Kitabı oku: «Die Cabane und die Sennhütte», sayfa 7
Zehntes Kapitel
Zwei redliche Herzen
In Folge der Begegnung in der Kirche de la Major wagte Marius sich nicht zu entschließen, an Mademoiselle Madeleine zu schreiben, um sie von der trotzigen Stimmung des Monsieur Coumbes in Kenntniß zu setzen, wie er es zu thun beabsichtigt hatte.
Er war blaß und zitternd in das Haus seines Patrons zurückgekehrt. Seine Niedergeschlagenheit war so tief so einleuchtend, daß Jedermann ihn für krank gehalten, und daß der herbeigerufene Arzt ihn fieberkrank gefunden hatte. Man hatte ihn zu Bette gebracht; aber selbst in der Einsamkeit eines kleinen Zimmers hatte er nicht den Gedanken, an das junge Mädchen zu schreiben; er war überzeugt, daß sie in ihrem gerechtfertigten Unwillen nicht weniger thun könne, als ihm einen Brief zurückzuschicken, ohne ihn zu lesen.
Indessen wurde Monsieur Coumbes nicht in die Lage versetzt, von seinem Talente, die Feuerwaffen zu handhaben, Gebrauch zu machen. Monsieur Riouffe und seine Schwester fanden sich nicht vor der Gitterthüre der Cabane ein.
Am Abend empfing Monsieur Coumbes von einem jungen Nachbar einen höflichen Brief, in welchem dieser mit der Rücksicht, die er dem Alter des ehemaligen Packträgers schuldig war, sein Unrecht eingestand und ihn bat, es zu vergessen.
Monsieur Coumbes fehlte es an Edelmuth, wie es ihm an jener Seelengröße gefehlt hatte, welche die Vergessenheit der Beleidigungen gebietet; man unterdrückt nicht ungestraft seine Gefühle. Weit entfernt, in diesem Schritte ein edles und redliches Geständniß zu sehen, welches auf würdige Weise einen Fehler wieder gut machen will, stellte er sich vor, daß es von seinen Drohungen herbeigeführt worden sei, denn er zweifelte nicht, daß Marius der getreue Dolmetscher derselben gewesen sei. Dann, als er einige kriegerische Neigungen fühlte, war er ein wenig eifersüchtig auf die Rolle, welche dieser, den er als ein Kind betrachtete, in seiner Sache gespielt, und er fand sich befriedigt, wenigstens mit Marius gleichgestellt zu sein.
Zur großen Ueberraschung Miletten's, die ihren Herrn nie nach Sonnenuntergang hatte ausgehen sehen, verlangte Monsieur Coumbes, sobald er den Brief Jean Riouffe‘s gelesen hatte, was er seine Levite nannte, zog sie an, steckte Geld in seine Westentasche und begab sich in das Kaffeehaus von Bonneveine.
An diesem Orte, dem Schauplatze seiner ersten Demüthigungen wollte er seinen Ruhm strahlen lassen. Seine stolzen Neigungen waren nicht gemäßigt, sie folgten aber seiner neuen Leidenschaft, dem Haffe, in der abscheulichen Richtung, welche die seinen Gefühlen gab; man konnte dann über seine Eitelkeit lachen, wenn sie sich befriedigt fand durch das Aufblühen einer Blume, durch das Wachsen der Gemüse, durch das Fangen eines Fisches, aber selbst seine Einfalt ließ ihm einen gewissen Charakter der Größe. Es blieb Nichts weiter übrig, als sie zu beklagen, jetzt da sie ihn dahin führte, sich den Beifall der gemeinen Zuhörer zu erbetteln, ihre Bewunderung zu bestechen, indem er sie mit vielen kleinen Gläsern anfeuerte, jetzt da er sich den leichten und groben Triumphen hingab, welche ihm die Großmuth der Umstände bereitete.
