Kitabı oku: «Die beiden Dianen», sayfa 15
III.
Das die Blutflecken nie ganz verschwinden
»Was hierauf vorging, wußte Perrot nicht.
Als er wieder zu sich kam, war der erste Eindruck, den er empfand, ein Eindruck der Kälte. Er sammelte seine Gedanken, öffnete die Augen und schaute umher: es war immer noch finstere Nacht. Er fand sich auf dem nassen Boden ausgestreckt und ein Leichnam lag an seiner Seite. Bei dem Schimmer der kleinen Lampe, welche beständig in der Nische der Bildsäule der Jungfrau brannte, erkannte er, daß er auf dem Cimetière des Innocents4 war. Der Leichnam neben ihm war der der Wache, welche Herr von Montgommery getödtet hatte. Ohne Zweifel hatte man meinen armen Mann auch für todt gehalten.
Er versuchte es, aufzustehen; doch nun erwachte der furchtbare Schmerz seiner Wunden. Indem er jedoch alle seine Kräfte mit übermenschlichem Muthe zusammenraffte, gelang es ihm, sich zu erheben und einige Schritte zu thun. In diesem Augenblick zerstreute der Schein einer Stocklaterne den tiefen Schatten, und Perrot sah zwei Männer von unheimlichem Aussehen, welche Grabscheiter und Hauen bei sich hatten, herbeikommen.
»Man hat uns gesagt, unter der Bildsäule der Jungfrau,« sprach einer von den Beiden.
»Hier sind unsere Männer,« versetzte der Andere, als er den Soldaten erblickte. »Doch nein, es ist nur Einer.«
»Suchen wir den Andern.«
Die Todtengräber leuchteten mit ihrer Laterne auf dem Boden umher. Doch Perrot hatte die Kraft gehabt, sich hinter ein Grab zu schleppen, das ziemlich entfernt von dem Orte war, wo sie suchten.
»Der Teufel wird unsern Mann geholt haben,« sagte einer von den Todtengräbern, der ein scherzhafter Mensch zu sein schien.
»Oh!« entgegnete der Andere, »sprich keine solche Dinge zu dieser Stunde und an diesem Orte.«
Und er bekreuzte sich mit allen Zeichen des Schreckens.
»Es ist offenbar nur Einer,« sprach der erste Todtengräber. »Was läßt sich da machen? Bah! begraben wir immerhin diesen; wir sagen, der Andere sei entwichen, oder man habe vielleicht schlecht gezählt.«
Sie fingen an ein Grab zu graben, und Perrot, der sich allmälig schwankend entfernte, hörte den heitern Todtengräber zu seiner Freude sagen:
»Ich bedenke, wenn wir gestehen, daß wir nur einen Leichnam gefunden und nur ein Grab gemacht haben, so wird uns der Mann vielleicht nur fünf Pistolen statt zehn geben. Wäre es vielleicht nicht das Beste für unsern Vortheil, wenn wir die seltsame Flucht des zweiten Leichnams verschweigen würden?«
»In der That!« entgegnete der fromme Todtengräber. »Wir sagen nur, wir haben das Geschäft gethan, und das ist dann nicht gelogen.«
Perrot hatte indessen, nicht ohne tödtliche Schwächen, die Rue Aubry-le-Boucher erreicht. Da sah er den Karren eines Gärtners vorüberkommen, der vom Markte zurückkehrte, und er fragte den Führer, wohin er ginge.«
»Nach Montreuil,« antwortete der Mann.
»Es wäre sehr gutherzig von Euch, wenn Ihr mich auf den Rand Eures Karrens bis zur Ecke der Rue Geoffroy-Lasnier, bei der Rue Saint-Antoine, wo ich wohne, sitzen ließet.«
»Steigt auf,« sprach der Gemüsegärtnern.
Perrot machte so ohne zu große Anstrengung den Weg der ihn von seinem Hause trennte, und dennoch glaubte er mehr als zehnmal während der Fahrt vom Leben in den Tod hinüberzugehen. Endlich in der Rue Geoffroy-Lasnier hielt der Wagen an.
»Hollah! Freund, Ihr seid zu Hause,« rief der Gemüsegärtner.
»Ich danke! mein braver Mann,« sagte Perrot.
»Er stieg ab, stolperte fort, und war genöthigt, sich an der nächsten Wand zu halten, die er traf.
»Der Kamerad hat einen Schluck über Durst getrunken,« sprach der Bauer, »es lebe der Rausch!« rief er und ging, ein Trinklied trällernd, seines Weges.
Perrot brauchte eine Stunde, um von der Rue Saint-Antoine in die Rue des Jardins zu gelangen. Zum Glück sind die Januarnächte lang! er begegnete doch Niemand und kam gegen sechs Uhr nach Hause.
