Kitabı oku: «Die Taube», sayfa 7
Achtunddreißigster Brief
18. Juli.
Seit drei Tagen irre ich fast auf den Zufall herum, indem ich die Wälder umgehe, den Bächen entlang folge. Ach! die Luft hat nicht alle die Hindernisse, welche die Erde mir entgegensetzt. Die Taube flog über das hinweg, wo ich genöthigt bin, mich zuweilen aufzuhalten. Ich gestehe es Dir, mein Geliebter! der Muth und die Kräfte gehen mir zugleich aus, und ich lege mich sterbend und verzweifelt an dem Fuß irgend eines Baumes.
Es sind schon elf Tage her, daß ich aufgebrochen bin, und ich habe kaum fünfzehn bis achtzehn Meilen zurückgelegt, was sie in einer Stunde zurücklegte, als sie unsere Liebesbotin war, und sie rasch wie der Pfeil über dieses armselige Gewürm hinzog, das sich die Könige der Schöpfung nennt, das nicht den Instinct eines Vogels hat, und das elf Tage darauf verwindet, die Strecke zurückzulegen, welche eine Taube in einer Stunde zurücklegt.
Sag mir, wie es kommt, daß eine armselige Magnetnadel weiß, wo der Norden ist, und daß ich, ein lebendiges, denkendes, handelndes Wesen, ein Wesen nach dem Bilde des Schöpfers nicht weiß, wo Du bist?
Wie kommt es, daß ein Schiff, welches von einem Punkte der Welt abfährt, nach dem andern Ende dieser Welt gebt, um eine Insel in Mitte des Oceans aufzufinden, und daß ich Dich nicht wieder aufzufinden vermag, nach dem ich so zu sagen nur die Arme auszustrecken habe?
O! ich fühle es wohl, mein Gott, wenn ich ihn. wiederfinden will, so darf ich nicht nach ihm die Arme ausstrecken, sondern nach Dir!
Mein Gott, unterstütze mich! mein Gott, führe mich! mein Gott, leite mich!
Neununddreißigster Brief
29. Juli.
Ich komme wieder zu mir, zu dem Lichte, zu dem Leben zurück.
Ich habe geglaubt zu sterben, mein geliebter Graf, und wenig hat gefehlt, daß ich endlich wußte, wo Du wärst, denn die Todten wissen Alles; wenig hat gefehlt, daß es der Schatten Deiner Isabella war, der des Nachts zur Stunde wo die Schatten eintreten, in Deine Zelle trat.
Deshalb bedaure ich es, zu leben. Hättest Du, meinen Schatten gesehen, Hättest Du verstanden, daß ich gestorben wäre, während Du indem Du weder Schatten noch Körper wiedersiehst, glauben kannst, daß ich Dich vergessen oder verrathen habe. Sag nicht nein, Du hast es leider wohl, ein Mal geglaubt.
O! ich habe Dich weder vergessen noch verrathen, ich liebe Dicht ich liebe Dich! aber ich wäre beinahe gestorben, das ist Alles.
Du erinnerst Dich jenes Verwundeten, welcher Durst gehabt hatte, der sich nach dem Bache geschleppt, indem er die letzten Tropfen seines Blutes, den letzten Hauch seines Athems. verlor, alles das, um das Wasser zu erreichen, und er starb, als er den ersten Schluck trank? Nun denn, dem ist fast so mit mir gewesen. Nach einem langen Marsche in Wäldern, von denen man mir gesagt hat, daß es die von Mauléon wären, bin ich athemlos an eine Quelle gekommen. Diese Quelle drang aus dem Boden und war eiskalt. Ich habe getrunken, in der Meinung wieder Kräfte zu erlangen und meinen Weg fortsetzen zu können. Ich bin in der That wieder aufgebrochen; aber ich war kaum Hundert Schritte weit gegangen, alt ich vor Kälte bebend stehen blieb, ein Schauder überfiel meinen ganzen Körper, und ich bin ohnmächtig an dem Rande des kleinen Fußpfades, den ich eingeschlagen hatte zu Boden gesunken.
