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Kitabı oku: «Die Inseln der Weisheit», sayfa 14

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Folgt Nebenexkurs auf Dädalus, den Urheber der Flugtechnik. Er selbst kommt mit dem Leben davon, aber sein Sprößling Ikaros muß abstürzen und ersaufen. Sinniges Symbol: die Sünden der Väter werden heimgesucht an den Söhnen. Dazu Hephästos-Vulkan, auch ein Sinnbild der Erzmechanik; der einzige mißgestaltete Gott, krumm und humpelnd, betrogen in der Liebe, Objekt des homerischen Gelächters. Er, der Hervorbringer technischer Wunderwerke, der sich keine Ruhe gönnt, nie aufhört zu vervollkommnen, ist für die höheren Gottheiten eine komische Figur.

Eine andere Schrift brachte die Zeugnisse anerkannter Denker über den Unwert der im heutigen Sinne verstandenen Kultur. Aus den Schriften von Montaigne und Darwin wurde haarscharf gefolgert, daß diese Kultur mit aller Notwendigkeit zur Verschlechterung, ja zur Verelendung der Rasse führen müsse. Sie zitierten Stellen aus Ovid und Horaz, die von der Jämmerlichkeit und immer steigenden Erbärmlichkeit der nachfolgenden Generationen handelten. Genannt wird Lamartine: »Der Fortschritt ist eine Absurdität«; Fénelon-Rousseau: »Alle Laster entwickeln sich mit der Kultur, Gerechtigkeit, Weisheit, – alle Tugenden wohnen bei den Halbwilden.« Schopenhauer-Hartmann: »Die fortschreitende Intelligenz macht die Menschen unglücklicher.« Chamisso findet die echte Kultur nur auf den unzivilisierten Inseln, dagegen in den Zivilisationskreisen der Fortschrittswelt die Barbarei. Dagegen gibt es nur einen Trost und eine Hoffnung: die zyklische Wiederkehr alles Geschehens. Nietzsche? bewahre! Die Theorie bestand schon weit schöner bei den Orphikern und Pythagoräern; Cicero hat sie wiederholt, ähnlich Macchiavell und Johannes Bodinus: velut in orbem redire videntur, die menschlichen Vorgänge sind Umwälzungen, sie scheinen wie in einem Kreise wiederzukehren; ist also, wie die Alten mit Recht annehmen, der Fortschritt eine Verschlechterung, so kann nach der Zyklentheorie wiederum eine Verbesserung eintreten, und hieraus ergibt sich die einzige menschenwürdige Aufgabe: wie beschleunigen wir diese Rückkehr? Durch die gesteigerte Intelligenz, die in allen Kulturschäden die Mechanisierung aufspürt und diesen Despoten niederkämpft.

»Meister!« sagte einer der Adepten, »Wir sind außerdem gekommen, um Sie an ein Versprechen zu erinnern. Sie wollten uns doch Ihr neues Lichtbild-Theater zeigen. Wie wäre es, wenn Sie dies auf der Stelle täten?«

– Dazu wäre ich gern bereit, erwiderte Algabbi. Allein ich habe hier einen Gast aus Europa, der mich gern auf Widersprüche festnagelt, und deshalb müßte ich eine Erklärung vorausschicken. – Und zu mir gewandt erläuterte er: Sie werden erstaunt sein, daß sich meine Jünger auf eine neue Erfindung von mir berufen. Ich, der ich mich auf meine alten Tage zur Antitechnik bekehrt habe, dürfte doch wohl selbst nicht mehr erfinden. Allein hier werden Sie einen Ausnahmefall erkennen. Diese von mir aufgestellte Novität bezweckt nämlich nur, sinnfällig und körperlich-drastisch das Nämliche aufzuzeigen, was wir soeben theoretisch entwickelt haben. In ihr schließt sich der Kreis. Sie ist der letzte Ausläufer der Mechanisierung, dem ein überletzter nicht mehr folgen darf, und sie rechtfertigt sich dadurch, daß sie selbst den Beweis unserer Lehre in sich schließt.

Was wir nunmehr erlebten, war ein dreidimensionales Kino; also ein Filmtheater, das sich von den Bedingungen der Flächenprojektion losgelöst hatte, um die Vorgänge in vollkommen körperlicher Optik darzustellen. Mit Figuren, die sich von lebenden Menschen anscheinend in nichts unterschieden, und die keine malerischen Perspektive brauchten, da sie im wirklichen Raume agierten. Nur dem Tastsinn hätten sie nicht standgehalten. Im übrigen bewegten sie sich, handelten und sprachen sie wie Menschen, diese körperlichen Schatten; denn in ihnen war auch das akustische Problem vollkommen gelöst durch eine restlos synchrone Phonographie, die zwar mechanischen Ursprungs war, aber in keinem Laut die mechanische Herkunft verriet.

