er es, der die Macaroni kostete, um den Geschmack für die alterthümliche Ueberlieferung zu bewahren, und man muß sagen, daß er nicht ein Körnchen Pfeffer zu viel, oder ein Atom Parmesankäse zu wenig hingehen ließ. Seine Freude war sehr groß an dem Tag, wo er, berufen, das Geheimniß von Cropoli Sohn zu theilen, das berühmte Schild zu malen beauftragt wurde.

Man sah ihn voll Eifer in einer alten Schachtel wühlen, worin er allerdings ein wenig von den Ratten zerfressene aber immer noch mögliche Pinsel, Farben In beinahe ausgetrockneten Blasen, Leinöl in einer Flasche und eine Palette wiederfand, die einst Broncino, diesem diou de la pittoure, wie der ultramontane Künstler in seiner stets jugendlichen Begeisterung sagte, gehört hatte.

Pittrino war um die ganze Freude der Wiederherstellung seiner Ehre gewachsen.

Er machte es, wie es Raphael gemacht hatte, er veränderte seine Manier und malte nach der Weise von Albano mehr zwei Göttinnen, als zwei Königinnen. Diese zwei erhabenen Damen waren so anmuthreich auf dem Schilde, sie boten den erstaunten Blicken einen solchen Verein von Lilien und Rosen, das bezaubernde Resultat der Veränderung der Manier von Pittrino, sie hatten so anakreontische Sirenenstellungen, daß der vornehmste Schöppe, als er in den Saal von Cropole zugelassen wurde, um das Kapitalstück zu sehen, sogleich erklärte, diese Damen wären zu schön und von einem zu sehr belebten Reiz, um vor dem Angesicht der Vorübergehenden als Wirthsschild zu figuriren.

»Seine königliche Hoheit Monsieur,« sagte man Pittrino, »der häufig in unsere Stadt kommt, würde sich nicht herbeilassen, seine erhabene Frau Mutter so wenig gekleidet zu sehen, und er würde Euch in die Dublietten der Stände schicken, denn das Herz dieses glorreichen Prinzen ist nicht immer so mild. Wischt also die zwei Sirenen, oder die Legende aus, sonst verbiete ich Euch die Ausstellung des Schilds. Das geschieht in Eurem eigenen Interesse, Meister Cropole, und in dem Eurigen, Seigneur Pittrino.«

Was war hierauf zu sagen? Man mußte dem Schoppen für seine Freundlichkeit danken, was Cropole auch that.

Doch Pittrino blieb düster und enttäuscht.

Er fühlte wohl, was kommen würde.

Der Bauherr war nicht sobald abgegangen, als Cropole, die Arme kreuzend, zu ihm sagte:

»Nun, Meister, was werden wir thun?«

»Wir werden die Umschrift wegstreichen,« erwiederte traurig Pittrino. »Ich habe hier vortreffliches Elfenbeinschwarz, das wird in einem Nu abgemacht sein, und wir ersetzen die Medicis durch Nymphen oder Sirenen, wie es Euch beliebt.«

»Nein,« erwiederte Cropole, »der Wille meines Vaters wäre nicht erfüllt. Meinem Vater lag . . . «

»Es lag ihm an den Figuren,« sagte Pittrino.

»Es lag ihm an der Schrift,« erwiederte Cropole.

»Zum Beweis, daß ihm an den Figuren lag, dient, daß er sie ähnlich bestellt hatte, und sie sind es,« entgegnete Pittrino.

»Ja, aber wenn sie es nicht gewesen wären, wer hätte sie ohne die Schrift erkannt? Wer würde heute, da das Gedächtniß der Blaisois in Beziehung auf diese beiden berühmten Personen erlischt, Catharina und Maria ohne die Worte: Aux Médicis! erkannt haben.«

»Aber meine Figuren?« rief Pittrino in Verzweiflung, denn er fühlte, daß der kleine Cropole Recht hatte. »Ich will die Frucht meiner Arbeit nicht verlieren.«

»Und ich will nicht, daß Ihr in das Gefängnis spaziert und ich in die Dublietten komme.«

»Löschen wir Medicis aus,« sprach Pittrino flehend,

»Nein,« entgegnete Cropole entschieden. »Es kommt mir ein Gedanke, ein vortrefflicher Gedanke . . . Eure Malerei soll erscheinen und meine Legende auch. Heißt Medici im Italienischen nicht Mediciner, Aerzte?«

»Ja, im Plural.«

»Ihr bestellt mir ein neues Schild beim Schmied; Ihr malt darauf sechs Aerzte und schreibt darunter:

AUX MÉDICIS

Das gibt ein herrliches Wortspiel.«

»Sechs Aerzte! unmöglich! Und die Composition?« rief Pittrino.

