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Kitabı oku: «Der Secretair der Marquise Du-Deffand», sayfa 4

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Sechstes Kapitel

Mit der Zuversicht eines Mannes, der seiner selbst gewiß ist, hörte Massillon meine Raisonnemems an, ohne mich zu unterbrechen. Er legte mir einige Fragen vor, auf die ich als gelehrter Doctor antwortete, wobei mich fast die Lust anwandelte – Gott verzeihe es mir! – den Bischof witzigen zu wollen, und als eine wahrhaft Tolle schmeichelte ich mir, daß mir dies gelingen würde.

Ruhig lächelnd legte er mir durch eine Handbewegung Schweigen auf, dann sagte er:

– Genug, mein Fräulein, genug für heute! Ich weiß nun, was Sie denken, und in unserer ersten Unterhaltung werde ich Sie zu überführen suchen, wozu ich den lebhaften Wunsch in mir verspüre. Fräulein von Chamrond ist meine gute Freundin, und schon ihretwegen möchte ich Sie dahin bringen, daß Sie mich verstehen. Was die Aenderung meiner Ansicht und meines Glaubens anbetrifft, so erlauben Sie mir, nichts damit vorzunehmen. Ich glaube, weil ich liebe, und dies ist die beste und gediegenste aller Glaubenslehren. Gott ist der Herr meines Herzens und meines Geistes. Wenn es mir gelingt, Sie bis zu demselben Anschauungspunkte zu führen, so werden Sie es mir in dieser und in jener Welt danken.

Der gute Bischof sprach sehr wahr; aber ich habe nie jenen Punkt erreichen können, und ich kann es auch jetzt noch nicht, trotz meines hohen Alters, trotz meines Verstandes, trotz meines Willens, und selbst meines Herzens. Der rebellische Geist, der in der Schule der Zweifler dieses Jahrhunderts genährt ist, will sich nicht beugen. Ich mag beginnen, was ich will – nichts zähmt ihn. Massillon hatte keinen größern Erfolg, als ich. Er kam indeß mehr als zehnmal hintereinander; endlich leistete er darauf Verzicht, zwar mit Schmerz und Güte, aber er leistete Verzicht.

– Mein Fräulein, sagte er mir, Gott hat Sie erschaffen, damit Sie ein Engel werden sollten; ich weiß nicht, welcher böse Geist aus Ihnen einen Dämon gemacht hat.

Das Wort war hart, aber in dem Lächeln, von dem es begleitet ward, lag so viel Zauber, so viel Nachsicht, daß man ihm nicht grollen konnte.

– Gott ist groß, fügte er hinzu, er vermag Alles, ich werde für Sie zu ihm beten. Vielleicht werden meine unwürdigen Gebete unerhört bleiben, aber die Güte Gottes ist größer als meine Unwürdigkeit. Hoffen wir!

Er verließ mich. Wie meine arme Tante ihren Träumen, so mußten meine Eltern ihren Plänen mit mir entsagen. Wie konnte man ein junges Mädchen, das die Gebräuche und die Glaubenslehren des Klosters von sich stieß, der Religion widmen! Es blieb ihnen nichts, als mir einen Mann zu suchen, oder mich wieder zu sich zu nehmen und nach Art der Engländer eine Tante aus mir zu machen, das heißt eine Erzieherin der Kinder meines Bruders. Ich fühlte dazu durchaus keinen Beruf in mir. Ich erklärte laut, daß ich die erste passende Aussicht ergreifen, daß ich sie mir selbst eröffnen würde, und daß ich nicht daran dächte, die heilige Katharina zu putzen. Meine Mutter und mein Vater antworteten mir, daß ich mit dem Manne auch eine Aussteuer zu suchen hätte. Ich entgegnete, daß ein gebildetes Mädchen wie ich des Geldes nicht bedürfe.

– Ein großes Vermögen macht Sie gebildet, Fräulein von Chamrond! antwortete mein Vater. Verschmähen Sie das Geld, wenn Sie können – ich kenne keinen Mann, der nicht darnach fragt.

