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Sechstes Kapitel
Schloß Arnouville
Das Schloß Arnouville stammte aus dem achten Jahrhundert, es war ursprünglich, wie alle die alten Feudalbesitzungen, eine Festung gewesen, deren Besitzer souveraine Herren in ihrem Gebiete waren. Aber sie fanden in demselben nur Sicherheit hinter Felsen, Mauern, Zugbrücken und Gräben und konnten nur auf Frieden rechnen, wenn sie immer im Vertheidigungsstande waren . . . Alles, was zur Vertheidigung dienen konnte, umgab die unbequeme Wohnung der damaligen Burgfrauen, deren Männer, Brüder, Freunde, Söhne, Vasallen und Diener beständig unter den Waffen waren. Indem die folgenden Jahrhunderte ihre Zeit durch eine neuere Bauart bezeichneten, zerstörten sie nicht die charakterisierenden Spuren der früheren Epoche, Statt das Frühere zu zerstören, hatte man entweder einen Flügel angebaut, oder ein weitläufiges Gebäude daneben aufgeführt. Das Gebäude war größer, aber auch unregelmäßiger geworden, sowohl in Hinsicht der Form und Bauart als der inneren Eintheilung, und bot eher den Anblick mehrerer an einander gebauter Schlösser, als den einer einzigen und eigenen Besitzung dar. Die letzten Bauten aber, die sich aus der Regierung Ludwigs des Vierzehnten herschrieben, zeigten alle Größe und allen Reichthum, die die Arbeiten eines Jahrhunderts charakterisierten, in welchem der Ruhm durch den Luxus verherrlicht wurde und wo die Pracht eine Pflicht der Mächtigen war. Seit dieser Zeit waren die alten Gebäude nur Anhängsel der Neueren.
Prachtvolle Gemächer, die von den geschicktesten Künstlern im glänzendsten Geschmack getäfelt, vergoldet, gemalt und decorirt waren, hatten endlich den großen Herren, die sie bewohnten, gestattet, Rang mit Glanz zu vereinen; aber mit den Gefahren war auch die Macht verschwunden. Sie hatten jetzt nur noch d i e Macht, die ihnen der Thron verlieh, und die bald mit ihm verschwinden sollte.
Diese reichen Appartements in allem ihrem früheren Glanze wiederherzustellen, hatte Gabriele sich zur Pflicht gemacht. Leute von anerkanntem feinem Geschmack leiteten, von tüchtigen Arbeitern unterstützt, diese Verbesserungen. Sie wollte, daß jeder Theil des Schlosses die Meubles und sonstigen Abzeichen des Zeitalters, aus dem er sich herschrieb, enthielte und an sich trüge, einige aus früheren Zerstörungen gerettet? Überbleibsel aus der Feudalzeit nicht ausgenommen. Jede Abtheilung der verschiedenen Bauarten enthielt eine aus den Schriftstellern der und früherer Zeit bestehende Bibliothek. Aus der ersten Zeit fanden sich nur, einige, durch ihre Seltenheit unschätzbare Manuskripte; aber je weiter man kam, je umfangreicher wurden die Bibliotheken, so daß Gabriele beim siebzehnten Jahrhundert stehen bleiben mußte, wenn sie nicht entweder Anachronismen begehen, oder ein neues Schloß von ungeheurem Umfange bauen wollte.
Daß dieses Schloß der Familie von Fontenoy-Mareuil gehört hatte, daß es der Wohnsitz von Yves von Mauléons Ahnen gewesen war, und daß Alles in demselben an die Macht, den Ruhm und die Tugenden seiner Vorfahren erinnerte, reichte hin, um Gabriele's Interesse au demselben aufs Höchste zu steigern und die angelegentliche Sorgfalt zu erklären, die sie der Wiederherstellung desselben widmete, Sie wollte nicht nur den Glanz des Ranges wiederherstellen, nein! sie, die das Leben von seinem schönsten Gesichtspunkte aus betrachtete, fand in den Erinnerungen an die vortrefflichen Menschen und deren Thaten und Tugenden, welche die Annalen enthielten, die Portraits und Gemälde darstellten, eine Art Verpflichtung für Jeden, der zwischen diesen Denkmälern lebte, die Gegenwart der Vergangenheit würdig zu gestalten. Dieses männliche Gefühl war es, was die Vorfahren beweg, alle Würden und Titel für die Achtung der Mit- und Nachwelt zu bestätigen und zusichern. Aber kaum hat ein edler Geist einen schönen Gedanken gebildet, als eine schlechte Leidenschaft sich desselben bemächtigt; und mit dieser zum Beispiel, haben Stolz und Hochmuth bedeutend gewuchert.
