Kitabı oku: «Der Schiffs-Capitain», sayfa 6
IX
Der Greis sammelte sich einen Augenblick, dann begann er:
»Sie waren mit einander verlobt. Da weiß Gott, welcher tödtliche Haß ihre Familie plötzlich entzweite und sie trennte. Mit zerrissenen Herzen konnte der Graf von Morlaix nicht mehr in Frankreich bleiben. Er ging nach St. Domingo wo sein Vater eine Besitzung hatte. Ich begleitete ihn, denn der Marquis von Morlaix hatte ein vollkommenes Vertrauen zu mir; ich war der Sohn seiner Amme, hatte gleiche. Erziehung mit ihm genossen, er hieß mich einen Bruder, und ich allein erinnerte mich an den Abstand zwischen mir und ihm. Der Vater, den ich liebte, als sei er der meine gewesen, verließ sich auf mich, und übertrug mir die Sorge für den Sohn. Wir blieben zwei Jahr unter dem tropischen Himmel, und während dieser Zeit suchte dein Vater, als Reisender ohne Zweck und Plan, in den Einsamkeiten dieser herrlichen Insel verloren, als eifriger, unermüdlicher Jäger, die Schmerzen der Seele durch die Ermüdungen des Körpers zu heilen. Aber weit entfernt vom Gelingen, war es, als entzündete sich sein Herz an dieser Gluthsonne immer noch mehr. Nach zwei Jahren des Kampfes und Streites, siegte seine unsinnige Liebe; er mußte sie wiedersehen oder sterben, Ich gab nach, wir reisten ab. Nie war eine, Ueberfahrt glücklicher; Meer und Himmel lächelten; man konnte an fröhliche Vorbedeutungen glauben, Sechs Wochen nach unserer Abreise, von Port-au-Prince landeten wir in Havre.«
»Fräulein von Sablé war verheirathet; der Marquis d'Auray befand sich in Versailles, bei dem Könige Louis XV. die Pflichten seines Standes zu erfüllen, und seine Gemalin, zu leidend um ihn zu begleiten, war in dem alten Schlosse d'Auray geblieben, dessen Thürme du hier siehst.«
»Ja, ja, ich kenne es!« murmelte Paul, »nur weiter.«
»Mir war während unserer Reise ein alter Oheim gestorben, ein Diener des Hauses Auray, und hatte mir dieses Häuschen mit dem dazu gehörigen Felde vermacht, wovon ich Besitz nahm. Dein Vater hatte mich zu Vannes verlassen und mir gesagt: er ginge nach Paris, und seit einem Jahre, daß ich hier wohnte, hatte ich ihn nicht wiedergesehen.«
»In einer Nacht – diese Nacht werden es fünfundzwanzig Jahre! – klopfte es an meine Thür; ich machte auf; dein Vater erschien und trug eine verschleierte Frau in seinen Armen. Er ging in dieses Gemach und legte sie auf das Bett; dann kam er zu mir, der ich ihn stumm und mit Erstaunen im andern Zimmer erwartete, und sagte, indem er seine Hand auf meine Schultern legte und mich bittend ansah, wiewohl er ein Recht hatte, zu befehlen: »Louis, du kannst mehr thun, als mir Ehre und Leben retten; du kannst Ehre und Leben meiner Geliebten retten; nimm ein Pferd, sprenge in die Stadt und komm' in einer Stunde mit einem Arzte zurück.«
»Seine Stimme war kurz, aber dringend, und ich sah ein, daß kein Augenblick zu verlieren sei: also gehorchte ich. Der Tag brach an, als wir wieder kamen. Der Graf führte den Arzt in das Gemach, dessen Thür sie hinter sich schlossen; dort blieben sie den ganzen Tag; um fünf Uhr Abends ging der Arzt fort, und als die Nacht da war, trug dein Vater die verschleierte, geheimnißvolle Frau wieder hinweg, die er gebracht hatte. Ich ging jetzt in das Gemach und fand dich – den Neugeborenen!«
»Und woher bist du überzeugt, daß es die Marquise d’Auray war?« fragte Paul, als wünsche er zweifeln zu können.