Die Herzogin von Luynes, meine Tante, ließ mich um jene Zeit oft zu sich kommen; sie unternähme es, sagte sie, mich zu verheirathen, und ich ließ sie gewähren. In ihrem Saale fand man mich schön: man rühmte mich; es umschwärmten mich einige Liebhaber, aber keiner war reich genug, um meinen Mangel an Vermögen zu übersehen, oder fähig, ihn zu ersetzen. Ich seufzte, aber ich verlor den Muth nicht.

Sie bat mich einmal, mit ihr nach Dampierre zu gehen und dort einige Wochen bei ihr zu bleiben. Da ich siebzehn Jahre alt war, besuchte ich die Schule nicht mehr, und man erlaubte mir um so mehr die Einladung anzunehmen, als meine darüber entzückte Mutter mir nach Kräften beizustehen suchte. Ich reiste mit der Herzogin ab; eine war entzückt über die andere. Wir waren ohne alle Begleitung, denn wir wollten in Familie sein, wie sie mir gesagt hatte, um von der Welt auszuruhen.

– Wir werden nur einen Secretair des Herrn de Luynes haben, in den wir uns verlieben. Dieser Secretair besitzt Geist, er wird seinen Weg machen.

– Da Sie so von ihm reden, Madame, werden Sie ihn mir doch nicht zum Manne vorschlagen? fragte ich lachend.

– Sie werden überall Männer sehen, antwortete sie mit einem verachtenden Achselzucken; dieser hier ist ein Mensch von Nichts, der natürliche Sohn irgend eines Jemandes; wird er es wagen, auch nur daran zu denken?

Hier endete diese Unterredung. Ich beschäftigte mich nicht mit dem Secretair, ich sah ihn auch den ganzen Tag nicht, nachdem wir in Dampierre angekommen waren; aber Abends beim Souper, als Herr de Luynes eintrat, bemerkte ich hinter ihm einen der schönsten jungen Männer von der Welt. Haltung, Gestalt und Eleganz waren von der Art, wie man sie nur bei Hofe und unter den vornehmen Herren findet. Ich hielt ihn wenigstens für einen Herzog oder für einen Pair.

– Fräulein von Chamrond, sagte die Herzogin, ich halte das Versprechen, das ich Ihnen gegeben habe; wir werden allein sein, Herr de Luynes, Sie und Herr Larnage, der Secretair, von dem ich Ihnen gesagt habe.

Ich konnte ein unwillkürliches Gefühl der Ueberraschung nicht zurückhalten, und machte eine tiefere Verbeugung, als sie einem Secretair zukam. Er verbeugte sich wie vor der Nichte der Frau von Luynes, nämlich sehr achtungsvoll; aber mir schien, daß er mich nicht eben so achtungsvoll ansah. Die jungen Mädchen verstehen bewunderungswürdig die Abstufungen dieser Art. Er war sehr aufgeräumt, der Herzog und die Herzogin billigten es. Er sprach mit Geist und Takt, was ihm sehr gut stand, und über alle Dinge. Seine Unterhaltung war in der That ein Feuerwerk: er wußte Alles, er hatte Alles gesehen, Alles gelesen, und obgleich er noch sehr jung war, besaß er dennoch die Gelehrsamkeit eines Benedictiners. Ich hörte ihm mit Vergnügen zu; wenn ich mitunter schüchtern ein Wort zu äußern wagte, so verfehlte er nicht, es aufzunehmen. Ich gestand aufrichtig meine Unwissenheit ein, und gab zu, daß man mich nichts gelehrt hatte, und daß ich große Lust habe zu lernen.

– Nichts ist leichter als das, mein Fräulein; ich bin überzeugt, daß Sie nur zu fragen brauchen. Mit einer Intelligenz wie der Ihrigen kann man schnell Alles verstehen und behalten.

– Aber Sie, Herr Larnage, sagte mein Onkel, der Sie Alles wissen, könnten sie wenigstens in dem Nöthigsten unterweisen. Sie sind hier für einige Zeit beisammen, benützen Sie diese Zeit und arbeiten Sie. Wollen Sie es?

– Ich stehe Fräulein von Chamrond zu Diensten, und sie wird mir eine große Ehre erzeigen, wenn sie mir erlaubt, daß ich ihr Unterricht ertheile. Welch eine Schülerin werde ich da haben!

