Kitabı oku: «Isaak Laquedem», sayfa 19
Zehntes Kapitel.
Eloha
Nachdem wir von der Geburt Jesu gesprochen, nachdem wir ihm durch seine Jugendjahre bis zur Zeit gefolgt sind, da er als göttlicher Lehrer austrat und seine Jünger vorbereitete zum großen Apostelthum, zur Verkündigung seiner dem Throne Gottes entfließenden Weisheit, nachdem wir ihn in Jerusalem haben einziehen sehen, nachdem wir den Jubel des Volkes vernommen, nachdem wir einige von seinen letzten Augenblicken unter seinen Getreuen geschildert, seine letzte Unterredung mit seiner Mutter wiederholt und Jesus zur zweiten Versuchung begleitet haben, unterlassen wir es, die übrigen frommen Scenen aufzuführen, an welche das Evangelium seine Gläubigen erinnert, und wir kommen unmittelbar zu dem schweren Leidensgange, durch welchen, nachdem Christus zum Tode am Kreuze verurtheilt war, das große göttliche Opfer erfüllt werden sollte. Und von diesem Leidensgange aus entrollt sich durch die Jahrhunderte in unaufhaltsamem Laufe die Geschichte, zu deren Erzähler wir uns mit Anstrengung aller unserer Kräfte, allen Mitteln des Studiums und der Forschungen aufbietend, alles Leben der Darstellung heraufbeschwörend, gemacht haben.
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Jesus erkletterte den Weg zur Schädelstätte, das Kreuz tragend, welches das Zeichen der Erlösung werden sollte. In dem Augenblick, wo er vor das Haus von Seraphia kam, in dem er während der drei Tage, da ihn seine Eltern für verloren hielten, aufgenommen worden war, erblickte man einen Mann, dessen Kopf alle Köpfe überragte. Dieser Mann war, um den Zug besser zu sehen, auf eine steinerne Bank zunächst an der Schwelle seines Hauses gestiegen; er hatte zu seiner Rechten seine Frau, an die sich ein schönes fünfzehnjähriges Mädchen anlehnte, und hielt mit seiner Linken einen kleinen Knaben von acht bis neun Jahren, der ans dem Gesimse des Fensters stand. Eine Weinrebe mit schon grünen Knospen lief, von Pfählen gehalten, an der Faßade des Hauses hin, das sie in den schönen Tagen des Frühlings, des Sommers und des Herbstes mit ihrem Vorhange von Blätterwerk, smaragdgrün während der zwei ersten Jahreszeiten, rubinfarbig während der letzten, bedecken mußte.
Der Mann, von dem wir sprechen, schien die Ankunft von Jesus mit einer finstern Ungeduld zu erwarten; er klatschte der Menge mit den Händen zu und rief mit ihr: »Kommet von innen und von außen, Mörder, Diebe, Mühledreher, Netzflicker, Sklaven, kommet Alle! Laufet herbei! Euer König erwartet Euch auf seinem Throne aus Golgatha!«
Dann, als Jesus allmälig näher kam, sprach er zu seiner Frau:
»Oh! ho! siehst Du die Glorie, die um das Haupt des Zauberers glänzt? Sollte man nicht glauben, es sei die Glorie eines wahren Propheten?«
Und die Frau antwortete:
»Ich mag immerhin schauen, Isaak, ich sehe sie nicht.«
»Das ist möglich, doch ich sehe sie. . . Sie scheint von den reinsten Strahlen der Sonne gebildet: abermals eine von seinen Zaubereien!«
Jesus kam immer näher.
»Ah!« sprach der Mann, »jetzt möchte ich in meinen Händen den cäsarischen Adler halten; wir würden sehen, ob Du immer noch mächtig genug wärest, um Dich von ihm begrüßen zu lassen wie ein Kaiser, Du, der Du wankst! Du, der Du sinkst, Du, der Du bald unter Deinem Kreuze fallen wirst.«
Und in der That, Jesus bog sich, wankte und schien nahe daran, unter der schweren Last zu fallen.
Sobald er die steinerne Bank erblickte, wandte sich auch Jesus von der geraden Linie ab und machte einen Schritt gegen denjenigen, welcher darauf gestiegen war.