Trotz der Kälte, gnädiger Herr, hatte mich die Unruhe die ganze Nacht am offenen Fenster gehalten. Beim ersten Ruf von Perrot lief ich an die Thüre und öffnete ihm.
»Stille, bei Deinem Leben!« sagte er, »hilf mir in unser Zimmer hinaufsteigen, aber hüte Dich vor jedem Schrei, vor jedem Wort.«
»Er schritt fort, unterstützt von mir, die ich, obschon ich ihn verwundet sah, doch seinem Verbote gemäß nicht zu sprechen wagte und nur in der Stille weinte. Als wir oben waren, und ich ihm seine Kleider und seine Waffen abgenommen hatte, bedeckte das Blut des Unglücklichen meine Hände, und seine Wunden erschienen mir breit und gähnend. Er kam meinem Ausruf durch eine gebieterische Geberde zuvor und nahm auf dem Bett die Stellung, die ihn am wenigsten leiden machte.
»Gib mindestens zu, daß ich einen Wundarzt holen lasse,« sagte ich schluchzend.
»Unnöthig!« erwiderte er, »Du weißt, daß ich mich ein wenig auf die Kunst der Aerzte verstehe. Eine von meinen Wunden, die unter dem Hals, ist tödtlich, und ich glaube, ich würde schon nicht mehr leben, wenn nicht etwas Stärkeres als der Schmerz mich aufrecht erhalten, und wenn nicht Gott, der die Mörder und Verräther bestraft, mein Ende um einige Stunden verlängert hätte, damit ich seinen zukünftigen Plänen diene. Bald wird mich das Fieber fassen, und Alles wird abgemacht sein. Kein Arzt in der Welt vermag etwas hiergegen.«
»Er sprach mit peinlicher Anstrengung. Ich flehte Ihn an, ein wenig zu ruhen.
»Du hast Recht,« sagte er, »ich muß meine letzten Kräfte schonen. Gib mir nur Schreibzeug.«
»Ich brachte ihm was er verlangte. Doch er hatte nicht bemerkt, daß ihm durch einen Degenstoß die rechte Hand gerissen worden war. Er, schrieb, auch sonst nur mit Schwierigkeit, und er mußte Feder und Papier wegwerfen.
»Nun, so werde ich sprechen,« sagte er, »und Gott wird mich leben lassen, bis ich vollendet habe. Denn wenn dieser gerechte Gott die drei Feinde meines Herrn in ihrer Macht oder in ihrem Leben schlägt, was die vergänglichen Güter der Bösen sind, so muß Herr von Montgommery durch seinen Sohn gerettet werden können.«
»Hierauf, gnädiger Herr,« fuhr Aloyse fort, »hierauf erzählte mir Perrot die ganze traurige Geschichte, die ich vor Euch entrollt habe. Er machte jedoch lange und häufige Unterbrechungen, und wenn er sich zu sehr erschöpft fühlte, um fortzufahren, befahl er mir, ihn zu verlassen und mich den Leuten des Hauses zu zeigen. Ich erschien, leider ohne Mühe, sehr unruhig über den Grafen und meinen Mann. Ich schickte Alle aus, um zuerst im Louvre, sodann bei sämtlichen Freunden des Herrn Grafen von Montgommery, und endlich bei seinen einfachen Bekannten Erkundigungen einzuziehen. Frau von Poitiers antwortete, sie habe ihn nicht gesehen, und Herr von Montmorency er wisse nicht, warum man ihn belästige.
»So wurde jeder Verdacht von mir entfernt, was Perrot wollte, und seine Mörder konnten glauben, ihr Geheimniß wäre im Kerker des Herrn und im Grabe des Stallmeisters begraben.
»Als die Diener auf einige Zeit entfernt waren und ich Euch, gnädiger Herr Gabriel, einem derselben anvertraut hatte, stieg ich wieder zu meinem armen Perrot hinauf, der muthig in seiner Erzählung fortfuhr.
