Kitabı oku: «Königin Margot», sayfa 43
XIII.
Der Thurm des Drillhauses
Die Nacht war über die Stadt herabgesunken, welche noch bebte von dem Geräusch der Hinrichtung, deren einzelne Umstände von Mund zu Mund gingen und in jedem Hause die heitere Stunde des Abendbrodes verdüsterten.
Aber im Gegensatze gegen die schweigsame, traurige Stadt war der Louvre geräuschvoll, lustig, beleuchtet. Es fand ein großes Fest im Palaste statt, ein Fest, befohlen von Karl IX., ein Fest, das er für den Abend zu gleicher Zeit bezeichnet hatte, da er für den Morgen die Hinrichtung bezeichnete.
Die Königin von Navarra hatte schon am Abend vorher den Befehl erhalten, sich dabei einzufinden, und in der Hoffnung, La Mole und Coconnas würden in der Nacht gerettet, in der festen Ueberzeugung, alle Maßregeln wären für ihre Flucht getroffen, hatte sie ihrem Bruder geantwortet, sie würde seinen Wünschen entsprechen.
Aber seitdem sie durch die Scene in der Kapelle jede Hoffnung verloren, seitdem sie in einer letzten Bewegung frommer Gefühle für diese Liebe, die größte und tiefste, die sie in ihrem Leben empfunden, der Hinrichtung beigewohnt hatte, hatte sie sich auch gelobt, daß sie weder Bitten noch Drohungen veranlassen sollten, einem freudigen Feste im Louvre an demselben Tage beizuwohnen, an welchem sie ein so trauriges Fest auf der Grève gesehen.
Der König Karl IX. gab an demselben Tage einen neuen Beweis von jener Macht des Willens, welche vielleicht Niemand auf diesen Grad trieb, wie er. Seit vierzehn Tagen an das Bett gefesselt, hinfällig wie ein Sterbender, bleich wie eine Leiche, stand er gegen fünf Uhr auf und legte seine schönsten Gewänder an. Es ist nicht zu leugnen, daß er während der Toilette dreimal in Ohnmacht fiel.
Gegen acht Uhr erkundigte er sich, was aus seiner Schwester geworden wäre, und fragte, ob man sie gesehen hätte und ob man wüßte, was sie machte. Niemand antwortete ihm, denn die Königin war gegen elf Uhr zurückgekehrt und hatte sich, Jedermann ihre Thüre verbietend, eingeschlossen.
Aber es gab keine verschlossene Thüre für Karl. Auf den Arm von Herrn von Nancey gestützt, schleppte er sich nach den Gemächern der Königin von Navarra und trat plötzlich durch die Thüre des geheimen Ganges ein.
Obgleich er auf ein trauriges Schauspiel gefaßt war und sein Herz darauf vorbereitet hatte, so war doch das, was er erblickte, noch viel beklagenswerther, als das von ihm Geträumte.
Halb todt, auf einem Ruhebette liegend, den Kopf in Kissen begraben, weinte, betete Margarethe nicht, sondern sie röchelte seit ihrer Rückkehr wie eine im Todeskampfe Begriffene.
In der andern Ecke des Zimmers lag Henriette von Nevers, diese unerschrockene Frau, bewußtlos auf dem Boden ausgestreckt. Als sie von der Grève zurückkehrte, waren ihre Kräfte wie die von Margarethe zusammengebrochen, und die arme Gillonne ging von der Einen zur Andern, ohne daß sie es wagte, ein Wort des Trostes an sie zu richten.
In den Krisen, die auf solche große Katastrophen folgen, ist man geizig mit seinem Schmerze, wie mit einem Schatz, und man hält Jeden für einen Feind, der uns den geringsten Theil davon zu entziehen sucht.
Karl IX. ließ Nancey im Gang, öffnete die Thüre und trat bleich und zitternd ein.
Weder die Eine noch die Andere von den zwei Frauen sah ihn, Gillonne allein, welche in diesem Augenblick Henriette unterstützte, erhob sich auf ein Knie und schaute den König ganz erschrocken an.
Der König machte eine Geberde mit der Hand. Sie stand auf, verbeugte sich und trat ab.
Hiernach wandte sich Karl gegen Margarethe, schaute sie einen Augenblick schweigend an und sagte dann mit einem Tone, dessen man diese rauhe Stimme nicht hätte fähig halten sollen:
»Margot, meine Schwester!«
Die junge Frau bebte, richtete sich auf und flüsterte:
»Eure Majestät!«
»Muth gefaßt, meine Schwester.«
Margarethe schlug die Augen zum Himmel auf.