»Ha!« antwortete der Greis, »aufs Schrecklichste, Unerwartete! Ich hatte dem Grafen angeboten, dich bei mir zu behalten; er hatte mein Erbieten angenommen und kam von Zeit zu Zeit, eine Stunde bei dir zuzubringen.«
»Allein?« fragte Paul mit Bangigkeit.
»Allein, immer allein!« antwortete Achard.
»Nur hatte ich die Erlaubniß mit dir im Parke spazieren zu gehen: da geschah es, daß die Marquise zuweilen wie von ungefähr dazu kam: dann winkte sie dich zu sich und küßte dich wie ein fremdes Kind, das man gern sieht, weil es schön ist. So vergingen vier Jahre; dann klopfte es wieder in der Nacht an meine Thür: es war dein Vater. Aber düsterer, als das erste Mal, obgleich ruhig. »Louis,« sagte er, »»morgen mit Tagesanbruch schlage ich mich mit dem Marquis d'Auray auf Leben und Tod, und du nur sollst Zeuge ein. So ists beschlossen. Beherberge mich diese Nacht und gieb mir Schreibzeug, . .«« Er setzte sich an diesen Tisch, auf diesen Stuhl, wo du sitzest. (Paul stand auf und setzte sich nicht wieder, sondern lehnte sich an den Stuhl) So wachte er die ganze Nacht über. Mit Tagesanbruch kann er zu mir in das andere Zimmer; ich war fertig, denn ich war nicht zu Bette gegangen. Du, mein armes Kind, schliefst sorglos bei diesem Elende und den menschlichen Leidenschaften in deiner Wiege.«
»Und dann?« —
»Dein Vater neigte sich langsam zu dir, stützte sich an die Mauer und betrachtete dich traurig. »Louis,« sagte er mit dumpfer Stimme, wenn ich getödtet werde, könnte dem Kinde ein Unglück geschehen, dann gieb es mit diesem Briefe Fild, meinem Kammerdiener, der beauftragt ist, es nach Selkirk in Schottland zu bringen und in sichere Hände zu geben. Wenn es fünfundzwanzig Jahr alt ist, wird es dir die Hälfte dieses Goldstücks bringen und Auskunft von dir verlangen über seine Geburt. Du wirst sie ihm geben; denn vielleicht steht dann eine Mutter allein und einzeln. Was diese Papiere betrifft, die sie beweisen, wirst du sie ihm erst nach des Marquis Tode übergeben«
»Nun ist Alles besprochen; laß uns gehen,« sagte er zu mir, »die Stunde ist da.« Er stemmte sich auf deine Wiege, und ob er gleich ein Mann war, sag' ich dir, so sah ich doch auf deine Wange eine Thräne fallen!«
»Weiter!« sprach Paul mit erstickter Stimme.
»Die Zusammenkunft war hundert Schritt von hier in dem Parke selbst. Wie wir hinkamen, fanden wir den Marquis, der uns erwartete. Bei ihm auf einer Bank lagen geladene Pistolen: die Gegner grüßten einander ohne ein Wort zu wechseln, der Marquis zeigte auf die Waffen; jeder nahm ein Pistol und beide gingen, da die Bedingungen im Voraus festgesetzt waren, wie dein Vater mir sagte, stumm und düster dreißig Schritte in die Ferne und schritten dann auseinander zu. Ach! das war ein schrecklicher Augenblick für mich, (fuhr der Greis fort, als habe er diese Scene noch vor Augen) indem ich zwischen diesen beiden Männern den Raum verschwinden sah. Als nur noch zehn Schritt Entfernung stattfand, blieb der Marquis stehen und gab Feuer. . . Ich sah auf deinen Vater, keine Muskel seines Gesichts zuckte, so daß ich ihn für frisch und gesund hielt; er fuhr fort bis zum Marquis zu gehen, und ihm das aufgezogene Pistol auf die Brust setzend,– «
»Er tödtete ihn doch nicht, will ich hoffen!« schrie Paul und faßte den Greis am Arme.
