Kitabı oku: «Elim»
I
Der Sturm
Zu der Zeit als das Heer Napoleon’s gegen Moskau vorrückte, blockirte die vereinigte russisch-brittische Flotte unter dem Befehl des englischen Admirale die im Hafen von Vliessingen eingeschlossene französische Flotte.
In der ungünstigsten Jahreszeit, auf einem allen Winden offenen Meere, in unermeßlichen Tiefen ihre Anker werfend, hatten die vereinigten Flotten den doppelten Kampf mit den Elementen und mit dem Feinde zu bestehen. Hinter sich hatten sie den Oecan mit den brausenden Wogen, vor sich die Feuer und Eisen speienden Batterien.
Im October waren die Stürme furchtbar und anhaltend. Um sich einen Begriff von den Drangsalen einer in solchem Wetter vor Anker liegenden Flotte zu machen, muß man einen Sturm auf offener See erlebt haben. Das Kriegsschiff bleibt dann unbeweglich, aber es erbebt an allen Gliedern, wie ein gefesselter Riese, der vor den gegen ihn andringenden gewaltigen Wellen nicht zu fliehen vermag.
Der Orkan, der in der Nacht vom 16. zum 17. October wüthete, vernichtete mehre Schiffe an den Küsten Hollands und Englands. Die ganze Nacht hindurch hörte man mitten in der Finsternis und mitten in dem tobenden Sturm von Zeit zu Zeit Nothschüsse, welche der Schöpfung zuriefen: Wir sind verloren! Es waren die letzten Lebenszeichen, welche ihren Wiederhall im Grabe finden.
In der Morgendämmerung eines trüben Tages, der jener Schreckensnacht folgte, sah man die furchtbare Lage der Flotte. Die Linie war durchbrochen, die Taue waren zerrissen, die Maste zertrümmert. Einige von ihren Ankern losgerissene Schiffe waren, dem noch immer tobenden Sturm preisgegeben, die sich wie Berge aufthürmenden Wellen schienen sie verschlingen zu wollen. Selbst die Seeleute gaben alle Hoffnung auf.
Das russische Linienschiff »Wladimir« war an mehren Stellen leck geworden. Es war das letzte am linken Flügel der Linie und lag sehr nahe an den Felsen, die sich beinahe eine halbe Seemeile parallel mit der Küste ins Meer erstrecken. Die Matrosen arbeiteten mit allen Kräften theils an den Pumpen, theils am Takelwerk: sie wußten wohl, daß ihr Leben von der Kraft ihrer Arme abhing; aber alle Arbeit wäre fruchtlos, der Untergang der gesamten Mannschaft unvermeidlich gewesen, wenn sich nicht bald nach Sonnenaufgang der Sturm gelegt hätte. Die Hoffnung der Rettung wurde bald zur Gewißheit. Jeder Matrose erhielt ein Glas Branntwein, die Ordnung wurde am Bord wieder hergestellt und die Hälfte der Mannschaft konnte sich ausruhen.
Es war vier Uhr Nachmittags. Der Lieutenant, dem es ebenfalls vergönnt war zurasten, begab sich auf das Verdeck und sagte, seine Mütze lüftend, zu dem auf- und abgehenden Capitän:
»Ich habe Alles in Ordnung gebracht. Der Wind bläst Nordostwest. Wir liegen mit einhunderteinundsiebzig Faden Kabel in einer Tiefe von achtundsiebzig Faden vor Anker.«
»Aber der untere Schiffsraum? Wie sieht’s da aus, Nicolai Alexiewitsch ?« fragte der Capitän.
»Alles geht gut, wir haben das Wasser ausgepumpt. Haben Sie noch etwas zu befehlen?«
»Nein, Nicolai, Sie haben ja für Alles gesorgt. Empfangen Sie meinen Dank und geben Sie der Mannschaft für die Arbeit dieser Nacht meine Zufriedenheit zu erkennen. Ohne diese übermenschliche Arbeit würden wir jetzt wie ein Fetzen an einem Felsen hängen.«
Der Lieutenant war ein alter »Seebär«. Sein Gesicht war von der Sonne aller Klimate gebrannt; die Mütze trug er nachlässig auf einem Ohr und seine rechte Schulter war, vermuthlich ebenfalls aus Nachlässigkeit, auffallend höher geworden als die linke. Seinen vom Regen durchweichten Mantel hatte er noch nicht abgelegt. In der Hand hielt er sein Sprachrohr.