Monsieur Coumbes machte viel Effect in dem öffentlichen Kaffeehause seines Orts; er las dort den Brief seines Nachbarn vor, indem er ihn mit zahlreichen Bemerkungen begleitete über die Feigheit desselben, über die Behandlung, die seiner gewartet, wenn er sich nicht entschlossen, seine Entschuldigungen aus der Ferne zu senden. Da der ehemalige Packträger sich zugleich an den unauslöschlichen Durst der Gäste des Kaffeehauses von Bonneveine und an den Neid wendete, den man gewöhnlich gegen die reichen Leute hegt, so wurde ihm Billigung und Beifall wie einem Kriegshelden zu Theil; er übertraf, wie man einstimmig behauptete, den heiligen Georg. Der neue Renommit blieb geizig, indem er sich verschwenderisch zeigte, das heißt, er vergaß sich nicht bei der Vertheilung der geistigen Getränke, die er unternommen; auch verwirrte der Dunst derselben, vereint mit dem des Ruhmes vollends ein Gehirn. Er kehrte nach Hause zurück, indem er furchtbare Bewegungen mit seinem Regenschirm machte; er war nicht sehr gewiß, ob er nicht die ganze Bande der Riouffe‘s getödtet hätte, wie ihm in der Nacht geträumt, und wie er an dem eben verflossenen Abend bei der ersten Gelegenheit zu thun geschworen. Als er das Dach der Sennhütte erblickte, welches schwarz gegen den nebeligen Horizont des Meeres abstach, mußten ihn diejenigen, welche ihn aus Mitleid oder aus Erkenntlichkeit begleiteten, mit Gewalt abhalten, sie anzuzünden.
Als er am folgenden Morgen seinen Rausch ausgeschlafen hatte, erinnerte sich Monsieur Coumbes nur undeutlich dessen, was am Abend geschehen war. Aber was davon in einem Gedächtniß blieb, wäre hinreichend gewesen, ihn ein wenig beschämt zu machen, wenn eine Eigenliebe es ihm gestattet hätte. Er wäre lieber gestorben, als daß er sich gestanden hätte, daß er Unrecht gehabt. Er wiederholte diese erste Sitzung in dem Kaffeehause von Bonneveine nicht, und zwar zum großen Bedauern der gewöhnlichen Gäste dieses Hauses; aber als der Zufall machte, daß er einem derselben begegnete, fuhr er fort, weniger lärmend vielleicht, aber nicht mit mehr Bescheidenheit zu triumphieren.
Indessen war die Art, wie Jean Riouffe sich benahm, wohl geeignet, eine weniger unerbittliche Leidenschaft zu besänftigen, als die des wüthenden Monsieur Coumbes.
Von dem Tage an, als Madeleines Bruder den Frieden mit seinem Nachbar unterzeichnet hatte, hörte die Sennhütte auf, der Schauplatz toller Gesellschaft und lärmender Gelage zu sein, welche Monsieur Coumbes so sehr aufgebracht hatten. Am Sonnabend Abend kam Mademoiselle Riouffe zuweilen mit ihrem Bruder dorthin, häufiger noch in Gesellschaft einer alten Dienerin. Sie brachte sechsunddreißig Stunden dort zu, wie es der Besitzer der Cabane zur Zeit that, als seine Geschäfte ihm nicht die freie Verfügung über seine Zeit ließen. Einige Spaziergänge im Garten, die Sorge für ihre Blumen, seltene Ausflüge zu den Felsen an der Küste waren die einzigen Zerstreuungen des jungen Mädchens. Die Sennhütte war so still und friedlich, so anständig geworden, wie ihre Gesellschafterin zur Linken.
Es war Monsieur Coumbes nicht möglich, dies zu leugnen, auch versuchte er es nicht; er begnügte sich damit, Miletten auf rauhe Weise Schweigen aufzuerlegen, als diese, ernstlich betrübt, die üble Laune ihres Herrn die Ursache derselben überleben zu sehen, ihn auf diese Verbesserung aufmerksam zu machen versuchte.
Es war ihm nicht mehr gestattet, die sanfte Ruhe, die Gleichgültigkeit, die bis dahin sein Leben charakterisiert hatte, wieder zu erlangen. Die bösen Gefühle gleichen dem Unkraut auf den Feldern; ein Wurzelast reicht hin, um es fortzupflanzen. Der Neid und seine Begleitung hatten das Herz des Monsieur Coumbes in Besitz genommen, Alles diente ihm als Vorwand, nicht wieder herauszugehen; in Ermangelung des Herrn war es der Garten der Sennhütte, welcher das Dasein des ehemaligen Packträgers vergiftete.
