Kitabı oku: «Tausend und Ein Gespenst», sayfa 51
XV.
Das Kaffeehaus
Hoffmann erwachte aus dieser Erstarrung erst, als er eine Hand sich auf seine Schulter legen fühlte.
Er erhob den Kopf. Alles war finster und ausgelöscht um ihn herum; das Theater ohne Licht schien ihm wie die Leiche des Theaters, das er lebendig gesehen hatte. Der wachthabende Soldat ging allein und schweigend, wie der Wächter des Todes, in ihm auf und ab; keine Kronleuchter, kein Orchester, keine Strahlen, kein Geräusch mehr.
Nur eine Stimme, welche an seinem Ohre brummte:
– Aber, Bürger, aber, Bürger, was machen Sie denn? Sie sind in der Oper, Bürger, man schläft hier freilich, aber man übernachtet hier nicht.
Hoffmann blickte endlich nach der Seite, von woher die Stimme kam, und er sah eine kleine Alte, die ihn an dem Kragen seines Ueberrockes zog.
Das war die Schließerin des Orchesters, welche, da sie die Absichten dieses beharrlichen Zuschauers nicht kannte, sich nicht zurückziehen wollte, ohne daß sie ihn vor sich hätte herausgehen sehen.
Einmal aus seinem Schlafe erweckt, leistete Hoffmann übrigens keinen Widerstand; er stieß einen Seufzer aus und stand auf, indem er das Wort murmelte: Arséne.
– Ah! ja! Arséne, sagte die kleine Alte, Arséne, auch Sie, junger Mann, sind in sie verliebt, wie alle Welt. Das ist ein großer Verlust für die Oper, und besonders für uns Schließerinnen.
– Für die Schließerinnen, fragte Hoffmann, erfreut sich an Jemand zu fesseln, der ihm von der Tänzerin spräche, und wie ist es denn für Sie ein Verlust, daß Arséne nicht mehr auf dem Theater ist?
– Ah! das ist sehr leicht zu begreifen; zuvörderst füllte sie jedes Mal den Saal, wenn sie tanzte; dann war es ein Handel mit Schemeln, Stühlen und kleinen Bänken; in der Oper, Bürger, wird Alles bezahlt; man bezahlte die kleinen Bänke, die hinzugefügten Stühle und Schemel, das waren unsere kleinen Vortheile. Ich sage kleinen Vortheile, fügte die Alte mit einer schalkhaften Miene hinzu, weil, wie Sie begreifen werden, Bürger, es neben diesen die großen gab.
– Die großen Vortheile?
– Ja.
Und die Alte blinzelte mit den Augen.
– Und welches waren die großen Vortheile? sagen Sie an, meine liebe Frau.
– Die großen Vortheile kamen von denen, welche Auskünfte über sie verlangten, welche ihre Adresse wissen wollten, welche ihr Billette überreichen ließen. Wie Sie begreifen werden, fand ein Preis für Alles statt; so viel für die Auskünfte, so viel für die Adresse, so viel für den Liebesbrief; kurz, man machte sein kleines Geschäft und man lebte anständiger Weise.
Und die Alte stieß einen Seufzer aus, der ohne Nachtheil mit dem von Hoffmann zu Anfange des Gesprächs, das wir so eben erzählt haben, ausgestoßenen Seufzer verglichen werden konnte.
– Ah! ah! äußerte Hoffmann, Sie übernehmen es, Auskünfte zu geben, die Adresse anzudeuten, Billette zu übergeben; übernehmen Sie es immer noch?
– Leider! mein Herr, wären die Auskünfte jetzt nutzlos, die ich Ihnen geben würde; Niemand weiß mehr die Adresse Arséne, und das Billet, welches Sie mir für sie geben würden, wäre verloren. Wenn Sie eine Andere wollen, Madame Vestris, Mademoiselle Bigottini, Mademoiselle. . .
– Ich danke, meine liebe Frau, ich danke; ich wünschte Nichts, als über Mademoiselle Arséne zu wissen.
Indem er hierauf einen kleinen Thaler aus seiner Tasche nahm, sagte er:
– Nehmen Sie, das ist für die Mühe, welche Sie Sich genommen haben mich zu wecken.
Und indem er Abschied von der Alten nahm, schlug er langsamen Schrittes den Boulevard in der Absicht ein, demselben Wege zu folgen, dem er zwei Tage zuvor gefolgt war, da der Instinct nicht mehr bestand, der ihn bei dem Herkommen geleitet hatte.
Stur waren seine Eindrücke sehr verschieden, und sein Gang empfand die Verschiedenheit dieser Eindrücke. Am vorigen Abend war sein Gang der eines Mannes gewesen, der die Hoffnung hat vorüberkommen sehen, und der ihr nacheilt ohne zu bedenken, daß Gott ihr ihre langen Azurflügel gegeben hat, damit die Menschen sie niemals erreichen. Sein Mund war offen und keuchend, seine Stirne erhoben, seine Arme ausgestreckt, dieses Mal ging er im Gegentheile langsam, wie Jemand, der, nachdem er sie vergebens verfolgt, sie aus den Gesicht verloren hat; sein Mund war geschlossen, seine Stirn niedergeschlagen, seine Arme herabhängend. Das vorige Mal hatte er kaum fünf Minuten darauf verwandt, um von der Port-Saint-Martin nach der Straße Montmartre zu gehen; dieses Mal verwandte er mehr als eine Stunde, und mehr als eine Stunde noch darauf, um von der Straße Montmartre nach seinem Hotel zu gehen, denn in der Art von Niedergeschlagenheit, in welche er versunken war, lag ihm wenig daran früh oder spät nach Haus zu kommen, es lag ihm sogar wenig daran, überhaupt nach Haus zu kommen.
Man sagt, daß es einen Gott für die Trunkenen und für die Verliebten gibt, dieser Gott wachte ohne Zweifel über Hoffmann. Er ließ ihn die Runden vermeiden, er ließ ihn die Kais finden, dann die Brücken, dann sein Hotel, in welches er zum großen Aergerniß seiner Wirthin um halb zwei Uhr Morgens zurückkehrte.
Unter alle dem tanzte indessen auf der Tiefe der Einbildungskraft Hoffmanns ein kleiner goldiger Schein, wie ein Irrlicht in der Nacht. Der Arzt hatte ihm gesagt, wenn jeden Falles dieser Arzt bestand, wenn er nicht ein Spiel seiner Einbildungskraft, ein Blendwerk seines Geistes war, der Arzt hatte ihm gesagt, daß Arséne von ihrem Geliebten von dem Theater entführt worden wäre, weil dieser Geliebte auf einen in dem Orchester sitzenden jungen Mann eifersüchtig gewesen wäre, mit dem Arséne zu viel zärtliche Blicke ausgewechselt hätte. Dieser Arzt hatte außerdem hinzugefügt, daß die Eifersucht des Tyrannen sich dadurch auf das Höchste gesteigert hätte, daß derselbe junge Mann der Ausgangsthür der Künstler gegenüber auf der Lauer gesehen worden sei; daß derselbe junge Mann wie ein Verzweifelter dem Wagen nachgelaufen wäre; nun aber war dieser junge Mann, der von dem Orchester aus leidenschaftliche Blicke mit Arséne ausgewechselt hatte, er, Hoffmann; nun aber war dieser junge Mann, welcher sich an der Ausgangsthür der Künstler auf die Lauer gelegt hatte, wieder er, Hoffmann; endlich war dieser junge Mann, welcher verzweifelt dem Wagen nachgelaufen war, immer wieder er, Hoffmann. Arséne hatte ihn also bemerkt, da sie die Strafe für ihre Zerstreutheit erlitt; Arséne litt daher für ihn, er war in das Leben der schönen Tänzerin durch die Pforte des Schmerzes eingetreten, aber er war in dasselbe eingetreten, das war die Hauptsache; es war jetzt an ihm, sich darin zu behaupten. Aber wie? durch welches Mittel? auf welchem Wege konnte er sich mit Arséne in Verbindung setzen, ihr Nachrichten von sich geben, ihr sagen, daß er sie liebte? Es wäre schon eine große Aufgabe für einen Pariser von Geblüt gewesen, diese schöne, in dieser unermeßlichen Stadt verlorene Tänzerin wieder aufzufinden. Das war eine unmögliche Aufgabe für Hoffmann, der seit drei Tagen an, gekommen war, und große Mühe hatte, sich selbst zurecht zu finden.
Hoffmann gab sich daher nicht einmal die Mühe zu suchen; er sah ein, daß der Zufall allein ihm zu Hilfe kommen könnte. Alle zwei Tage betrachtete er den Theaterzettel der Oper, und alle zwei Tage hatte er den Schmerz zu sehen, daß Paris sein Urtheil in Abwesenheit derer erließ, welche dm Apfel bei weitem mehr als Venus verdiente.
Von nun an dachte er nicht mehr daran in die Oper zu gehen.
Einen Augenblick lang hatte er wohl den Einfall gehabt, entweder in den Convent, oder zu den Cordéliers zu gehen, sich an die Schritte Dantons zu fesseln,. und, indem er ihn Tag und Nacht belauerte, zu errathen, wo er die schone Tänzerin versteckt hätte. Er ging sogar in den Convent, er ging sogar zu den Cordéliers, aber Danton war nicht dort; seit sieben bis acht Tagen kam Danton nicht mehr dorthin; müde des Kampfes, den er seit zwei Jahren bestand, mehr durch den Ueberdruß, als durch die Ueberlegenheit besiegt, schien Danton sich von dem politischen Kampfplatze zurückgezogen zu hoben. Wie man sagte, war Danton auf seinem Landhause. Wo war dieses Landhaus? man wußte es nicht, die einen sagten in Rueil, die andern in Auteuil.
Danton war eben so unauffindbar als Arséne.
Man hätte vielleicht glauben können, daß diese Abwesenheit Arsénes Hoffmann zu Antonia hätte zurückführen müssen, aber, wie sonderbar, dem war nicht so. Vergebene gab sich Hoffmann alle Mühe, um seine Gedanken auf die Tochter des Musikdirectors von Mannheim zurückzuführen. Durch die Gewalt seines Willens richteten sich alle seine Erinnerungen auf das Kabinet Meister Gottlieb Murrs; aber, die auf den Tischen und auf den Pianos aufgehäuften Partituren, Meister Gottlieb, der vor seinem Pulte mit dem Fuße den Tact angab, Antonia, die auf ihrem Kanapee lag, Alles das verschwand nach Verlauf eines Augenblickes, um einem großen erleuchten Rahmen Platz zu machen, in welchem sich anfangs Schatten bewegten, dann nahmen diese Schatten Körper an, dann nahmen diese Körper mythologische Gestalten an, dann endlich verschwanden alle diese mythologischen Gestalten, alle diese Helden, alle diese Nymphen, alle diese Götter, alle diese Halbgötter, um einer einzigen Göttin Platz zu machen, der Göttin der Gärten, der schönen Flora, das beißt, der göttlichen Arséne, der Frau mit dem Halsbande von Sammet und mit der Spange von Diamanten; dann versank Hoffmann nicht mehr in eine Träumerei, sondern in ein Entzücken, aus dem es ihm nur gelang, hervorzugehen, wenn er sich in das wirkliche Leben zurückwarf, wenn er die Vorübergehenden auf der Straße berührte, kurz, wenn er sich unter die Menge und unter das Getümmel stürzte.
Wenn dieses Blendwerk, von dem Hoffmann verfolgt war, zu stark wurde, so ging er also aus, schlug den Kai ein, ging über den Pont-Neuf, und hielt fast niemals eher an, als an der Ecke der Straße de la Monnaie. Dort hatte Hoffmann ein Kaffeehaus gefunden, den Zusammenkunftsort der gewaltigsten Raucher der Hauptstadt. Dort konnte Hoffmann glauben, daß er sich in irgend einer englischen Taverne, in irgend einer holländischen Schenke oder an irgend einem deutschen Wirthstische befände, so sehr bildete daselbst der Tabaksrauch eine für jeden Andern, als für einen Raucher der ersten Klasse, unmöglich einzuathmende Atmosphäre.
Sobald er in das Kaffeehaus der Bruderliebe eingetreten war, erreichte Hoffmann einen kleinen, in der entlegensten Ecke befindlichen Tisch, verlangte eine Flasche Bier aus der Brauerei des Herrn Santerre, der zu Gunsten Henriots seine Stelle als General der Nationalgarde von Paris niedergelegt hatte, stopfte seine ungeheure Pfeife, welche wir bereits kennen, bis obenhin voll, und hüllt sich in einigen Augenblicken in eine eben so dicke Rauchwolke als die, in welche die schöne Venus ihren Sohn Aeneas jedes Mal hüllte, wo die zärtliche Mutter es für nothwendig hielt, ihren vielgeliebten Sohn dem Zorne seiner Feinde zu entziehen.
Acht bis zehn Tage waren seit dem Abenteuer Hoffmanns in der Oper, und dem zu Folge seit dem Verschwinden der schönen Tänzerin verflossen; es war um ein Uhr Nachmittags; seit ungefähr einer halben Stunde befand sich Hoffmann in seinem Kaffeehause, indem er sich aus allen Kräften seiner Lungen damit beschäftigte, um sich herum jenen Kreis von Rauch herzustellen, der ihn von seinen Nachbarn trennte, als er in dem Dampfe etwas wie eine menschliche Gestalt zu unterscheiden, dann, indem er alles Geräusch übertönte, das doppelte Geräusch das dem kleinen schwarzen Manne eigenthümlichen Summens und Trommelns zu hören meinte; überdem schien es ihm, als ob in Mitte dieses Dampfes ein lichtvoller Punkt Funken sprühte; er machte seine durch eine tiefe Schlafsucht halbgeschlossenen Augen wieder auf, öffnete mit Mühe seine Augenlider, und erkannte sich gegenüber auf einem Schemel sitzend, seinen Nachbar der Oper, und das um so besser, als dieses Mal der phantastische Doctor seine Schnallen mit Diamanten an seinen Schuhen, seine Ringe mit Diamanten an den Fingern, und seinen Todtenkopf von Diamanten auf seiner Tabaksdose hatte oder vielmehr zu haben schien.
– Gut, sagte Hoffmann, da werde ich wieder wahnsinnig. Und er schloß rasch die Augen.
Aber sobald er die Augen geschlossen hatte, je fester sie geschlossen waren, desto mehr hörte Hoffmann so wohl die leise Begleitung des Gesanges, als das leichte Trommeln der Finger. Alles das auf die deutlichste Weise, so deutlich, daß Hoffmann einsah, daß etwas Wirkliches in alle dem läge, und daß der Unterschied in dem Mehr oder Weniger bestände; sonst Nichts.
Er schlug daher ein Auge wieder auf, dann das andere; der kleine schwarze Mann befand sich immer noch auf seinem Platze.
– Guten Tag, junger Mann, sagte er zu Hoffmann, ich glaube Sie schlafen; nehmen Sie eine Prise, das wird Sie erwecken.
Und indem er seine Tabaksdose aufmachte, bot er dem jungen Manne Tabak an.
Dieser streckte maschinenmäßig die Hand aus, nahm eine Prise und schnupfte sie:
Auf der Stelle schien es ihm, als ob es hell in seinem Geiste würde.
– Ah! rief Hoffmann aus, Sie sind es, lieber Doctor! was ich mich freue Sie wieder zu sehen!
– Wenn Sie Sich so freuen, mich wiederzusehen, fragte der Doctor, warum haben Sie mich denn nicht aufgesucht?
– Wußte ich etwa Ihre Adresse?
– O! das ist eine große Sache! auf dem ersten besten Kirchhofe hätte man sie Ihnen gegeben.
– Wußte ich etwa Ihren Namen?
– Der Doctor mit dem Todtenkopfe, jeder Mann kennt mich unter diesem Namen. Dann gab es einen Ort, an welchem Sie immer sicher waren, mich zu finden.
– Wo das?
– In der Oper. Ich bin Arzt der Oper. Sie wissen es wohl, da Sie mich dort zwei Male gesehen haben.
– O! die Oper, sagte Hoffmann, indem er den Kopf schüttelte, und einen Seufzer ausstieß.
– Ja, gehen Sie nicht mehr dahin?
– Ich gehe nicht mehr dahin, nein.
– Seitdem Arséne nicht mehr die Rolle der Flora spielt?
– Sie haben es getroffen, und solange als sie dieselbe nicht spielen wird, werde ich nicht dahin zurückkehren.
– Sie lieben sie, junger Mann, Sie lieben sie.
– Ich weiß nicht, ob die Krankheit Liebe heißt, welche ich empfinde; aber ich weiß, daß wenn ich sie nicht wieder sehe, ich entweder über ihre Abwesenheit wahnsinnig werde oder sterben werde.
– Den Henker! Sie müssen nicht wahnsinnig werden! den Henker! Sie müssen nicht sterben! Gegen den Wahnsinn gibt es wenige Mittel, gegen den Tod gibt es gar keine.
– Was muß ich dann thun?
– Ah! sie wiedersehen.
– Wie das, sie wiedersehen?
– Ohne Zweifel!
– Haben Sie ein Mittel?
– Vielleicht.
– Welches?
– Warten Sie.
Und der Doctor begann zu überlegen, indem er mit den Augen blinzelte und auf seiner Tabaksdose trommelte.
Indem er dann nach einem Augenblicke die Augen wieder aufschlug und seine Finger über dem Ebenholz schweben ließ, sagte er:
– Sie sind Maler, wie Sie mir gesagt haben?
– Ja, Maler, Musiker und Dichter.
– Für den Augenblick bedürfen wir nur der Malerei.
– Nun denn?
– Nun denn! Arséne hat mir den Auftrag gegeben, ihr einen Maler zu suchen.
– Wozu?
– Wozu sucht man einen Maler, bei Gott! um ihr Portrait zu malen.
– Das Portait Arsénes! rief Hoffmann aus, indem er aufstand, o! ich bin bereit! ich bin bereit!
– Still! bedenken Sie doch, daß ich ein ernster Mann bin.
– Sie sind mein Retter! rief Hoffmann aus, indem er seine Arme um den Hals des kleinen schwarzen Mannes schlang.
– Jugend, Jugend, murmelte dieser, indem er diese beiden Worte mit einem Lachen begleitete, wie es sein Todtenkopf gegrinst haben würde, wenn er von natürlicher Größe gewesen wäre.
– Lassen Sie uns gehen, lassen Sie uns gehen, wiederholte Hoffmann.
– Aber Sie bedürfen eines Farbekastens, der Pinsel, einer Leinwand.
– Ich habe Alles das in meiner Wohnung, lassen Sie uns gehen.
– Gehen wir, sagte der Doctor.
Und beide verließen das Kaffeehaus.
XVI.
Das Portrait
Als er das Kaffeehaus verließ, machte Hoffmann eine Bewegung, um einen Fiaker zu rufen, aber der Doctor schlug seine dürren Hände gegen einander, und bei diesem Geräusche, das dem glich, welches die beiden Hände eines Skelets gemacht hätten, fuhr ein schwarz ausgeschlagener, mit zwei schwarzen Pferden bespannter und von einem ganz schwarz gekleideten Kutscher gefahrener Wagen herbei; wo hielt er? woher war er gekommen? Das zu sagen wäre für Hoffmann eben so schwierig gewesen, als Aschenbrödel zu sagen, woher der Wagen kam, in welchem sie sich auf den Ball des Prinzen Mirliflor begab.
Ein kleiner Bedienter, nicht allein schwarz von Kleidern, sondern auch noch von Haut, machte den Schlag auf. Hoffmann und der Doctor stiegen ein, setzten sich neben einander, und sogleich begann der Wagen geräuschlos nach dem Wirthshause Hoffmanns zu rollen.
An der Thüre angelangt, zögerte Hoffmann, um zu wissen, ob er in sein Zimmer hinaufgehen sollte; er meinte, daß sobald er den Rücken gewandt hätte, der Wagen, die Pferde, der Doctor und seine beiden Diener verschwinden würden, wie sie erschienen waren. Aber wozu sollten Doctor, Pferde, Wagen und Diener sich bemüht haben, um Hoffmann von dem Kaffeehause der Straße de la Monnaie nach dem Blumenkai zu fahren, diese Bemühung hatte ja dann keinen Zweck. Durch das einfachste Gefühl der Logik beruhigt, stieg Hoffmann daher aus dem Wagen, trat in das Wirthshaus, ging rasch die Treppe hinauf, stürzte in sein Zimmer, nahm dort Palette, Pinsel und Farbenkasten, wählte die größte unter seiner Leinwand, und ging mit demselben Schritte, wie er hinaufgegangen war, wieder hinab.
Der Wagen hielt immer noch vor der Thüre.
Pinsel, Palette und Farbenkasten wurden in das Innere des Wagens gelegt; der Bediente erhielt den Auftrag die Leinwand zu tragen.
Hierauf begann der Wagen wieder mit derselben Schnelligkeit und demselben Schweigen zu rollen.
Zehn Minuten nachher hielt er vor einem reizenden kleinen Hotel in der Straße Hannover Nr. 15.
Hoffmann merkte sich die Straße und die Nummer, um vorkommenden Falles ohne Hilfe des Doctors dahin zurückkehren zu können.
Die Thüre ging auf; der Doctor war ohne Zweifel bekannt, denn der Pförtner fragte ihn nicht einmal wohin er ginge. Hoffmann folgte dem Doctor mit seinen Pinseln, seiner Palette, seinem Farbekasten, seiner Leinwand, und passirte als Zugabe.
Man ging in dm ersten Stock hinauf, und trat in ein Vorzimmer, das man für den Vorplatz von dem Hause des Dichters in Pompeji hätte halten können.
Wie man sich erinnern wird, war die Mode zu jener Zeit griechisch; das Vorzimmer Arsénes war in Fresco gemalt, mit Candelabern und Bronzestatuen verziert.
Aus dem Vorzimmer gingen der Doctor und Hoffmann in den Salon.
Der Salon war griechisch wie das Vorzimmer, mit Sedaner Tuch zu 70 Franken die Elle behangen, der Teppich allein kostete sechs Tausend Franken, der Doctor machte Hoffmann auf den Teppich aufmerksam; er stellte die Schlacht bei Arbela, dem berühmten Mosaikbilde von Pompeji nachgeahmt, vor.
Durch diesen unerhörten Luxus verblendet, begriff Hoffmann nicht, wie man solche Teppiche machte, um darauf zu gehen.
Aus dem Salon ging man in das Boudoir; das Boudoir war mit Kaschemir behangen. In dem Hintergrunde befand sich in einer Nische ein niedriges Bett, das ein Kanapee gleich dem bildete, auf welches Herr Guèrin seitdem Dido legte, welche den Abenteuern des Aeneas zugehörte. Arséne hatte den Auftrag gegeben, dort warten zu lassen.
– Jetzt, junger Mann, sagte der Doctor, sind Sie eingeführt, es ist an Ihnen, sich auf eine angemessene Weise zu benehmen. Es versteht sich von selbst, daß wenn der berechtigte Geliebte Sie hier überraschte, Sie ein verlorener Mensch sein würden.
– O! rief Hoffmann aus, wenn ich sie wieder sehe, wenn ich sie nur wiedersehe, und. . .
Das Wort erstarb auf Hoffmanns Lippen; er blieb mit starren Augen, ausgestreckten Armen, athemloser Brust.
Eine in dem Getäfel verborgene Thüre war aufgegangen, und hinter einem sich drehenden Spiegel erschien Arséne, die wahre Gottheit des Tempels, in welchem sie geruhte sich ihrem Verehrer sichtbar zu machen.
Sie trug das Kostum der Aspasia in seinem ganzen alterthümlicben Luxus, mit feinen Perlen in den Haaren, seinem mit Gold gestickten Purpurmantel, seinem langen weißen, um den Leib durch einen einfachen Perlengürtel zusammengehaltenen Kleide, Ringen an den Füßen und an den Händen, und bei alle dem jenen seltsamen Schmuck, der unzertrennlich von ihrer Person schien, jenes kaum vier Linien breite und von seiner grausigen Spange von Diamanten zusammengehaltene Halsband von Sammet.
– Ah! Sie sind es, Bürger, der mein Portrait zu machen übernimmt? fragte Arséne.
– Ja, stammelte Hoffmann, ja Madame, und der Doctor hat so gütig sein wollen Bürgschaft für mich zu übernehmen.
Hoffmann suchte um sich herum, wie um Beistand von dem Doctor zu verlangen, aber der Doctor war verschwunden.
– Nun denn! rief Hoffmann ganz verwirrt aus, nun denn!
– Was suchen Sie, was wünschen Sie, Bürger?
– Ei, Madame, ich suche, ich wünsche. . . ich wünschte den Doctor, kurz die Person, welche mich hier eingeführt hat.
– Wozu bedürfen Sie Ihres Einführers, sagte Arséne, da Sie eingeführt sind?
– Indessen, der Doctor, der Doctor? äußerte Hoffmann.
– Nun denn, sagte Arséne ungeduldig, wollen Sie etwa die Zeit damit verlieren ihn zu suchen? Der Doctor ist an seinen Geschäften, bekümmern wir uns um die unsrigen.
– Madame, ich stehe zu Ihren Befehlen, sagte Hoffmann ganz bebend.
– Wohlan, Sie willigen also ein, mein Portrait zu machen?
– Das heißt, daß ich der glücklichste Mensch von der Welt bin, für eine solche Gunst gewählt worden zu sein; nur. . . habe ich nur eine Furcht.
– Gut! Sie werden den Bescheidenen spielen. Nun denn! wenn es Ihnen nicht gelingt, so werde ich es mit einem Andern versuchen. Er will ein Portrait von mir haben. Ich habe gesehen, daß Sie mich wie ein Mann anblickten, der meine Aehnlichkeit in seinem Gedächtnisse bewahren wollte, und ich habe Ihnen den Vorzug gegeben.
– Dank, Tausend Mal Dank! rief Hoffmann aus, indem er Arséne mit den Augen verschlang. O! Ja, ja, ich habe Ihre Aehnlichkeit in meinem Gedächtnisse bewahrt; da, da, da.
Und er drückte seine Hand auf sein Herz.
Plötzlich wankte und erbleichte er.
– Was haben Sie? fragte Arséne mit einer ganz gleichgültigen Miene.
– Nichts, antwortete Hoffmann, Nichts, fangen wir an.
Als er seine Hand auf sein Herz legte, hatte er zwischen seiner Brust und seinem Hemde das Medaillon Antonias gefühlt.
– Fangen wir an, fuhr Arséne fort. Das ist sehr leicht zu sagen. Zuvörderst will er nicht, daß ich mich unter diesem Kostüme malen lasse.
Das Wort Er, das bereits zwei Male wiedergekehrt war, durchbohrte Hoffmann das Herz, wie es eine jener goldenen Nadeln gethan hätte, welche den Kopfputz der modernen Aspasia befestigten.
– Und wie will er denn, daß Sie Sich malen lassen? fragte Hoffmann mit fühlbarer Bitterkeit.
– Als Erigone.
– Vortrefflich. Der Kopfputz von Nebenblättern wird Ihnen herrlich stehen.
– Sie glauben? äußerte Arséne, indem sie sich zierte. Aber ich glaube, daß das Tigerfell mich gleichfalls nicht häßlich machen wird.
Und sie läutete an einer Schelle.
Eine Kammerjungfer trat ein.
– Eucharis, sagte Arséne, bringen Sie den Thyrsusstab, die Rebenblätter und das Tigerfell.
Indem sie hierauf die zwei oder drei Nadeln auszog, welche ihren Kopfputz befestigten, und den Kopf schüttelte, hüllte sich Arséne in einen Strom von schwarzen Haaren, der in Cascaden auf ihre Schultern fiel, von ihren Hüften abprallte und sich dicht und wallend bis auf den Teppich verbreitete.
Hoffmann stieß einen Ausruf der Bewunderung aus.
– He! Was gibt es! fragte Arséne.
– Daß ich niemals solche Haare gesehen habe, rief Hoffmann aus.
– Er will daher auch, daß ich sie benutze, deshalb haben wir das Kostüm der Erigone gewählt, das mir erlaubt die Haare aufgelöst zu tragen.
Dieses Mal hatte das er und das wir Hoffmanns Herz mit zwei Stichen, statt mit einem getroffen.
Während dieser Zeit hatte Mademoiselle Eucharis die Rebenblätter, den Thyrsusstab und das Tigerfell gebracht.
– Ist das Alles, was wir nöthig haben? fragte Arséne.
– Ja, ja, ich glaube, stammelte Hoffmann.
– Es ist gut, lassen Sie uns allein, und treten Sie erst wieder ein, wenn ich Ihnen schelle.
Mademoiselle Eucharis verließ das Zimmer und verschloß die Thür hinter sich.
– Jetzt, Bürger, sagte Arséne, helfen Sie mir ein wenig diesen Kopfputz zurecht zu legen; das geht Sie an.
Um mich zu verschönern, verlasse ich mich sehr gern auf die Phantasie des Malers.
– Und Sie haben Recht! rief Hoffmann aus; mein Gott! Mein Gott! Wie schön Sie sein werden!
Und indem er den Rebenzweig ergriff, schlang er ihn um den Kopf Arsénes mit jener Kunst des Malers, welche jeder Sache einen Werth und einen Glanz verleiht; dann faßte er, Anfangs ganz bebend und mit den Fingerspitzen, diese langen wohlriechenden Haare, ließ das bewegliche Ebenholz derselben durch die Beeren von Topas, zwischen das smaragdgrüne und rubinrothe Laub der Herbstrebe spielen, und, wie er es versprochen hatte, verschönerte sich unter seiner Hand, – der Hand eines Dichters, Malers und Liebenden, – die Tänzerin dermaßen, daß sie, indem sie sich in dem Spiegel betrachtete, einen Ausruf der Freude und des Stolzes ausstieß.
– O! Sie haben Recht, sagte Arséne, ja, ich bin schön, sehr schön. – Lassen Sie uns jetzt fortfahren.
– Wie? Was sollen wir fortsetzen? fragte Hoffmann.
– Ei! Meine Toilette als Bacchantin!
Hoffmann begann zu verstehen.
– Mein Gott! murmelte er, mein Gott!
Arséne legte lächelnd ihren Purpurmantel ab, der durch eine einzige Nadel zurückgehalten blieb, welche sie vergebens zu erreichen suchte.
– Aber so helfen Sie mir doch! sagte sie voll Ungeduld, oder soll ich Eucharis zurückrufen?
– Nein, nein! rief Hoffmann aus. Und indem er auf Arséne zustürzte, zog er die widerspenstige Nadel heraus, der Mantel sank zu den Füßen der schönen Griechin.
– Da! sagte der junge Mann Athem schöpfend.
– O! sagte Arséne, glauben Sie denn, daß das Tigerfell gut auf diesem langen Mousselinkleide steht? Ich glaube es nicht, außerdem will er eine wahre Bacchantin, nicht wie man sie auf dem Theater sieht, sondern wie sie auf dm Gemälden von Caraccio und von Albano sind.
– Aber auf den Gemälden von Caraccio und von Albano sind die Bacchantinnen nackend, rief Hoffmann aus.
– Ei nun! Er will mich so, mit Ausnahme des Tigerfelles, das Sie drapiren werden, wie Sie wollen, das geht Sie an.
Und indem sie diese Worte sagte, hatte sie das Band ihres Gürtels aufgeknüpft und die Spange ihres Halses aufgemacht, so daß das Kleid längs ihres schönen Körpers hinabglitt, den es in dem Maße nackend ließ, als es von den Schultern zu den Füßen herabfiel.
– O! sagte Hoffmann, indem er auf die Kniee sank, das ist keine Sterbliche, das ist eine Göttin.
Arséne stieß Mantel und Kleid mit dem Fuße fort.
Indem sie hierauf das Tigerfell nahm, sagte sie:
– Nun denn, was machen wir mit dem? Aber so helfen Sie mir doch, Bürger Maler, ich bin nicht gewohnt mich allein anzukleiden.
Die unschuldiges Tänzerin nannte das sich ankleiden.
Hoffmann näherte sich wankend, trunken, verblendet, nahm das Tigerfell, befestigte seine goldenen Klauen auf der Schulter der Bacchantin, ließ sie sich auf das Bett von rothem Kaschemir setzen, oder vielmehr legen, auf welchem sie einer Statue von parischen Marmor geglichen hätte, wenn ihr Athemholen nicht ihren Busen gehoben, wenn das Lächeln nicht ihre Lippen geöffnet hätte.
– Bin ich gut so? fragte sie, indem sie ihren Arm über ihren Kopf rundete und eine Rebentraube nahm, die sie an ihre Lippen zu drücken schien.
– O! ja, schön, schön, schön, murmelte Hoffmann.
Und indem der Liebende den Sieg über den Maler davon trug, sank er auf die Knie, und, mit einer wie der Gedanke raschen Bewegung ergriff er die Hand Arsénes und bedeckte sie mit Küssen.
Arséne zog ihre Hand mit mehr Erstaunen als Zorn zurück.
– Ei! Was machen Sie denn? fragte sie den jungen Mann.
Die Frage war in einem so ruhigen und so kalten Tone gestellt, daß Hoffmann sich zurückwarf, indem er seine beiden Hände auf seine Stirn drückte.
– Nichts, Nichts, stammelte er, verzeihen Sie mir, ich werde wahnsinnig.
– Ja, in der That, sagte sie.
– Sagen Sie an, rief Hoffmann aus, wozu haben Sie mich kommen lassen? Sagen Sie, sagen Sie.
– Ei, damit Sie mein Portrait malen, aus keiner andern Ursache.
– O! Es ist gut, sagte Hoffmann, ja, Sie haben recht; um Ihr Portrait zu malen, zu Nichts Anderem.
Und indem er seinen Willen mit Gewalt zwang, stellte Hoffmann seine Leinwand auf die Staffelei, nahm seine Palette und seine Pinsel, und begann das entzückende Bild zu entwerfen, das er vor Augen hatte.
Aber der Künstler hatte zu viel auf seine Kräfte gerechnet; als er das üppige Modell nicht allein in seiner glühenden Wirklichkeit, sondern auch noch durch die Tausend Spiegel des Boudoirs zurückgeworfen sah; als er statt einer Erigone, sich in Mitte von zehn Bacchantinnen befand; als er jeden Spiegel dieses berauschende Lächeln wiederholen, das Wogen dieses Busens wieder erzeugen sah, den die goldene Kralle des Tigers nur halb bedeckte, fühlte er, daß man von ihm etwas die menschlichen Kräfte Uebersteigendes verlangte, und indem er Palette und Pinsel wegwarf, stürzte er auf die schöne Bacchantin zu und drückte einen Kuß auf ihre Achsel, in welchem eben soviel Wuth, als Liebe lag.
Aber im selben Augenblicke ging die Thür auf, und die Nymphe Eucharis stürzte mit dem Ausrufe in das Boudoir:
– Er, er, er!
Im selben Augenblicke, bevor er Zeit gehabt hatte sich zu besinnen, befand sich Hoffmann, von den beiden Frauen gedrängt, aus dem Boudoir geworfen, welches sich wieder hinter ihm verschloß, und dieses Mal wahrhaft wahnsinnig vor Liebe, vor Wuth und vor Eifersucht, schritt er ganz wankend durch den Salon, glitt eher das Geländer hinab, als er die Treppe hinabging, und ohne zu wissen wie er dahin gekommen war, ließ er in Arsénes Boudoir seine Pinsel, seinen Farbenkasten und seine Palette, was nichts war, aber auch seinen Hut, woraus viel entstehen konnte.