Kitabı oku: «Der Schiffs-Capitain», sayfa 11
XVIII
Die Marquise schloß die Thüre hinter ihnen ab, that einige Schritte vorwärts und ging, ohne Paul anzusehen, um sich auf den Sessel zu stützen, wo der Marquis des Abends vorher saß, um den Contract zu unterschreiben. Da blieb sie stehen mit zur Erde gesenktem Blicke. Paul wäre gern vor ihr niedergekniet, aber auf dem Gesichte dieser Frau war eine solche Strenge, daß er das Aufwallen seines Herzens unterdrückte und wartete, ohne sich zu rühren. Nach einigen Augenblicken eines eiskalten Schweigens, nahm die Dame zuerst das Wort: »Sie haben mich zu sprechen verlangt, mein Herr, und ich bin gekommen; sie haben mit mir zu reden gewünscht: ich höre.«
Diese Worte kamen aus ihrem Munde, ohne daß sie eine Bewegung machte. Nur die Lippen bebten eher, als daß sie lächelten; man hätte sagen können, eine marmorne Bildsäule spreche.
»Ja, gnädige Frau!« versetzte Paul mit weinender Stimme.
»Ja, ja, ich habe gewünscht, sie zu sprechen. Es ist schon sehr lange her, als dieser Wunsch zuerst in mein Herz kam, aus dem er nie mehr gewichen ist. Ich hatte Erinnerungen aus der Kindheit, welche den Mann quälten. Ich erinnerte mich einer Frau, die sich zu meiner Wiege schlich, und die ich in meinen jugendlichen Träumen für den Schutzengel meiner ersten Jahre hielt. Seit dieser so entfernten und doch in mir so lebendigen Epoche, bin ich – glauben sie mirs, gnädige Frau! – mehr als einmal bebend erwacht, als wenn ich auf meiner Stirne den Eindruck des mütterlichen Kusses gefühlt, und dann, wenn ich Niemand bei mir erblickte, rief ich sie, die ich durch meine Stimme herbei rufen zu können hoffte! So rufe ich seit zwanzig Jahren, gnädige Frau, und zum ersten Male antwortet sie mir. Wäre es wahr, wie ich zu denken oft geschaudert habe, daß sie gezittert hätten, mich zu sehen? Wahr, wie ich es in diesem Augenblicke fürchten muß, daß sie mir nichts zu sagen hätten?«
»Und wenn ich ihre Zurückkunft gefürchtet hätte,« sprach die Marquise mit dumpfem Tone, »hätte ich Unrecht gehabt? Nur gestern sind sie mir erschienen, und das schreckliche Geheimniß, daß nur von Gott und von mir erkannt sein sollte, ist meinen beiden Kindern nicht mehr fremd!«
»Ists denn meine Schuld,« rief Paul, »wenn Gott es über sich nahm, es ihnen zu entdecken? bin ichs, der die zitternde, verweinte Margarethe zu ihrem sterbenden Vater führte, dessen Schutz sie erflehen wollte und dessen Beichte sie hörte? War ichs, der sie zu Achard brachte, und kamen sie ihr nicht dorthin nach? Was Manuel betrifft, so bezeugt der Schuß, den sie gehört haben, und dieser zerschmetterte Spiegel , daß ich lieber sterben, als mein Leben auf Kosten ihres Geheimnisses retten wollte. Nein, nein, glauben sie mir, gnädige Frau, ich bin nur das Werkzeug, nicht der Arm, die Wirkung, nicht die Ursache! Gott hat nach seiner unendlichen Weisheit: Alles so geleitet, daß sie zwei Kinder zu ihren Füßen sehen sollten, wie sie gesehen haben, die sie so lange aus ihren Armen entfernten!«
»Aber – es gibt ein Drittes,« sagte endlich die Marquise mit einer Stimme, durch welche endlich einiges Gefühl durchzudringen begann, »und ich weiß nicht, was ich von diesem zu erwarten habe!«
»Lassen fiel mich die letzte Pflicht erfüllen, gnädige Frau, und dann – knieend ihre Befehle erwarten.« -
»Und welche Pflicht?« fragte sie.
»Meinem Bruder den Rang zu geben, auf den er ein Recht hat, und meiner Schwester ihr verlorenes Glück, meiner Mutter aber die Ruhe, um die sie fleht, und die sie nicht finden kann!«
»Und dennoch.« fing die Marquise wieder an, » hat, Dank ihnen, Herr von Maurepas dem, Barone von Lectour das Regiment abgeschlagen, daß er für meinen Sohn nachsuchte!«
»Weil ich es bereits von dem Könige für meinen Bruder erhalten hatte!« sprach Paul, zog die Bestallung hervor und legte sie auf den Tisch.
Die Marquise warf die Augen darauf und las wirklich Manuels Namen.