»Isaak Laquedem,« sprach Jesus, »bist Du es?«
»Ja.« antwortete Isaak; »was willst Du von mir, Zauberer?«
»Ich habe Durst. . . gib mir ein wenig Wasser von Deinem Brunnen.«
»Mein Brunnen ist versiegt.«
»Ich bin müde, Isaak, hilf mir mein Kreuz tragen,« fuhr Jesus fort.
»Ich bin nicht Dein Kreuzträger . . . Du nennst Dich Sohn Gottes; rufe einen von den Engeln Deines Vaters, er wird Dir helfen!«
»Isaak, es ist mir unmöglich, weiter zu gehen . . . Laß mich ein paar Minuten auf Deiner Bank ausruhen.«
»Es ist auf meiner Bank nur für mich, meine Frau und meine Kinder Platz . . . Gehe!«
»Gestatte, daß ich mich auf Deine Schwelle setze: sie ist leer.«
»Meine Schwelle ist nicht gemacht für die Zauberer, die falschen Propheten und die Gotteslästerer. . . Gehe!«
»Strecke die Hand aus und nimm einen von den Schemeln Deines Ladens.«
»Nein, denn nachdem Du darauf gesessen hättest, müßte ich ihn verbrennen. Gehe! gehe! Gehe!
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Jesus Christus hatte seinen schmerzlichen Gang fortgesetzt, doch ein Fluch war aus seinem Munde gekommen, der ewig auf Isaak Laquedem lasten sollte, Verfolgt von diesem Fluche, allein auf dem Platze geblieben, wo er ihn getroffen, hatte Isaak plötzlich mit seinen beiden Händen vor seine Stirne geschlagen und war in sein Haus gestürzt, dessen Thüre er mit dem Riegel hinter sich schloß.
In dem Augenblick, wo Jesus wie einen göttlichen Balsam auf den Todeskampf des guten Schächers die Hoffnung des ewigen Lebens goß, hielt Isaak Laquedem in seinem Hause bei sorgfältig verschlossenen Thüren und Fenstern Ostern in seiner Familie.
Am gemeinschaftlichen Tische saßen, – in einer Stube, die das Tageslicht vom inneren Hofe aus empfing, und in welche man durch den auf die Straße gehenden Laden gelangte, – sein Vater und sein Großvater, eine doppelte Generation mit gebleichten Häuptern, von der das weißere Haupt hundert Jahre zählte; seine vierunddreißigjährige Frau; seine fünfzehnjährige Tochter; sein neunjähriger Sohn.
Ein Kind von sechs Monaten schlief in einer Wiege. Die Großmutter der Frau von Isaak, ein armes, stumpfsinnig gewordenes Geschöpf, murmelte, mit dem Kopfe wackelnd, unzusammenhängende Worte in einem Lehnstuhle, in den sie sich am Morgen setzte, um erst am Abend wieder daraus aufzustehen.
Isaak, ein Mann von dreiundvierzig Jahren, war das Band zwischen diesen verschiedenen Altern, welche alle Stufen des Lebens, von der Wiege bis zum Grabe, bezeichneten.
Das Osterlamm war zerlegt worden; Jeder hatte einen Theil davon auf seinem Teller; mehr oder minder angegriffen, gaben diese Theile kund, wie die einzelnen Gäste mehr oder minder in Sorgen und Gedanken versunken waren.
Alle waren düster und schweigsam, denn der entsetzliche Fluch lastete auf der ganzen Familie, welche die bewegliche Flamme der an der Wand befestigten Lampen mit einem zitternden, unsteten Lichte beleuchtete.
Nur das Kind von zehn Jahren, das noch den moralischen Eindrücken des Lebens fremd, lachte und sang.
Es sang eines von den Liedern, wie sie die Kinder singen, und von denen sie zugleich die Melodie und die Worte machen.
Die Andern sprachen ganz leise; Isaak war unbeweglich, er hatte den Kopf auf die Brust gesenkt und seine beiden Hände tief in seine Haare gepreßt. Seine Frau schaute ihn mit Augen voll Bangigkeit an.
Man höre, was das Kind sang:
»Bin ich Soldat gewesen, Soldat wie mein Vater, – so komme ich nach Hause zurück mit einem schönen schuppigen Panzer, mit einem schönen goldenen Helme, mit einem schönen schneidenden Schwerte,– bin ich Soldat gewesen, Soldat wie mein Vater!
»Bin ich Kaufmann gewesen, Kaufmann wie mein Großvater, – so komme ich von Tyrus und Joppe zurück mit einem ledernen Sacke voll von Goldstücken und schimmerndem Silber, – bin ich Kaufmann gewesen, Kaufmann wie mein Großvater!
