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Kitabı oku: «Olympia von Clèves»

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Erstes bis viertes Bändchen

I.
Avignon

Neapel sehen und dann sterben, sagt der Neapolitaner. Wer Sevilla nicht gesehen hat, hat nichts gesehen, sagt der Andalusier. Vor dem Thore von Avignon bleiben heißt vor dem Thore des Paradieses bleiben, sagt der Provencal.

Wenn man dem Geschichtsschreiber der päpstlichen Stadt glauben darf, ist Avignon in der Tat nicht nur die erste Stadt des Süden, sondern auch von Frankreich, sondern auch der Welt.

Man höre, was er darüber sagt:

»Avignon ist edel durch sein Altertum, angenehm durch seine Lage, herrlich durch seine Mauern, lachend durch die Fruchtbarkeit seines Bodens, reizend durch die Sanftheit seiner Einwohner, prächtig durch seine Paläste, schön durch seine großen Straßen, wunderbar durch den Bau seiner Brücke, reich durch seinen Handel und bekannt auf der ganzen Erde.«

Das ist hoffentlich ein schönes Lob! Nun! diesem Lobe, obgleich wir hundert Jahre nach dem, welcher es ausgesprochen hat, kommen, werden wir beinahe nichts benehmen, und sogar etwas beifügen.

In der Tat, für den Reisenden, der den Fluß herabfährt, welchem Tibull das Epitheton Celer, Ausonius das Preaceps und Florus das Impiger gegeben hat; für denjenigen, welcher von Montélimart an dem wärmeren Tone des Terrain, an der durchsichtigeren Luft, an den festeren Konturen der Gegenstände wahrzunehmen anfängt, daß er im Süden ist, für denjenigen, welcher endlich schauernd unter den mörderischen Bögen der Heiligen-Geist-Brücke passiert, von denen jeder seinen Namen hat, damit man im Augenblick, wo ein Schiff an einem derselben scheitert, weiß, an welchen Ort man Hilfe bringen soll; für den, der Roquemauré, wo Hannibal mit seinen vierzig Elefanten über die Rhone setzte, zu seiner Rechten, das Schloß Mornas, von welchem herab der Baron des Adrets eine ganze katholische Garnison springen ließ, zu seiner Linken lässt, bietet sich Avignon bei einer der Wendungen des Flusses plötzlich mit einer wahrhaft königlichen Pracht.

Allerdings ist das Einzige, was man von Avignon in dem Augenblick erschaut, wo man Avignon erschaut, sein riesiges Schloß, der Palast der Päpste, ein Gebäude aus dem vierzehnten Jahrhundert, das einzige vollkommene Muster der militärischen Architektur jener Zeit, erbaut aus dem Platze, wo sich einst der Tempel der Diana erhob, welcher der Stadt seinen Namen gegeben hat.

Wie bat nun ein Tempel der Diana seinen Namen dem zukünftigen Wohnsitze der Päpste geben können? Wir werden es sagen, wobei wir für uns die Nachsicht in Anspruch nehmen, mit der wir die Leserinnen sehr verschwenderisch gegen die Etymologen gesehen haben.

Ave Diana! gegrüßet seist du, Diana! sagte der Reisende, wenn er in der Ferne den Tempel der keuschen Göttin zur Zeit der schönen Latinität, im Jahrhundert vor Cicero. Virgil und Augustus, erblickte.

Ave Niana! fingen an die Schiffer im Jahrhundert vor Constantin, das heißt in einer Zeit zu sagen, wo das Idiom des Landes schon die Reinheit der lateinischen Sprache verdorben hatte.

Ave Nio, sagten die Soldaten der Grafen von Toulouse, von Provence, von Forcalquier: daher Avignon.

Man bemerke wohl, daß dies Geschichte ist: wir wären viel positiver, als wir es sind, wenn wir statt Geschichte Roman machten.