»Und doch,« fuhr sie fort, »willst du Margarethen einen Mann geben, ohne Namen und Vermögen und – was noch mehr ist! – einem Verbannten!«
»Sie irren sich, gnädige Frau; ich will sie Dem geben, den sie liebt; ich will Margarethen nicht Lusignan dem Verbannten, sondern dem Herrn Baron Anatole von Lusignan, Statthalter Sr. Majestät auf der Insel Guadeloupe geben. Hier ist eine Beförderung.«
Die Marquise warf einen zweiten Blick auf das Pergament und sah abermals, daß ihr Paul die Wahrheit gesagt hatte.
»Ja, ich gebe zu, daß für Manuels Ehrgeiz und Margarethens Glück gesorgt ist« sprach sie .
Und zugleich für ihre Ruhe, gnädige Frau, denn Manuel geht zu seinem Regimente, Margarethe folgt ihrem Gemahle und sie bleiben allein, wie sie – ach so viele Mal gewünscht haben.«
Die Marquise seufzte. – »Nicht so, gnädige Frau, hätte ich mich getäuscht?« fuhr Paul fort.
»Aber,« murmelte sie, wie soll ich mich von dem Barone von Lectour los machen?«
»Der Marquis ist todt. Ist das nicht eine hinreichende Ursache zum Aufschube einer Heirath, wenn der Vater, der Gatte stirbt? . . .«
Statt aller Antwort, setzte sie sich in den Sessel, nahm eine Feder und Papier, schrieb einige Zeilen, brach den Brief zusammen, schrieb den Namen des Barons von Lectour darauf und klingelte, Nach einer Pause, kam ein Diener.
»Bringt diesen Brief in zwei Stunden dem Baron von Lectour! « befahl sie.
Der Bediente entfernte sich mit dem Briefe.
»Jetzt,« fuhr die Marquise fort, Paul ansehend, »da den Unschuldigen Gerechtigkeit wiederfahren ist, so verzeihen sie der Strafbaren. Sie haben Papiere, die ihre Geburt beweisen; sie sind der Aelteste; und haben wenigstens nach dem Gesetze, Ansprüche auf den Namen und das Vermögen Manuels und Margarethens. Was wollen sie Auslösung für diese Papiere?«
Paul zog sie aus der Tasche, und hielt sie über die Flamme des Kaminfeuers.
»Erlauben sie mir nur ein einziges Mal, daß ich sie Mutter nennen darf, heißen sie mich nur ein einziges Mal ihren Sohn!«
»Ist's möglich!« rief sie, und stand auf.
»Sie reden von Rang, Namen, Vermögen!« fuhr Paul fort, mit dem Ausdrucke der tiefsten Schwermuth, das Haupt schüttelnd, »ach! wozu bedarf ich alles dieses? ich habe mich zu einem Range emporgeschwungen, den Wenige meines Alters erreichten; ich habe mir einen Namen erworben, der einem Volke ein Seegen, und einem andern ein Schrecken ist; wenn ich wollte, könnte ich ein Vermögen sammeln, um einen Fürsten auszustatten. Was bedarf ich also ihres Ranges, ihres Namens, ihres Vermögens. Wenn sie mir nichts Anderes anzubieten haben, wenn sie mir das nicht geben, was mir immer, und allenthalben gefehlt hat, was ich mir nicht schaffen kann, und Gott mir gewährte, das Unglück aber zurücknahm . . . was fiel allein mir geben können . . . eine Mutter!«
»Mein Sohn!« rief die Marquise, überwunden von diesen Ausdrücken, von diesen Thränen, »mein Sohn!. . . mein Sohn! . . . mein Sohn! . . .«
»Ha!« schrie Paul, und ließ die Papiere in das Feuer fallen, das sie sogleich vernichtete, »endlich dringt der ersehnte Ruf aus ihrem Herzen, um den ich flehte! – Gott, mein Gott! ich danke dir!«
Die Marquise war in den Stuhl gesunken, Paul kniete vor ihr, den Kopf in ihrer Brust verborgen. Endlich hob die seine Stirne in die Höhe.
»Sieh mich an,« sprach sie, »seit zwanzig Jahren sind das meine ersten Thränen! gieb mir deine Hand,« sie drückte sie an ihr Herz, »seit zwanzig Jahren ist es das erste Freudengefühl, das in meinem Herzen schlägt! . . . komm in meine Arme! seit zwanzig Jahren gebe und empfange ich die erste Liebkosung! Ohne Zweifel waren diese zwanzig Jahre meine Büßung, weil Gott mir vergiebt, weil er mir jetzt Thränen, Entzücken, Zärtlichkeit wieder giebt! – — Dank dir, mein Gott! . . .
Dank dir, mein Sohn!«
»Meine Mutter!« sprach Paul.