Gabriele, immer mit dem Betragen, welches Yves gegen sie beobachtete und das ihr ein Geheimniß zu bergen schien, beschäftigt, fand eine Milderung ihres Kummers in der Sorgfalt, die sie den Arbeiten, die sie angeordnet hatte, widmete. Auch fand sie großen Trost und Erquickung in der Einsamkeit dieses friedlichen Lebens, das sie, von Jugend auf daran gewöhnt, nur auf kurze Zeit verlassen hatte, um gleich in einer ihr fremden Welt so bittere Erfahrungen zu machen.
Aber nach einigen Tagen erschien diese, früher so sehr geliebte Einsamkeit ihr etwas einförmig; nach einigen Wochen war sie ihr drückend, nach zwei Monaten unerträglich. Doch nicht nach der Welt, nicht nach den Festen und Vergnügungen derselben sehnte^ sie sich. Von Allem, was sie außer den Freuden ihrer friedlichen Kindheit kennen gelernt halte, blieben ihr nur zwei Erinnerungen, Yves und seine Großmutter!
Einst hatte Gabriele, noch trauriger als gewöhnlich, an die Marquise geschrieben und dieses Mal sie nicht, wie in ihren ersten Briefen, gebeten, nicht zu antworten; sie wünschte im Gegentheil, Alles zu erfahren, was sich seit ihrer Abwesenheit hier zugetragen hatte. Sie nannte Yves nicht, aber gegen ihren Willen hatte ihr Brief einen Ausdruck von unruhiger Neugier. Das Geheimniß, welches sie seit ihrer Verheirathung der Marquise verbarg, war zwar noch durch ihr Schweigen und selbst durch Worte voll Zauber, in denen sie der Marquise ihre Verehrung und Dankbarkeit und ihr Glück, derselben durch ein liebes und geheiligtes Band anzuhören, aussprach, verschleiert; aber dieser Brief athmete eine so tiefe Betrübniß, daß die Marquise davon betroffen wurde und ihr bald darauf folgende Antwort schrieb:
»Was gibt es denn, liebe Gabriele? gibt denn Yves Ihnen nicht pünktlich Nachricht von uns Beiden? Ich gebe ihm jeden Tag einige Aufträge an Sie; bestellt er sie nicht? ist er zu beschäftigt, um seine Empfindungen mitzutheilen und zu berichten, wie es uns geht? Kurz, was gibt es, daß Sie nach den Briefen der alten Mutter verlangen, der das Schreiben so schwer wird, da Sie doch den jungen Sohn haben, dem es eine Freude sein muß? Aber ich gestehe, daß, hätten Sie auch keine Antwort verlangt, der Ton Ihres Briefes doch die Lust an Sie zu schreiben in mir erweckt haben würde. Ja, ich muß bekennen, daß er eine Menge Betrachtungen hinsichtlich Ihres Glückes, das jetzt mein Theuerstes auf der Welt ist, veranlaßt hat.
»Sie wissen, mein liebes Kind, wie viel Schwierigkeiten sich diesem meinen Wunsche, zu schreiben, entgegensetzen. Meine Augen sind schwach, meine Hand zittert gewöhnlich und ich kann immer nur wenige Zeilen hinter einander schreiben. Auch fange ich zwar heute diesen Brief an, doch werden bis zu seiner Vollendung wahrscheinlich viele Tage vergehen. So oft ich Zeit habe und meine Gesundheit es erlaubt, werde ich mit Ihnen plaudern und wenn ich auf diese Weise einige Seiten gefüllt habe, sie Ihnen senden.
»Yves hat mir die Stelle Ihres ersten Briefes, wo Sie von mir reden, vorgelesen. Ich habe darin Ihr gutes Herz und Ihren Verstand erkannt, aber doch recht sehr bedauert, daß Beide Sie zu diesem etwas übertriebenen Schritte vermocht haben. Ohne Betrübniß hätte ich um Ihretwillen den Gesellschaften, an die ich gewöhnt bin, entsagt, obgleich die Einsamkeit mehr für die Jugend als für das Alter paßt . . . in der Jugend beschäftigt man sich viel damit, sich die Zukunft nach den Wünschen des Herzens auszumalen; im Alter denkt man allein an die Vergangenheit, die man oft lieber vergessen möchte! Aber wenn Sie, mein liebes Kind, bei mir sind, lebe ich in Ihnen und nicht mehr in mir, und ich eigne mir so sehr Ihre Gedanken an, daß ich am Ende noch dahin kommen werde, mich erst siebzehn Jahre alt zu dünken. Sehen Sie, wie lieb ich Sie haben muß!
