Kitabı oku: «Die Prinzen von Orleans», sayfa 21
Schluß
Lamartine's Manifest an die diplomatischen Agenten der französischen Republik
Man kann nicht wissen, was die Zukunft bringt, aber bis jetzt hat die Republik alle die Prophezeiungen, mit denen man vor ihrem Entstehen sso freigebig war, zu Schanden gemacht. Das erste und letzte Wort war stets, daß die Republik augenblicklich zur größten Anarchie führen müsse; am Tage, nachdem sie erklärt war, zitterte alle Welt vor Raub und Brandstiftungen. Und wirklich fanden einzelne Verbrechen statt, die ohne die Aufregung nicht stattgefunden haben würden. Aber die wildesten Republikaner straften selbst die Verbrecher am Unbarmherzigsten; sie bildeten Colonnen, die durchs Land zogen, um das bedrohte Eigenthum zu schützen, und am zwölften Tage der Republik konnten die ausgeschickten Ruhestifter wieder heimkehren, weil es nichts mehr für sie zu thun gab. Man spreche nicht mehr von den entfesselten Leidenschaften des Volks; wo Parteien in den Revolutionen die Leidenschaften entfesselten, war das Volk selbst in Masse unthätig. Die Septembertage waren eine Frevelthat von ein paar Hundert Mördern. Wir sind weit entfernt zu behaupten, daß nicht noch ein Mal Schreckenstage möglich sind; aber wenn dies der Fall, so würde noch ein Mal nicht die entfesselte Leidenschaft des Volks, sondern der gefesselte Bürgermuth der ganzen Nation. Schuld sein, wie dies auch 1793 der Fall war. – Eine zweite Prophezeiung, die sich nicht bewährt, ist die Gefahr des Communismus, mit dem wir wie mit dem schwarzen Thier bedroht wurden. Heute spricht in Paris kein Mensch mehr davon. Hrn. Cabet’s Blatt sogar ist aus den Straßen verschwunden, [ 184 ] und wenn er nicht einen Club errichtet hätte, indem ein paar Hundert Leute seinen dämpfenden Ermahnungen horchten, so würde der Communismus vollkommen verschollen sein. Von dieser Seite scheint uns nicht die geringste Gefahr mehr vorhanden, denn die Freiheit ist hier ein vollkommen wirksames Gegenmittel. Die Communisten brauchen bei der Freiheit der Association nur communistische Gemeinschaften zu bilden, um höchstwahrscheinlich mit ihrer Lehre so abzufallen, wie sie in Nordamerika überall abgefallen sind. Auch die Gefahr des unvermeidlichen Kriegs ist mindest für die nächste Zeit etwas in die Ferne gerückt. Mit Ludwig Philipp wäre der Krieg in Spanien gewiß gewesen, mit der Republik ist er heute nur zu fürchten, wenn sich fremde Mächte in die italienischen Angelegenheiten mischen. Glauben wir deswegen nicht, daß es überflüssig rosenroth in der Zukunft aussehe. Im Gegentheil, täuschen wir uns nicht über alle die möglichen Gefahren die in den Verhältnissen liegen. Aber hier gilt es nur den gegenwärtigen Ergebnissen, und diese sind ein wunderbares Dementi gegen alle Schriftgelehrten und falschen Propheten. Großes Vertrauen flößt ferner auch der wirklich über alle Erwartung große Takt der Masse der Arbeiter ein. Diese haben bis jetzt so guten Willen, so tiefe Einsicht in ihre Bedürfnisse und so viel Arbeit stolz gezeigt, daß von ihnen das Beste zu hoffen und gar nichts zu fürchten wäre, – wenn leider die Theoretiker nicht von vorn herein die Arbeitfrage halbwegs im Sinne ihrer Broschüren entschieden und somit Hoffnungen erregt hätten, die sie schwerlich je befriedigen können. Doch warum verzweifeln, wenn es sich erst in diesen jüngsten Tagen wieder so klar in den Verhältnissen bewährt hat, daß »die Menschen denken und Gott sie lenkt!«
Wir lassen nun zum Schlusse das Manifest Lamartine's nach seinen vollständigen Texte folgen, das, wie verschieden [ 185 ] es auch vom verschiedenen Standpunkte ausbeurtheilt werden mag, nicht blos vortrefflich geschrieben ist, sondern auch die darin enthaltenen Ideen in jedes Menschen Brust wieder klingen läßt. Denn der edle Dichter findet überall übereinstimmende Seelen. Aber die Geschichte, sei sie noch so reich an poetischem Stoffe, sie ist selbst doch kein Gedicht, und die materielle Wirklichkeit greift überall mit schwerer Hand in die zarten Saiten, und verstimmt, zerreißt sie ohne Rücksicht.
