Kitabı oku: «Die drei Musketiere», sayfa 12
XIII.
Herr Bonacieux
Bei dieser ganzen Geschichte spielte eine Person mit, um die man sich, trotz ihrer bedenklichen Lage, nur wenig zu beunruhigen schien: diese Person war Herr Bonacieux, der ehrenwerthe Märtyrer politischer und verliebter Intriguen, die sich in dieser zugleich so ritterlichen und so galanten Epoche so gut mit einander vermengten.
Zum Glück erinnert sich der Leser, oder er erinnert sich auch nicht, daß wir ihn nicht aus dem Blick zu lassen versprochen haben.
Die Schergen, welche ihn verhaftet hatten, führten ihn geraden Wegs nach der Bastille, wo man ihn ganz zitternd an einem Zug Soldaten, welche ihre Musketen luden, vorübergehen ließ. Von hier in eine halb unterirdische Galerie gebracht, wurde er von Seiten derjenigen, welche ihn verhaftet hatten, der Gegenstand der gröbsten Beleidigungen, der größten Mißhandlungen. Die Sbirren sahen, daß sie es mit keinem Edelmann zu thun hatten, und behandelten ihn als einen armen Schlucker.
Nach Verlauf einer halben Stunde machte ein Gerichtsschreiber seinen Qualen, aber nicht seiner Unruhe ein Ende, indem er befahl, Herrn Bonacieux ins Verhörzimmer zu bringen. Gewöhnlich befragte man die Gefangenen in ihrem Zimmer, aber mit Herrn Bonacieux machte man nicht so viel Umstände.
Zwei Garden ergriffen den Krämer, ließen ihn durch einen Hof schreiten, sodann in eine Flur eintreten, wo drei Schildwachen standen, öffneten eine Thüre und stießen ihn in eine niedrige Stube, in der das ganze Geräthe aus einem Tische, einem Stuhl und einem Commissär bestand. Der Commissär saß auf dem Stuhle und schrieb auf dem Tisch. Die zwei Garden führten den Gefangenen vor den Tisch und entfernten sich auf ein Zeichen des Commissärs aus dem Bereich seiner Stimme. Der Commissär, welcher bis dahin seinen Kopf gesenkt gehalten hatte, erhob ihn nun, um zu sehen, mit wem er es zu thun hätte. Dieser Commissär war ein Mann von widerlicher Miene, mit spitziger Nase, gelben, hervorstehenden Backenknochen, kleinen, aber forschenden und lebhaften Augen, ein Mann, dessen Physiognomie eine Mischung von Marder und Fuchs zu sein schien. Sein von einem langen Halse getragenes Haupt trat, sich wiegend, aus seinem schwarzen Gewande beinahe mit derselben Bewegung hervor, die man bei der Schildkröte wahrnimmt, wenn sie den Kopf aus ihrer Schale herausstreckt.
Er fing damit an, daß er Herrn Bonacieux nach Namen und Vornamen, Alter und Domicil fragte. Der Angeklagte antwortete, er heiße Jacques Michel Bonacieux, sei einundfünfzig Jahre alt, Krämer, der sich vom Geschäfte zurückgezogen, und wohne in der Rue des Fossoyeurs, Nro. 11.
Statt mit dem Verhör fortzufahren, hielt ihm der Commissär nun eine lange Rede über die Gefahr, die ein unbedeutender Bürger laufe, wenn er sich in die öffentlichen Angelegenheiten mische. Diese Predigt verband er mit einer Erläuterung, worin er von der Macht und den Handlungen des Herrn Cardinals, dieses unvergleichlichen Ministers, dieses Besiegers früherer Minister, dieses Beispiels zukünftiger Minister sprach, von einer Macht und von Handlungen, denen Niemand ungestraft in den Weg trete.
Nach diesem zweiten Theil seiner Rede heftete er seinen Sperberblick auf den armen Bonacieux, und forderte ihn auf, den Ernst seiner Lage in Betracht zu ziehen.
Die Betrachtungen des Krämers waren alle angestellt. Er wünschte den Augenblick zum Teufel, wo Herr La Porte den Gedanken gehabt hatte, ihn mit seiner Pathin zu verheirathen, und mehr noch den Augenblick, wo eben diese Pathin in die Garderobe der Königin aufgenommen wurde.
Der Grundstoff im Charakter von Meister Bonacieux war verhärtete Selbstsucht, vermischt mit schmutzigem Geiz und gewürzt mit außerordentlicher Feigheit. Die Liebe, die ihm seine junge Frau eingeflößt hatte, war ein ganz secundäres Gefühl und könnte mit den aufgezählten Gefühlen nicht in den Kampf treten.
Herr Bonacieux überdachte sich in der That, was man ihm so eben gesagt hatte.