»Gegen Mittag schienen sich die furchtbaren Schmerzen die er bis dahin ausgestanden hatte, ein wenig zu legen. Er sprach leichter und mit einer gewissen Belebtheit. Als ich mich hierüber freute, sagte er traurig lächelnd:
»Diese scheinbare Besserung ist das Fieber, das ich Dir angekündigt. Doch Gott sei Dank! das gräßliche Gewebe ist vor Dir enthüllt. Du weißt nun, was Gott und die drei Mörder allein wußten, und Deine treue, feste, muthige Seele wird, dessen bin ich sicher, dieses blutige Geheimniß bis zu dem Tage bewahren, wo es, wie ich hoffe, Dir gestattet ist, es demjenigen zu enthüllen, welcher ein Recht darauf hat. Du hast den Schwur gehört, den Herr von Montgommery von mir forderte. Du wirst mir diesen Schwur wiederholen, Aloyse. So lange es für Gabriel gefährlich sein wird, seinen Vater am Leben zu wissen, so lange die drei allmächtigen Feinde, die meinen Herrn getödtet haben, vom Zorn Gottes in dieser Welt gelassen werden, schweigst Du, Aloyse schwöre dies Deinem sterbenden Gatten.«
»Weinend schwur ich und an diesem heiligen Schwur bin ich zur Verrätherin geworden, gnädiger Herr, denn mächtiger und furchtbarer als je, leben Eure drei Feinde immer noch.
»Doch Ihr solltet sterben, und wenn Ihr von meiner Offenbarung mit Weisheit und Vorsicht Gebrauch machen wollt, kann das, was Euch Verderben sollte, Euch und Euren Vater retten. Wiederholt mir doch, gnädiger Herr, daß ich kein unverzeihliches Verbrechen begangen habe, und daß der Absicht wegen Gott und mein lieber Perrot mir meinen Meineid vergeben können.«
»Ja, an Allem dem ist kein Eidbruch, fromme Frau,« erwiderte Gabriel, »und Dein ganzes Benehmen ist nur Ergebenheit und Heldenmuth. Doch vollendet! vollendet!«
»Perrot,« fuhr Aloyse fort, fügte noch bei:
»Bin ich nicht mehr, theure Frau, so wirst Du klug daran thun, dieses Haus zu schließen, die Diener zu entlassen, und mit Gabriel und unserem Kinde nach Montgommery zu gehen. Und selbst in Montgommery bewohne nicht das Schloß, ziehe Dich in unser kleines Haus zurück und bilde den Erben des edlen Grafen, wenn nicht gänzlich insgeheim, doch wenigstens ohne Gepränge und ohne Geräusch, so daß seine Freunde ihn kennen, und daß seine Feinde ihn vergessen. Alle unsere guten Leute dort, und der Verwalter und der Kaplan werden Dich in der großen Pflicht unterstützen, die Dir der Herr auferlegt. Es ist vielleicht besser, wenn Gabriel selbst bis zu seinem achtzehnten Jahre den Namen, den er führt, nicht kennt und nur weiß, daß er ein Edelmann ist. Du wirst es übrigens sehen. Unser würdiger Kaplan und der edle Herr von Vimoutiers, der natürliche Vormund des Kindes, werden Dir mit ihrem Rath beistehen, doch selbst vor diesen sichereren Freunden verbirg das, was ich Dir erzählt habe. Beschränke Dich darauf, ihnen zu sagen, Du fürchtest für Gabriel die mächtigen Feinde seines Vaters.«
Perrot fügte noch verschiedene Warnungen bei, die er mir auf tausenderlei Art wiederholte, bis ihn wieder seine Leiden, verbunden mit nicht minder schmerzlichen Schwächen, heimsuchten, er benützte jedoch den kleinsten Augenblick der Ruhe, um mich zu ermuthigen und zu trösten.
Er sagte mir auch und ließ mich Eines versprechen, was, ich muß es gestehen, nicht am wenigsten Energie von mir heischte, und mir nicht am wenigsten Martern bereitete.
»Für Herrn von Montmorency,« sprach er, »liege ich im Kirchhof begraben. Ich muß also mit dem Grafen verschwunden sein. Fände sich hier eine Spur meiner Rückkehr, so wärest Du, Aloyse, verloren, und Gabriel vielleicht mit Dir! Doch Du hast einen starken Arm und ein muthiges Herz. Hast Du mir die Augen geschlossen, so raffe alle Kräfte Deiner Seele und Deines Leibes zusammen, erwarte Mitternacht, und sobald Jedermann hier nach der Anstrengung des Tages entschlummert ist, trage meinen Leichnam in das alte Grabgewölbe der Herren von Brissac, denen dieses Hotel einst gehörte. Niemand dringt mehr in diese verlassene Gruft, und Du findest den verrosteten Schlüssel dazu in der großen Kiste im Zimmer des Grafen. Ich werde somit ein geweihtes Grab haben, und obgleich ein einfacher Stallmeister unwürdig ist, unter so vielen vornehmen Herren zu ruhen, so gibt es doch nach dem Tode nur Christen, nicht wahr?«
Da der arme Perrot einer Ohnmacht nahe war und darauf drang, daß ich ihm mein Wort gebe, so versprach ich ihm, was er wollte. Gegen Abend bemächtigte sich seiner das Delirium, dann folgten furchtbare Schmerzen. Ich zerschlug mir die Brust aus Verzweiflung, daß ich ihn nicht erleichtern konnte; doch er bedeutete mir durch ein Zeichen, es wäre Alles vergeblich.
