Kitabı oku: «Der Graf von Monte Christo», sayfa 8
Neuntes Kapitel.
Der Verlobungsabend
Villefort hatte, wie gesagt, wieder den Weg nach der Place-du-Grand-Cours eingeschlagen und fand, in das Haus von Saint-Meran zurückkehrend. die Gäste, die er bei Tische gelassen hatte, im Salon mit dem.Kaffee beschäftigt.
Renée erwartete ihn mit einer Ungeduld, welche von der übrigen Gesellschaft geteilt wurde. Er wurde auch mit allgemeinem Zuruf empfangen,
»Nun. Kopfabschneider, Stütze des Staates, royalistischer Brutus, was gibt es? Laffen Sie hören.« rief der Eine.
»Sind wir von einer neuen Schreckensherrschaft bedroht?« fragte der Andere.
»Hat der Währwolf von Corsica seine Höhle verlassen?« fragte ein Dritter.
»Frau Marquise,« sprach Villefort, sich seiner künftigen Schwiegermutter nähernd, »ich bitte mich zu entschuldigen, wenn ich genötigt bin, Sie so zu verlassen . . . . Herr Marquis, könnte ich die Ehre haben, ein paar Worte allein mit Ihnen zu sprechen?«
»Ah! die Suche ist also wirklich ernster Natur,« sagte die Marquise, die Wolke wahrnehmend, welche die Stirne von Villefort verdüsterte.
»So ernst, daß ich auf einige Tage von Ihnen Urlaub nehmen muß. Sie mögen daraus schließen,« fuhr er sich gegen Renée wendend fort, »ob die Sache von Bedeutung ist.«
»Sie reisen, mein Herr?« rief Renée, unfähig die Bewegung zu verbergen, welche diese Nachricht bei ihr verursachte.
»Ach! Ja, mein Fräulein,« antwortete Villefort, »es muß sein.«
»Und wohin gehen Sie?« fragte die Marquise.
»Das ist das Geheimnis des Gerichtes, Madame. Wenn übrigens Jemand hier Aufträge nach Paris hat, Einer von meinen Freunden reist diesen Abend dahin ab und wird sie mit Vergnügen übernehmen.«
Alle Anwesenden schauten sich an.
»Sie haben mich um eine Unterredung gebeten?« sagte der Marquis.
»Ja, gehen wie in Ihr Cabinet, wenn es Ihnen gefällig ist.«
Der Marquis nahm den Arm von Villefort und entfernte sich mit ihm.
»Nun?« fragte der Marquis, als er in sein Cabinet gelangte, »was geht vor? Sprechen Sie.«
»Dinge von der größten Wichtigkeit, die mich nötigen, unverzüglich nach Paris abzureisen. Entschuldigen Sie die unbescheidene Zudringlichkeit meiner Frage: haben Sie Renten auf den Staat?«
»Mein ganzes Vermögen besteht in Einschreibungen ungefähr sechs bis siebenmal hundert taufend Franken.«
»Verkaufen Sie, Marquis, verkaufen Sie, oder Sie sind zu Grunde gerichtet.«
»Aber wie soll ich von hier aus verkaufen?«
»Sie haben einen Wechselagenten, nicht wahr?«
»Ja.«
»Geben Sie mir einen Brief an ihn, und beauftragen Sie denselben, ohne eine Minute, ohne eine Secunde zu verlieren, zu verkaufen. Vielleicht komme ich bereits zu spät.«
»Teufel!»sprach der Marquis. »dann wollen wir eilen!«
»Und er setzte sich an den Tisch und schrieb einen Brief an seinen Agenten, in welchem er ihn beauftragte, um jeden Preis zu verkaufen.