»Und ich zitterte dich wieder zu sehen? ich bebte, als ich dich sah! ich wußte, ich ahnete nicht, welche Empfindungen in meinem eignen Herzen schliefen! O! ich segne – ich segne dich!«
In diesem Augenblicke ertönte die Glocke der Kapelle. Die Marquise schauderte. Es war die Stunde des Begräbnisses. Der Leichnam des edlen Marquis d'Auray, und der des armen Achard wurden zu gleicher Zeit der Erde wieder gegeben. Die Marquise fand auf. »Diese Stunde,« sprach sie, »soll dem Gebete geheiligt sein. Ich entferne mich . . .«
»Morgen reise ich ab, meine Mutter!« sagt Paul zu ihr, »soll ich sie nicht wiedersehen?«
»O ja, ja!« rief sie, »freilich will ich dich wiedersehen!«
»Gut, meine Mutter, auf den Abend werd' ich am Eingange des Parks sein. Dort ist ein Ort, der mir heilig ist, und den ich zum letzten Male besuchen will. Dort erwarte ich sie. Dort, meine Mutter, müssen wir Abschied von einander nehmen!«
»Ich werde kommen!« antwortete sie.
»Hier,« sprach Paul, »hier, meine Mutter, nehmen sie diese Bestattung, und diese Beförderung für Manuel und für Margarethens Gemahl. Das Glück ihrer Kinder komme zu ihnen, durch sie. Glauben sie, meine Mutter, daß sie mir das Meiste gegeben haben!«
Die Marquise schloß sich ein in ihr Gebetgemach. Paul verließ das Schloß, und machte sich auf den Weg zu der Fischerhütte, wo wir ihm schon einmal sich hinbegeben sahen, und bei der seine Zusammenkunft mit Lectour anberaumt war. Hier fand er Lusignan und Walter.
Als die bestimmte Stunde da war, erschien Lectour zu Pferde, sah sich so gut er konnte, in der Gegend um, denn er war ohne Führer, und der Jäger, der ihn begleitete, fremd wie er. Als sie ihn erblickten, kamen die jungen Leute aus der Hütte, und der Baron, der sie gewahr ward, beeilte sich, sie zu erreichen. In gehöriger Entfernung, stieg er ab, und warf den Zügel seines Pferdes, dem Bedienten über den Arm.
»Verzeihung, meine Herren,« sagte er, sich denen nahend, die ihn erwarteten, »daß ich allein zu ihnen komme, wie ein verlornes Schaf; allein die von diesem Herren,« er verbeugte sich gegen Paul, der ihm dankte, »erwählte Stunde, war gerade die zum Begräbniß des Marquis bestimmte; so ließ ich denn Manuel seiner Sohnespflicht genügen, und bin ohne Zeugen gekommen, da ich hoffe, mein Gegner wird großmüthig genug sein, mir einen der seinen zu leihen.«
»Wir stehen zu ihrem Befehle, Herr Baron!« antwortete Paul, »hier sind meine beiden Secundanten. Wählen sie, und der, den sie mit ihrer Wahl beehren, wird sogleich der ihrige!«
»Ich will keinen Vorzug, das schwöre ich ihnen!« antwortete Lectour, »bezeichnen sie also selbst, denjenigen dieser beiden Herren, den sie mir bestimmen zu diesem Dienste!«
»Walter!« sagte Paul, »treten sie auf die Seite des Herren Barons.«
Der Lieutenant gehorchte , beide Gegner begrüßten sich noch einmal.
»Jetzt, mein Herr!« fuhr Paul fort, »vergönnen sie, daß ich einige Worte, nicht der Entschuldigung, sondern der Erklärung, an sie richte.«
»Thun sie es, mein Herr!« sagte Lectour.