»Das ist Eure Sache, doch es wird so sein, ich will es, es muß sein: meine Macaroni brennen an.«

Dieser Grund war unumstößlich; Pittrino gehorchte. Er componirte das Schild für sechs Aerzte mit der Schrift; der Schöpfte billigte und gab die Erlaubniß.

Das Schild fand wüthenden Beifall in der Stadt . . . was zum Beweise dient, daß die Poesie vor den Bürgern stets Unrecht gehabt hat, wie Pittrino sagte.

Um seinen gewöhnlichen Maler zu entschädigen, hing Cropole in seinem Schlafzimmer die Nymphen des vorhergehenden Schildes auf, was Madame Cropole erröthen machte, so oft sie dieselben beim Auskleiden betrachtete.

So kam es, daß das Haus mit dem Giebel ein Schild hatte, daß der, Gasthof zu den Medicis, der sein Glück machte, genöthigt war, sich durch das von uns geschilderte Viereck zu vergrößern . . . so auch, daß es in Blois einen Gasthof dieses Namens gab, dessen Eigenthümer Meister Cropole, dessen gewöhnlicher Maler Meister Pittrino war.

VI.
Der Unbekannte

So gegründet und empfohlen durch sein Schild, ging das Gasthaus von Meister Cropole einem soliden Wohlstand entgegen.

Es war nicht ein ungeheures Vermögen, was Meister Cropole in Aussicht hatte, aber er durste hoffen, die tausend Louis d’or, die ihm sein Vater vermacht, zu verdoppeln, tausend andere durch den Verkauf des Hauses und des Fonds zu bekommen, und endlich frei zu leben wie ein Bürger seiner Stadt,

Cropole war erpicht auf den Gewinn; er empfing außer steh vor Freude die Nachricht von der Ankunft von König Ludwig XIV.

Er, seine Frau, Pittrino und zwei Küchenjungen bemächtigten sich sogleich aller Bewohner des Taubenschlags, des Hühnerhofs und des Kaninchengartens, so daß man in den Höfen des Gasthauses zu den Medicis so viel Weheklagen und Geschrei hörte, als man einst in Rama gehört hatte.

Cropole hatte für den Augenblick nur einen einzigen Reisenden.

Dies war ein Mann von ungefähr dreißig Jahren, schön, groß, ernst, oder vielmehr schwermüthig in allen seinen Geberden und Blicken.

Er trug ein Kleid von schwarzem Sammet mit Schmelz verziert; ein weißer Kragen, einfach wie der der strengsten Puritaner, hob die matte, zarte Tinte seines jugendlichen Halses hervor; ein leichter blonder Schnurrbart bedeckte kaum seine bebende, stolze Lippe.

Wenn er mit den Leuten sprach, schaute er ihnen ins Gesicht, es ist wahr, ohne daß sich eine Absicht fühlbar machte, aber auch ohne Bedenken, und dabei wurde der Glanz seiner blauen Augen dergestalt unerträglich, daß sich mehr als ein Blick vor dem seinigen senkte, wie es der schwächere Degen in einem Einzelkampfe thut.

In dieser Zeit, wo sich die Menschen, alle von Gott gleich geschaffen, in Folge der Vorurtheile in zwei unterschiedene Kasten, die bürgerliche und die adelige, theilten, wie sie sich in der That in zwei Racen, die schwarze und die weiße, abtheilen, in dieser Zeit, sagen wir, konnte derjenige, dessen Portrait wir skizzirt haben, nicht für etwas Anderes, als für einen Edelmann, und zwar von der besten Abkunft, gehalten werden. Man durste zu diesem Ende nur seine weißen Hände mit den langen, zart zugespitzten Fingern betrachten, seine Hände, deren Adern bei der geringsten Bewegung unter der Haut durchschienen, deren Glieder sich bei der mindesten Zuckung rötheten.

Dieser Edelmann war allein bei Cropole angekommen. Er hatte, ohne zu zögern, ohne nur zu überlegen, die bedeutendste Wohnung genommen, die ihm der Wirth in einer sehr habgierigen Absicht bezeichnete, in einer Absicht, welche die Einen verdammenswerth nennen werden, während sie die Andern sehr lobenswerth heißen, wenn sie zugeben, daß Cropole Physiognomiker war und die Leute nach dem ersten Anblick beurtheilte.