»Nun da ich diesen Brief habe.« sprach Villefort, denselben sorgfältig in sein Portefeuille verschließend, »brauche ich noch einen andern.«
»An wen?«
»An den König.«
»An den König?«
»Ja.«
»Aber ich wage es nicht, so geradezu an Seine Majestät zu schreiben.«
»Ich erbitte mir das auch nicht von Ihnen, sondern ich ersuche Sie, Herr von Salvieux darum anzugehen. Er soll mir einen Brief geben. mit dessen Hilfe ich bis zu Seiner Majestät gelangen kann, ohne allen Förmlichkeiten einer Audienzbitte unterworfen zu sein, wodurch ich eine kostbare Zeit verlieren würde.«
»Haben Sie denn nicht den Großsiegelbewahrer, welchem der ungehinderte Eintritt in den Tuilerien gestattet ist, und durch dessen Vermittlung Sie Tag und Nacht bis zum König gelangen können.«
»Ja. Allerdings, aber es ist unnötig, daß ich mit einem Andern das Verdienst der Nachricht teile, die ich überbringe. Verstehen Sie? der Siegelbewahrer würde mich natürlich in die zweite Reihe zurückschieben und mich des ganzen Anteils bei der Sache berauben. Ich sage.Ihnen nur Eines, Marquis: meine Laufbahn ist gesichert, wenn ich zuerst in die Tuilerien komme, denn ich werde dem.König einen Dienst geleistet haben, den er unmöglich mehr vergessen kann.«
»In diesem Fall mein Lieber, packen Sie ihre sieben Sachen zusammen; ich rufe Salvieux und lasse ihn den Brief schreiben, der Ihnen als Eintrittskarte dienen soll.«
»Gut, verlieren Sie keine Zeit, in einer Viertelstunde muß ich in der Postchaise sitzen.«
»Laffen Sie Ihren Wagen vor der Hausthüre halten.«
»Sie werden mich ohne Zweifel bei der Frau Marquise entschuldigen, nicht wahr? und eben so bei Fräulein von Saint-Meran, die ich an einem solchen Tage nur mit dem tiefsten Bedauern verlasse.«
»Sie sollen Beide in meinem Cabinet finden und können von ihnen Abschied nehmen.«
»Tausend Dank. Beschäftigen Sie sich mit meinem Briefe.«
Der Marquis läutete: ein Bedienter erschien.
»Sagen Sie dem Grafen von Salvieux, ich erwarte ihn.«
»Gehen Sie nun,« fuhr der Marquis, sich an Villefort wendend, fort.
»Gut, ich gehe und komme sogleich wieder zurück.«
Villefort eilte weg. Doch bald bedachte er, daß ein Substitut des Staatsanwaltes, den man mit so hastigen Schritten laufen sehen würde, sich der Gefahr aussetzen müßte, die Ruhe einer ganzen Stadt zu stören. Er nahm also seinen gewöhnlichen, ganz amtsmäßigen Gang an.
An seiner Thüre erblickte er im Schatten eine gespenstartige Gestalt, welche unbeweglich seiner harrte.
Es war die schöne Catalonierin, welche, da sie keine Nachricht von Edmond erhielt, bei Einbruch der Nacht vom Pharo weggelaufen war, um sich selbst ihn nach der Ursache der Verhaftung ihres Geliebten zu erkundigen.
Als Villefort sieh näherte, entfernte sie sich von der Mauer, an die sie sich gelehnt hatte, und versperrte ihm den Weg. Dantes hatte bei dem Substituten seiner Braut erwähnt, und Mercedes brauchte sich nicht zu nennen, um von Villefort erkannt zu werden. Er war erstaunt über die Schönheit und Würde von Mercedes, und als sie ihn fragte, was aus ihrem Geliebten geworden, kam es ihm von als wäre er der Angeklagte und sie der Richter.
»Der Mann, von dem Sie sprechen, sagte Villefort mit raschem Tone, »ist ein großer Verbrecher, und ich kann nichts für ihn tun, Mademoiselle.«
Mercedes schluchste, und als Villefort an ihr vorüber zu gehen versuchte, hielt sie ihn zum zweiten Male zurück.
»Aber sagen Sie mir doch wenigstens, wo er ist?« fragte sie, »ich will mich nur erkundigen, ob er lebt, ob er tot ist.«
»Ich weiß es nicht; er gehört nicht mehr mir an,« antwortete Villefort.
Und beunruhigt durch den zarten Blick und die flehende Haltung, schob er Mercedes zurück, trat in seine Wohnung, und schloß eiligst die Thür, als wollte er den Schmerz, den man ihm brachte, außerhalb lassen.
Doch der Schmerz läßt sich nicht so zurückstoßen. Wie den tödlichen Pfeil, von dem Virgil spricht, nimmt ihn der verwundete Mensch mit sich. Villefort ging in seine Wohnung, er verschloß die Thüre, aber in seinen Salon gelangt, brachen ihm die Beine beinahe zusammen. Er stieß einen Seufzer aus, der einem Schluchzen glich und sank auf einen Stuhl.
Da entstand im Grunde dieses kranken Herzens der erste Keim zu einem tödlichen Geschwüre. Dieser Mensch, den er seinem Ehrgeize opferte, dieser Unschuldige, welcher für seinen schuldigen Vater bezahlte, erschien ihm bleich und drohend, seiner ebenfalls bleichen Braut die Hand reichend, und den Gewissensbiß nach sich schleppend, nicht denjenigen, welcher den Kranken wie die Wüthenden des alten Fatum aufspringen macht, sondern den dumpfen. schmerzlichen Klang, der in gewissen Augenblicken das Herz berührt und es mit der Erinnerung einer vergangenen Handlung peinigt . . . eine Pein, deren nagende Qualen ein Übel graben, das sich bis zum Tode immer mehr vertieft.