»Bin ich Seemann gewesen, Seeemann wie mein Urgroßvater, – so komme ich vom Meere zurück, das man sieht vom Thurme herab, mit einem schönen weißen Barte und einem schönen blauen Mantel von der Farbe des Meeres, – bin ich Seemann gewesen, Seemann wie mein Urgroßvater!
»Erst wenn ich todt sein werde, todt wie der Vater meines Urgroßvaters, komme ich nicht mehr zurück, – denn man sagt, daß man ewig schlafe, – wenn man todt ist, todt wie der Vater meines Urgroßvaters.
»Nur Cain, Cain allein kann nicht sterben, – denn es ist nicht wahr, was man gesagt, daß er getödtet worden von seinem Neffen Lamech: Cain ist nicht todt, Cain ist verurtheilt, zu leben immerdar, weil er seinen Bruder Abel erschlagen; – nur Cain, Cain kann nicht sterben!
»Und wenn ein Eroberer, wenn ein Eroberer ins Feld zieht mit seinem Heere, – steigt Cain, der erste Mörder, auf das Pferd Semehe, das Blut schwitzt, rückt vor und ruft: »»Gehe! gehe! gehe!«« – wenn ein Eroberer, wenn ein Eroberer in s Feld zieht!
»Und wenn die Pest, wenn die Pest wandert, – besteigt Cain, der erste Mörder, den Vogel Vinateyna, der so schnell fliegt wie die Pest, und spricht zur Pest: »»Gehe! gehe! Gehe!« —wenn die Pest, wenn die Pest wandert!
»Wenn der Sturm, wenn der Sturm das Meer aufwühlt, – besteigt Cain, der erste Mörder, den Fisch Macar, der so schnell schwimmt als der Wind, und sagt zum Sturme: »»Gehe! gehe! gehe!««
Isaak konnte nicht länger die Wiederholung dieses furchtbaren Wortes, das von Christus gesprochen worden, aushalten; er schlug mit der Faust aus den Tisch und rief:
»Beim Heile Cäsars! Weib, mache doch, daß dieses Kind schweigt!«
Das Kind schaute seinen Vater mit erstaunter Miene an und schwieg.
Es trat eine entsetzliche Stille ein.
Unter dieser Stille fing die alte Großmutter an unverständliche Worte zu murmeln; allmälig aber kleideten sich diese Worte in eine Form und enthielten einen Gedanken. Da hörte man folgenden seltsamen, namenlosen Gesang:
»Es gibt ein Kräutchen mit drei Blättern, das aus jedem seiner Blätter einen Blutflecken hat, und in der Mitte statt der Blüthe eine Dornenkrone.
»Alte Großmutter, Du, die Du so viele Dinge weißt, Du müßtest das wissen. Du weißt es nicht, alte Großmutter? Nun denn, so will ich es Dir sagen:
»Gestern im stillen Garten, der sich öffnet auf den Höhen von Gethsemane, ist der Heiland, dessen Seele traurig bis aus den Tod, niedergekniet!
»Der Himmel war ganz bedeckt, und nicht das kleinste Sternchen glänzte daran; alle Jünger waren entschlummert, und der Herr wachte allein mit seiner Bangigkeit.
»Doch bald erschien Satan vor ihm, und bei den Dingen, die ihm Satan sagte, troff von seiner bleichen Stirne das Blut in der Weise von Schweiß.
»Ein Tropfen nach dem andern fiel aus mich; Alles war finster und öde umher: der Herr, selbst der Herr hatte nicht mehr die Kraft zu seufzen.
»Und ich, ich sagte mit meiner kleinen Pflanzenstimme: »»Herr! Herr! siehe, Dein kostbares Blut fließt aus meine Blätter, und von meinen Blättern wird es aus die Erde fallen!
»»Gib mir Hände, Herr, daß ich diesen wunderbaren Schatz auffasse, daß ich es verhindere, zu fallen auf die Erde, dieses kostbare Blut, dieses Blut des Heils!««
»Und es herrschte eine so tiefe Stille, daß meine Stimme, so schwach sie war, zum Throne Gottes gelangte, und daß Gott sprach:
»»Es geschehe, wie du wünschest, armes Pflänzchen, und nie verschwinde von deinen Blättern die Spur vom Blute meines Sohnes!
