Kitabı oku: «Tatort Oberbayern», sayfa 11
Mittwochmorgen,
München Haidhausen
Angespornt von Frau Bachmanns Lob vom Vortag, stand Katharina am nächsten Morgen trotz Brummschädel pünktlich um 6.15 Uhr auf, weckte Svenja, machte ihr ein gesundes Frühstück – »bitte mit bissl ungesund drin, Mama« – mit diesen Worten kippte Svenja irgendwelche pappsüßen Flakes über ihr zuckerloses Müsli mit frischen Früchten und schaufelte die Mischung in sich hinein.
Oliver war inzwischen ebenfalls wach, hatte sich zwei Aspirin aufgelöst und erst die und anschließend einen doppelten Espresso zu sich genommen – Katharina staunte erneut, dass weder die Nebenwirkungen von Aspirin noch der Koffeinschock Oliver irgendwie zu stören schienen. Er warf sich in seine Klamotten vom Vortag und teilte Katharina mit, dass er Svenja in die Schule bringen würde, damit sie in Ruhe telefonieren könne. »Ui, Olli fährt mich in die Schule«, jauchzte Svenja und ging, um sich in Rekordgeschwindigkeit anzuziehen.
Katharina durfte ohne Diskussion ihre Wuschelhaare zu zwei Zöpfen flechten und ihr ein gesundes Pausenbrot mitgeben. »Mit Auberginencreme drauf, echt jetzt, Mama? Na gut.«
»Schau, ich nehme auch das gesunde Pausenbrot mit, das ist lecker«, sagte Oliver und steckte sich das Brot in seine Aktentasche.
»Cool! Wir machen eine Zeit aus und essen es gleichzeitig«, schlug Svenja begeistert vor.
»Einverstanden, Svenjalein.« Oliver schob sie zur Tür, machte ein Victoryzeichen Richtung Katharina und war verschwunden. Ob das Zeichen dem unkomplizierten Morgen galt oder als Daumendrücken für Katharinas Anruf bei Tobias gemeint war, wusste sie nicht – spielte aber auch keine Rolle. Oliver war einfach ein Schatz und seit Neuestem ein weitestgehend neurosefreier.
Als die beiden gegangen waren, setzte sich Katharina mit ihrem Roibuschtee auf die Eckbank in ihrer Küche und sprach sich Mut zu. Dann zog sie sich an – neue Jeans mit Knopfleiste, Shirt eines spanischen Designers in Magenta, ihrer Lieblingsfarbe, und einen schicken Blazer in Dunkelblau. Sie musste sich schön fühlen, um ruhig zu bleiben vor und während des Telefonats.
Danach rief sie in der Redaktion an und gab Bescheid, dass sie einen Auswärtstermin habe und erst gegen zehn im Büro sein würde. Nach nochmaligem Rückzug auf die Eckbank und einer zweiten Tasse Roibuschtee war es 8.45 Uhr, eine Zeit, zu der sie Tobias anrufen konnte und er vermutlich noch zu Hause war.
Sie wählte die Festnetznummer, Handy erschien ihr zu dringlich und daher unpassend.
Nach zweimaligem Klingeln hörte sie: »Hallo, liebe Svenja, bist du nicht in der Schule? Bist du krank?«
»Hallo, Tobias, hier ist Katharina … Doch, Svenja ist in der Schule, deswegen rufe ich jetzt an, weil ich etwas Berufliches mit dir besprechen wollte.« Innerlich gab Katharina einen Stoßseufzer von sich. Der Anfang war geschafft.
»Äh, okay, worum geht es?«, kam es überrascht von ihrem Ex.
»Ich recherchiere zurzeit für eine Serie bei ›Fakten‹ über Robert Adelhofer, den Bergwintertyp, du hast bestimmt von ihm gehört.«
»Hm, der mit der ätzenden Sendung«, ergänzte Tobias.
»Genau der. Sein Bruder hat sich vor Kurzem umgebracht und seine Mutter hat mich gebeten herauszufinden, warum er das getan hat. Ich war bei ihr am Chiemsee und habe dort auch einen Freund von Lukas getroffen, der mir von einer Freundin erzählt hat, die Lukas vor einigen Jahren wohl hatte.«
»Und was hat das mit mir zu tun?«
»Tobias, bitte hör mir noch kurz in Ruhe zu. Das Foto, das du neulich auf meinem Laptop gesehen hast, das war nicht drauf, weil ich dir hinterherspioniere, sondern weil unsere Archivarin für mich im Internet recherchiert hat, was es an Fotos von Robert Adelhofer gibt. Und es ist reiner Zufall, dass du die Frau kennst, mit der Lukas Adelhofer zu sehen ist.«
Tobias schwieg, was Katharina für ein gutes Zeichen hielt. Er schien ihr zu glauben.