»Aber, mein Herr Commissär,« sprach er schüchtern, »glaubt mir, daß ich mehr als irgend ein Mensch das Verdienst der unvergleichlichen Eminenz, von der wir regiert zu werden die Ehre haben, kenne und zu schätzen weiß.«
»Wirklich?« fragte der Commissär mit etwas zweifelhafter Miene. »Aber wenn dem in der That so ist, wie kommt ihr in die Bastille?«
»Wie ich hierher komme, oder vielmehr, warum ich hier bin,« erwiederte Bonacieux, »das kann ich Euch unmöglich sagen, weil ich es selbst nicht weiß; aber sicherlich nicht, weil ich den Herrn Cardinal beleidigt habe, wenigstens nicht wissentlich.«
»Ihr müßt doch ein Verbrechen begangen haben, da Ihr hier des Hochverraths angeklagt seid.«
»Des Hochverraths!« rief Bonacieux erschrocken. »Des Hochverraths! wie sollte ein armer Krämer, der die Hugenotten haßt und die Spanier verabscheut, des Hochverraths angeklagt sein? Bedenkt doch, mein Herr, dies ist in der That rein unmöglich.«
»Herr Bonacieux,« sprach der Commissär, und schaute dabei den Angeklagten an, als ob seine kleinen Augen die Macht besäßen, in der Tiefe der Herzen zu lesen, »Herr Bonacieux, habt Ihr eine Frau?«
»Ja, mein Herr,« antwortete der Krämer, am ganzen Leibe zitternd, denn er fühlte, daß in diesem Punkte der böse Knoten der ganzen Angelegenheit liegen mußte; »das heißt, ich hatte eine.«
»Wie? Ihr hattet eine! Was habt Ihr gemacht, wenn Ihr sie nicht mehr besitzt?«
»Man hat sie mir entführt, mein Herr.«
»Man hat sie Euch entführt?« sprach der Commissär. »Ah!«
Bonacieux fühlte bei diesem Ah, daß sich die Angelegenheit immer mehr verwickelte.
»Man hat sie Euch entführt?« versetzte der Commissär; »und wißt Ihr, wer der Mann ist, der diesen Raub begangen hat?«
»Ich glaube. Ihn zu kennen.«
»Wer ist es?«
»Bedenkt, daß ich nichts behaupte, mein Herr Commissär, sondern nur vermuthe.«
»Wen habt Ihr im Verdacht? Antwortet offenherzig.«
Herr Bonacieux war in der größten Verlegenheit; sollte er Alles leugnen oder Alles sagen? Leugnete er Alles, so konnte man glauben, er wisse zu viel, um zu gestehen; sagte er Alles, so war dies ein Beweis von gutem Willen. Er entschloß sich, Alles zu sagen.
»Ich habe,« sprach er, »einen großen Mann von bräunlicher Gesichtsfarbe und stolzer Miene im Verdacht, der ganz aussieht, wie ein vornehmer Herr; er folgte uns wiederholt, wie es mir vorkam, wenn ich meine Frau vor der Pforte des Louvre erwartete, um sie nach meiner Wohnung zu führen.«
Der Commissär schien sich etwas beunruhigt zu fühlen.
»Und sein Name?« sprach er.
»Ah, was seinen Namen betrifft, den weiß ich nicht. Aber wenn ich ihm je begegne, und wäre es unter tausend Menschen, werde ich ihn sogleich wieder erkennen, dafür stehe ich Euch.«
Die Stirne des Commissärs verfinsterte sich.
»Ihr werdet ihn unter tausend Menschen wieder erkennen, sagt Ihr?« fuhr er fort.
»Das heißt, erwiederte Bonacieux, welcher einsah, daß er einen falschen Weg eingeschlagen hatte, »das heißt . . . «
»Ihr habt mir geantwortet, Ihr würdet ihn wieder erkennen,« sprach der Commissär, »schon gut, das ist für heute genug. Ehe wir weiter gehen, muß Jemand davon in Kenntniß gesetzt werden, daß Ihr den Räuber Eurer Frau kennt.«
»Aber ich habe Euch nicht gesagt, ich kenne ihn!« rief Bonacieux in Verzweiflung. »Ich sagte Euch im Gegentheil . . . «
»Führt den Gefangenen ab,« sprach der Commissär zu den Wachen.
»Und wohin soll man ihn führen?« fragte der Gerichtsschreiber.
»In einen Kerker.«
»In welchen?«
»Oh, mein Gott! in den nächsten besten, wenn er nur fest ist,« erwiederte der Commissär mir einer Gleichgültigkeit, die den armen Bonacieux schaudern machte.