»»Auch sollst du statt der Blüthe eine Dornenkrone haben, ähnlich der, die sie setzen werden ans das Haupt meines Sohnes zur Stunde seines Leidens!««
»Und darum wird man mich fortan nennen den Judenklee oder den Dornenklee, denn ich trage aus jedem von meinen Blättern eine Blutspur, und statt der Blüthe habe ich eine Dornenkrone.«
Jeder hatte aus diese Art von Gesang mit einem tiefen Schrecken gehört; seit mehr als drei Jahren hatte die arme Gliederlahme nicht mehr mit so viel Vernunft und Zusammenhang gesprochen. Allerdings war sie mit ihrem Gesange kaum zu Ende, da erschwerte sich ihre Zunge abermals, und wie sie von unartikulirten Lauten bis zum Worte ausgestiegen war, so stieg sie wieder durch unartikulirte Laute bis zur Stummheit herab.
Isaak machte schon einen Schritt, um ihr Stillschweigen aufzuerlegen, als sie von selbst schwieg.
»Lia,« sprach Isaak zu seiner Tochter, »nimm die Zither, mit der Du die Lieder im Tempel begleitest, und singe uns etwas, daß wir vergessen, was dieses Kind gesagt und was dieses alte Weib gesprochen hat.«
Das schöne Mädchen mit den sammetartigen schwarzen Augen, mit den rabenschwarzen Haaren, mit der bräunlichen Gesichtsfarbe, mit den Korallenlippen, mit den Perlzähnen, stand auf, nahm seine Zither von der Wand herab, stimmte sie und sang, indem es sich selbst begleitete:
»– Woher kommst Du, schöner Bote? Kommst Du von Tyrus oder von Babylon, von Carthago oder von Alexandria? Kommst Du vom Berge oder von der Ebene? Kommst Du vom See oder vom Walde?«
»– Ich komme weder vom Walde, noch vom See, weder vom Berge, noch von der Ebene, weder von Alexandria, noch von Carthago, weder von Babylon, noch von Tyrus; ich komme von ferner her, und ich komme von höher!«
»– Schöner Bote, wer hat Dir gegeben diesen blauen Mantel? Ist er getaucht worden in das Azur des Meeres? Ist er geschnitten worden in einem Winkel des Firmaments? ist er gemacht von Wolle oder von Seide?«
»– Er ist weder gemacht von Wolle, noch von Seide; er ist nicht geschnitten worden in einem Winkel des Firmaments; er ist nicht getaucht worden in das Azur des Meeres; das ist kein Mantel: das sind zwei Flügel, um zu schweben über den Wolken und hinabzusteigen in die Tiefe der Abgründe.«
»Schöner Bote, von welchem König kommst Du gesandt? Hat er Dir in die Hand diesen Weißdornstab gegeben, hat er Dir auf das Haupt diesen schönen, ganz mit Gold gestickten Flügelhut gesetzt?«
»Es ist kein mit Gold gestickter Flügelhut, was ich aus dem Haupte habe, es ist eine Glorie; es ist kein Weißdornstab, was ich in der Hand halte, es ist das feurige Schwert, und der König, von dem ich komme, ist der König des Himmels! . . .«
In dem Augenblick, wo Lia diese letzten Worte aussprach, klopfte man so heftig an die Thüre, daß das ganze Haus zitterte.
Die Gäste schauerten und sahen einander an.
Isaak wurde leichenbleich; doch raffte er seinen ganzen Muth zusammen und fragte:
»Wer klopft?«
»Derjenige, welchen Du erwartest,« antwortete eine Stimme.
»Was willst Du?«
»Wissen, ob Du bereit bist.«
»In wessen Auftrag kommst Du?«
»Im Austrage des Herrn.«
Und zu gleicher Zeit öffnete sich die versperrte Thüre von selbst, und aus der Schwelle erschien ein weiß gekleideter Engel mit langen, hinter ihm zusammengebogenen Flügeln, eine goldene Glorie auf der Stirne, ein flammendes Schwert in der Hand.
Es war Eloha, der schönste der Engel des Herrn; Gott schuf ihn in der Tiefe eines Meeres von goldenen und purpurnen Wolken; um seinen Körper zu bilden, nahm er den reinsten, den frischesten, den durchsichtigsten von den Scheinen, welche dem Tagesanbruch vorhergehen; die erste Morgenröthe wir seine Schwester und die erste Sonne, welche am Himmel ausstieg, sah ihn in Anbetung zu den Füßen Jehovahs.