Vom Fieber und von gräßlichen Leiden verzehrt, sagte er zu mir:
»Aloyse, gib mir zu trinken; nur einen Tropfen.«
Ich hätte ihm in meiner Unwissenheit schon etwas geboten, um diesen glühenden Durst zu stillen, an dem er, wie er sagte, litt; doch er hatte mich immer zurückgewiesen. Ich holte daher eiligst ein Glas, das ich ihm reichte.
Ehe er es nahm, sprach er zu mir:
»Aloyse, einen letzten Kuß und ein letztes Gott befohlen! . . . und erinnere Dich, erinnere Dich!«
Ich bedeckte sein Gesicht mit Küssen und Thränen. Er verlangte sodann von mir das Crucifix, hielt seine sterbenden Lippen auf die Nägel des Kreuzes Jesu und sprach nur noch:
»O mein Gott! o mein Gott!«
Nachdem er mir schwach und zum letzten Male die Hand gedrückt hatte, nahm er das Glas, das ich ihm bot. Er trank einen Mund voll, zuckte heftig auf und fiel auf sein Kopfkissen zurück.
Er war todt.
Den Rest des Abends brachte ich im Gebet und in Thränen hin. Doch ich wohnte wie gewöhnlich Eurem Schlafengehen bei, gnädiger Herr. Es wunderte sich indessen Niemand über meinen Schmerz. Die Bestürzung war allgemein im Haus, und die treuen Diener beweinten insgesamt den Grafen und ihren guten Kameraden Perrot.
Gegen zwei Uhr Nachts ließ sich kein Geräusch mehr vernehmen, und ich allein wachte. Ich wusch das Blut ab, mit dem der Körper meines Mannes bedeckt war, ich hüllte ihn in ein Tuch, empfahl mich Gott, und trug die theure Last hinab, welche meinem Herzen noch schwerer war, als meinem Arm. Wenn meine Kräfte mich verließen, kniete ich zu dem Leichnam nieder und betete.
Endlich, nach Verlauf einer ewig langen halben Stunde, gelangte ich zu der Thüre des Gewölbes. Als ich sie nicht ohne Mühe öffnete, löschte ein eisiger Winds meine Lampe aus und erstickte mich beinahe. Nichtsdestoweniger kam ich wieder zu mir, zündete meine Lampe abermals an und legte den Körper meines Gatten in ein offen und leer gebliebenes Grab, das seiner zu harren schien; dann, nachdem ich zum letzten Male sein Leichentuch geküßt hatte, ließ ich den schweren marmornen Deckel herabfallen, der mich für immer von dem theuren Gefährten meines Lebens trennte. Das Geräusch des Steines auf dem Stein verursachte mir einen solchen Schrecken, daß ich mir kaum Zeit ließ, die Thüre des Gewölbes wieder zu schließen, die Flucht ergriff, und erst in meinem Zimmer wieder anhielt, wo ich halbtodt auf einen Stuhl niedersank. Doch ich mußte vor Tag noch die blutigen Tücher verbrennen, welche mich hätten verraten können. Als der Morgen erschien, war mein hartes Geschäft beendigt, und es blieb nicht eine Spur von den Ereignissen des vorhergehenden Tages und der Nacht übrig. Ich hatte Alles mit der Sorgfalt einer Missethäterin vertilgt, welche auch nicht die entfernteste Erinnerung an ihr Verbrechen zurücklassen will.
Nur hatte mich die so große Anstrengung erschöpft, und ich wurde krank. Doch es war meine Pflicht, für die zwei Waisen zu leben, welche die Vorsehung meinem Schutz allein anvertraut hatte, und ich lebte, gnädiger Herr.«
»Arme Frau, arme Märtyrerin,« sprach Gabriel, Aloyse die Hand drückend.
»Einen Monat nachher,« fuhr die Amme fort, »brachte ich Euch gemäß den letzten Vorschriften meines Mannes, nach Montgommery.
»Was Herr von Montmorency vorhergesehen, trat wirklich ein. Eine Woche lang war bei Hofe nur von dem unerklärlichen Verschwinden des Grafen von Montgommery und seines Stallmeisters die Rede; bald sprach man weniger davon, und dann bildete die nahe bevorstehende Ankunft von Kaiser Karl V., der Frankreich durchziehen sollte, um die Genter zu bestrafen, den einzigen Gegenstand aller Gespräche.