– Ach, ich verlange nichts Besseres! antwortete ich verwirrt.

Frau von Luynes sagte nichts; sie leitete selbst das Gespräch auf einen andern Gegenstand, so daß ich die Ansicht gewann, sie fürchte eine Annäherung zwischen mir und diesem jungen Manne; wie ward ich überrascht, als sie mir nach Tische sagte:

– Erlernen Sie nicht Alles, mein liebes Kind, Sie würden unerträglich werden; ich habe mehrere pedantische Frauen gekannt, mit denen es unmöglich war zu leben. Sie wissen genug, ich versichere Sie! Zu viel Kenntnisse erschrecken die Ehemänner.

Ich war nicht dieser Ansicht, ich dachte sogar das Gegentheil, und sprach es der Herzogin aus. Herr de Luynes stimmte mir glücklicherweise bei. Man stritt viel. Es ward endlich beschlossen, daß Herr Larnage am folgenden Tage beginnen solle mich oberflächlich in einigen Wissenschaften zu unterweisen, und daß wir oft während meines Aufenthaltes in Dampierre Stunden abhielten, unbeschadet derer in Paris, wo wir fortfahren würden.

Ich erwähne hier dieser Einzelheiten aus einem Grunde, den Sie nicht leicht ahnen werden. Dieses Abenteuer meiner Jugend ist der erste Keim zu der »Neuen Heloise« gewesen. Ich erzählte es einst in Gegenwart Rousseau's. Es interessirte allgemein, nur er allein äußerte sich nicht darüber. Aber am folgenden Tage kam er zu mir und dankte mir.

– Sie haben mir eine Idee gegeben, nach der ich längst suchte, fügte er hinzu. Sie werden es sehen.

Als das Buch vollendet war, brachte er es mir. Er fragte mich, ob es mich nicht freue, das Muster der Julie geliefert zu haben.

Ich versprach ihm zu antworten, wenn ich das Buch gelesen haben würde. Leider kam mir diese Julie sehr langweilig vor, und ich hoffte, daß ich ihr nicht ähnlich sei. Und dieser Saint-Preux! Mein Larnage war doch etwas Anderes! Was Herrn Du-Deffand anbetrifft, so hatte er nichts gemein mit dem so guten und philosophischen Ehemanne. Es ist wahr, Rousseau hat ihn nicht gekannt.

Doch verfolgen wir die Geschichte der wahren Julie, die durchaus nicht, die der Heloise ist. Hegen Sie diese schlechte Meinung nicht von ihr.

Herr Larnage hatte eine eben so reizende als achtungsvolle Art und Weise zu unterrichten. Ich fand einen so großen Gefallen daran, daß ich den ganzen Tag mit Schreiben und Lesen hinbrachte, entweder mit oder ohne meinen Lehrer. Morgens erwachte ich mit der Freude über das, was ich vernehmen würde. Es war wirklich eine Vergnügungs-Parthie. Ich grübelte nicht, ich berührte nur oberflächlich. Endlich erlernte ich die Orthographie, die mir meine Nonnen kaum gezeigt hatten. Frau von Luynes hatte ihre Stellung geändert, sie interessirte sich für meine Fortschritte. Herr von Luynes lachte darüber, und Larnage nahm diese Situation sehr ernst. Was ich empfand, weiß ich nicht.

Eines Abends sprachen wir über Astronomie. Während wir Alle in dem Parke spazieren gingen, lehrte uns der junge Professor die Sterne kennen. Die Herzogin beklagte sich über Kälte, der Herzog hatte uns verlassen, um mit einem Prediger und einem Edelmann aus der Nachbarschaft l'Hombre zu spielen. Ich blieb mit Larnage allein zurück, um einen Planeten, ich weiß nicht mehr welchen, aufgehen zu sehen. Die Nacht war köstlich, die Blumen dufteten Weihrauch – es war eine jener wunderbaren Stunden, die Luft zum Leben, das Bedürfniß zu lieben, und den Drang es zu sagen erwecken.