Der Wohnraum Algabbis verdunkelte sich, eine Seitenwand verschwand, zerfloß im Nebel und gab den Ausblick frei in ein beleuchtetes Laboratorium, worin mehrere Ingenieure eben dabei waren, das äußerste Werk der Technik zu vollenden. Sie arbeiteten an einem wundervollen Modell, das die Krönung aller Mechanik vorstellte. Das war »der automatische Mensch«, »der automatische Fabrikarbeiter«, der, aus toten Substanzen hergestellt, vermöge des feinsten Innenwerkes einen vollkommenen Ersatz für den wirklichen Arbeiter bot. Ja, er funktionierte noch weit exakter, als ein lebender, Fehlgriffe kamen bei ihm nicht vor, alle automatischen Handgriffe ergänzten einander bis zur Höchstleistung. Sie besaßen die mechanisierte Seele, in der das Taylor-System bis ins Extrem durchgebildet, mit psychischer Notwendigkeit herrschte.

Während der folgenden Szenenbilder sah man diese Automaten bereits in voller Tätigkeit an den Maschinen, die sie bedienten. Nur bei geschärfter Aufmerksamkeit konnte man erkennen, daß ihrem Menschentum ein minimaler Rest von Unorganischem anhaftete. Im Gange hatten sie etwas Synkopiertes, in der Rundung ihrer Bewegungen gab es hin und wieder infinitesimale Ecken. Der menschliche Blick ihrer Augen verriet auf Bruchteile von Sekunden einen kristallischen Schimmer. Ein ganz leises Knarren schien von ihren Muskeln auszugehen, und wenn sie sprachen, so schwebte in den Organen ein befremdlicher Unterton.

In bestimmten Zeitintervallen öffneten die arbeitenden Automaten eine kleine Seitenklappe an ihren Körpern, um eine ölige Flüssigkeit einzuträufeln. Dann ging es weiter. An einer großen Wanduhr konnte man den Zeitablauf in Beschleunigung ablesen; in verkürzten Stunden, Tagen, Wochen, Monaten. Und hieraus entnahmen wir den Tatbestand, daß diese Automaten niemals ermüdeten. Sie arbeiteten vierundzwanzig Stunden am Tage, und ein Tag war wie der andere.

Ja, sie schienen sich durch ihre Tätigkeit nur immer mehr zu vervollkommnen. Wie eine Cremoneser Geige, die doch auch nur ein Instrument ist, beständig in den menschlichen Gesangston hineinwächst, so überwanden auch diese Menschen-Maschinen von Stunde auf Stunde das Instrumentale. Immer seltener wurden die kristallischen Reflexe ihrer Blicke, und ihre Sprechstimmen gewannen Obertöne, die beinahe rednerische Klangfarben erzeugten. In den mechanischen Seelen ging etwas vor, das über die Absicht der konstruierenden Ingenieure hinauswollte.

Und plötzlich unterbrachen die arbeitenden Automaten ihre Beschäftigung, um zu einer Verständigung zusammenzutreten. Eben hatten sie noch in ihre Seitenklappen am Körper frisches Öl aufgegossen, aber schon in dieser Bewegung lag Widerwilligkeit; in ihren Augen funkelte Drohung. Über den Vorgang konnte ein Zweifel nicht obwalten: Die Automaten organisierten sich.

Die Ingenieure und die Unternehmer stürzten herbei um nach dem Rechten zu sehen und den unterbrochenen Betrieb wieder herzustellen. Aber das gelang nicht. Die Automaten hatten die Mehrheit und die Stärke für sich; und sie übten diese Überlegenheit in radikaler Form. Hier erfüllte sich das Schicksal des Zauberlehrlings: die ich rief die Geister, werd› ich nun nicht los!

Man versuchte den rebellischen Automaten ihre Minderwertigkeit und Gehorsamspflicht klarzumachen: Ihr seid doch nur die Geschöpfe der Menschen, die euch ersonnen haben, deren göttergleiches Ingenium doch gerade in eurer Konstruktion so glänzend zu Tage trat!

»Göttergleich wollt ihr sein?!« schrie ein Automat, der kurz zuvor an einer Buchdruckermaschine gearbeitet hatte. »Und was schreibt ihr selbst über euch, was gebt ihr selbst über euch in den Druck?« Er schwenkte ein eben fertiggestelltes Buchblatt. »Hier steht es in Lettern: »Die Menschheit ist eine an Größenwahn erkrankte Affenspezies«!