Dieser Garten war weder länger noch breiter, weder weniger schlecht gelegen, noch weniger dem Winde und Wetter ausgesetzt, als der des Monsieur Coumbes, und doch zeigten sich die Erfolge sehr verschieden, da das Jahr, in welches man eingetreten war, nicht dem vorhergehenden glich. Der Garten des Monsieur Coumbes hatte so gut wie möglich das Aussehen eines Bratofens wieder angenommen, welches wir zu Anfang dieses Bandes ausführlich geschildert haben. Trotz dem Nordwestwinde und der Sonne blieb der des Monsieur Riouffe frisch, üppig und duftend, Zahlreiche Zufuhren von Gewächserde hatten schon den Boden verbessert; Vorhänge von Tamarisken und Cypressen, groß mit der Erde, in welcher sie gewachsen waren, gepflanzt; zahlreiche Schutzwehren von Stroh beschützten die Pflanzen; wenn ungeachtet so vieler Vorsichtsmaßregeln die Trockenheit oder der Seewind sie zerstörte, so wurden sie mit einer Verschwendung ersetzt, die nicht gestattete, diesen Unfall zu bemerken.
Der Anblick dieses unerhörten Glücks verletzte Monsieur Coumbes ebenso grausam, wie die schlechten Scherze Jean Riouffes und seiner Kameraden es nur hätten thun können. Er versuchte gegen das anzukämpfen, was er eine empörende Parteilichkeit der Natur nannte; er verdoppelte das Begießen; er machte Anpflanzungen über Anpflanzungen; er gab sich Ausgaben hin, die er selber als unsinnig bezeichnete aber sei es nun, daß er zu spät angefangen, sei es, daß es an dem Boden lag, es glückte ihm Nichts, und der Garten seiner Nachbarn, welcher sein Unglück bezeugte, machte, daß seine Abneigung gegen die fortdauerte. Er wendete den Kopf ab, wenn ihm die grünen Gipfel der Gesträuche, welche über eine Mauern hinausragten, in die Augen fielen; wenn man mit ihm davon sprach, bekam er einen nervösen Anfall. Unglücklicherweise fand dieser Glanz des Gartenbaues Mittel, sich wiederum kund zu geben: der Seewind, der über die Wohnung des Monsieur Riouffe dahinging, erfüllte sich mit dem Dufte der Rosen, der Tuberosen, der Heliotropen, der Nelken und Jasminen, die sie in eleganten Körben schmückten, und trug ihn getreulich zu dem Monsieur Coumbes hinüber. Ungeachtet der Verachtung, die dieser für die frivole Cultur hegte, erbitterte ihn dieser Beweis von einer so großen Ueberlegenheit nur noch mehr; er verachtete endlich, wie alle neidischen Menschen, das, was seit dreißig Jahren sein Glück ausgemacht hatte, und er hegte Abscheu gegen das, was seinen Stolz ausgemacht; er versäumte einen Garten und beschäftigte sich nur mit dem Fischfange, welcher den Vortheil hatte, daß er ihn ganze Tage lang von dieser verabscheuten Nachbarschaft fern hielt.
Es war nicht Jean Riouffe, der aus dem Garten seiner Sennhütte ein so beleidigendes Wunder für den ehemaligen Packträger gemacht hatte.
In Folge des Besuches von Marius hatte Madeleine zärtliche aber strenge Vorstellungen an ihren Bruder wegen seines Benehmens gegen Monsieur Coumbes gerichtet. Die Betrübniß, welche sie diesem verursachten, war rührend geworden, da sie von den Lippen einer Schwester kamen, welche Jean Riouffe verehrte. Er hatte ein gutes Herz, wie die meisten schlechten Subjecte, er versuchte die Rührung des jungen Mädchens in einen Scherz umzuwandeln; als er aber sah, daß diese ernst blieb, ergab er sich und versprach, Alles zu thun, was sie von ihm verlangen würde.
Er hatte eingewilligt, in Person zu gehen, um dieser Person, die er nicht umhin konnte sehr lächerlich zu finden, eine ehrenvolle Genugthuung zu geben; aber an demselben Tage, als dieser Schritt ausgeführt werden sollte, schien Mademoiselle Madeleine ihre Absicht geändert zu haben, und der Brief, den Monsieur Coumbes als Siegeszeichen benutzt hatte, wurde anstatt dessen abgeschickt. Jean Riouffe schrieb ihn mit Nachgiebigkeit, er versprach seiner Schwester überdies, daß die Sennhütte aufhören solle, der Sitz der Gesellschaft der Vampyre zu sein, und er hielt getreulich sein Wort. Mademoiselle Madeleine reinigte durch ihre Gegenwart die, so neu sie waren, bereits verunreinigten Mauern.