»Wenn Sie nicht, ungeachtet Ihrer Jugend, durch den bloßen Instinkt Ihres Herzens, vernünftiger wären, als Alle, die ich je gekannt habe, so würde ich Ihnen nicht zu sagen wagen, was in dem Betragen meines Enkels mich verwirrt und beunruhigt. Vielleicht handeln Sie unrecht, ihn in dem ersten Monaten einer glücklichen Ehe zu verlassen. Das Glück und die Liebe sind zarte Blumen, die, um sie unverletzt zu erhalten, beständiger Pflege bedürfen. Außerordentliche Entschlüsse sind ihnen immer gefährlich und sind nur durch die schwierigsten Umstände zu entschuldigen, wo sie zuweilen erwünschte Veränderungen herbeiführen können. Diese Trennung von mehreren Monaten kann ich gar nicht mit Ihrer umsichtigen Vorsicht in allen Angelegenheiten des Lebens zusammenreimen. Sollte hierüber nicht ein Geheimniß obwalten, welches ich nicht ergründen kann? Einige Worte, oder vielmehr ein spöttischer Zug von Frau von Savigny, als sie neulich zu Yves über seine Ehe sprach, haben, in mir, vielleicht in Folge des Eindruckes, den Ihr Brief auf mich gemacht hatte, ich weiß nicht welche Furcht erweckt, und ich habe mich seitdem bemüht, die Meinungen und Handlungen meines Enkels genau kennen zu lernen.
»Was seine Gedanken und Meinungen anbetrifft, so entschlüpft er allen meinen Fragen durch ausweichende Antworten. Was er mir erwidert, ist oberflächlich und wenn ich ihn durch beharrliche Fragen über das, was er denkt und thut, in die Enge treibe, entgeht er durch einen Scherz Allem, was ich Ernstes mit ihm reden will. Obgleich er sich das Ansehen des größten Vertrauens gibt, weiß ich doch nach stundenlanger Unterhaltung nicht mehr als vorher.
»Seine Handlungen kann ich nun vollends gar nicht allein kennen lernen, da ich ihn nur beim Diner sehe. Ich erfahre nur, daß er ganz andere Gewohnheiten angenommen hat; sonst stand er spät auf und verließ das Hotel nur, um gegen vier Uhr einen Ritt zu machen. Jetzt verläßt er das Haus alle Morgen um acht Uhr, und bleibt selten Abends bis Mitternacht aus. Zuweilen sogar bringt er den ganzen Abend mit Schreiben zu, worüber Sie gewiß die sicherste Auskunft geben können, denn an wen sollte er schreiben, als an Sie? Da ich indeß durch mich allein auf keine Weise erfahren konnte, was er außerhalb des Hauses treibt, habe ich Herrn von Marcenay beauftragt, mir darüber Auskunft zu verschaffen; es versteht sich, daß er darin nur eine Neugierde, oder großmütterliche Wachsamkeit sehen kann und daß Ihrer dabei auf keine Weise gedacht wurde.
»Es gehört die ganze Neigung das Herrn von Mareen, sich mit den Angelegenheiten Anderer zu befassen, dazu, damit er sich überhaupt jetzt mit solchen Sachen beschäftigt. Seit er Redakteur eines Journals ist, ist er plötzlich ein wichtiger und reicher Mann geworden, was um so sonderbarer ist, als das Journal ihm nichts einbringt, er bei jeder Subscription verliert und so die Minister auf seine Kosten zu halten scheint. Aber was er auf der einen Seite verliert, gewinnt er auf der andern und scheint sein Schäfchen schon ganz im Trocknen zu haben. Wie Alle, die früher gar nichts hatten, spricht er unaufhörlich von dem, was er besitzt, von seinen Vollblutpferden, seinen kostbaren Meublen, u.s.w.
»Dieser Wohlstand ist so plötzlich gekommen, daß er sich noch nicht ganz hat daran gewöhnen können. Es scheint sogar, daß er sich fürchtet, ihn verschwinden zu sehen, ehe er seiner recht froh geworden ist; denn er läßt nicht eine Minute vergehen, ohne sich und Andere daran zu erinnern.
»Nachdem ich ihn einige Tage nicht gesehen halte, traf ich ihn endlich gestern bei Frau von Savigny. Indem ich von dieser Soiree zurückkehre, schreibe ich Ihnen Wort für Wort, was er sagte, um nichts davon zu vergessen.