Er lächelte über die Worte des Capitäns.
»Es ist nicht der Rede werth,« sagte er. »Als wir mit dem »Wladimir« im adriatischen Meere waren, ging’s noch heißer her. Es ist noch ein Glück.« setzte Nikolai Alexiewitsch hinzu, »daß es im brittischen Canal keine Wasserhosen gibt, obschon es sehr merkwürdig ist, sie entstehen und verschwinden zu sehen.«
»Ja wirklich, das muß sehr merkwürdig sein,« antwortete Elim Belosor, ein schöner junger Mann von vier- bis fünfundzwanzig Jahren, der die goldene Achselschnur trug; denn er war Adjutant des russischen Admirals, hatte aber für die Dauer des Krieges auf einem Linienschiff Dienste genommen. »Eure Wasserhosen in der Ostsee sind den mit Punsch gefüllten Gläsern gewiß gefährlicher als den Schiffen.«
»Allerdings, Freundchen,« erwiederte der alte Seemann. »Das Wasser ist für die Fische und Krebse, die Milch für die Kinder und Lungensüchtigen, der Wein für die jungen Leute und die hübschen Weiber, der Madeira für die Männer und Soldaten geschaffen; aber Rum und Schnaps ist das natürliche Getränk der Helden.«
»Wenn das ist,« antwortete der junge Adjutant lächelnd, »so bin ich nicht für die Unsterblichkeit bestimmt. Es ist mir unmöglich, einer Rumflasche gerade ins Gesicht zu sehen, ich habe einen unüberwindlichen Widerwillen gegen das abscheuliche Getränk.«
»Auf mich, lieber Elim, macht es gerade den entgegengesetzten Eindruck: mein Herz pocht ungestüm, sobald es einer Rumflasche nahe kommt. Wenn Du dreißig Jahre auf dem Gebiete des alten Neptun umhergesegelt bist und Dir den Wind hast um die Nase wehen lassen, so wirst Du einsehen, das; ein gutes Glas Grog besser ist als alle Mäntel der Welt, als alle Fuchs- und Zobelpelze. Beim zweiten Glase wird Dir ein Liebt im Kopfe aufgehen, beim dritten wirst Du einen Vogel in deinem Herzen singen hören. Dann wirst Du Dich über die Schiffswand lehnen und die Wellen so ruhig vorüber ziehen sehen, als ob’s Schafheerden wären, und die Maste mögen immerhin über deinem Kopfe ächzen und krachen, Du wirst Dich nicht so viel darum kümmern.«
Der alte Seemann schlug ein Schnippchen.
»Und trotzdem,« entgegnete der Adjutant, »hätten wir in der vorigen Nacht zuweilen deine Wangen erbleichen sehen, wenn’s nicht so dunkel gewesen wäre.«
»Der Teufel soll mich holen, wenn ein wahres Wort daran ist,« betheuerte Nicolai Alexiewitsch. »Der Sturm ist mein Element. Gott gebe uns oft solche Nächte! Der Dienst wird dann nicht vernachlässigt, wie in ruhigen Zeiten. Wenn der Wind weht, haben Hände und Geist vollauf zu thun und ich fühle mich erhoben, denn es scheint mir, als ob ich den Befehl über die ganze Natur führte.«
»Ich danke für eine solche Sturmnacht, Lieutenant,« sagte der junge Offizier: »ich bin bis auf die Haut naß geworden, ich war hungrig wie ein Seehund und mußte mich ohne Nachtessen niederlegen, und um das Maß meiner Leiden voll zu machen, bin ich zweimal aus dem Bett gefallen.«
»Du bist ja ein wahres Zuckerpüppchen, lieber Elim,« sagte der alte Seemann. »Du möchtest wohl, daß dein Schiff in Rosenwasser segelte, daß der Wind nur geschaffen wäre, um deine Segel zu säuseln und daß die Schiffslieutenants nur mit Damen tanzen.«
»Scherzen Sie so viel Sie wollen, Nicolai Alexiewitsch. Ich gestehe, daß ich mich gern bei einer schönen Lady in Plymouth wärmen oder nach einem guten Mittagessen ein Schläfchen machen möchte. Die Musik in der Pariser Oper würde mir angenehmer sein, als das Heulen des Windes, wobei man überdies noch die angenehme Aussicht hat, mit den Haifischen aus einer Tasse zu trinken.«