»Ja,« sprach Karl, »ich weiß es wohl, aber höre mich.«
Die Königin von Navarra bedeutete durch ein Zeichen, daß sie hörte,
»Du hast mir versprochen, auf den Ball zu kommen,« sagte Karl.
»Ich!« rief Margarethe.
»Ja, und Deinem Versprechen zufolge erwartet man Dich, und wenn Du nicht kämst, würde man staunen, Dich nicht dort zu finden.«
»Entschuldigt mich, mein Bruder, Ihr seht, ich bin leidend.«
»Strenge Dich gegen Dich selbst an.«
Margarethe schien einen Augenblick einen Versuch zu machen, ihren Muth zu beleben; dann ließ sie plötzlich ihr Haupt wieder auf die Kissen fallen und rief:
»Nein, nein, ich werde nicht gehen.«
Karl nahm sie bei der Hand, setzte sich auf ihr Ruhebett und sprach:
»Du hast so eben einen Freund verloren, ich weiß es, Margot. Aber schau’ mich an, habe ich nicht alle meine Freunde verloren? und mehr noch, meine Mutter! Du, Du konntest stets nach Deinem Gefallen weinen, wie Du in diesem Augenblick weinst. Ich war in der Stunde meiner heftigsten Schmerzen stets genöthigt, zu lächeln; Du leidest, schau’ mich an, ich sterbe. Auf, Margot, Muth gefaßt! Ich bitte Dich, meine Schwester, im Namen unserer Ehre! Wir tragen als ein kummervolles Kreuz den Ruf unseres Hauses; tragen wir es wie der Herr bis zur Schädelstätte, und wenn wir wie Er auf dem Wege straucheln, so wollen wir uns muthig und ergeben wie Er wiedererheben.«
»Oh, mein Gott, mein Gott!« rief Margarethe.
»Ja,« sprach Karl, ihre Gedanken beantwortend, »das Opfer ist hart, meine Schwester; aber Jeder bringt das seinige; die Einen mit ihrer Ehre, die Andern mit ihrem Leben. Glaubst Du, daß ich mit meinen fünfundzwanzig Jahren und mit dem schönsten Throne der Welt es nicht beklage, sterben zu müssen? … Schau’ mich an… meine Augen, meine Gesichtsfarbe, meine Lippen sind die eines Sterbenden, das ist wahr; aber mein Lächeln… würde mein Lächeln nicht glauben machen, ich hoffe? Und dennoch wirst Du mich in acht Tagen, in vierzehn Tagen, in einem Monat spätestens, beweinen, meine Schwester, wie denjenigen, welcher heute gestorben ist.«
»Mein Bruder!«… rief Margot, ihre beiden Arme um den Hals von Karl schlingend.
»Auf, kleide Dich an, liebe Margarethe,« sagte der König, »verbirg Deine Blässe und erscheine auf dem Ball. Ich habe Befehl gegeben, Dir neue, Edelsteine und Deiner Schönheit würdige Gewänder zu überbringen.«
»Oh! Diamanten, Gewänder!« sprach Margarethe, »was liegt mir jetzt an Allem dem?«
»Das Leben ist lang, Margarethe,« versetzte Karl lächelnd, »wenigstens für Dich.«
»Nie! nie!«
»Meine Schwester, erinnere Dich eines Umstandes: zuweilen ehrt man die Todten am Besten, wenn man das Leiden erstickt oder vielmehr verbirgt.«
»Wohl, Sire,« sprach Margarethe schauernd, »ich werde gehen.«
Eine Thräne, welche sogleich von den trockenen Augenlidern getrunken wurde, befeuchtete das Auge von Karl.
Er beugte sich auf seine Schwester herab, küßte sie auf die Stirne, blieb einen Augenblick vor Henriette stehen, die ihn weder gesehen noch gehört hatte, und sagte:
»Arme Frau!«
Dann entfernte er sich stillschweigend.
Hinter dem König traten mehrere Pagen mit Kisten und Etuis ein.
Margarethe hieß mit einem Zeichen der Hand Alles auf den Boden setzen.
Die Pagen traten ab, Gillonne blieb allein.
»Lege mir Alles zurecht, was ich brauche, um mich anzukleiden, Gillonne,« sagte Margarethe.
Gillonne schaute ihre Gebieterin mit erstaunten Augen an.