Was sich in Folge dieser Ohnmacht zugetragen hat ich weiß nichts davon. Ich weiß nur so viel, daß, ich gestern sehr schwach erwacht bin, daß, indem ich um mich blickte, ich mich in einem ziemlich sauberen Zimmer befunden habe; an dem Fuße meines Bettes wachte eine unbekannte Frau; an meinem Kopfkissen.saß unsere Taube, indem sie meine Wange mit ihrem armen zerschmetterten Flügel liebkoste.
Diese Frau kam von dem Markte von Mauléon mit zwei Männern zurück, welche, da sie sahen, daß ich noch athmete, Mitleid mit mir gehabt und mich dahin geführt haben,.wo ich bin.
Wo ich bin, ist nach dem, was man mir gesagt hat, ein kleines Dorf in der Nähe von Nertier; das Zimmer, welches ich bewohne, übersieht nach dem wie es scheint, die Umgegend, denn von meinem bette aus übersehe ich nur den Himmel.
O! der Himmel, der Himmel! Von ihm allein erwarte ich Hilfe.
Gestern habe ich nach dem Datum des Monats gefragt, und man hat mir gesagt, daß es der 28. wäre. Ach! Ich bin jetzt seit länger als zwanzig Tagen aufgebrochen und irre auf das Gerathewohl herum. Wo bin ich? Fern oder Dir nahe?
Ich habe Papier, Tinte und eine Feder verlangt; aber bei den ersten Buchstaben, welche ich schrieb, hat mir der Kopf geschwindelt, und es ist mir unmöglich gewesen, fortzufahren.
Heute Abend befinde ich mich besser; ich schreibe fast ohne Ermüdung, und ich habe mich nur drei Male ausgeruht, um die dreißig bis vierzig Zeilen zu schreiben, welche dieser Brief bereits enthält.
Ich habe die gute Frau verabschiedet, die bei mir wacht. Ich habe nicht mehr nöthig bewacht zu werden, ich befinde mich besser, ich fühle mich stark. Heute Nacht werde ich versuchen aufzustehen und morgen mich auf den Weg zu begeben.
Ich würde sterben, so unthätig zu bleiben, während Du mich erwartest; denn Du erwartest mich? nicht wahr, Geliebter meines Herzens, Du erwartest mich?
Die Taube hat sich gleichfalls gut ausgeruht; ich hoffe, daß sie längere Flüge wird machen können und dem zu Folge mich Dir rascher nähern.
Ich hoffte die ganze Nacht damit zuzubringen, Dir zu schreiben, aber ich hatte meinen Kräften zu viel zugetraut, ich muß aufhören, ich muß Abschied von Dir nehmen; meine Ohren klingen, Alles wankt um mich herum, und die Buchstaben, welche meine Feder schreibt, scheinen mir von Feuer.
Ach!. . .
Vierzigster Brief
Drei Uhr Morgens.
Ich habe ungefähr zwei Stunden einen schrecklich aufgeregten Schlaf, der sehr der Fieberhitze glich, geschlafen. Indem ich die Augen aufschlage, sehe ich glücklicher Weise, daß der Tag im Begriffe steht anzubrechen.
O! mein Geliebter, welch schöne Sache der Anbruch des Tages ist, wenn wir bei einander wären, wenn wir mit einander und in dem Maße, als sie verschwinden, alle die Sterne zählten, deren Namen Du kennst, und die einige Augenblicke, bevor die Sonne, welche sie verjagt, selbst erscheint, an dem Himmel verschmelzen und verschwinden!
Ich habe mein Fenster aufgemacht, es scheint mir, daß es auf eine unermeßliche Ebene geht. Ach! je größer die Ebene ist, desto mehr bin ich verloren.
Mein Gott! ist diese schöne Liebesfabel des Theseus und der Ariadne wirklich nur eine Fabel, und wird mein Gebet, mein inniges, glühendes, ewiges Gebet von Deiner gesegneten Rechten nicht irgend einen Engel absenden, welcher mir den leitenden Faden überbringt, der mich zu ihm führen soll?
O! ich horche, ich blicke, ich erwarte.