»Ich behaupte, daß zu Lande mehr Gefahren sind, als zur See. Zu Lande ist man beständig in Gefahr, Börse und Herz zu verlieren. Als Du mich zum Beispiel in Stephen’s Haus führtest, Du weißt doch noch? Ich wußte nicht, wie ich zwischen den Sophas und Sesseln, mit denen der Salon angefüllt war, hindurchsegeln sollte. Ich hätte lieber in einer stockfinstern Nacht am Steuer gesessen und das Schiff durch den Devilspaß geführt. Und diese verwünschte Miß Jane! Sie sah mich so scharf an, daß ich im Begriff war den Anker zu lichten und fünfzehn Knoten in der Stunde zu fahren, um mich von ihr zu entfernen. – Aber Du hörst mir nicht zu.«
Elim war wirklich ganz zerstreut; er hatte sich an eine Kanone gelehnt und seine Augen waren auf die holländische Küste gerichtet. Das ferne Gestade schien ihm ein Paradies. Dort gab es brave Leute, geistreiche Männer, schöne Mädchen; dort schlugen Herzen, die sich nach Liebe sehnten und der Liebe werth waren. Ein quälender Gedanke für einen jungen Mann von fünfundzwanzig Jahren, der in einem schwimmenden Kloster sitzt und noch nicht voraussieht, wann der Augenblick der Erlösung kommen wird. Die Worte seines alten Cameraden weckten die nur leise schlummernde Sehnsucht in seiner Brust und er warf so zärtliche Blicke nach Holland hinüber, als ob er dort einen Schatz vergraben hätte. Die Unmöglichkeit das Schiff zu verlassen verdoppelte übrigens die Sehnsucht nach der Küste, und er seufzte so tief wie ein wahrheitsliebender Historiker. Auf diesen Seufzer glauben wir die Aufmerksamkeit des Lesers lenken zu müssen.
Der Tag sing an sich zu neigen, der Wind wurde wieder stärker und ging allmälig in Sturm über; aber man hatte umfassende Vorkehrungen getroffen und erwartete die Nacht ohne große Besorgniß.
Bei Sonnenuntergang erschien am Horizont ein Schiff, welches mit aufgespannten Segeln auf die Flotte zufuhr. Durch den beginnenden Sturm getrieben, schien es schneller als dieser fahren zu wollen. Man erkannte es bald für ein englisches Kriegsschiff. Die rothe Flagge schimmerte wie ein Blitz mitten unter den Wolken. Alle Augen waren auf den Engländer gerichtet.
»Wir wollen doch sehen,« sagte Elim, »wie unser Gentleman in diesem schönen Wetter den Anker werfen wird.«
»Er ist wahrhaftig toll,« sagte ein junger Schiffslieutenant, »er fährt mit vollen Segeln in die Linie. Sieh nur, seine Maste biegen sich wie Rohr, man glaubt sie hier krachen zu hören. Der Capitän muß Dämonen statt der Matrosen unter seinem Befehl haben.«
Das Admiralschiff zog die Signalflagge auf; aber das Fahrzeug schien nicht darauf zu achten, oder es wurde durch eine unwiderstehliche Gewalt fortgetrieben.
»Es antwortet nicht!« riefen mehre Stimmen erstaunt.
»Es fährt gerade auf die Felsen zu,« sagte Elim.
Auf dem Admiralschiffe wurden drei Flaggen zugleich aufgezogen.
»Nummer hundertdreiundvierzig!« rief ein Matrose.
Der Schiffslieutenant schlug das Signalbuch auf.
»Das von der offenen See kommende Schiff,« sagte er, »muß in die Linie rücken und links den Anker werfen.«
»Hat es geantwortet?« fragte der Lieutenant.
»Es scheint nicht einmal zu merken, daß das Signal ihm gilt,« sagte der Matrose.
Ungewißheit, Besorgniß und Erstaunen zeigten sich auf allen Gesichtern.
Dasselbe Signal wurde wiederholt und als Verweis ein Kanonenschuß dazu abgefeuert.
Das ankommende Schiff nahm gar keine Notiz davon und segelte immer auf die Klippen zu.
Vergebens verdoppelte der Admiral seine Signale, das Schiff segelte immer mit der gleichen Schnelligkeit.
Alle Seeleute sahen das Schiff mit Schrecken an, es fuhr offenbar seinem Verderben entgegen.