»Ja,« sagte Margarethe mit einem Ausdrucke, dessen Bitterkeit sich nicht schildern läßt, »ja, ich kleide mich an, ich gehe auf den Ball, man erwartet mich dort. Beeile Dich also. Der Tag wird vollständig seyn: Fest auf dem Grève diesen Morgen, Fest im Louvre diesen Abend.«
»Und die Frau Herzogin?« sprach Gillonne.
»Oh! Sie, sie ist sehr glücklich, sie kann hier bleiben, sie kann weinen, sie kann nach Belieben leiden, Sie ist keine Königstochter, keine Königsfrau, keine Königsschwester, Sie ist nicht Königin. Hilf mir, mich ankleiden, Gillonne.«
Das Mädchen gehorchte. Der Schmuck war prachtvoll, das Kleid glänzend, Margarethe war nie so schön gewesen.
Sie betrachtete sich in einem Spiegel.
»Mein Bruder hat sehr Recht,« sagte sie, »es ist ein erbärmliches Ding um das menschliche Geschöpf.«
In diesem Augenblick trat Gillonne, welche auf eine Minute hinausgegangen war, wieder ein.
»Madame,« sagte sie, »es ist ein Mensch da, der nach Euch verlangt.«
»Nach mir?’«
»Ja, nach Euch.«
»Wer ist dieser Mensch?«
»Ich weiß es nicht, aber sein Aussehen ist furchtbar, und sein Anblick allein hat mich beben gemacht.«
»Frage ihn nach seinem Namen,« sprach Margarethe erbleichend,
Gillonne ging hinaus und kehrte nach ein paar Sekunden wieder zurück.
»Er wollte mir seinen Namen nicht sagen, Madame, bat mich jedoch, Euch dieses zuzustellen.«
Und sie reichte Margarethe das Reliquienkästchen, das diese am Abend zuvor La Mole geschenkt hatte.
»Oh! laß ihn eintreten, laß ihn eintreten,« sprach die Königin rasch und wurde noch bleicher, noch eisiger, als sie zuvor gewesen war.
Ein schwerer Tritt erschütterte den Boden.
Ohne Zweifel entrüstet darüber, daß es ein solches Geräusch wiederholen sollte, murrte das Echo unter dem Täfelwerk, und ein Mann erschien auf der Schwelle.
»Ihr seyd…?« sagte die Königin.
»Derjenige, welchen Ihr eines Tages bei Montfaucon sahet, und der in seinem Karren zwei verwundete Edelleute in den Louvre zurückbrachte.«
»Ja, ja, ich erkenne Euch, Ihr seyd Meister Caboche.«
»Der Henker des Gerichtsbezirkes von Paris.«
Dies waren die einzigen Worte, welche Henriette von allen hörte, die man seit einer Stunde, um sie her aussprach. Sie machte ihren bleichen Kopf von ihren beiden Händen los und schaute den Henker mit ihren Smaragdaugen an, aus denen ein doppelter Flammenstrahl hervorzubrechen schien.
»Und Ihr kommt? …« sagte Margarethe zitternd.
»Um Euch an das Versprechen zu mahnen, das Ihr dem jüngeren von den zwei Edelleuten, demjenigen, welcher mich beauftragte, Euch dieses Reliquienkästchen zu übergeben, geleistet habt. Ihr erinnert Euch desselben, Madame?«
»Oh! ja,« rief die Königin, »und nie wird ein edlerer Schatten eine edlere Befriedigung gefunden haben. Aber wo ist er?«
»Er ist bei mir mit dem Leichnam.«
»Bei Euch! warum habt Ihr ihn nicht gebracht?«
»Man konnte mich an der Pforte des Louvre anhalten, man konnte mich nöthigen, meinen Mantel aufzuheben. Was würde man gesagt haben, wenn man unter diesem Mantel einen Kopf gesehen hätte?«
»Gut, behaltet ihn bei Euch; ich werde ihn morgen holen.«
»Morgen?« sagte Meister Caboche, »es wird vielleicht zu spät sein.«
»Warum dies?«
»Weil die Königin Mutter für ihre kabalistischen Experimente die Köpfe der zwei ersten Verurteiltem bestellt hat, die ich enthaupten würde.«
»Oh! Entheiligung! die Köpfe unserer Geliebten!« rief Margarethe, auf ihre Freundin zulaufend, welche plötzlich aufrecht stand, als ob sie eine Feder auf ihre Füße gestellt hätte. »Henriette, mein Engel, hörst Du, was dieser Mensch sagt?«
»Ja. Was ist zu thun?«
»Man muß mit ihm gehen.«
Dann jenen Schmerzensschrei ausstoßend, mit welchem im höchsten Maße Unglückliche zum Leben zurückkehren, rief Henriette:
»Ah! es war mir doch so wohl, ich war beinahe Todt!«
Während dieser Zeit warf Margarethe einen Sammetmantel über ihre bloßen Schultern.
»Komm, komm,« sagte sie, »wir werden sie noch einmal sehen.«
Margarethe ließ alle Thüren schließen, befahl, die Sänfte an die kleine verborgene Pforte zu bringen, nahm Henriette unter dem Arm, schritt mit ihr durch den geheimen Gang und machte Caboche ein Zeichen, ihr zu folgen.
An der Thüre unten war die Sänfte. An der Pforte außen wartete ein Knecht von Caboche mit einer Laterne.
Die Träger von Margarethe waren vertraute Leute, taub und stumm, sicherer, als es Saumthiere gewesen wären.
Die Sänfte wurde, Meister Caboche und sein Knecht mit der Laterne voran, ungefähr zehn Minuten fortgetragen; dann hielt sie an.
Der Henker öffnete den Schlag, während der Knecht vorauslief.
Margarethe stieg aus und half sodann der Herzogin von Nevers aussteigen. Bei dem großen Schmerze, welcher Beide mit seiner ganzen Gewalt gefaßt hatte, war diese rührige Organisation die stärkere.
Der Thurm des Drillhauses ragte vor den zwei Frauen wie ein düsterer, umgestalteter Riese empor und warf ein röthliches Licht durch die Schießscharten an seiner Spitze herab, hinter denen zwei Flammen bemerkbar waren.
Der Knecht erschien wieder an der Thüre.
»Ihr könnt eintreten,« sagte Caboche, »es schläft Alles im Thurme.«
In demselben Augenblicke erloschen die Lichter hinter den Schießscharten.
Fest an einander geschlossen, traten die zwei Frauen unter die kleine bogenförmige Pforte und schritten im Schatten auf dem feuchten, holperigen Boden hin. Sie erblickten ein Licht im Hintergrunde eines Ganges und wandten sich, geführt von dem schauderhaften Herrn des Hauses, nach dieser Seite. Die Thüre schloß sich hinter ihnen.
Eine Wachsfackel in der Hand, führte sie Caboche in einen niedrigen, rauchigen Saal. Mitten in diesem Saale stand ein Tisch mit den Ueberresten eines Abendbrodes und mit drei Gedecken. Diese drei Gedecke waren ohne Zweifel für den Henker, dessen Frau und seinen ersten Gehilfen.
An der am meisten in die Augen springenden Stelle sah man ein mit dem königlichen Siegel versehenes Pergament an die Wand genagelt. Es war dies das Henkerpatent.
In einer Ecke stand ein großes Schwert mit einem langen Griffe. Es war dies das flammende Schwert der Gerechtigkeit.
Da und dort erblickte man plumpe Bilder, heilige Märtyrer unter allen Arten von Foltern darstellend.
Hier angelangt, machte Caboche eine tiefe Verbeugung.
»Eure Majestät wird mich entschuldigen,« sagte er, »wenn ich es gewagt habe, bis in den Louvre zu dringen und Euch hierher zu führen; aber es war der ausdrückliche und letzte Wille des Edelmannes, und so sah ich mich genöthigt….«
»Ihr habt wohl daran gethan, Meister, Ihr habt wohl gethan,« sprach Margarethe. »Hier zur Belohnung Eures Eifers.«
Caboche betrachtete traurig die von Gold strotzende Börse, welche Margarethe auf den Tisch legte.
»Gold! immer Gold!« murmelte er. »Ach! Madame, daß ich nicht selbst mit Gold das Blut erkaufen kann, welches ich heute zu vergießen genöthigt gewesen bin!«
»Meister,« sprach Margarethe mit einem schmerzlichen Zögern und um sich her schauend, »Meister, müssen wir noch anderswohin gehen? Ich sehe nicht!…«
»Nein, Madame, nein, sie sind hier; aber es ist ein trauriges Schauspiel, das ich Euch ersparen könnte, wenn ich Euch in einem Mantel verborgen, das brächte, was Ihr suchet.«
Margarethe und Henriette schauten sich gegenseitig an.
»Nein,« sagte Margarethe, welche in dem Blicke ihrer Freundin denselben Entschluß las, den sie gefaßt hatte, »nein, zeigt uns den Weg, und wir werden Euch folgen.«
Caboche nahm die Fackel und öffnete eine Thüre von Eichenholz, welche auf eine Treppe von ein paar Stufen ging, die sich unter die Erde versenkte. In demselben Augenblick kam ein Luftzug, machte ein paar Funken von der Fackel fliegen und warf in das Gesicht der Prinzessinnen den üblen Geruch der Fäulniß und des Blutes.
Henriette stützte sich, weiß wie eine Alabasterstatue, auf den Arm ihrer Freundin, deren Gang noch sicherer war; aber auf der ersten Stufe wankte sie.
»Oh! ich werde es nie können,« sagte sie.
»Wenn man wirklich liebt,« sprach die Königin, »so muß man bis zum Tode lieben.«
Sie boten ein zugleich furchtbares und rührendes Schauspiel, diese zwei Frauen, glänzend von Schönheit, Jugend, Schmuck, sich beugend unter dem schmutzigen Gewölbe, die Schwächere sich stützend auf die Stärkere, die Stärkere am Arme des Henkers sich haltend.
Man gelangte auf die letzte Stufe.
In dem unterirdischen Gewölbe lagen zwei menschliche Formen, bedeckt mit einem großen Tuche von schwarzer Farbe.
Caboche hob eine Ecke auf, näherte seine Fackel und sprach:
»Schaut, Frau Königin.«
Die zwei jungen Männer lagen in ihren schwarzen Kleidern in der furchtbaren Symmetrie des Todes neben einander. Nahe an den Rumpf gesetzt, schienen ihre Köpfe nur mitten um den Hals durch einen lebhaft rothen Kreis getrennt. Der Tod hatte ihre Hände nicht geschieden, denn, war es nun Zufall, war es eine fromme Aufmerksamkeit des Henkers, die rechte Hand von La Mole ruhte in der linken von Coconnas.
Es lag ein Liebesblick unter den Augenlidern von La Mole, es lag ein verächtliches Lächeln unter denen von Coconnas.
Margarethe kniete neben ihren Geliebten nieder und hob mit ihren von Edelsteinen funkelnden Händen seinen Kopf empor.
An die Mauer gelehnt, vermochte die Herzogin von Nevers ihren Blick nicht von dem bleichen Gesichte loszumachen, auf welchem sie so oft die Freude und die Liebe gesucht hatte.
»La Mole! theurer La Mole,« murmelte Margarethe.
»Annibal! Annibal!« rief die Herzogin von Nevers, »so schön, so stolz, so brav! … Du antwortest nicht mehr!«
Und ein Strom von Thränen entstürzte ihren Augen.
Diese so hochmüthige, so unerschrockene, im Glück so kecke Frau, diese Frau, welche den Skepticismus bis zum höchsten Zweifel trieb, diese Frau hatte noch nie an den Tod gedacht.
Margarethe gab ihr ein Beispiel.
Sie verschloß in einen mit Perlen gestickten und mit den feinsten Essenzen parfumirten Sack den Kopf, von La Mole, der noch schöner war, da er sich dem Sammet und dem Golde näherte, und dem eine besondere Vorbereitung, welche zu jener Zeit bei den königlichen Einbalsamirungen angewendet wurde, die Schönheit erhalten sollte.
Henriette näherte sich ebenfalls und hüllte den Kopf von Coconnas in einen Flügel ihres Mantels.
Und mehr unter ihrem Schmerze als unter ihrer Last gebeugt, stiegen Beide die Treppe hinauf, mit einem letzten Blick nach den Ueberresten, welche sie der Willkühr des Henkers in diesem traurigen Verwahrungsorte gemeiner Verbrecher überließen.
»Fürchtet nichts, Madame,« sprach Caboche, der diesen Blick errieth! »die Edelleute sollen begraben, in heiliger Erde bestattet werden, das schwöre ich Euch.«
»Und Du läßt mit Diesem Messen für sie lesen,« sprach Henriette, riß von ihrem Halse ein prachtvolles Collier von Rubinen und bot es dem Henker.
Man kehrte in den Louvre zurück, wie man von demselben ausgegangen war. An der Pforte gab sich die Königin zu erkennen. Unten an ihrer Geheimtreppe stieg, sie aus; dann ging sie in ihre Wohnung, legte ihre traurige Reliquie in das Cabinet des Schlafzimmers, das von diesem Augenblick an ein Betzimmer zu werden bestimmt war, ließ Henriette in ihrem Gemache und kehrte gegen zehn Uhr Abends in den großen Ballsaat zurück, in denselben, wo wir vor bald zwei und einem halben Jahre das erste Kapitel unserer Geschichte sich eröffnen sahen.
Aller Augen wandten sich nach ihr, und sie trug diesen allgemeinen Blick mit einer stolzen, beinahe freudigen Miene, denn sie hatte frommer Weise den letzten Wunsch ihres Geliebten erfüllt.
Als Karl sie erblickte, durchschritt er wankend die goldene Woge, die ihn umgab.
»Meine Schwester,« sprach er laut, »ich danke Euch.« Dann fügte er ganz leise bei:
»Nehmt Euch in Acht! Ihr habt einen Blutflecken am Arm.«
»Oh! was ist daran gelegen, Sire,« erwiederte Margarethe, »wenn ich nur ein Lächeln auf den Lippen habe.«
XIV.
Der Blutschweiß
Einige Tage nach der furchtbaren Scene, die wir so eben erzählt haben, d. h. am 30. Mai 1574, als der Hof in Vincennes war, hörte man plötzlich einen gewaltigen Lärmen im Zimmer des Königs, welcher mitten auf dem Balle, den er an dem Todestage der zwei jungen Leute gegeben, heftiger als je krank geworden war und auf Anrathen der Aerzte eine reinere Luft auf dem Lande gesucht hatte.
Es war acht Uhr Morgens. Eine kleine Gruppe von Höflingen lief im größten Eifer in das Vorzimmer, als plötzlich ein Schrei erscholl und auf der Schwelle des Gemaches die Amme von Karl, die Augen in Thränen gebadet und vor Verzweiflung laut kreischend, erschien.
»Zu Hilfe dem König! zu Hilfe dem König!«
»Steht es denn schlimmer bei Seiner Majestät?« fragte der Kapitän von Nancey, den der König, wie wir gesehen haben, von jedem Gehorsam gegen die Königin Catharina entbunden hatte, um ihn ganz allein seiner Person beizugesellen.
»Oh! wie viel Blut, wie viel Blut!« sprach die Amme, »Die Aerzte! ruft die Aerzte!«
Mazille und Ambroise Paré lösten sich bei dem erhabenen Kranken ab, und Ambroise Paré, welcher die Wache hatte, war, als er den König einschlafen sah, diese Betäubung benützend auf einige Augenblicke weggegangen.
Während dieser Zeit hatte der König einen starken Schweiß bekommen, und da Karl an einer Erschlaffung der Harngefäße litt und diese Erschlaffung einen Blutfluß der Haut herbeiführte, so hatte der blutige Schweiß die Amme erschreckt, die sich an dieses seltsame Phänomen nicht gewöhnen konnte und, wie man sich erinnern wird, eine Protestantin, ihm unabläßig sagte, das in der Bartholomäusnacht vergossene Blut habe sein Blut gefordert.
Man stürzte in allen Richtungen fort; der Doctor sollte nicht ferne seyn und man mußte ihn nothwendig finden. Das Vorzimmer blieb also leer, denn jeder strebte begierig darnach, seinen Eifer durch Herbeiführung des verlangten Arztes an den Tag zu legen.
Da öffnete sich eine Thüre, und man sah Catharina erscheinen. Sie durchschritt rasch das Vorzimmer und trat lebhaft in das Gemach ihres Sohnes.
Karl war auf seinem Bette ausgestreckt, das Auge erloschen, die Brust keuchend. Von seinem ganzen Körper floß ein röthlicher Schweiß. Seine Hand hing am Bette herab und am Ende jedes seiner Finger stand ein flüssiger Rubin.
Es war ein furchtbares Schauspiel. Doch bei dem Geräusch der Tritte seiner Mutter erhob sich Karl, als hätte er dieselben erkannt.
»Um Vergebung, Madame,« sagte er, seine Mutter anschauend, »ich wünsche im Frieden zu sterben.«
»Sterben! mein Sohn,« versetzte Catharina, »wegen einer vorübergehenden Krise dieses gewöhnlichen Uebels! Wollt Ihr so verzweifeln?«
»Ich sage Euch, Madame, ich fühle, wie meine Seele hingeht, ich sage Euch, Madame, daß der Tod kommt, Tod aller Teufel! Ich fühle, was ich fühle, und weiß, was ich sage.«
»Sire,« sprach die Königin, »Eure Phantasie ist Eure schwerste Krankheit. Seit der wohlverdienten Hinrichtung jener zwei Zauberer, jener zwei Mörder, die man La Mole und Coconnas nannte, müssen sich Eure körperlichen Leiden vermindert haben. Das moralische Uebel allein dauert noch fort, und wenn ich nur zehn Minuten mit Euch sprechen könnte, so würde ich Euch beweisen, …«
»Amme,« sprach Karl, »wache an der Thüre, Niemand soll eintreten; die Königin Catharina von Medicis will mit ihrem vielgeliebten Sohne, Karl IX., sprechen.«
Die Amme gehorchte.