Dann trat in der Seele dieses.Mannes noch ein Augenblick des Zögerns ein. Schon mehre Male hatte er, und zwar ohne eine andere Regung, als die des Kampfes eines Richters mit dem Angeklagten, die Todesstrafe gegen die Angeschuldigten gefordert, und die Hinrichtung dieser Angeschuldigten, in Folge seiner niederschmetternden Beredsamkeit, welche die Richter oder die Jury hinriß, vollzogen, hatte nicht einmal eine Wolke auf seiner Stirne zurückgelassen, denn diese Angeklagten waren Schuldige, oder Villefort hielt sie wenigstens für solche. Aber diesmal war es etwas ganz Anderes; er hatte die lebenslängliche Gefängnisstrafe auf einen Unschuldigen angewendet, welcher glücklich werden sollte, und dem er nicht nur seine Freiheit, sondern sein Glück zerstörte: diesmal war er nicht mehr Richter, sondern Henker.
Dies bedenkend fühlte er das von uns beschriebene dumpfe Klopfen, welches ihm bis dahin unbekannt geblieben war. Es ertönte im Grunde seines Herzens und erfüllte seine Brust mit einer unbestimmten Bangigkeit. So wird durch ein instinktartiges, heftiges Leiden der Verwundete benachrichtigt, der nie, ohne zu zittern, den Finger seiner offenen, blutenden Wunde nähert, ehe sich diese Wunde wieder geschlossen hat.
Aber die Wunde, welche Villefort erhalten, gehörte zu denjenigen. die sich nie schließen oder sich nur schließen, um sich noch blutiger, noch schmerzlicher als zuvor zu öffnen.
Wenn in diesem Augenblick die sanfte Stimme von Renée an sein Ohr geklungen hätte, um Gnade zu erbitten. wenn die schöne Mercedes eingetreten wäre und zu ihm gesagt hätte: »Im Namen Gottes, der uns sieht und richtet, geben Sie mir meinen Bräutigam wieder.« ja, dann würde diese halb unter die Notwendigkeit gebeugte Stirne sich gänzlich gebeugt haben, und er hätte ohne Zweifel mit seinen eisigen Händen, Alles wagend, was daraus für ihn entspringen konnte, den Befehl unterzeichnet. Dantes in Freiheit zu setzen. Aber keine Stimme murmelte in der Stille, und die Thüre öffnete sich nur, um den Kammerdiener von Villefort einzulassen, der ihm meldete, die Postpferde wären an den Reisewagen gespannt.
Villefort erhob sich oder er sprang vielmehr auf, wie ein Mensch, der in einem inneren Kampfe triumphiert. steckte alles Gold in seine Taschen, das in einer von den, Schubladen lag, und warf, die Hand an der Stirne und Worte ohne Folge murmelnd, einen scheuen Blick im Zimmer umher. Dann als er fühlte, daß ihm sein Kammerdiener den Mantel auf die Schultern legte, ging er rasch aus dem Zimmer, sprang in den Wagen und befahl mit kurzem Tone nach der Rue-du-Grand-Cours zu Herrn von Saint-Meran zu fahren.
Der unglückliche Dantes war verurteilt.
Villefort fand. wie es Herrn von Saint-Meran versprochen hatte, die Marquise und Renée in dem Cabinet. Als der junge Mann Renée erblickte, bebte er, denn er glaubte, sie wurde abermals die Freiheit von Dantes von ihm fordern. Aber ach, zur Schmach unserer Selbstsucht müssen wir bekennen, das schöne junge Mädchen war nur mit Einem beschäftigt: mit der Abreise von Villefort.
Sie liebte Villefort. Villefort schickte sich an, in dem Augenblicke abzureisen, wo er ihr Gatte werden sollte; Villefort konnte nicht sagen, wann er zurückkommen würde, und statt Dantes zu beklagen, verfluchte sie den Mann, der sie durch sein Verbrechen von ihrem Geliebten trennte.
Was sollte also Mercedes sagen?
Die arme Mercedes hatte an der Ecke der Rue de la Loge Fernand wiedergefunden, der ihr gefolgt war. Sie kehrte zu den Cataloniern zurück und warf sich sterbend, in Verzweiflung auf ihr Bett. Vor dieses Bett kniete Fernand nieder, und er drückte ihre eisige Hand, ohne daß Mercedes daran dachte, sie zurückzuziehen. Er bedeckte sie mit brennenden Küssen, welche Mercedes nicht einmal fühlte.