»– Ihr Enkel, unser lieber Yves, scheint närrisch zu werden, denn seine Lebensart ist jetzt so verständig, daß ich ihn an keinem unserer sonstigen gemeinschaftlichen Vergnügungsorte mehr treffe.
»– Ich hätte allen fashionabeln Gewohnheit entsagen müssen, um ihn zu finden; Niemand sieht ihn; ich habe mich genöthigt gesehen, ihn gestern Schritt vor Schritt verfolgen zu lassen, um Nachricht von dem, was er vornimmt, geben zu können. Ich hatte mit diesem Geschäfte einen jungen Mann beauftragt, den ich für mein Journal dazu benutze, mir täglich alle Gespräche des Publikums und alle Vorfälle und Begebenheiten, die einen Theil unserer Colonnen füllen, genau zu berichten, und der diesen Auftrag vortrefflich erfüllt. Mit welchem Teufel von Manne, schrie er eintretend, habe ich heute zu thun gehabt! Es ist mir noch nicht möglich gewesen, herauszuklügeln, zu welchem Stande er eigentlich gehört. Vom frühen Morgen an war er im Palais, wie ein Prokurator! Es ist wahr, daß Berryer für ein Vergehen gegen die Presse plaidirte! . . . Aber darauf lief Ihr junger Mann hin, um einen Professor über politisches Recht zu hören; von da ging er nach der Deputirtenkammer, wo ein berühmter Redner von der Oppositionspartei auftrat; alsdann gingen wir nach der Börse, wo er mehrere Geschäfte machte. Aber was mir am lustigsten vorkam, war, daß er dm Abend an einem Orte zubrachte, wo einige Männer von seinem Alter alle Abende zusammenkommen. Ich hielt dies Anfangs für eine Art Jockey-Clubb. O! weit gefehlt! hier werden nur wichtige und ernste Sachen verhandelt; man erörtert politische Fragen; Jeder redet, wenn ihn die Reihe trifft, mit lauter Stimme. . . Man sagt, daß dies Vorstudien für Deputirte sind; . . . daß man daselbst reden lernt, als gäbe es nicht schon Leute genug, die so viel reden, daß man sein eigenes Wort nicht mehr versteht! Uebrigens hat er mich nicht lange wach erhalten; um elf Uhr ging er nach Hause. . . Aber, fügte mein junger Mann hinzu, Herr von Marcenay beliebten zu scherzen, als Sie mir sagten, daß dies der Herr Herzog von Mauléon sei. Es ist vielleicht sein Secretair oder der Sohn seines Castellans. Kann denn ein reicher und vornehmer Mann eine solche Lebensart führen?
»– Sehen Sie, Frau Marquise, fuhr Herr von Marcenay geringschätzig fort, solchen Urtheilen setzt Ihr Enkel sich aus! Was soll das Alles vorstellen? Ist er überspannt, habsüchtig oder ehrgeizig geworden? Ich, der ich ihn nie anders als gelangweilt sah, kann ihn jetzt durchaus nicht begreifen und überlasse es Ihrem Scharfsinne, dieses Räthsel zu lösen!«
»Seit dieser Unterhaltung mit Herrn von Marcenay sind mehrere Tage vergangen. Yves ist sonderbarer als je! Indessen kann ich mich nicht über ihn beklagen, er ist viel aufmerksamer und liebevoller gegen mich, als sonst; er erzeigt mir sogar kleine Aufmerksamkeiten, an die er nicht denken würde, wenn er nicht gesehen hätte, daß Sie sie beobachteten. Seine Traurigkeit ist verschwunden und mit ihr der Schatten von Langeweile auf seinem Gesichte. Er sieht beschäftigt, ja ganz eingenommen aus, aber immer mit der imposanten Ruhe, die ihm ein so edles Ansehen gibt, und mit den graziösen Manieren, die noch angenehmer sind, seit sie nie durch Mutlosigkeit oder Geringschätzung gestört werden. Alles erregt seine Theilnahme, selbst die politischen Angelegenheiten, insofern sie Großes oder öffentliche Interessen betreffen!. . . Kurz, ich erkenne in ihm nicht mehr den gleichgültigen jungen Mann, dem Alles nur Ueberdruß machte! Seine Theilnahme wird jetzt durch viele Gegenstände erregt. Einen derselben hätte ich wohl kennen mögen, da er für ihn von großer Wichtigkeit schien, denn ich hörte ihn, wie zu sich selbst die Worte sagen: »I«, in acht Tagen wird es entschieden sein!« . . . Dieser Gegenstand beschäftigte ihn so ausschließlich, daß er die Speisen, die er sich genommen hatte, unberührt abnehmen ließ. Als ich am Ende des Diners, nachdem er abermals in Gedanken die Worte: »in acht Tagen! . . .« wiederholte, ihn, nachdem ich ihn lange schweigend betrachtet, auslachte, wurde er erst gewahr, daß er im Begriff war, vom Tische aufzustehen, ohne gegessen zu haben. Er theilte meine unwillkürliche Lustigkeit, scherzte sehr heiter über seine Zerstreuung, aß mit sehr gutem Appetit und sprach sehr lebhaft; aber es entschlüpfte ihm auch nicht ein einziges Wort, das mir Aufschluß über seine Zerstreuung geben konnte.