»Es versteht unsere Signale nicht,« rief der Lieutenant; »es kommt nicht von England, sondern aus dem Ocean. Aber es sollte doch die auf allen Karten angezeigten Felsen sehen.«
»Es hat nur eine Secunde zum Wenden,« sagte Elim, »sonst ist es verloren.«
Es war ein entscheidender Moment. Der junge Offizier stieg auf die Verschanzung und hielt sich nur mit einer Hand; mit der andern schwenkte er seine Mütze und rief, als ob man es auf dem Schiffe hören könnte:
»Das Steuer zum Backbord!«
Das Schiss war schon so nahe, daß man die Mannschaft auf dem Verdeck sehen konnte. Man versuchte das Focksegel einzuziehen; aber als die Matrosen mit diesem Manöver beschäftigt waren, hörte man ein furchtbares Krachen, der Mast brach.
»Es hat kein Steuer!« rief der Lieutenant, »es ist l verloren!«
Der alte Seemann wandte sich ab.
Er hatte Recht. Das dem Untergange geweihte Schiff schien seinem sichern Verderben entgegenzueilen. Durch den Wind getrieben, durch die Strömung fortgerissen, flog es pfeilschnell auf die Felsen zu.
Man sah die Verzweiflung des Schiffsvolkes. Es war kein Commando, keine Ordnung, keine Mannszucht mehr am Bord. Die Matrosen liefen hin und her, streckten die Hände gegen die andern Schiffe aus und baten instinktmäßig um Hilfe, die ihnen nicht mehr geleistet werden konnte.
Ihre letzte Stunde schlug. Mit Blitzesschnelle, mit der Gewalt und dem Krachen des Donners wurde das Schiff gegen den Felsen geschleudert. Man sah, wie es mitten in der schäumenden Brandung in Stücke zerbrach. Die Segel zerstreuten sich; eines derselben flog wie ein Adler durch die vom Sturm bewegte Luft – eine gewaltige Welle hob die Trümmer noch einmal empor und warf sie dann wieder auf die Felsen.
»Es ist aus,« sagte Elim, wieder auf das Verdeck springend.
Auf der Stelle, wo noch vor wenigen Minuten das Schiff zu sehen war, thürmten sich nur noch Wogen auf, schäumte nur noch die Brandung.
»Ein Signal!« rief der Matrose. »Nummer hundert sieben! Eilet den Schiffbrüchigen zu Hilfe!«
»Ein menschenfreundlicher Befehl,« sagte der Lieutenant Nicolai Alexiewitsch, »aber leichter zu geben als zu vollziehen.«
In diesem Augenblicke erschienen drei Männer, die allein von der Schiffsmannschaft übrig geblieben waren, mitten in den schäumenden Wogen. Sie hielten sich alle drei an einem Brett.
Elim faßte den alten Seemann beim Arm.
»Sehen Sie?« fragte er hastig. »Sehen Sie die Unglücklichen?«
»Endlich sehe ich sie,« antwortete Nicolai Alexiewitsch; »aber was kann ich thun?«
»Sie halten es also für unmöglich, ihnen beizustehen?« fragte Elim.
»Ja, ich halte es für unmöglich,« antwortete der Schiffslieutenant.
»Und ich,« erwiederte Elim, »ich würde es für eine Schmach halten, wenn ein Russe einen von einem Engländer gegebenen Befehl als unausführbar betrachtete. – Capitän,« setzte er, sich zu dem Commandanten des »Wladimir« wendend, hinzu, »erlauben Sie mir eine Schaluppe auszusetzen.«
»Ich kann Sie nicht hindern, Elim, eine Pflicht zu erfüllen,« sagte der Capitän traurig; »aber Sie gehen zwecklos Ihrem Untergange entgegen, die Rettung der Schiffbrüchigen wird Ihnen nicht gelingen.«
»Capitän, ich habe keine Mutter und keine Frau, die meinen Tod beweinen würden, und mein Vater ist ein alter Soldat, der mit Freude erfahren wird, daß sein Sohn in der Erfüllung seiner Pflicht das Leben gelassen.«
»Aber Sie haben nicht Zeit, das große Boot auszusetzen und die Schaluppen halten in dem Sturme nicht aus.«
»Ich werde, wenn es sein muß, in einer Badewanne hinüberfahren; ich finde, daß es leichter ist, selbst zu sterben, als Andere sterben zu sehen.«
»Heda! die Möwe ausgesetzt!« rief er, »und fünf entschlossene Leute!«
Es meldeten sich dreißig. Elim wählte fünf und sprang in seine Schaluppe, die wegen ihres schlanken Baues und ihrer Schnelligkeit den Namen eines Vogels erhalten hatte. Einer der fünf Matrosen setzte sich an das Steuer, die andern ergriffen die Ruder, Elim nahm vorn in der Schaluppe Platz.