So brachte sie die Nacht hin. Die Lampe erlosch. als kein Öl mehr darin war. Sie bemerkte ebenso wenig die Dunkelheit, als sie das Licht wahrgenommen hatte, und der Tag kehrte zurück, ohne daß sie ihn sah.
Der Schmerz hatte eine Binde um ihre Augen gelegt, welche sie nur Edmond sehen ließ.
»Ah! Ihr seid hier,« sagte sie endlich, nach Fernand sich umwendend.
»Seit gestern habe ich Euch nicht verlassen,« antwortete Fernand mit einem schmerzlichen Seufzer . . . .
Herr Morrel hielt sich nicht für geschlagen, er erfuhr, daß man Dantes in Folge eines Verhörs in das Gefängnis gebracht hatte; da lief er zu allen seinen Freunden. besuchte die Personen in Marseille, welche Einfluß haben konnten, aber bereits hatte sich das Gerücht verbreitet, der junge Mann wäre als bonapartistischer Agent verhaftet worden, und da selbst die Verwegensten damals jeden Versuch von Napoleon, den Thron wieder zu besteigen, als einen wahnsinnigen Traum betrachteten, so fand er nur Kälte, Furcht, Weigerung, und kehrte voll Verzweiflung nach Hause, gestand sich aber dabei, die Lage der Dinge sei sehr ernst und Niemand vermöge dabei etwas zu tun.
Caderousse war äußerst unruhig und von den peinlichsten Gefühlen gequält; statt auszugehen. wie es Herr Morrel getan hatte, statt etwas zu Gunsten von Dantes zu versuchen, für den er übrigens nichts zu tun im Stande war, schloß er mit sich zwei Flaschen Wein ein und trachtete danach. seine Unruhe in der Trunkenheit zu ersäufen. Aber in dem Geisteszustande, in welchem er sich befand, waren zwei Flaschen zu wenig. um sein Gewissen zu ersticken; er blieb also, zu trunken, um andern Wein zu holen, nicht so sehr trunken, daß der Rausch die Erinnerung in ihm getötet hätte, seinen zwei leeren Flaschen gegenüber mit den Ellbogen auf einen hinkenden Tisch gestützt und sah um sich her im Reflexe seines Lichtes mit dem langen Dochte alle Gespenster tanzen, welche Hoffmann auf seine von Punsch durchnäßten Manuscripte wie einen schwarzen, phantastischen Staub gestreut hat.
Danglars allein war weder gequält, noch beunruhigt; Danglars war sogar freudig, denn er hatte sich an einem Feinde gerächt und seinen Platz an Bord des Pharaon gesichert, den er zu verlieren befürchtete; Danglars war einer von den berechnenden Menschen, welche mit einer Feder hinter dem Ohr und einem Tintenfasse an der Stelle des Herzens geboren werden. Alles war für ihn in dieser Welt Subtraction oder Multiplication, und eine Zahl erschien ihm viel kostbarer, als ein Mensch, wenn diese Zahl die Summe zu vermehren im Stande war, die dieser Mensch vermindern konnte.
Danglars legte sich frühzeitig zu Bette und schlief ruhig.
Nachdem Villefort den Brief von Herrn von Salvieux empfangen. Renée die beiden Wangen und der Marquise von Saint-Meran die Hand geküßt. dem Marquis aber die Hand gedrückt hatte, reiste er in aller Eile auf der Straße nach Aix ab;
Der Vater Dantes starb beinahe vor Schmerz und Unruhe.
Was aus Edmond geworden war, wissen wir.
Zehntes Kapitel.
Das kleine Cabinet der Tuilerien
Verlassen wir Villefort auf der Straße nach Paris, auf der er mittelst der dreifachen Trinkgelder, die er bezahlt, mit Windeseile hinfliegt, und dringen wir durch zwei oder drei Salons, welche diesem kleinen Cabinet der Tuilerien mit dem Bogenfenster vorhergehen, das so wohl bekannt ist, denn es war das Lieblingscabinet von Napoleon und Ludwig XVIII., und ist noch gegenwärtig das von Louis Philipp.
Vor einem Tische von Nußbaumholz sitzend, den er von Hartwell zurückgebracht hatte und in einer von den, hohen Personen eigenthümlichen, Manien ganz besonders liebte, hörte Ludwig XVIII. ziemlich oberflächlich auf einen Mann von fünfzig bis zwei und fünfzig Jahren, mit grauen Haaren. aristokratischem Gesichte und ängstlichem Anzug, während er auf den Rand eines Bandes von Horaz in der ziemlich incorrecten, aber geschätzten Ausgabe von Gryphius, welche sich jedoch ganz zu den scharfsinnigen Bemerkungen Seiner Majestät eignete, Randnoten machte.