Es klingt schön, was der edle Dichter der Meditationen in seinem Manifest sagt, und was er sagt, entquillt seinem Herzen, wie ein Gesang an die Tugend. In dem Manifest ist die ganze Schwärmerei der Poesie verbunden mit dem Drange der Nation. Er will den Frieden, wie es in diesem Augenblicke. Jeder will oder zu wollen vorgiebt. Er frömt über von edler Gesinnung für das Wohl der Menschheit, aber zugleich zerreißt er alle Verträge und stößt das Recht um, nach welchem Europa seine jetzige Gestaltung genommen hat.
Dieses Recht ist zwar schon oft genug verletzt worden, und es scheint ehrlich, zu erklären, daß es nicht mehr vorhanden. Noch vor Kurzen sagte Thiers, man müsse die Verträge anerkennen, aber verabscheuen. Warum denn sie anerkennen? fragt Lamartine. Was bei, Thiers eine Taktik gegen ein feindliches Ministerium war, ist bei Lamartine ehrliches Bewußtsein. Er will die Lüge nicht, aber er vergißt, daß auf dieser Lüge allein die Welt beruht. Man hat die Traktate verletzt, aber zaghaft, voll Rücksicht und nicht ohne erst überall hin zu fragen, ob man die Verletzung auch dulden und genehmigen werde?
Lamartine stößt die Verträge um; das Recht, auf welches die Gestaltung Europas fußt, ist vernichtet, Jeder ist auf sich, selbst angewiesen und die Gewalt ist an die Stelle [ 186 ] der Ordnung gesetzt. Das bedeutet nichts, so lange die Tugend am Ruder sitzt, so lange der edle Dichter die Geschicke beherrscht, und doch kann auch der Dichter von der Leidenschaft hingerissen werden. Das ist nichts, wenn alle Menschen tugendhaft wären. Aber es ist. Alles, wenn die Begeisterung für die Menschheit schwindet, um den eigenen Interessen Platz zu machen, es ist Alles, wenn die Tugend den Leidenschaften weicht. Und weil die Menschen nicht tugendhaft sind, weil die Entsagung und Beschränkung eine Ausnahme, weil die Leidenschaft überwiegt, und um so mehr, wo ihr keine Schranke gesetzt ist, kann die hingebende Besonnenheit nicht Widerstand leisten, und gehörten lange Kämpfe, lange Gährung und Abmüdung dazu, ehe die ruhige Vernunft zur sichern Herrschaft gelangt.
Dann ist es aber ein Unglück, wenn der Adel der Gesinnung der Aufgeregtheit schon den Weg bereitet hat. Und das thut jenes Manifest. Wenn einst die jetzt regierenden Männer gestürzt und durch weitergreifende ersetzt sind, so werden sie sich freuen, den Weg gebahnt zu finden, auf dem sie vorwärts steuern können. Jeder Bruch giebt einen Vorwand, den Orkan heraufzubeschwören, und es wird nicht an denen fehlen, welche ihn herbeirufen.
Die Deutschen Regierungen werden die Worte Frankreichs mit Bedacht lesen. Sie werden zwischen den Zeilen zu lesen wissen und erkennen, daß eine andere Zeit ist, wie vor achtzehn Jahren. Sie werden aber dann auch einsehen, weil es ihr eigenes größtes Unglück wäre, es nicht einzusehen, was sie zu thun haben um bei dem Sturme gerüstet zu sein. Dem Brande auf den Prairien begegnet man mit dem Brande, der Französischen Freiheit kann man nur mit Deutscher Freiheit begegnen, wenn man nicht von dem Feuer verzehrt werden will. – Doch es folgt hier das Manifest felbst! —
Mein Herr! – Sie kennen die Ereignisse von Paris, den Sieg des Volkes, einen Heldenmuth, seine Mäßigung, [ 187 ] seine Beschwichtigung, die Wiederherstellung der Ruhe durch die Mitwirkung aller Bürger, wie wenn in dieser Zwischenherrschaft der sichtbaren Gewalten die allgemeine Vernunft für sich allein die Regierung von Frankreich wäre.
Die französische Revolution ist in ihre definitive Periode eingetreten. Frankreich ist Republik, die französische Republik bedarf der Anerkennung nicht, um zu existieren. Sie besteht durch natürliches Recht. Sie ist der Wille eines großen Volkes, welches nur sich seine Berechtigung abverlangt. Da jedoch die französische Republik in die Familie der eingesetzten Regierungen als eine geregelte Macht und nicht als ein die europäische Ruhe störendes Phänomen einzutreten wünscht, so ist es angemessen, daß Sie der Regierung, bei welcher Sie accreditiert sind, schleunig die Grundsätze und die Tendenzen kundmachen, welche fortan die äußere Politik der französischen Regierung bestimmen werden.
Die Proclamierung der französischen Republik ist durchaus kein Angriffsakt gegen irgend eine Regierungsform in der Welt. Die Regierungsformen haben eben so legitime Verschiedenheiten, wie die Verschiedenheiten des Charakters, der geographischen Lage und der geistigen, sittlichen und materiellen Entwicklung bei den Völkern. Die Nationen haben, wie die Individuen verschiedene Alter. Die Grundsätze, welche sie regieren, haben auf einander folgende Phasen. Die monarchischen, aristokratischen, constitutionellen, republikanischen Regierungen sind der Ausdruck dieser verschiedenen Stufen der Reise des Genius der Völker. Sie begehren mehr Freiheit in dem Maße, wie sie sich fähig fühlen, mehr zu vertragen sie verlangen mehr Gleichheit und Volksherrschaft in dem Maße, wie sie von mehr Gerechtigkeit und Liebe für das Volk begeistert sind. Dies ist eine Frage der Zeit. Ein Volk geht verloren, wenn es der Stunde dieser Reife vorgreift, wie es sich entehrt, wenn es sie unbenutzt [188 ] entweichen läßt. Die Monarchie und die Republik sind in den Augen wahrhafter Staatsmänner keine absoluten Gegensätze, welche sich auf den Tod bekämpfen; es sind Thatsachen, welche einen Gegensatz bilden und Angesicht gegen Angesicht bestehen können, indem sie sich begreifen und sich achten.
Der Krieg ist also nicht der Grundsatz der französischen Republik, gleichwie er im Jahr 1792 ihre vom Schicksale bestimmte und glorreiche Nothwendigkeit wurde. Nach einem halben Jahrhundert auf den Grundsatz von 1792 oder auf den Eroberungsgrundsatz des Kaiserreichs zurückkehren, dies wäre kein Vorschreiten, es hieße in der Zeit rückwärts gehen. Die Revolution von gestern ist ein Schritt vorwärts, nicht zurück. Die Welt und wir, wir wollen der Verbrüderung und dem Frieden entgegengehen.
Wenn die Lage der französischen Republik im Jahre 1792 den Krieg erklärte, so erklären die zwischen jenem Zeitraum unserer Geschichte und dem Zeitraum, worin wir leben, bestehenden Verschiedenheiten den Frieden. Suchen Sie diese Verschiedenheiten aufzufassen, um sie in Ihrem Umkreise begreiflich zu machen.
Im Jahre 1792 war die Nation nicht eine einzige. Zwei Völker bestanden auf dem nämlichen Boden. Ein schrecklicher Kampf verlängerte sich noch zwischen den ihrer Vorrechte entsetzten Klassen und zwischen den Klassen, welche Gleichheit und Freiheit erobert hatten. Die außer Besitz gesetzten Klassen vereinten sich mit dem gefangenen Königthum und mit dem eifersüchtigen Ausland, um Frankreich seine Revolution abzuleugnen und um ihm die Monarchie, die Aristokratie und die Theokratie durch die Invasion wieder aufzulegen. Die Freiheit hat. Alles frei gemacht. Die Gleichheit vor dem Gesetz hat Alles gleich gemacht. Die Verbrüderung, deren Anwendung wir verkünden und deren [ 189 ] Wohlthaten die Nationalversammlung organisieren muß, wird. Alles vereinigen. Es gibt keinen einzigen Bürger in Frankreich, welcher Meinung er auch angehöre, der sich nicht um den Grundsatz »das Vaterland vor Allem« schaart und der es nicht gerade durch diese Vereinigung allen Versuchen und Besorgnissen der Invasion unbezwingbar macht.
Im Jahre 1792 war es nicht das gesammte Volk, welches in den Besitz seiner Regierung eingetreten war, es war blos die Mittelklasse, welche die Freiheit ausüben und dieselbe genießen wollte. Der Triumph der Mittelklasse war damals eigensüchtig wie der Triumph jeder Oligarchie. Sie wollte die durch. Alle errungenen Rechte für sich allein zurückbehalten. Sie mußte, um dies zu bewirken, dem Regierungsantritt des Volks eine starke Diversion machen, indem sie es auf die Schlachtfelder schleuderte, um es zu verhindern, in seine eigene Regierung einzutreten. Diese Diversion, es war der Krieg. Der Krieg war der Gedanke der Monarchisten und der Girondisten; er war nicht der Gedanke der mehr vorgeschrittenen Demokraten, welche wie wir die aufrichtige, vollständige und regelmäßige Herrschaft des Volkes selbst wollten, indem sie unter diesem Namen alle Klassen, aus denen das Volk besteht, ohne Ausschließung und Bevorzugung verstanden, Im Jahre 1792 war das Volk nur das Werkzeug der Revolution, es war nicht der Gegenstand derselben. Heute hat sich die Revolution durch das Volk und für das selbe gemacht; es ist selbst die Revolution. Indem es darin eintritt, bringt es eine neuen Bedürfnisse der Arbeit, des Gewerbfleißes, des Unterrichts, des Ackerbaus, des Handels, der Sittlichkeit, des Wohlseins, des Eigenthums, des wohlfeilen Lebens, der Schifffahrt und der Civilisation mit, welche sämmtlich Bedürfnisse des Friedens sind. Das Volk ist der Friede; es ist ein und dasselbe Wort
[ 190 ] Im Jahre 1792 waren die Ideen von Frankreich und Europa nicht vorbereitet, die große Harmonie der Nationen zu begreifen und zur Wohlthat des menschlichen Geschlechts unter sich aufzunehmen. Der Gedanke des ablaufenden Jahrhunderts war nur in den Köpfen einiger Philosophen. Heute ist die Philosophie populär. Fünfzig Jahre der Freiheit zu denken, zu reden und zu schreiben, haben ihr Ergebniß hervorgebracht. Die Bücher, die Journale, die Tribünen haben das Apostolat der europäischen Vernunft bewirkt. Die Vernunft, überall her strahlend über die Grenzen der Völker hinaus, hat zwischen den Geistern jene große geistige Nationalität geschaffen, welche die Vollendung der französischen Revolution und die Errichtung der internationalen Verbrüderung auf dem Erdkreise sein wird.
Kurz, im Jahre 1792 war die Freiheit eine Neuheit, die Gleichheit war ein Aergerniß, die Republik war eine Aufgabe. Das Unrecht der Völker, durch Fenelon, Montesquieu, Roussau kaum entdeckt, war so sehr vergessen, vergraben, durch die alten feudalen dynastischen und priesterlichen Ueberlieferungen entweiht, daß den Staatsmännern der alten Schule die rechtmäßigte Einschreitung des Volks in seinen Angelegenheiten eine Ungeheuerlichkeit bedünkte. Die Demokratie machte zugleich die Throne und die Grundlage der Gesellschaft zittern. Heute haben sich die Throne und die Völker an das Wort, an die Formen und an die regelmäßigen Agitationen der in verschiedenen Verhältnissen fast in allen Staaten ausgeübten Freiheit gewöhnt. Sie werden sich an die Republik gewöhnen, welche ihre vollständige Form bei den reiferen Nationen ist. Sie werden anerkennen, daß es eine conservirende Freiheit giebt; sie werden anerkennen, daß man in der Republik nicht blos eine bessere Ordnung, sondern daß man in dieser Regierung. Aller für [ 191 ] Alle mehr wahrhafte Ordnung haben kann als in der Regierung. Einiger für Einige.
Aber abgesehen von diesen uneigennützigen Betrachtungen sollte das alleinige Interesse der Befestigung und der Dauer der Republik schon den Staatsmännern von Frankreich Friedensgedanken einflößen. Nicht das Vaterland ist es, welches im Kriege die meiste Gefahr läuft die Freiheit ist es. Der Krieg ist fast immer eine Dictatur. Die Soldaten vergessen die Institutionen über den Männern. Der Ruhm blendet die Vaterlandsliebe. Der Zauber eines siegreichen Namens umschleiert das Attentat auf die Nationalsouverainetät. Die Republik will Ruhm, ohne Zweifel, aber sie will ihn für sich selbst und nicht für Cäsare oder Napoleone.
Täuschen Sie sich nichtsdestoweniger nicht. Diese Ideen, welche die provisorische Regierung. Sie beauftragt, als Pfand der europäischen Sicherheit den Mächten darzubieten, haben nicht zum Zweck, der Republik für die Kühnheit, daß sie zu entstehen wagte, Verzeihung zu verschaffen, und noch weniger bezwecken sie, demüthig die Stelle eines großen Rechtes und eines großen Volkes in Europa zu verlangen. Sie haben einen edlern Zweck, den nämlich, die Souveraine und die Völker nachdenken zu machen, ihnen nicht zu gestatten, sich unfreiwillig über den Character unserer Revolution zu täuschen dem Ereigniß sein wahres Licht und seine richtige Physiognomie und der Menschlichkeit Unterpfänder zu geben, bevor wir deren unseren Rechten und unserer Ehre geben, wenn sie mißkannt oder bedroht würden.