Das erste Mal, als sie nach Montredon kam, fand Mademoiselle Madeleine die Lage, die Bauart, die inneren Anordnungen entsetzlich und erklärte ihrem Bruder wohl zehnmal, so nothwendig es auch sein möchte, seine Thaten und die seiner Bande zu verbergen, so könne sie doch nicht begreifen, wie er eine solche Wüste habe wähle können, um darin ein Zelt aufzuschlagen. —
Aber seit den Ereignissen, die wir eben erzählt haben, kam das junge Mädchen vermöge einer seltsamen Umkehrung, so weiblich man dieselbe auch halten mag, von ihren ersten Ansichten ab; die öden Sandhügel des Cap Croisette erschienen ihr nicht mehr so widerwärtig; die Felskuppen von Marchia Veyre nahmen in ihren Augen einen Anblick an, der nicht ohne Reize war; die Durchsichtigkeit des Meeres, die sich abwechselnd mit Aquamarin und Blau je nach den Ablagerungen von Seepflanzen oder Sand mischten, erschien ihr anziehend; selbst die Abgeschiedenheit, woraus sie der armen Sennhütte ein so großes Verbrechen gemacht hatte, war ein Vortheil, den sie hervorzuheben nicht versäumte. Noch war kein Monat vergangen, als sie ihren Bruder bat, ihr die Besitzung des kleinen Landhauses zu überlassen.
Dieser war beschäftigt, etwas ganz Anderes zu studieren, als den Charakter der Frauen; er verlor seine Zeit nicht damit, seine Schwester nach den Gründen dieses auffallenden Widerspruches zu fragen; dieser Verkauf brachte ihm Geld in die Tasche, woran es ihm gerade fehlte, und er willigte in demselben Augenblick ein.
Dieser Ankauf hatte nur in seinem Anfange den Anschein der Laune. Mademoiselle Madeleine wurde jeden Tag anhänglicher daran. Sie sprach wenig von ihrer Sennhütte und lud Niemand als ihren Bruder ein, sie dorthin zu begleiten, aber Alles deutete darauf hin, daß sie beständig daran dachte.
Sie war es, welche die Anordnungen geleitet, welche das Gärtchen in ein Paradies verwandelt hatten, dessen Düfte Monsieur Coumbes auf so grausame Weise verfolgten: ihre beständige Beschäftigung mit Verbesserungen und Verschönerungen gewährten ihr Zerstreuungen, worüber sie zuweilen ihre Geschäfte vernachlässigte; ihre Leidenschaft für die Blumen veranlaßte sie zu Ankäufen, die ihr Bruder, wenn er sich der Gewohnheiten der Ordnung und Sparsamkeit erinnerte, in welcher Hinsicht seine Schwester ihm so oft das Beispiel gegeben, nicht begreifen konnte; endlich bemerkten selbst die Commis mit Bestürzung, daß ihre junge Patronin, die am Sonnabend Abend sonst immer bis zuletzt bei der Arbeit geblieben, beständig nach ihrer Uhr sah, um sich zu überzeugen, ob die Stunde zur Abreise aufs Land noch nicht da sei.
Wir wollen auf der Stelle die Lösung des Räthsels mittheilen, und zu dem Zwecke müssen wir ein wenig zurückgehen.
Nach der Unterredung, in welcher Mademoiselle Madeleine das Widerstreben ihres Bruders überwunden, die Erklärungen zu geben, womit Marius sich zufrieden erklärt, hatte sie sich in die Kirche de la Major begeben; sie wollte Gott danken, daß er ihr gestattet, eine Angelegenheit zu beenden, die, wenn die beiden jungen Leute zusammengetroffen wären und die Entschlossenheit des Einen der Eigenliebe des Andern entgegengetreten wäre, nothwendigerweise einen blutigen Ausgang hätte haben müssen.
Wir haben gesehen, wie der Zufall Marius in dieselbe Kapelle geführt hatte, worin sich das junge Mädchen befand; wie dieser durch die Verwirrung seiner Ideen dahin geführt worden, sich allein zu glauben; endlich wie und mit welchen Ausdrücken der Name Madeleine von seinen Lippen gekommen.
Mademoiselle Riouffe kehrte sehr aufgeregt in ihre Wohnung zurück; sie wollte über die augenblickliche Leidenschaft scherzen, die sie diesem jungen Manne eingeflößt; nur ihre Lippen fanden ein Lächeln, ihr Herz blieb ernst und sie wurde sogar träumerisch. Sie versuchte, ihrem Bruder die Uebertriebenheit dieses Jünglings zu erzählen. Bei dem ersten Worte, welches sie davon sprach, verstummte sie, beendete es nicht und war genöthigt, eine Ausflucht zu suchen, um ihre Verlegenheit zu verbergen.