Das Tête-à-Tête ward gefährlich. Frau von Luynes war zu fromm und zu sehr Herzogin, um dies vorauszusetzen. Die Andern dachten nicht daran.

Die Augen nach dem Himmel gerichtet, gingen wir weiter. Nach und nach kam das Gespräch auf Empfindung und Träumerei. Ich erstickte, das heißt mein Herz und meine siebzehn Jahre erstickten in meiner Brust, und Larnage war nicht viel ruhiger als ich. Wir sprachen nicht mehr, wir fühlten nur noch.

– Mein Fräulein, sagte er plötzlich – und seine Stimme war so bewegt, daß sie mich zittern machte – mein Fräulein…

– Mein Herr… antwortete ich wie eine Person, die vor Schrecken aus dem Schlafe erwacht

– Sie sind gut, Sie besitzen einen großen Geist, Sie sind jung, Sie werden mich verstehen… Sie werden sich nicht lustig über mich machen.

– Dessen seien Sie gewiß, antwortete ich ihm.

– Ach, ich kenne Sie ja, und darum will ich reden! Was würden Sie von einem jungen Manne denken, der sich weder einer hohen Geburt noch eines Vermögens rühmen kann, der aber die Kühnheit besitzt, ein Fräulein zu lieben, ihr zu gefallen strebt und später ihre Hand zu erlangen hofft, wenn er sie nämlich verdient, und wenn sie überhaupt Jemand zu verdienen fähig ist. Was würden Sie von ihm denken?

– Wenn dieser Mann Verdienste besitzt, antwortete ich, so würde ich denken, daß sein Streben ein edles, lobenswerthes ist; besitzt er keine Verdienste, so würde ich es für eine Unbescheidenheit halten.

– Und könnten Sie diesen Mann lieben, mein Fräulein? Konnten Sie ihn in dem ermuthigen, was Sie ein edles Streben nennen? O sagen Sie es mir!

Ich verstand ihn nur zu gut, und mein Herz klopfte dabei ein wenig; aber ich empfand auch zugleich die Schamhaftigkeit und die Freude über das erste empfangene Geständniß. Ich wollte weder die Eine noch die Andere gelten lassen. Ich liebte noch nicht ganz. Ich war gerührt und kokett, aber auch neugierig. Ich gewann in meinen eigenen Augen an Wichtigkeit, als ich erfuhr, daß ich geliebt ward; es machte mich größer. Ich trat aus der Kindheit heraus, und dies war weit feierlicher, als das Ablegen des Kinderkleides. Dies lag mir indeß an jenem Tage wenig noch am Herzen.

– Mein Fräulein, fuhr er in fieberhafter Ungeduld fort, Sie antworten mir nicht. Verstehen Sie mich auch?

– Ich habe Ihnen geantwortet, mein Herr.

– Ja, für einen Andern; aber für mich bitte ich um Antwort. Sehen Sie denn nicht, daß ich leide?

– Mein Herr, ich will nicht, daß Sie leiden.

– Ach, mein Fräulein, wenn Sie wüßten, wie ich Sie liebe!

Ich fühlte eine Regung unschuldiger Einfalt, ihn toll zu machen, und ich war wirklich unschuldig und redlichen Herzens. Indem ich ihn ansah, antwortete ich:

– Mein Gott! Es hängt nur von Ihnen ab, mein Herr, es mich zu lehren.

Siebentes Kapitel

Larnage wandte sich um wie ein Mann, der nicht weiß, was er glauben soll. Er wagte eine Liebe nicht vorauszusetzen, die außer dem Bereiche seiner Hoffnungen, wenn nicht selbst seiner Anmaßung lag. Er stammelte einige Worte, indem er hoffte, daß ich meinen Ausspruch wiederholen und vielleicht noch ein wenig weiter gehen würde. Aber ich schwieg, und nur mein Blick richtete sich fragend auf ihn.

– Nun, mein Fräulein? begann er wieder, als er sah, daß wir so nicht bis zum letzten Gericht bleiben konnten.

– Nun, mein Herr, ich warte.

– Sie warten, mein Fräulein, und auf was?

– Auf das, was Sie mir sagen wollten.

– Ach, mein Fräulein, Sie lieben mich nicht!