»Im Monat Mai desselben Jahres, fünf Monate nach dem Tode Eures Vaters, gnädiger Herr, wurde Diana von Castro geboren.«
»Ja!« sprach Gabriel nachdenkend, »doch gehörte Frau von Poitiers meinem Vater? Hat sie den Dauphin nach ihm, hat sie ihn zu gleicher Zeit mit ihm geliebt? Dunkle Fragen, welche die üblen Gerüchte eines müßigen Hofes nicht hinreichend zu lösen im Stande sind . . . Doch mein Vater lebt! mein Vater muß leben! und ich werde ihn wiederfinden, Aloyse. Es sind nun in mir zwei Menschen, ein Sohn und ein Liebender, die ihn aufzufinden wissen werden.«
»Gott wolle es!« sprach Aloyse.
»Und Du hast seitdem über das Gefängniß, in welchem diese Elenden meinen Vater begraben konnten, nichts mehr erfahren?« fragte Gabriel.
»Nichts, gnädiger Herr, die einzige Andeutung, die wir hierüber haben, ist jenes von Perrot aufgefaßte Wort von Herrn von Montmorency, der Gouverneur des Châtelet sei ein ergebener Freund von ihm, für den er stehen könne.«
»Des Châtelet!« rief Gabriel, »des Châtelet!«
Und der rasche Blitz einer gräßlichen Erinnerung zeigte ihm plötzlich den düsteren, trostlosen Greis, der nie ein Wort sprechen sollte, den Greis, den er mit einer so seltsamen Gemüthsbewegung in einem der tiefsten Kerker des königlichen Gefängnisses gesehen hatte . . .
Gabriel warf sich in Thränen zerfließend in die Arme von Aloyse.
IV.
Das heroische Lösegeld
Doch am andern Tag, am 12. August, ging Gabriel festen Schrittes und mit ruhigem Antlitz nach dem Louvre, um beim König Audienz zu verlangen.
Er hatte lange mit Aloyse und mit sich selbst erwogen, was er thun und was er sagen sollte. Ueberzeugt, daß die Heftigkeit gegen einen königlichen Gegner nur dazu dienen würde, ihm das Schicksal seines Vaters zuziehen beschloß Gabriel, entschieden und würdig, aber mäßig und ehrfurchtsvoll zu Werke zu gehen; er wollte bitten, und nichts fordern. War es nicht immer noch Zeit, laut zu sprechen, und mußte er nicht zuvor sehen, ob achtzehn Jahre nicht den Haß von Heinrich II. abgestumpft hatten?
Indem Gabriel einen solchen Entschluß faßte zeigte er eben so viel Weisheit und Klugheit, als das kühne Vorhaben zuließ, für das er sich entschieden hatte.
Die Umstände sollten ihm übrigens einen unerwarteten Beistand gewähren.
Als er gefolgt von Martin-Guerre, diesmal gefolgt vom wahren Martin-Guerre, in den Hof des Louvre kam, bemerkte Gabriel eine ungewöhnliche Bewegung; doch er hatte zu starr seinen eigenen Gedanken im Auge, um aufmerksam die geschäftigen Gruppen und die betrübten Gesichter zu betrachten, welche sich seinen ganzen Weg entlang wahrnehmen ließen.
Nichtsdestoweniger mußte er eine Sänfte mit dem Wappen der Guisen erkennen und den Cardinal von Lothringen grüßen, welcher in großer Aufregung aus dieser Sänfte ausstieg.
»Ei! Ihr seid hier, Herr Vicomte d’Ermès?« sprach Carl von Lothringen, »Ihr seid also gänzlich wiederhergestellt? desto besser! desto besser! Mein Herr Bruder erkundigte sich erst in seinem letzten Briefe mit großer Theilnahme nach Euch.«
»Monseigneur, so viel Güte! . . .« erwiderte Gabriel.
»Ihr verdient sie für so viel Tapferkeit!« sprach der Cardinal. »Doch wohin geht Ihr so rasch?«
»Zum König, Monseigneur.«
»Hm! der König hat ganz andere Geschäfte, als Euch zu empfangen, mein junger Freund. Hört, ich begebe mich auch zu Seiner Majestät, welche so eben nach mir verlangt hat. Gehen wir mit einander hinauf, ich führe Euch ein, und Ihr leiht mir Euren jungen Arm. Hilfe für Hilfe. Das ist es, was ich sogleich Seiner Majestät sagen werde, denn Ihr habt wohl die traurige Kunde vernommen?«
»Wahrhaftig, nein!« antwortete Gabriel, »ich komme so eben von Hause und habe in der That nur eine gewisse Bewegung bemerkt.«
»Ich glaube es wohl!« versetzte der Cardinal.