»Sie sagen also?« sprach der König.
»Daß ich im höchsten Grade beunruhigt bin.«
»Wirklich, sollten Sie im Träume sieben fette und sieben magere Kühe gesehen haben?«
»Nein, denn das würde uns nur sieben Jahre der Fruchtbarkeit und sieben Jahre der Hungersnot verkündigen, und bei einem so vorsichtigen König, wie Eure Majestät, ist keine Hungersnoth zu befürchten.«
»Von welcher andern Geißel ist denn die Rede, mein lieber Blacas?«
»Sire, ich habe alle Ursache zu glauben, daß sich ein Sturm im Süden bildet.«
»Mein lieber Herzog,« antwortete Ludwig XVIII., »ich halte Sie für schlecht unterrichtet und weiß gewiss, daß das Wetter in jener Richtung ganz schön ist.«
Ein so geistreicher Mann Ludwig XVIII., auch war, so liebte er dennoch den Scherz.
»Sire, könnte Euere Majestät, und wäre es nur um einen treuen Diener zu beruhigen, nicht nach Languedoc, in die Provence und in das Dauphiné sichere Männer schicken, welche ihr einen Bericht über den Geist der drei Provinzen erstatten würden?«
»Canimus surdis, « antwortete der König, während er Noten in seinen Horaz zu machen fortfuhr.
»Sire,« sprach der Höfling und lachte, um sich das Ansehen zu geben, als verstünde er den Vers des Dichters von Venusia, »Euere Majestät kann vollkommen Recht haben, wenn dieselbe auf den guten Geist von Frankreich zählt; aber ich glaube nicht ganz Unrecht zu haben, wenn ich irgend einen verzweifelten Versuch befürchte.«
»Von welcher Seite?«
»Von Seiten Bonaparte’s, oder wenigstens seiner Partei.«
»Mein lieber Blacas,« sagte der König, »Sie hindern mich an der Arbeit mit ihren Schrecknissen.«
»Und Sie, Sire, hindern mich am Schlafe mit Ihrer Sicherheit.«
»Warten Sie. mein Lieber, warten Sie, ich habe eine sehr glückliche Note über den Pastor quum trahere, und Sie fahren nachher fort.«
Es herrschte einen Augenblick Stillschweigen während dessen Ludwig XVIII. mit einer Handschrift, die er so winzig als möglich machte, eine neue Note an den Rand seines Horaz schrieb. Als er diese Note eingeschrieben hatte, sagte er, sich mit der zufriedenen Miene eines Mannes erhebend, der selbst einen Gedanken gehabt zu haben glaubt, weil er den eines Anderen erläutert hat:
»Fahren Sie fort. mein lieber Herzog. fahren Sie fort. ich höre.«
»Sire,« sprach Blacas. der einen Augenblick Villefort zu seinen Gunsten auszubeuten gehofft hatte, »ich bin genötigt, Ihnen zu sagen, daß es nicht nur einfache, jeder Begründung entbehrende Gerüchte, nicht nur aus der Luft gegriffene Neuigkeiten sind, die mich beunruhigen. Ein wohlgesinnter Mann, der mein ganzes Vertrauen verdient, und den ich mit der Überwachung des Südens beauftragt habe,« der Herzog zögerte, als er diese Worte sprach, » . . . kommt so eben in aller Eile herbei und meldet mir: »»Eine große Gefahr bedroht den König.«« Da lief ich hierher.«
»Mala ducis avi domum, « fuhr Ludwig XVIII. Noten schreibend fort.
»Befiehlt mir Eure Majestät, nicht bei diesem Gegenstande zu verweilen?«
»Nein, mein lieber Herzog; aber strecken Sie die Hand aus.«
»Welche?«
»Welche Sie wollen; da unten. links.«
»Hier, Sire?«
»Ich sage Ihnen links, und Sie suchen rechts, an meiner Linken will ich sagen. Nun sind Sie daran. Sie müssen.den Bericht des Polizeiministers vom gestrigen Datum finden. Doch halt! hier ist Herr Dandré selbst . . . Nicht wahr, Sie sagen Herr Dandré,« sprach Ludwig XVIII., sich an den Huissier wendend, welcher wirklich den Polizeiminister gemeldet hatte.