»Das, meine liebe Gabriele, ist Alles, was ich beobachtet und erfahren habe. Vielleicht finden Sie, deren Geist so fein und eindringend ist, das Wort des Räthsels, wenn es anders Ihnen nicht schon bekannt ist! Möge zwischen Ihnen und Yves kein anderes, als das des Glückes sein!
»Was soll ich Ihnen von mir sagen? In meinem Alter, das, wie ich bei einigen Frauen sehe, eine verlängerte Kindheit ist, die mehr Mitleid als Neid erregt, sind die heiteren Gedanken selten. Aber es gibt doch noch süße auch in diesem Aller, wenn man Freuden um sich her verbreiten, wenn man vor allem Anderen vergessen kann! . . . Aber Gott behüte mich, mein Kind, an Glück und Liebe zweifeln, oder dieselben Anderen verdächtigen zu wollen! Denn selbst dieses Leben hat alle Materialien zu einem schönen Gebäude und es ist vielleicht nur unsere Schuld, wenn dieselben so zerstreut werden, daß sie nie ein Ganzes bilden können. Aber ach! es ist leider nur zu wahr, daß gewöhnlich, wenn man einige zusammengefügt zu haben glaubt. . . man nur ein Kartenhaus gebaut hat!. . . Diese Schlösser ergötzen die Kinder; sie glauben gut getaut zu haben; der erste Einsturz verwundert sie, ohne,sie zu entmuthigen, sie fangen von Neuem an und die Zeit geht hin! Ist es unsere Schuld? oder hat dem höchsten Wesen diese Art der Täuschung für so vergängliche Geschöpfe hinreichend gedünkt? Ich weiß es nicht! . . . und kann nur wiederholen: Laßt uns anbeten, dulden und ausharren!
»Bei Ihnen, meine liebe Gabriele, lasse ich mich immer hinreißen von diesen Träumereien, die die Welt nicht gestattet, aber die in Gesellschaft Derer, die sie theilen, unwillkürlich sich einstellen. Ich habe bemerkt, daß der Geist Jedem darbietet, was für ihn paßt und worin die Gemüther einander begegnen. Noch muß ich Ihrer schönen Blumen erwähnen, Ihrer munteren Vögelein, von denen Sie singen lernten, aber bald die Lehrer übertrafen! . . . Aber ich habe hier, ungeachtet der Rückkehr des Frühlings, weder Nachtigall, noch Lerche, noch Lust; Alles hat mich verlassen und wird nur mit Ihnen zurückkehren. Möge es bald sein! Oder Sie werden Ihre alte Großmutter auf Schloß Arnouville begrüßen, ich sage es Ihnen vorher!
»Die Marquise von Fontenoy-Mareuil.«
Warum belebte dieser Brief das ganze Herz der jungen Frau? warum lief sie am anderen Morgen, ein ausgelassenes Kind, wie sonst mitten durch die Gesträuche und Dornhecken? Wer kann es sagen? Das Herz hat Geheimnisse, die Niemand begreifen kann.
Ohne Zweifel wirkte der Einfluß der schönen Jahreszeit auch auf Gabriele. Als sie vom frühen Morgen an alle Hütten und alle Pachthöfe besuchte, wo sie gekannt und angebetet war, theilte sie freundliche Wortes Hilfsleistungen und Geschenke aus. Ueberall, im Dorfe wie im Schlosse, schien ein Fest zu sein, denn das trübe, regnigte Wetter hatte plötzlich seit einigen Tagen einem glänzenden Sonnenschein Platz gemacht, der die Natur durch Entfaltung aller seiner Macht für sein langes Ausbleiben entschädigte. Eine brennende Hitze trocknete den noch so kurz zuvor gefrorenen Erdboden und schien durch ihren Einfluß das verspätete Wachsthum beschleunigen zu wollen. Die Blumen, die Baume, die Vögel, Alles erwachte zu den ersehnten Freuden des Frühlings! Es war ein Fest im Himmel und auf der Erde, und der jungen Frau waren die Freuden ihrer Kindheit, die sie der Natur verdankte, noch zu gegenwärtig, um nicht alle ihre Wohlthaten dankbar zu genießen.