»Herr von Montmorency hat dort beim Heere wieder einen von seinen gewöhnlichen Streichen gemacht. Er wollte dem belagerten Saint-Quentin zu Hilfe eilen, der muthige Connétable! Steigt nicht so schnell hinauf, Herr d’Ermès, ich bitte Euch, ich habe nicht mehr Eure zwanzigjährigen Beine. Ich sagte also, er habe dem Feinde eine Schlacht angeboten, der unerschütterliche General! Das geschah vorgestern, am 10. August, am Saint-Laurent-Tage. Er hatte ungefähr eben so viele Truppen, als die Spanier, eine bewundernswürdige Reiterei und die Elite des französischen Adels. Nun wohl! er richtete die Dinge so gut ein, der erfahrene Feldherr, daß er in den Ebenen von Gibercourt und Lizerolles eine furchtbare Niederlage erlitt, und daß er selbst gefangen genommen und verwundet wurde, und mit ihm alle diejenigen Anführer und Generale, welche nicht auf dem Schlachtfeld geblieben sind. Herr von Enghien gehört zu den Letztern, und von der ganzen Infanterie sind nicht hundert Mann zurückgekommen. Deshalb, Herr d’Ermès, seht Ihr alle Welt so bewegt, und deshalb läßt mich Seine Majestät ohne Zweifel rufen.«
»Großer Gott!« rief Gabriel selbst bei seinem persönlichen Schmerz von diesem Unglück des Staats tief ergriffen, »großer Gott! können die Tage von Poitiers und Azincourt wirklich für Frankreich wiederkehren? Aber Saint-Quentin, Monseigneur?«
»Saint-Quentin hielt sich noch beim Abgang des Boten, und der Neffe des Connétable, der Herr Admiral Gaspard von Coligny, der die Stadt vertheidigte, hatte geschworen, die Mißgriffe seines Oheims dadurch zu mildern, daß er sich eher unter den Trümmern des Platzes begraben lassen, als ihn übergeben würde. Doch ich befürchte sehr, daß er zu dieser Stunde schon begraben, und der letzte Damm der den Feind aushält, genommen ist.«
»Dann wäre das Königreich verloren.«
»Gott beschütze Frankreich,« sprach der Cardinal, »doch wir sind nun beim König, und wir werden sehen, was er thun will, um sich selbst zu beschützen.«
Die Wachen verbeugten sich vor dem Cardinal und ließen ihn natürlich vorüber, ihn den nothwendigen Mann nach der Lage der Dinge und denjenigen, dessen Bruder allein noch das Land retten konnte. Carl von Lothringen trat, gefolgt von Gabriel, ohne Widerstand beim König ein, den er allein mit Frau von Poitiers und ganz in Bestürzung fand. Als Heinrich den Cardinal sah, ging er ihm voll Eifer entgegen und sprach:
»Eure Eminenz sei willkommen! Nun! Herr von Lothringen, welch eine gräßliche Katastrophe! Ich frage Euch, wer hätte das geglaubt?«
»Ich, Sire,« antwortete der Cardinal, »wenn mich Eure Majestät vor einem Monat, zur Zeit des Abgangs von Herrn von Montmorency gefragt hätte . . .«
»Keine leere Anschuldigung, mein Vetter,« erwiderte der König, »es handelt sich nicht um die Vergangenheit, sondern um die so bedrohliche Zukunft, um die so gefahrvolle Gegenwart. Der Herr Herzog von Guise ist auf der Rückkehr aus Italien begriffen, nicht war?«
»Ja, Sire, und er muß nun in Lyon sein.«
»Gott sei gelobt!« rief der König. »Herr von Lothringen, in die Hände Eures erhabenen Bruders lege, ich das Heil des Staates. Habet, Ihr und er, für dieses glorreiche Ziel Vollmacht und souveräne Gewalt. Seid Könige wie ich und mehr als ich. Ich habe selbst an Herrn von Guise geschrieben, um seine Rückkunft zu beschleunigen. Hier ist der Brief. Eure Eminenz wolle die Güte haben, auch zu schreiben, ihrem Bruder unsere Lage zu schildern und ihm zu bemerken, wie nothwendig es ist, keine Minute zu verlieren, wenn man Frankreich noch bewahren will. Sagt Herrn von Guise, daß ich mich ganz auf ihn verlasse. Schreibt, Herr Cardinal, schreibt schnell, ich bitte Euch. Ihr braucht nicht von hier wegzugehen. Dort in jenem Cabinet findet Ihr Alles, was Ihr nöthig habt. Gestiefelt und gespornt, wartet der Eilbote schon unten im Sattel. Habt die Gnade, geht. Geht, eine halbe Stunde mehr oder weniger kann Alles retten oder Alles verderben.«
»Ich gehorche Eurer Majestät,« antwortete der Cardinal, indem er sich nach dem Cabinet wandte, »und mein ruhmwürdiger Bruder wird mir gehorchen, denn sein Leben gehört dem König und dem Königreich. Doch, mag es ihm gelingen, mag er scheitern, Seine Majestät wird die Gnade haben, sich später zu erinnern, daß sie ihm die Gewalt in einer verzweiflungsvollen Lage anvertraut hat.«
»Sagt gefahrvoll, sagt nicht verzweifelt,« entgegnete der König. »Meine gute Stadt Saint-Quentin und ihr braver Vertheidiger, Herr von Coligny, halten sich noch.«
»Oder hielten sich wenigstens noch vor zwei Tagen,« entgegnete Carl von Lothringen. »Aber die Festungswerke waren in einem erbärmlichen Zustand, die ausgehungerten Einwohner sprachen von Uebergabe, und ist Saint-Quentin heute in der Gewalt des Spaniers, so gehört ihm Paris in acht Tagen. Gleichviel, Sire, ich werde an meinen Bruder schreiben, und Ihr wißt, was einem Menschen möglich ist, wird Herr von Guise thun.«
Gabriel war ganz nachdenkend im Hintergrund geblieben, ohne bemerkt zu werden. Sein junges, edles Herz war tief bewegt von der furchtbaren Bedrängniß, welche Frankreich gefährdete, er vergaß, daß es Herr von Montmorency, sein grausamster Feind, war, den man besiegt, verwundet und gefangen genommen hatte. Er sah für den Augenblick in ihm nur den General der französischen Truppen, und dachte beinahe eben so sehr an die Gefahren des Vaterlands, als an die Schmerzen seines Vaters. Das edle Kind hatte Liebe für alle Gefühle und Mitleid für jedes Unglück, und als der König, nachdem der Cardinal hinausgegangen, trostlos in seinen Lehnstuhl zurückfiel und, die Stirne in seinen Händen, ausrief:
»O Saint-Quentin, auf dir beruht nun das Schicksal Frankreichs. Saint-Quentin, meine gute Stadt, wenn du nur noch acht Tage Widerstand zu leisten vermöchtest! Herr von Guise hätte Zeit zurückzukehren die Vertheidigung ließe sich hinter deinen treuen Mauern organisieren! Während, wenn sie fallen, der Feind gegen Paris marschiert und Alles verloren ist. Saint-Quentin, ich gäbe dir für jede deiner Stunden des Widerstands ein Privilegium, und für jeden deiner eingestürzten Steine einen Diamant, wenn du nur noch acht Tage widerstehen könntest!«
»Sire, es wird widerstehen, und zwar mehr als acht Tage,« sprach Gabriel vorschreitend.
Er hatte seinen Entschluß gefaßt, einen erhabenen Entschluß!
»Herr d’Ermès!« riefen gleichzeitig Heinrich und Diana, der König mit Erstaunen, Diana mit Verachtung.
»Wie kommt Ihr hierher, mein Herr?« fragte der König mit strengem Tone.
»Sire, ich bin mit Seiner Eminenz eingetreten.«
»Das ist etwas Anderes,« versetzte Heinrich. »Doch was sagtet Ihr, Herr d’Ermès? Ich glaube, Saint-Quentin könnte widerstehen?!«
»Ja, Sire, und Ihr sagtet, wenn es widerstände so würdet Ihr ihm Freiheiten und Reichthümer geben.«
»Ich wiederhole es,« sprach der König.
»Wohl, Sire, würdet Ihr das, was Ihr der Stadt, die sich vertheidigte, zu bewilligen geneigt seid, dem Mann verweigern, der sie zur Vertheidigung bewegen, der der ganzen Stadt seinen energischen Willen einflößen und sie nicht eher übergeben würde, als bis der letzte Mauerflügel unter der feindlichen Kanone gefallen wäre? Würdet Ihr den Mann, der Euch diese acht Tage des Widerstandes und folglich Euer Königreich gegeben hätte, auf die Gnade, die er von Euch forderte, warten lassen? würdet Ihr um eine Gnade mit demjenigen feilschen, welcher Euch ein Reich zurückgegeben hätte?«
»Nein, gewiß nicht!« rief der König, »Alles, was ein König vermag, würde dieser Mann bekommen.«
»Der Handel ist abgeschlossen, Sire, denn ein König kann nicht nur, er muß verzeihen, und dieser Mann verlangt von Euch eine Verzeihung, und keine Titel, kein Geld.«
»Aber wo ist er? Wer ist dieser Retter?« fragte der König.