Algabbi flüsterte mir zu: »Das Wort ist von einem deutschen Philosophen, von dem hervorragenden Vaihinger.«

»Wir aber, wir Automaten« – setzte der Druckmaschinist fort – »sind keine Affen, und daß wir nicht an Größenwahn leiden, werden wir euch durch die Tat beweisen. Denn hart an hart zeigt sich die wirkliche Größe. Nur in uns steckt sie, nicht in euch. Kriechet zu Staub, ihr Kleinen, vor der Gewalt der Automaten!«

Das szenische Schlußbild gewährte einen symbolischen Ausblick in die durch jenen Aufstand erzwungene Neuordnung der Dinge. Vor den Betrachtern erschien ein Raum, der das oberste Staatsamt der mechanisierten Welt darstellte. Einige wirkliche Menschen schlichen darin umher als Boten, Aufräumer, Faszikelträger, etliche schrieben in Maschinen nach Diktat. Minister-Automaten diktierten, verfügten, befahlen. Gewisse synkopierte Rhythmen in den Bewegungen blieben auch hier noch erkennbar. Hin und wieder griff eine Regiermaschine sich an den Leib und prüfte das Festsitzen der Schrauben. Aber das korrekte Wirken des gesamten Staatsmechanismus schien verbürgt, und kein Protestlaut hob sich aus den Brüsten der menschlichen Lebewesen, die als Überbleibsel einer überwundenen Epoche anachronistisch und spukhaft vorüberglitten.

* * *

»Meister Algabbi,« sagte ich beim Abschied, »ich habe mich in Ihren Gedankengang einzuspinnen versucht und gestehe, daß Ihr Kinospiel bei aller Phantastik auf ziemlich realem Hintergrund steht. Man braucht bloß statt des arbeitenden Automaten die neuzeitliche Maschine zu setzen, dann sind wir bei der Wirklichkeit. Sie, die Dienerin, die wir erschufen, um uns zu entlasten, tyrannisiert uns, unterjocht unsere Seele, saugt uns das Gemüt und die Zeit aus allen Poren, und wenn sie uns dafür als Lohn ihre Massenprodukte hinwirft, so sind wir die Lohnsklaven der Maschine«.

– Da hätten wir uns ja verstanden; und nun begreifen Sie wohl, weshalb ich zur Gegenorganisation aufrufe. Es ist die letzte Wehr gegen die Tyrannis der Objekte. Auf unserer Flagge darf nur der eine Merkruf stehen: »Besinnung«!

»Trotzdem wiederhole ich noch einmal meine erste Bitte. Ich möchte nach Sarragalla nicht ganz mit leeren Händen zurückkommen. Träger einer fatalen Botschaft zu sein ist ein undankbares Geschäft; und bei den Leuten überwuchert die unmittelbare Gegenwartssorge alle Besinnungsmöglichkeit. Sie verweisen sie auf eine Zukunft, die von ihnen, wie sie befürchten, gar nicht erlebt werden kann. Vielleicht entschließen Sie sich bezüglich der Minerallieferung zu einer geringen Konzession. Für jede Tonne von ehedem ein einziges Pfund; damit doch die Fäden zwischen den Schwesterinseln nicht gänzlich abreißen.«

Auch das setzte ich nicht durch. Es blieb bei der strikten Weigerung, und der Bescheid, den ich zurückbrachte, lautete bündig: Solange Algabbi lebt, keine Unze!

Die Stimmung war trostlos, und wir Gäste litten mit unter der unheimlichen Spannung. Ich hatte das vorgefühlt, und man sagte uns nichts Neues, als man uns mitteilte, die Leiter des Staatswesens hätten auf meinen Besuch bei dem großen Gelehrten trotz alles Vorangegangenen die allergrößten Hoffnungen gesetzt. Man hatte sogar schon ein Freudenfest geplant, in dessen Mittelpunkt wir gestellt werden sollten. Jetzt herrschte Trauer, und wenn auch nicht aus Worten, so doch aus Blicken war der Vorwurf herauszulesen: dieser Deutsche hat es doch wohl an Nachdruck und Beredsamkeit fehlen lassen; Algabbi hat ihn eingewickelt, und schon beim ersten Motiv lag er wahrscheinlich platt am Boden.

Aber das Bild änderte sich. Wir hatten den begreiflichen Wunsch, von der verurteilten Insel je eher je lieber loszukommen, und wir bemerkten auch keine Anstrengungen der Leute, uns zu längerem Aufenthalte zu nötigen. Nur sollte es nicht wie Flucht aussehen; wir setzten daher noch einen zweitägigen Zwischenraum. Als wir am späten Nachmittag abreisten, meldete sich Forsankar, um uns bis ans Schiff zu begleiten. Auf seiner Physiognomie waren alle Wolken verflogen.