Der Morgen war also mit Besuchen im Dorfe heiter verstrichen; am Tage hatte Gabriele voll Freude den Arbeiten zu der neuen Einrichtung, die heute vollendet wurden, einen letzten billigenden Blick geweiht; als der Abend kam, suchte sie ein einsames Plätzchen im Park, wo sie ihren Gedanken und Empfindungen ungestört nachhängen konnte. Planlos verfolgte sie eine Allee; ihre mit weicher Hingebung gefallenen Hände, ihr sanft geneigtes Haupt, Alles an ihr, bis auf ihren graziösen, nachlässigen Gang, bewies, daß sie in immer tieferes Träumen versank. Die ausnehmend ermattende Hitze des Tages war einer erfrischenden Kühle gewichen, die den Balsamduft der, Blumen verbreitete. Ein sanfter Zephyr vervielfältigte und veränderte diese schmeichelnden Gerüche, die mit dem Abendwinde vereint und von ihm getragen, in den leichten Locken von Gabriele's schönem Haar und auf ihren frischen Wangen spielten, wie sanfte Liebkosungen, die eine leichte Rührung und ein Gefühl unbekannten Glückes in ihre Seele gossen. Noch nie war dieselbe so von ihr unerklärlichen Empfindungen durchdrungen gewesen.
Mitten in diesem Zustande süßer Bewußtlosigkeit und Hingebung an unbestimmte Hoffnungen und Erwartungen ertönte deutlich eine wohlklingende Stimme – die nicht von außen, sondern in ihrem Innern folgende Worte sprach:
»Der Himmel gibt zuweilen sogar mehr, als man zu bitten wagte!«
Und Gabriele sah unwillkürlich rings um sich her, um sich zu überzeugen, ob keine menschliche Stimme die Worte, die sie gehört hatte, ausgesprochen habe.
Aber sie sah vor sich einen weiten Rasenfleck, wo kein Baum, kein Gebüsch den kleinsten Gegenstand ihren Blicken entzog; sie war wirklich allein. Die geheimnißvolle Stimme kam ohne Zweifel aus ihrem Innern, und Gabrielens Herz, an himmlische Eingebungen gewöhnt, erhob sich mit einem neuen Schwung von Vertrauen und Liebe zum Himmel, um ihm für seine Versprechungen zu danken.
Sie wollte indessen ihre Lage in's Auge fassen, wie sie war, diese unwillkürliche, trügerische Freude verbannen, um mit Ruhe die ganze traurige Wirklichkeit zu bedenken, und so kam die junge Frau gesammelt und nachdenkend an den Ort, den schon das junge Mädchen gewählt hatte, um ernsten Betrachtungen nachzuhängen. Sie fand die schönen Blumen der vergangenen Jahre wieder, die muntern Vögel sangen wie sonst, ein zarter, grüner und blumiger Rasen lud wie sonst zur Ruhe ein, und sich den erweichenden Eindrücken hingebend, streckte sie sich sanft auf den duftenden Rasen und wollte versuchen, ihre Seele, ihre Gedanken zu erforschen, das Gewissen, das ihr Führer gewesen war, zu prüfen; denn oft fragte sie sich, ob sie auch recht gehandelt habe, weil sie nicht glücklich war. Das unschuldige Kind glaubte, sich vor jedem Vorwurf sichern, heiße sich auch vor jedem Unglück bewahren. Aber umsonst strebte sie, ihre Eindrücke und Empfindungen zu zergliedern; zu viel wogte in ihrer Seele. Schweigen herrschte um sie her, der Tag neigte sich und der leichte Schatten, der die Gegenstände zu verschleiern begann, mußte um so mehr ihre Gedanken auf ihr Inneres concentriren, da nichts Aeußeres sie mehr in Anspruch nahm. Aber der Abend war so schön! die Bäume so prächtig! die sanften Nachtigallen sangen so lieblich! die Rosen dufteten so erquickend und die Gerüche und Töne stimmten so schön überein, daß sie mit unschuldiger Freude diese eben so unschuldige Seele erfüllten. Die poetischen Schmerzen dieser vorwurfsfreien jungen Frau hatten nur süße Thränen und Seufzer, die ihr sanftes kindliches Gesicht noch verschönerten.