Es war der schnellste Bote des Herrn: wenn er den Frieden brachte, war sein Auge sanft wie der Blick der Morgendämmerung; wenn er die Drohung brachte, war sein Auge erschrecklich wie der Blitz! Bei dieser Erscheinung fielen die zwei Greise, die Großmutter, die Frau, Lia und ihr Bruder, die Hände faltend, aus die Kniee; selbst das Kind kniete in seiner Wiege.
Isaak allein blieb mit gekreuzten Armen, schauernd, die Haare gesträubt, aber den Engel anschauend, stehen.
»Du hast den Herrn gebeten, die letzten Ostern mit Deiner Familie halten zu dürfen,« sprach Eloha. . . . Ostern sind vorbei, der Augenblick Deiner Abreise ist gekommen.«
»Und warum sollte ich verlassen Meinen Brunnen, dessen Wasser mir so rein ist; meine Sykomore, deren Schatten mir so kühl ist; meinen Feigenbaum, dessen Frucht mir so süß ist; meine Familie, deren Liebe mir so theuer ist?«
»Weil so das Urtheil es gebietet.«
»Dieses Urtheil, wer hat es gesprochen?«
»Gott!«
»Ich werde nicht gehen! sagte Isaak.
Und er setzte sich aus einen Schemel.
Der Engel ging langsam, die Stube, die er durchschritt, mit Licht erfüllend, aus Isaak zu; als er nahe bei ihm war, hob er sein flammendes Schwer! aus und berührte ihn an der Stirne.
Isaak stieß einen Schrei aus, fuhr mit seinen beiden Händen nach seinem Gesichte und stand rasch auf.
»Was hast Du gemacht?« fragte er.
»Ich habe Dich gezeichnet mit dem Siegel von Cain, damit die Menschen Dich erkennen als den Bruder des ersten Mörders.«
»Höre,« sprach Isaak, »laß mich noch ein Jahr bei denjenigen, welche ich liebe; dann werde ich reisen. . .«
»Nicht einen Tag!«
»Laß mir einen Tag. . .«
»Nicht eine Stunde!«
»Laß mir eine Stunde. . .«
»Die, welche Dir von Jesus bewilligt wurde, ist abgelaufen! Gehe.«
»Laß mich meine Sandalen an meine Füße schnüren . . . Laß mich meinen Mantel auf meine Schultern werfen . . . Laß mich mein Schwert umgürten. Laß mich mein Panzerhemd anziehen!«
»Du brauchst weder Sandalen, noch Mantel; Deine Füße werden sich verhärten, daß sie die Kieselsteine zerbrechen, auf denen sie gehen; Du wirst zum Mantel den Nebel am Morgen und die Wolke am Abend haben . . . Du bedarfst weder des Panzerhemdes: noch des Schwertes, da weder Feuer, noch Eisen etwas gegen Dich vermögen . . . Gehe!«
»Welchem Wege werde ich folgen?«
»Du wirst auf der Erde dem Wege folgen, dem in der Luft die Wandervögel folgen.«
»Wie werde ich es in den unbekannten Ländern machen, wo kein Weg gebahnt ist?«
»Du wirst zuerst den Weg bahnen . . . Gehe!«
»Wie werde ich es machen, wenn ich am Meeresstrande bin und ich sehe weder Schiff, noch Boot.«
»Du wirst von Welle zu Welle gehen, und jede Welle, auf die Du Deinen Fuß setzest, wird fest werden wie eine Pyramide von Granit . . . Gehe!«
»Welches sind die Städte, durch die ich wandern soll?«
Was ist Dir daran gelegen! da vielleicht alle hinter Dir einstürzen werden . . .Gehe!«
»Laß mich zum letzten Male mein Weib und meine Kinder umarmen.«
»Es sei! Umarme Dein Weib, Deine Kinder, und dann brich auf! Ich erwarte Dich außen.«
Eloha trat hinaus.
Isaak umarmte nach und nach sein Weib und seine Kinder; dasjenige , welches er am längsten umschlungen hielt, war das kleinste, das noch in der Wiege lag.