Diese Wohnung war diejenige, aus welcher das ganze Vordertheil des alten dreieckigen Hauses bestand: ein großer Salon, beleuchtet durch zwei Fenster im ersten Stock, ein kleines Zimmer daneben und eines darüber.

Seit seiner Ankunft hatte aber dieser Edelmann das Mahl, das man ihm in seinem Zimmer aufgetragen, kaum berührt. Er hatte nur durch zwei Worte den Gastwirth in Kenntniß gesetzt, es würde,ein Reisender Namens Parry kommen, und ihm empfohlen, diesen Reisenden sogleich heraufzuführen.

Dann beobachtete er ein so tiefes Stillschweigen, daß Cropole, der besonders die guten Gesellschafter liebte, sich dadurch beinahe beleidigt fühlte.

An dem Morgen des Tages, wo diese Geschichte beginnt, stand der erwähnte Edelmann frühzeitig auf, trat an das Fenster seines Salon, stützte sich auf das Geländer seines Balcon und schaute traurig und hartnäckig nach den beiden Seiten der Straße, ohne Zweifel, um auf die Ankunft des Reisenden zu lauern, den er dem Wirth bezeichnet hatte.

Er sah so den kleinen Cortége von Monsieur bei der Rückkehr von der Jagd vorüberziehen und genoß dann wieder, ganz in seine Gedanken versunken, die tiefe Stille der Stadt.

Plötzlich setzten ihn der Durcheinander der Armen, Kelche nach den Wiesen zogen, der galoppirenden Eilboten, der Pflasterwäscher, der Lieferanten des königlichen Hauses, der erhitzten und schwatzhaften Ladenbursche, der rasselnden Karren, der lausenden Friseurs und der diensteifrigen Pagen, dieser Tumult, dieser Lärmen, sagen wir, setzten ihn in Erstaunen, doch ohne daß er etwas von der unempfindlichen, erhabenen Majestät verlor, die dem Adler und dem Löwen den klaren, stolzen Blick mitten unter den Hurras, dem Geschrei und dem Stampfen der Jäger und der Neugierigen verleiht.

Bald wurden durch die Weheklagen der im Hühnerhofe erwürgten Opfer, durch die eiligen Schritte von Madame Cropole auf der so schmalen und sonoren hölzernen Treppe, durch den hüpfenden Gang von Pittrino, der noch am Morgen vor der Thüre mit dem Phlegma eines Holländers rauchte, die Aufmerksamkeit und die Verwunderung des Reisenden mehr rege gemacht.

Als er sich erhob, um sich zu erkundigen, öffnete sich die Thüre seines Zimmers.

Doch statt des Gesichtes, das er zu sehen hoffte, erschien Meister Cropole und hinter ihm im Halbschatten der Treppe das ziemlich anmuthige, aber durch die Neugierde gemein gewordene Gesicht von Madame Cropole, welche einen flüchtigen Blick auf den Edelmann warf und verschwand.

Cropole schritt mit lächelnder Miene, mehr gekrümmt, als gebückt, vor.

Eine Geberde des Unbekannten befragte ihn, ohne daß ein Wort gesprochen wurde.

»Mein Herr,« sprach Cropole, »ich wollte mich erkundigen . . . soll ich sagen Euere Herrlichkeit, oder Herr Graf, oder Herr Marquis?«

»Sagt: mein Herr, und sprecht geschwinde,« antwortete der Fremde mit einem hochmüthigen Ausdruck, der keine Widerrede zuließ.

»Ich wollte mich erkundigen, wie der Herr die Nacht zugebracht habe, und ob der Herr diese Wohnung zu behalten beabsichtige.«

»Mein Herr, es tritt ein Umstand ein, auf den wir nicht gerechnet hatten.«

»Welcher?«

»Seine Majestät Ludwig XIV. kommt heute in unsere Stadt und ruht hier einen, vielleicht zwei Tage aus.«

Ein lebhaftes Erstaunen trat auf dem Gesichte des Unbekannten hervor.

»Der König von Frankreich kommt nach Blois?«

»Er ist unter Weges, mein Herr.«

»Ein Grund mehr für mich, zu bleiben,« sagte der Unbekannte.