»Wehe, wehe!« sprach er zu sich selbst, »das Unglück lastet auf meinem Haupt; meine Frau wird ein furchtbares Verbrechen begangen haben; man hält mich für ihren Mitschuldigen und bestraft mich mit ihr. Sie wird gesprochen, sie wird eingestanden haben, ich sei mit Allem vertraut; eine Frau ist so schwach! Ein Kerker! der nächste beste! so geht es! eine Nacht ist bald vorüber, und dann morgen Galgen und Rad! Oh! mein Gott, mein Gott, erbarme Dich meiner!«
Ohne im Geringsten auf das Klagegeschrei des Meisters Bonacieux zu hören, ein Geschrei, woran sie übrigens gewöhnt sein mußten, nahmen die zwei Wachen den Gefangenen beim Arm und führten ihn weg, während der Commissär in Eile einen Brief schrieb, auf den der Gerichtschreiber wartete.
Bonacieux schloß kein Auge; nicht als ob sein Kerker zu abscheulich gewesen wäre, sondern weil seine Unruhe zu groß war. Er blieb die ganze Nacht auf seiner Bank, er zitterte bei dem geringsten Geräusche, und als die ersten Strahlen des Tages in seine Kammer drangen, kam es ihm vor, als hätte das Morgenroth eine Leichenfärbung angenommen.
Plötzlich hörte er die Riegel klirren und sprang erschrocken auf. Der Unglückliche glaubte, man komme, um ihn zu holen und nach dem Schaffot zu führen. Aber als er statt des erwarteten Henkers seinen Commissär und seinen Gerichtsschreiber vom vorigen Tage erscheinen sah, war er sehr geneigt, ihnen um den Hals zu fallen.
»Eure Angelegenheit hat sich seit gestern Abend sehr verwirrt, mein braver Mann,« sagte der Kommissär, »und ich rathe Euch, die Wahrheit unumwunden zu gestehen, denn nur Eure Reue vermag den Zorn des Cardinals zu beschwören.«
»Ich bin bereit. Alles zu sagen,« rief Bonacieux, »wenigstens Alles, was ich weiß. Fragt, ich bitte Euch.«
»Vor Allem: wo ist Eure Frau?«
»Ich sagte Euch doch, man habe sie mir entführt.«
»Ja, aber seit gestern Mittag um fünf Uhr ist sie durch Eure Hilfe entflohen.«
»Meine Frau ist entflohen?« rief Bonacieux. »Oh, die Unglückliche! Mein Herr, wenn sie entflohen ist, so bin ich nicht Schuld, ich schwöre es Euch.«
»Was hattet Ihr dann bei Herrn d'Artagnan, Eurem Nachbar zu thun, mit welchem Ihr an diesem Tag eine lange Konferenz hieltet?«
»Ach! ja, Herr Commissär, ja, das ist wahr, und ich gestehe, daß ich Unrecht hatte. Ja, ich bin bei Herrn d'Artagnan gewesen.«
»Und was war der Zweck Eures Besuches?«
»Ich wollte ihn bitten, mir meine Frau aufsuchen zu helfen. Ich glaubte mich berechtigt, sie zurückzufordern; aber ich täuschte mich, wie es scheint, und bitte um Vergebung.«
»Was antwortete Herr d'Artagnan?«
»Herr d'Artagnan hat mir seinen Beistand zugesagt; aber ich sah bald ein, daß er mich verrieth.«
»Ihr wollt der Justiz eine Lüge aufschwatzen! Herr d'Artagnan hat einen Vertrag mit Euch abgeschlossen, hat kraft dieses Vertrags die Polizei, welche Eure Frau verhafteten, in die Flucht gejagt, und alle Nachforschungen fruchtlos gemacht.«
»Herr d'Artagnan hat meine Frau entführt? Ei, ei, was sagt Ihr mir da?«
»Zum Glück ist Herr d'Artagnan in unsern Händen und Ihr sollt ihm gegenüber gestellt werden.«
»Ah! meiner Treu, das ist mir ungemein lieb;« rief Bonacieux, »es soll mir gar nicht leid thun, ein bekanntes Gesicht zu sehen.«
»Laßt Herrn d'Artagnan eintreten,« sprach der Commissär zu den zwei Wachen.
Die Wachen ließen Athos eintreten.
»Herr d'Artagnan,« sprach der Commissär, sich an Athos wendend, »erklärt, was zwischen Euch und diesem Herrn vorgefallen ist.«
»Aber Ihr zeigt mir ja gar nicht d'Artagnan,« rief Bonacieux.
»Wie, das ist nicht d'Artagnan?« sprach der Commissär.
»Keineswegs,« antwortete Bonacieux.
»Wie heißt dieser Herr?« fragte der Commissär.
»Ich kann es Euch nicht sagen, ich kenne ihn nicht.«
»Wie, Ihr kennt ihn nicht?«
»Nein!«
»Ihr habt ihn nie gesehen?«
»Doch; aber ich weiß nicht, wie er heißt.«
»Euer Name?« fragte der Commissär.