»Er sagte zu ihm: ihr Leben steht in meiner Gewalt, mein Herr, und ich könnte es nehmen; aber ich will, daß sie leben sollen, um mir zu verzeihen, wie ich ihnen verzeihe. Mit diesen Worten fiel er um und war todt; die Kugel des Marquis war ihm durch die Brust gegangen.«
»O mein Vater! mein Vater!« rief der junge Seemann, die Hände ringend, »und er lebt! der Mann, der meinen Vater getödtet hat? er lebt, nicht wahr? er ist noch jung? hat noch die Kraft, einen Degen und ein Pistol zuführen? Wir wollen ihn aufsuchen! . . heute! sogleich! Du wirst zu ihn sagen: Hier ist sein Sohn! Sie müssen sich mit ihm schlagen! Ha! dieser Mann – »dieser Mann! Wehe ihm!«
»Gott hat die Rache übernommen,« sagte Achard; dieser Mann ist – ein Narr!«
»Es ist wahr,« sprach Paul dumpf, ich hatte es vergessen.«
»Und in seiner Narrheit,« fuhr Achard fort, »hat er diese blutige Scene beständig vor Augen und wiederholt die erhabenen Worte, die dein Vater an ihn richtete.«
»Ha! also darum verläßt ihn die Marquise keinen Augenblick?«
»Und darum hat sie, unter dem Vorwande, daß er seine Kinder nicht sehen will, Manuel und Margarethe von ihm entfernt.«
»Arme Schwester!« sprach Paul mit dem Ausdrucke einer unendlichen Zärtlichkeit, und jetzt will sie das Mädchen aufopfern, indem sie den elenden Lectour wider ihren Willen heirathen soll?«
»Ja!« versetzte Achard, »aber dieser elende Lectour führt sie nach Paris, giebt ihrem Bruder ein Dragonerregiment; die Marquise fürchtet nichts so sehr als die Gegenwart ihrer Kinder, ihr Geheimniß bleibt dann zwischen ihr und zwei Greisen, die – Morgen – in dieser Nacht sterben können . . . das Grab ist stumm! – «
»Aber ich, ich!«
»Du! weiß man denn ob du existiert! hast du seit fünfzehn Jahren, als du von Selkirk entliefst, Nachricht von dir gegeben! kann dir nicht auch auf deinem Wege ein Zufall begegnet sein, der dich hinderte zu der Zusammenkunft zu kommen, wo du dich glücklicher Weise eingestellt hast? sicher hat sie dich nicht vergessen. . . aber sie hofft. . .«
»O glaubst du, daß meine Mutter? . . .«
»Vergieb mir! es ist wahr,« antwortete Achard, »ich glaube nichts; ich habe Unrecht! ». . . vergiß, was ich sagte! . . .«
»Ja, ja, reden wir von dir, mein Freund! von meinem Vater!«
»Muß ich hinzusetzen, daß sein letzter Wille vollzogen ward. Fild kam desselben Tages. Du reistest ab. Einundzwanzig Jahre liegen zwischen dieser Epoche, und von derselben an ist kein Tag vergangen, wo ich nicht gewünscht hätte, dich zu bestimmter Zeit wieder zu sehen. Mein Wunsch ist erfüllt. Gott sei gepriesen, du bist da; dein Vater lebt wieder in dir. . . ich sehe ihn wieder. . . ich rede mit ihm . . . ich weine nicht mehr, ich bin getröstet! . . .«
»Und er war todt? . . . todt ohne Hauch, ohne Leben, ohne Hoffnung! auf dem Flecke todt? – «
»Ja, todt! . . . ich trug ihn hierher! . . ., ich legte ihn auf das Bette wo du geboren warst. Ich schloß die Thür, damit Niemand herein konnte, und ging, um sein Grab zu graben. Den ganzen Tag brachte ich zu bei dieser schweren Pflicht, denn nach seinem Wunsche sollte. Niemand in dieses schreckliche Geheimniß eingeweiht werden. Abends holte ich die Leiche. Es ist sonderbar mit dem Menschenherzen, und wie schwer ihm die Hoffnung verläßt, die Gott ihm gegeben hat. . . ich hatte ihn fallen – eine Hände erkalten sehen. . . sein eisiges, Gesicht geküßt . . ihn verlassen, um sein Grab zu machen, und als die Todespflicht vollzogen war, kehrte ich zurück mit klopfendem Herzen, denn mir war es – wiewohl es dazu ein Wunder von Gott bedurft hätte, als müsse sein Leben zurückgekehrt sein, er sich empor richten und mit mir reden! Ich kam nach Hause, ach! ach! die evangelischen Zeiten waren vorüber . . . Lazarus lag ausgestreckt auf seinem Lager, todt, todt, todt!«
» Und der Greis blieb einen Augenblick ohne Sprache, ohne Stimme; schweigend rollten Thränen über seine runzlichten Wangen.