Nach und nach veränderte diese Uebertriebenheit das Aussehen und den Namen. Das Gebet dieses armen Jünglings, welcher Gott bat, ihm Kraft genug zu geben, um einer Liebe zu widerstehen, die ihn von dem Wege der strengen Rechtschaffenheit, von der angestrengten Arbeit, die er zu seiner Lebensaufgabe gemacht, ablenken könne, hörte auf, sich ihr lächerlich darzustellen und erschien ihr rührend; sie sah darin die Andeutung eines erhabenen Charakters, einer rechtschaffenen Seele.
Nach diesen moralischen Eigenschaften erinnerte sie sich der physischen Vortheile, die bisher in ihrem Gedächtnisse geschlummert, doch war sie zu sehr Weib, um sie nicht bemerkt zu haben. Sie erinnerte sich mit einem Herzklopfen, welches sie nicht mehr zu unterdrücken vermochte, daß Marius schön war und zwar jene strenge Schönheit der südländischen Männer besitze, die schon im Jünglingsalter der männlichen Reife gleicht; sie rief in ihrer Träumerei das Bild des jungen Mannes vor ihre Augen; sie sah diesen festen und entschlossenen Blick wieder, als er von Monsieur Coumbes sprach, der zärtlich und demüthig wurde, als ihm Madeleine ihre Sorgen und Bekümmernisse mittheilte, und seine verächtliche Lippe, als sie eine Erwähnung der Gefahren wagte, welchen er sich aussetzen würde.
Einige Tage lang stellten sich diese Gedanken dem Geiste des jungen Mädchens dar, als sie bemerkte, daß sie vergebens über dieselben zu siegen versuche; sie sah die Lage kälter und viel entschlossener an, als Marius gethan hatte. Ihre Liebe zu ihrem Bruder begann sehr günstige Resultate zu zeigen. Madeleines Zureden nachgebend, zeigte sich Jean Riouffe weniger vergnügungssüchtig; er wurde immer kälter gegen die Gefährten seiner Ausschweifungen; und schon mehrmals hatte er die Absicht zu erkennen gegeben, sich zu verheirathen.
Der Augenblick näherte sich also, wo die Aufgabe seiner Schwester erfüllt sein mußte, wo der Eintritt einer Schwägerin in das Haus die Rolle Madeleines sehr schwierig machen und wo sie sich in der Mitte der neuen Familie ihres Bruders als eine Fremde finden würde. Was die ehemals mit ruhigem Auge angesehen, was sie mit ganzem Herzen herbeigewünscht hatte, daran konnte sie jetzt nicht ohne Schrecken denken; sie fragte sich, was aus ihr werden würde, wenn fiel nicht mehr wisse, wie sie ihren Durst nach Liebe, der ihre Seele verzehrte, stillen sollte, und sie fühlte, wie ihre Augen sich mit Thränen füllten und wie ihr Herz zerriß. Zwischen dem, welchen sie für den Sohn des Monsieur Coumbes hielt, und ihr herrschte eine große Verschiedenheit der Stellung; aber wenn die Gewohnheit eines geregelten und geordneten Lebens ihren Geist gereift hatte, so befreite der Kummer ihrer Jugend ihre Vernunft von den Vorurtheilen, welche dieselbe verdunkeln konnten.
Nach dem, was sie von dem Charakter des jungen Marius gesehen hatte, dachte sie, daß sie mehr zu gewinnen habe, wenn sie sich bis zu ihm herablasse, als wenn sie bis zu einem Anderen erhoben würde, der nicht so viel Werth habe, wie er.
Sie glaubte der Vernunft zu gehorchen; wahrscheinlich war es die Leidenschaft, die schon allein hinreichte, sie zu bestimmen.
Wie dem auch sei, sie versuchte nicht mehr, ihrer Neigung entgegen zu wirken; sie gab sich derselben mit der Aufrichtigkeit eines redlichen Herzens hin; sie war zu wahrhaft tugendhaft, um ihre Neigung mit der Aeußerlichkeit einer falschen Klugheit zu maskiren; sie zauderte nicht, sich Marius zu nähern, und da sie jetzt die Nachbarin des Monsieur Coumbes geworden war, so erwartete sie, daß der Sohn dieses Mannes dem Prolog, den er in der Kapelle der heiligen Magdalena gesprochen, eine Fortsetzung geben würde.