»Als ich die Worte zu ihnen sprach, die uns hierher führen, waren die Ereignisse, die seit gestern geschehen sind, noch in der Zukunft verborgen; diese war unsicher, und konnte das Unglück einer ganzen Familie nach sich ziehen. Sie hatten die Frau Marquise d’Auray, Manuel und dem Marquis vor sich, Margarethe nur mich allein. So stand denn alles glücklich für sie. Darum wendete ich mich direkt an sie, denn, wenn ich von ihrer Hand fiel, so konnte die Margarethe, aus Verhältnissen, die ihnen stets unbekannt bleiben werden, nicht heirathen; wenn ich sie tödtete, so war die Sache noch einfacher, und bedarf keines Commentars.«
»Das ist ein Exordium, das nicht logischer sein kann, mein Herr!« lächelte der Baron, und hieb einen Stiefel mit der Reitpeitsche, »kommen sie, wenn es ihnen beliebt, zu der Sache selbst!«
»Jetzt,« versetzte Paul, sich leicht verbeugend, als Zeichen seiner Zustimmung, »ist alles verändert; der Marquis ist todt, Manuel hat seine Bestallung bei einem Regimente, die Marquise entsagt ihrer Verbindung, so ehrenvoll sie auch sein kann, und Margarethe heirathet den Herrn Baron Anatole von Lusignan, den ich ihnen, aus diesem Grunde, nicht zum Zeugen geben konnte.«
»Ha, ha!« sagte Lectour, »das also bedeutet das Billet, welches mir ein Bedienter brachte, als ich das Schloß verließ. Und ich war einfältig genug, es für einen Aufschub zu halten! Es scheint ein Korb in bester Form. Gut, gut, ich erwarte jetzt die Nutzanwendung!«
»Die ist eben so einfach als aufrichtig, mein Herr! Ich kenne sie nicht, ich verlange nicht sie zu kennen; nur der Zufall hat uns einander gegenübergestellt, in entgegengesetztem Interesse, und so geriethen wir an einander. Ich wollte, wie gesagt, dem Schicksale, dem ich mißtraute, ein wenig nachhelfen. Heute ist alles zu einem Punkte gelangt, daß ihr Tod, oder der meine völlig unnütz sein, und der Entwicklung des Dramas nur ein wenig Blut zufügen würde. Aufrichtig gesprochen, Herr Baron, halten sie es der Mühe werth, es zu vergießen?«
»Ich würde vielleicht ihrer Meinung sein, mein Herr!« versetzte Lectour, »wenn ich nicht eine so weite Reise gemacht hätte. Da ich nicht die Ehre habe, das Fräulein d'Auray zu heirathen, so will ich wenigstens das Vergnügen haben, mich mit ihnen zu schlagen. Es soll nicht gesagt werden können, daß ich um Nichts und wieder Nichts nach Unter-Bretagne gekommen bin. Ist so gefällig, mein Herr?« fuhr Lectour fort, zog den Degen, und grüßte seinen Gegner.
»Wie sie wollen, Herr Baron!« antwortete Paul, mit derselben Artigkeit, gleichfalls den Degen ziehend. Die beiden Gegner schritten auf einander zu. Die Klingen kreuzten sich; bei dem dritten Gang flog Lectours Degen zwanzig Schritte weit von ihm weg.
»Ehe wir wieder den Degen ergreifen!« sagte Paul, »mache ich ihnen jetzt meine Entschuldigung, wie vorher meine Erklärung.«
»Diesmal nehme ich sie an,« antwortete Lectour mit derselben ihm eignen Nachlässigkeit wie zuvor. »Heb' den Degen auf, Dick!« Er nahm ihn dem Bedienten aus der Hand und steckte ihn in die Scheide.
»Und nun, meine Herren,« fuhr er fort, »wenn einer von ihnen Aufträge nach Paris hat, ich kehre so eben dahin zurück.«
»Sagen sie dem Könige,« sprach Paul, sich verbeugend und gleichfalls den Degen in die Scheide steckend, »daß ich mich glücklich schätze, den Degen, den er mir gegeben hat, um die Engländer zu bekämpfen, von dem Blute eines meiner Landsleute rein erhalten zu haben.«
Bei diesen Worten grüßten sie sich Alle; Lectour stieg wieder auf ein Pferd, und zwanzig Schritte von den Dünen schlug er den geraden Weg nach Vannes ein, während sein Bedienter den Reisewagen aus dem Schlosse holte.
»Und nun, Herr Walter,« sprach Paul, »schicken sie ein Boot in die Bucht, welche dem Schlosse d'Auray am nächsten ist. Am Bord der Fregatte soll Alles bereit sein, um in dieser Nacht die Anker zu lichten.
Der Lieutenant verfügte sich wieder nach Port-Louis und die beiden Freunde blieben in der Hütte.
»Unterdessen hatten Manuel und Margarethe der traurigen Pflicht genügt, zu der sie die Begräbnißglocke rief. Der Marquis war in die düstre Ahnengruft beigesetzt worden, und Achard ruhte in dem demuthigen Friedhofe der Capelle. Beide Kinder hatten sich wieder zu ihrer Mutter begeben, welche Manuel die so sehr gewünschte Bestallung und Margarethen die so unerwartete Einwilligung in ihre Heirath überreichte. Dann, um die schmerzlichen Aufregungen ihrer innern Empfindungen nicht noch einmal zu erneuern, umarmten sich Mutter und Kinder zum letzten Male und trennten sich mit der geheimen Ueberzeugung: einander nicht wieder zu sehen. Der Rest des Tages verging unter Vorbereitungen zum Abschiede und zur Abreise. Gegen Abende begab sich die Marquise zu der mit Paul verabredeten Zusammenkunft. Als sie über den Hof ging, sah sie auf der einen Seite eine angespannte Equipage, auf der andern den jungen Midshipman Arthur und zwei Matrosen. Ihr Herz erstarrte bei diesem doppelten Anblicke und bei diesen Vorbereitungen. Aber sie setzte ihren Weg in die Tiefe des Parks fort, ohne ihrer Aufregung Raum zu gestatten, so sehr viel Gewalt über sich selbst hatte ihr dieser lange Kampf des Stolzes gegen die Natur gegeben.