Die französische Republik wird also gegen Niemand den Krieg beabsichtigen. Sie hat nicht zu sagen nöthig, daß sie ihn annehmen wird, wenn man dem französischen Volk Kriegsbedingungen stellt. Der Gedanke der Männer, welche in diesem Augenblick Frankreich regieren, ist folgender: Glücklich [ 192 ] Frankreich, wenn man ihm den Krieg erklärt und wenn man es auf solche Weise zwingt, an Stärke und Ruhm trotz seiner Mäßigung größer zu werden! Schreckliche Verantwortlichkeit über Frankreich, wenn die Republik selbst den Krieg erklärt, ohne dazu herausgefordert zu sein! In dem ersteren Fall würden ihr kriegerischer Geist, ihre Ungeduld, ihre während so vieler Freiheitsjahre angesammelte Kraft sie daheim unbesiegbar und vielleicht jenseits ihrer Grenzen furchtbar machen. Im zweiten Fall würde sie die Erinnerungen an ihre Eroberungen, welche die Nationalitäten abgeneigt machen, gegen sich wenden und sie würde ihr erstes und allgemeinstes Bündniß compromittieren: den Geist der Völker und den Genius der Civilisation.
Nach diesen Grundsätzen, mein Herr, welche die Grundsätze Frankreichs bei kaltem Blute sind, Grundsätze, welche es ohne Furcht wie ohne Trotz seinen Freunden und seinen Feinden bieten kann, werden Sie wohl die folgenden Erklärungen sich einprägen wollen:
Die Verträge von 1815 bestehen nicht mehr von Rechtswegen in den Augen der französischen Republik, die territorialen Umgrenzungen dieser Verträge jedoch sind eine Thatsache, welche sie als Grundlage und als Ausgangspunkt in ihren Beziehungen mit den andern Mächten zuläßt.
Wenn aber die Verträge von 1815 nur noch als durch gemeinsame Uebereinstimmung abzuändernde Thatsachen existiren und wenn die Republik laut erklärt, daß sie das Recht und den Beruf hat, regelmäßig und friedlich zu diesen Abänderungen zu gelangen, so existieren der gesunde Verstand, die Mäßigung, das Gewissen und die Klugheit der Republik und sind für Europa eine bessere und ehrenhaftere Garantie als die Buchstaben dieser von ihm so oft verletzten und abgeänderten Verträge.
Suchen Sie, mein Herr, diese Emancipation der Republik [ 193 ] von den Verträgen von 1815 begreiflich zu machen, ihre aufrichtige Zulassung zu bewirken und zu diese Freimachung nichts mit der Ruhe von Europa Unveersönliches hat.
So würde, wir sagen es laut, wenn die Stunde der Wiederaufrichtung einiger in Europa oder anderswo unterdrückten Nationalitäten uns in den Verfügungen der Vorsehung geleitet zu haben schiene, wenn die Schweiz, unsere treue Verbündete seit Franz I., in der Bewegung des Wachsthums, welche sie bei sich bewerkstelligt, um dem Bunde der demokratischen Regierungen eine Kraft mehr zu leihen, beschränkt und bedroht würde, wenn die unabhängigen Staaten Italiens angegriffen würden, wenn man ihren inneren Umbildungen Grenzen oder Hindernisse auferlegen würde, wenn man ihnen mit bewaffneter Hand das Recht bestritte, sich zu verbünden, um ein italienisches Vaterland zu befestigen, – die französische Republik sich berechtigt glauben, selbst zu waffnen, um diese legitimen Bewegungen des Wachsthums und der Nationalität der Völker zu beschützen.