Sie hatte sich behaglich ausgestreckt; ihr schöner Kopf ruhte auf ihrem runden Arme . . . ihr Anblick erinnerte an die reizenden Schöpfungen Correggio's. Ihre unbestimmten Träumereien und die geheimnißvollen Entzückungen dieses Aufenthaltes liehen ihrer Stellung und allen ihren Bewegungen einen unnachahmlichen Zauber.
So verstrich die Zeit, ohne daß sie es bemerkte, als ihren halbgeöffneten Lippen ein Name entschlüpfte, den ihr Herz vielleicht nur zu oft schon genannt hatte.
»Yves von Mauléon,« sagte sie leise.
»Ja, ich bin es!« antwortete eine nur zu wohl bekannte Stimme an ihrer Seite.
Und Gabriele, erschreckt, immer noch das Spiel einer Täuschung zu sein glaubend, stand auf und fand sich wirklich Auge in Auge mit Yves von Mauléon.
Sie schwankte vor Ueberraschung.
»Erschrecken Sie nicht,« sagte er traurig und frostig, »ich werde nicht lange Ihre Einsamkeit stören.«
Gabriele schwankte noch, aber als sie, um sich aufrecht zu erhalten, mit ihrer zitternden Hand sich unwillkürlich an einen Baum hielt, erinnerte sie sich ihres traurigen Hochzeitsabends, wo sie, eben so zitternd, eine Stütze suchen mußte . . . und sie hatte nicht die Kraft, zu sprechen.
Yves stand einige Schritte von Gabriele . . . er sah sie an.
»Einmal muß sie mich wenigstens hören,« sagte er.
Seine Stimme war sanft, aber verwirrt und zitternd.
»Wollen Sie es nicht? Willigen Sie nicht ein, mich zu hören?«
Gabriele schauderte und sagte: »Reden Sie!«
Ihre unbestimmten, aber süßen Ahnungen waren verschwunden.
Bei dem finsteren und kalten Ansehen Mauléons, bei diesen bitter und schmerzlich ausgesprochenen Worten fühlte sie, daß sich so das Glück nicht ankündigt, und bedachte, daß sie sich mit Muth waffnen müsse.
»Sie wissen nicht,« fuhr Yves zögernd fort, »warum ich hier bin?. . . Es ist, um Ihnen zu sagen . . . daß unsere Ehe, dieses so unglückselige Band . . .«
Er hielt inne . . . diese Worte schienen nur mit Anstrengung von diesen zitternden Lippen ausgesprochen werden zu können, und die Kraft zu dieser Anstrengung schien ihm zu fehlen.
Gabriele fixierte ihn unwillkürlich mit einem ausdrucksvollen Blicke. Sie fürchtete eben so sehr das Schweigen, das sie erschreckte, als die grausamen Worte, die ihm folgen zu sollen schienen . . . Ihr Leben stand gewissermaßen still, und obgleich ihr Herz heftiger als je schlug, athmete sie doch kaum. Die Seelenangst machte sie unbeweglich.
»Diese Ehe,« sagte Yves endlich, mit beinahe unverständlicher Stimme, »kann. . . aufgelöst werden!«
Seit drei Monaten hatte Gabriele sich alle möglichen Wendungen ihres Geschickes gedacht und überlegt, außer dieser. Sie fühlte den Tod auf ihrer zu Eis erstarrten Stirn. Auch er war bleich und unbeweglich. Beide schwiegen; sie, erschreckt über Das, was sie gehört, er, über Das, was er gesagt hatte.
Die junge Frau wäre nicht im Stande gewesen, ein einziges Wort auszusprechen, denn die tödtliche Kälte war schon bis an ihr Herz gedrungen; aber, obgleich der Tag zu sinken begann und der Dunkelheit wich, hätte Yves doch auf ihrem ausdrucksvollen Gesichte lesen können, was in ihrer Seele vorging, wenn er gewagt hätte, sie anzusehen. Aber er schien ihren Anblick zu fürchten, und seine Blicke blieben, seit er angefangen hatte, zu reden, an die Erde geheftet. Auch sie wendete die ihrigen weg . . . sie glichen zwei Verbrechern, die einander gegenseitig zum Unglücke verurtheilt haben.
Diese unerwartete Trennung hatte Gabrielen allen Muth geraubt, mit dem sie sich zu waffnen suchte.