Aber so groß auch ihre Geduld war, so schien doch Marius dieselbe auf eine zu schwere Probe stellen zu wollen; der Sommer war vergangen, der Herbst hatte angefangen, ohne daß er ein Wort an die gerichtet, die ihn mit so viel Wohlwollen empfangen hatte. Er zeigte sich ebenso eifrig zu fliehen, wie das junge Mädchen ihm zu begegnen, und wenn es ihm zufällig unmöglich war, ihr auszuweichen, schlug er die Augen nieder, um sie nicht eher zu erheben, als bis sie verschwunden war.
Elftes Kapitel
Worin gezeigt wird, daß es bei viel gutem Willen doch zuweilen schwierig ist, sich zu verständigen
Die Zurückhaltung und Kälte, welche Marius gegen Mademoiselle Madeleine zeigte, war nichts weniger als aufrichtig.
Seine Begegnung mit ihr in der Kirche de la Major hatte seine Bedenklichkeiten überwunden; abergläubisch wie alle wahrhaft religiösen Menschen, hatte er in dem Zufall, der sie auf so seltsame Weise einander genähert und das junge Mädchen in ein Geheimniß eingeweiht hatte, wovon er ihr nie das Geständniß abzulegen gewagt haben würde, ein offenbares Einschreiten der Vorsehung gesehen; unter dem Einflusse dieses allmächtigen Gedankens waren die kalten Eingebungen der Vernunft und der Pflicht verschwunden, und Alles in ihm hatte sich mit dem Schrei der Liebe vereint, der aus seinem Herzen kam.
Die Umstände nöthigten Marius, dieses Gefühl in sich zu verschließen und zu verschweigen; es ging also sehr schnell in Liebe über.
Aber was die Liebe in dieser starken, jugendlichen und ursprünglichen Natur besonders bezeichnete, war der Respekt, den ihm Madeleine einflößte; dieser Respect befreite seine Liebe von jedem irdischen Streben; sie flößte ihm den hohen Glauben, die aufrichtige Demuth und auch die leidenschaftliche Begeisterung eines Frommen für die Madonna ein. Es war ein Cultus, ein Götzendienst. Er wäre gern durch den Arm des Meeres geschwommen, welcher die Insel Pomegue von Montredon trennt, um die Luft zu athmen, welche eine Vielgeliebte athmete, und er hätte nicht gewagt, wenn er diese Heldenthat ausgeführt, den Saum des Kleides des jungen Mädchens mit der Spitze eines Fingers anzuregen, um ihn zu seinen Lippen zu führen; dieses Kleid erschien ihm von Marmor, wie das einer Statue, nie hatte seine Einbildungskraft davon geträumt, die Falten desselben zu befragen.
Er senkte die Augen, wenn ihm Mademoiselle Riouffe begegnete, und sie hatte in ihrem Leben die Rolle übernommen, welche Gott der Sonne in der Natur übertragen hat; Marius schien sie zu fliehen, und doch war der Gedanke an die beständig einem Geiste gegenwärtig.
Dieser scheinbare Widerspruch in einer Seele, die zu einer kräftigen Entschlossenheit fähig war, erklärt sich durch das Gefühl, welches Marius von einer untergeordneten Stellung Madeleine gegenüber hatte; es war ein so weiter Abstand von dem jungen Mädchen, eingetragen in das goldene Buch der hohen marseiller Handelsgesellschaft, bis zu einem armen Burschen ohne Namen, von dem Mitleide eines Packträgermeisters erzogen, so daß es ihm nicht möglich schien, daß diese Kluft einst sollte überschritten werden; er liebte ohne Hoffnung, und seine Leidenschaft war deshalb nur um so glühender.
Wie Mademoiselle Riouffe für Miletten's Sohn gestimmt war, durfte dieser nur einen Schritt vorwärts thun, um glücklich zu sein. Er hatte nicht die Stärke, flehende Hände zu derjenigen auszustrecken, die ihm so theuer war, und in seiner stummen und einsamen Verehrung fand er unaussprechliche Genüsse.
Alle die, welche sich erinnern wollen, daß die jung gewesen sind, werden es begreifen. Welches sind unsere Vergnügungen, unsere Freuden des männlichen Alters gegen die köstliche Trunkenheit der Jugend, wenn das Herz sich von seinen Wickelbändern frei zu machen, einen ersten Schrei hervorzustottern sucht, wenn der Hauch eines weiblichen Wesens, das Rauschen ihres Gewandes, ein Wort, ein Blick, eine Blume, die ihren Fingern entfallen ist, uns in eine Begeisterung versetzen, welche allein einen Begriff von den Genüssen des siebenten Himmels gewähren kann.