»Im Sire, der Herr Baron Dandré.«
»Richtig, Baron,« versetzte Ludwig XVIII. einem beinahe unmerklichen Lächeln; »treten Sie ein, Baron, und sagen Sie dem Herzog, was Sie Neuestes von Herrn von Bonaparte wissen? Verbergen Sie uns nichts, was die Lage der Dinge betrifft, so ernst sie auch sein mag. Sprechen Sie. ist die Insel Elba ein Vulkan, und werden wir den Krieg in vollen Flammen von ihr hervorbrechen sehen: bella, horrida bella?«
Herr Dandré wiegte sich sehr anmutig auf dem Rücken eines Lehnstuhles, auf den er seine zwei Hände stützte, und sprach:
»Hat Eure Majestät die Gnade gehabt, den Bericht von gestern zu berücksichtigen?«
»Ja, ja; aber sagen Sie dem Grafen selbst, der ihn nicht finden kann, was dieser Bericht enthielt. Setzen Sie ihm auseinander, was der Usurpator auf seiner Insel tut.«
»Mein Herr, Majestät sprach der Baron zu dem Grafen, »alle Diener Seiner Majestät dürfen sich beglückwünschen über die neuesten Nachrichten, die uns von der Insel Elba zukommen. Bonaparte . . . «
Herr Dandré schaute Ludwig XVIII. An, der, mit dem Schreiben einer Note beschäftigt, nicht einmal den Kopf aufrichtete.
»Bonaparte,« fuhr der Baron forte »langweilt sich um Sterben. Er bringt ganze Tage damit hin, daß er seine Gräber in Porto Longone arbeiten sieht.«
»Und er kratzt sich zu feiner Unterhaltung,« sprach der König.
»Er kratzt sich! was will Euere Majestät damit sagen«
»Ei, mein lieber Graf, vergessen Sie, daß dieser große Mann, dieser Held, dieser Halbgott an einer Hautkrankheit leidet, die ihn verzehrt? Prurigo!«
»Noch mehr, mein Herr Graf,« fuhr der Polizeiminister fort, »wir haben beinahe vollkommene Gewißheit, daß der Usurpator in kurzer Zeit ein Narr werden wird.«
»Ein Narr?«
»Ein Narr zum Binden; sein Kopf schwächt sich. Bald vergießt er heiße Tränen, bald lacht er aus vollem Halse. Dann bringt er ganze Stunden an dem Ufer damit zu, daß er Kieselsteine in das Wasser wirft, und wenn der Stein fünf bis sechs mal aufgeprallt ist, scheint er so zufrieden, als ob er ein zweites Marengo oder ein neues Austerlitz gewonnen hätte, Sie werden zugeben: das sind Zeichen der Narrheit.«
»Oder der Weisheit, mein Herr Baron, oder der Weisheit,« sagte Ludwig XVIII., »denn die großen Feldherren des Altertums belustigten sich damit, daß sie Kieselsteine in das Wasser warfen. Sehen Sie Plutarch, bei dem Leben Scipio des Africaners.«
Herr von Blacas blieb träumerisch zwischen diesen zwei Sorglosen. Villefort, der ihm nicht hatte Alles sagen wollen, damit ihm nicht ein Anderer den ganzen Nutzen seines Geheimnisses entziehe, hatte ihm jedoch genug gesagt, um ihn in große Unruhe zu versetzen.
»Fahren Sie forte Dandré,« sprach Ludwig XVIII., »Blacas ist noch nicht überzeugt, er glaubt noch nicht an die Bekehrung des Usurpators.«
Der Polizeiminister verbeugte sich.
»Bekehrung des Usurpators!« murmelte der Graf und schaute den König und Dandré an, welche abwechselten wie zwei Schäfer von Virgil. »Der Usurpator ist bekehrt!«
»Vollkommen, mein lieber Graf.«
»Aber wozu bekehrt?«
»Zu guten Grundsätzen. Erklären Sie das, Baron.«
»Hören Sie, mein lieber Graf, wie sich:diese Sache verhält,« sprach der Minister mit dem größten Ernste der Welt. »Kürzlich hielt Napoleon eine Revue, und als ein paar Murrköpfe, wie er sie nennt, das Verlangen, nach Frankreich zurückzukehren, äußerten, gab er ihnen ihren Abschied und ermahnte sie dabei, ihrem guten Könige zu dienen. Das waren seine eigenen Worte, mein Herr Graf, ich weiß es ganz gewiss.«
»Nun, Blacas, was denken Sie davon?« sprach der König triumphierend, indem er einen Augenblick den großen Scholiasten, der vor ihm lag, zu durchblättern aufhörte.