Als sie jedoch dahin kam, wo man Achards Haus sehen konnte, blieb sie stehen, denn sie fühlte ihre Kniee wanken; an einen Baum gelehnt, drückte sie die Hand auf ihr Herz, als wollte sie seine Schläge unterdrücken. Den Seelen ähnlich, welche die vorhandene Gefahr nicht zu erschüttern vermag, und die bei der Erinnerung an eine vergangene erzittern, gedachte fiel der vielen Befürchtungen und Erschütterungen, welchen sie seit zwanzig Jahren fast unterlegen war und wie sie jeden Tag in dieses Haus kam, daß nun der Tod verschlossen hatte. Gleichwohl überwand sie auch diese Schwäche, und ihren Weg verfolgend, erreichte sie das Thor des Parks.
Hier stand sie abermals still. Ueber allen Bäumen erhob sich der Wipfel einer riesenförmigen Eiche, deren breiten Laubdom man schon von ferne gewahrte. Oft hatte die Stunden lang ihre Blicke hierher gerichtet, aber nie gewagt in diesem Schatten zu ruhen. Indeß war es hier, wo ihr Paul versprochen hatte, mit ihr zusammen zu kommen, und wo Paul sie erwartete. Endlich gewann sie es über sich, selbst in den Wald zu gehen. Von weiten erblickte sie schon einen Mann, der hier knieete und betete: es war Paul. Sie nahete sich langsam, kniete neben ihn hin und betete auch. Als das Gebet beendet war, erhoben sich Beide, und ohne ein Wort zu sprechen, warf sie ihre Arme um den Hals des jungen Mannes und lehnte das Haupt an seine Schulter. Nach einigen Augenblicken des Schweigens, wo keines von ihnen sich regte, vernahmen sie das Rollen eines Wagens. Die Mutter erbebte und winkte Paul: es war Manuel, der zu seinem Regimente abreiste. Zu gleicher Zeit wies Paul mit der Hand nach einer entgegengesetzten Richtung und zeigte ihr ein Boot, das leicht und geräuschlos übers Meer schwebte, es war Margarethe, die sich zum Schiffe begab.
Die Marquise hörte auf das Rollen des Wagens, so lange man es hören konnte, und ihre Blicke folgten dem Boote, so lange es zu sehen war; dann als jenes sich in der Ferne verlor, und dieses in der Nacht verschwand, kehrte sie sich zu Paul, denn sie begriff, daß auch diesem die die Stunde der Trennung gekommen war.
»Gott segne dich, wie ich dich segne!« sprach sie.
»Ja, Gott segne den frommen Sohn, der zuletzt bei seiner Mutter blieb!«
Und alle ihre Kräfte zusammen nehmend, umarmte sie den vor ihr Knieenden; dann riß sie sich aus seinen Armen und kehrte allein zurück ins Schloß. Des andern Morgens suchten die Bewohner von Port-Louis vergeblich die Fregatte, die seit vierzehn Tagen in dem äußern Hafen von Lorient vor Anker lag und sie noch am Abende zuvor gesehen hatten: – sie war verschwunden, wie das erste Mal, ohne daß man die Ursache ihrer Ankunft, als die Veranlassung zu ihrer Abreise hätte errathen können.
Epilog
Seit diesen Ereignissen waren bereits fünf Jahre vergangen; die Unabhängigkeit der vereinigten Staaten war anerkannt worden. Neu-York, der letzte feste Platz, den die Engländer behaupteten, geräumt. Der Donner des Geschützes, der zu gleicher Zeit in den indischen Meeren und im Golf von Mexico erschollen war, hatte aufgehört auf beiden Oceanen zu dröhnen. In der feierlichen Sitzung des 28. Decembers 1783 hatte Washington seine Stelle als General-Feldmarschall niedergelegt und sich in die Besitzung Montvernon zurückgezogen, ohne eine andere Belohnung anzunehmen, als daß seine Briefe kostenfrei waren, wohin sie gingen und woher sie kamen; und die Ruhe, welche Amerika zu genießen anfing, erstreckte sich bis zu den französischen Kolonien der Antillen, die, da sie am Kriege Theilgenommen hatten, sich mehrmals gegen die feindlichen Versuche von Großbritannien zu vertheidigen gehabt hatten. Unter diesen Inseln war die Insel Guadeloupe die vorzüglich bedrohteste wegen ihrer militairischen und commerciellen Wichtigkeit; aber Dank der Wachsamkeit ihres neuen Statthalters waren die Versuche einer Landung immer gescheitert, und Frankreich hatte in dieser wichtigen Besitzung keinen ernstlichen Unfall zu bedauern gehabt; so daß, zu Anfang des Jahres 1784 die Insel, ohne eines kriegerischen Anscheins beraubt zu sein, welchen sie mehr aus Gewohnheit als aus Nothwendigkeit beibehielt, schon fast ganz der Cultur der verschiedenen Erzeugnisse wiedergegeben war, in denen ihr Reichthum besteht.