Die Handlungsweise, die Monsieur Coumbes gewählt hatte, seinen Garten zu vernachlässigen und den größten Theil seiner Zeit auf dem Meere zuzubringen, gab Marius, wenn er in die Cabane kam, eine Freiheit, die er bis dahin nicht gekannt hatte; Milette war zu glücklich, ihn in ihrer Nähe zu sehen, zu sehr mit den häuslichen Sorgen beschäftigt, um seinen Handlungen entgegen zu sein, oder sie zu beobachten; der Sonntag gehörte seiner Liebe.
Die Gleichgültigkeit, die wir erwähnt haben, hörte auf, sobald der junge Mann gewiß war, daß Madeleine ihn nicht mehr sehen könne. Er nahm das von Monsieur Coumbes verlassene Observatorium in Besitz, und brachte lange Stunden damit zu, die hübsche Nachbarin zu beobachten; er sah sie, hinter dem Rollvorhange versteckt, liebevoll an, wie sie in ihrem Garten hin und her ging; ihren Pflanzen Wasser gab und ihre Rosenstöcke von ihren verblichenen Blumen befreite; er bewunderte ihre Schönheit, ihre Grazie, ihre Einfachheit; und bei diesen Verdiensten, die seit sechs Monaten der gewöhnliche Text der Liebeshymne waren, die sein Herz sang, schien es ihm immer, als ob er sie zum ersten Mal bemerke.
Wenn Madeleine die Sennhütte verließ, um in der Nachbarschaft spazieren zu gehen, wartete Marius, bis sie hinter der Mauer des großen Meierhofes war, der ein wenig weiter entfernt lag, als die Cabane, dann schlich er sich hinaus und begann ihr zu folgen; er ging mit der Vorsicht eines Guerilla, der im Gebirge vorschreitet, warf sich platt nieder, wenn sie sich zufällig umwendete, verbarg sich in den Unebenheiten der Felsen, wenn eine Wendung des Weges machte, daß er ihr begegnen mußte, indem er hinter den Tannen und verkrüppelten Olivenbäumen des Hügels Schutz suchte. Wenn das junge Mädchen stehen blieb, verließ sein Blick sie nicht; er folgte mit Eifer allen ihren Bewegungen, allen ihren Geberden, und außer dem Glück, welches er empfand, sie zu sehen, hatte dieser oft ermüdende Weg seine Entschädigung: er konnte die Blumen pflücken, welche Madeleine mit der Hand berührte, welche ihr Kleid im Vorübergehen gebogen hatte; er machte einen Strauß davon, den er in sein Zimmer mitnahm, und während der ganzen Woche richtete er an diese schwache und ungewisse Ausströmung der Königin einer Gedanken Zärtlichkeiten, welche die Sentimentalität eines Frankfurter (?) Studenten nicht würde verleugnet haben.
So verging der ganze Sommer, ohne daß der Zufall, der indessen so wenig zu thun hatte, um ein Verbindungsband für zwei Herzen zu liefern, die mit so viel guten Willen für einander erfüllt waren, sich entschloß, die einander näher zu bringen.
Man war am Ende des September, und die Bewohner der Cabane und der Sennhütte zeigten sich gleich sorgenvoll.
Während die Herbstnachtgleiche die letzten Düfte des beneideten Gartens entführte, brachte sie auch die Stürme wieder; die hohle See wurde zur Woge und die Woge zum Wasserberge, so daß die Fahrten nach den Riouinseln, dem gewöhnlichen Schauplatze der Heldenthaten des Monsieur Coumbes, eingestellt werden mußten.
Milette hatte mehrere Gründe, traurig zu sein.
Marius gehörte der nächsten Aushebung an und die arme Mutter sah dem Augenblick nicht ohne Schrecken entgegen. Sie war unruhig über die Bestimmung, die das Schicksal dem jungen Manne vorbehielt; sie fühlte sich sehr verlegen, als sie daran dachte, daß es nothwendig werde, ihm das Geständniß seiner wahren Lage abzulegen; sie fürchtete, daß ihr Sohn das Geheimniß des Verhältnisses des ehemaligen Packträgers zu seiner Dienerin errathen möchte; sie fühlte, wie sie erröthete und erbebte bei dem Gedanken, daß sie ihrem Sohne gestehen müsse, daß dieser Mann nicht sein Vater sei, und daß sie ihm den Namen und die Lage ihres Mannes mitzutheilen habe; sie begann zu begreifen, daß, so groß auch das Unrecht dieses Letzteren sein möchte, ihr eigenes Benehmen nicht weniger verdammlich gewesen; es erwachte Reue in ihrer Seele; sie fragte sich, ob der Fluch dessen, dem sie das Leben gegeben, ihr nicht als erste Strafe dienen werde.