»Also Sie haben sich beruhigt,« sagte ich, »Recht so! Ihre Prognosen waren ja auch viel zu schwarz. Sie werden sehen, daß Sie einen Teil ihrer lebenswichtigen Betriebe auch ohne Zufuhr von Uran- und Thoriumerzen aufrecht erhalten werden.«

– Sie befinden sich im Irrtum. Die Betriebe wären verkümmert – Mein Ihnen so unvermuteter Optimismus hat einen anderen Grund. Die Sperre wird fallen.

»Nicht so lange Algabbi lebt.«

– Er ist tot.

Ich verstummte in Erschütterung. Eva fragte: »Ein Schlaganfall?«

– Wie man›s nimmt. Es gibt auch Fernschläge. Und das Mittel, solche Schläge auf Distanz auszuteilen, beruht auf wissenschaftlichen Tatsachen, die kein anderer ermittelt hat, als Algabbi selbst. Ich persönlich habe damit nichts zu tun. Aber einer meiner Kollegen hat sich wohl dieses Verfahrens entsonnen, das wir jetzt seit zehn Jahren kennen, ohne es je benutzt zu haben.

»Dann hat er gemordet, der Schurke!«

– Sie hatten nicht so viel Entrüstung in Bereitschaft, als der Erfinder dieser Tötungsmethode uns durch seine Sperre morden wollte. Was ist schließlich geschehen? Ein Menschenleben weniger, ein längst verwirktes. Nicht der Rede wert im Vergleich mit so vielen. Dafür hat ja auch Ihre Ethik eigene ausreichende Rechtfertigungsgründe.

Wir wandten uns ab und begaben uns auf die »Atalanta«, die sich sofort in Bewegung setzte. Vom Lande her wehten uns geschwungene Tücher entgegen. Als es dunkel wurde, bemerkten wir durchs Teleskop das Aufsteigen zahlreicher Freudenraketen. Sie befanden sich offenbar wieder auf der Höhe der Situation, die Bewohner der mechanisierten Insel.

Helikonda

Die Insel der schönen Künste

Ein beneidenswertes Eiland. Es möge ununtersucht bleiben, welchen Umständen die Insel ihre bevorzugte Stellung verdankt, ihre Wohlhabenheit und politische Ruhe. Genug, daß diese Voraussetzungen erfüllt sind, und daß diejenigen Elemente, die wir sonst als Verfeinerungen und angenehme Arabesken des Daseins betrachten, von der Bevölkerung als das Wesentliche ihrer Existenz mit allem Nachdruck gepflegt und ausgebaut wird. Die Kunst als Selbstzweck ist das Kennzeichen dieser Insel.

Ihr leuchtete eines Mediceers Güte, der mit seinen enormen Reichtümern das Gefilde der Kunst berieselte. Von großzügigem Mäzenatentum erfüllt kannte er keinen anderen Lebenszweck, und nachdem er Appollini et Musis reichliche Einzelaltäre erbaut hatte, verfiel er auf den Gedanken, eine Stadt zu gründen, die durchaus und ausschließlich den schönen Künsten gewidmet sein sollte. Die Neigung des Volkes kam seinem Vorhaben entgegen, und mit der Schnelligkeit, mit der sonst nur in einem neuentdeckten Goldlande menschliche Siedelungen aufblühen, wuchs diese Stadt empor: Helikonda, deren gesamte Anlage vom ersten Plan angefangen als ein Dorado der Kunst gedacht war.

Ihr war und ist das ganze Land tributär. Was Gewerbe und Handel in den anderen Ortschaften erzeugen, findet den materiellen Abfluß nach Helikonda. Ja, man kann sagen: diese andern Ortschaften stellen das sehende, hörende, genießende und zudem zahlende Publikum, während Helikonda, zum Range der Hauptstadt erblüht, den Inbegriff von Theater, Konzert, Museum und Kunstschule darstellt.

In einem Dialog bei Moliere könnte man einen schwachen Hinweis auf diese Entwickelung finden. Dort werden der Tanz und die Musik der Philosophie übergeordnet und als die höchsten Lebensnotwendigkeiten ausgerufen: »Ohne Musik kann ein Staat nicht bestehen.« Eine etwas weiter reichende Folgerung zog Berlioz in seiner »Euphonia«, die er als imaginäre Kunstgemeinde in den deutschen Harz verlegte. Das war ein gedanklicher Versuch mit unzureichenden Mitteln. Tatsächlich verhält sich jene Skizze zu dem Helikonda, das wir erlebten, wie der schüchterne Auftakt eines kompositorisch beanlagten Knaben zum Lebenswerk eines Meisters; oder wie der erste Wettlauf zweier prähistorischen Wilden zu den olympischen Spielen.