»Athos«, antwortete der Musketier.
»Das ist kein Menschenname, sondern der Name eines Berges,« rief der arme Untersuchungsrichter, der den Kopf zu verlieren anfing.
»Es ist mein Name,« sprach Athos ruhig.
»Aber Ihr sagtet doch, Ihr hießet d'Artagnan?«
»Ich?«
»Ja, Ihr!«
»Man hat zu mir gesagt: Ihr seid Herr d'Artagnan? ich erwiederte: Ihr glaubt? Meine Wachen meinten, sie wüßten es gewiß; ich wollte ihnen nicht widersprechen; überdies konnte ich mich täuschen.«
»Mein Herr, Ihr beleidigt die Majestät der Justiz!«
»Durchaus nicht,« entgegnete Athos gelassen.
»Ihr seid Herr d'Artagnan?«
»Seht, Ihr sagt es mir noch einmal.«
»Nun ich sage Euch, mein Herr Commissär,« rief Bonacieux, »daß man hier keinen Augenblick zweifeln darf. Herr d'Artagnan wohnt in meinem Hause, und ich muß ihn folglich kennen, obgleich er mir meinen Miethzins nicht bezahlt, und gerade aus diesem Grunde. Herr d'Artagnan ist ein junger Mann von kaum neunzehn bis zwanzig Jahren, und dieser Herr ist gewiß dreißig Jahre alt. Herr d'Artagnan steht bei den Garden des Herrn des Essarts, und dieser Herr bei der Musketiercompagnie des Herrn von Treville. Schaut die Uniform an, mein Herr Commissär, schaut die Uniform an.«
»Es ist wahr,« murmelte der Commissär, »es ist bei Gott wahr!«
In diesem Augenblicke wurde die Thüre rasch geöffnet, und ein von einem Gefangenenwärter der Bastille eingeführter Bote übergab dem Commissär einen Brief.
»Oh! die Unglückliche!« rief der Commissär.
»Wie? was sagt Ihr? von wem sprecht Ihr? Hoffentlich nicht von meiner Frau?«
»Im Gegentheil gerade von ihr. Eure Angelegenheit steht ganz schön!«
»Ah,« rief der Krämer in Verzweiflung, »macht mir das Vergnügen und sagt mir, wie sich meine Angelegenheit durch das verschlimmern kann, was meine Frau thut, während ich im Gefängniß sitze.«
»Weil das, was sie thut, die Folge eines unter Euch abgekarteten höllischen Planes ist.«
»Ich schwöre Euch, Herr Commissär, daß Ihr in einem gewaltigen Irrthume befangen seid; daß ich nicht das Mindeste von dem weiß, was meine Frau thun sollte; daß ich dem, was sie gesagt hat, völlig fremd bin, und daß ich sie, wenn sie Dummheiten begangen hat, verleugne, verfluche.«
»Ei,« sprach Athos zu dem Commissär, »wenn Ihr mich hier nicht braucht, so schickt mich irgendwo hin. Er ist sehr langweilig, dieser Herr Bonacieux.«
»Führt die Gefangenen in ihre Kerker zurück,« sprach der Commissär, mit derselben Geberde Athos und Bonacieux bezeichnend, »und man soll sie mit der größten Strenge bewachen!«
»Wenn Ihr indessen mit Herrn d'Artagnan zu thun habt,« sagte Athos mit seiner gewöhnlichen Ruhe,« so sehe ich nicht ganz ein, warum ich seine Stelle vertreten soll.«
»Thut, was ich gesagt habe,« rief der Commissär, »und beobachtet das tiefste Stillschweigen, hört Ihr?«
Athos folgte den Wachen mit einem Achselzucken, und Herr Bonacieux mit einem Klagegeschrei, das einem Tiger hätte das Herz zerreißen mögen.
Man führte den Krämer in denselben Kerker, wo er die Nacht zugebracht hatte, und ließ ihn hier den ganzen Tag. Den ganzen Tag weinte Herr Bonacieux, wie ein wahrer Krämer, denn er war durchaus kein Mann vom Schwerte, wie er uns selbst gesagt hat.
Abends gegen neun Uhr, in dem Augenblick, wo er sich entschloß, zu Bette zu gehen, hörte er Tritte in der Hausflur. Diese Tritte näherten sich seinem Kerker, die Thüre wurde geöffnet, die Wachen erschienen.
»Folgt mir,« sagte ein Gefreiter, der hinter den Wachen ging.