Die Republik, Sie sehen es, ist mit dem ersten Schritt über die Aera der Aechtungen und Dictaturen hinausgetreten. Sie ist entschlossen, die Freiheit im Innern niemals zu verhüllen. Sie ist in gleicher Weise entschlossen, nie ihr demokratisches Princip nach außen zu verhüllen. Sie wird Niemand die Hand legen lassen zwischen das friedliche Strahlen ihrer Freiheit und den Blick der Völker. Sie verkündet sich als geistige und herzliche Verbündete aller Rechte, aller Fortschritte, legitimen Entwicklungen der Institutionen der Völker, welche nach dem nämlichen Grundsatz, wie dem ihrigen, leben wollen. Sie wird keine stumme oder brandstiftende Propaganda bei den Nachbarn machen. Sie weiß, daß es [ 194 ] keine dauerhaften Freiheiten gibt außer denen, welche von selbst aus ihrem eigenen Boden erwachsen. Aber sie wird durch die Wärme ihrer Ideen, durch das Schauspiel der Ordnung und des Friedens, welches sie der Welt zu geben hofft, den einzigen und rechtlichen Proselytismus machen, den Proselytismus der Achtung und der Sympathie. Dies ist keineswegs der Krieg, dies ist die Natur; dies ist nicht die Welt in Brand stecken, es ist von seinem Platz aus auf den Gesichtskreis der Völker strahlen, um ihnen sogleich voranzugehen und sie zu leiten.
Wir wünschen für die Humanität, daß der Friede bewahrt werde, wir hoffen, es sogar. Eine einzige Kriegsfrage ist vor einem Jahre zwischen Frankreich und England gestellt worden. Diese Kriegsfrage hatte nicht das republikanische Frankreich gestellt, sondern die Dynastie. Die Dynastie nimmt mit sich die Gefahr des Krieges hinweg, welche sie durch den rein persönlichen Ehrgeiz ihrer Familienbündnisse in Spanien für Europa angeregt hatte. So lastete die häusliche Politik der gefallenen Dynastie, welche seit siebzehn Jahren auf unserer Nationalwürde lastete, zu gleicher Zeit durch ihre Ansprüche auf eine Krone mehr in Madrid auf unseren liberalen Bündnissen und auf dem Frieden. Die Republik hat keinen Ehrgeiz. Die Republik hat keinen Nepotismus; sie erbt nicht die Ansprüche einer Familie. Möge Spanien sich selbst regieren, möge Spanien unabhängig und frei sein. Frankreich rechnet für die Haltbarkeit dieses natürlichen Bündnisses mehr auf die Gleichförmigkeit der Grundsätze, als auf die Successionen des Hauses Bourbon.
So ist, mein Herr, der Geist der Rathschläge der Republik. So wird unveränderlich der Charakter der freien, starken und gemäßigten Politik sein, welche sie zu vertreten haben wird. [ 195 ]
Die Republik hat in der Geburt und inmitten eines nicht vom Volke veranlaßten Kampfes drei Worte ausgesprochen, welche ihre Seele enthüllt haben und welche auf ihre Wiege die Segnungen Gottes und der Menschen berufen werden: Freiheit, Gleichheit, Brüderlichkeit. Sie hat am andern Tage durch die Abschaffung der Todesstrafe in politischen Dingen, den wahrhaften Commentar zu diesen drei Worten im Innern geliefert: geben Sie ihnen auch ihren wahren Commentar im Auslande. Der Sinn dieser drei Worte, auf unsere auswärtigen Beziehungen angewendet, ist folgender: Freimachung Frankreichs von den Ketten, welche auf seinen Grundsätzen und auf seiner Würde lasteten; Wiedererlangung des Ranges, den es im Niveau der großen europäischen Mächte einnehmen muß; endlich Erklärung von Bündniß und Freundschaft an alle Völker. Wenn Frankreich seinerseits das Bewußtsein des liberalen und civilisierten Berufes im Jahrhundert hat, so liegt darin nicht eines jener Worte, welche Krieg andeuten. Wenn Europa klug und gerecht ist, so liegt darin nicht eines jener Worte, welche nicht Frieden andeuten.
Genehmigen Sie, mein Herr, die Versicherung meiner ausgezeichnetsten Hochachtung.
Lamartine,
Mitglied der provisorischen Regierung der Republik und Minister der auswärtigen Angelegenheiten.
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Auf der Flucht nach dem gastlichen England hatten der König und die Königin den Titel eines Grafen und einer Gräfin von Neuilly angenommen. Der britische Hof war bemüht, die Vertriebenen ihres Unglücks vergessen [ 196 ]zu machen. Wie aber Louis Philipp von der Gastfreundschaft der Engländer in Claremont, einem Schlosse, das dem König von Belgien gehört, Gebrauch machte, möge man aus dem Munde des unglücklichen Monarchen selbst vernehmen.