Wenn die Leser uns über das atlantische Meer begleiten, und mit uns in den Hafen de la Basseterre landen wollen, verfolgen wir, auf allen Seiten plätschernden Springbrunnen in einer der Straßen, die zu der Promenade von Champ-d'Arband führt; und dann, nachdem wir ein Drittheil ihrer Länge etwa, den frischen Schatten der Tamarinden empfunden haben, die sie von beiden Seiten einfassen, schlagen wir links einen kleinen Fußpfad ein, der zu einem Garten führt, auf dessen Höhe man die ganze Stadt überschaut.
Hier angelangt, athmen wir einen Moment die balsamische Luft eines Maiabends, und werfen einen Blick auf dem Reichthum der tropischen Natur.
Lehnen wir uns an die Waldgebirge mit ihren vulkanischen Inhalt, welche die Mitternachtseite in zwei Abhänge theilt, und, die ein Helmbusch von Rauch und Flammen krönt, so erblicken wir die Hügel von Bellevue, Mont-Defir, Beau-Soleil, Esperance und St. Charles zu unsern Füßen; anmuthig senkt sich die Stadt hernieder zum Meer, dessen, von den letzten Sonnenstrahlen blitzende Fluthen, die Mauern bespühlte. An unserm Horizonte sehen wir rechts, den klaren weiten Spiegel des Oceans, und links, die schönsten und reichsten Pflanzungen der Insel.
In diesem irdischen Paradiese, leben nun seit fünf Jahren Anatole von Lusignan und Margarethe von Auray im stillen Glücke, nach einem viel und kummervoll bewegten Leben; nur die Unruhe über das Geschick der entfernten Freunde, preßte oft ihre Herzen mit schmerzlicher Ahnung.
Indessen hatten sie von Zeit zu Zeit, entweder durch die öffentlichen Blätter oder durch die eingelaufenen Schiffe, Nachricht von dem erhalten, der ihnen ein so gewaltiger Beschützer gewesen war; sie hatten eine Siege erfahren, wie er, als er sie verließ, an der Spitze einer Escadre, die englischen Besitzungen auf der Küste von Acadien zerstört hatte, welches ihm den Titel eines Commodore eingetragen; von einer Schlacht mit den Fregatten Serapis und Scarborugh, welche er nach einem vierstündigen Kampf zwang, sich zu ergeben, und 1781 zum Lohne seiner Dienste, die er der Sache der Unabhängigkeit geleistet hatte, den öffentlichen Dank des Congresses, der ihm eine goldne Medaille zuerkannte, und zum Commandanten der Fregatte Amerika, als den Tapfersten für die schönste Fregatte gewählt, erhielt. Da aber dieses prächtige Schiff durch den Congreß, dem König von Frankreich, zum Ersatz für den Magnifique überlassen worden war, der bei Boston verloren ging, so hatte sich Paul Jones, nachdem er es nach Havre geführt, am Bord der Flotte des Grafen von Vaudreuil begeben, der eine Expedition gegen Jamaika projectierte. Diese letzte Nachricht vermehrte die Freude Lusignans und seiner Gemahlin; denn diese Unternehmung brachte Paul an ihr Gestade zurück, wo sie ihren Bruder und Freund, endlich wieder zu sehen hoffte; allein unterdessen war es Friede geworden, und seit dieser Epoche hatten sie von dem Abentheurer zur See, nicht mehr reden hören.