»Euch folgen!« rief Bonacieux, »Euch folgen, zu dieser Stunde! und wohin denn, mein Gott?«
»Wohin wir Euch zu führen den Befehl haben.«
»Aber das ist keine Antwort.«
»Es ist die einzige, die wir Euch geben können.«
»Ach! mein Gott, mein Gott,« murmelte der arme Krämer, »diesmal bin ich verloren.«
Und er folgte maschinenmäßig ohne Widerstand den Wachen, die ihn holten. Er ging durch dieselbe Flur, durch die er bereits gegangen war, durchschritt einen ersten Hof und dann ein zweites Hauptgebäude. Vor dem Thore des Einfahrthofes fand er einen von vier Reitern umgebenen Wagen. Man ließ ihn in diesen Wagen einsteigen, der Gefreite setzte sich neben ihn. Man verschloß den Kutschenschlag mit einem Schlüssel, und Beide befanden sich in einem fahrenden Gefängnisse.
Das Gefährt setzte sich langsam wie ein Leichenwagen in Bewegung. Durch das geschlossene Gitter gewahrte der Gefangene die Häuser und das Pflaster, mehr nicht. Aber als wahrer Pariser erkannte Bonacieux jede Straße an den Ecksteinen, an den Schilden, an den Laternen. Als sie zu St. Paul gelangten, wo man die Verurtheilten der Bastille hinrichtete, war er einer Ohnmacht nahe und bekreuzte sich zweimal. Er glaubte, der Wagen würde hier halten, aber er ging weiter. Später erfaßte ihn abermals ein gewaltiger Schrecken, als er an dem Kirchhof St. Jean vorüberfuhr, wo man die Staatsverbrecher beerdigte. Ein einziger Umstand beruhigte ihn einigermaßen, nämlich daß man ihnen vor der Einscharrung gewöhnlich den Kopf abschnitt, und sein Kopf saß noch auf seinen Schultern. Als er aber sah, daß der Wagen die Straße nach der Grève einschlug, als er die spitzigen Dächer des Stadthauses bemerkte und wahrnahm, daß man unter der Arcade einbog, da glaubte er, jetzt sei Alles aus. Er wollte dem Gefreiten beichten; da ihm dieser aber alles Gehör verweigerte, so stieß er ein so erbarmungswürdiges Geschrei aus, daß ihm der Gefreite erklärte, wenn er nicht aufhöre, ihm die Ohren voll zu schreien, so werde er ihm einen Knebel anlegen. Diese Drohung beruhigte Bonacieux einigermaßen. Wollte man ihn an der Grève hinrichten, so lohnte es sich nicht der Mühe, ihn zu knebeln, da man die Richtstätte beinahe erreicht hatte. Der Wagen fuhr in der That über den unseligen Ort hin, ohne anzuhalten. Jetzt war nichts mehr zu befürchten, als die Croix-du-Trahoir, und der Wagen nahm seinen Weg wirklich gerade in dieser Richtung.
Diesmal konnte man nicht mehr zweifeln. Auf der Croix-du-Trahoir wurden Verbrecher untergeordneten Ranges hingerichtet. Bonacieux hatte sich des St. Paul oder des Grève-Platzes würdig gehalten. An der Croix-du-Trahoir sollten sein Leben und sein Schicksal sich endigen! Er konnte das unglückliche Kreuz noch nicht sehen, aber er hatte ein Gefühl, als ob es ihm entgegen käme. Als nur noch etwa zwanzig Schritte zurückzulegen waren, hörte er ein Geräusch und der Wagen hielt stille. Das war mehr, als der arme, durch die rasch auf einander erfolgten Gemüthsbewegungen niedergeschmetterte Krämer zu ertragen vermachte. Er stieß einen schwachen Seufzer aus, den man für den letzten Athemzug eines Sterbenden hätte halten können, und sank in Ohnmacht.
XIV.
Der Mann von Meung
Der Zusammenlauf fand nicht statt, weil man einen für den Galgen bestimmten Menschen erwartete, sondern er wurde durch die Anschauung eines Gehenkten veranlaßt. Einen Augenblick aufgehalten, fuhr der Wagen bald wieder weiter, setzte seinen Weg durch die Menge fort, gelangte in die Rue St. Honoré, wandte sich nach der Rue des Bons-Enfants und hielt vor einer niedern Pforte an.
Die Thüre öffnete sich; zwei Wachen nahmen Bonacieux, der von dem Gefreiten unterstützt wurde, in ihre Arme, und man stieß ihn in einen Gang, ließ ihn eine Treppe hinaufsteigen und setzte ihn in einem Vorzimmer nieder. Alle diese Bewegungen hatten sich für ihn maschinenmäßig bewerkstelligt. Er war gegangen, wie man im Traume geht; er hatte die Gegenstände in einem Nebel gesehen. Seine Ohren hatten Töne vernommen, ohne ihre Bedeutung zu verstehen. Man hätte ihn in diesem Augenblick hinrichten können, und er würde nicht die geringste Geberde zu seiner Vertheidigung unternommen, keinen Schrei ausgestoßen haben, um Mitleid zu erflehen.
