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Kitabı oku: «La San Felice», sayfa 133

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Siebzehntes Capitel.
Der Befehl des Königs

Acht Tage nach den so eben von uns erzählten Ereignissen sah der Vicekönig von Neapel, Fürst von Cassero Statella, als er sich mit unserem alten Bekannten Malaspina im Theater dei Fiorentini befand, die Thür seiner Loge sich öffnen und durch diese Thür hindurch einen draußen auf dem Corridor stehenden Officianten des Palastes, von einem Marineofficier begleitet.

Der Marineofficier hielt ein mit einem großen rothen Siegel verschlossenes Couvert in der Hand.

»An den Fürsten-Vicekönig,« sagte der Hofofficiant.

Der Marineoffizier verneigte sich und überreichte dem Fürsten die Depesche.

»Von wem?« fragte der Fürst.

»Von Seiner Majestät dem Könige bei der Sicilien, antwortete der Officier, »und da die Depesche von Wichtigkeit ist, so werde ich mir erlauben, Ew. Excellenz um eine Empfangsbescheinigung zu bitten.«

»Dann kommen Sie wohl also von Palermo?« fragte der Fürst.

»Ja, vorgestern bin ich auf der »Sirene« von dort abgegangen, Monsignore.«

»Waren die Majestäten bei guter Gesundheit?«

»Ja, bei ganz vortrefflicher.«

»Stellen Sie in meinem Namen eine Quittung aus, Malaspina.«

Der Marquis zog ein Portefeuille aus der Tasche und begann die Quittung zu schreiben.

»Ew. Excellenz,« sagte der Officier, »haben vielleicht die Güte, den Ort und die Stunde zu bezeichnen, wo die Depesche dem Fürsten zugestellt worden ist.«

»Ah,« sagte Malaspina, »dann ist diese Depesche wohl sehr wichtig?«

»Allerdings, im höchsten Grade, Excellenz.«

Der Marquis stellte den Empfangsschein in der von dem Officier gewünschten Weise aus und kehrte dann in die Loge zurück, deren Thür sich hinter ihm schloß.

Der Fürst las die Depesche eben zu Ende.

»Hier, Malaspina,« sagte er, »das geht Sie an.«

Mit diesen Worten reichte er ihm das Papier.

Der Marquis Malaspina ergriff es und las folgenden bündigen und gleichzeitig furchtbaren Befehl:

»Ich schicke Ihnen die San Felice, damit sie binnen zwölf Stunden nach ihrer Ankunft in Neapel hingerichtet werde. Gebeichtet hat sie und ist folglich zum Sterben bereit.

»Ferdinand B.«

Malaspina sah den Fürsten Caffero-Statella mit erstauntem Blicke an.

»Nun?« fragte er dann.

»Nun, lieber Freund, denken Sie über den Befehl nach; derselbe betrifft Sie.«

Und der Fürst lauschte wieder den schmeichelnden Melodien der Oper »die heimliche Ehe«, jenes Meisterwerkes des armen Cimarosa, welcher vor Furcht, in Neapel gehängt zu werden, kürzlich in Venedig gestorben war.

Malaspina sagte nichts. Er hatte niemals geglaubt, daß zur Zahl seiner Pflichten als Sekretär des Vicekönigs auch die gehöre, die Anstalten zu Hinrichtungen zu treffen.

Wir haben jedoch bereits bemerkt, daß der Marquis ein gleichzeitig gehorsamer und spottliebender Höfling war. Der Fürst von Cassero brauchte sich daher blos zum zweiten Male nach ihm herumzudrehen und zu sagen: »Haben Sie gehört?« um ihn zu veranlassen, sich stumm, aber bereit zu gehorchen, zu verneigen und die Loge zu verlassen.

Er ging die Treppe hinunter, nahm einen am Eingange des Theaters haltenden Wagen und ließ sich nach der Vicaria fahren.

Luisa war gebeugt, sterbend, vernichtet, vor kaum einer Stunde hier angelangt. Man hatte sie in das an die Capelle stoßende Zimmer gebracht, wo wir Cirillo, Caraffa, Leonora Pimentel, Manthonnet und Michele in ihren letzten Augenblicken gesehen.

Die Depesche war von weiter keiner Instruction begleitet, als folgender:

»Se. Excellenz der Fürst von Caffero-Statella ist mit der Hinrichtung dieser Frau beauftragt und wird dafür mit seinem eigenen Kopfe stehen.«

Der Marquis Malaspina sah ein, daß, wie der Vicekönig schon gesagt, es an ihm war, das Weitere zu überlegen.