»In der That,« fuhr Karl fort, »diese Unterredung mußte einmal stattfinden; besser heute als morgen. Morgen wäre es überdies vielleicht zu spät. Nur muß eine dritte Person unserer Unterredung beiwohnen.«
»Warum?«
»Weil, ich wiederhole es Euch, der Tod auf dem Anmarsche ist,« versetzte Karl mit furchtbarer Feierlichkeit: »weil er jeden Augenblick, wie Ihr, bleich und stumm und ohne sich anmelden zu lassen, eintreten kann. Es ist also Zeit, da ich diese Nacht dazu verwendet habe, meine Angelegenheiten in Ordnung zu bringen, diesen Morgen die Angelegenheiten des Königreichs zu ordnen.«
»Und wer ist die Person, die Ihr zu sehen wünscht?« fragte Catharina.
»Mein Bruder, Madame. Laßt ihn rufen.«
»Sire,« sagte die Königin, »ich sehe mit Vergnügen, daß die mehr durch den Haß dictirten, als den Schmerzen entrissenen Anschuldigungen sich in Eurem Geiste verwischen und bald auch aus Eurem Herzen verschwinden werden.
»Amme!« rief Catharina, »Amme!«
Die gute Frau, welche außen wachte, öffnete die Thüre.
»Amme,« sprach Catharina, »auf Befehl meines Sohnes, sagt Herrn von Nancey, wenn er kommt, er soll den Herzog von Alençon holen.«
Karl machte ein Zeichen, das die gute Frau, als sie zu gehorchen sich anschickte, wieder zurückhielt.
»Ich habe gesagt, Madame, meinen Bruder,« versetzte Karl.
Catharina riß die Augen auf, wie die Tigerin, wenn sie in Wuth geräth, Karl aber erhob gebieterisch die Hand.
»Ich will mit meinem Bruder Heinrich sprechen,« sagte er.
»Heinrich allein ist mein Bruder; nicht jener, der als König in der Ferne regiert, sondern der, welcher hier gefangen sitzt. Heinrich soll meinen letzten Willen erfahren.«
«Und ich,« rief die Florentinerin mit einer ungewöhnlichen Kühnheit, dem Willen ihres Sohnes gegenüber, so sehr trieb sie der Haß, den sie gegen den Bearner hegte, aus den Gränzen ihrer gewöhnlichen Verstellung, »wenn Ihr, wie Ihr sagt, dem Grabe so nahe seyd, glaubt Ihr, ich werde irgend Jemand, besonders einem Fremden, mein Recht, Euch in Eurer letzten Stunde beizustehen, mein Recht als Königin, mein Recht als Mutter abtreten?«
»Madame!« sprach Karl, »noch bin ich König, noch befehle ich, Madame: ich sage Euch, daß ich meinen Bruder Heinrich sprechen will, und Ihr ruft meinen Kapitän der Garden nicht! Tausend Teufel! Ihr sollt wissen, daß ich noch die Kraft habe, ihn selbst zu holen.«
Und er machte eine Bewegung, um aus seinem Bette zu springen, wodurch sein Leib, dem Christi nach der Geißelung ähnlich, entblößt wurde.
»Sire!« rief Catharina, ihn zurückhaltend, »Ihr fügt uns Allen eine Beleidigung zu: Ihr vergeßt die Schmach, die unserer Familie angethan worden ist! Ihr weist unser Blut zurück; ein Sohn von Frankreich soll allein an dem Sterbebette eines Königs von Frankreich knieen. Mein Platz ist durch die Gesetze der Natur und der Etiquette bezeichnet, ich bleibe also.«
»Und mit welchem Rechte, Madame, bleibt Ihr hier?« fragte Karl.