»Ich ging fort,« sagte er einem Franzosen, der ihn besuchte, »entblößt von Allem, und während dieser Zeit druckte man, daß in Voraussicht, welcher schwere Schlag mich einst treffen würde, ich mir zum Voraus ein goldenes Exil bereitet hätte. Man gab, bis auf einige Francs, die Millionen an, welche auf meine Rechnung nach England und Amerika geschafft worden wären. Man nannte meine Banquiers. Man sprach von der Straße zu New-york, deren Eigenthümer ich wäre, von wie vielen squares zu London, die mir gehörten. Das Alles war, erkauft mit den unermeßlichen Ersparnissen, die ich mit meiner Civilliste zusammengebracht hatte. »Und da ein Mann, der auf diese Weise Millionair war, nichts weiter brauchte, so squestrirte man meine Güter. Das, wozu ich nie meine Einwilligung, auch gegen den geringsten Bürger von Frankreich, würde gegeben haben, das erlaubte man sich gegen mich. Man streckte die Hand aus nach dem Familienerbe, nach den Revenuen, welche persönliches Eigenthum waren, heiliges Eigenthum meiner Kinder! Arme Kinder, was hattet ihr ihnen gethan? Giebt es einen Soldaten, welcher mehr als sie bereit gewesen wäre, sein Blut für Frankreich zu vergießen? Aber es waren meine Kinder, das schien auszureichen, um sie in mein Unglück einzuhüllen. Man hat gewollt, daß der König und die Königin sammt ihren Kindern an. Allem Mangel leiden sollen. Man hat gewollt, daß die Familie Orleans die Leiden der Verbannung zugleich mit dem Druck, der Armuth erfahren sollte, »Glauben Sie aber,« – fuhr [ 197 ] der König fort – »glauben Sie mir, nicht der Verlust eines Thrones, selbst das Exil nicht, ist der größte meiner Schmerzen – wohl aber ist es das unglaubliche Stille schweigen derjenigen über mich, welche so viele Dinge zu meiner Vertheidigung zu sagen hätten. Als ich die Macht hatte, sagte man mir: »Sire, Sie sind der Schlußstein des europäischen Friedensgewölbes. Wenn Sie nicht mehr da sind, dann ist es um den Weltfrieden geschehen.« Als man zu mir so sprach, lächelte ich ungläubig, indem ich dachte, daß ich nicht so starke Schultern hätte, um eine so schwere Last, wie die des Weltfriedens zu tragen; ich sagte mir: das sind Schmeichler, oder Freunde, welche den Antheil, den ich an der Erhaltung des allgemeinen Friedens haben kann, zu hoch anschlagen. Nun, der Tag, wo diese Schmeichelei einer Wahrheit gleichen konnte, am dem Tage, wo beim Sturze meines Thrones das Feuer der Revolution von einem Ende Europa’s bis zum andern ausbrach, in der Lombardei, in Sicilien, zu Rom, Wien, Berlin, München – hat sich nicht Eine Stimme gefunden, um zu sagen: »Hat dieser Mann, den wir eben verdammten im Exil zu sterben, nicht Etwas zum allgemeinen Wohle beigetragen, das in dem Augenblick, wo dieser Mann fällt, einem unermeßlichen Verderben Raum giebt? Ist man ihm nicht ein Wort des Lebewohls, nicht ein Bedauern, eine Erinnerung, durchaus nichts schuldig?« Ich habe vielleicht das Recht, darüber zu erstaunen, daß unter so vielen französischen und fremden Blättern, welche, als ich König war, mich den Napoleon des Friedens nannten, sich, nach meinem Falle, keines gefunden hat, das, laut fügte, daß dieser Fall unverdient wäre; aber ich habe nicht das Recht, das französische Volk anzuklagen; denn achtzehn Jahre hat man es gelehrt, die Personification der Gesetzmäßigen Gewalt zu verachten, zu verabscheuen. Man hat [ 198 ] ihm achtzehn Jahre hindurch gesagt: der König ist ein habgieriger Mann, ein wortbrüchiger Mensch; und daß, wenn man den leidenden Klassen die Erleichterungen, welche sie zu erlangen suchten, versagte, es deshalb geschehe, weil die Politik des Königs eine engherzige, persönliche wäre.«
Auf solche Weise sprach sich der König oft aus, wenn er Landsleute, wie er die Franzosen nannte, zu Claremont sah. Es besuchten ihn Victoria, Prinz Albert und viele Großen des britischen Reiches; aber man erzählte sich, daß ein Lord, eine Lady warten mußte, wenn er sich gerade mit einem Landsmann unterhielt; wenn er erfuhr, daß man sich Seiner dankbar erinnere, daß man seinen Weggang beklage.