Durch eine unwiderstehliche Anziehungskraft fortgerissen, ging er dann auf die Thüre zu, doch rückwärts, doch indem er die Arme gegen die geliebten Wesen ausstreckte, die er verließ, doch indem er sich am Hausgeräthe, an den Pfeilern, an den Ecken anklammerte, welche nach und nach seinen Händen die Spur seiner Nägel bewahrend, entschlüpften.
So kam er aus die Thürschwelle.
»Oh!« rief er in Verzweiflung, »Du bist entschieden der Stärkere, da ich gezwungen werde, Dir zu gehorchen! . . . Bezeichne mir den Weg, dem ich folgen soll, und ich reise.«
Der Engel deutete mit dem Finger aus den Weg, dem Jesus gefolgt war und sprach:
»Gehe!«
»Und Du?»fragte Isaak.
»Ich, ich kehre dahin zurück, woher ich komme.«
»Und seine Flügel entfaltend, stieg, er so rasch, als der Blitz herabfährt, wieder zum Himmel auf.
»Fahre wohl!« rief Isaak, »fahre wohl, Bank meines Vaters! fahre wohl, Schwelle des Hauses meines Vaters! fahre wohl, mein Vater! fahre wohl, Vater meines Vaters! . . . Fahre wohl, Weib! fahret wohl, Kinder! fahret wohl! fahret wohl!«
Und er entfernte sich rasch, den Weg nach dem Richtthore einschlagend.
Kaum hatte er ein paar Schritte gemacht, als ihn eine Erscheinung, welche er Anfangs nicht wahrgenommen, in Erstaunen setzte: obgleich es höchstens zwei Uhr Nachmittags sein konnte, hatte sich doch die Finsterniß auf der Oberfläche der Erde ausgebreitet.
Er schaute empor und sah etwas wie eine Welt, die sich zwischen die Erde und die Sonne stellte; ein Kreis ähnlich einem im Ofen glühend gemachten eisernen Ringe war Alles, was von der Sonne blieb.
Große kupferfarbige Wolken liefen gepeitscht vom Feuerflügel des Samums am Himmel hin.
Blutrothe Blitze spalteten das Firmament in seiner ganzen Ausdehnung, Sterne erschienen stellenweise und verschwanden dann wieder wie Augen, die sich öffnen und schließen.
Der Donner rollte dumpf.
Die Männer fragten einander, was diese Umwälzung der Natur bedeute.
Die Weiber schritten rasch, ihre weinenden Kinder nach sich ziehend, über die Straßen, um von einem Hause ins andere zu kommen.
Einige blieben mitten auf Kreuzwegen stehen, erhoben die Arme zum Himmel und riefen:
»Wir haben es ja gesagt! wir haben es ja gesagt!«
Andere schüttelten den Kopf und sprachen:
»Gott sei Dank! ich habe keinen Theil daran! Sein Blut falle auf seine Mörder.«
Die Hausthiere flohen noch mehr erschrocken als die Menschen.
Zwei Pferde, welche ihre Reiter abgeworfen hatten, sprangen wiehernd, Manch durch ihre Nüstern schnaubend und bei jedem Schritte Garben von Funken aus dem Pflaster schlagend, an Isaak vorbei.
Plötzlich schien es Isaak, als zitterte die Erde, als schwankten die Häuser wie Bäume, welche der Wind schüttelt.
Alle diejenigen, welche auf Golgatha gegangen, um bei der Hinrichtung zu sein, Alle die, welche auf den Wällen standen. Alle die, welche auf die Thürme und Terrassen gestiegen, kehrten, die Einen durch das Richtthor, die Andern durch das Thor der Frauenthürme, sich drängend, in aller Hast, um ihre Häuser zu erreichen, in die Stadt zurück.
Mitten unter dieser bestürzten Menge fanden sich in lange weiße Mäntel gekleidete Leute, welche langsam einherschritten. Isaak schauerte, denn er glaubte zu erkennen, daß dies nicht Lebende waren, die nach ihren Häusern zurückkehrten, sondern Todte, die ihre Gräber verließen.
Diese langen weißen Mäntel waren Schweißtücher.
Als er zum Richtthore kam, sah er das Grab des Propheten Anania, dessen Deckel sich aufhob; dieses Grab lag hundert Schritte außerhalb des Thors.
Der Todte kam hervor und ging in die Stadt in dem Augenblick hinein, wo Isaak durch das Thor hinaustrat.