»Ja, ja!« schrie Paul seinerseits in Schluchzen ausbrechend, »ja, nicht wahr, du hast deinen heiligen Auftrag vollzogen? Edles Herz! Laß mich die Hände küssen, die meinen Vater zur Ruhe gebracht haben. Und du bist dem Grabe so treu geblieben, wie dem Leben. Armer Wächter des Grabes, du bist bei ihm geblieben damit einige Thränen das Gras auf dieser unedlen Grube begossen! O! das die, so sich für groß halten, weil ihr Name im Sturme und im Kriege lauter wiederhallt als der Orkan und die Schlacht, gegen dich klein sind, du schweigsamer, pflichtergebener Greis!. . . o! segne, segne mich!« rief er, auf die Knie fallend, »da mein Vater nicht da ist, um mich segnen zu können!«
»Komm in meine Arme, mein Sohn!« sagte der Greis, »du übertreibt meine einfache, natürliche Handlung. Denn glaube mir, was du meine Frömmigkeit nennt, ist nicht ohne Unterricht für mich gewesen. Ich habe einsehen lernen, wie wenig Platz der Mensch auf Erden braucht, und wie schnell er in der Welt verloren geht, wenn der Herr seine Augen von ihm wendet, Dein Vater war jung, voll Muth, voll Aussichten! er war der letzte Abkömmling eines alten Geschlechts, trug einen edlen Namen, man glaubte im Voraus seine Bahn bezeichnet zu sehen, zu irdischen Ehren und Würden . . . er hatte eine Familie. . . Freunde . . . und ach! er verschwand plötzlich, als wäre der Boden unter seinen Füßen gewichen. Gott mag wissen, ob ein bethränter Blick seine Fußtapfen gesucht hat, bis er sie verlor; aber soviel weiß ich, daß seit einundzwanzig Jahren Niemand zu diesem Grabe gekommen ist, und Niemand es weiß, daß er an dem Orte liegt, wo das Gras grüner und buschiger ist. Und dennoch hält sich der stolze, thörichte Mensch für Etwas!«
»Meine Mutter ist nie hingekommen?«
Der Alte schwieg.
»Gut!« fuhr Paul fort, »jetzt werden wir Beide um diese Stelle wissen. Komm, zeige mir sie, denn ich werde zu ihr zurückkehren, jedesmal wenn mein Schiff Frankreichs Küste berühren wird, das schwöre ich!« Bei diesen Worten zog er Achard ins erste Zimmer; aber als sie die Thür aufmachten, hörten sie im Parke ein leichtes Geräusch, es war ein Bedienter aus dem Schlosse, der Margarethen folgte. Paul eilte schnell wieder hinein.
»Es ist meine Schwester!« sagte er zu Achard, »laß mich einen Augenblick mit ihr allein, ich muß mit ihr sprechen! Ich habe ihr etwas zu sagen, daß ihr eine glückliche Nacht geben wird. Wir wollen Mitleiden haben mit denen, die wachen und weinen!«
»Erinnere dich, sagte Achard, »daß das Geheimniß, welches ich dir eröffnet habe, auch das Geheimniß deiner Mutter ist!«
»Sei ruhig, mein alter Freund!« sprach er, und trieb ihn ins zweite Zimmer, »sei ruhig, ich werde nur von ihrem eignen, mit ihr sprechen.«
Und jetzt trat Margarethe ein.