»Der Hammer ist, dass diese Frau genau die sein könnte, die damals mit Lukas zusammen war. Dafür gibt es einige Hinweise. Drum wollte ich dich fragen, ob du mir sagen könntest, wer diese Frau ist. Ich versichere dir, dass es mir nur um meine Recherche geht. Dass die unser Trennungsgrund war, ist mir nach all der Zeit wirklich egal.« Katharina schwieg und merkte, dass das tatsächlich stimmte, was sie eben gesagt hatte. Es war Tobias gewesen, der sie hintergangen hatte, nicht diese Frau.
»Und du versprichst mir, dass du die ganze andere Geschichte raushalten wirst? Ich habe keine Lust, dass Jana mich deswegen noch mal kontaktiert. Ich will mit ihr nichts mehr zu tun haben. Jetzt weißt du es ja schon, sie heißt Jana, Jana Waldemat, und kommt genau wie ich aus Wolfersdorf. Sie ist als kleines Mädchen mit ihrer Mutter aus Hoyerswerda dahingezogen. Ich kannte sie jedenfalls schon ewig. Wir haben uns damals auf einer Party in München wiedergetroffen und dann … na ja, das ist ja nicht das Thema«, unterbrach sich Tobias selbst.
Wolfersdorf. Den kleinen Ort bei Freising hatte Katharina manchmal mit Tobias besucht, als sie noch zusammen waren. Es waren schöne Wochenenden gewesen bei seinen Eltern. Inzwischen fuhr Svenja hin und wieder dorthin zu ihren Großeltern. Vielleicht war ihr die Dame schon über den Weg gelaufen.
»Alles klar, Katharina, sonst noch was?«
Katharina versuchte, die düsteren Gedanken wegzuschieben. »Weißt du, was sie aktuell macht? Und wo sie lebt?«
Schweigen in der Leitung. Katharina legte nach: »Tobias, ehrlich, ich habe dich sieben Jahre nicht nach dieser Frau gefragt, warum sollte ich es jetzt tun? Es geht nur um diese Geschichte. Sie weiß vielleicht Dinge, die dabei helfen können herauszufinden, warum Lukas Adelhofer sich umgebracht hat. Ich hab Lukas’ Mutter versprochen, das zu klären. Bitte hilf mir.«
»Klar, du machst es aus reiner Menschenfreundlichkeit, die Mutter Katharina der Entrechteten. Dass du damit noch berühmter wirst und nebenbei noch der Ex deines Ex an den Karren fahren kannst, spielt natürlich überhaupt keine Rolle.«
Katharina holte tief Luft. Sie kannte das Spiel nur zu gut. Tobias, der eifersüchtig auf ihren Job war und auf ihren Erfolg. Und dies nie zugegeben hatte und nie zugeben würde. Stattdessen hatte er sich damals irgendeine Tussi aufgerissen. Wahrscheinlich hatte sie ihn bedingungslos angehimmelt.
Falsches Thema, das musste ihr egal sein, sie wollte nur die Informationen aus ihm herausbekommen.
»Tobias, ja, ich habe den Auftrag, einen Artikel beziehungsweise mehrere zu schreiben. Damit verdiene ich mein Geld. Es kann gut sein, dass ich nicht selbst mit dieser Frau sprechen werde, sondern dass Birgit das macht. Du siehst, es geht mir wirklich nur um die Recherche, nicht darum, uralte Geschichten aufzuwärmen. Da du den Kontakt gekappt hast, weißt du wahrscheinlich sowieso nichts über sie. Okay, danke, Tobias, trotzdem.«
»Sie lebt meines Wissens in München. Was sie macht, keine Ahnung. Männer sammeln vielleicht. Das ist glaube ich ihre Lieblingsbeschäftigung. Als ich damals Schluss gemacht habe, ist sie komplett ausgerastet, hat mich mit SMS bombardiert, mir in einem Moment mit Selbstmord gedroht und im nächsten geschworen, sie habe noch nie jemanden so geliebt wie mich. Es dauerte eine Woche, bis sie geschnallt hatte, dass es mir ernst ist. Danach hat sie sich nie mehr bei mir gemeldet. Ich weiß, dass sie zwei Wochen drauf den Nächsten an der Angel hatte. Übrigens immer Männer in Beziehungen. Scheint ihr irgendwie Spaß zu machen, Dinge zu zerstören.« Verächtliches Lachen kam aus dem Hörer.