»Ich sage, Sire, daß einer von uns Beiden sich täuscht, entweder der Polizeiminister oder ich; da aber dem Polizeiminister die Bewachung des Heils und der Ehre Euerer Majestät übertragen ist, so bin ich ohne Zweifel in einem Irrtum begriffen. An der Stelle Euerer Majestät würde ich übrigens die Person befragen, von der ich gesprochen habe. Ich wage es sogar, darauf zu bestehen, daß Euere Majestät ihr diese Ehre erweist.«
»Gerne, Graf, unter Ihren Auspicien empfange ich, wen Sie wollen. Doch ich will ihn die Waffen in der Hand empfangen. Herr Minister, haben Sie einen neueren Bericht, als diesen hier, denn dieser ist schon vom 20. Februar, und wir haben heute den 3. März?«
»Nein, Sire, aber ich erwarte jeden Augenblick einen. Ich bin schon am Morgen ausgegangen, und er ist vielleicht während meiner Abwesenheit eingetroffen.«
»Gehen Sie auf die Präfectur, und wenn keiner da ist, . . . nun, nun,« fuhr Ludwig XVIII. lachend fort, »so machen Sie einen, denn nicht wahr, so treibt man das doch gewöhnlich?«
»Oh! Sire,« antwortete der Minister, »es ist Gott sei Dank in dieser Hinsicht nicht nötig, etwas zu erfinden. Jeden Tag überhäuft man unsere Kanzlei mit den umständlichsten Denunciationen, die von einer Menge armer Schlucker herrühren, welche auf eine gewisse Belohnung für die Dienste hoffen, die sie nicht leisten, aber gerne leisten möchten. Sie rechnen auf den Zufall und denken, irgend ein unerwartetes Ereignis werde eines Tages ihren Prophezeiungen eine Art von Wahrheit verleihen.«
»Gut, gehen Sie, mein Herr,« sprach Ludwig XVIII., »und bedenken Sie, daß ich Sie erwarte.«
»Ich eile, Sire, und bin in zehn Minuten wieder zurück.«
»Und ich, Sire,« sprach Herr von Blacas, »ich hole meinen Boten.«
»Warten Sie doch, warten Sie doch,« sagte Ludwig XVIII. »In der Tat, Blacas, ich muß Ihr Wappen verändern, ich gebe Ihnen einen Adler mit ausgebreiteten Schwingen, der in seinen Klauen eine Beute hält, welche vergebens ihm zu entkommen sucht, mit dem Wahlspruche: Tenax.«
»Sire, ich höre,« sagte Herr von Blacas, vor Ungeduld an den Nägeln kauend.
»Ich wollte Sie über die Stelle: Molli fugies anhelitu um Rath fragen. Sie wissen, es handelt sich von dem Hirsche, der vor dem Wolfe flieht. Sind Sie nicht selbst Jäger und Oberjägermeister bei der Wolfsjagd? Wie finden Sie bei diesem doppelten Titel das molli anhelitu?«
»Bewunderungswürdig, Sire, aber mein Bote ist wie der Hirsch, von dem Sie sprechen, denn er hat 220 Lieues in einem Zuge, und zwar in kaum drei Tagen gemacht.«
»Das heißt viel Anstrengung und Sorge übernehmen, während wir den Telegraphen haben, der nur drei bis vier Stunden dazu braucht, ohne daß sein Atem im Geringsten darunter leidet.«
»Ach! Sire, Sie belohnen diesen armen jungen Mann sehr schlecht, während er von so fern herkommt und sich so eifrig zeigt, um Euerer Majestät eine nützliche Kunde zu geben. Ich bitte, empfangen Sie ihn gut, und wäre es nur Herrn von Salvieux zu Liebe, der ihn mir empfiehlt.«
»Herr von Salvieux, der Kammerherr meines Bruders?«
»Er selbst.«
»In der Tat, er ist in Marseille.«
»Von dort aus schreibt er mir.«
»Spricht er auch von dieser Meuterei?«
»Nein, aber er empfiehlt mir Herrn von Villefort, und beauftragte mich, denselben bei Eurer Majestät einzuführen.«
»Herr von Villefort,« rief der König; »der Bote nennt sich also Herr von Villefort?«
»Ja, Sire.«
»Und er kommt von Marseille?«
»In Person.«
»Warum nannten Sie mir seinen Namen nicht sogleich?« versetzte der König, und ein Anfang von Unruhe trat auf seinem Gesichte hervor.
»Sire, ich glaubte, dieser Name wäre Eurer Majestät unbekannt.«
»Nein, nein, Blacas, es ist ein ernster, gebildeter, ehrgeiziger Geist, seinen Vater müssen Sie bei Gott kennen.«
»Seinen Vater!«
»Ja, Noirtier.«
»Noirtier, den Girondisten, Noirtier, den Senator?«
»Allerdings.«
»Und Eure Majestät hat den Sohn eines solchen Menschen angestellt?«
»Blacas, mein Freund, Sie verstehen nichts hiervon, ich habe Ihnen gesagt, Villefort wäre ehrgeizig: um zu steigen, wird Villefort Alles opfern, selbst seinen Vater.«
»Ich soll ihn also eintreten lassen, Sire?«
»Auf der Steller Graf, wo ist er?«
»Er muß mich unten in meinem Wagen erwarten.«
»Dann holen Sie ihn.«
»Ich laufe.«
Der Graf entfernte sich mit der Lebhaftigkeit eines jungen Menschen. Der Eifer seines aufrichtigen Royalismus gab ihm zwanzig Jahre.