»Glückliche Reise!« riefen ihm die Cameraden nach.
Die Taue, welche die Schaluppe hielten, wurden gekappt, und das leichte Fahrzeug verschwand mitten in der schäumenden Brandung, als wäre es von den Wellen verschlungen worden.
II
Der Schiffbruch
Die Schaluppe tauchte zwanzig Schritte von dem Kriegsschiffe, welches sie ausgesetzt hatte, wieder auf.
Das Wasser stand drei Zoll hoch in der Barke. Zwei Matrosen fuhren fort zu rudern; Elim und zwei andere schöpften das Wasser mit ihren Hüten aus.
Dann legten die vier Ruderer wieder eifrig Hand ans Werk. Unterdessen setzte Elim den Mast ein und hißte das kleine Segel auf.
Als er diese Arbeit beendet hatte und sich umsah, war die Flotte schon weit entfernt.
Er sah sich nun nach den Schiffbrüchigen um.
Das Brett, an welchem sich die drei Unglücklichen festhielten, sank jeden Augenblick unter; sie hatten kaum Zeit zu athmen, wenn sie wieder auftauchten, denn sie verschwanden immer schnell wieder.
»Herr Lieutenant,« sagte der Matrose am Steuer, »ich glaube, es sind nur noch Zwei.«
Elim schlug ein Kreuz, wie die Russen bei dem Abscheiden einer Seele von der Erde zu thun pflegen.
»Dann müssen wir uns um so mehr beeilen, den noch Lebenden zu helfen,« sagte er. »Nur Muth, Kinder!«
Die Schaluppe glitt leicht über das Wasser dahin und lehnte sich zuweilen so weit seitwärts auf die Wellen, daß die Spitze des Segels ins Wasser tauchte. Die Ruderer arbeiteten rüstig, aber meistens bewegten sich die Ruder außerhalb des Wassers.
»Herr Lieutenant,« sagte der Mann von neuem mit dumpfer Stimme und sich die Stirn mit dem Aermel abwischend, »es ist nur noch Einer.«
»Wir wollen diesen wenigstens zu retten suchen,« sagte der Lieutenant, indem er wieder das Zeichen des Kreuzes machte.
Dann richtete er sich auf, schwenkte sein Schnupftuch und rief dem Schiffbrüchigen in englischer Sprache zu:
»Nur Muth , Freund, haltet Euch fest – wir kommen.«
Aber kaum hatte er diese letzten Worte gesprochen, so kam das inzwischen von einer Welle verschlungene Brett ohne den Schiffbrüchigen wieder zum Vorschein.
»O der Unglückliche!« rief der Lieutenant mit Verzweiflung; »er hat nicht die Kraft gehabt uns zu erwarten. Noch zwei Ruderschläge und wir hätten ihn erreicht.«
»Hast Du gesehen, Jurko, wie er die Augen aufriß?« sagte einer der Ruderer leise zu seinem Cameraden.
»Ja,« antwortete dieser; »und wie er die Fäuste ballte.«
»Der Lieutenant hat vergessen für diesen ein Kreuz – zu schlagen,« sagte ein Dritter.
»Er ist im Stande, ihn an den Füßen zu ziehen, um ihn daran zu erinnern,« sagte Jurko lachend.
»Mit den Lebenden magst Du scherzen, so viel Du willst, Jurko,« sagte der Mann am Steuer ernst verweisend, »aber nicht mit den Todten. Dies bringt Unglück!«
»Es war nicht möglich, Andern das Leben zu retten,« sagte der Lieutenant mit lauter Stimme, die nicht nur das Geflüster der Matrosen übertönte, sondern auch trotz dem Heulen des Windes und dem Toben der Wellen deutlich zu verstehen war. »Wir müssen jetzt an unser eigenes Leben denken.«
Der junge Offizier überzeugte sich auf den ersten Blick, daß es ihm unmöglich war, gegen den Wind und die gewaltigen Wogen zu steuern, er konnte nicht zur Flotte zurückkehren. Er sah keinen andern Ausweg, als vor dem Winde zu treiben und ans Land zu gehen, daselbst zu übernachten und einen Wechsel des Windes abzuwarten, um mit der Schaluppe auf den »Wladimir« loszusteuern.