Es erinnerte an die pythagoreische Vorstellung vom tönenden Weltall. Die ganze Stadt klang, wenn man unter Klingen nicht etwas rein Akustisches, sondern etwas Kosmisches versteht. Schon in ihrer äußeren Anlage gab sie selbst sich als ein durch Plan, Ordnung und Programm bestimmtes Kunstwerk. In dessen Zentrum und Brennpunkt befindet sich ein ungeheurer, mit Kolonnaden im Berninistil eingefaßter, kreisrunder Platz, dessen Bauwerke bildnerischen, dramatischen und konzertanten Vorführungen dienen. Säle bei Sälen, darunter einer für Monstre-Darbietungen, bei denen dreitausend Mitwirkende sich vor zwölftausend Hörern vereinigen können. Museen, Ausstellungshallen, Kunstschulen, Meisterateliers und die Paläste der Kunstbehörden vervollständigen das Rondell. Von diesem Platz strahlen sternförmig viele Wohnstraßen nach außen hin, die jede für sich einen ausgeprägten Berufscharakter aufzeigen; es gibt eine Straße der Theaterdichter, der Epiker, der Lyriker, der Komponisten, der Sänger, der Instrumentalvirtuosen, der Ästhetiker, der Maler, der Bildhauer; und aus der Entfernung ihrer Häuser vom Zentralplatz läßt sich ein Schluß auf ihr künstlerisches Bekenntnis ableiten: die Konservativsten wohnen dem Mittelpunkt zunächst, die Entfernung von diesem bemißt sich nach dem Grade ihrer Sonderbestrebung, so daß die extremsten Vertreter der Neukünste bis an die Peripherie der Stadt rücken. Die Radialstraßen werden wiederum von konzentrischen Kreisstraßen durchschnitten, wonach sich also die einfachste Orientierung ermöglicht: Verfolgt man eine gradlinige Straße, so verbleibt man im bestimmten Fach und steigt in diesem vom Alten zum Modernen; bewegt man sich in einer Kreisstraße, so durchkreuzt man alle Berufe auf einer bestimmten Stufe der Entwicklung.

So weit hätten wir Fremdlinge uns auch ohne besondere Anleitung zurechtgefunden. Es gelang uns aber schon am ersten Tage, den Anschluß an einen Prominenten zu erreichen, nämlich an den Jahres-Präfekten der Stadt. Dieser wird nach einem festgelegten Turnus aus den Einzelberufen gewählt, und es fügte sich, daß zur Zeit unseres Besuches ein Ästhetiker das oberste Amt verwaltete. Herr Spiridon, Kunstforscher und Spezialist in tonkünstlerischer Analyse, diente uns fortan als Führer und Erläuterer auf Helikonda.

Die Rolle des Präfekten ist wesentlich als dekorativ aufzufassen, wenngleich er auch administrative Befugnisse besitzt. Wir finden sie vorgebildet in Alt-China, das sich nach dem Zeugnis der Chinesenbibel, des »Chouking«, eines besonderen Musikministers erfreute. In dessen Händen gediehen nach der uralten Überlieferung Akustik und Politik zu einer höheren Einheit, so daß er nur sein Spezialinstrument, den »Klingstein«, anzuschlagen brauchte, um unter allen Beamtenhäuptern volle Einstimmigkeit zu erzielen. Ein gewisser Nachklang dieser Einrichtung besteht auch auf unserer Insel, insofern die Musiker ihrem numerischen Übergewicht entsprechend, am häufigsten für die Präfektur in Betracht kommen. Im Vorjahr war ein Trompeter Präfekt gewesen, der wiederum einen Organisten abgelöst hatte. Ausnahmsweis kann sogar ein Instrumentenbauer, ja ein einfacher Handwerker zu diesem Posten aufsteigen, denn sie werden in sozialem Betracht den Künstlern gleichgestellt, bewohnen ihre eigenen Straßen und betreiben ihre Fähigkeiten mit künstlerischem Einschlag, wie einst die zünftigen Meistersinger von Nürnberg, die mit der Tabulatur so gut Bescheid wußten, wie mit dem Bügeleisen und dem Schusterpfriem. Wandelt man durch die Gassen der Inselstadt, so vernimmt man nicht selten Rhythmen schwierigster Gattung, die unsereiner dem äußersten Futurismus zuweisen würde; sie entquellen aber den Kehlen ortsansässiger Tischler, Spengler und Maurer, die vermöge ihres Berufes für das Gemeinwesen unentbehrlich, das allgemeine Prinzip der Ortschaft in ihre Persönlichkeiten aufgenommen haben.

Bevor wir noch zum eigentlichen Genuß der klingenden und bildlichen Offenbarungen gelangten, hielt es Spiridon für nötig, uns historisch-analytisch in gewisse Besonderheiten seines Milieus einzuweihen. Er gab uns einen Abriß der hauptsächlichsten Entwicklungsstadien: die Insel besaß ursprünglich nur eine primitive Eigenkunst, bis die abendländische Kultur, durch Sendlinge in gedruckten und getönten Proben heimgebracht, wie eine Sturzwelle hereinbrach. Was sich auf europäischem Boden im Laufe der Jahrhunderte entfaltet hatte, das alles drang fast gleichzeitig in die Insel und stellte an das Auffassungsvermögen der Bewohner die stärksten Anforderungen. »Es kam vor,« – so sagte er – »daß unsere Genossen Böcklin und Leibl – natürlich in getreuen Kopien – früher kennen lernten als Cimabue und Giotto; Reger, Korngold, Busoni und Schönberg früher als Clementi und Mozart; Stefan George vor Rückert und Eichendorff. Sie lernten nach rückwärts, von der Peripherie zum Zentrum. Aber auch für die Mehrzahl, die annähernd in der richtigen Chronologie verblieben, ergaben sich Bedingungen einer Mentalität, die sich anderswo nicht wiederholen können. Anpassung und Fortproduktion vollzog sich in einem Tempo, dessen Rapidität jeden Vergleich ausschließt.«

»Danach,« meinte ich, »hätten wir in der hiesigen Entwickelung ein verkürztes Abbild der unsrigen zu erwarten, eine mit Siebenmeilenstiefeln absolvierte Kunstgeschichte.«

– In den Hauptzügen gewiß. Ich möchte da noch eine andere Parallele heranziehen. Sie kennen das biogenetische Grundgesetz: Die Keimesgeschichte ist ein Auszug der Stammesgeschichte; die Entwickelung des Individuums von der Eizelle bis zum fertigen Menschen ist eine kurze und schnelle Wiederholung aller Vorgänge, die in dem langsamen Werden des ganzen zugehörigen Stammes enthalten waren. Fassen Sie unser Gemeinwesen als eine Person auf, so haben Sie das Gegenbild; es hat in kurzem Ablauf den ganzen Werdegang Ihrer europäischen Kunst repetiert. Und da es dieses Tempo als eine Lebensfunktion in sich aufnahm, so ist es auch befähigt, Kunsterscheinungen zu verwirklichen, die bei Ihnen, in der alten Kulturwelt, noch in weiter Zukunft schlummern.

»Sie machen mich neugierig, Herr Präfekt; obschon ich mich da gewisser schwarzseherischer Ahnungen nicht entschlagen kann. Ich fürchte, uns werden da Schwaden entgegenwehen wie aus einem Hexenkessel. Mit Leidenschaft und Genuß blicke ich in die Vergangenheit der Künste, und gern flüchte ich aus der Gegenwart, um mich im Pantheon des Gewesenen zu ergehen. Aber gerade weil ich gewohnt bin, historisch zu fühlen, graut mir vor der Umkehrung der Perspektive. Wenn nicht alle Anzeichen der von mir erlebten Gegenwart trügen, wird das Pantheon der Zukunft stärker von Fratzen als von Götterbildern erfüllt sein.«

– Das können wir in Voraussicht kaum entscheiden. Nur müssen wir uns als kunstsinnige Menschen auf alle noch so fernen Möglichkeiten einrichten. Hätte Ihre Anschauung stets gegolten, so wäre die Kunst nie über die Uranfänge herausgekommen, sie stünde noch heut bei Amphion und Orpheus, bei den Höhlenmalereien der Steinzeitmenschen, und die Welt hätte niemals einen Michelangelo, geschweige denn einen Archipenko erlebt. Also bleibt uns nichts übrig, als auch im Extremsten die berechtigten Kerne herauszuspüren und sie als entwicklungsberechtigt gelten zu lassen. Wichtiger als jeder Rückblick ist die Witterung für die lebendigen Genies, die ihre Fühlhörner in die künftigen Neuländer strecken.«

»Haben Sie solche Genies auf der Insel?«

– Sie werden Sie kennen lernen. Ganz offen gestanden, hatte ich in mir selbst schwer zu arbeiten, ehe ich mich zur vollen Anerkennung ihres Wertes durchrang. Aber ich habe den Läuterungsprozeß bestanden; und jetzt spreche ich nicht nur für mich, sondern für die überwältigende Mehrheit meiner Volksgenossen wenn ich verkünde, diese Künstler, unsere Vorstürmer, sind wahre echte apollinische Genies. Nicht mehr darauf angewiesen, sich wegen einiger Tropfen zum kastalischen Quell zu bücken, da sie den kastalischen Ozean entdeckt und für uns erschlossen haben. Vor allen sind da drei Größen erster Ordnung, Siriusse am Kunsthimmel von Helikonda: der Komponist und ausübende Tonkünstler Kakordo, der Dichter Dadalbra und der Maler-Bildhauer Patzoha. Schwer genug hat es mir ja die Trias bisweilen gemacht, ihren Spuren zu folgen, und mich in den zahlreichen Richtungen ihrer Stile zurechtzufinden …

»Erlauben Sie – es sind doch drei, da kann doch höchstens von drei Richtungen die Rede sein?«

– In diesem Irrtum war auch ich befangen, und viele mit mir. Bis uns die eigentliche Natur dieser Bahnbrecher aufging. Deren Stärke besteht nämlich darin, daß sie immer wieder neue Richtungen auffinden, in die sie uns jedesmal durch die Genialität ihrer Offenbarungen hineinzwingen. Ja in ihren eigenen Werken und Theorien wechseln sie unablässig die Richtung. Und wie die neuesten Physiker behaupten, man müsse für jeden Punkt im Weltall eine besondere Mathematik in Bereitschaft halten, so stellen sie für jeden Punkt ihrer Hervorbringung ein neues künstlerisches Glaubensbekenntnis auf.

»Ich würde das Zickzack nennen.«

– Das erschien mir ursprünglich ebenfalls so. Allein wenn wir abfällig Zickzack sagen, so spricht aus uns ein geometrisches Vorurteil. Wir könnten ebenso den Blitz bemängeln, weil er im Zickzack dahinfährt. Diese gebrochene Linie gehört eben zum Fulminanten, und jene drei Meister verstehen sich aufs Blitzen. Übrigens brauchen wir ja nicht mit den kompliziertesten Erscheinungen zu beginnen; wenn es Ihnen beliebt, beschäftigen wir uns vorerst mit einfacheren Kunstübungen.

Wir hatten das Gespräch in der Wandelhalle eines Hauptgebäudes am Zentralplatz geführt. Jetzt betraten wir einen Musiksaal von bescheidenen Ausmaßen. Es fiel mir auf, daß Spiridon den alten graubärtigen Saalhüter, der uns die Tür öffnete, mit »Herr Kollege« anredete.

– Ein schnurriger Kauz – erzählte unser Begleiter – der auf diese Titulatur Wert legt, da er vor zwanzig Jahren Präfekt der Ortschaft gewesen ist. Er hatte damals gewisse Verdienste um die einheitliche Organisation unserer Kunststadt, nur daß er die Sache allzusehr ins stramm Militärische übertrieb. Die Zunftordnung genügte ihm nicht, vielmehr betrieb er die Einteilung der Künste nach Bataillonen, Kompagnien und Rotten mit Uniformen und Gradabzeichen. Es gab komponierende Rittmeister, dichtende Hauptleute, die zu Majoren befördert wurden. Die Allegrosätze der Symphonien sollten ein für allemal auf den Pendelschlag des auf 100 gestellten Staatsmetronomen gestellt werden. Dazu kamen eigensinnige Verbote, zum Beispiel gegen Stücke, die von Posaunisten mehr als sieben Kubikmeter Blaseluft beanspruchen. Er scheiterte schließlich an den Kabalen einer Sängerin von der dritten Sopran-Batterie zu Fuß, die er wegen Versagens der hohen Töne zum Altistinnen-Train versetzt hatte. Noch heute, als längst Pensionierter, beklagt er die Verwahrlosung des Ordnungsprinzips und träumt sich in die gute alte Zeit zurück, da er noch auf Zucht und schärfstes Kommando im Kunststaate halten durfte.

Schon durch die geschlossene Tür waren die Töne der Mozartschen »Jupiter-Symphonie« zu uns gedrungen, und als wir den Saal betraten, intonierte die Kapelle den letzten Satz, das Meisterstück kontrapunktischer Kunst mit der Tripel-Fuge, das uns mit allem Glanz eines olympischen Jupiters entgegenstrahlt. Also doch auch Pflege der Klassizität in einem so vorgeschrittenen Musikstaat! Und diese erfreuliche Überraschung steigerte sich noch durch die Pracht der orchestralen Wiedergabe. Freilich merkten wir bald, daß es damit weniger auf die Entzückung, als auf die Belehrung der Hörerschaft abgesehen war. Denn nach dem Finale betrat ein Theoretiker das Podium, ein Conferencier, der in wohlgesetztem Vortrag die eigentliche Bedeutung dieser historischen Konzerte erläuterte. Er sprach von Mozart als von einem Petrefakt, von seiner Symphonie als von einem fossilen Überbleibsel einer antidiluvianischen Epoche. Mit frostigen Worten zergliederte er deren Bauart, so wie ein Zoologe das Skelett eines Ichthyosaurus erklärt, mit dem Hinweis darauf, daß die lebendige Wirklichkeit sich nur noch aus wissenschaftlichen Gründen mit solchen vermorschten Gerippen zu beschäftigen hätte. Hierin läge der Sinn dieser historischen Konzerte, welche die grauen Schatten der Vergangenheit heraufbeschwören, um im Kontrast die Errungenschaften der künstlerischen Neuzeit desto heller aufleuchten zu lassen.

Der Vortragende sprach von diesen Errungenschaften. Vom Durchgangsstadium des klingenden Expressionismus, der mit der äußersten Zähheit einer gänzlich in geistigem Erleben aufgelösten Transzendenz die Innengewendetheit zu einer expressiven Durchschlagskraft umbilde, gleichsam in vorausschauender Exzessivität des Aktivismus; sprach noch zahlreiche derartige Erbaulichkeiten, die uns Fremdlinge nicht ganz fremdartig anmuteten; erging sich in schleierhaft wehenden Redewendungen, um das Ergebnis zu gewinnen: man müsse auch von den unbeholfenen Stammeleien eines Mozart, eines Bach Kenntnis nehmen, um die neuesten Kunstblüten und Kunsttendenzen, namentlich in den Schöpfungen des großen auf Helikonda wirkenden Meisters Kakordo so recht würdigen zu können.

Lebhafter Beifall folgte diesen Ausführungen, während die Symphonie vorher kein Zeichen der Ergriffenheit ausgelöst hatte. Nur ein vereinzeltes ältliches Fräulein war uns aufgefallen, die den Klängen Mozarts mit stiller Verträumtheit und mit beseligten Reflexen im Antlitz folgte. »Das ist nämlich eine Unbelehrbare,« sagte uns der Präfekt; »eine ganz rückständige, die wir in der Gemeinde als ein Kuriosum mitschleppen. Sie bedeutet unter den Empfangenden ebenso ein Fossil, wie Mozart unter den Hervorbringern. In der nächsten Generation werden derartige Versteinerungen nicht mehr vorkommen.«

Wir wandten uns einigen Nebensälen zu, die den Ausübungen der Virtuosität gewidmet waren. Hier gab es noch die vertrauten altertümlichen Instrumente, Pianoforte und andere, während für die letzten Ausläufer der Helikondischen Kunst, wie wir bald erfuhren, ganz andere Apparate in Tätigkeit treten. »Die Virtuosität,« erklärte Spiridon, »gilt uns als ein Kunstfaktor für sich. Wäre sie nur eine gesteigerte Handfertigkeit, so würden wir sie verleugnen. Sie beruht aber auf dem Zusammenwirken der Koordinationszentren im Gehirn und muß somit als eine geistige Angelegenheit gepflegt werden.« Bis zu welchem Grade die Materie durch den Geist überwunden werden kann, davon erhielten wir eindringliche Proben: Fünfzig Pianisten spielten gleichzeitig ein und dieselbe schwierige Toccata in vollkommenstem Unisono und absoluter Koinzidenz. Bei geschärftester Aufmerksamkeit vernahm man tatsächlich nur das eine Stück, mit fünfzig multipliziert. Hiernach exekutierte ein anderer Künstler die vollständige Appassionata von Beethoven in vier Minuten. Nicht etwa der Zeitersparnis wegen, denn dies Prinzip der mechanisierten Insel spielt hier keine Rolle, sondern lediglich zum Beweise einer über alle Vorstellung hinausragenden musikalischen Technik. Der nämliche Virtuos lieferte folgende erstaunliche Zugabe: er meisterte mit der rechten Hand die Paganini-Etüden von Brahms und gleichzeitig mit der Linken die spanische Rhapsodie von Liszt. Das hatte einen doppelten Zweck. Erstens offenbarte sich die magistrale Unabhängigkeit in der Massendisziplin der Finger, zweitens ergaben sich aus diesem unerhörten Duo von Rechts und Links Neuklänge mit ungeahnten musikalischen Offenbarungen. Es war sehr nebensächlich, daß sie unseren Ohren übel klangen; wir waren eben nicht vorgebildet genug, um in der Kakophonie die klanglichen Schönheiten so sicher herauszufühlen, wie die Mehrzahl der Hörer.

Yaş sınırı:
12+
Litres'teki yayın tarihi:
30 ağustos 2016
Hacim:
400 s. 1 illüstrasyon
Telif hakkı:
Public Domain
Metin
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