»Sehr gut, mein Herr; doch behält der Herr die ganze Wohnung?«

»Ich verstehe Euch nicht. Warum sollte ich heute weniger haben, als ich gestern gehabt habe?«

»Weil . . . Eure Herrlichkeit wird mir erlauben, ihr das zu sagen, weil ich gestern, als Ihr diese Wohnung wähltet, nicht irgend einen Preis festsetzen mußte, der Eure Herrlichkeit hätte können glauben machen, ich beurtheile zum Voraus ihre Mittel . . . während ich heute . . . «

Der Unbekannte erröthete. Es kam ihm sogleich der Gedanke, man halte ihn für arm und man beleidige ihn.

»Während Ihr mich heute zum Voraus beurtheilt?« erwiederte er kalt.

»Mein Herr, ich bin ein artiger Mann, Gott sei Dank, und obgleich ich nur ein Wirth zu sein scheine, habe ich doch edelmännisches Blut in mir. Mein Vater war Diener und Officiant des verstorbenen Herrn Marschall d’Ancre, dessen Seele Gott in Gnaden haben möge.«

»Ich bestreite Euch diesen Punkt nicht, mein Herr; ich Wunsche nur zu wissen, und zwar sogleich zu wissen, worauf Eure Fragen abzielen.«

»Mein Herr, Ihr seid zu vernünftig, um nicht zu begreifen, daß unsere Stadt klein ist, daß der Hof sie überströmen wird, daß die Häuser von Einwohnern vollgepfropft sind, und daß folglich die Miethzinse einen beträchtlichen Preis erreichen werden.«

Abermals erröthend, sprach der Unbekannte:

»Macht Eure Bedingungen.«

»Ich thue dies mit Bedenken, mein Herr, weil ich einen ehrlichen Gewinn suche, und weil ich ein Geschäft machen will, ohne unhöflich oder grob in meinen Forderungen zu sein . . . Die Wohnung aber, die Ihr inne habt, ist bedeutend groß und Ihr seid allein . . . «

»Das ist meine Sache.«

»Oh! gewiß; ich gebe auch dem Herrn nicht den Abschied.«

Dem Unbekannten floß das Blut nach den Schläfen; er schleuderte dem armen Cropole, dem Abkömmling eines Officianten vom Herrn Marschall d’Ancre, einen Blick zu, der ihn unter die bekannte Kaminplatte schlüpfen gemacht hätte, wäre Cropole nicht durch die Frage seiner Interessen an seinen Platz gefesselt gewesen.

»Soll ich gehen?» sagte er; »erklärt Euch rasch.«

»Herr, Herr, Ihr habt mich nicht verstanden. Was ich thue, ist sehr delicat, aber ich drücke mich schlecht aus, oder vielleicht, da der Herr ein Fremder ist, was ich am Accent erkenne . . . «

Der Unbekannte sprach in der That mit dem leichten Schnarren, was der Hauptcharakter der englischen Accentuirung ist, selbst bei den Menschen dieser Nation, welche so rein als möglich Französisch sprechen.

»Da der Herr ein Fremder ist, sage ich, so ist er es vielleicht, der die Nuancen meiner Worte nicht aufsaßt. Ich behaupte, der Herr könnte eines oder zwei von den drei Zimmern, die er inne hat, abtreten, was seinen Miethzins bedeutend vermindern und mein Gewissen erleichtern würde; es ist hart, den Preis der Zimmer unvernünftig erhöhen zu müssen, wenn man die Ehre hat, sie zu einem niedrigen Preis anzuschlagen.«

»Wie viel beträgt der Miethzins seit gestern?«

»Mein Herr» einen Louis d’or mit der Kost und der Verpflegung des Pferdes.«

»Gut. Und von heute?«

»Ah! das ist gerade die Schwierigkeit! Heute Ist der Tag der Ankunft des Königs; kommt der Hof, um Nachtlager zu halten, so zählt der Tag beim Miethzins. Daraus geht hervor, daß drei Zimmer zu zwei Louis d’or das Zimmer sechs Louis d’or machen. Zwei Louis d’or, mein Herr, ist nichts, aber sechs Louis d’or ist viel.«

Von roth, wie man ihn gesehen, wurde der Unbekannte blaß.

Er zog aus seiner Tasche heldenmüthig eine Börse, worauf ein Wappen gestickt war, das er sorgfältig in seiner hohlen Hand verbarg. Diese Börse war von einer Magerkeit, von einer Flachheit, von einer Hohlheit, welche dem Auge von Cropole nicht entging.