Er zögerte vielleicht ein wenig, ehe er einen Entschluß faßte; sobald dies aber einmal geschehen, brachte er den Entschluß auch muthig in Ausführung.

Er stieg wieder in den Wagen und sagte zu dem Kutscher:

»Strada dei Sospiri dell’ Abisso!«

Man erinnert sich, wer in dieser Straße wohnte. Es war Meister Donato, der Henker von Neapel.

An der Thür angelangt, empfand der Marquis einiges Widerstreben, in diese fluchbeladene Wohnung zu treten.

»Ruf Meister Donato heraus,« sagte er zu dem Kutscher, »und sage ihm, daß ich ihn zu sprechen wünsche.«

Der Kutscher stieg vom Bock, öffnete die Hausthür und rief:

»Meister Donato, kommt heraus!«

Man hörte nun eine Frauenstimme, welche antwortete:

»Mein Vater ist nicht in Neapel.«

»Wie, Ihr Vater ist nicht in Neapel? Hat er denn Urlaub?«

»Nein, Excellenz,« antwortete dieselbe Stimme näherkommend; »er ist in Berufsgeschäften nach Salerno gereist.«

»Wie, in Berufsgeschäften?« wiederholte Malaspina; »erklären Sie mir das, schönes Kind.«

In der That sah er unter der Thür des Hauses eine junge Frau und dicht hinter ihr einen Mann, welcher ihr Geliebter oder ihr Gatte zu sein schien.

»O, Excellenz, diese Erklärung wird sehr leicht sein, « antwortete die junge Frau, welche keine Andere war als Marina. »Sein College in Salerno ist gestern gestorben und es sind dort vier Hinrichtungen zu vollziehen, zwei morgen, zwei übermorgen. Deshalb ist er heute Mittags abgereist und wird übermorgen Abends wiederkommen.«

»Und hat er Niemanden zurückgelassen, der einstweilen seinen Posten versieht?« fragte der Marquis.

»Nein. Es lag kein Befehl vor, und die Gefängnisse sind, wie es scheint, nun ziemlich leer. Seine Gehilfen hat er ebenfalls mitgenommen, denn er verläßt sich nicht gern auf Leute, mit welchen er noch nicht gearbeitet hat.«

»Könnte nicht dieser junge Mann im Nothalle seine Stelle versehen?« fragte der Marquis, indem er auf Giovanni zeigte.

Giovanni – der Leser hat bereits errathen, daß er es war und daß sein Wunsch, Marina’s Gatte zu werden, von den vollständigsten Erfolg gekrönt worden – Giovanni schüttelte den Kopf.

»Ich bin nicht der Henker,« sagte er.

»Ich bin Fischer.«

»Aber was soll ich dann thun?«, fragte Malaspina. »Wenn Ihr mir nicht hilfreiche Hand leisten wollt, so gebt mir wenigstens einen guten Rath.«

»Nun, sehen Sie, Sie sind hier in dem Quartier der Fleischer – die Fleischer sind der Mehrzahl nach Royalisten. Wenn man erfährt, daß es blos einen Jakobiner zu hängen gibt, so findet sich vielleicht Jemand, welcher sich dazu versteht, dieses Geschäft zu besorgen.«

Malaspina sah ein, daß dies der einzige Ausweg sei, der ihm offenstehe, und da er mit seinem Wagen nicht in das Labyrinth hinein konnte, welches sich vom Quai bis zum Altmarkt erstreckt, so machte er sich zu Fuße auf, um einen Dilettanten des Henkerhandwerkes ausfindig zu machen.

Er wendete sich zu diesem Zweck nach einander an drei wackere Männer, welche sich aber weigerten, obschon er ihnen bis siebzig Piaster bot und ihnen den von der Hand des Königs unterzeichneten Befehl vorwies, welchem zufolge die Hinrichtung binnen zwölf Stunden erfolgen sollte.

Halb verzweifelt verließ er das Haus des Letzteren, indem er murmelte: »Ich kann sie doch nicht selbst abschlachten!« als der Mann, von einem plötzlichen Gedanken erleuchtet, ihn wieder zurückrief.

»Excellenz,« sagte der Fleischer, »ich glaube, ich kenne Ihren Mann.«

»Ah, murmelte Malaspina, »das wäre mir sehr lieb.«

»Ich habe nämlich einen Nachbar. Er ist kein eigentlicher Fleischer, sondern schlachtet blos Hammel und Böcke, aber nicht wahr, Sie bestehen nicht unbedingt darauf, daß es ein wirklicher Fleischer sei?«

»Es liegt mir blos daran, einen Mann zu finden, der das Geschäft verrichten kann, von welchem ich Euch sagte.«

»Nun gut, dann wenden Sie sich an den Beccajo. Er ist von den Republikanern sehr verfolgt worden, der arme Mann, und wird nichts Besseres verlangen, als sich rächen zu können.«

»Und wo wohnt dieser Beccajo?« fragte der Marquis.

»Komm, Peppino,« sagte der Fleischer zu einem Knaben, der in einem Winkel seines Kaufladens auf einem Haufen halbgetrockneter Häute lag; »komm und führe Seine Excellenz zu dem Beccajo.«

Der Knabe stand auf, dehnte sich und machte sich murrend, daß er aus dem ersten Schlafe geweckt worden, fertig, zu gehorchen.

»Komm, mein Junge,« sagte Malaspina, um ihn zu ermuthigen, »wenn wir gute Geschäfte machen, so bekommst Du einen Piaster.«

»Aber wenn Sie keine Geschäfte machen,« sagte der Knabe mit der Logik des Egoismus, »so bin ich dann deswegen immer aus dem Schlafe gestört worden.«

»Da hast Du auch Recht,« sagte Malaspina. »Hier ist der Piaster für den Fall, daß wir keine Geschäfte machen. Machen wir deren, so bekommst Du dann noch einen.«

»Das laß ich mir gefallen! das nenne ich gut gesprochen! Haben Sie die Güte, mir zu folgen, Excellenz!«

»Ist es weit?« fragte Malaspina.

»O nein, Excellenz; gleich da drüben.«

Der Knabe lief voran, der Marquis folgte.

Der Führer hatte die Wahrheit gesprochen. Man brauchte blos die Straße zu überschreiten, um zu dem Beccajo zu gelangen. Der Laden desselben war aber geschlossen, obschon man durch die schlecht zusammengefügten Fensterläden Licht durchschimmern sah.

»Heda, Beccajo!« rief der Knabe, indem er mit der Faust an die Thür schlug.

»Was gibt’s?« fragte eine rauhe Stimme.

»Es ist ein in Tuch gekleideter Herr da, der Euch sprechen will,« sagte der Knabe.

Dieser Ausdruck »in Tuch gekleidet« —vestito di panno – war das Merkmal der Aristokratie, vor welchem sich die Neapolitaner des letztvergangenen Jahrhunderts beugten.

Da die Antwort des Knaben, trotz ihrer Präzision, den Entschluß des Beccajo nicht zu beschleunigen schien, so sagte Malaspina:

»Oeffne, mein Freund. Ich komme im Namen des Vicekönigs, dessen Secretär ich bin.«

Diese Worte wirkten wie der Stab einer Fee. Die Thür öffnete sich wie auf einen Zauberschlag, und beim Schein einer qualmigen, dem Erlöschen nahen Lampe, welche Haufen von Knochen und blutigen Häuten beleuchtete, gewahrte Malaspina ein mißgestaltetes, verstümmeltes, scheußliches Geschöpf.

Es war dies der Beccajo mit seinem ausgeschlagenen Auge, einer verstümmelten Hand, einem hölzernen Bein. An der Thür seines Schlachthauses stehend glich er dem Dämon der Vernichtung.

Malaspina konnte, obschon sein Herz in gewissen Punkten sehr hart und unbeweglich war, sich doch einer Bewegung des Abscheues und Widerwillens nicht enthalten.

Der Beccajo bemerkte es.

»Ja, es ist wahr,« sagte er die Zähne knirschend, was seine Art und Weise zu lachen war, »ich bin nicht schön, Excellenz. Ich kann wohl aber annehmen, daß Sie ohnehin nicht hierhergekommen sind, um eine Statue für das bourbonische Museum zu suchen.«

»Nein, ich suche vielmehr einen treuen Diener des Königs, einen Mann, welcher die Jakobiner nicht liebt, und welcher geschworen hat, sich an ihnen zu rächen. Man hat mich an Euch gewiesen und mir gesagt, daß Ihr dieser Mann wäret.«

»Und man hat Sie nicht getäuscht, Excellenz; haben Sie die Güte einzutreten.«

Trotz des Widerwillens, den der Marquis empfand, in dieses Schlachthaus zu treten, ging er doch hinein.

Der Knabe, der ihn geführt und welchem natürlich daran lag, das Resultat der Unterhandlung kennen zu lernen, wollte hinter dem Marquis herschleichen, der Beccajo aber hob seinen verstümmelten Arm.

»Zurück, Junge!« sagte er. »Du hast nichts mit uns zu schaffen.«

Und er schlug dem Knaben, welcher draußen stehen blieb, die Thür vor der Nase zu.

Der Beccajo und der Marquis Malaspina blieben beinahe zehn Minuten lang mit einander eingeschlossen. Dann kam der Marquis wieder heraus.

Der Beccajo begleitete ihn unter unaufhörlichen Verbeugungen bis an die Thür. Als Malaspina sich ungefähr zehn Schritte weit entfernt hatte, begegnete er seinem Führer.

»Ah,« sagte er, »da bist Du ja, Junge!«

»Allerdings bin ich da,« sagte der Knabe; »ich habe gewartet.«

»Und worauf?«

»Ich wollte wissen, ob Sie gute Geschäfte gemacht hätten.«

»Nun und wenn dies nun der Fall wäre?«

»Dann würde ich, wie Sie sich erinnern werden, Excellenz, noch einen Piaster von Ihnen bekommen.«

Der Marquis suchte in seiner Tasche.

»Da, hier hast Du ihn,« sagte er.

Und mit diesen Worten gab er dem Knaben eine Silbermünze.

»Ich danke, Excellenz,« sagte der Knabe, indem er die Münze in dieselbe Hand nahm wie die erste und damit klapperte wie mit Castagnetten. »Gott schenke Ihnen langes Leben.«

Der Marquis stieg wieder in seinen Wagen und befahl dem Kutscher bei dem Theater dei Fiorentini vorzufahren.

Peppino stieg mittlerweile auf einen Eckstein und betrachtete beim Schein der vor einem Madonnenbilde brennenden Laterne die Münze, welche er soeben empfangen, genauer.

»O,« sagte er, »er hat mit anstatt eines Piasters blos einen Ducato gegeben und mich folglich um zwei Carlini bestohlen. Diese vornehmen Herren sind doch rechte Schufte.«

Während Peppino diese Lobrede auf den Marquis Malaspina hielt, fuhr dieser nach dem Theater dei Fiorentini.

An dem Thor des Theaters oder vielmehr auf dem kleinen Platze vor demselben sah er den Wagen des Vicekönigs, woraus er schloß, daß dieser noch im Theater sei.

Er sprang aus dem Wagen, bezahlte seinen Kutscher, ging rasch die Treppe hinauf und ließ sich die Thür der Loge des Fürsten öffnen.

Bei dem Geräusch, welches diese sich öffnende Thür machte, drehte der Fürst sich herum.

»Ah, Malaspina,« sagte der Fürst, »Sie sind es?«

»Ja, mein Fürst,« antwortete der Marquis in seinem gewöhnlichen kurzen Tone.

»Nun?«

»Es ist Alles besorgt und morgen Vormittag zehn Uhr werden die Befehle des Königs vollzogen werden.«

»Ich danke,« antwortete der Fürst. »Setzen Sie sich. Sie haben das Duett des zweiten Actes versäumt, zum Glück aber kommen Sie gerade noch zeitlich genug, um die große Arie: »Pira che spunti l’aurora!« zu hören.

Achtzehntes Capitel
Die Märtyrerin

Gern möchten wir die letzten Einzelheiten, die uns noch zu erzählen übrig bleiben, verschweigen und, am Ende des schmerzenreichen Weges angelangt, einfach auf den Stein eines Grabes die Worte: »Hier ruht Luisa Molina San Felice, die Märtyrerin« schreiben; die unversöhnliche Geschichte aber, welche uns während dieser ganzen langen Erzählung geleitet hat, will, daß wir bis ans Ende gehen, sollten selbst die Kräfte uns versagen und wir wie der göttliche Herr und Meister unterwegs dreimal unter der Wucht unserer Last zusammenbrechen.

Wenigstens aber werden wir – wir schwören dies nicht mit Schrecknissen spielen. Wir erfinden nichts; wir erzählen das Ereigniß, wie ein einfacher Zuschauer der Tragödie es erzählen würde. Ach, leider wird auch dieses Mal die Wirklichkeit Alles übertreffen, was die Phantasie erfinden könnte. Gott des jüngsten Gerichts! Gott der Rache! Gott Michel Angelos! Verleihe uns Kraft, auszuharren bis ans Ende.

Wie wir in dem vorhergehenden Capitel angedeutet, war die Gefangene der Citadelle von Castellamare, nachdem sie kaum ihre schmerzenreiche Niederkunft überstanden, auf der Corvette »die Sirene« von Palermo nach Neapel transportiert, nach ihrer Ankunft hier in das Gefängniß der Vicaria gebracht und in das an die Capelle anstoßende Gemach gesperrt worden.

Hier war sie, da sie weder stehen noch sitzen konnte, buchstäblich auf eine Matratze gefallen. Sie war so schwach, so sterbend, ja man konnte sagen schon so todt, daß man es für unnöthig gehalten hatte, ihr Ketten anzulegen. Die Schließer fürchteten eben so wenig, sie entfliehen zu sehen, als der Jäger die Taube davonfliegen zu sehen fürchtet, welcher sein Schuß bereits beide Flügel zerschmettert hat.

In der That waren die beiden Bande, welche sie noch an das Leben hätten fesseln können, zerrissen. Sie hatte gesehen, wie Salvato zusammenbrach, niedersank und für sie sein Leben aushauchte, und gleich einer Mahnung, daß sie nicht das Recht hätte, den Mann, der sie so sehr geliebt, zu überleben, hatte sie das Kind noch vor der von der Natur bestimmten Zeit sich ihrem Schooße entwinden gesehen.

Ihrem armen zerschmetterten Körper ebenfalls die Seele zu entreißen, war etwas sehr Leichtes.

Sei es nun Mitleid oder sei es, um dem furchtbaren Ceremoniell des Todes zu genügen, fragten ihre Wächter sie, ob sie etwas bedürfe.

Sie besaß nicht die Kraft zu antworten, und begnügte sich, verneinend den Kopf zu schütteln.

Die von dem König Ferdinand gemachte Mittheilung, daß sie auf den Tod vorbereitet sei und ohne nochmalige Beichte sterben könne, war dem Gouverneur der Vicaria gemeldet und der Priester demzufolge erst zu der Stunde bestellt worden, zu welcher sie das Gefängniß verlassen sollte, nämlich acht Uhr Morgens.

Die Hinrichtung sollte erst um zehn Uhr stattfinden, die arme Frau aber, welche unter der Anklage starb, die Hinrichtung der beiden Backers verschuldet zu haben, sollte an der Thür des Hauses derselben und an der Stelle, wo sie erschossen worden, Ehrenerklärung und Abbitte thun.

Dieser Beschluß war noch von einem anderweiten sehr großen Vortheile begleitet. Man erinnert sich jenes Briefes des Königs, worin er dem Cardinal Ruffo schreibt, er wundere sich nicht, daß es auf dem Altmarkt Tumult gegeben habe, da ja seit acht Tagen in Neapel Niemand gehängt worden sei. Nun aber hatte seit länger als einem Monat keine Hinrichtung stattgefunden. Man wußte, daß die Gefängnisse durch die Henker fast geräumt waren. Man konnte deshalb nicht mehr auf dieses beliebte Schauspiel rechnen, um das Volk in Unterwürfigkeit zu erhalten.

Die Hinrichtung der San Felice kam daher sehr gelegen und man mußte sie so auffallend und schmerzlich als möglich machen, um die wilden Bestien des Altmarktes, welche Ferdinand seit sechs Monaten mit Menschenfleisch fütterte und mit Blut tränkte, Geduld zu lehren.

Allerdings bereitete der Zufall, indem er Meister Donato, das heißt den patentierten Henker, entfernte und den Beccajo, das heißt einen dilettierenden Henker, an seine Stelle setzte, in dieser Beziehung dem geliebten Volke Seiner sicilichen Majestät einige süße Ueberraschungen.

Wir werden nicht versuchen zu malen, was diese Nacht der Angst und Pein für die arme Frau war. Allein ihren Geliebten und ihr Kind todt wissend, mit äußerlich und innerlich zerrissenem und verstümmeltem Körper auf diese Sterbematratze geworfen, in diesem Vorgemach des Blutgerüstes, welches so viele Märtyrer vorübergehen gesehen, lag sie da in der furchtbaren Unempfindlichkeit moralischer und physischer Vernichtung und erwachte aus derselben nur, um die Stunden zu zählen, während jeder Schlag wie ein Dolchstich ihr Herz durchbohrte. Wenn das letzte Summen verhallte und sie die Zeit berechnet hatte, welche ihr noch zu leben übrig blieb, ließ sie den Kopf auf die Brust herabsinken und versank wieder in ihre Erstarrung.

Endlich schlug es vier Uhr, fünf Uhr, sechs Uhr und der Tag graute – der letzte.

Er war trüb und regnerisch und stimmte wenigstens insoweit mit der traurigen Ceremonie überein, welche er beleuchten sollte. Es war ein trauriger Novembertag, einer jener Tage, welche den Tod des Jahres verkünden. Der Wind pfiff in den Corridors; der in Strömen fallende Regen peitschte die Fenster. Luisa, welche fühlte, daß die Stunde nahte, erhob sich mit Mühe auf ihre Knie, lehnte ihren Kopf an die Mauer und begann, da sie sich auf diese Weise halb aufgerichtet halten konnte, zu beten.

Aber sie konnte sich auf kein Gebet mehr besinnen, oder vielmehr, da sie die Situation, in der sie sich befand, nie vorhergesehen, so hatte sie auch kein Gebet für dieselbe; ihre Lippen waren nur das Echo eines verzweifelten Herzens und wiederholten: »Mein Gott! mein Gott! mein Gott !«

Um sieben Uhr öffnete man die äußere Thür der Bianchi. Sie schauderte, ohne zu wissen, was das Geräusch, welches sie hörte, bedeutete. Jedes Geräusch aber war für sie ein Schlag, den der Tod an das Thor des Lebens that.

Um halb acht Uhr hörte sie einen schweren hinkenden Tritt in der Capelle, dann öffnete sich die Thür ihres Gefängnisses und sie sah auf der Schwelle desselben eine phantastische, gräßliche Erscheinung, ein Wesen, wie es durch die Umarmungen des Alps erzeugt wird.

Es war der Beccajo mit seinem hölzernen Bein, seiner verstümmelten linken Hand, einem gespaltenen Gesicht, seinem ausgeschlagenen Auge.

Ein breites Hackmesser stak in einem Gürtel neben dem, womit er die Böcke und Hammel abzuschlachten pflegte.

Er lachte.

»Ah, da bist Du ja, meine Schöne,« sagte er. »Ich wußte anfangs gar nicht, welches Glück mir beschieden sei. Ich wußte wohl, daß Du die Verrätherin bist, welche die armen Backers denuncirt hat, aber ich wußte nicht, daß Du das Liebchen jenes nichtswürdigen Salvato gewesen bist. – Dieser ist also todt,« setzte er mit den Zähnen knirschend hinzu, »und ich werde folglich nicht die Freude haben, Euch beiden das Lebenslicht auszublasen. Allerdings,« hob er wieder an, »wäre ich auch ein wenig verlegen gewesen, zu wissen, mit welchem von beiden ich anfangen sollte.«

Dann ging er die drei oder vier Stufen hinab, welche aus der Capelle in das Gefängniß führen, und als er Luisa’s prachtvolles Haar sah, welches ihr aufgelöst über die Schultern herabhing, sagte er:

»Ah, dieses Haar! Schade, daß es abgeschnitten werden muß.«

Dann näherte er sich der Gefangenen.

»Vorwärts!« sagte er; »stehen wir auf, es ist Zeit.«

Und mit brutaler Geberde streckte er die Hand aus, um sie unter dem Arme zu fassen.

Ehe aber noch ein hölzernes Bein ihm gestattet hatte, das Gemach zu durchschreiten, öffnete sich die Thür der Bianchi und ein mit seinem langen weißen Gewand bekleideter Büßer, von dem nur die Augen durch die Oeffnungen seiner Capuze hindurch funkelten, stellte sich zwischen den Henker und das Schlachtopfer, und streckte die Hand aus, um den Beccajo abzuhalten, noch einen Schritt weiter zu thun.

»Ihr werdet diese Frau nicht eher als auf dem Blutgerüst berühren,« sagte er.

Bei dem Klange dieser Stimme stieß Luisa einen Schrei aus, und indem sie Kräfte wiederfand, welche sie selbst für immer verloren zu haben glaubte, richtete sie sich vollends auf ihre Füße empor, lehnte sich aber an die Wand, als ob diese Stimme, so sanft dieselbe auch war, ihr mehr Schrecken verursachte als selbst die drohende oder spöttische Stimme des Beccajo.

»Sie muß aber im Hemd und barfuß gehen, um Abbitte zu thun,« antwortete der Beccajo. »Ferner müssen ihr auch die Haare abgeschnitten werden, damit ich ihr den Kopf abschneiden kann. Wer wird ihr das Haar abschneiden? wer wird ihr das Kleid ausziehen?«

»Ich,« sagte der Büßer in demselben sanften und zugleich festen Tone wie vorher.

»Ja, Du,« sagte Luisa mit unbeschreiblichem Ausdruck und indem sie zugleich die Hände faltete.

»Du hörst,« sagte der Büßer; »geh’ hinaus und erwarte uns in der Capelle. Du hast hier nichts zu thun.«

»Ich habe aber volles Recht auf dieses Weib,« rief der Beccajo.

»Du hast ein Recht auf ihr Leben, aber nicht auf sie selbst. Du hast von den Menschen Befehl erhalten, sie zu tödten. Ich habe von Gott Befehl erhalten, ihr im Tode zur Seite zu stehen. Führen wir jeder den Befehl aus, den wir empfangen haben.«

»Ihre Kleider aber gehören mir, ihr Geld gehört mir, Alles was sie hat, gehört mir. Schon ihr Haar allein ist vier Ducati werth.«

»Hier sind hundert Piaster,« sagte der Büßer, indem er eine mit Gold gefüllte Börse in die Capelle hinauswarf, um den Beccajo zu nöthigen, die sich dort zu holen.