Nichts, nichts, mein Gott! nichts als die Sonne, das heißt Dein Bild, welche, ohne noch zu erscheinen, mit einer rosigen Farbe die ganze Atmosphäre erfüllt, welche die Gebirgskette badet, hinter der sie in diesem Augenblicke aufgeht. O! wie schön dieses Schauspiel für ein ruhiges Herz wäre! Welche schönen und anmuthigen Gestalten diese Hügel, deren bläuliche Umrisse auf ihren goldigen Strahlen hervortreten, annehmen. Wie riesenhaft und schön diese andere Gebirgskette, welche den Horizont bildet, mit ihren mit Schnee bedeckten Spitzen ist, welche sich bei den ersten Flammen des göttlichen Gestirnes versilbern und funkeln! Wie dieser große Fluß, der die Ebene durchschneidet und dessen Lauf nach mir zu gerichtet ist, glatt, majestätisch und tief ist! Wie.. . o! mein Gott!
Mein Gott! ich irre mich nicht; mein Gott! ist denn dieser Engel, um den ich flehte, den ich erwarte, ist er denn unsichtbar, aber wirklich gekommen! mein Gott! diese Hügel, hinter denen die Sonne aufgeht, dieser doppelte Kamm, in dessen Mittelpunkte sie sich in diesem Augenblicke schaukelt, diese Schneegebirge, welche silberne, das Gewölbe des Himmels tragende Pfeiler scheinen, dieser große Fluß, der von Süden nach Norden fließt, und der die benachbarten Bäche empfängt, wie ein Herrscher den Tribut seiner Unterthanen empfängt. . . das sind die Hügel, das sind die Gebirge, das ist der Fluß, die er mir beschrieben hat und die er von seinen Fenstern aus sieht. Mein Horizont ist der seinige! mein Gott! Hast Du mich nur irre geleitet, um mich besser zu ihm zu führen! Hast Du mir nur die Augen geschlossen, um mir das Licht zu zeigen, wenn ich sie wieder aufschlagen würde?
Mein Gott! mein Gott! Deine Barmherzigkeit ist unendlich!
Du bist groß, Du bist heilig, Du bist gütig, und nur auf den Knieen darf man Dich anreden.
Auf die Kniee denn, Herz ohne Glauben, das an der Güte des Herrn gezweifelt hat, auf die Kniee! auf die Kniee! auf die Kniee!
Einundvierzigster Brief
Vier Uhr Morgens.
Ich habe Gott gedankt und ich breche auf. O! die Kraft ist mir mit dem Glauben zurückgekehrt. Ich war nur schwach, weil ich verzweifelt war.
Einen letzten Blick!
O! wie treu die Schilderung war, mein Geliebter! Maler, wie richtig Du gesehen hast! Dichter, wie schön Du beschrieben hast! Da sind die Gipfel der Pyrenäen, welche von dem matten Weiß zu dem feurigsten Silben scheine übergehen. Da sind ihre schwarzen Seiten, welche sich allmählich erleuchten, indem sie von dem Schwarzen in das Violette, von dem Violetten in das Hellblaue wie eine Ueberschwemmung von Licht übergehen, welche von den hohen Gipfeln herabfiele. Da ist der Tag, der sich in der Ebene verbreitete; da sind die Bäche, welche wie Silberfäden leuchten; da ist der Fluß, der sich wie ein Moiréband windet und wallet; da sind die kleinen Vögel, welche in den Oleanderbüschen, in den Granathecken, in den Myrthengesträuchen singen; da, da ist der Adler, der König des Firmaments, der an dem Himmel kreist!
O! mein Geliebter, wir sind also schon durch den Blick vereinigt, und ich sehe das, was Du siehst.
Nur, von wo aus siehst Du es?
Warte, warte, Dein Brief ist hier. O! Deine Briefe verlassen mich keinen Augenblick; wenn ich sterbe, werden sie auf meinem Herzen ruhen, und die, welche mich in das Grab legen, werden den Auftrag haben, du Strafe der Ruchlosigkeit sie mit mir in demselben zu begraben. Von wo aus siehst Du es?