Der Unbekannte leerte diese Börse in seine Hand; sie enthielt drei Doppellouis d’or, welche den Werth von sechs Louis d’or bildeten, wie sie der Wirth forderte. Doch Cropole hatte sieben im Ganzen verlangt.

Er schaute also den Unbekannten an, als wollte er sagen: »Hernach?«

»Es restirt ein Louis d’or, nicht wahr, Meister Wirth?«

»Ja, Herr, aber . . . «

Der Fremde suchte in der Tasche seines Beinkleids und leerte sie; sie enthielt ein kleines Portefeuille, einen goldenen Schlüssel und einige Silbermünze.

Aus dieser Münze machte er die Gesammtsumme eines Louis d’or.

»Ich danke, mein Herr,« sagte Cropole. »Nun muß ich nur noch wissen, ob der Herr seine Wohnung auch morgen zu behalten gedenkt, in welchem Falle ich sie ihm überlassen könnte, während ich sie, wenn der Herr dies nicht zu thun gedächte, den Leuten Sr, Majestät, welche ankommen werden, versprechen würde.«

»Das ist richtig,« erwiederte der Unbekannte nach langem Stillschweigen. »Doch da ich, wie Ihr sehen konntet, kein Geld mehr habe, während ich Eure Wohnung dennoch behalte, so müßt Ihr diesen Diamant in der Stadt verkaufen oder als Pfand behalten.«

Cropole schaute den Diamant so lange an, daß der Unbekannte rasch zu ihm sagte:

»Es ist mir lieber, wenn Ihr ihn verkauft, mein Herr, er ist dreihundert Pistolen werth. Ein Jude – findet sich ein Jude in Blois? – wird Euch zweihundert, zweihundert und fünfzig sogar geben; nehmt das, was er Euch gibt, und sollte er Euch auch nur den Preis Eurer Wohnung anbieten. Geht.«

»Oh! mein Herr,« entgegnete Cropole, beschämt durch die Niedrigkeit, in die ihn der Unbekannte durch diese so edle und so uneigennützige Abtretung, sowie auch durch diese unstörbare Geduld gegen so viel Argwohn, gegen so viele Plackereien versetzte; »oh! mein Herr, ich hoffe wohl, man stiehlt in Blois nicht, wie Ihr zu befürchten scheint, und wenn der Diamant so viel werth ist, als Ihr sagt . . . «

Der Unbekannte schmetterte Cropole abermals mit dem Blicke seines azurblauen Auges nieder.

»Glaubt mir, ich verstehe mich nicht darauf!« rief er.

»Aber die Juweliere verstehen sich darauf,« sagte der Unbekannte. »Fragt sie. Ich denke, unsere Rechnung ist nun abgeschlossen, nicht wahr, Herr Wirth?«

»Ja, mein Herr, und zu meinem großen Bedauern, denn ich befürchte den Herrn beleidigt zu haben.«

»Keines Wegs,« erwiederte der Unbekannte mit der Majestät seiner ganzen Mächtigkeit.

»Oder den Anschein gehabt zu haben, als schinde ich einen edlen Reisenden . . . Bringt die Notwendigkeit in Anschlag, mein Herr.«

»Sprechen wir nicht mehr davon und laßt mich allein.«

Cropole machte eine tiefe Verbeugung und entfernte sich mit verlegener Miene, was bei ihm ein vortreffliches Herz und wahre Reue offenbarte.

Der Unbekannte schloß selbst die Thüre und schaute, als er allein war, auf den Grund seiner Börse, woraus er ein seinen Diamant, seine einzige Quelle, enthaltendes Beutelchen genommen hatte.

Er befragte auch die Leere seiner Taschen, schaute die Papiere in seinem Portefeuille an und überzeugte sich von der vollkommenen Entblößung, in der er sich befand.

Dann schlug er die Augen zum Himmel mit der erhabenen Bewegung einer verzweifelten Ruhe auf, wischte mit seiner Hand einige Schweißtropfen ab, welche seine edle Stirne durchfurchten, und richtete seinen kaum zuvor noch mit einer göttlichen Majestät erfüllten Blick wieder auf die Erde.

Der Sturm war fern von ihm hingezogen, vielleicht hatte er in der Tiefe seiner Seele gebetet.

Er trat wieder ans Fenster, nahm wieder seinen Platz auf dem Balcon ein und blieb hier unbeweglich, todt, bis zu dem Augenblick, wo sich der Himmel zu verdunkeln anfing, die ersten Fackeln durch die duftende Straße zogen und allen Fenstern das Signal zur Erleuchtung gaben.