Marius fürchtete den Winter, welcher die Besuche der Mademoiselle Riouffe in ihrer Sennhütte weniger zahlreich machen würde.
Madeleine, die ungeachtet des Scharfblicks, den man den Frauen zuschreibt, Nichts von den Gefühlen entdeckt hatte, die der junge Mann mit so vieler Sorgfalt verbarg, Madeleine empfand jene Entmuthigung und Ermattung, welche den Täuschungen folgen. Sie hatte einen Roman aufgeführt, und von dem ersten Helden konnte sie nur den Schatten erhaschen. Sie mochte ihr Bedauern leicht nehmen und sich wiederholen, am Ende zeige sich die Vorsehung weiter, als sie selber es gewesen, indem sie sich zu Gunsten der Vernunft und gegen die Neigung ausspreche, welcher sie nachgegeben; es gelang ihr nicht, diese Philosophie ihrem Herzen anzueignen, es blutete eben. Ihre Gefühle waren zu erhaben, als daß sie sich einem gewöhnlichen Aerger hingeben sollte; aber sie wurde düster, schwermüthig und kränkelnd; sie hatte die stets zunehmende gute Stimmung ihres Bruders benutzt, um ihm die Leitung des Handelshauses zu übergeben und um die letzten schönen Tage in Montredon zuzubringen.
Um die Unruhe zu besänftigen, die sie quälte, machte Madeleine immer weitere und häufigere Spaziergänge.
Eines Tages hatte sie, sich ihren Gedanken hingebend, das Cap Croisette umgangen und sich träumerisch auf einen von den Felsen niedergesetzt, die das Meer, sich an ihren Seiten brechend, wie Spitzen ausgezackt hatte.
Ihr Blick schweifte von diesem mittelländischen Meere, azurblau und mit Gold betupft, von diesen Steinblöcken, schön in ihrer entsetzlichen Nacktheit, die sie vor sich hatte, zu dem tiefen und ungeachtet seiner Klarheit düsteren Himmel.
Plötzlich glaubte sie in der Ferne einen Nothschrei zu hören; sie richtete sich auf, und sich mit den Händen, so wie mit den Füßen unterstützend, gelang es ihr, den Felsen zu ersteigen, der die südliche Spitze des Cap beherrscht. Madeleine sah Nichts; aber noch anderes Geschrei, wenn gleich schwächer, gelangte deutlich zu ihrem Ohr.
Sie ging entschlossen in dieser Richtung weiter; ihr Unternehmen war schwierig und gefahrvoll.
Bei dem stürmischen Wetter verschwand der äußerste Punkt des Cap Croisette gänzlich unter dem Wasser; die Fluthen haben die Felsen, die es bilden, mit Anstrengung unter die Füße getreten; an den Stellen, wo sie Marmor oder Granit gefunden haben, zeigt sich die Arbeit der Jahrhunderte an den seltsamen Zeichnungen, die nur in die Oberfläche des Steins einschneiden; aber wenn diese zart war, wenn Erde die Lagen trennte, da hatte das Rollen der Wogen tiefe Furchen, unzählige Kanäle eingegraben, in welchen das Meer circulirt.
Von einer Spitze zur anderen, von einem Felsen zum anderen springend und ebenso viel Stärke als Geschicklichkeit zeigend, gelangte Madeleine zu der Stelle der Erdzunge, von wo der Ruf, den sie gehört, zu kommen schien.
Es war gerade an dem Orte, wo das Cap sich unter einer beträchtlichen und fast senkrechten Erhöhung erhebt.
Diese Erhöhung von Madrague her umgehend, erblickte sie einen Mann blutend und ohnmächtig am Boden ausgestreckt.
Ungeachtet des schmutzigen Aussehens dieses Menschen, ungeachtet einer zerlumpten Kleidung, war die erste Bewegung des jungen Mädchens gewesen, sich auf ihn zuzustürzen, seinen Arm zu ergreifen und zu versuchen, ihn an die Felswand anzulehnen, um ihn ins Leben zurückzurufen.
Aber so groß auch ihr Muth war, so ging diese Aufgabe doch über ihre Kräfte; der Kopf des Mannes, den sie aufgerichtet hatte, entglitt ihren Händen und fiel leblos auf den Boden zurück.