X
Margarethe kam, nach ihrer Gewohnheit, um dem Greis einige Vorräthe zu bringen, und sah nicht ohne Erstaunen, in dem ersten Gemache, wo sie seit zehn Jahren. Niemand gesehen hatte, als Achard, einen schönen jungen Mann, der sie mit sanften Blicken und wohlwollendem Lächeln ansah. Sie winkte den Diener den Korb in einem Winkel abzusetzen; er gehorchte, dann ging er, um seine Herrin draußen zu erwarten. Sie ging auf Paul zu, und sagte:
»Vergeben sie, mein Herr, ich glaubte meinen alten Freund Louis Achard hier zu finden . . . und kam, um ihm von meiner Mutter . . .«
Paul wies mit der Hand nach dem andern Gemach, um anzudeuten, daß er dort sei, zu antworten vermochte er nicht, denn er fühlte, daß der Accent seiner Stimme, eine innere Rührung verrathen möchte. Sie dankte mit einer fast unmerklichen Kopfneigung und ging hinein.
Pauls Blicke folgten ihr, er drückte die Hand auf sein Herz. Diese jungfräuliche Seele, zu der die Liebe nie Zugang gehabt hatte, erschloß sich in ihrer ersten Zartheit der heiligsten Familienliebe. Vereinzelt wie er stets gewesen war, mit keinen andern Freunden als den rauhen Söhnen des Oceans, hatte sich Alles was in seinem Herzen gutes, sanftes und zärtliches war, zu Gott gerichtet, und wiewohl er, vor einem rigoristischen Christen, in seiner Religion nicht völlig orthodox gewesen wäre, so war es doch darum nicht weniger wahr, daß diese Poesie, die in allen seinen Worten überfloß, nichts Anders war, als ein unendliches, ewiges Gebet. Es war also nicht zu verwundern, daß die ersten Empfindungen, die in ein solches Herz drangen, wiewohl durchaus brüderlich, so aufquellend, so ungeregelt waren, wie Regungen der Liebe.
»O!« murmelte er, als sie hinein war, »wie bin ich doch so vereinzelt! wie werd ich's anfangen, wenn du wieder kommt, um dich zu erfassen, in meine Arme zu schließen und zu sprechen: Margaris! meine Schwester! mich hat noch kein Weib geliebt; o liebe du mich schwesterlich! o Mutter! Mutter! indem du mir deine Liebkosungen raubtest, hast du mir auch die, dieses Engels geraubt. Gott gebe dir aber in der Ewigkeit das Glück, das du von dir . . . und von uns entfernt hast! . . .«
»Lebt wohl! lebt wohl!« sagte jetzt Margarethe aus der Thür tretend zu dem Greis, »ich wollte den Abend noch zu euch kommen, denn ich weiß jetzt nicht mehr, wenn ich wieder kommen kann.«
Nachdenkend, gesenkten Hauptes, ohne Paul zu sehen, ohne sich zu erinnern, daß ein junger Mann hier gewesen war, als sie kam, ging sie auf die Thüre zu. Der junge Seemann folgte ihr mit den Augen, streckte die Arme aus, als wolle er sie zurückhalten; er athmete schwerer und seine Augen waren naß. Als sie die Hand auf das Thürschloß legte, rief er
»Margarethe!«
Die junge Dame wandte sich verwundert um, da sie aber diese sonderbare Familiarität eines jungen Mannes, der ihr gänzlich fremd war, nicht begreifen konnte, machte sie die Thür halb auf, um fortzugehen.
»Margarethe!« wiederholte Paul, einen Schritt auf seine Schwester zugehend. »Margarethe! hören sie nicht, daß ich sie rufe?«
»Wohl heiße ich Margarethe!« antwortete sie mit Würde, »aber mein Herr, wie konnte ich glauben, daß ein Fremder mich so nennen darf?«
»Aber sie sind mir nicht fremd!« rief Paul, ging zu ihr, schloß die Thüre wieder zu, und führte sie ins Zimmer zurück, »ich weiß, daß sie unglücklich sind, daß sie keine Seele haben, der sie ihren Kummer vertrauen könnten, keinen Arm, sie zu schützen«
»Sie vergessen Den, der über uns ist!«, sagte Margarethe und hob das Haupt und die Hände zum Himmel.