Er blieb also, den Rücken an die Wand gelehnt und die Arme herabhängend, auf derselben Stelle der Bank sitzen, wo ihn die Wachen niedergesetzt hatten. Da er jedoch bei Umherschauen nichts Bedrohliches gewahr wurde, da nichts eine wirkliche Gefahr andeutete, da die Bank geziemend ausgepolstert und die Wand mit schönem Corduanleder tapeziert war, da prächtige rothe Damastvorhänge, vom Fenster herabwogten, so begriff er allmälig, daß seine Furcht übertrieben war, und er fing an, seinen Kopf nach rechts und links, und von unten nach oben zu bewegen. Durch diese Bewegung, der sich Niemand widersetzte, gewann er etwas Muth; er wagte es, zuerst ein Bein, dann das andere vorzuziehen; dann erhob er sich vorsichtig mit Hilfe seiner Hände auf seiner Bank und stand bald auf seinen Füßen.
In diesem Augenblicke öffnete ein hübscher Offizier einen Thürvorhang. Er wechselte noch ein paar Worte mit einer im anstoßenden Zimmer befindlichen Person, wandte sich sodann gegen den Gefangenen um und sagte:
»Seid Ihr Bonacieux?«
»Ja, mein Herr Offizier,« stammelte der Krämer, mehr todt als lebendig, »Euch zu dienen.«
»Tretet ein,« sagte der Offizier.
Und er trat auf die Seite, daß der Krämer durchgehen konnte. Dieser gehorchte ohne Erwiederung und trat in das Zimmer, wo man ihn zu erwarten schien.
Es war ein großes, an den Wänden mit Vertheidigungs- und Angriffswaffen geschmücktes, geschlossenes und lustloses Cabinet, in welchem bereits ein Feuer brannte, obgleich man erst am Ende des Monats September war. Ein viereckiger, mit Büchern und Papieren bedeckter Tisch, auf welchem ein ungeheurer Plan der Stadt Rochelle entrollt war, nahm die Mitte des Zimmers ein. Vor dem Kamin stand ein Mann von mittlerer Gestalt, stolzer, hochmütiger Miene, mit durchdringenden Augen, breiter Stirne und abgemagertem Gesichte, das durch Schnurr- und Knebelbart noch länger wurde. Obgleich er erst sechs- bis siebenunddreißig Jahre alt sein mochte, so fingen doch Haupthaare, Schnurrbart und Knebelbart an grau zu werden. Dieser Mann trug zwar keinen Degen, sah aber ganz wie ein Krieger aus, und seine büffelledernen, noch leicht mit Staub bedeckten Stiefel deuteten an, daß er im Verlauf des Tages geritten war.
Dieser Mann war Armand Jean Duplessis, Cardinal von Richelieu, nicht wie man ihn uns darstellt, hinfällig wie ein Greis, leidend wie ein Märtyrer, mit gebrochenem Körper, erloschener Stimme, in einem großen Lehnstuhl begraben, nur durch die Kraft seines Genies lebend und den Kampf mit Europa einzig und allein durch die ewige Thätigkeit seines Geistes aushaltend; sondern, so wie er in Wirklichkeit zu dieser Zeit war, das heißt ein galanter Kavalier von aufrechter Haltung, zwar schwach von Körper, aber unterstützt von jener moralischen Kraft, die ihn zu einem der außerordentlichsten Menschen machte, welche je gelebt haben; jetzt, nachdem er den Herzog von Revers in seinem Herzogthum Mantua aufrecht erhalten, nachdem er Nimes, Castres und Uzés genommen hatte, mit den Vorbereitungen beschäftigt, um die Engländer von der Insel Re zu vertreiben und La Rochelle zu belagern.
Beim ersten Anblick bezeichnete nichts den Cardinal, und diejenigen, welche sein Gesicht nicht kannten, konnten unmöglich errathen, vor wem sie sich befanden.
Der arme Krämer blieb vor der Thüre stehen, während die Augen der so eben beschriebenen Person auf ihn gerichtet waren, als wollten sie bis in die tiefste Tiefe seiner Gedanken dringen.
»Ist das Bonacieux?« fragte er nach kurzem Stillschweigen.
»Ja, Monseigneur,« antwortete der Offizier.
»Gut; gebt mir diese Papiere und laßt uns allein.«
Der Offizier nahm die bezeichneten Papiere vom Tisch, übergab sie, verbeugte sich zur Erde und trat ab.
Bonacieux erkannte in diesen Papieren das Verhör in der Bastille. Von Zeit zu Zeit schlug der Mann am Kamin die Augen von den Schriften auf und bohrte sie wie zwei Dolche dem armen Krämer in den Grund des Herzens.
Nachdem der Cardinal zwei Minuten gelesen und zwei Sekunden geprüft hatte, war er entschieden.