Der Verfluchte stürzte über die Brücke, welche über den Schlund der Leichen führte, er hatte den Berg Gihon zu seiner Rechten, den Calvarienberg zu seiner Linken, und vor sich den Weg nach Gabaon.
Als er rückwärts schaute, gewahrte er den Königs David, der auf dem Thurme stand, welcher seinen Namen behalten hat, und von dem herab er zu seinen Lebzeiten einen ehebrecherischen Blick auf die Frau seines getreuen Uria geworfen. Der König-Prophet hatte die Krone auf dem Haupte, das Scepter in der Hand und grüßte Golgatha.
Isaak konnte gerade aus oder nach links gehen; er ging aber nach rechts und fing an den steinigen Abhang des Calvarienbergs zu ersteigen. Eine unsichtbare Hand trieb ihn gegen Jesus fort; doch er, statt sich zu beugen unter dieser Hand und anzubeten, er, jenen gegen ihren Schöpfer empörten Geistern des Abgrunds ähnlich, er lästerte Gott und fluchte.
Und dennoch stieg er, einem Willen nachgebend, der stärker als der seinige, immer weiter hinauf, und so wie er weiter aufstieg, erschaute er Jerusalem, das eine verfluchte Stadt zu sein schien und sich in der Finsternis, mit dem Tode zerarbeitete.
Wenn ein bläulicher oder blutfarbiger Blitz das Licht in seine Straßen springen machte, sah man diese, die einen verödet, die andern bevölkert von Gespenstern, wieder andere durchfurcht von Weibern, Männern und Kindern, welche bestürzt umherliefen.
Auf der Höhe des Calvarienbergs hoben sich drei Kreuze düster von einem Feuerhimmel ab; und während am mittleren Kreuze Jesus ohne Bewegung und umgeben von einem bleichen Lichte hing, krümmten sich die zwei Schächer in der geringen Freiheit, die ihren Gliedern gelassen war, in entsetzlichen Convulsionen.
Die Henker, welche auf dem Gipfel geblieben, geberdeten sich wie Dämonen; Longinus allein saß auf dem Kamme des Berges aufrecht, unbeweglich, seine Lanze in der Hand, zu Pferde und sah aus wie eine eherne Statu auf einer Granitbasis.
Ein paar Schritte vom Kreuze gewahrte man eine Gruppe in der Haltung des Schmerzes; diese Gruppe bestand aus Maria, Johannes und den heiligen Frauen.
Isaak stieg immer weiter hinauf.
Er hörte Jesus sagen:
»Ich habe Durst.«
Longinus machte sich nun von seinem Felsen los und reichte ihm am Ende seiner Lanze einen mit Essig getränkten Schwamm.
In diesem Augenblick sing der Sturm furchtbar, mächtig, drohend an zu brüllen; man hörte in den Eingeweiden der Erde einen Donner rollen, welcher noch gewaltiger toste und hallte, als der am Himmel. Der Orkan, dieser ältere Sohn der Zerstörung, rückte heulend durch die Cedern, die Sykomoren, die Palmbäume, Alles auf seinem Wege brechend, heran, und bei seinem Hauche schwankten die Paläste, die Häuser, die Thürme, wie der Ocean die Trümmer einer untergehenden Flotte schwanken macht.
Das Brausen des Sturmes verkündigte die Ankunft des Gewitters.
Plötzlich trat eine tiefe Stille ein, und man hörte die Stimme von Jesus den gewaltigen Schrei ausstoßen, den wir durch die Jahrhunderte vernommen haben: »Eli, Eli, lama asabthani? . . . Mein Gott, mein Gott warum hast Du mich so verlassen?«
Die ganze Natur hatte geschwiegen, um diese Worte zu hören. Doch kaum waren sie gesprochen und nach den Winkeln der Erde auf den Flügeln der Engel getragen, da verdoppelte sich der Sturm.
Etwas wie ein Schleier von Asche breitete sich auf der Erde aus.
Durch diesen Schleier sah Isaak die Seite unserer gemeinschaftlichen Mutter sich zu einer entsetzlichen Geburt öffnen.
Wie am Tage des jüngsten Gerichts gab die Erde ihre Todten zurück.
Seine Augen hefteten sich zuerst auf den zu seiner Rechten liegenden Schlund der Leichen, in welchen man die Leiber der Hingerichteten mit ihren Tödtungswerkzeugen warf.
Er sah den Staub des ungeheuren Beinerhauses sich rühren.