»Ja!« fuhr Yves endlich mit leiser Stimme langsam fort . . . »diese Ehe . . . die nur eine nichtssagende Ceremonie war, ich weiß, daß sie als nichtig betrachtet werden kann . . . und daß wir Beide die Freiheit wieder erlangen können!«
Gabriele sah und hörte Nichts mehr. Ihre Hand, die sie gegen den ihr zur Stütze dienenden Baum stemmte, glitt mit ihr, aber so unmerklich, daß die junge Frau leicht und ohne Erschütterung, wie auch ohne Absicht graziös wie vorher, auf den Rasen hingesunken war. Yves machte eine Bewegung, ihr zu nahen, aber sie gewann so viel Kraft, um sich zu bemühen, ihre Schwäche zu verbergen, und sagte mit Ruhe: »Es ist Nichts! . . . Herr Herzog von Mauléon, es soll Alles geschehen, was Sie befehlen.«
Er ging zu seinem früheren Platze zurück und sogar noch etwas weiter, und blieb gegen einen Baum gelehnt stehen, während Gabriele in ihrer halb liegenden Stellung blieb, die ihn verhinderte, ihr Gesicht zu sehen. Und so sagte er, alle seine Kraft zusammennehmend, um seine verwirrten Gedanken zu sammeln und Ruhe und Kaltblütigkeit genug zu gewinnen, um sie auszudrücken:
»In dem Augenblicke, wo wir uns also trennen . . . für immer . . . bitte ich Sie um die Gunst, mich nicht zu streng zu beurtheilen, nicht bloß meine Fehler zu berücksichtigen!. . . Ja. . . ich habe deren ohne Zweifel viele. . . aber. . . sie nicht mit Haß zu betrachten. . .«
»Haß. . .!« rief Gabriele, erstaunt über eine solche Voraussetzung.
»Meine Großmutter sagte es Ihnen einst,« fuhr er fort, »mein Leben war nicht glücklich. Unaufhörlich durch einen Ehrgeiz ohne Ziel und Hoffnung gequält, mitten zwischen nichtigen, leichtsinnigen Wesen lebend, denen ich niemals mein Herz öffnete, trennten die tausend unmerklichen Bande, die einen Mann an diesen oder jenen Platz in der Welt fesseln, mich von Denen, deren ernstes und nützliches Leben mir ein Vorbild gewesen wäre und eine Hoffnung gewährt hätte.
»Ach, Ihr Geist, der Alles begreift, kann die Qualen des meinigen errathen! Ich war unnütz und folglich mir selbst zur Last! Die Ansichten meiner Vorfahren befriedigten mich nicht, und. . . ich konnte niemand Anderes vollständig befriedigen! . . . Da über: ließ ich mich, um der Langeweile zu entgehen, einer Zerstreuungssucht, die nothwendig alle zarte Energie meines Wesens zerstören mußte, die alle Erhebung der Gedanken, die allein die Seele rein, edel und groß erhalten kann, von mir abwendete. Und aus Schwäche, ja, aus Gleichgültigkeit vielleicht. . . erfüllte ich die Wünsche meiner Großmutter!. . . Sie sehen es . . . ich suche Sie nicht zu betrügen. Ja. . . als diese Heirath geschlossen wurde, war mein Geist mit Ueberdruß an Allem erfüllt, mein Herz wurde sogar verschüchtert durch Ihren so naiven und mit edlen Täuschungen erfüllten Geist, durch Ihr noch so unschuldiges Herz, das' noch keine seiner Tugenden verloren hatte. . . Wie hätten wir einander verstehen können? Aber das Uebel ist. . . nur. . . dieses Vermögen . . . ich. . .«
»Halten Sie ein!« sagte Gabriele lebhaft, der die letzten Worte des jungen Mannes einige Kraft zurückgegeben hatten; »halten Sie ein! . . . Kein Wort mehr über diesen Gegenstand. . .!«
Sie war aufgestanden, indem sie diese Worte sagte. Der Mond begann zu leuchten. Yves sah die junge Frau, die, so bleich und ernst, langsam zu ihm sagte:
»Eine Erklärung darüber ist unnöthig; sie würde mich Nichts lehren, was ich nicht schon lange weiß. Ein Argwohn gegen den Herzog von Mauléon kann nur Dem schaden, der ihn zu hegen wagt. . . Niemand kann. . . Niemand darf ihn hegen. . . sobald man ihn gekannt hat!«
»Dank, Gabriele!« sagte Yves mit unendlicher Weichheit; und dieser vertrauliche Name, mit dem er sie nie genannt hatte, so in diesem feierlichen Augenblicke ausgesprochen, brachte eine Rührung in Beider Seelen hervor, die Jeder zu verrathen fürchtete.
Endlich fuhr der junge Mann fort: