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Katharine Blum

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Neunzehntes Kapitel
Die Fußtapsen des Mathias

An den Gebärden, die Franz machte, erkannten Alle, daß er wichtige Nachrichten bringe und Alle traten zurück.

Franz warf den Rock von sich und lehnte sich an die Türepfoste, um auszuruhen; dann sagte er:

»Herr Maire, ich habe etwas dagegen zu sagen.«

»Gegen was?«

»Gegen Ihren Befehl, Bernhard fortzuführen. Es wird freilich etwas lang werden.«

»Wenn es so lang ist, wollen wir es morgen anhören,« meinte der Maire.

»Nein, nein, Herr Maire, heute muß es noch geschehen, denn was ich zu sagen habe, ist wichtig. Zuerst ist Niemand ermordet worden, wenn es auch einen Mörder giebt.«

»Niemand ermordet?« fragte der Maire.

»Der Herr sei gepriesen!« betete der Abbé.

»Chollet ist durch die Kugel niedergeworfen und dann ohnmächtig geworden, die Kugel aber bat sich auf der mit Gold gefüllten Börse, die er in der Tasche hatte, breit gedrückt.«

»An der Börse breit gedrückt?« wiederholte der Maire.

»Das Gold war gut angelegt, nicht?« meinte Franz.

»Dem mag sein wie ihm will,« entgegnete der Maire, »ein Mordversuch hat stattgefunden.«

»Das wohl,« antwortete Franz, »und ich will Ihnen erzählen, wie der Hergang gewesen ist.«

»Wie können Sie das wissen, da Sie hier bei uns am Tische saßen als die That geschah?« fragte der Maire.

»Ich brauche nicht dabei gewesen zu sein; ich brauche ein Wildschwein auch nicht zu sehen, sondern nur die Fährte, um genau sagen zu können, ob es ein Eber oder eine Sau, ob es zwei, drei, fünf Jahr alt ist.«

Den Mathias überlief es kalt.

»Meiner Meinung nach,« fuhr Franz fort; »ist die Sache so gewesen: Bernhard kam zur Mutter Tellier, nicht wahr?«

»Ja,« sagte die Wirtin.

»Er war sehr aufgeregt, nicht wahr?«

»Das war er.«

»Er ging wenigstens so«,« fuhr Franz fort; »er machte große Schritte und stampfte ein Paar Mal mit dem Fuße auf.«

»Ja,« bestätigte die Wirtin; »als er Wein verlangte.«

Mathias wischte sich mit dem Rockärmel den Schweiß von der Stirn.

»Wie konnten Sie das sehen?« fragte der Maire«.

»Der Mond scheint hell, und die Fußtapsen kenne ich,« antwortete Franz. »Dann kam Chollet zu Pferde an, stieg etwa dreißig Schritte von dem Wirtshaus ab, band sein Pferd an und ging an Bernhard vorüber. Ich glaube sogar, er hat etwas verloren und gesucht, vielleicht Geld, denn es liegen Talgtropfen am Boden, als hätte man mit einem Lichte umher geleuchtet. Unterdes war Bernhard hinter der Buche vor dem Hause versteckt und noch immer in großer Aufregung, denn an einigen Stellen ist das Moos von dem Baumstamm abgekratzt. Nachdem der Pariser gefunden, was er suchte, ist er nach der Prinzenquelle gegangen und hat sich da niedergesetzt, dann ist er wieder aufgestanden und zweiundzwanzig Schritte weit gegangen. Da traf ihn der Schuß und er fiel.«

»Ja, ja, so ist's!« rief Katharine aus.

»Morgen werden wir wissen, von wem der Schuß gekommen ist,« sagte der Maire; »man wird die Pfropfen und die Kugel suchen.«

»Die bringe ich schon mit,« entgegnete Franz und auf dem bleichen Gesicht des Mathias leuchtete Freude.

»Die Pfropfen,« erzählte Franz weiter, »lagen in der Schusslinie und waren leicht zu finden, die Kugel freilich machte mehr Mühe; sie war von der Geldbörse abgeprallt, aber ich habe sie doch gefunden, in einer Buche; da ist sie.«

Franz übergab dem Maire die beiden Pfropfe und die Kugel.

Der Maire ließ sich leuchten.

»Die Pfropfen sind von Filz,« sagte er, »und auf der Kugel sieht man noch das eingegrabene Kreuz,«

Vater Watrin ließ beinahe die Pfeife aus dem Munde fallen, denn die Kinnladen schlugen ihm zitternd zusammen.

»Sie erkennen also an,« fragte der Maire den Erzähler, »daß der Schuß aus dem Gewehre des Angeklagten gekommen ist?«

»Gewiss,« antwortete Franz. »Es ist das Gewehr Bernhards, es ist seine Kugel, es sind seine Pfropfe, aber das Alles beweist noch nicht, daß Bernhard den Schuß getan hat.«

»Sollte der etwas merken?« dachte Mathias bei sich.

»Ich glaube sogar,« fuhr Franz fort, »Bernhard hat schießen wollen. Er ist bis an die Eiche gegangen, hat dort wahrscheinlich das Gewehr angelegt, aber sich eines bessern besonnen, einige Schritte zurück getan, das Gewehr weggeworfen und ist entflohen.«

»Nun, Herr Maire?« fiel Bernhard ein. »Was habe ich gesagt?«

»Laß den Franz reden, Bernhard; er ist auf der Fährte, wie immer,« sagte Vater Watrin.

»Das kann schlimm ablaufen,« dachte Mathias.

»Nun kam ein Anderer,« erzählte Franz.

»Welcher Andere?« fragte der Maire.

»Das weiß ich nicht,« antwortete Franz; »genug, er hob das Gewehr auf, kniete nieder – ein Beweiß, daß er kein so guter Schütze ist wie Bernhard – und schoß. Da fiel Chollet.«

»Welches Interesse konnte der Andere haben, Chollet zu ermorden?«

»Ich weiß es nicht, vielleicht um ihm das Geld abzunehmen.«

»Woher wußte er, daß Chollet Geld bei sich hatte?«

»Wie gesagt, ich glaube, der Pariser ließ seine Börse in der Nähe der Laubhütte fallen, in welcher Mutter Tellier den Wein kühl erhält . . . Ich würde mich nicht wundern, wenn der Mörder in jenem Augenblicke in dieser Hütte gewesen wäre.«

»Und ist Chollet bestohlen worden?«

»Das glaube ich; man hat ihm zweihundert Louisdor abgenommen.«

»Verzeih, Bernhard,« fiel hier Vater Watrin ein; »ich wußte nicht, daß man den Pariser beraubt hat, als ich Dich fragte, ob Du sein Mörder wärst.«

»Und der Räuber?« fragte der Maire.

»Ich kenne ihn nicht,« antwortete Franz, »aber als er von der Stelle, wo er geschossen, nach der lief, wo Chollet gefallen, trat er in einen Kaninchenbau und verstauchte sich den linken Fuß.«

»Der Teufel!« murmelte Mathias, dem das Haar zu Berge stand. . .

»Das ist ein starkes Stück,« sagte der Maire. »Wie können Sie wissen, daß er sich den Fuß vertreten?«

»Das ist keine Hexerei,« antwortete Franz. »Dreißig Schritte sind beide Füße gleich aufgetreten, von da an trug nur Einer die ganze Last des Körpers, der rechte; der linke hinterließ kaum eine Spur, also hat er sich den linken vertreten und sich gescheut ihn zu gebrauchen, weil es schmerzte. Darum ist er auch nicht geflohen. Hätte er das getan, so wäre er jetzt schon fünf, sechs Stunden weit. Aber nein; er hat seine zweihundert Louisdor zwanzig Schritte von der Straße, etwa hundert Schritte von hier zwischen zwei Büschen an einer Birke vergraben, die sehr kenntlich ist, weil sie ganz allein da steht.«

Mathias wischte sich nochmals die Stirn ab und stieg mit dem einen Beine durch das offene Fenster.

»Wohin ist er von da gegangen?« fragte der Maire.

»Auf die Straße,« antwortete Franz, »auf der man Fußtapfen nicht verfolgen kann.«

»Und das Gold? Haben Sie das auch mitgebracht?«

»O, davor habe ich mich wohl gehütet. Diebesgeld verbrennt Einem die Finger. Besser, dachte ich, die Behörde geht selbst dahin, und da der Dieb nicht weiß, daß ich sein Versteck kenne, wird sie den Schatz finden.«

»Da irrst Du Dich,« murmelte Mathias, der vollends durch das Fenster stieg; »man soll es nicht finden.«

Damit schlich er fort, ohne daß Jemand auf ihn achtete, außer Franz.

»Die Justiz,« sagte der Maire, »wird Ihre Aussage würdigen; vor der Hand muß Watrin da in Haft bleiben, da Sie einen Andern nicht nennen können. Es thut nur leid, ich muß ihn in das Gefängnis abführen lassen.«

Der Maire winkte den Gendarmen zum Aufbruch, Franz aber sagte:

»Noch einen Augenblick Geduld . . . Nehmen wir einmal an, ich kenne den Schuldigen . . .«

Die Aufmerksamkeit Aller verdoppelte sich wieder.

»Nehmen wir an,« fuhr Franz fort, »er wäre eben hier gewesen; nehmen wir an, ich hätte Bobineau und Lajeunesse bei dem vergrabenen Schatz versteckt und sie packten den Dieb, wenn er käme, um das Gold zu holen.«

Man hörte draußen Lärm, als wolle Jemand nicht gehen und Andere trieben ihn mit Gewalt dazu an.

»Sehen Sie!« sagte Franz lachend. »Sie haben ihn schon, er will aber nicht herein.«

Bobineau und Lajeunesse schleppten jetzt Mathias herein.

»Mathias!« riefen Alle gleichzeitig.

»Da ist die Börse, Herr Maire,« sagte Lajeunesse.

»Und da ist der Dieb,« setzte Bobineau hinzu, und er zog Mathias näher, der hinkte.

»Habe ich es nicht gesagt,« bemerkte Franz; »daß er auf dem linken Fuße hinke?«

Mathias erkannte, daß er nicht leugnen konnte und er sagte also:

»Nun ja, ich habe geschossen . . . ich wollte nur Bernhard mit Katharinen veruneinigen, weil er mir eine Ohrfeige gegeben. Das Gold, das ich sah, verdrehte mir den Kopf. Bernhard hatte sein Gewehr weggeworfen; der Teufel führte mich in Versuchung, ich hob es auf und da geschah's. Aber keine Spur von Vorbedacht, und da der Pariser nicht tot ist, komme ich mit zehn Jahren Zwangsarbeit weg.«

Alle atmeten wieder frei, Aller Arme streckten sich Bernhard entgegen, an dessen Herzen zuerst Katharine lag.

»Herr Maire,« sagte der Abbé Gregoire, »hoffentlich werden Sie sofort Bernhard losbinden lassen.«

»Gendarmen, der junge Mann ist frei; nehmt ihm die Fesseln ab.«

Die Gendarmen gehorchten und es entstand großer Jubel unter Tränen der Rührung und Freude in der Familie. Selbst der Maire wischte sich eine Thräne aus den Augen.

»Den Verbrecher bindet und führt ihn nach der Stadt ins Gefängnis!« setzte er hinzu.

Mathias hielt vorher noch einmal die Hände an den Mund und machte den Eulenruf nach; dann ließ er sich die Hände binden und ging mit den Gendarmen fort.

Letztes Kapitel

Mathias wurde also an der Stelle Bernhard Watrins in das Gefängniß von Villers-Cotterets geführt.

Nachdem der wahre Schuldige gefangen, und von den Gendarmen auf der Straße weggeführt war, nachdem der Maire mit gesenktem Kopfe und reuigem Blicke aus dem Hause gegangen war, nachdem die brauen Bewohner des neuen Hauses wieder etwas zu sich gekommen und unter sich waren, (Mutter Tellier, die gute Wirtin, der ehrwürdige Abbé Gregoire, Lajeunesse und Bobineau, die zur Entwickelung des Drama's beigetragen hatten, Freund Franz, der die Spuren so geschickt verfolgt und mit einem Scharfsinn erklärt hatte, der dem letzten der Mohikaner Ehre gemacht haben würde, waren keine Fremden) störte Nichts mehr die Freude, die in der Familie ausbrach.

 

Zuerst schüttelten Vater und Sohn einander bieder die Hände. Der Händedruck des Sohnes sagte: »Du siehst, lieber Vater, daß ich nicht log.«

Der Händedruck des Vaters sagte: »Habe ich jemals im Ernste Dich für schuldig gehalten?«

Dann gaben Sohn und Mutter einander die Hände, wobei die Mutter leise flüsterte:

»Und wenn ich bedenke, daß Alles dies durch meine Schuld geschehen ist!«

»Still!« erwiderte Bernhard, »wir wollen nicht mehr von der Geschichte sprechen.«

»Ich bin durch meine Hartnäckigkeit Ursache von Allem.«

»Willst Du das immer sagen?«

»Armes liebes Kind, wirst Du mir verzeihen können?«

»O, liebe Mutter, liebe Mutter!«

»Jedenfalls bin ich sehr bestraft worden.«

»Und ich hoffe, daß Du sehr belohnt werden wirst.«

Dann fasste Bernhard die beiden Hände des Abbé Gregoire und fragte den guten Priester, indem er ihm in das Gesicht sah:

»Nicht wahr, Herr Abbé, auch Sie haben nicht an mir gezweifelt?«

»Kannte ich Dich denn nicht noch besser als Dein Vater und Deine Mutter?«

»Besser, Herr Abbé?« sagte Mutter Watrin.

»Ja, besser,« sagte der Vater.

»Ich möchte doch wissen,« rief die Alte, die Willens zu sein schien, einen neuen Wortwechsel anzufangen, ,»wer ein Kind besser kennt, als die eigene Mutter.«

»Der den Verstand gebildet hat,« sagte der alte Watrin. »Widerspreche ich denn? Mache es, wie ich, Alte, und schweige.«

»Nein, Ich werde nicht schweigen, wenn man mir ins Gesicht sagt, daß Jemand mein Kind besser kenne, als ich selbst.«

»Du wirst schweigen, liebe Mutter,« sagte Bernhard, »und ich werde nur ein Wort zu sagen brauchen, da Du ja eine so religiöse Frau bist.« Lachend setzte er hinzu: »Hast Du denn vergessen, daß der Herr Abbé mein Beichtvater ist?«

Dann kam Bernhard zu Katharinen, die er sich bis zuletzt aufgespart, um sie länger zu bewahren, der selbstsüchtige Mensch.

Als er zu ihr kam, sagte er mit fast erstickter Stimme: »Katharine, liebe Katharine. . .«

»Bernhard, mein guter Bernhard;« murmelte diese, die Augen und die Stimme voller Thränen.

»Komm, komm,« sagte Bernhard zu ihr und er zog sie durch die offen gebliebene Türe.

»Wohin gehen sie?« rief die Mutter Watrin, fast wie in Eifersucht.

Der Vater zuckte die Achseln.

»Zu ihren Geschäften, wie es scheint,« sagte er, indem er seine Pfeife stopfte; »laß sie nur gehen, Frau.«

»Aber?«

»Hätten wir in solchem Alter und unter solchen Umständen uns nicht auch etwas zu sagen gehabt?«

»Hm!« murmelte die Mutter und warf einen letzten Blick nach der Tür.

Aber selbst wenn die Türe offen gewesen wäre würde sie Nichts gesehen haben. Die beiden jungen Leute hatten schon den Wald erreicht, und sich im dichtesten Schatten verloren.

Bobineau, Lajeunesse, Franz und Vater Watrin hatten angefangen, die Flaschen gegen die Lichter zu halten, um zu sehen, ob noch etwas darin sei.

Der Abbé Gregoire benutzte diese Beschäftigung, in welche die vier Männer ganz vertieft waren, nahm leise seinen Stock und seinen Hut, schlich sich durch die halbgeöffnete Türe und gelangte auf den Weg nach Villers-Cotterets; in der Stadt fand er seine Schwester, Fräulein Adelaide, die ihn mit der größten Angst erwartete.

Die beiden Frauen, Mutter Watrin und Mutter Tellier, kauerten sich am großen Kamine nieder, und fingen eine Unterhaltung an, die, trotzdem, daß sie leise geführt wurde, nicht weniger lang und verwickelt wurde.

Beim ersten Schimmer des Tages erschienen Bernhard und Katharine wieder, wie zwei Wandervögel, die zusammen fortfliegen und zusammen wiederkommen. Katharine umarmte mit lächelndem Gesicht Vater und Mutter Watrin, wobei sie so wenig als möglich ihren Bräutigam aus den Augen verlor, und dann wollte sie in ihr Kämmerchen gehen.

Aber kaum hatte sie den ersten Schritt von dem Tische hinweg getan, an dem die vier Männer saßen, als Bernhard sie zurückhielt, als ob sie etwas vergessen hätte.

»Nun?« sagte er in dem Tone sanften Vorwurfs.

Katharine brauchte keine Erklärung zu verlangen; ihr Herz verstand ihn sofort. Sie ging zu Franz und bot ihm beide Wangen dar.

»Was?« fragte Franz, ganz erstaunt über ein solches unverhofftes Glück.

»Sie küßt Dich, um Dir zu danken,« sagte Bernhard. »Ich dächte, wir wären Dir das wenigstens schuldig.«

»Ah!« rief Franz. »Ah. Mamsell Katharine,« und er wischte sich den Mund mit der Serviette ab, und gab dann auf jede Wange dem errötenden Mädchen einen derben, klatschenden Kuß.

Darauf reichte Katharine zum letzten Male Bernhard die Hand und ging in ihre Kammer hinauf.

»Vorwärts!« sagte Bernhard, »vorwärts, Kinder! Ich dächte, es wäre Zeit, sich auf den Weg zu machen. Es ist nicht genug, glücklich zu sein, die Arbeit für den Herzog von Orleans muß auch getan werden.«

Mit einem unerklärbaren Blick nahm er seine Flinte, die von den Gendarmen zurückgebracht war. Dabei flüsterte er:

»Wenn man denkt . . . aber still!«

Er drückte seinen Hut auf dm Kopf und rief; »Vorwärts, vorwärts!«

Beim Hinausgehen sah Bernhard nach den oberen Fenstern hinauf.

Katharine stand an ihrem Fenster und lächelte der aufgehenden Sonne zu, die einen ihrer guten Tage bescheinen sollte. Als sie Bernhard erblickte, pflückte sie eine Nelke, küßle sie und warf sie ihm zu.

Bernhard ließ die Blume nicht auf die Erde fallen. Er faßte sie im Fluge auf, küßte ihr den Kuß ab, der in den wohlriechenden Blättern verborgen war, und steckte die Nelke an seine Brust.

Dann ging er mit seinen drei Kameraden schnell in den Wald hinein.

Der Tag rief die Mutter Tellier zu ihrer Schenke zurück; sie nahm Abschied von ihren Freunden Watrin, und machte sich auf den Weg nach dem Hause an der Prinzenquelle in demselben eiligen Schritt, mit welchem sie gekommen war, und nahm eine Menge von Neuigkeiten mit, welche alle Gespräche des Tages beleben mußten. Bernhard unschuldig, Mathias schuldig, die Hochzeit Katharinens und Bernhards in vierzehn Tagen. Schon lange war kein solcher Gegenstand zum Plaudern den Gevatterinnen im Dorfe geboten worden.

Darauf gab es einen Streit zwischen Vater und Mutter Watrin, denn Jedes wollte das Andere zu Bett schicken, und sich zur Bewachung des Hauses opfern. Als durch die Hartnäckigkeit der Mutter dieser Wettstreit in der Entsagung in Zank auszuarten drohte, nahm Vater Watrin seinen Hut, steckte die Hände in die Taschen und ging auf der Straße nach Villers-Cotterets spazieren.

Als er zum »Hirschsprung« kam, sah er Herrn Raisin in dem kleinen Wagen mit seinem alten Diener Peter kommen.

Als Watrin den Maire erblickte, machte er eine Bewegung um den Wald zu erreichen, aber er war schon erkannt.

Raisin hielt seinen Wagen an, sprang heraus und lief zu dem Alten, indem er rief:

»He! Herr Watrin! Lieber Herr Watrin!«

Watrin blieb stehen.

Der Grund, der ihn den Maire zu fliehen nötigte, war das Gefühl der Scham, das jeder ehrliche Mensch in der Tiefe seines Gewissens hat, das sich von ihm auf Andere erstreckt und das ihm für Andere die Schamröte ins Gesicht treibt, wenn diese Handlungen verrichten, die nicht die besten sind.

Man erinnert sich, daß die Antrage, welche der Holzhändler dem Vater Watrin in der vorigen Nacht gemacht hatte, nicht die redlichsten waren.

Während Vater Watrin stehen blieb, dachte er darüber nach, was ihm der Maire wohl sagen wolle. Er wartete und drehte dabei dem Maire den Rücken zu; erst als dieser ganz nahe bei ihm war, wendete er sich um.

»Nun,« fragte er barsch Herrn Raisin, »was giebt es noch?«

»Ich habe, seit ich Sie heute Morgen verlassen, Herr Watrin, viel nachgedacht,« sagte der Maire, ziemlich verlegen und mit unbedecktem Kopfe, während Watrin ihn anhörte, und dabei den Hut aufbehielt.

»Wirklich, und worüber?«

»Über Alles, lieber Herr Watrin, besonders darüber, daß es weder gut, noch schön ist, sich des Eigentums seines Nächsten bemächtigen zu wollen, wenn dieser Nächste auch ein Prinz ist.«

»Warum sagen Sie mir das, und an wessen Eigentum habe ich je mich vergreifen wollen?« fragte der Alte.

»Mein lieber Herr Watrin,« fuhr der Maire mit einer gewissen Demut fort, »glauben Sie ja nicht, daß ich das auf Sie bezogen habe.«

»Auf wen bezieht es sich sonst?«

»Nur auf mich, Herr Watrin, und auf die schlechten Anträge, die ich Ihnen in voriger Nacht wegen der Bäume gemacht, welche nahe an meinem Holzschlag stehen könnten.«

»Das führt Sie her?«

»Warum nicht, da ich einsah, daß ich Unrecht hatte, und daß ich einen braven und ehrlichen Mann, den ich beschimpft, um Entschuldigung bitten muß.«

»Mich? Sie haben mich nicht beschimpft, Herr Maire.«

»Freilich. Man beschimpft einen ehrlichen Mann, wenn man ihm Anträge macht, die er nur dann annehmen kann, wenn er sein ganzes Leben Lügen strafen will.«

»Sie brauchten sich nicht durch eine so geringfügige Sache stören zu lassen, Herr Raisin.«

»Sie nennen das geringfügig, wenn man vor seines Gleichen erröten muß, und nicht mehr wagen darf, ihm die Hand zu geben, wenn man ihm ein Mal begegnet? Ich, ich nenne das bedeutend. Ich bitte Sie um Verzeihung, Herr Watrin.«

»Mich?« fragte der alte Aufseher.

»Ja. Sie.«

»Ich bin nicht der Abbé Gregoire, um Ihnen zu vergeben,« sagte der Alte, halb gerührt, halb lachend.

»Nein, aber Sie sind Herr Watrin, und alle ehrlichen Leute bilden eine Familie. Ich bin einen Augenblick aus derselben getreten; reichen Sie mir die Hand, damit ich wieder eintreten kann, Herr Watrin.«

Der Maire sprach diese Worte mit einem so bewegten Tone, daß dem Alten die Tränen in die Augen traten. Er nahm seinen Hut mit der linken Hand ab, wie er es vor dem Herrn Deviolaine, dem Inspektor, getan haben würde, und reichte dem Maire die Hand.

Dieser ergriff sie und sagte:

»Herr Watrin, das ist noch nicht Alles.«

»Wie? Das ist nicht Alles?« fragte Vater Watrin.

»Nein.«

»Was giebt es denn noch, Herr Raisin?«

»Ich habe nicht allein Ihnen gegenüber diese Nacht Unrecht begangen.«

»Ah, ja; Sie meinen Ihre Anklage Bernhards. Sie sehen, Herr Maire, man muß nicht zu schnell im Verurteilen sein.«

»Ich sehe ein, daß mein Zorn gegen Sie mich ungerecht gemacht hat, und ich eine Handlung beging, die ich, wenn Bernhard mir nicht verzeiht, mein ganz«s Leben lang bereuen werde.«

»O! Beruhigen Sie sich, Herr Maire; Bernhard ist so glücklich, daß er schon Alles vergessen hat.«

»Ja, mein lieber Watrin, aber irgend ein Mal kann er sich wieder daran erinnern, dann mit dem Kopfe schütteln und zwischen den Zähnen murmeln: »Der Maire ist doch ein schlechter Kerl.«

»Daß er einmal solche Gedanken hat. kann ich freilich nicht hindern,« sagte Watrin lächelnd.

»Es giebt ein Mittel, daß er solche Gedanken, wenn sie kommen, zurückweist.«

»Welches Mittel?«

»Daß er mir von Herzen verzeihe, wie Sie es getan haben.«

»Dafür stehe ich. Bernhard hat fast gar keine Galle. Sehen Sie die Sache als abgemacht an. Da er der Jüngere ist, soll er noch zu Ihnen kommen.«

»Das hoffe ich, und auch, daß er bei mir bleibt, wie Sie und Ihre Frau, Katharine und Franz und alle Kameraden.«

»Wann?«

»Nach der Trauung.«

»Wozu?«

»Wegen des Hochzeitsschmaußes.«

»Nein, das geht nicht.«

»Sagen Sie das nicht, Watrin. Es steht fest bei mir, Sie müßten denn entschlossen sein, mir immer zu grollen. Ich habe es mir einmal m den Kopf gesetzt, den Hochzeitsschmauß auszurichten, und auch schon den Küchenzettel gemacht. Wir haben Keule von dem Wildschwein, das gestern geschossen worden ist; der Inspektor wird wohl erlauben, daß man ein Reh schießt, die Fische bestelle ich selbst, und im Keller habe ich Champagner direct aus Epernay und alten Burgunder.«

»Aber, Herr Raisin.«

»Kein »Aber«, Watrin.«

»Ich kann es nicht zusagen.«

»Wenn Sie es nicht zusagen, geht es meinen Frauenzimmern schlecht, denn die haben mir alle die dummen Gedanken in den Kopf gesetzt. Der Abbé hat wohl Recht, durch die Weiber kommt alles Unglück in die Welt.«

Vater Watrin wollte sieh noch länger sträuben, aber er fühlte, daß ihn Jemand am Ärmel zupfte. Er drehte sich um, der alte Peter war es.

 

»Herr Watrin,« sagte dieser, »schlagen Sie's dem Herrn Maire nicht ab, im Namen . . .«

Er schien sich zu besinnen.

»Im Namen der beiden Geldstücke, die Sie dem Abbé für mich gegeben haben, als Sie hörten, daß ich aus dem Dienste sei.«

»Das war auch ein Gedanke der Frauenzimmer,« fiel Raisin ein. »Die Weiber! Die Weiber! Nur die Ihrige ist ein Engel, Watrin.«

»Meine Alte?« entgegnete Watrin . . . »Man sieht wohl . . .