»Danke, Tobias, das ist wirklich nett von dir, dass du mir das erzählt hast. Und ich verspreche dir, dass du keinen Schaden dadurch haben wirst. Zeugenschutz, du verstehst.«
»Ach, weißt du, Katharina«, sie meinte, an seiner Stimme zu hören, dass er schmunzelte, »diese Frau ist unerträglich. Wenn sie irgendwie eins ausgewischt bekommt, hätte ich eigentlich nichts dagegen.«
Katharina schwieg einen Moment, schließlich traute sie sich zu fragen: »Tobias, warum?«
»Warum ich das damals getan habe? Gute Frage. Es war der größte Fehler meines Lebens. Ich will nicht ihr allein die Schuld geben, ich war ja nicht abgeneigt. Sie hat es mir allerdings echt leicht gemacht. Am Anfang hat sie sich öfter gemeldet nach dem Motto ›alte Freunde‹, hat sich interessiert nach dir erkundigt und wie es mit der Schwangerschaft läuft und ob es ein Junge oder ein Mädchen wird.« Tobias unterbrach sich: »Katharina, willst du das wirklich wissen?«
Katharina spürte, wie ihr Herz raste, und gleichzeitig war ihr klar, dass sie es wissen musste, um endlich mit diesem Kapitel abschließen zu können. »Ja, ich bin froh, dass du es mir erzählst.«
»Sag einfach, wenn es dir zu viel wird. Na ja, ich habe gemerkt, dass ich mich in sie verliebt habe. Es war damals echt schwierig für mich mit deiner Schwangerschaft, ich ohne richtigen Job und mit schlechtem Gewissen. Mit Jana gab es plötzlich Leichtigkeit. Wir haben auf einer Fete rumgeknutscht und sie hat mir gesagt, dass sie sich auch in mich verliebt hat. Ich habe sie gebremst, habe ihr gesagt, dass das nicht geht, dass ich Vater werde. Sie hat das verstanden, habe ich damals zumindest gedacht. Nur lockergelassen hat sie nicht, hat mir ständig SMS geschrieben, kleine Aufmerksamkeiten in die Arbeit geschickt und wir haben uns wiedergetroffen. Irgendwann wollte sie mit mir schlafen. Das habe ich abgelehnt, ich habe gesagt, ich will das nicht und ich will meine Familie nicht verlieren. Sie wurde plötzlich aggressiv und drohte mir, dir alles zu erzählen. ›Wenn du nicht mit mir schläfst, wirst du deine Familie in jedem Fall verlieren. Wenn du es tust, gibt es eine gute Chance, dass du sie behältst und mich gratis noch dazubekommst.‹ Das hat sie wörtlich gesagt, ich werde es nie vergessen.«
Katharina schluckte und konnte die Tränen kaum noch unterdrücken. Am anderen Ende hörte sie ein kurzes Schniefen.
»Tobias, wir müssen nicht …«
»Ich bin fast fertig, jetzt erzähle ich es zu Ende, zum allerersten Mal übrigens. Ich habe mich so geschämt, dass ich nie mit jemandem darüber gesprochen habe.
Ich habe an diesem Tag mit ihr geschlafen. Wie das ging, frage ich mich bis heute. Aber es ging. Und es ging auch die nächsten Male. Irgendwann konnte ich nicht mehr. Dann hast du es sowieso rausgefunden und ich habe danach direkt mit Jana Schluss gemacht. Ich war nur noch mit ihr zusammen, damit sie dir nichts sagt. Am Ende des Tages hatte ich eine schwangere Freundin und eine Geliebte weniger. Was Jana betrifft, war es die beste Entscheidung meines Lebens.«
»Was mich betrifft, anscheinend nicht«, dachte Katharina und freute sich ein kleines bisschen.
Beide schwiegen lange, ohne aufzulegen. Irgendwann berappelte sich Katharina und sagte:
»Danke, Tobias. Möchtest du wissen, was wir über Jana herausfinden?«
»Ja, würde mich interessieren. Meld dich.«
Katharina legte nachdenklich den Hörer auf und fühlte sich erleichtert.
Sie beschloss, noch kurz zu Hause zu bleiben und sich den Ordner »Lukas privat« vorzuknöpfen, den sie vom Adelhofer-Hof mitgebracht hatte.