»Dieser Kopf da hat nicht conspirirt,« murmelte er, »doch gleich viel, sehen wir ein wenig nach.«
»Ihr seid des Hochverraths angeklagt,« sprach der Cardinal langsam.
»Das hat man mir bereits gesagt, Monseigneur,« rief Bonacieux, indem er dem Fragenden den Titel gab, welchen er von dem Offizier gehört hatte; »aber ich schwöre Euch, daß ich nichts davon wußte.« Der Cardinal unterdrückte ein Lächeln.
»Ihr habt mit Eurer Frau, mit Frau von Chevreuse und mit Mylord Herzog von Buckingham conspirirt.«
»In der That, Monseigneur,« antwortete der Krämer, »ich habe sie alle diese Namen aussprechen hören.«
»Und bei welcher Veranlassung?«
»Sie sagte, der Cardinal von Richelieu habe den Herzog von Buckingham nach Paris gelockt, um ihn und die Königin mit ihm zu verderben.«
»Das sagte sie?« rief der Cardinal heftig.
»Ja, Monseigneur; aber ich erwiederte ihr, sie hätte Unrecht, solche Worte zu sprechen, und Seine Eminenz sei unfähig . . . «
»Schweigt! Ihr seid ein Dummkopf,« versetzte der Cardinal.
»Meine Frau hat mir gerade dasselbe geantwortet, gnädigster Herr.«
»Wißt Ihr, wer Eure Frau entführt hat?«
»Nein, Monseigneur!«
»Ihr habt jedoch Verdacht?«
»Ja, Monseigneur, aber dieser Verdacht schien dem Herrn Commissär ärgerlich zu sein und ich habe ihn nicht mehr.«
»Eure Frau ist entflohen; wußtet Ihr es?«
»Nein Monseigneur, ich habe es erst erfahren, seit ich im Gefängniß bin, und zwar einzig und allein durch die Vermittlung des Herrn Commissärs, eines sehr liebenswürdigen Mannes!«
Der Cardinal unterdrückte ein zweites Lächeln.
»Dann wißt Ihr also auch nicht, was aus Eurer Frau seit Ihrer Flucht geworden ist?«
»Durchaus nicht, Monseigneur; aber sie muß in den Louvre zurückgekommen sein.«
»Um ein Uhr Morgens war sie noch nicht zurückgekehrt.«
»Aber mein Gott, was ist dann aus ihr geworden?«
»Man wird es erfahren, seid ruhig; man verbirgt dem Cardinal nichts; der Cardinal weiß Alles.«
»Glaubt Ihr in diesem Fall, Monseigneur, der Cardinal werde sich herablassen, mir zu sagen, was aus meiner Frau geworden ist?«
»Vielleicht; aber zuvor müßt Ihr Alles gestehen, was Ihr in Beziehung auf die Verhältnisse Eurer Frau zu Frau von Chevreuse wißt.«
»Monseigneur, ich weiß nichts, ich habe diese nie gesehen.«
»Kehrte Eure Frau, wenn Ihr sie im Louvre abholtet, unmittelbar in Euer Haus zurück?«
»Beinahe nie, sie hatte Geschäfte mit Leinwandhändlern, zu denen ich sie führte.«
»Mit wie viel Leinwandhändlern?«
»Mit zwei, gnädigster Herr.«
»Wo wohnen sie?«
»Der eine in der Rue de Vaugirard, der andere in der Rue de la Harpe.«
»Gingt Ihr mit ihr hinein?«
»Nie, Monseigneur, ich erwartete sie an der Thüre.«
»Welchen Vorwand nahm sie, um allein hineinzugehen?«
»Keinen, sie sagte mir, ich sollte warten, und ich wartete.«
»Ihr seid ein gefälliger Gatte, mein lieber Herr Bonacieux«, sprach der Cardinal.
»Er hat mich seinen lieben Herrn genannt,« sagte der Krämer zu sich selbst; »Teufel, die Sache geht gut.«
»Würdet Ihr die Thüren wieder erkennen?«
»Ja.«
»Wißt Ihr die Nummern?«
»Ja.«
»Welche sind es?«
»Nro. 25 in der Rue de Vaugirard, Nro. 75 in der Rue de la Harpe.«
»Gut,« sagte der Cardinal.
Bei diesen Worten nahm er ein silbernes Glöckchen, läutete, und der Offizier trat wieder ein.
»Sucht mir Rochefort,« sagte er mit leiser Stimme, »und er soll sogleich hierher kommen, sobald er zurückgekehrt ist.«
»Der Graf ist da,« erwiederte der Offizier, »und wünscht mit Ew. Eminenz zu sprechen.«
»Er komme, er komme!« sagte der Cardinal lebhaft.
Der Offizier entfernte sich mit der Geschwindigkeit, mit der alle Diener Richelieus zu gehorchen pflegten.