Am Abend des Tages, wo wir unsere Leser, von dem wilden Küsten der Bretagne auf die fruchtbaren Ufer von Guadelupe versetzten, war die junge Familie, in jenem oben erwähnten Garten, der das ungeheuere Panorama der unten liegenden Stadt, und des mit Inseln besäeten Ozeans in der Nähe und Ferne überschaute, beisammen. Margarethe hatte sich an die Gemächlichkeiten der creolischen Lebensweise schnell gewohnt, und jetzt überließ sie ihren blassen, zarten und anmuthigen Körper, mit ruhig zufriedengestellter Seele, gleich der wilden Lilie den Lufthauch, dem Füßen Far niente, welcher in den Colonieen, für die sinnlichen Existenz, einer Art Halbschlummer bildet, wo die Ereignisse, Träume zu sein scheinen. Sie lag mit ihrer Tochter, in einem von den seidenen Fäden der Aloé gewirkten Hamac, der mit den brennendsten Vogelfedern der tropischen Zone, von den seltensten Arten gestickt war, und ihr Sohn schaukelte sie mit sanfter regelmäßiger Bewegung, während ihre Hand in Lusignans Hand lag, und sich ihr weicher Blick in die unermeßliche Weite verlor. Ihre Seele und alle ihre Sinne, waren trunken von den Genüssen die der Himmel verspricht, und die Erde gewähren kann. In diesem Augenblick, als wenn alles hätte beitragen sollen, das Zaubergemälde zu vervollkommnen, daß sie jeden Abend hier betrachtete, und jedesmal bewundernswürdiger fand, kam ein Schiff, gleich einem König des Oceans, um das Cap der drei Spitzen, schlüpfte über die Oberfläche des Meeres, mit nicht größerer Anstrengung, wie es schien, als ein Schwan der auf den glatten Wasserspiegel spielt. Margarethe erblickte es zuerst, und ohne zu sprechen, denn in diesem sengenden Klima ist jede lebendige Handlung eine Ermüdung, winkte sie mit dem Kopfe Lusignan, der seine Blicke auf die angedeutete Seite richtete und mit den Blicken schweigend den anmuthigen Gang des Schiffes verfolgte. So wie es näher kam und die seinen und zierlichen Einzelheiten seiner Bemastung, mitten in dieser Segelmasse erschienen, die zuerst wie ein am Horizonte hinlaufendes Gewölke sich zeigte, konnte man die amerikanischen Sterne unterscheiden, die sich in gleicher Anzahl als die der vereinten Staaten auf ihrem Azurfelde abzeichnen, Da kam dem Paare dieselbe Idee; von Hoffnung strahlend, begegneten sich ihre Blicke; sie glaubten Nachricht von Paul zu erhalten. Lusignan befahl einem Neger, ein Fernrohr zu bringen; aber noch ehe er damit zurück kam, bewegte ein noch süßerer Gedanke beider Herz: sie erkannten in der sich nahenden Fregatte eine alte Freundin. Wer je doch dieses nicht in der Uebung hat, dem wird es schwer, in einiger Entfernung die dem Auge des Seemannes so deutlichen Zeichen zu unterscheiden, so wagten sie noch nicht, sich der Gewißheit zu überlassen, die sie mehr für eine instinktmäßige Ahnung, als für eine positive Wirklichkeit hielten. Da kam der Neger mit dem gewünschten Sehrohre. Lusignan setzte es an seine Augen und that einen Freudenschrei, indem er es Margarethen gab. Er hatte am Vordertheile des Schiffes Wilhelm Cotus Sculptur erkannt, und es war die Indianerin, die mit gespannten Segeln hier in Basse-terre einlief.
Lusignan hob Margarethen aus ihrem Hamac und setzte sie auf den Boden, denn bei beiden war die erste Bewegung, zum Hafen zu laufen; allein dann bedachten sie, daß Paul die Indianerin seit fünf Jahren verlassen hatte und ihm eine höhere Stellung das Commando eines stärkern Schiffes gegeben, dieses also wohl ein anderer Kapitän führen konnte, und sie blieben mit pochendem Herzen und wankenden Knieen stehen. Unterdessen hatte der kleine Hector das Sehrohr aufgenommen, und an seine Augen gesetzt, wie er es seine Eltern, hatte thun sehen. »Vater!« sagte er, »sieh doch auf dem Verdecke den Officier mit der schwarzen, mit Gold gestickten Redingote, wie mein guter Freund Paul auf dem Gemälde hat!« Lusignan entriß dem Kinde das Instrument, sah hindurch, gab es seiner Frau, die es gleich darauf fallen ließ, und sich in seine Arme warf: beide hatten den jungen Kapitän erkannt, der als er zu seinen Freunden zurückkehrte, das ihnen gewöhnliche Kostüm angelegt hatte. In diesem Augenblicke ging das Schiff vor der Festung vorüber, welche es mit drei Kanonenschüssen begrüßte und Antwort von diesem mit derselben Anzahl von Schüssen erhielt.
Von dem Augenblicke an, wo das junge Ehepaar die Gewißheit erlangt hatte, daß es ein Freund und Bruder sei, der die Indianerin führe, eilte es herunter zu der Rhede, begleitet von Hector, und ließ die kleine Blanche in dem Hamac zurück. Aber auch der Kapitän hatte sie erkannt, so daß zu gleicher Zeit als sie den Garten verließen, er seine Yacht ins Meer setzen ließ und durch die Kraft von zehn wackeren Ruderern aufs schnellste den Raum zurücklegend, der sich vom Ankerplatze zum Festlande erstreckte und sich gerade auf dieses stürzte, als seine Freunde dort anlangten. Dergleichen Empfindungen bezeichnen nur Thränen, nicht Worte; der Ausdruck ihrer Freude glich dem Schmerze! Alle weinten, selbst das Kind, daß auch weinte, weil es sie weinen sah.