Als Erstes ging sie in die Küche, machte sich eine dritte Tasse Roibusch mit echter Vanille und nahm den leckeren Duft aus der Tasse wahr. Vor dem Telefonat war ihr der nicht aufgefallen. Der Ordner erschien zunächst wenig spannend. Er enthielt die üblichen Einlegeblätter wie »Bank« und »Versicherung«. Interessanter fand sie den Bereich »Freunde«: Das war offenbar das Telefonverzeichnis von Lukas’ Bekanntenkreis. Viele Namen waren durchgestrichen, offenbar gab es nur noch wenige Menschen, die es nach Lukas’ Meinung wert waren, hier aufzutauchen. Am Ende des Ordners kam das Kapitel »Fotos«: zwei Seiten mit alten Kinderfotos der Adelhofer-Brüder und sechs Seiten mit Fotos unterschiedlicher Frauen, mit Lukas und ohne. Alle schienen Exfreundinnen zu sein – sie lächelten glücklich den Fotografen an oder waren in trauter Zweisamkeit mit Lukas zu sehen.
Von Jana Waldemat gab es in dem ganzen Ordner keine Spur.
Er hatte sie offenbar komplett aus seinem Leben gelöscht.
Mittwochmittag,
Redaktion »Fakten«, München
»Ich glaube, ich bin auf dem richtigen Weg. Kann aber ein bisschen dauern, bis ich die Daten alle wiederhergestellt habe.«
Birgit strahlte ihre Freundin an, seit diese ihr Büro betreten hatte.
»Ich brauche Unterstützung, mich ruft nachher ein Kumpel zurück, Hacker für die gute Sache, du verstehst.«
Katharina verstand nur zu gut. »Super, Birgit – und denk bei allem, was du tust, bitte daran, dass nichts von alledem so wichtig wäre, dafür ins Gefängnis zu gehen.« Diese Bemerkung konnte sie sich nicht verkneifen.
»Alles klar, Chefin«, grinste Birgit. »Sonst noch irgendwelche wichtigen Botschaften?«
»Ich weiß, wer die Frau auf dem Foto ist, wegen der Tobias so ausgerastet ist. Sie war wohl mal die große Liebe von Lukas Adelhofer und davor war sie die Frau, wegen der Tobias mich verlassen hat.«
Birgit schaute entgeistert: »Welche Frau auf welchem Foto?«
Katharina wurde klar, dass sie mit ihrer besten Freundin nicht über Tobias’ Ausraster gesprochen hatte. Sie begann, die Geschichte um das mysteriöse Foto zu erzählen, und schloss ihren Bericht mit der Bitte: »Wenn du bei deinen Internetrecherchen auf irgendwas im Zusammenhang mit dieser Jana Waldemat stößt, bitte sammeln. Vielleicht hilft sie uns nicht weiter, aber zumindest sollten wir mehr über sie wissen. Und vielleicht auch mit ihr selbst reden. Aber damit warten wir noch.«
Birgit hatte – für sie ganz ungewohnt – die ganze Zeit nur zugehört. Sie sah nachdenklich aus.
»Katharina, wie egal ist dir das wirklich? Dass plötzlich Tobias mit im Spiel ist und die alte Geschichte?«
Katharina lächelte ihre Freundin an. »Ach, du Süße, alles gut, glaube ich. Das Telefonat mit Tobias war in Ordnung, vielleicht ist es sogar ein Weg, das Ganze endgültig abzuhaken. Lieb, dass du fragst.« Sie ging um den Schreibtisch herum und drückte ihrer Freundin einen dicken Kuss auf die Wange. Schmunzelnd sah sie zu, wie diese anschließend reflexartig ihren Schminkspiegel heranzog, um zu prüfen, ob der ungeplante Hautkontakt sich negativ auf ihr Make-up ausgewirkt hatte. Da dies nicht der Fall war, warf Birgit Katharina eine Kusshand zu und entließ sie mit der Info, ihre Recherchen zum Überleben in den Bergen lägen bereits auf Katharinas Mail-Account. Als sie gehen wollte, rief Birgit sie zurück. Missbilligend zeigte sie auf Katharinas legere Kleidung, dann auf den Schrank, in dem sie »Termin«-Klamotten ihrer Freundin aufbewahrte. »Bevor du zu Adelhofer gehst, solltest du noch mal bei mir vorbeischauen.« Katharina nickte brav und ging, um sich durch Birgits Bergwinter-Recherchen zu arbeiten.
Punkt 15 Uhr stand sie perfekt gekleidet vor beautiful Roberts Assistentin. Birgit hatte sie in eine hippe, enganliegende dunkelblaue Jeans, ein hellblaues Shirt und eine braune Lederjacke gesteckt. Die Locken waren zu einer schicken Frisur hochgesteckt. Katharina konnte also dem blondierten und mit Sicherheit nicht nur an einem Körperteil mit Botox behandelten Geschöpf, das sie feindselig musterte, entspannt gegenübertreten. Sie hätte den Ablauf des Gesprächs vorhersagen können, so oft hatte sie diesen Typ Frau in Vorzimmern angetroffen. Diese hier hatte tief in die Schminkschatulle gegriffen, die durchscheinende weiße Bluse war eine Nummer zu klein und die oberen Knöpfe standen so weit offen, dass sie bei jedem Vorbeugen freizügige Einblicke gewährte. Nachdem Katharina auf ihren Termin mit Adelhofer hingewiesen hatte, kam wie auf Kommando: »Herr Adelhofer ist heute leider den ganzen Tag nicht zu sprechen.«
Katharina spulte routiniert die Antwort ab: »Ach wirklich? Das ist schade. Es ist wohl etwas Ernstes dazwischengekommen. Ich hätte doch auf seinen Vorschlag eingehen sollen, dass wir uns auf ein Glas Wein treffen. Aber ich wollte einem viel beschäftigten Mann nicht seine wenige freie Zeit rauben.«
Verblüffung und Unverständnis zeichneten sich im Gesicht des Vorzimmerdrachens ab – was allerdings wegen der unterspritzten Gesichtsteile seltsam anmutete.
»Dann gehe ich, auf Wiedersehen. Falls Sie ihn sprechen sollten, sagen Sie ihm, ich melde mich später.«
Botoxine hatte ihre Fassung wiedererlangt und schnauzte: »Ich habe doch deutlich gesagt, dass Herr Adelhofer den ganzen Tag nicht zu erreichen ist. Daher hilft es auch nichts, wenn Sie sich nachher noch mal melden.«
Katharina lächelte nachsichtig: »Oh, entschuldigen Sie bitte, ich habe mich nicht klar ausgedrückt. Sagen Sie ihm, ich melde mich nachher auf seinem privaten Handy, dann muss ich Sie nicht ein weiteres Mal belästigen. Das ist bestimmt unangenehm für Sie, wenn Herr Adelhofer Sie nicht über Termine unterrichtet, die er vereinbart. Ich überlasse Sie wieder Ihren Aufgaben, vergessen Sie mich einfach. Ich kann Herrn Adelhofer nachher ja sagen, dass man so nicht mit seiner Assistentin umgehen kann.« Katharina zwinkerte der Blondie verschwörerisch zu.
In diesem Moment klingelte ihr Handy. Robert Adelhofer! »Hallo, meine schöne Lieblingsjournalistin, sind Sie in meinem Büro?«
»Sagen wir besser, vor Ihrem Büro«, präzisierte Katharina.
»Oh, verstehe, dann befindet sich vor Ihnen das unüberwindliche Hindernis Frau Perlmaier, das tut mir leid. Ich habe vergessen, ihr unseren Termin mitzuteilen. Sie soll Sie in mein Büro lassen, ich bin in fünf Minuten da.«
»Das sagen Sie ihr besser selbst.« Mit diesen Worten reichte Katharina ihr Handy an Frau Vorzimmer-Perlmaier weiter. Fasziniert beobachtete sie, dass die Dame an jedem Finger der rechten Hand einen, manchmal sogar zwei Ringe trug.
»Mach ich, Chef. Allein? Echt? Wie Sie meinen.« Perli gab das Smartphone an Katharina zurück. Beleidigt zeigte sie auf die schicke Plexiglastür hinter sich und sagte kurz: »Sie sollen auf ihn warten. Wollen Sie einen Kaffee?«
»Oh, danke, dass Sie so freundlich fragen, aber nein, lieber nicht. Ich hatte heute schon genug Kaffee.«
Katharina strahlte Frau Perlmaier an und ging an ihr vorbei in Robert Adelhofers riesiges Büro. Darin: ein überdimensionaler halbrunder Schreibtisch, darauf ein iPad. An den Wänden unzählige Fotos von Adelhofer – in der Sendung, mit Fans, in Talk-Runden, mit seinen Eltern, vor dem Adelhofer-Hof und natürlich ein riesiges Bild vom Cover seines Buches. Die diversen Fotos mit seinem Bruder waren alle mit einem schwarzen Trauerband versehen. Bilder von Robert in den Bergen gab es keine.
Zu einer Lounge in Grau gehörte ein bemerkenswerter Tisch: Der Fuß war die Nachbildung eines Berges, auf dem Gipfel war eine dicke Glasplatte aufgeschraubt. Ein Alpentisch für den Alpenneurotiker? Interessant, befand Katharina und ging zu dem Fenster, aus dem Adelhofer von seinem Schreibtisch aus schauen konnte. Das Gebäude, in dem er seine Produktionsfirma hatte, befand sich im zwölften Stock eines Hochhauses in der Nähe des Stachus – beste Münchner Lage. Vom Fenster schaute man Richtung Norden über die Fußgängerzone, die Feldherrenhalle bis zur Erlöserkirche an der Münchner Freiheit.
Während Katharina überlegte, in der Lounge auf Adelhofer zu warten, piepte das iPad auf seinem Schreibtisch. Ohne groß zu überlegen, ging sie an den Tisch und nach einem Klick konnte sie lesen: »Wie du siehst, habe ich deinen privaten E-Mail Account. Ich empfehle dir dringend, dich an die Vereinbarungen zu halten.«
Keine Unterschrift und auch die E-Mail-Adresse gab keinen Hinweis auf den Absender: info@service222.de. Katharina schoss schnell ein Handy-Foto und schickte es an Birgit. Dann ging sie Richtung Lounge und setzte sich auf einen der Sessel. Kurz darauf öffnete sich die Tür. Adelhofer kam herein. Hinter ihm warf Botoxine noch mal einen giftigen Blick Richtung Katharina.
»Hallo, liebe Frau Langenfels, wie schön. Warum haben Sie keinen Kaffee?«
»Ich wollte keinen, danke, Herr Adelhofer.« Katharina erwiderte Adelhofers Händedruck, der fest und selbstsicher war. Er setzte sich ihr gegenüber und schaute ihr so eindringlich in die Augen, dass Katharina froh war, den Sessel gewählt zu haben.
»Toller Tisch.« Katharina deutete auf den verglasten Berg. Kurzes Zucken in Roberts Gesicht.
»Finden Sie? Na ja, das war ein Geschenk meines Teams nach meiner ersten ›Krise‹-Sendung. Symbolisch nach dem Motto: ›Du hast den Berg erklommen.‹« Adelhofer schaute sie prüfend an. »Sie fragen sich bestimmt, wie das zu meiner Phobie, was Berge betrifft, passt: Auf den muss ich nicht rauf, der steht nur rum.«
»Nein, deswegen habe ich nicht gefragt. Ich fand eher das Design interessant. Und zu Ihrem Lebensthema passt der Tisch in jedem Fall. Welcher Berg ist es? Ich kenne mich da nicht gut aus.«
Robert Adelhofer grinste. »Müssen Sie auch nicht. Ich kann Sie beruhigen, diesen Berg gibt es nicht, ein Phantom quasi.«
Katharina lächelte.
»Los geht’s, Frau Langenfels. Fragen Sie, fragen Sie nach Herzenslust, was Ihnen hilft für eine gute Story.« Adelhofer sah wie aus dem Ei gepellt aus, trug ein teures rot-weiß kariertes Hemd, dazu edle, lässig wirkende graue Designerjeans und an Haferlschuhe erinnernde Halbschuhe, vermutlich handgemacht. Botoxperli im Vorzimmer war bestimmt ganz wild auf ihren Robert.
»Danke, dass Sie sich noch mal die Zeit nehmen. Ich würde gern ein bisschen mit Ihnen über Ihre Kindheit sprechen, über Sie und Ihren Bruder, Ihre Liebe zu den Bergen und wie es zu der Idee mit dem Bergwinter kam.«
»Kein Problem, Frau Langenfels. Vom Lukas erzähle ich besonders gern, weil er so ein lieber Kerl war. Und das sag ich nicht bloß, weil er tot ist. Wir waren nicht nur Brüder, sondern die besten Freunde, wir haben alles zusammen gemacht. Am liebsten sind wir in die Berge, im Sommer, im Winter, Hauptsache in die Berge. Als wir noch klein waren mit der ganzen Familie, und später nur noch wir zwei. Ich glaube, es gibt keinen Berg im Chiemgau, auf dem wir nicht oben waren, und in Bayern nur wenige. Nachdem wir selbst Auto fahren durften, hat sich unser Radius natürlich vergrößert, wir sind mal übers Wochenende weg, mal für eine ganze Woche. Mit Übernachtung auf Hütten oder einfach im Schlafsack unterm Sternenhimmel – ganz romantisch, verstehen Sie, Frau Langenfels?« Er zwinkerte Katharina verschwörerisch zu.
»Und wegen der Romantik sind Sie auf die Idee mit dem Bergwinter gekommen?«
Adelhofer grinste. »Na ja, das weniger. Ich wollte meine Grenzen testen, herausfinden, was ich aushalten kann. Wo hätte ich das besser machen können als in den Bergen? Die Berge waren nach Lukas meine besten Freunde. Zu den Bergen hatte ich uneingeschränktes Vertrauen. Ich wusste, dass sie mich nicht im Stich lassen würden. Und bei der Watzmann-Überquerung, die der Lukas und ich zwei Jahre vorher gemacht hatten, habe ich die Region sehr gut kennengelernt. Drum bin ich da los.«
»Was hat Lukas zu Ihrem Plan gesagt?«
»Der hat das sofort verstanden. Er hat mich hundertprozentig unterstützt und das Geheimnis gehütet, genau, wie wir es ausgemacht haben.«
»Warum ist Lukas nicht mit? Wäre das nicht eine bereichernde Erfahrung für Sie als Brüder gewesen?«
Robert Adelhofer schaute Katharina vollkommen verständnislos an. »Das war überhaupt nie ein Thema. Es war klar, dass ich das mach, dass das meine Challenge ist.« Irritiert schob er nach: »Der Lukas hat das genauso gesehen, das weiß ich.«
Schade, dass wir ihn nicht mehr fragen können, dachte Katharina. »Sorgen hat er sich keine gemacht?«
Adelhofer antwortete mit einer wegwerfenden Geste. »Nein, der Lukas war sich sicher, dass ich das pack, wir waren so oft zusammen in den Bergen, der hat gewusst, dass ich jede Situation meistern würde.«
»Aber im Winter monatelang Tag und Nacht in den Bergen, das kannten Sie nicht. Haben Sie sich lange darauf vorbereitet und alle möglichen Situationen durchgespielt?«
Adelhofer lachte laut auf und nahm einen Schluck von dem Cappuccino, den ihm Botox-Perli gerade hingestellt hatte. Katharina hatte sie mit einem ätzenden »Sie wollten ja nichts, Frau äh …« abgefertigt.
»Nein, Frau Langenfels, ein Bub aus den Bergen, der weiß genau, was da auf ihn zukommt, das hab ich nicht durchspielen müssen.«
Langsam begann dieses Gespräch Katharina zu nerven. »Und die Sache mit Ihren Fingern … Da hatten Sie offenbar nicht alles im Griff.«
Wieder lachte Adelhofer herzlich und streichelte die Lücke zwischen Zeige- und Ringfinger. »Kollateralschaden, Frau Langenfels, ein kleiner Kollateralschaden. Es war halt ein paar Nächte arg kalt und die Handschuhe durch und das Feuer aus. Da ist das nicht ausgeblieben.«
»Wie haben Sie das Feuer wieder anbekommen mit fast erfrorenen Fingern?«
»Sie wollen es aber ganz genau wissen, Frau Langenfels, klar, als knallharte Journalistin.« Jetzt zwinkerte Adelhofer ihr nicht nur zu, sondern legte kurz seine Hand auf ihren Oberschenkel. Katharina drehte ihre Beine weg und schaute ihn erwartungsvoll an.
»Na ja, wie man halt ein Feuer anmacht, Steine aneinanderreiben und so weiter.«
»Und das ganze Holz für einen Winter hatten Sie irgendwo aufbewahrt?«
»Ich will ehrlich zu Ihnen sein. Einen kleinen Vorrat für die erste Zeit hatte ich tatsächlich in einer Höhle gesammelt, aber nur wenig.«
»Welches Holz brennt Ihrer Erfahrung nach eigentlich am besten? Ich habe meine eigenen schlechten Erfahrungen mit meinem kleinen Kamin zu Hause«, log Katharina.
Kurze Pause – mit dieser Frage hatte beautiful Robert anscheinend nicht gerechnet.
»Oh, Frau Langenfels, man darf halt nicht wählerisch sein, ich hab gesammelt, was rumlag.«
»Aber das Holz, das Sie später gesammelt haben, muss doch ganz feucht gewesen sein. Das hat sicher ewig gedauert, bis es gebrannt hat.«
»Stimmt. Was dich nicht umbringt, macht dich stärker, das war immer mein Motto. Bei dem Finger war ich mir nicht mehr ganz sicher, aber ist ja auch gut gegangen.«
Wie Adelhofer sich auf dem Berg mit seinem Brotzeitmesser den Finger abgeschnitten hatte, damit der Wundbrand sich nicht ausbreitete, das hatte Katharina in einem älteren Interview gelesen.
»Sie müssen unglaubliche Schmerzen gehabt haben.«
»Kann man sagen, ja, und nicht gerade steriles Verbandszeug.«
»Mit Ihrem Wissen nach diesen Monaten könnten Sie wahrscheinlich ein Buch rausgeben mit den besten Wurzel- und Kräuterrezepten aus den Bergen.«
Adelhofers Blick flackerte kurz: »Oh nein, Frau Langenfels, Kochen ist überhaupt nicht mein Ding. Hab ich auch nicht machen können, gab ja nichts. Hab halt von getrockneten oder gebrutzelten Viechern gelebt.«
»Echt? Einen ganzen Winter lang? Welche Tiere haben Sie gegessen?«
»Was ich erwischt hab. Hase, Reh, Schlange, alles Mögliche.«
»Clevere Idee, eine Schlange im Winterschlaf zu überraschen. Und wie haben Sie die verspeist?«
»Das wollen Sie nicht wissen, Frau Langenfels, das wollen Sie nicht wissen.«
Katharina setzte nach: »Doch, das ist total spannend. Schonen Sie mich nicht, ich halte Einiges aus.«
Adelhofer wurde unruhig. »So spannend ist es nicht. Auseinandergeschnitten, überm Feuer gegart und gegessen. Hat ekelhaft geschmeckt.«
»Interessant. Ich habe mal gehört, Schlange schmeckt wie Hühnchen.«
»Die nicht«, antwortete Adelhofer knapp.
Katharina schwieg und beobachtete ihn.
Er trank einen Schluck Cappuccino und fragte förmlich: »Frau Langenfels, kann ich noch irgendetwas für Sie tun?«
»Nur noch zwei Fragen: Als Sie zurückkamen nach dem Bergwinter, ist Ihnen die gute Freundschaft mit Lukas erhalten geblieben?«
»Natürlich. War zwar mit dem Lukas seiner Depression nicht einfach, den Kontakt zu halten. Aber ich hab mein Bestes gegeben. Anscheinend nicht genug.« Jetzt blickte Adelhofer sinnierend in die Ferne.
»Herr Adelhofer, es tut mir leid, dass Sie dieses Gespräch aufgewühlt hat. Eine letzte Frage: Wer ist Jana Waldemat?«
Katharina sah Überraschung in Adelhofers Gesicht. »Jana Waldemat, das war eine Flamme vom Lukas. Als ich aus den Bergen zurückkommen bin, war er kurz mit der zusammen – ist ewig her, drum haben Sie mich gerade auf dem falschen Fuß erwischt. Ich habe mich über den Nachnamen amüsiert, weil er mich an Lord Voldemort von Harry Potter erinnert hat. Dabei hatte die kleine blonde Jana gar nichts von diesem Ungeheuer. Wie kommen Sie auf die?«
»Ach, wir haben sie zufällig auf einem Foto mit Lukas und Ihnen gesehen. Und in einem anderen Zusammenhang ist sie noch mal aufgetaucht. Wissen Sie, was Frau Waldemat heute macht?«
»Keine Ahnung, das ist so lang her. Ich hab nie viel mit dem Mädl zu tun gehabt, wissen Sie, das war ja dem Lukas seine. Sie haben sich dann auch bald getrennt. Danach ist sie nie wiederaufgetaucht.«
»Ah, alles klar, na ja, kann man nichts machen. Vielen, vielen Dank, dass Sie sich die Zeit genommen haben.« Katharina stand auf und Adelhofer ebenfalls.
»Immer wieder gern, Frau Langenfels. Melden Sie sich einfach in meinem Büro, wenn Sie noch etwas brauchen.«
»Das mache ich. Ach, bevor ich es vergesse: Während ich auf Sie gewartet habe, ist eine E-Mail auf Ihrem iPad angekommen. Jedenfalls war es der gleiche Signalton wie bei meinem, wenn eine E-Mail kommt. Schönen Tag noch.« Katharina lächelte Adelhofer an, drückte kräftig seine Hand und glaubte, ein unsicheres Flackern in seinen Augen zu sehen.
»Katharina, genau diese E-Mail-Adresse, von der die Mail kam, die du abfotografiert hast, habe ich auf Lukas’ Laptop gefunden. Ich weiß nur noch nicht, wem sie gehört. Den Inhalt habe ich auch noch nicht entschlüsselt, kann aber nicht mehr lang dauern.«
Kaum war Katharina aus Adelhofers Büro raus, hatte sie Birgit angerufen und ihre Vermutung mitgeteilt: »Irgendjemand erpresst Robert Adelhofer und hat vielleicht auch Lukas erpresst. Oder Lukas hat mit jemandem gemeinsame Sache gemacht und das wurde irgendwann schwierig.«
»So sieht es aus, das sehe ich genauso. Er hat übrigens seine Handynummer geändert, wahrscheinlich, weil er von irgendwem nicht mehr erreicht werden will. Prominente machen das zwar öfter, aber gerade jetzt … Wäre ein großer Zufall, wenn es nichts mit der aktuellen Situation zu tun hätte. Jedenfalls kann ich leider seine Gespräche nicht mehr mithören.«