– Dies brauche ich nicht zu wissen, mein Herr, es handelt sich um Ihre Person.

– Sie treiben mich zur Verzweiflung, mein Fräulein; ich weiß nicht, was ich denken soll; mein Kopf ist ein Chaos; die Hoffnung ist unerträglich vermessen, und die Furcht… ist der Tod.

Ich war jung, ich war natürlich, ich war unschuldig; aber ich besaß eine unbezähmbare Neugierde und einen entwickelten Instinct, das schwöre ich Ihnen. Ich suchte zu begreifen und wollte wissen.

Die Ausrufungen und Klagen des Herrn Larnage befriedigten mich nicht. Ich wartete begierig, ohne dieses Gefühl des jungen Mädchens zu ahnen.

Er täuschte sich darüber.

– Im Namen des Himmels, erlauben Sie mir zu reden? rief er in einer so heftigen Aufregung, daß sie mir unerklärlich erschien.

– Seit einer Stunde schon fordere ich es von Ihnen, mein Herr!

– Mein Fräulein, ich liebe Sie! wiederholte er in der größten Verwirrung.

– Sie haben es bereits gesagt – und nun?

– Nun möchte ich um Ihre Hand anhalten; aber wenn Sie mich nicht ermuthigen, werde ich dazu nicht fähig sein.

Ich ward verlegen, und schwieg.

– Ich wage viel, ich bin sehr kühn, nicht wahr? Ach. Fräulein, die Liebe macht Alles möglich! Außerdem bin ich auch nicht so aller Mittel und jeder Protection baar, wie Sie wohl glauben mögen. Um Sie davon zu überzeugen, werde ich Ihnen, auf Ihr Wort, das Geheimniß meiner Geburt anvertrauen; ich wage zu hoffen, daß Sie es nicht verrathen.

– Ich, mein Herr? O, zählen Sie auf mich!

– Mein Herkommen ist Ihnen ohne Zweifel bekannt, denn meine Beschützer haben den Herrn Herzog und die Frau Herzogin davon unterrichtet; eine Freundin meiner Mutter hat mich der Güte derselben anvertraut, aber sie wissen den Namen meiner Eltern nicht, und Sie sollen ihn erfahren, mein Fräulein. Ich lege meine ganze Zukunft in Ihre Hände.

– Nehmen Sie die Versicherung, mein Herr, daß ich sehr verschwiegen bin.

Ich verging fast vor Neugierde, und zitterte, daß man uns stören würde. Glücklicherweise waren mein Onkel und meine Tante mit ihrem Spiele beschäftigt und glaubten, wir trieben Astronomie.

– Ich bin der Sohn eines Fräuleins von guter Herkunft; sie ward in Saint-Cyr erzogen und war arm, schön, gut und liebenswürdig. Ach, wenn Sie doch meine Mutter kennen lernten!

– Lebt sie noch?

– Sie lebt, sie ist fast eben so jung, als ich. Ich versichere Sie, man hält sie für meine Schwester, wenn wir mit einander ausgehen. Sie hat die Ehre, eine nahe Verwandte des Herrn Grafen von Feriol zu sein, des Gesandten Seiner Majestät in Constantinopel.

– Und Ihr Vater, mein Herr?

– Ach! Mein Vater?

Seine Stirn verfinsterte sich, er senkte die Blicke und stockte einige Augenblicke.

– Mein Vater! Ich will ihn nicht anklagen, aber er hat meine arme Mutter grausam hintergangen. Er hat ihre Jugend und ihr Vertrauen gemißbraucht, und dann hat er sie und mich verlassen. Das ist abscheulich, mein Fräulein! Ich möchte ihn verwünschen, aber ich kann es nicht, die Natur spricht, und mein Herz ist zerrissen. Ich hoffe noch immer, daß mein Vater später…

– Zu Ihrer Mutter zurückkehren wird, nicht wahr?

– Ja, er wird zurückkehren, er wird sein Unrecht einsehen und uns die Hand reichen. Auf ihn baue ich die Pläne meines Glücks,

– Ist er denn vermögend?

– Er war es und wird es noch sein. Seine Geburt, seine Fähigkeiten… um mit einem Worte Alles zu sagen, er ist der Herzog von Maine.