Wenn er den Versuch machte, links von der Stadt zu landen, so hatte er den günstigsten Wind, und das leichte Fahrzeug konnte schnell die Küste erreichen. Das Land, dem ihn der Sturm zutrieb, war freilich Feindesland, und wenn er erkannt wurde, hatte er den Tod oder wenigstens Gefangenschaft zu erwarten.
Elim hatte am Steuer den Platz des alten Matrosen eingenommen. Drei Mann schöpften das unaufhörlich in das Boot dringende Wasser aus, die beiden andern hielten sich aus jedes Ereigniß gefaßt. Die Schaluppe hatte eine so schiefe Stellung, daß einer der beiden Matrosen mit einem Messer in der Hand den Befehl des Offiziers erwartete, das Tauwerk, welches das Segel gespannt hielt, zu zerhauen.
Elim war indeß so ruhig, daß die Matrosen, wittert sie nicht selbst erfahren genug gewesen die Lage zu würdigen, ganz unbesorgt hätten sein können.
Es wurde völlig Nacht; aber bei dem letzten Tageslicht hatte man an einem breiten, vor dem Strande sich ausbreitenden Schaumstreifen sehen können, daß die Küste durch eine weit ausgedehnte, starke Brandung vertheidigt war.
Der Wind trieb das kleine Fahrzeug gerade gegen diese noch in der Dunkelheit sichtbare Brandung. Die über das Meer getriebene Schaluppe hätte die Flügel des Vogels, dessen Namen sie führte, haben müssen, um über diesen furchtbar tobenden Schaumwall hinwegzugleiten.
»Alles herunter!« rief Elim den beiden harrenden Matrosen zu.
Der eine Matrose ließ das Tauwerk nach; aber der Wind war so heftig, daß er es 'ihm aus den Händen riß und das losgelassene Segel so heftig hin- und herschlug, daß die Schaluppe erzitterte und ihr Vordertheil, durch das Gewicht des Segels fortgezogen, ins Meer tauchte. Doch wie ein feuriger Renner, der in eine zu tiefe Furt gerathen ist, hob sie den Kopf aus dem Wasser. Eine Wiederholung dieser gefährlichen Bewegung mußte freilich den Untergang des Schiffleins zur Folge haben.
Elim verlor keine Zeit mit Befehlen; er bückte sich rasch, ergriff eine Axt und in dem Augeublicke, wo der kleine Mast wie ein Schilfrohr gebogen wurde, hieb er mit der vollen Kraft seines Armes darauf ein. Man hörte ein lange anhaltendes Krachen und der Mast fiel mit dem Segel um.
»Alles über Bord!« rief Elim, indem er seinen Platz ein Steuer wieder einnahm.
Die Matrosen, welche die Nothwendigkeit einsahen, die Schalupppe von dieser unnützen Last zu befreien, warfen sich auf den fast ganz abgebrochenen Mast und in fünf Minuten war derselbe samt dem Segel über Bord geworfen.
Inzwischen war man der Brandung so nahe gekommen, daß man weder rechts noch links manövriren konnte. Zum Glück ragte die Klippe, auf welche die Schaluppe von den Wellen getrieben wurde, nicht aus dem Wasser hervor und Elim hoffte darüber hinwegfahren zu können.
»Alle zurück!« rief er, als die Schaluppe dem Felsen nahe war.
Die Matrosen vollzogen rasch den Befehl; die vordere Hälfte des Bootes hob sich aus dem Wasser, wie ein athemschöpfender Pottfisch und statt des Vordertheils stieß das Hintertheil auf die Klippe.
Das Boot ward zertrümmert, aber die Seeleute und ihr junger Commandant wurden vorwärts geschleudert und befanden sich in einem Wasserbecken, welches von den an den Klippen gebrochenen Wellen nicht erreicht wurde und daher im Vergleich mit der offenen See ziemlich ruhig war.
»Nur Muth, Kinder – und gerade auf die Küste zu!« rief der junge Offizier seinen Leuten zu. »Wenn Einer von Euch etwa nicht schwimmen kann oder ermüdet ist, so lehne er sich an meine Schultern.«
Aber seine Stimme verlor sich mitten im Sturm; die Wogen wälzten sich über die Brandung hinweg und verfolgten die Schwimmer, als ob sie erzürnt gewesen wären, daß ihnen die Beute entgehen wollte.