Mein Gott! ich vermag kaum zu lesen; glücklicher Weise kann ich sie auswendig; wenn ich sie verlöre, so könnte ich sie von der ersten bis zur letzten Zeile wieder niederschreiben..
Ich habe sie so viele Male gelesen!
»Mein ganz mit einem ungeheuren Jasmin, dessen mit Blumen beladenen Zweige in mein Zimmer eindringen, das sie mit Wohlgeruch erfüllen, besetztes Fenster öffnet sich nach Sonnenaufgang.«
So ist es, so ist es!
Die Sonne ist zu meiner Linien aufgegangen, Du bist zu meiner Rechten.
»Die Anhöhe, welche ich übersehe, neigt sich von Süden nach Norden, von den Bergen nach der Ebene.«
So ist es, immer so.
Ja, dort ist es, dort am Horizonte, – habe Dank, Herr, daß der Tag so rein ist, den Du hast anbrechen lassen, – dort ist die Anhöhe, wo Deine Einsiedelei liegt. O! warum ist sie noch so fern oder warum ist der menschliche Blick so schwach!. Ich sehe Hunderte von weißen Punkten unter den grünen Bäumen zerstreut, welcher von allen diesen weißen Punkten ist Deine Einsiedelei? O! geliebte Taube, geliebte Taube, Tochter des Himmels, an Dir in es, mir das zu sagen.
Ich breche auf, mein Geliebter, ich breche auf; jede verlorene Minute ist ein an Deinem Glücke und an dem meinigen begangener Diebstahl; eine Minute zu verlieren, hieße Gott versuchen.
Hast Du mich nicht dadurch verloren, daß Du eine Minute zu spät gekommen bist?
Komm, Taube. Ja, ja, nicht wahr, morgen, heute Abend vielleicht werden wir ihn wiedersehen?
Zweiundvierzigster Brief
31. Juli.
Die Nacht hat unsere Aufsuchung unterbrochen, mein Geliebter, aber ich hoffe, ich hoffe!
Ich habe Jedermann befragt, und von Weitem hat man mir ein sich an der Anhöhe erhebendes Kloster der Camaldulenser gezeigt, und neben diesem Kloster ein kleines Haus, welches wohl dem gleicht, das Du mir beschrieben hast. O! ich sah es in dem bläulichen Dunste des Abends weiß schimmern, vielleicht war es das Deinige, vielleicht übersahst Du gleichfalls mit den Augen Deinen Horizont, ohne zu wissen, daß in diesem Horizonte sich, unsichtbar für Dich, dieses arme Geschöpf bewegte, das nur noch durch Dich lebt, das ohne Dich sterben wird.
Ich habe mich erkundigt, habe ich Dir gesagt, und man hat mir geantwortet, daß dieses Haus von einem Einsiedler, von einem Weisen, von einem Manne Gottes, der noch jung, immer schön wäre, bewohnt sei. Dieser Mann besucht das Haus des Armen und das Bett des Sterbenden; er hat tröstende Worte für das Leiden und selbst für den Tod. Dieser Mann bist Du, mein Geliebter, nicht wahr, nicht wahr, Du bist es?
Wenn Du es bist, so bist Du im Laufe des Tages durch das Dorf Camons gekommen, wo ich jetzt bin.
Du hast einen armen Zimmergesellen besucht, der beim Fallen von einem Dache den Schenkel gebrochen hat. Du hast ihn verbunden, Du hast ihn verpflegt, dann hast Du zu der ganzen Familie, die auf Deinem Wege auf den Knieen lag, beim Fortgehen gesagt:
– Jetzt seid Ihr getröstet, betet für den Tröster.
O! Du bist es wirklich, und ich habe Dich an dieser schmerzlichen Sprache erkannt. Du erwartest mich; Du weißt nicht, was aus mir geworden ist, und Du leidest.
Du leidest, denn Du zweifelst. O! der Mann zweifelt immer; ich habe nicht gezweifelt, ich habe Dich für todt gehalten.
Wenn ich bedenke, daß ich Dich vielleicht angetroffen hätte, wenn ich zwei Stunden früher gekommen wäre!