»Nein, nein, Margarethe, Den vergeß ich nicht; denn eben Er ists, der mich gesendet hat, ihnen anzubieten, was ihnen fehlet, ihnen zu sagen, daß, wenn alle Lippen und alle Herzen für sie verschlossen sind: ich ihr Freund, ihr wohl meinender, ewiger Freund bin!«
»O, mein Herr!« sagte sie leise, »sie sprechen da sehr heilige, sehr feierliche Worte aus! Worte an die ich zum Unglücke ohne Beweise nicht glauben kann!«
»Und wenn ich ihnen nun einen gäbe?«
»Nicht möglich!«
»Einen unwiderleglichen!« fuhr Paul fort.
»Ja dann!« sprach Margarethe mit einem unbeschreiblichen Ausdrucke, wie wenn der Zweifel der Hoffnung Platz machte.
»Nun dann?«
»Ja dann! – aber nein, nein!«
»Kennen sie diesen Ring?« sagte Paul und zeigte ihr den Ring, der das Armband aufschloß.
»Gottes Barmherzigkeit!« schrie sie, »er ist todt !«
»Er lebt!«
»Aber er liebt mich nicht mehr?«
»Er liebt sie!«
»Wenn er lebt und mich liebt – o! ich werde wahnsinnig! – was sagt' ich denn? – ja, wenn er lebt und mich liebt, wie kommt dieser Ring in ihre Hände?«
»Er hat mir ihm anvertraut, als ein Pfand der Erkennung!«
»Hab' ich Jemandem dieses Armband anvertraut?« sprach sie und warf den Ärmel ihres Kleides zurück. »Hier ists!«
»Ja, aber sie, Margarethe, sie sind nicht verbannt, entehrt vor der Welt, mitten in eine verlorene Race geworfen!«
»Was thut das? Ist er nicht schuldlos? ist er nicht geliebt?«
»Dann,« fuhr Paul fort, »hat er gedacht, daß es einem Zartgefühle zukäme, da er von der menschlichen Gesellschaft geschieden ist, ihnen ihre Freiheit zurückzugeben!« (Er sagte dies, um zu sehen, wie weit die Liebe seiner Schwester gehen würde.)
»Wenn ein Weib für einen Mann. Das gethan hat, was ich für ihn gethan habe,« antwortete sie standhaft, »so, daß glauben sie mir, hat es keine andere Entschuldigung, als die, ihn ewig zu lieben, und das ists, was ich thun werde!«
»Ha! sie sind ein Engel!« rief Paul.
»Sagen sie mir,« sprach Margarethe, die Hand des Jünglings ergreifend und ihn bittend anblickte.
»Was?«
»Sie haben ihn also gesehen?«
»Ich bin ein Freund, sein Bruder«. . .
»Ach! dann erzählen sie mir von ihm!« rief sie, sich ganz ihrer Liebe überlassend und vergessend, daß sie einem Manne, den sie zum ersten Male sah, solche Fragen that. »Was macht er? was hofft er? der Unglückliche!«
»Er liebt sie; er hofft sie wieder zu sehen!«
»Dann, dann,« murmelte sie, leise und entfernte sich von ihm; »er hat ihnen Alles gesagt?«
»Alles!«
– »Ach!« rief sie und eine glühende Röthe überflog ihre gewöhnlich blassen Züge; sie senkte das
Haupt.
Paul nahte sich ihr und drückte sie an sein Herz. »Sie sind eine Heilige!« sagte er.
»Und sie verachten mich nicht?« lispelte Margarethe, indem sie aufzublicken wagte.
»Margarethe!« sprach er, »hätte ich eine Schwester, ich würde Gott bitten, daß sie ihnen ähnlich wäre.«
»Ach, da hätten sie eine sehr unglückliche Schwester!« sagte sie und zerfloß in Thränen.
»Vielleicht!« lächelte Paul.