Man sieht also, daß zu allen Zeiten Avignon eine bevorzugte Stadt gewesen ist; überdies hat sie, eine der ersten, eine herrliche Brücke gehabt, eine Brücke erbaut 1177 von einem jungen Hirten Namens Bennezet, der, nachdem er Lämmer gehütet, Seelenhirte wurde und das Glück hatte, heilig gesprochen zu werden; freilich sind heute nur noch drei bis vier Bögen von dieser Brücke übrig, welche unter der Regierung Ludwig XIV, im Jahre der Gnade 1689, das heißt, ungefähr acht und fünfzig Jahre vor der Zeit, wo die Geschichte beginnt, die wir erzählen wollen, zerstört worden ist.

Aber vornehmlich gegen das Ende des vierzehnten Jahrhunderts war Avignon glänzend anzuschauen. Philipp der Schöne, der Clemens V. und seinen Nachfolgern Wachen, ein Gefängnis und ein Asyl zu geben geglaubt hatte, hatte ihnen einen Hof, einen Palast und ein Königreich gegeben.

Es war in der Tat ein Hof, ein Palast und ein Königreich, was diese Königin des Luxus, der Üppigkeit und der Schwelgerei besaß, die mau Avignon nannte; sie hatte einen Gürtel von Mauern, welche um ihre prallen Flanken von Hernaudy von Herodia, dem Großmeister des Ordens der Johanniter von Jerusalem, geschlossen worden war; sie hatte ausschweifende Priester, die den Leib Christi mit Händen glühend vor Unkeuschheit berührten; sie hatte schöne Buhlerinnen, Schwestern, Nichten und Konkubinen der Päpste, welche die Diamanten aus der Tiara brachen, um sich Armspangen und Halsbänder daraus zu machen; sie hatte endlich Echos der Quelle von Baucluse, welche verliebt den süßen Namen Laura wiederholten und sie beim Klang der weichen, wollüstigen Lieder von Petrarca einwiegten.

Allerdings, als auf die Bitte der heiligen Brigitta von Schweden und der heiligen Catharina von Sienn Gregor IX Avignon im Jahre 1376 verließ und nach Rom abreiste, wo er am 17. Februar 1377 ankam, allerdings war Avignon, seines Glanzes beraubt, während es sein Wappen behielt, was drei goldene Schlüssel in rotem Feld, getragen von einem Adler mit dem Wahlspruch: Unguibus et rostris, sind, nur noch eine trauernde Witwe, ein einsamer Palast, ein leeres Grab. Die Päpste behielten wohl Avignon, dessen Ertrag sehr groß war, aber wie man ein Schloß behält, das man nicht mehr bewohnt: sie schickten wohl einen Legaten dahin, um ihre Stelle zu vertreten, doch der Legat ersetzte sie, wie der Verwalter den Herrn, wie die Nacht den Tag ersetzt.

Avignon blieb indessen die vorzugsweise religiöse Stadt, da man zur Zeit, wo diese Geschichte beginnt, daselbst noch 109 Chorherren, 41 Beneficiare, 350 Mönche und 350 Nonnen zählte, welche, nebst mehreren untergeordneten, dem Dienste der acht Kapitel beigegebenen Geistlichen eine Gesamtsumme von 900 für die Bedienung der Altäre bestimmten Personen, das heißt den achtundzwanzigsten Teil der Bevölkerung, bildeten.

Dabei besaß Avignon, nachdem es siebenmal sieben Päpste gehabt, welche siebenmal zehn Jahre regiert hatten, noch im Jahre 1727 siebenmal sieben für die Schönheit, die Annehmlichkeit und die Moralität einer Stadt wichtige Dinge.

Es hatte sieben Thore, sieben Paläste, sieben Kirchspiele, sieben Collegialkirchen, sieben Hospitäler, sieben Mannsklöster und sieben Nonnenklöster.

Was den Reiz betrifft, der für Avignon aus der von seinem Geschichtsschreiber Francis Nouguier gerühmten Sanftheit seiner Bewohner entspringt, so scheint uns dies weniger begründet als das Uebrige, und in diesem Punkte müssen wir dem Urteil des nationalen Schriftstellers entgegentreten und ihn an die ewigen Zwistigkeiten der weißen Büßer und der schwarzen Büßer erinnern, die einander bei jeder Gelegenheit umbringen und die Stadt in zwei stets mit derben Püffen verproviantierte Lager teilen.

Wohlverstanden, wir werden ihm gegenüber weder von den Schlächtereien der Glaciére im Jahre 1731, noch von der Ermordung des Marschall Brune im Jahr 1815 sprechen. Das sind zwei Ereignisse, welche der gute Francois Nouguier, so gelehrt er auch war, in der Zeit, wo er schrieb, nicht vorhersehen konnte.

Abgesehen jedoch von der, im neunzehnten Jahrhundert ein wenig bestreitbaren, reizenden Sanftheit, bot sich Avignon am Anfange des achtzehnten Jahrhunderts unter dem Auge und dem Geiste des Reisenden sehr angenehmen Verhältnissen.

Außer den Dominicanern, die sich in dieser Stadt 1226 festgesetzt hatten, außer den Franciscanern, welche 1227 aufgenommen worden waren, außer seinen großen Augustinern, seinen großen Carmelitern, seinen Mathurinen, seinen Benedictinern, seinen Cölestinern, seinen Minimen, seinen Capucinern, seinen Recollecten, seinen Vätern von der christlichen Doctrine, seinen Carmelitern- Barfüßern, seinen Antoninern, seinen Augustinern, seinen Priestern des Oratorii und seinen Observanten hatte Avignon sein Collegium und sein Noviciat der Jesuiten, gegründet im Jahre 1587 durch Louis von Anezune.

Wer aber zu jener Zeit Jesuiten sagte, der sagte gelehrte Leute, liebenswürdige Leute, Leute, die an jeder Bewegung des Jahrhunderts Teil nahmen, mochte sie der Handel als Vermittler nach den entfernten, unbekannten Meeren fortführen, in die sich der Ganges und der Blaue Fluß, diese Rhonen Indiens und Chinas, ergießen; mochte sie der Eifer der Mission nach einer neuen Welt treiben und aus die Ebenen Brasiliens und in die Gebirge von Chili werfen: mochte ihnen, wo sie in Europa stationär waren, die Politik, ein Buch ohne Ende, ihre Blätter entrollen, von denen jedes Wort eine getäuschte Hoffnung oder ein befriedigter Ehrgeiz, ein gegründeter Thron oder eine zerbrochene Krone ist; mochte sie endlich die Poesie oder die Literatur, als sanfte Erben der Benedictiner, unter die weißen Bogen des Klosters, zwischen einen magern, an Blumen geizigen Rasen und einen glänzenden, durch die hohen Profile der Collegialkirche ausgeschnittenen Sonnenstrahl, verbannen.

Avignon, diese bevorzugte Stadt, welche Alles das hatte, was die andern Städte haben, und tausend Dinge noch dazu, Avignon hatte also seine Jesuiten, und in die Kapelle des Noviciats führen wir vor Allem unsere Leser, indem wir ihnen bemerken, daß wir uns in den ersten Tagen des Monats Mai 1727 unter der Regierung von König Ludwig XV., der damals siebzehn Jahre alt, befinden.

Auf dem Gipfel einer Straße, die man die Novizen« Straße nannte, wir sagen aus dem Gipfel, weil die Straßen von Avignon, einer gegen den Mistral und die Sonne gebauten Stadt, meistens von steilen Steigen und jähen Abhängen gebildet werden, in der Novizen« Straße erhob sich das Gebäude des Noviciats, Wohnung und Kapelle.

Der Form und besonders dem Gedanken nach allen denjenigen ähnlich, welche die Jesuiten in Frankreich und sogar außerhalb Frankreich errichtet haben, affektierte das Gebäude den nüchternen, bescheidenen Styl, der keiner Periode angehört und diejenigen, welche ihn anwenden, nicht gefährden kann, weil er nichts den Augen materiell offenbart und man ein sehr gelehrter Archäolog sein muss, um die Seele der Steine in einer Gesellschaft zu suchen, wo viele Leute die Seele der Menschen leugnen.

Die Jesuiten, Schmarotzer reisende, verlarvte Eroberer mussten, während es ihnen von der Herrschaft der Schritt für Schritt eroberten Welt träumte, wenn sie sich niederließen, wo sie sich niederließen, darüber wachen, daß ihr Zelt, bestimmt, eines Tags eine Zitadelle zu werden, nicht das Licht benahm. Jeder Schmarotzer, wenn er sich an einen Tisch setzt, ist darauf bedacht, sich nicht zu kleiden wie der Reiche oder nicht in Lumpen zu gehen wie der Arme: er würde den Blick auf seinen Reichtum oder auf seine Armut ziehen. Jeder Ehrgeizige muss Bescheidenheit, wenn nicht Demut, heucheln, entschlossen, im gegebenen Augenblick seine Klaue auszustrecken wie der Tiger oder seinen Rachen auszusperren wie der Hai.

Die Gesellschaft Jesu hatte auch in Flandern, in Frankreich oder in Spanien, wo ihre bedeutendsten Häuser waren, den Schöpfern dieser Anstalten nur die unscheinbare Bauart des Klosters oder der Kaserne erlaubt, welche in jener Zeit ans großen Mauern von Backstein oder Stein, mit langen vergitterten Fenstern, einigen in der Verzierung sehr nüchternen Hallen und ein paar Halbsäulen bestand, als ob die Säule mit hoch erhabener Arbeit ein zu sehr in die Augen fallender Luxus gewesen wäre.

Dieselbe Strenge im Innern, verbunden mit einer ängstlichen Sorge für die Erhaltung der Gesundheit und die Tagesordnung, und die gerade Linie überall, wo die Väter ihre Novizen zu überwachen hatten, Schatten und Krümmungen überall, wo die Väter dem Publikum zu begegnen hatten.

Wir unternehmen es übrigens nicht, das Innere der Jesuiten von Avignon zu beschreiben; eine von unseren Personen erwartet uns in der Kapelle der Novizen, und, in Betracht ihrer Wichtigkeit, eilen wir zu ihr.

Da indessen jedes Drama seine Inszenierung braucht, so werden wir ein Wort von dieser Kapelle sagen, in die wir unsere Leser einführen, wie wir ihnen ein Wort von der Stadt, die sie mit uns so eben durchschritten, gesagt haben.

Sie mögen also auf der Schwelle stehen bleiben, und sie werden ein kreisförmiges Schiff von mäßigem Durchmesser mit Fenstern ohne Figuren sehen, welche, das Licht unter der Kuppel empfangend, dasselbe ganz nach den Gewölben sandten, aber es stufenweise dämpften, daß es gemildert aus die Platten des Bodens kam: ein langer und wenig geschmückter Altar, wie eine Sehne am Bogen des gewölbten Chors ausgespannt; hinter diesem Altar einige eichene Chorstühle, dunkel und bedeckt zur Erleichterung der Beaufsichtigung oder der Meditation der Väter, wenn sie sich während des Gottesdienstes darein setzten.

Das ist mit wenigen Zügen die Zeichnung der Örtlichkeit.

Es war ein Uhr und jeder Gottesdienst beendigt; während die Sonne die Stadt verzehrte, war die Kirche verödet.

Nur links vom Altar, neben einem engen Gange, der zu den erwähnten Chorkühlen führte, saß ein junger Noviz mit dem schwarzen Ordenskleid aus einem Stuhle an einer Säule, den Kopf halb in ein Buch begraben, das er nicht las, sondern verschlang.

Dieser junge Mann war indessen nicht so sehr in seine Lesung vertieft, daß er nicht zuweilen einen verstohlenen Blick nach seiner Rechten und nach seiner Linken warf.

Nach seiner Linken, das heißt nach der kleinen Thür, durch welche die Väter vom Noviciat in die Kapelle gehen konnten.

Nach seiner Rechten, das heißt nach der Seite der großen Thür, durch welche die Gläubigen in die Kirche eintreten konnten.

War es Neugierde, war es Zerstreuung, Zerstreuung, ach! so natürlich bei der Jugend, für welche Brevier und Ritual nur leeres, einförmiges Futter sind!

Wir sagten aber, der junge Noviz habe die Blätter seines Buches zu verschlingen geschienen; schaute er so nach rechts und links, um die Bewunderung eines Aufsehers zu belauern, und war er, statt ein Zerstreuter zu sein, ein Heuchler?

Weder das Eine, noch das Andere.

Wer hinter ihn getreten wäre und hätte zugleich mit ihm in dem Buche gelesen, würde bemerkt haben, daß in dem Missal eine Broschüre von kleinerem Format, von weißerem und frischerem Papier verborgen war; eine Broschüre, deren typographische Justierung unregelmäßig, das heißt von jenen ungleichen Zeilen gebildet war, welche neun und zwanzig Jahre später Meister André als Kriterion dienen sollten, um die Verse von der Prosa zu unterscheiden, wenn er sie mit einem Bindfaden maß, um sie nicht zu lang und nicht zu kurz zu machen.

Man durfte sich also nicht wundern, daß dieser Noviz die Überraschungen befürchtete. – Das ist das Eigentümliche von jedem Schüler, der in der Klasse ein verbotenes Buch In seinem Lehrbuch verbirgt. – Nur ist ein Unterschied zwischen den verbotenen Büchern, wie ein Unterschied zwischen den Menschen ist; es gibt das ein wenig verbotene Buch und es gibt das sehr verbotene Buch; es gibt, welche die Strafaufgabe von hundert Versen nach sich ziehen, und es gibt, welche die Zurückbehaltung des Schülers oder gar das Gefängnis zur Folge haben.

Zu welcher Klasse gehörte das Buch, das der Jünger von Loyola las, und in das er seine Augen und seinen Geist so glühend tauchte?

Um dieses Problem zu lösen, hätte ein Beobachter nicht einmal nötig gehabt, sich ihm zu nähern; er hätte Alles an der schaukelnden Bewegung seines Kopfes, an einer gewissen geheimnisvollen Kadenz seiner Stimme, die sich von der Psalmodie entfernte, um sich jener damals im Theater angenommenen Art von Gesang zu nähern, erkannt. Seine Überzeugung hätte endlich vollständig werden können bei gewissen Gebärden, welche unvorsichtig der Arm und die Finger des Novizen entwickelten, nicht wie die weichen Arme und die sanften Finger eines Predigers, der eine Rede hält, sondern wie der drohende Arm und die krampfhaften Finger eines Schauspielers, der eine Rolle spielt.

Und seit mehr als einer halben Stunde psalmodirte und gestikulierte der Noviz so, als die plötzliche Ankunft eines Fremden, welcher an der Thür der Kirche erschien, und dessen hastige, ungleiche Tritte aus den Platten erschollen, den Psalmodisten unterbrach und die Gebärde der zweiköpfigen Armmuskel aus das Handgelenk als das einzige Gelenk einschränkte, welche den Gläubigen in einer Kirche nebst der Kniescheibe in Tätigkeit zu setzen gestattet ist, indem die letztere bei der Kniebeugung und das erstere für die Operation des mea culpa zu funktionieren haben.

II.
Wo sich die Wahrheit des alten französischen Sprichworts: »Das Kleid macht nicht den Mönch,« erweist

Der Eintretende war ein Mann von acht und zwanzig bis dreißig Jahren, von einer nervösen, kränklichen Organisation, bleich, groß, anmutig in seinen Bewegungen, ausgezeichnet in seiner Haltung; reinlich gekleidet, jedoch mit einer gewissen Nachlässigkeit, die nicht ohne Reiz war und die Mitte hielt zwischen der Entblößung der vornehmen Herren und dem Sich gehen lassen der Künstler. In einem Zustande tiefer Aufregung Begriffen, zerdrückte er für den Augenblick seinen Hut unter seinem Arm und fuhr mit seiner weißen, gepflegten Hand durch seine in Schweiß gebadeten Haare.

Sein angenehmes, sanftes, schwermütiges Gesicht trug einen gewissen Charakter von Unruhe, beinahe von Irrsinn an sich, den der Noviz leicht hätte bemerken können, ohne die tiefe Aufmerksamkeit, mit der er seit der Ankunft der Person, welche wir in Szene gebracht, weder mehr rechts, noch links zu schauen bemüht war.

Nachdem er ziemlich rasch in die Kirche eingetreten, dann stehen geblieben war und umhergeschaut hatte, schien der Fremde es zu versuchen, seine Lebensgeister wieder zu sammeln, und fing an in der Kapelle hin und her zu gehen, bis er im Strahle seines Auges dem Novizen begegnend plötzlich seinen Entschluss fasste und gerade aus ihn zutrat.

Der Noviz. der dies mehr erriet, als sah, schloß rasch sein doppeltes Buch, begrub sein Gesicht in seine beiden gefalteten Hände und versenkte sich diesmal heuchlerisch in eine Litanei von Gebeten.

Der Unbekannte war indessen so nahe auf ihn zu getreten, daß er beinahe die Schultern des Novizen berührte, welcher bei dieser Annäherung plötzlich zu erwachen und sich aus dem Abgrund von Frömmigkeit, in den er sich gestürzt hatte, zu erheben schien.

»Verzeihen Sie, mein Bruder, wenn ich Sie in Ihren Gebeten störe,« sagte der Fremde, zuerst das Gespräch anknüpfend.

»Mein Bruder,« erwiderte der Noviz, während er aufstand und sein Buch hinter seinem Rücken verbarg,«ich bin zu Ihren Befehlen.«

»Mein Bruder, vernehmen Sie, was mich hierher führt. Ich bedarf eines Beichtigers: darum habe ich mich Ihnen genähert und Sie in Ihren Gebeten gestört, worüber ich Sie demütig um Verzeihung bitte.«

»Ach! ich bin nur Noviz,« antwortete der junge Mann, »und da ich die Weihen nicht erhalten, so kann ich nicht die Beichte hören. Sie müssten einen unserer Väter haben.«

»Ja, ja, so ist«s,« versetzte der Fremde, seinen Hut mehr als je marternd; »ja, ja, ich müsste einen von den Vätern haben. Würden Sie mir wohl den Gefallen erweisen, mich bei demjenigen einzuführen, von welchem Sie glauben, er könnte mir einige Augenblicke bewilligen, oder ihn zu veranlassen, hierher zu mir zu kommen?«

»Es ist gerade die Stunde des Mittagsmahles, und in diesem Augenblick sind alle Väter im Refektorium.«

»Ah! Teufel!« murmelte der Unbekannte mit einer sichtbaren Unzufriedenheit, »alle im Refektorium; ah! Teufel!«

Dann bemerkte er ohne Zweifel, daß er den Namen vom Feinde des Menschengeschlechts in einer Kirche angerufen hatte, und sprach:

»Was habe ich denn gesagt? . . Mein Gott, verzeihe mir!«

Und er machte rasch, beinahe verstohlen, das Zeichen des Kreuzes.

»Die Schwierigkeit, einen Beichtiger zu bekommen, ist Ihnen ärgerlich,« fragte teilnehmend der Noviz.

»Oh! ja. ja, sehr.«

»Sie haben also große Eile?«

»Große Eile.«

»Welch ein Unglück, daß ich nur Noviz bin!«

»Ja, das ist ein Unglück! Doch Sie sind bald im Alter, ordiniert zu werden, und Sie werden es sein, und dann, dann. . . Oh! mein Bruder, wie glücklich finde ich Sie!«

»Glücklich! und warum?« fragte naiv der Noviz.

»Weil Sie in einem Jahre das Ziel erreicht haben werden, das sich jede christliche Seele vorsetzen muss, nämlich das Heil, und weil Sie mittlerweile, im Noviciat der Jesuiten wohnend, diesen würdigen Vätern, wann Sie wollen und so oft sie wollen, beichten können.«

»Oh! ja, das ist wahr, wann Ich will und so oft ich will,« erwiderte der Noviz mit einem Seufzer, durch den er bewies, daß er nicht zu demselben Werte, wie der Fremde, die ausnehmende Gunst, die er vom Himmel empfangen, schätzte.

»Und dann,« fuhr der Fremde mit wachsender Begeisterung fort, »und dann sind Sie hier zu Hause; diese Kirche, dieser Altar, diese heiligen Gesäße, Alles dies gehört Ihnen.«

Der Noviz schaute den Fremden mit einem Erstaunen an, das nicht ganz von Bangigkeit frei war. Offenbar fing er an zu befürchten, er habe es mit einem Manne von leicht verrücktem Gehirn zu tun.

Der Fremde aber fuhr, immer mehr sich belebend, fort:

»Dieses Kleid gehört Ihnen; dieser Rosenkranz gehört Ihnen; dieses Buch, ein heiliges Buch, indem Sie vom Morgen bis zum Abend lesen können, gehört Ihnen.«

Und während er diese Worte mit einem leidenschaftlichen Tone sprach, schüttelte er so kräftig den Arm des Novizen, daß aus der Hand, die diesen Arm schloss, das so beneidete Buch und zugleich mit dem Buche die von uns beschriebene Broschüre fielen.

Als er diese Trennung zwischen dem Buche und der Broschüre gewahrte, stürzte der Noviz ganz betreten aus die Broschüre los und ließ sie von den mysteriösen Tiefen einer der Taschen seiner Sutane verschlingen: wonach er, noch ganz schauernd von einer Gemütsbewegung, die dem Schrecken glich, das Buch aufhob.

Dann richtete er schüchtern seinen Blick wieder aus den Fremden.

Doch der Unbekannte hatte nichts bemerkt, so groß war seine religiöse Begeisterung.

Die Augen der zwei Männer begegneten sich, und beinahe zu gleicher Zeit ergriff der Unbekannte die beiden Hände des Novizen.

»Hören Sie, mein lieber Bruder,« rief er, »Gott hat mich in Ihre Kirche geschickt, die Vorsehung hat Sie aus meinen Weg gestellt: Sie flößen mir das zarteste Vertrauen ein. Verzeihen Sie diesen Erguss einem Manne, der sehr zu beklagen ist, aber wahrhaftig, Ihr Gesicht gibt mir Mut.«

Das Gesicht des Novizen, von dem wir noch nichts gesagt haben, war in der Tat eines der reizendsten Gesichter, die man sehen konnte, und folglich sehr würdig des Lobes, das man ihm gespendet.

»Sie nennen sich unglücklich, mein Bruder, und Sie wollen beichten?« versetzte der Noviz.

»Oh! ich bin sehr unglücklich!« rief der Unbekannte. »Oh! ja, ich möchte gern beichten.«

»Sollten Sie unglücklicher Weise einen Fehler begangen haben?«

»Einen Fehler! Ei! mein ganzes Leben ist ein Fehler, ein Fehler, der vom Morgen bis zum Abend dauert!« rief der Unbekannte mit einem Seufzer, welcher andeutete, daß er in einem Zustande völliger Zerknirschung war.

»So spreche ich mit einem Schuldigen?« fragte der junge Mann mit einer Art von Angst.

»Oh! ja, mit einem Schuldigen, mit einem großen Schuldigen,«

Der junge Mann machte unwillkürlich einen Schritt rückwärts.

»Urteilen Sie selbst!« fuhr der Unbekannte mit einer Gebärde der Verzweiflung fort: »ich bin Schauspieler.«

»Siel« rief der junge Mann mit dem freundlichsten Tone, indem er sich dem Fremden näherte, während sich der unglückliche Künstler im Gegenteil entfernte, als wäre er nach dem Geständnis, das er gemacht, nicht mehr würdig der Berührung von seines Gleichen; »Sie, Schauspieler!«

»Mein Gott! ja.«

»Ah! Sie sind Schauspieler.«

Und der junge Mann rückte immer näher aus ihn zu.

»Wie!« rief der Künstler, »Sie wissen, wer ich bin, und Sie fliehen mich nicht, wie man einen Pestkranken flieht?«

»Nein!« erwiderte der Noviz; »ich hasse die Schauspieler nicht.«

Und er fügte so leise bei, daß ihn selbst der Andere nicht hören konnte:

»Im Gegenteil.«

»Wie!« wiederholte der Künstler,«Sie empören sich nicht beim Anblick eines Ketzers, eines Exkommunizierten, eines Verdammten!«

»Nein!«

»Ah! Sie sind noch so jung! doch eines Tags . .«

»Mein Bruder,« versetzte der Noviz, »ich gehöre nicht zu denjenigen, welche aus Vorurteil hassen.«

»Ach! mein Bruder,« erwiderte der Künstler, »die Schauspieler schleppen eine Art von Ursünde nach sich, welche, einfach für die Anderen, doppelt, dreifach, vierfach für mich ist, der ich der Sohn, der Enkel, der Urenkel von Komödianten bin. Bin ich verdammt, so werde ich es an der Seite von Adam und Eva sein.«

«Ich verstehe Sie nicht recht,« sprach neugierig der Noviz.

»Damit will ich sagen, mein Bruder, ich sei Schauspieler von Geburt, und ich werde verdammt sein durch meinen Vater und durch meine Mutter, durch meinen Großvater und durch meine Großmutter, kurz durch meine väterlichen und mütterlichen Vorfahren bis in die dritte und vierte Generation; mit einem Wort, mein Herr, ich beiße Champmeslé.

Der Noviz riß weit seine Augen aus, in denen ein tiefes Erstaunen gemischt mit einer leichten Nuance von Bewunderung hervortrat.

»Wie! mein Herr,« rief er, die bei den Orden gebräuchliche Benennung Bruder vergessend, »sollten Sie zufällig der Enkel der berühmten Schauspielerin sein?«

»Ganz richtig, mein Herr. Ach! meine arme Großmutter, das ist eine sehr verdammte Frau.«

»Dann war Ihr Herr Großvater der Schauspieler Champmeslé, der die Könige spielte?«

»Sie haben es gesagt, Marie Desmares, meine Großmutter, heirathete Charles Chevillet, Herrn von Champmeslé; er hatte den berühmten Latorilliére im Hotel von Burgund ersetzt. Was seine Frau betrifft, so debütierte sie mit der Rolle von Hermione, welche vor ihr die Desoeuillet, deren Fach sie übernahm, spielte.«

»Somit,« fuhr der Noviz fort, der sich mit allem Eifer in das Gespräch vertiefte, »somit war Ihr Vater Joseph Champmeslé, der die Bedienten spielte, und Ihre Mutter Marie Descombes, welche die jugendlichen Liebhaberinnen spielte?«

»Ganz richtig. Aber sagen Sie mir, mein Bruder,« rief Champmeslé, »wissen Sie, daß ich Sie ein wenig weit vorgerückt in der Wissenschaft der Kulissen für einen Novizen finde?«

»Mein Herr,« erwiderte der junge Mann erschrocken, daß er sich so aus dem Abhang der Konversation habe fortreißen lassen, »so sehr wir auch von der Welt entfernt sind, so haben wir doch immer eine Vorstellung von dem, was darin geschieht; übrigens bin ich nicht bei den Jesuiten geboren, und ich habe meine erste Erziehung in meiner Familie erhalten.«

»Mit wem habe ich zu sprechen die Ehre, mein Bruder?«

»Ich heiße Jacques Banniére, unwürdiger Noviz.«

Champmeslé verbeugte sich höflich vor seinem neuen Bekannten, der seinen Gruß nicht minder höflich erwiderte.