Ich sage vielleicht, denn wenn ich sicher wäre, daß Du es warst, so würde ich, so erschöpft ich auch bin, auf der Stelle wieder aufbrechen; ich würde einen Führer nehmen, ich würde mich tragen lassen. Aber wenn ich mich irrte, wenn Du es nicht wärst? O! der Instinct der Taube geht über Alles, sie ist keinen Augenblick lang unschlüssig gewesen. Mir hoben die Kräfte gefehlt, aber sie hat nicht gefehlt.
Was machst Du in diesem Augenblicke, wo Du auch sein mögest, mein Geliebter? Wenn Du nicht an Gott denkst, so denkst Du, wie ich hoffe, an mich.
O! wenn ich an Dich denke, so denke ich an Gott. Wenn ich an Gott denke, so denke ich an Dich.
Es ist elf Uhr Abends; auf Morgen! auf Morgen! Eine unermeßliche Hoffnung, die zu mächtig ist, als daß sie nicht von dem Himmel kommt, sagt mir, daß ich Dich morgen wiedersehen werde.
Dreiundvierzigste Brief
3 l. Juli, 11 Uhr Abends.
Ich weiß nicht, ob ich Dich jemals wiedersehen,werde, Geliebte meines Herzens, aber eile Dich, eile Dich, es schlägt Mitternacht, und mit Schlag Mitternacht wird der letzte Tag meines Lebens endigen, welcher auf der Welt schlagen wird.
Morgen. ist der für meine Gelübde bestimmte Tag, ich habe gewissenhafter Weise die Erfüllung ganze drei Monate abgewartet, aber ich kann Gott nicht ewig so mein Wort brechen. Gott spricht zu mir, da Du schweigst, Gott fordert mich, da Du mich verläßt.
O! ich verzichte nicht ohne tiefen Schmerz auf die Hoffnung, die Du mir einen Augenblick lang wiedergegeben hattest.
Ich wer mit Leib und Seele in die Vergangenheit, das heißt, in das Glück zurückgekehrt, es wird mir schwerer sein, dieses Glück zu verlassen, als es mir werden würde, das Leben zu verlassen.
Es kommt daher, weil das Klosterleben, was man auch sagen möge, weder der Tod des Leibes, noch der Tod der Seele ist. Ich habe oft Leichen untersucht, ich habe meine Augen auf ihre kalten und bleichen Stirnen gesenkt, es war der Stoff, der sich auflöste, sonst nichts. Kein Traum regte sich in diesem für immer entschlafenen Gehirne, kein weder materieller noch moralischer Schmerz ließ diese für immer abgespannten Fiebern erbeben.
Ich habe dagegen oft jene lebendigen Leichen untersucht, welche man Mönche nennt; um weit bleicher als die Stirn eines Tobten zu sein, war ihre Stirn indessen nicht die eines Verschiedenen, die Thränen, welche unaufhörlich aus ihrem Herzen, wie aus einer tiefen und unversiegbaren Quelle flössen, hatten ihre Augen in die Tiefe ihrer Höhlen gezogen und längs ihrer Wangen jene Furche der Bitterkeit ausgehöhlt, an denen Gott die Auserkorenen des Leidens erkennen wird, aus denen er, ich hoffe es zum Wenigsten, die Auserkorenen seiner Liebe machen wird.
Jenes nervöse Erbeben, welches das Leben bezeugt, und den Schmerz bestätigt, bewegte beständig ihre krampft haften Glieder. Es war weder die Ruhe des Lebens, noch die Ruhe des Grabes. Es war der langsame, fieberhafte, verzehrende Todeskampf, der aus dieser Welt in jene, aus dem Leben zum Tode, aus dem Bette in das Grab führt.
Nun denn, Isabella, ich verhehle es mir nicht, und ich gehe in diesen Abgrund hinab, nachdem ich die ganze Tiefe desselben ermessen habe. Auch ich werde in diesen Todeskampf eingehen, möchte er mich rasch zum Tode führen!