Alles, was dem Menschen gehört hatte, wurde wieder Mensch; Alles, was dem Holze gehört hatte, wurde wieder Holz; Alles, was Eisen gewesen war, wurde wieder Eisen.
Jeder Verurtheilte, – diejenigen, deren Leiber seit Jahrhunderten hier lagen, wie die, welche erst bei der letzten Hinrichtung hinabgeworfen worden waren, – nahm sein Kreuz zwischen seine blutigen Arme, und streckte, während er sich auf den Knieen in der Haltung des Gebetes fortschleppte, seine Hände gegen Jesus aus.
Die Augen des Juden wandten sich nach rechts, und er sah eine lange Reihe von Patriarchen und Propheten in ihre Schweißtücher gehüllt; sie waren im Grabe erwacht bei dem Lärmen und der Erschütterung des Kreuzes, das senkrecht auf den Felsen fiel; sie hatten sich sogleich erhoben und waren von allen Punkten Judäas herbeigekommen, um beim Tode von Demjenigen zu sein, der sie im Triumphe in den Himmel führen sollte, und Alle streckten in der Haltung des Gebetes die Hände gegen Jesus aus.
Isaak schaute gerade aus: zu seinen Füßen spaltete sich die Erde, bei der Stelle, wo der Tradition nach Adam und Eva begraben waren; ein großer Greis kam bis zum Gürtel aus dem Grabe hervor; sein weißer Bart fiel auf seine Brust; seine weißen Haare flatterten beim Hauche des Orkans . . . Bei ihm stand eine Frau, welche einen Augenblick sich aus dem Grabe zu erheben gezögert hatte, beinahe ganz verschleiert durch ihre Haare und weniger bleich wegen der viertausend Jahre, die sie in der Erde gelegen, als vor Schrecken.
»Oh!« murmelte die Frau, »auch ich habe meinen Sohn Abel sterben sehen, wie Maria ihren Sohn Jesus sterben sieht! . . .«
»Weib,« erwiederte der Greis, »vergiß Alles, um Dich nur an Eines zu erinnern: daß wegen Deiner Sünde dieser Gerechte heute am Kreuze verscheidet!«
Und Beide streckten gegen Jesus die Hände aus, welche die Schritte der ersten Menschen geleitet hatten, und riefen:
»Gnade! Gnade, Jesus! Gnade für den Vater und die Mutter des Menschengeschlechts! . . .«
Isaak sah Alles dies wie einen entsetzlichen Traum beim Scheine der Blitze, beim Pfeifen des Sturmes, beim Rollen des Donners.
Da trat zum dritten Male die Stille in der Natur ein, und man hörte die Stimme von Jesus, welcher sprach:
Mein Vater! mein Vater! ich empfehle meinen Geist in Deine Hände.«
Und der Sohn Gottes gab einen schwachen Seufzer von sich, ließ sein Haupt auf seine Brust sinken und verschied.
Zu gleicher Zeit brachen Donner und Blitz aus zwanzig verschiedenen Orten hervor; man fühlte Engel vorüberfliegen, welche in allen Richtungen forteilten, um den im Raume rollenden Welten, den Tod des Erlösers zu verkündigen . . . Der Tempel erbebte, neigte sich, erhob sich wieder und neigte sich abermals; der Vorhang des Allerheiligsten zerriß von oben bis unten und mit einem entsetzlichen Gekrache öffnete sich die Erde am Fuße des Kreuzes.
Der Abgrund hatte den Tag gesehen!
Beim Anblick eines solchen Wunders wäre ein Titan auf die Kniee gefallen und hätte angebetet!
Ein paar Secunden lang unter der allgemeinen Umwälzung schwankend, richtete sich Isaak hoch auf, streckte die Hand gegen Christus aus und sprach:
»Entweder bist Du Mensch oder Du bist Gott; bist Du Mensch, so werde ich Dich leicht besiegen; bist Du Gott, so werde ich gegen Dich kämpfen, denn Dein Fluch hat mich zu Deines Gleichen gemacht: Jeder, der unsterblich ist, ist Gott!«
Und er ging mit einer Geberde der Drohung, die das Pferd von Longinus sich bäumen und die Henker zurückweichen machte, am Fuße des Kreuzes hin, stieg den westlichen Abhang der Schädelstätte hinab und verlor sich bald in der jeden Augenblick zunehmenden Finsterniß.