Doch die Schwimmer fühlten bald festen Boden unter ihren Füßen. Elim hielt an, um zu sehen, ob keiner seiner Leute zurückgeblieben sei. Die fünf Matrosen waren bei ihm.
»Wahrhaftig,« sagte der alte Seemann, »ich glaubte, daß uns das vergessene Zeichen des Kreuzes Unglück bringen würde. Folgen Sie meinem Rath, Herr Lieutenant, machen Sie das Versäumte wieder gut und schlagen Sie jetzt zweimal das Kreuz.
»Einen Augenblick,« sagte Jurko, »schien es mir, als ob mich der verwünschte Ertrunkene an den Füßen zöge. Ich habe ihm auch einen tüchtigen Fußtritt gegeben.«
»Willst Du wissen, Jurko , wo dein Fußtritt ist?« fragte ein Matrose, indem er sein blau unterlaufenes Auge zeigte. »Da sieh nur.«
»Du hast mich also bei den Füßen gezogen ?« fragte Jurko.
»Nun ja; wenn man tief unten im Meere ist und einen Purzelbaum gemacht hat, wie wir, so greift man was man kann.«
Während die sechs Leidensgefährten mit der den Matrosen aller Nationen eigenen Sorglosigkeit über die eben bestandenen Gefahren scherzten, erreichten sie die Deiche.
Die See tobte unter ihnen, aber sie wurden nur noch vom Schaum bespritzt, die Wellen konnten sie nicht mehr erreichen.
»Da sind wir also glücklich aus dem Wasser,« sagte einer der Matrosen; »das ist recht schön, aber wir werden hier erfrieren.«
»Warte nur bis die Kosakensonne1 aufgeht,« erwiederte Jurko, »dann kannst Du Dich an ihren Strahlen trocknen.«
»Brrr!« sagte ein Anderer, sich schüttelnd, »ich möchte eine Pfeife rauchen.«
»Schade daß Dir das nicht früher eingefallen ist,« sagte der Matrose mit dem blauen Auge; »Du hättest deine Pfeife anzünden können an den sechsunddreißig Kerzen, die ich gesehen habe, als mir Jurko auf meine Laterne trat.«
Aber die armen Teufel vermochten die Kälte nicht hinwegzuscherzen, sie standen schlotternd im Winde. Selbst Elim vermochte trotz seines Muthes und seiner kräftigen Jugend der Kälte nicht zu widerstehen.
»Stehet auf, Kinder,« sagte er zu zwei Matrosen, die sich mitten in den Schlamm gelegt hatten. »Geschwind auf! Bedenket, daß Ihr morgen in jener Welt erwachen werdet, wenn Ihr diesen Abend hier einschlafet.«
»Da sind wir, Herr Lieutenant. Was befehlen Sie?« sagten die Matrosen, sich schüttelnd.
»Vor Allem müssen wir ein Obdach suchen, wo wir übernachten können. Vielleicht finden wir brave Leute, die uns nicht verrathen, und morgen Früh können wir in einem Fischerboote zum »Wladimir« zurückkehren.«
Der muthige junge Offizier suchte seinen Matrosen eine Hoffnung zu machen, die er selbst nicht hatte, »Aber wir müssen bei einander bleiben,« setzte er hinzu. »Folget mir und sprechet leise. Bedenkt, daß Ihr russisch sprechet und daß wir in Holland sind.«
»O, ich kann holländisch,« sagte Jurko.
»Wie, Du sprichst holländisch ?« fragte Elim erstaunt.
»Wo in aller Welt hast Du es gelernt?«
»Ich bin ja Süßwassermatrose gewesen, ehe ich Seemann wurde.«
»Aber was hat ein Süßwassermatrose mit den Holländern zu thun?«
»In Casan habe ich tartarisch gelernt.«
»Und mit Holländern willst Du tartarisch sprechen?«
»Reden denn nicht alle Heiden die gleiche Sprache?«
Der junge Schiffslieutenant lachte, trotz der bedenklichen Frage über die Universalsprache, welche nach der naiven Lebensansicht des Matrosen von allen Völkern gesprochen wurde, denen nicht das Glück zu Theil geworden, sich zur griechischen Kirche zu bekennen.