Er wollte sagen: »man sieht wohl, daß Sie sie nicht kennen,« aber er besann sich und sagte lächelnd:

»Man sieht wohl, daß Sie meine Alte gut kennen . . . Also abgemacht. Wir essen zur Hochzeit bei Ihnen, Herr Maire,« setzte er hinzu.

»Und die Hochzeit ist acht Tage früher.«

»Wie so?«

»Rathen Sie ein Mal, Watrin, wohin ich will?«

»Nun?«

»Zu dem Bischof in Soissons, um selbst den Dispens zu holen.«

»In diesem Falle stehe ich für Bernhard,« sagte Watrin lachend, während der Maire wieder einstieg und weiter fuhr.

»Ich hätte ihn nicht für einen so braven Mann gehalten,« brummte der Alte für sich. »Aber Recht hat er: Die Weiber, die Weiber!«

Nachdenklich kehrte er nach Hause zurück.

Vierzehn Tage darauf klang die Orgel lustig in der kleinen Kirche zu Villers-Cotterets, während Bernhard und Katharine vor dem Abbé Gregoire knieten.

Die Frau und die Tochter des Maire wohnten der Trauung bei, und Euphrosine blickte von der Seite nach dem hübschen Pariser, der zwar noch recht blass war, aber sich doch so weit erholt hatte, daß er in die Kirche hatte gehen können. Aber er beschäftigte sich da offenbar mehr mit der schönen, errötenden Braut, als mit der Tochter Raisins. Auch der Inspektor mit seiner ganzen Familie war zugegen, und die dreißig oder vierzig Kameraden Bernhards bildeten gleichsam die Ehrenwache.

Der Abbé Gregoire hielt eine Rede, die zwar nur etwa zehn Minuten währte, aber Thränen in Aller Augen lockte.

Als der Zug aus der Kirche kam, hörte man einen Eulenruf.

»Das bringt Unglück,« sagte Katharine.

»O nein,« sagte Franz; »es ist ein nachgemachter, von Mathias, der dort gegenüber an dem Kerkerfenster steht und mit den Zähnen knirscht.

Am Tage darauf wurde Mathias in das Gefängnis zu Laon gebracht, wo die Assisen abgehalten werden.

Wie er vorhergesehen, wurde er zu zehnjähriger Zwangsarbeit verurtheilt.

Nach anderthalb Jahren las man in den Zeitungen:

»In dem Bagno zu Toulon ist ein Fluchtversuch »gemacht worden, der aber für den Fliehenden schlimm ablief.«

»Ein Sträfling, der sich, man weiß nicht wie, eine

»Feile verschafft, hatte seine Kette durchgefeilt und sich

»unter einem Holzstoße auf dem Werft versteckt, auf dem die

»Züchtlinge arbeiten.

»Abends gelangte er kriechend, und ohne von der

»Wache gesehen zu werden an das Meer; als er aber in

»das Wasser sprang, hörte es die Schildwache, die sich

»umdrehte und fertig machte, auf den Flüchtigen zu

»schießen, sobald er emporkomme, um Luft zu schöpfen. Dies

»geschah nach einigen Sekunden und alsbald folgte der »Schuß.

»Der Flüchtling tauchte wiederum, aber um nicht

»wieder zum Vorschein zu kommen.

»Der Schuß zog sogleich einen Teil der Soldaten

»und der angestellten Aufseher herbei; man setzte ein Paar

»Bote aus, suchte aber vergeblich.

»Erst am anderen Tage, gegen zehn Uhr früh,

»erschien ein Körper an der Oberfläche des Wassers, der

»Leichnam des Sträflings, der zu entfliehen gesucht hatte.

»Der Unglückliche, welcher wegen eines Mordversuchs

»mit Vorbedacht, aber unter mildernden Umständen, zu

»zehnjähriger Zwangsarbeit verurteilt war, stand unter

»dem Namen »Mathias« in den Büchern der Anstalt.«

E n d e