»Schon seit längerer Zeit war Louis Philipp, namentlich seit seiner Flucht aus Frankreich, leidend gewesen. Er fühlte besonders eine große Nervenschwäche, in Folge einer Nervenaufreizung. Am 23. August 1850 verschlimmerte sich sein Zustand in solchem Grade, daß die Familienglieder sich um den Leidenden versammelten, und ihn nicht einen Augenblick mehr verließen. Trotz aller Pflege und Sorgfalt nahm die Schwäche rasch zu; er erlag ihr am 26. August. Am Morgen des 25. war er von der Gefahr, in welcher aein Leben schwebte, durch seine Gemahlin in Kenntniß gesetzt worden. Er vernahm mit größter Fassung diese Eröffnung und traf sofort alle Dispositionen. Nach einer geheimen Unterredung mit seiner Gemahlin, dictirte er mit voller Geistesklarheit einen Schluß zu seinen Memoiren, und vollendete seine Geschichte, woran er in den vier letzten Monaten durch Krankheit gehindert worden war. Er ließ hierauf den Abbé Guelle, seinen Kaplan, sowie seine Kinder und Enkel kommen; in Gegenwart seiner Familie erfüllte er mit unerschütterlicher Fassung die letzten Pflichten der Religion. Gegen 7 Uhr [ 199 ] Abends trat ein Fieberanfall ein, welcher die ganze Nacht währte, ohne jedoch die Geisteshelle zu stören, die der Kranke bis zum letzten Augenblicke behielt.
Am Morgen des 26. verschied er in Richmond in Gegenwart der Königin, der Herzogin von Orleans, des Herzogs von Chartres, des Herzogs und der Herzogin von Nemours, des Prinzen und der Prinzessin von Joinville, des Herzogs und der Herzogin von Aumale, der Herzogin August von Sachsen-Coburg und der treuen Diener, der königlichen Familie.
Die Leiche. Louis Philipps wurde am 2. September 1850 in der katholischen Kirche in Wybridge zur Erde bestattet. Das Leichenbegängniß war einfach. Außer den Mitgliedern der königlichen Familie wohnten ihm viele Franzosen bei, die zum Theil aus Paris hergekommen waren. Vom diplomatischen Corps waren der neapolitanische, der portugiesische und der belgische Gesandte anwesend. Der Sarg wird in dieser Gruft beigesetzt bleiben, bis Frankreich sich wieder der Familie Orleans öffnet, wo dann Louis Philipp seinen Ruheplatz in der Capelle zu Dreux neben seinen Ahnen finden wird.
Wir fügen noch einen kurzen Bericht über die Lebensweise des unglücklichen Königs bei, als dieser noch das Schicksal einer großen Nation leitete. Louis Philipp erhob sich alle Morgen um acht Uhr. Seine erste Sorge war, die an ihn gerichteten Briefe zu lesen, und die dringendsten Tagesgeschäfte abzufertigen. Waren diese Arbeiten beendet, so ging er um neun Uhr in sein Ankleidezimmer, wo sich seine Familie zu ihm einfand. Während nun die Königin, die Prinzessinnen und ihre Brüder unter sich eine gewöhnlich sehr belebte Conversation begannen, rasierte sich der König selbst. Nach beendeter Toilette setzte sich der König, der nicht aufgehört hatte, an der Unterhaltung der [ 200 ] Familie Theit zu nehmen, mitten unter sie umarmte die Kinder, und ergötzte sich an ihren Scherzreden. Um zehn Uhr nahm er ein mäßiges Frühstück ein. Darauf erhob er sich, um die Maurerarbeiten zu besichtigen, die ohne Unterbrechung im Schlosse ausgeführt wurden. Nicht selten sah ihn von diesen Excursionen, die Kleider mit Mörtel bedeckt, zurückkommen, denn er machte sich ein Vergnügen daraus, unter den aufgestellten Gerüsten wegzulaufen und zuweilen auch auf die Dächer zu steigen, um sich selbst über die Art und Weise, wie seine Befehle ausgeführt wurden, zu versichern und um mit den Arbeitern zu plaudern, die selten ahnten, daß der Mann, welcher sich mit ihnen unterhielt, der König war. Um ein Uhr waren diese Excursionen beendet, das war die Zeit, wo sich der Ministerrath versammelte, welchem beizuwohnen der König nie verfehlte. Er nahm Platz an dem allgemeinen Tische, bemächtigte sich eines Papierumschlags, und während er aufmerksam den Berathungen zuhörte, zeichnete er mit der Feder auf diesen Umschlag bald groteske, bald phantastische Figuren. Der König beendete die Sitzungen des Consils, indem er die Berathungen resumierte, und fast immer den Gang anzeigte, der zu befolgen sei.