»Mit Ew. Eminenz!« murmelte Bonacieux, und drehte ganz verwirrt seine Augen in ihren Höhlen.
Es waren noch keine fünf Sekunden seit dem Verschwinden des Offiziers abgelaufen, als die Thüre sich öffnete und eine neue Person eintrat.
»Er ist es!« rief Bonacieux.
»Wer?« fragte der Cardinal.
»Derjenige, welcher mir meine Frau entführt hat.«
Der Cardinal läutete zum zweiten Male. Der Offizier erschien wieder.
»Uebergebt diesen Menschen seinen zwei Wachen und er soll warten, bis ich ihn vor mich rufe.«
»Nein, Monseigneur, nein, er ist es nicht,« schrie Bonacieux, »ich habe mich getäuscht; es ist ein Anderer, der nicht die geringste Aehnlichkeit mit ihm hat. Dieser Herr ist ein rechtschaffener Mann.«
»Führt diesen Dummkopf weg,« sprach der Cardinal.
Der Offizier nahm Bonacieux beim Arm und führte ihn in das Vorzimmer, wo er seine zwei Wachen fand.
Die zuletzt eingeführte Person folgte Bonacieux ungeduldig mit den Augen, bis man ihn aus der Thüre gebracht hatte, und sobald diese wieder verschlossen war, näherte sie sich lebhaft dem Cardinal und sprach:
»Sie haben sich gesehen!«
»Wer?« fragte die Eminenz.
»Er und sie.«
»Die Königin und der Herzog!« rief Richelieu.
»Ja.«
»Und wo?«
»Im Louvre.«
»Wißt Ihr es gewiß?«
»Ganz gewiß!«
»Wer hat es Euch gesagt?«
»Frau von Lannoy, welche Ew. Eminenz ganz ergeben ist, wie Ihr wißt.«
»Warum hat sie es nicht früher gesagt?«
»Die Königin ließ zufälligerweise oder aus Mißtrauen Frau von Surgis in ihrem Zimmer schlafen und behielt sie den ganzen Tag.«
»Das ist schön, wir sind geschlagen; doch wir wollen unsere Revanche nehmen.«
»Ich werde Euch von ganzem Herzen unterstützen, gnädiger Herr, seid ruhig.«
»Wie ist das zugegangen?«
»Um halb ein Uhr war die Königin bei ihren Frauen . . . «
»Gut.«
»Als man ihr ein Taschentuch von Seiten ihrer Weißzeugverwalterin zustellte.«
»Hernach? . . . «
»Sogleich gab die Königin eine große Unruhe kund und erbleichte trotz der Schminke, mit der sie ihr Antlitz bedeckt hatte.«
»Hernach, hernach?«
»Sie stand jedoch auf, und sagte mit bewegter Stimme: »Meine Damen, wartet hier zehn Minuten auf mich, ich komme zurück.« Und sie öffnete die Thüre ihres Alkovens und entfernte sich.«
»Warum hat Frau von Lannoy Euch nicht in demselben Augenblick davon unterrichtet?«
»Es war noch nichts gewiß. Ueberdies hatte die Königin gesagt: »Meine Damen, wartet auf mich,« und sie wagte es nicht, ungehorsam gegen ihre Gebieterin zu sein.«
»Und wie lange ist die Königin aus dem Zimmer geblieben?«
»Drei Viertelstunden.«
»Keine ihrer Frauen begleitete sie?«
»Donna Estefania allein.«
»Und sie kehrte dann zurück?«
»Ja, um ein kleines Kistchen von Rosenholz mit ihrem Namenszuge zu holen und sich sogleich wieder zu entfernen.«
»Und als sie später wieder kam, brachte sie dieses Kistchen zurück?«
»Nein.«
»Weiß Frau von Lannoy, was in diesem Kistchen enthalten war?«
»Ja, die Diamant-Nestelstifte, welche Se. Majestät der Königin gegeben hatte.«
»Und sie kehrte ohne das Kistchen zurück?«
»Ja.«
»Frau von Lannoy meint, sie habe es Buckingham gegeben?«
»Sie ist fest davon überzeugt.«
»Wie so?«
»Im Verlauf des Tages suchte Frau von Lannoy als Kammerdame der Königin nach dem Kistchen, stellte sich beunruhigt darüber, daß sie es nicht fand, und fragte endlich die Königin danach.«
»Und die Königin . . . «
»Wurde sehr roth und erwiederte, sie habe am Tage vorher einen von den Nestelstiften zerbrochen und das Ding zur Ausbesserung ihrem Goldschmied geschickt.«
»Man muß dahin gehen und sich überzeugen, ob es wahr ist oder nicht.«
»Ich bin dort gewesen.«
»Nun, der Goldschmied . . . «
»Hat keine Sylbe davon erfahren.«