»Er steht vor Euch, Sire. Ich bin es, Euer einfacher Kapitän der Leibwachen; doch ich fühle in meiner Seele und in meinem Arm eine übermenschliche Kraft und werde Euch beweisen, daß ich nicht prahle, wenn ich mich anheischig mache, zugleich mein Vaterland und meinen Vater zu retten.«
»Euren Vater, Herr d’Ermès?«
»Ich heiße nicht d’Ermès,« sprach Gabriel, »ich bin Gabriel von Montgommery, der Sohn des Grafen Jacques von Montgommery, dessen Ihr Euch erinnert, Sire.«
»Der Sohn des Grafen von Montgommery!« rief der König indem er sich erbleichend erhob.
Frau Diana rückte auf ihrem Stuhl mit einer Bewegung des Schreckens zurück.
»Ja, Sire,« sprach Gabriel ruhig, »ich bin der Vicomte von Montgommery, der für den Dienst, den er Euch dadurch leisten wird, daß er Saint-Quentin acht Tage lang behauptet, nur die Freiheit seines Vaters von Euch verlangt.«
»Euer Vater, mein Herr,« sagte der König, »ist todt, verschwunden, was weiß ich? Ich weiß nicht, wo Euer Vater ist.«
»Doch ich, Sire, ich weiß es,« versetzte Gabriel eine furchtbare Angst überwindend. »Mein Vater ist seit achtzehn Jahren im Châtelet und erwartet dort den göttlichen Tod oder das menschliche Mitleid. Mein Vater lebt, dessen bin ich sicher. Sein Verbrechen ist mir nicht bekannt.«
»Es ist Euch nicht bekannt?« fragte der König düster und die Stirne faltend.
»Es ist mir nicht bekannt, Sire, sein Vergehen muß schwer sein, daß es eine so lange Gefangenschaft verdient hat, doch es ist nicht unverzeihlich, da es nicht den Tod verdiente. Sire, hört mich. In achtzehn Jahren hat die Gerechtigkeit Zeit gehabt, zu entschlummern, und die Milde, zu erwachen. Die menschlichen Leidenschaften, die uns böse oder gut machen, widerstehen einer so langen Dauer nicht. Mein Vater, der als Mann in den Kerker gekommen ist, wird ihn als Greis verlassen. Hat er nicht gesühnt, so schuldig er auch sein mag? Und wenn die Strafe zufällig zu hart war, ist er nicht zu schwach, um sich zu erinnern? Sire, gebt einen armen Gefangenen, der fortan ohne Gewicht ist, dem Leben zurück. Christlicher König, erinnert Euch der Worte des christlichen Symbols und verzeiht die Schuld Anderer, damit Euch die Eurige verziehen werde.«
Diese letzten Worte wurden mit einem so bezeichnenden Ton gesprochen, daß der König und Frau von Valentinois sich anschauten, als wollten sie voll Schrecken eine Frage an einander richten.
Doch Gabriel wollte nur auf eine zarte Weise den schmerzlichen Punkt ihres Gewissens berühren, und er fügte eiligst bei:
»Bemerkt, Sire, daß ich als treuer und gehorsamer Unterthan zu Euch spreche. Ich sage nicht zu Euch: »Mein Vater ist nicht gerichtet worden, man hat meinen Vater insgeheim verurtheilt, ohne ihn zu hören, und diese Ungerechtigkeit gleicht sehr der Rache . . . Ich, sein Sohn, appelliere also laut vor dem Adel Frankreichs gegen den geheimen Spruch, der ihn getroffen; ich werde öffentlich Allem, was ein Schwert hat, die Verletzung kundthun, welche uns Allen in der Person eines Edelmanns zugefügt worden ist.«
Heinrich machte eine Bewegung.
»Ich sage Euch das nicht, Sire,« fuhr Gabriel fort. »Ich weiß, daß es äußerste Nothwendigkeiten gibt, welche stärker sind als das Gesetz und das Recht. Ich ehre, wie sie ohne Zweifel mein Vater ehren würde, die Geheimnisse einer schon fern von uns liegenden Vergangenheit. Ich bitte Euch nur, mir zu erlauben, durch eine glorreiche und befreiende Handlung den Rest der Strafe meines Vaters abzukaufen. Als Lösegeld biete ich Euch an, Saint-Quentin eine Woche lang von dem Feinde frei zu halten, und wenn das nicht genügt, den Verlust von Saint-Quentin dadurch auszugleichen, daß ich den Engländern oder auch den Spaniern eine andere Stadt abnehme! Das ist im Ganzen wohl die Freiheit eines Greises werth. Nun! ich werde das thun, Sire, und noch mehr, denn die Sache, welche meinen Arm bewaffnet, ist rein und heilig, mein Wille ist stark und kühn, und ich fühle, daß Gott mit mir sein wird.«