Nachdem er einige Befehle, das Schiff betreffend, gegeben hatte, schlug der junge Commodore mit seinen Geschwistern langsam den Weg ein, den sie, um zu ihm zu gelangen, so schnell zurückgelegt hatten. Da die Expedition des Herrn von Vaudreuil fehlgeschlagen, war er nach Philadelphia zurückgekehrt, und da, wie oben erwähnt, der Friede mit England unterzeichnet war, hatte ihm der Congreß, als Gabe der Erkenntlichkeit, das erste Schiff geschenkt, das er als Kapitän geführt hatte.
Bei dieser Erzählung war Lusignan und Margarethe voll Freuden, denn sie hofften, ihr Bruder könne nun auf immer bei ihnen bleiben; allein der Charakter des jungen Seemannes war zu abentheuerlich und strebte zu gewaltig nach Aufregungen, als daß er sich zu dem farblosen und gleichförmigen Leben der Erdbewohner hätte zwingen können. So kündigte er ihnen an, daß er blos acht Tage für sie habe und dann in einem andern Welttheile eine ihm zur Gewohnheit gewordene Lebensweise fortsetzen werde.
Diese acht Tage vergingen wie ein Traum, und so dringend eine Geschwister ihn auch baten, so konnte ihnen doch Paul keine vierundzwanzig Stunden Verlängerung gewähren; er war sich stets gleich geblieben, immer derselbe eifrige, abgeschlossene, geregelte Mann, die genommenen Entschließungen als Pflicht betrachtend und strenger gegen sich, als gegen Andere. So kam die Stunde der Trennung; Margarethe und Lusignan wollten ihn auf sein Schiff begleiten; allein Paul wünschte den Schmerz des Abschiedes nicht zu verlängern. Als sie zum Hafen kamen, umarmten sie einander zum letzten Male, dann sprang er ins Boot, das sich pfeilschnell entfernte. Sie folgten ihm mit ihren Blicken, bis er am Steuerbord der Fregatte verschwunden war, und traurig gingen sie wieder hinauf, um ihn oben auf der Anhöhe im Garten, wo sie ihn ankommen sahen, jetzt abreisen zu sehen. Als sie dahin kamen, herrschte bereits die scharfsinnige Thätigkeit, die dem Augenblicke der Abreise vorhergeht, am Bord der Fregatte. Die an der Schiffswinde versammelten Matrosen fingen an, das Ankertau zu winden, und da die Luft hell und klar war, drang ihr fröhliches, wohlklingendes Geschrei bis zu den Ohren des jungen Paares, Das Schiff drehte sich langsam auf einem Anker; bald erblickte man den doppelten Eisenzahn aus dem Wasser steigen, dann fielen die Segel nach einander von den Stangen, von der Bramstange bis zu den tiefsten, und mit einem beseelten, instinktartigen Trieb begabt, wandte das Schiff sein Vordertheil dem Hafenausgang zu, fing an sich zu bewegen, theilte mit leichter Bewegung die Wellen, als schwebe es über die Oberfläche des Meeres. Dann, als ob nun die Fregatte sich selbst überlassen werden könnte, sah man den jungen Commodore das Hinterdeck besteigen, und seine hier überflüssig gewordene Aufmerksamkeit nach dem Lande richten, das er verließ; Lusignan nahm ein Tuch und gab ein Zeichen, das Paul beantwortete, dann als man einander nicht mehr mit bloßem Auge sehen konnte, nahm jedes eine Zuflucht zum Sehrohr, und durch dieses hilfreiche Werkzeug, verzögerten fiel die Trennung noch um eine Stunde, denn beiden Theilen ahnete es, daß es eine ewige sein würde. Endlich sank das Fahrzeug nach und nach am Horizonte und zugleich brach die Nacht herein; da ließ Lusignan einen Haufen Aeste auf das Plateau bringen, befahl ihn anzuzünden, damit Pauls Blicke, dessen Fregatte anfing sich in der Finsterniß zu verlieren, fortwährend sich zu diesem Pharus richten könnte bis er das Cap des trois Pointes umschifft haben würde; schon seit einer Stunde hatte das Paar das Schiff völlig aus dem Gesicht verloren, das Dank ihres klar und glänzend unterhaltenen Feuerheerdes, die noch erblicken konnte, als eine blitzähnliche Erleuchtung über dem Horizonte hinlief; einige Secunden später ein Kanonenschuß sich hören ließ, der den langen, dumpfen Nachhall des Donners glich, und dann alles in Nacht und Stille versank. Lusignan und Margarethe hatten Pauls letzten Abschiedsgruß erhalten.