»Mit dem Rechte der Mutter.«
»Ihr seyd nicht mehr meine Mutter, Madame, als der Herzog von Alençon mein Bruder ist.«
»Ihr sprecht im Fieberwahne, mein Herr,« sagte Catharina. »Seit wann ist diejenige, welche das Leben gegeben hat, nicht mehr die Mutter dessen, welcher es empfing?«
»Von dem Augenblicke an, Madame, wo diese entartete Mutter nimmt, was sie gegeben hat,« antwortete Karl, einen blutigen Schaum abwischend, der ihm auf die Lippen stieg,
»Was wollt Ihr damit sagen, Karl, ich verstehe Euch nicht,« murmelte Catharina, ihren Sohn mit erstaunten, weit aufgerissenen Augen anschauend.
»Ihr werdet mich begreifen, Madame.«
Karl suchte unter seinem Kopfpfühl und zog einen kleinen silbernen Schlüssel hervor.
»Nehmt diesen Schlüssel, Madame, und öffnet meinen Reisekoffer; er enthält gewisse Papiere, welche für mich sprechen werden.«
Und Karl streckte seine Hand nach einem prachtvoll gearbeiteten Koffer ans, welcher mit einem silbernen Schlosse versehen war und an dem am meisten in die Augen fallenden Platze des Zimmers stand.
Beherrscht durch die erhabene Stellung, welche Karl über ihr einnahm, gehorchte Catharina, ging mit langsamen Schritten auf den Koffer zu, öffnete ihn, blickte in das Innere und wich plötzlich zurück, als hätte sie in den Seiten des Geräthes irgend eine entschlummerte Schlange gesehen.
»Nun,« sprach Karl, der seine Mutter nicht aus den Augen verlor, »was ist denn in diesem Koffer, das Euch erschreckt?«
»Nichts,« erwiederte Catharina.
»Dann streckt Eure Hand hinein, Madame, und nehmt ein Buch heraus. Es muß ein Buch darin seyn, nicht wahr?« sprach Karl mit einem bleichen Lächeln, das bei ihm furchtbarer war, als je bei einem Andern die schwerste Drohung.
»Ja,« stammelte Catharina.
»Ein Jagdbuch?«
»Ja.«
»Nehmt es und bringt es mir.«
Catharina erbleichte trotz ihrer Standhaftigkeit und zitterte an allen Gliedern. Sie streckte ihre Hand in das Innere des Koffers und murmelte, indem sie das Buch nahm:
»Unseliges Geschick!«
»Gut!« sagte Karl. »Hört mich nun: dieses Jagdbuch, … ich war wahnsinnig, … ich liebte die Jagd über Alles, … dieses Jagdbuch, ich habe es zu sehr gelesen. Begreift Ihr, Madame? …«
Catharina stieß einen dumpfen Seufzer aus.
»Es war eine Schwäche,« fuhr Karl fort; »verbrennt es, Madame, Man soll die Schwächen der Könige nicht erfahren.«
Catharina näherte sich dem Kamine, warf das Buch mitten auf den brennenden Herd, blieb sinnend und unbeweglich davor stehen und betrachtete mit starrem Auge die bläulichen Flammen, welche die vergifteten Blätter verzehrten.
Während das Buch brannte, verbreitete sich ein Knoblauchgeruch in dem Zimmer.
Bald war es gänzlich verzehrt.
»Und nun, Madame, ruft meinen Bruder,« sprach Karl mit unwiderstehlicher Majestät.
Vom höchsten Erstaunen ergriffen, niedergebeugt unter vielfältigen Gemüthsbewegungen, welche ihr tiefer Scharfsinn nicht zu analysiren, ihre beinahe übermenschliche Kraft nicht zu bekämpfen vermochten, machte Catharina einen Schritt vorwärts und wollte sprechen.
Die Mutter hatte einen Gewissensbiß: die Königin hatte einen Schrecken: die Giftmischerin kehrte zu ihrem Hasse zurück.
Dieses Gefühl beherrschte alle andern.
»Verflucht sey er!« rief sie, aus dem Zimmer stürzend, »er triumphirt, er gelangt zu seinem Ziele; verflucht, verflucht sey er!«
»Ihr hört? meinen Bruder, meinen Bruder Heinrich!« rief Karl, seine Mutter mit der Stimme verfolgend, »meinen Bruder Heinrich, mit dem ich sogleich über, die Regentschaft des Königreiches sprechen will.«
Beinahe in demselben Augenblick trat Meister Ambroise Paré durch die Thüre, der gegenüber, durch welche Catharina abgegangen war. Er blieb auf der Schwelle stehen, um die mit einem Metalldufte geschwängerte Atmosphäre des Zimmers einzuziehen, und sagte:
»Wer hat hier Arsenik verbrannt?«
»Ich,« antwortete der König.