»So wissen sie denn nicht?«
»Was?«
»Daß Herr von Lectour morgen früh ankommt?«
»Ich weiß es!«
»Das man morgen den Contract unterschreibt?«
»Ich weiß es.«
»Nun! was wollen sie denn, daß ich, so aufs Aeußerste gebracht, hoffen soll? An wen soll ich mich, denn wenden? wen soll ich anflehen? meinen Bruder? Gott weiß es, ich vergebe ihm, aber erfaßt mich nicht! Meine Mutter: . . . ach, mein Herr! Sie kennen meine Mutter nicht, das ist eine Frau von unbescholtenem Ruf, von strenger Tugend, von unbeugsamen Willen; denn da sie nie gefallen ist, glaubt sie nicht, daß man fallen könne; und hat sie einmal gesagt: Ich will! so ist Nichts zu thun, als sich zu unterwerfen, zu weinen und zu gehorchen! . . Mein Vater! Ja . . ich weiß, er muß aus dem Zimmer kommen, wo er zwanzig Jahre eingeschlossen gewesen ist, um den Contract zu unterschreiben . . . Für jede andere, weniger Unglückliche und Verurtheilte als ich, wäre das ein Hilfsmittel. Aber sie wissen nicht, daß er wahnsinnig ist, daß er den Verstand und mit ihm jedes Vatergefühl verloren hat. Und dann – habe ich meinen Vater seit zehn Jahren nicht gesehen; ja, es sind zehn Jahr, daß ich eine zitternden Hände nicht gedrückt, eine ergrauten Locken nicht geküßt habe Er weiß nicht mehr, daß er eine Tochter hat, er weiß nicht mehr, daß er ein Herz besitzt er würde mich nicht einmal mehr wieder erkennen! und kennte er mich auch, erbarmte er sich meine, würde ihm meine Mutter doch die Feder in die Hand geben und zu ihm sagen: »Unterschreibe ich will es!« und der arme schwache Greis würde unter schreiben und seine Tochter wäre verurteilt.«
»Ja, ja, ich weiß das Alles so gut, als sie, sagte Paul; »aber fassen sie Muth dieser Contract wird nicht unterschrieben werden!«
»Und wer wird es hindern?«
»Ich!«
»Sie?«
»Beruhigen sie sich, ich werde morgen bei der Versammlung der Familie sein.«
Wer wird sie einführen?«
»Ich habe ein Mittel.«
»Mein Bruder ist heftig, jähzornig! o mein Gott! – Nehmen sie sich in Acht, daß sie mich nicht noch unglücklicher machen, statt mich zu retten!«
»Ihr Bruder ist mir eben so heilig, wie ihnen selbst. Fürchten die Nichts, verlassen sie sich auf mich.«
»O ich will ihnen glauben, mich auf sie verlassen,« sagte Margarethe, als ob eine lange Zweifelsucht sie ermüdet hätte; »denn wozu sollten sie mich betrügen? was für Interesse könnten sie haben, mich zu verrathen?«
»Keines, sie haben Recht; doch von etwas Anderem. Was denken sie mit dem Barone von Lectour anzufangen?
»Ich sage ihm alles.«
»O!« rief Paul, sich vor ihr beugend, »ich muß sie anbeten!«
»Mein Herr?« murmelte Margarethe.
»Wie eine Schwester! o wie meine Schwester!«
»Ja, sie sind gut,« rief sie jetzt, »ich glaube, daß sie Gott mir gesendet hat!«
»Glauben sie es!«
»Also morgen Abend . . .«
»Und daß sie sich über Nichts wundern, über Nichts erschrecken. Nur suchen sie es möglich zu machen, mir den Erfolg ihrer Unterredung mit Lectour durch einen Brief, ein Zeichen, ein Wort bekannt werden zu lassen.«
»Ich werde es!«
»Und nun, es ist spät. Ihr Diener möchte sich über unsere lange Unterredung wundern; gehen sie ins Schloß zurück und erwähnen meiner gegen Niemanden. Leben sie wohl!«
»Gott befohlen!« sagte Margarethe, »sie, dem ich keinen Namen zu geben weiß.«
»Nennen sie mich ihren Bruder!«
»Leb wohl, mein Bruder!«
»O Schwester Schwester« rief Paul außer sich und schloß sie in seine Arme, »du bist die Erste, die mir ein so süßes Wort hören ließ Gott möge es dir lohnen!«
Margarethe trat verwundert zurück, kehrte sich aber wieder zu ihm und reichte ihm die Hand. Paul drückte sie herzlich, und sie ging. Als sie fort war, ging er in das andere Zimmer und suchte den Greis.
»Jetzt,« sprach er, »führe mich an das Grab meines Vaters!«