Leb wohl, ich werde die Nacht im Gebet zubringen. Die Glocken des Klosters werden von zwei Uhr Morgens an läuten, um zu verkünden, daß eine Seele, wo nicht ein Körper, die Erde mit dem Himmel vertauschen wird.
Um neun Uhr sollen die, welche meine Brüder in Gott sein werden, kommen, um mich zu holen.
Vierundvierzigster Brief
l. August, 5 Uhr Morgens.
Ich habe die Sonne ein letztes Mal aufgehen sehen. Niemals ist sie glänzender, prachtvoller, strahlender gewesen. Was liegt ihr an den Schmerzen dieser armen kleinen Welt, welche sie erleuchtet! was liegt ihr an den Thränen, welche ich vergieße und die das Papier benetzen! Ich habe sie nur zehn Minuten ihren Strahlen auszusetzen, und sie werden sie getrunken haben, wie sie den Tropfen Thau trinken, welcher an einem Grashalme zittert, oder der wie ein Diamant auf den Grund des Kelches einer Blume rollt..
Ich werde sie nicht mehr sehen. Die Zelle, welche mir bestimmt ist, geht auf einen mit hohen Mauern verschlossenen Hof, durch die Oeffnung eines Bogens werde ich nur eine Ecke des Kirchhofes erblicken; ich werde trachten, daß diese Ecke mir für mein Grab bewilligt wird.
Man muß das so nahe als möglich bei sich haben, was man schnell zu erreichen wünscht.
Beten wir!
Fünfundvierzigster Brief
Neun Uhr Morgens.
Die Gesänge nahen heran, sie kommen mich zu holen. Ich will nicht, daß diese Männer hier heraufkommen. Ich will nicht, daß sie Ihre Briefe sehen, daß sie dieses Papier sehen. Ich will nicht, daß sie meine Thränen sehen.
Ich, gebe, sie auf der Schwelle zu erwarten; die Seele bleibt bei Ihnen, sie werden nur die Leiche fortführen.
Leben Sie wohl.
Der Schrei, den die ganze Schöpfung bei dem Tode ihres Gottes ausgestoßen hat, ist nicht tiefer, nicht herzzerreißender, nicht jammernder, als der, den ich über den Tod unserer Liebe ausstoße.
Leben Sie wohl! leben Sie wohl! leben Sie wohl!
Sechsundvierzigster Brief
Zehn Uhr.
Ihre Zelle leer! Ihr Brief ganz mit Thränen benetzt. Ihr letzter Abschied!
Ich komme eine halbe Stunde zu spät.
Wenn indessen die Gelübde noch nicht ausgesprochen wären!
Mein Gott! mein Gott! gib mir Kraft.
O! Taube, Taube, wenn ich Deinen Flügel hätte, so gebrochen er auch ist!
Siebenundvierzigster Brief
(Bruchstück eines in den Archiven des Klosters der Ursulinerinnen von Montolieu aufgefundenen Briefes, von dem aber der erste Theil fehlt.)
* * *
Mit Tagesanbruch bin ich von dem Dorfe Camons aufgebrochen, wohin, wie ich Ihnen gesagt habe, sehr liebe Mutter in Gott, mich Alles glauben ließ, daß er im Laufe des Tages gekommen war.
Ich hatte die ganze Familie des armen verwundeten Zimmermanns befragt, und nach ihrem Signalement hätte ich ihn erkannt, wenn nicht bereits mein Herz mir gesagt hätte, daß er es wäre.
Außerdem konnten diese Worte, welche er ausgesprochen hatte, als er sie verließ:
»Jetzt seid Ihr getröstet, betet für den Tröster!« nur von dieser leidenden Seele herkommen, die bereit war, sich Gott zu widmen.
Ich faßte daher wieder Kraft in der Hoffnung ihn wieder zu sehen; wenn ich ein Pferd oder einen Wagen nahm, so hätte ich einen ungeheuren Umweg machen müssen, um dieses kleine Haus zu erreichen, das mir wie ein weißer Punkt neben diesem finsteren und massiven Kloster der Camaldulenser erschien, welches, obgleich beinahe drei Meilen in gerader Richtung entfernt, mir den Klang seiner Glocken auf den Flügeln des Windes zusandte.