– Der Herzog von Maine! wiederholte ich erstaunt.

– Er selbst! Jetzt begreifen Sie wohl meine Hoffnungen, entschuldigen vielleicht meine Kühnheit, und…

– Aber mein Herr, sagte ich rasch, Sie sind der Enkel Ludwigs XIV.

– Ja, mein Fräulein! antwortete Larnage, indem er stolz das Haupt emporhob. Und ich werde mich dieser Ehre würdig zeigen.

Ich fühlte, daß sich meiner eine Art Bestürzung bei dieser Eröffnung bemächtigte. Meine Familie hatte eine übertriebene Bewunderung des seligen Königs in mir genährt, meine Nonnen hatten sie bis zur Anbetung ausgebildet – es war kein Wunder, wenn mir Larnage wie der Sohn Jupiters erschien. Mir kam es wie ein Traum vor, wie eine jener Opernherrlichkeiten, wenn man die Halbgötter aus den Wolken herabsteigen sieht. Ich fand in ihm eine andere Persönlichkeit, als ich, Marie von Chamrond, war. Es schien mir, als ob er mir eine große Ehre erzeigte, und ich stand auf dem Punkte, mich vor ihm zu verbeugen. Aber der arme Bastard, der an eine untergeordnete Stellung und an Demüthigungen gewöhnt war, errieth diesen Eindruck nicht, er deutete vielmehr mein Schweigen zu seinem Nachtheile, und indem er sich rasch von mir abwandte, sagte er:

– Ach, mein Fräulein, ich fühle es wohl, ich bin verloren! Sie werden ferner nicht geneigt sein, mich zu hören oder zu sehen.

Ich war in dem Sinne, den er nicht voraussah, schon sehr weit vorgeschritten. Ich fand die Stellung einer Schwiegertochter Ludwigs XIV. für ein Mädchen ohne Mitgift sehr annehmbar, vorzüglich wenn der Ehemann einem Larnage gleicht. Indem ich den Mund öffnete, um ihm einige Worte der Hoffnung zu sagen, rief uns Frau von Luynes zurück. Demnach, mußte ich mich mit einem Blicke begnügen; er aber flüsterte mir in das Ohr:

– Mein Fräulein, erlauben Sie, daß ich Sie morgen sehe?

Der gute Bursch wußte nicht, was er sagte. Sahen wir uns nicht täglich, und stets allein? Die Verliebten haben immer unvernünftig geredet, und ich bin der Ansicht, daß sie in diesem Jahrhunderte der Vernünftelei noch unvernünftiger reden. Da sie gezwungen sind zu vernünfteln, so müssen sie langweilige Personen werden, und die jungen Frauen von heute machen sich sehr verdient, wenn sie sie anhören. Ich möchte dazu nicht verdammt sein.,

Mag dem sein wie ihm wolle, ich komme auf meine erste Liebe zurück, auf die Liebe, die man nicht vergißt, selbst wenn man sich nicht mehr darüber grämt. Ich war wie betäubt, ich sprach und hörte nicht mehr, ich konnte nur denken. Der Herzog und die Herzogin von Luynes scherzten darüber. Man fragte mich, ob ich in den Sternen schwärmte. Ich antwortete eine Dummheit, von der ich nichts mehr weiß. Nachts fehlte mir der Schlaf, ich stand mit dem Morgenrothe auf, um durch den Park zu irren. Mir lagen zwei Dämonen in den Ohren: der Ehrgeiz und die Liebe. Ich hörte Beide, und war durchaus nicht abgeneigt, beiden Glauben zu schenken. Mein guter oder böser Stern sandte mir den Herrn von Luynes, der kam, um mit mir zu plaudern. Er war erstaunt, mich so früh schon im Freien zu sehen. Ich brannte vor Begierde, mancherlei zu erfahren, und da ich geschickter war als mein Onkel, so hoffte ich, ihn zum Reden zu bringen, ohne daß er mich erriethe. Nun begann ich ihn auszufragen.