»Schweig und gehe.«

In dem teuflischen Gemüth des Beccajo fand ein augenblicklicher Kampf zwischen der Habsucht und dem Hasse statt. Die Habsucht trug den Sieg davon. Er ging fluchend und schimpfend hinaus in die Capelle.

Der Büßer folgte ihm und schloß die Thür in so weit, daß die Gefangene dadurch neugierigen Blicken entzogen ward.

Wir haben bereits gesagt, worin die Macht der Bianchi bestand und wie ihr Schutz sich auf die letzten Augenblicke der Verurtheilten erstreckte, welche dem Henker erst dann gehörten, wenn sie, die Bianchi, die Hand von der Schulter des Delinquenten hinweggenommen und zu dem Nachrichter gesagt hatten: »Dieser Mann oder dieses Weib ist dein.«

Der Büßer ging langsam die Stufen der Treppe hinunter, zog eine Schere unter seinem Gewand hervor, näherte sich Luisa und zeigte sie ihr.

»Du oder ich?« fragte er.

»Du! o Du!« rief Luisa.

Und sie wandte sich so gegen ihn, daß er jene letzte traurige Verrichtung bewirken konnte, welche man die Toilette des Verurtheilten nennt.

Der Büßer unterdrückte einen Seufzer, hob die Augen gegen Himmel und man konnte durch die Oeffnung seiner Leinwandmaske hindurch große Thränen aus seinen Augen rollen sehen.

Dann faßte er so sanft, als er konnte, mit seiner linken Hand das üppige Haar der Gefangenen zusammen, schob mit der rechten die Schere zwischen seine linke Hand und den Hals, wobei er alle mögliche Vorsicht gebrauchte, um diesen nicht mit dem Eisen zu berühren, und schnitt dann langsam diese Zierde des Lebens ab, welche in der Stunde des Todes ein Hinderniß ward.

»Wem willst Du, daß dieses Haar zugestellt werde?« fragte der Büßer, als das Haar abgeschnitten war.

»Behalte es um der Liebe zu mir willen; ich bitte inständig darum,« sagte Luisa.

Der Büßer drückte, während Luisa es nicht sehen konnte, das Haar an seine Lippen und küßte es.

»Und nun,« sagte Luisa, indem sie sich mit der Hand schaudernd über den entblößten Nacken fuhr, »was bleibt mir nun zu thun?«

»Der Richterspruch verurtheilt Dich, im Hemd und barfuß Abbitte zu thun.«

»Ha, diese Tieger!« murmelte Luisa, deren Schamgefühl sich empörte.

Der Büßer kehrte, ohne ein Wort zu sagen, in das Ankleidezimmer der Bianchi, vor dessen Thür eine Schildwache auf- und abschritt, zurück, nahm ein Büßergewand vom Nagel, schnitt mit seiner Schere die Capuze ab, reichte es dann Luisa und sagte:

»Ach, leider ist das Alles, was ich für Dich thun kann!«

Die Verurtheilte stieß einen Freudenruf aus. Sie hatte begriffen, daß dieses Gewand, welches bis an den Hals hinaufreichte und bis auf die Füße herabfiel, kein Hemd, sondern ein Leilach war, welches ihre Blöße vor Aller Blicken verhüllte und im Voraus das geheiligte Schweißtuch des Todes über sie ausbreitete.

»Ich gehe,« sagte der Büßer; »wenn Du bereit bis, wirst Du mich rufen.«

Zehn Minuten später hörte man Luisas Stimme, welche sagte:

»Mein Vater !«

Der Büßer trat wieder ein.

Luisa hatte ihre Kleider auf einen Schemel gelegt. Sie war jetzt blos mit ihrem Hemd oder vielmehr mit ihrem Gewand bekleidet und ihre Füße waren nackt.

Die Spitze eines derselben lugte unter dem Gewand hervor. Das Auge des Büßers heftete sich auf diesen so zarten Fuß, womit sie auf dem Pflaster von Neapel bis zum Schaffot gehen sollte.

»Gott will,« sagte er, »daß dein Märtyrerthum vollständig sei. Muth, Muth! Du wandelt den Weg zum Himmel.«

Und indem er ihr seine Schulter bot, auf welche sie sich stützte, ging er mit ihr die Stufen der kleinen Treppe hinauf. Die Thür der Capelle aufstoßend sagte er: »Da sind wir.«

»Ihr habt Euch gehörig Zeit genommen,« sagte der Beccajo. »Allerdings, wenn die Verurtheilte hübsch ist —«

»Schweig, Elender!« sagte der Büßer. »Du hast das Recht, den Tod zu geben, aber nicht Beschimpfungen zuzufügen.«

Man stieg die Treppe hinab, passierte die drei Gitterthore und gelangte in den Hof.

Zwölf Priester warteten hier mit den Chorknaben, welche die Banner und Kreuze trugen.

Vierundzwanzig Bianchi hielten sich bereit, die Verurtheilte zu begleiten, und Mönche von verschiedenen Orden, welche unter den Arcaden standen, sollten den Zug vervollständigen.

Der Regen fiel immer noch in Strömen. Luisa schaute sich um. Sie schien etwas zu suchen.

»Was wünschest Du?« fragte der Büßer.

»Ich möchte ein Crucifix haben,« sagte Luisa.

Der Büßer zog ein an einem schwarzen Sammtbande hängendes kleines silbernes Crucifix aus seinem Gewande und hing es ihr um den Hals.

»O mein Heiland!«, sagte sie, »niemals werde ich leiden, was Du gelitten hat, aber ich bin Weib; verleihe mir Kraft!«

Sie küßte das Crucifix, und wie durch diesen Kuß gestärkt sagte sie:

»Gehen wir.«

Der Zug setzte sich in Bewegung. Die Priester gingen voran und stimmten ein Sterbelied an.

Gräßlich in seiner Freude, mit wildem Gelächter, mit der rechten Hand sein Beil schwingend, als ob er Jemanden den Kopf abschlüge und sich mit der Linken auf einen Stock stützend, um seinen hinkenden Gang zu erleichtern, folgte hinter den Priestern der Beccajo.

Dann kam Luisa, den rechten Arm auf die Schulter des Büßers stützend und mit der linken Hand das Crucifix an die Lippen drückend.

Hinter ihnen kamen die vierundzwanzig Bianchi.

Zuletzt, nach den Bianchi, folgten Mönche von allen Orden und allen Farben.

Der Zug kam auf den Platz der Vicaria heraus. Die Menschenmenge war unzählig.

Freudengeschrei begrüßte mit Schmähungen und Verwünschungen untermischt den Zug. Die Verurtheilte war aber so jung, so ergeben, so schön, es waren so viel Gerüchte, von welchen einige nothwendig Interesse und Theilnahme erregen mußten, über sie in Umlauf gekommen, daß nach Verlauf von einigen Augenblicken die Schmähungen und Drohungen allmälig verstummten und Schweigen eintrat.

Der Leidensweg war vorgezeichnet. Durch die Strada dei Tribunali erreichte man die Toledostraße, welche man fast in ihrer ganzen Länge durchzog und in welcher die Häuser von Köpfen erbaut zu sein schienen.

Am äußersten Ende dieser Straße bogen die Priester links ab, um den Largo Castello herum und in die Via Medina ein, wo, wie man sich erinnert, das Haus der Backers stand.

Das Portal desselben war in eine Trauerdecoration verwandelt, deren unterer Theil in einer Art Altar bestand, welcher mit papierenen Blumen und Wachskerzen geschmückt war, welche letzteren der Wind aber ausgelöscht hatte.

Hier machte der Zug Halt und bildete um Luisa herum einen großen Halbkreis, dessen Mittelpunkt sie ward. Der Regen hatte ihr Gewand durchnäßt, so daß es an ihren Gliedern anklebte. Schaudernd vor Frost kniete sie nieder.

»Betet!« sagte ein Priester in hartem Tone zu ihr.

»Selige Märtyrer des Himmels, meine Brüder, betet für eine Unglückliche, die eine Märtyrerin ist wie Ihr!« sagte Luisa.

Nachdem man ungefähr zehn Minuten Halt gemacht, setzte man sich wieder in Bewegung.

Diesmal legte die Todesprozession eine Strecke des bereits gemachten Weges wieder zurück, bog in die Strada del Molo ein, passierte die Strada Nuova, kehrte über den Marktplatz in das alte Neapel zurück und blieb der großen Mauer gegenüber stehen, an welcher die Backers erschossen worden.

Das schlechte Pflaster der Quais hatte die Füße der Märtyrerin blutig geritzt, der rauhe, vom Meere her wehende Wind machte ihr das Blut erstarren. Bei jedem Schritt, den sie that, ächzte sie dumpf, aber dieses Aechzen ward durch den Gesang der Priester übertäubt. Die Kräfte verließen sie, der Büßer hatte aber seinen Arm um ihren Leib geschlungen und hielt sie aufrecht.

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04 aralık 2019
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