Am Ausgange des Dorfes ließ ich die Taube fliegen; die arme Kleine machte einen ihrer längsten Flüge, beinahe zwei Hundert Schritte in der Richtung des Hauses, das mein Blick verschlang. Ich hatte keine Zweifel mehr, das Herannahen des Zieles hatte ihr, wie mir, Kräfte verliehen.
Unglücklicher Weise gab es dort keinen gebahnten Weg; ich mußte dem Abhange des Berges folgen, der bald durch Schluchten durchschnitten, bald durch Bäche durchfurcht bald mit kleinen Gehölzen besetzt war, die ich aus Furcht mich zu verirren, nicht zu betreten wagte.
Ich ging drei Stunden ohne anzuhalten, aber kaum hatte ich wegen der Umwege zwei Meilen zurückgelegt.
Oft verschwand das Haus, und ohne meine geliebte Taube hätte ich mich verirrt. Ich warf sie in die Luft und folgte der Richtung, welche ihr Flug mir vorgezeichnet hatte.
Endlich schien es mir, als ob der Weg, indem ich mich näherte, weniger mit Schwierigkeiten erfüllt war. Ich hörte es acht Uhr in einem kleinen Dorfe schlagen, ich weiß nicht warum es mir schien, als ob der Klang dieser Uhr irgend etwas Trauriges hätte, was mir das Herz beklomm. Man hätte sagen können, daß jede Stunde, indem sie an mir auf ihren Flügeln von Erz vorüberkam. zu mir sagte:
Eile Dich! eile Dich!
Ich eilte mich, und bald begann ich das kleine Haus in seinen näheren Umständen zu erkennen. In dem Maße, als ich mich ihm näherte, erkannte ich die Beschreibung, welche er mir davon gemacht halte, das Fenster, durch welches er die Sonne aufgehen sah, den Jasmin, der dieses Fenster beschattete, und der aus der Ferne für mich nur eine grüne Hecke war.
Einen Augenblick lang glaubte ich ihn an diesem Fenster zu erblicken, und, sei es nun Täuschung, oder sei es Wirklichkeit, ich streckte die Arme aus, ich stieß einen Schrei aus.
Ach! ich war noch mehr als eine Viertelmeile entfernt! er sah mich nicht, noch hörte er mich.
Die Glocken des Klosters läuteten immer fort; ich erinnerte mich unwillkürlich dieses nächtlichen und unaufhörlichen Läutens, welches für mich der Einkleidung vorausgegangen war, und zuweilen stieg in meinem Geiste und in meinem Herzen, wie eine schreckliche Vermuthung, der Gedanke auf, daß die Glocken so für ihn läuteten.
Aber ich sagte den Kopf schüttelnd zu mir selbst: Nein, nein, nein!
Ich näherte mich immer mehr; nun sah ich eine lange, aus Mönchen bestehende Procession, die sich nach dem kleinen weißen Hause begab, und die einen Augenblick nachher wieder den Weg nach dem Kloster einschlug.
Was holten sie aus diesem Hause?
War es ein Lebendiger oder ein Todter?..
Ich stand im Begriffe es zu erfahren, denn ich war nur noch einige Hundert Schritte weit von dem Hause entfernt, als ein Strom mir den Weg versperrte.
Er stürzte so reißend, so Mit Steinen beladen, so kothig herab, er schien so tief, daß ich nicht einmal versuchte, durch ihn zu gehen.
Trotz meiner Ermüdung eilte ich laufend nach seiner Quelle hinauf, aber ich fühlte, daß ich bis nach diesem Hause gelangen würde. Dort würde mich freilich aller Wahrscheinlichkeit nach diese ganze künstliche Kraft verlassen.