Ich hatte ein sehr einfaches Mittel, um zu dem Hauptpunkte zu gelangen. Man beschäftigte sich viel mit den Kindern, welche die Gräfin von Verrue, seine Schwester, von dem Herzoge von Savoyen gehabt hatte, und stritt sich über ihren Stand. Herr von Luynes, der im Punkte der Ehre sehr streng war, hatte der Gräfin lange gezürnt; aber er verzieh ihr, und wollte nun die Pflichten eines Bruders gegen sie erfüllen, indem er ganz genau zu wissen verlangte, welche Stellung man ihr und seinen Neffen anweisen werde.

So lenkte ich nun das Gespräch auf diesen Gegenstand, der ihm am Herzen lag. Er ließ sich eifrig darauf ein, und wir kamen rasch auf das Geschick der Bastarde zu sprechen. Die Ansicht meines Onkels war folgende:

– Der selige König hat seine Bastarde behandelt, wie man sie nie behandelt. Der Herzog von Savoyen kündigt die Absicht an, ihm nachzuahmen, das ist allerdings gut, aber man findet es nirgends so. In England, in Deutschland, in Spanien, mit einem Worte überall, sind die Bastarde des Königs und der Prinzen nichts, sie gelangen nie zu großer Bedeutung.

– Aber, mein Herr, unterbrach ich ihn, denn alles dies genügte meiner Neugierde nicht, mein Herr, wie ist es mit den Bastarden der Bastarde?

– Meiner Treu! rief er verwirrt. Wer zum Teufel hat je daran gedacht! Die Bastarde der Bastarde – das bedeutet sehr wenig.

– Aber wie wäre es, mein Herr, wenn der Herzog von Maine und der Graf von Toulouse Bastarde hätten – wären sie nichts?

– Zunächst ist der Herzog von Maine und der Graf von Toulouse dessen nicht fähig, sie sind vollkommene Edelleute, und noch keiner hat sie dessen bisher angeklagt; aber wenn auch ein jeder von ihnen eben so viel hatte als der selige König, so würde dies in der persönlichen Lage nichts ändern. Die Bastarde der Bastarde! Es giebt genug solcher Väter, nur zu viel für die Sorge, die sie uns bereiten, zu viel für die ewigen Streitigkeiten, die sie unter uns erregen. Der verstorbene König hat ein großes Unrecht begangen, indem er uns Verlegenheiten dieser Art vermachte. Der Regent hat durch die Vernichtung seines Testamentes noch nicht genug gethan; die Stücke, die uns bleiben, sind für die Monarchie Plagen.

– Aber die Kinder des Herzogs von Maine sind die Enkel Ludwigs XIV.

– Ohne Zweifel, wenn sie nämlich in legitimer Ehe geboren sind; außerdem zählen sie nicht, und werden niemals zählen.

Der Ehrgeiz war durch diese Gewißheit schon getödtet, es blieb nur noch die Liebe. Sie war noch nicht geboren, und der Tod ihres Bruders mußte sie jedenfalls im Wachsen hindern. Als ich Herrn von Luynes verließ, war ich mehr als jemals mit meinen Gedanken beschäftigt, und unentschlossener als ich es bisher gewesen. Aber ich hatte auch eine Illusion weniger: das Phantom des großen Königs war unter den Worten meines Onkels zusammengesunken.

Larnage kam, um mir Unterricht zu ertheilen, er war bleich und zitterte. Anfangs zeigte er sich verwirrt, nach und nach aber ward er lebhafter, und gewann endlich seine Beredsamkeit wieder. Indem er mich einen Auszug aus der Geschichte machen ließ, erzählte er auf eine so glänzende Weise das Leben Julius Cäsar's, seine Erfolge und seine Siege, daß man sah, er hoffte, wie er, die Welt zu erobern, sie mir anzutragen, und sie zu meinen Füßen niederzulegen. Meiner Eitelkeit ward dadurch ein wenig geschmeichelt.

So blieben wir einen Monat in Dampierre, einen Monat, in dem ich alle Phasen der unschuldigen Liebe durchlief, und mehr Wahrheiten des Herzens hörte, als in meinem ganzen Leben.