Ludwig XVIII. blieb allein. Er wandte die Augen wieder seinem geöffneten Horaz zu und murmelte:
Justum et tenacem propositi virum.
Herr von Blacas stieg mit derselben Geschwindigkeit wieder herauf, mit der er hinabgestiegen war. Aber im Vorzimmer sah er sich genötigt, die Autorität des Königs anzurufen. Die bestaubte Kleidung von Villefort, sein in keiner Beziehung mit der Vorschrift des Hofes im Einklange stehendes Costume erregten die Empfindlichkeit von Herrn von Brezé, der ganz darüber erstaunt war, daß dieser junge Mann es sich anmaßte, so gekleidet vor dem.König erscheinen zu wollen. Doch der Graf beseitigte alle Schwierigkeiten mit dem einzigen Worte: Befehl Seiner Majestät. Und Villefort wurde, trotz aller Bemerkungen, die der Ceremonienmeister zur Ehre des Grundsatzes zu machen fortfuhr, bei dem.König eingeführt.
Ludwig XVIII. saß auf demselben Platze, wo ihn der Graf gelassen hatte. Als Villefort die Thüre öffnete, befand er sich dem.König gegenüber: der junge Mann blieb auf der Stelle stehen.
»Treten Sie ein, Herr von Villefort,« sagte der König.
Villefort verbeugte sich, machte einige Schritte vorwärts und wartete darauf, daß ihn der König befragen würde.
»Herr von Villefort,« fuhr Ludwig XVIII. Fort, »hier ist der Herr Graf von Blacas, welcher behauptet, Sie haben mir etwas Wichtiges mitzuteilen.«
»Sire, der Herr Graf hat Recht, und ich hoffe Euere Majestät wird es selbst erkennen.«
»Zuerst und vor Allem, mein Herr: ist das Übel Ihrer Meinung nach, so groß, als man mich glauben machen will?«
»Sire, ich halte die Sache für sehr dringend, aber bei der Eile, die ich angewendet habe, scheint mir das Übel nicht unwiederbringlich.«
»Sprechen Sie ausführlich, wenn Sie wollen, mein Herr,« sagte der König, der sich selbst der Aufregung zu überlassen begann, welche das Gesicht von Herrn von Blacas verstört hatte, und die Stimme von Villefort beben machte. »Sprechen Sie und geben Sie besonders vom Anfang aus: ich liebe in allen Dingen die Ordnung.«
»Sire,« sagte Villefort, »ich werde Euerer Majestät einen getreuen Bericht erstatten; aber ich bitte mich zu entschuldigen, wenn die Unruhe, in der ich bin, einige Dunkelheit in meine Worte bringt.«
Ein Blick nach diesem Eingange auf den König geworfen versicherte Villefort des Wohlwollens seines erhabenen Zuhörers, und er fuhr fort:
»Sire, ich bin so rasch als möglich nach Paris gereist, um Euerer Majestät mitzuteilen, daß ich im Kreise meiner Funktionen, nicht eines von den gewöhnlichen und folgelosen Komplotten, wie sie täglich in den untersten Stufen des Volkes und der Armee angezettelt werden, sondern eine wirkliche Verschwörung, einen Sturm entdeckt habe, der nichts weniger als den Thron Euerer Majestät bedroht. Sire, der Usurpator bemannt drei Schiffe. Er beabsichtigt die Ausführung eines vielleicht wahnsinnigen Planes, der jedoch furchtbar ist, so wahnsinnig er auch sein mag. Zu dieser Stunde muß er die Insel Elba verlassen haben, um, ich weiß nicht wohin zu gehen, aber sicherlich, um eine Landung in Neapel, auf der Küste von Toscana oder gar in Frankreich zu versuchen. Euerer Majestät ist es nicht unbekannt, daß der Souverän der Insel Elba Verbindungen mit Italien und Frankreich unterhalten hat.«
»Ja, mein Herr, ich weiß es,« sprach der.König sehr bewegt, »und noch kürzlich hat man Kunde erhalten; daß bonapartistische Versammlungen in der Rue Saint-Jacques stattgefunden haben. Doch fahren Sie fort, ich bitte Sie, Woher wissen Sie diese einzelnen Umstände?«