Nach Verlauf einer Viertelstunde des Marsches kam ich an einen, von dem einen Ufer auf das andere geworfenen Baum. In jeder anderen Zeit würde ich niemals gewagt haben, mich auf diese bewegliche Brücke zu wagen, wäre auch das Paradies auf der anderen Seite gewesen. Ich eilte darauf und überschritt sie sicheren Fußes, wie ich sie festen Auges gemessen hatte.,
Dort angekommen gab es kein Hinderniß mehr, ich fand eine Art von gebahntem Weg, ich setzte meinen Lauf fort; nur wurde mein Lauf in dem Maße rascher, als ich näher kam.
Ich erreichte dieses so sehr ersehnte Ziel; die Thür stand offen, ich überschritt die Schwelle, eine Treppe bot sich zu meiner Rechten, ich eilte hinauf, aber schweigend, ohne Jemand zu rufen. Seitdem ich die Thür berührt hatte, wagte ich nichts mehr, ich hatte die Ueberzeugung, daß ich das Zimmer leer finden würde.
Das Zimmer war leer, das Fenster stand offen, und auf einem Tische lag ein noch ganz mit Thränen benetzter Brief.
Dieser Brief, o meine Mutter! dieser Brief, dessen letzte Zeilen kaum seit einer halben Stunde geschrieben waren, dieser Brief war sein letzter Abschied.
Ich kam um eine halbe Stunde zu spät, er war in der Kirche, er legte seine Gelübde ab.
Ich fühlte das Haus unter meinen Füßen erbeben; es schien mir, als ob sich Alles um mich herum drehe. Ich fing einen Schrei an, der sich mit meinem letzten Seufzer endigen sollte, als plötzlich der Gedanke, in mir aufstieg, daß das Opfer vielleicht nicht vollbracht, daß das Gelübde noch nicht ausgesprochen wären.
Ich stürzte aus dem Hause, indem ich instinctmäßig meine Taube wieder nahm, die sich auf einen geweihten Buchsbaumzweig gesetzt hatte.
Das Kloster war ungefähr Hundert Schritte weit entfernt, aber dieses Mal fühlte ich wohl, daß mir nicht genug Kräfte übrig bleiben würden, um die Kirche zu erreichen. Ich hatte nur noch einen Rest von Verstand in dem Kopfe, nur noch einen Rest von Athem in der Brust.
Ich hörte die Priester, welche das Magnificat sangen.
Ich hörte die Orgel, welche das Veni Creator spielte.
Mein Gott! mein Gott! es blieben mir noch einige Sekunden, und das war Alles.
Unglück! dreifaches Unglück! die Kirche zeigte sich mir von Seite des gewölbten Chores, ich mußte um sie herum gehen, um die Thür zu finden.
Das mittlere Fenster stand offen; aber wie konnte ich hoffen, daß meine Stimme den Klang der Orgel und den Gesang der Priester überschallen würde?
Ich versuchte indessen zu rufen; ein dumpfes Röcheln drang aus meiner Brust und das war Alles.
Es gibt Augenblicke, in denen man begreift, daß Alles uns verläßt und daß Alles verloren ist.
Ich fühlte meine Gedanken sich verwirren, Alles brach in mir; dann durchzog in Mitte dieses Chaos ein Blitz, eine Flamme, ein Schein mein Herz.
Ich schleuderte meine Taube nach dem offenen Fenster und sank ohnmächtig zu Boden.
Gütiger Himmel! als ich wieder zu mir kam, befand ich mich in seinen Armen.
Er trug bereits das Mönchsgewand, er hatte bereits die Tonsur des Priesters, und dennoch war er mein, mein, mein!
Mein, für immer!
Den bereits auf den Lippen angefangenen Schwur hatte die wie der heilige Geist auf einem Sonnenstrahle herabkommende Taube unterbrochen.
Geliebte Taube, Du wirst auf unserem Grabe in unseren verschlungenen Händen entschlafen ausgehauen werden.
Ich habe Ihnen versprochen, Ihnen zu schreiben, wenn ich ihn wiederfände, heilige Mutter. Gott hat in seiner unendlichen Barmherzigkeit zugelassen, daß ich ihn wiederfand, und ich schreibe Ihnen.
Ihre sehr ehrerbietige und sehr dankbare Tochter,
Isabelle von Lautrec, Gräfin von Moret.Das glückliche Palermo, den 10. September 1638.