Larnage war wahnsinnig, betrunken von seiner Leidenschaft. Er schrieb mir glühendere und natürlichere Briefe, als die sind, welche Saint-Preux geschrieben hat. Ich antwortete zwar nicht wie Julie, aber ich antwortete. Es waren Briefe von einem kleinen Mädchen; mein Liebhaber war meine Puppe. Ich habe sie nach vielen Jahren wieder gelesen, und habe mich über mich selbst sehr lustig gemacht: diese schönen Liebschaften dauerten, diesmal nämlich, nur sehr kurze Zeit.

Später verließen wir Dampierre. Larnage war der Verzweiflung nahe, er konnte sich nicht trösten. Die Correspondence ward mittels meiner Kammerfrau fortgesetzt. Der junge Mann kam selbst in das Sprechzimmer, wo wir unter dem Deckmantel der Wissenschaft und der Literatur durch das Gitter mit einander plauderten.

Diese geheimnißvollen Zusammenkünfte verursachten mir mehr Gemüthsbewegung als in Dampierre; ich weiß nicht, was noch daraus geworden wäre, um so mehr, als er seine Mutter zu Hilfe rief, und diese liebenswürdige Frau mich noch mehr verführte, als er. Sie war, wie man bereits weiß, eine nahe Verwandte der Feriols und nannte sich Frau von Creance, Durch sie habe ich Pont-de-Veyle und seine Familie kennen gelernt. Wie sich Alles verkettete!

Meine Mutter starb indessen Ich ging nach Burgund, und sah Larnage nicht mehr. Unsere Geschichte ist aber noch nicht aus, man wird ihn noch oft wiederfinden, und zwar in seltsamen Verhältnissen. Er hörte nicht auf an mich zu schreiben, und hat nur mit seinem Tode aufgehört. Armer Larnage! Er war ein guter, ein edler Mensch. Seit gestern, wo ich angefangen habe von ihm zu sprechen, bedaure ich ihn herzlich.

– Madame hat aufgehört zu dictiren, und ich bin nicht böse darüber, denn es ist sechs Uhr Morgens; aber für sie, die nicht sieht, giebt es weder Tage noch Nächte. Das war also ihre erste Liebe! Ich habe große Lust, das, was man gelesen hat, mit einer kleinen Scene zusammenzustellen, welche diesen Morgen in meiner Gegenwart stattfand, sie bildet eine vortreffliche Parallele.

Madame spricht von einem Herrn von Pont-de-Veyle, und Niemand weiß, daß er mit dem Präsidenten Henault und dem Herrn von Fremont der treueste ihrer Liebhaber war. Sie verhehlt es nicht, und man verhehlt überhaupt Nichts vor mir. Unter dem Vorwande, daß ich keine Mitgift besitze und daß ich mich wahrscheinlich nie verheirathen werde, erzählt man mir Alles, was ich von meinem Manne lernen, und selbst das, was ich von ihm nicht lernen müsse. Ich trage kein Bedenken, es zu wiederholen.

Herr von Pont-de-Veyle ist der Bruder des Herrn d'Argental, beide sind Neffen des Grafen von Feriol, des Gesandten, also die Söhne seines Bruders; sie waren die beständigsten Gesellschafter der Madame Du-Deffand. Herr von Pont-de-Veyle kommt noch alle Tage, ausgenommen diejenigen, wo er im Begriffe ist zu sterben, was er gewiß bald vollenden wird, denn er kann nicht lange mehr widerstehen.

Er saß gestern am Kamine. Die Frau Marquise saß in ihrem großen Stuhle und klapperte mit ihren Stöcken. Ich beobachtete sie Beide. Da begann Madame:

– Pont-de-Veyle, ich glaube, so lange wir Freunde sind, hat sich nie eine Wolke in unserer Liaison gezeigt?

– Nein, Madame!

– Dies kommt wohl daher, weil Einer den Andern nicht weniger liebt?

– Das kann wohl sein, Madame.

Sie sagten dies so kalt, als ob sie von dem Kaiser von China sprächen. Ich war darüber erstarrt. Das also war in diesen beiden Herzen von einer sechzigjährigen Neigung geblieben!

Es ist wahr, daß diese beiden Herzen allein beinahe einhundertsechszig Jahre zählen.

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