Etwa zehn Minuten gingen die Matrosen, von Elim geführt, auf einem schmalen Fußpfade fort. Es war so finster, daß sie keine zehn Schritte weit sehen konnten. Von Zeit zu Zeit stand der junge Offizier still und lauschte, aber er hörte nichts als das Heulen des Windes und das Brausen der Wellen.
Endlich nachdem die Wanderer etwa eine halbe Stunde gegangen waren, hörten sie ein Getöse, welches, als sie näher kamen, sogar lauter wurde als das Brausen des Meeres. Es mußte ein reißender Strom sein, und bald erblickten sie vor sich eine dunkle Masse.
Es war eine Mühle.
Halt!« sagte Elim.
»Warum denn Halt, Herr Lieutenant?« fragte ein Matrose.
»Weil Franzosen in der Mühle sein können.
»Und wenn der Teufel darin wäre, so weiß ich keinen bessern Rath, als hineinzugehen.«
»Wenn Franzosen darin sind, wird uns schon warm werden,« meinte der Matrose mit dem blauen Auge.
»Warm!« erwiederte Jurko , »das wäre mir eben recht, denn ich bin fast erstarrt.«
»Und ich habe einen wüthenden Hunger,« sagte ein Anderer; »ich wäre im Stande in das Mühlrad zu beißen.«
»Saget eure Meinung, Kinder,« setzte Elim hinzu; »denn in unserer Lage gibt es keinen Vorgesetzten und keine Untergebenen mehr, wir sind Leidensgefährten.«
Die Matrosen beriethen sich.
»Herr Lieutenant,« sagte Jurko nach einer kleinen Weile, »wir Alle sind der Meinung, daß wir lieber alles Andere erdulden, als verhungern und erfrieren wollen.«
»Und wenn die Franzosen in der Mühle sind?«
»Nun, dann müssen wir uns mit ihnen verständigen; fressen werden sie uns nicht. Das Schlimmste was uns geschehen kann, ist Gefangenschaft.«
»Allerdings; aber es wäre noch besser, ein gutes Nachtessen einzunehmen und gut einzuschlafen und morgen an Bord des »Wladimir« zurückzukehren.
Jurko schüttelte den Kopf.
»Das wäre freilich noch besser,« erwiederte er, »aber ich glaube, Herr Lieutenant, daß Sie auf einmal zu viel verlangen.«
»Wer weiß?« sagte der junge Offizier. »Diese Mühle muß ziemlich weit von der Stadt entfernt sein, und der Müller muß uns gutwillig oder gezwungen verbergen, und wenn der Tag anbricht, wird sich finden was zu thun ist. Bewaffnet Euch mit den ersten besten Dingen, die Euch in die Hände fallen; ich habe meinen Dolch. Wir wollen leise eintreten.«
Die Matrosen brachen Stöcke aus einem Zaun. Jurko, der keinen Stock nach seinem Gefallen fand, nahm in jede Hand einen Stein.
Die Hofthür war von innen nur durch einen hölzernen Riegel geschlossen, und dieser gab bei dem ersten Druck nach.
Die Wanderer waren im Hofe. Elim suchte die Hausthür und fand sie bald.
Die nicht verschlossene Thür führte in einen dunklen Gang, aber ein Lichtstrahl drang durch eine Thürspalte.
Der junge Offizier ging auf den Lichtschimmer zu und öffnete entschlossen die Thür.
Er stand auf der Schwelle einer hellerleuchteten Küche. Auf einem großen Herde brannte ein lustiges Feuer, vor welchem eine am Spieß steckende Gans einen gar appetitlichen Duft verbreitete.
In dieser Küche herrschte echt holländische Sauberkeit. An den Wänden war spiegelblankes Kupfergeschirr und schneeweißes Porzellan auf Gesimsen aufgestellt, und in der Mitte dieses hellglänzenden Sonnensystems stand, rund wie die Erde, ein gedeckter Tisch.
Zwischen den Tellern und Gläsern standen zwei große Krüge, und der auf denselben sichtbare weiße Schaum zeigte an, daß das darin befindliche Bier eben erst eingeschenkt war.
Es war in der That ein freudiger Anblick für die bis auf die Haut durchnäßten, hungernden und vor Kälte schlotternden Seeleute. Sie fanden ein Feuer, an welchem sie sich trocknen und wärmen konnten, Speise und Trank, um ihren Hunger und Durst zu stillen.