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Kitabı oku: «Die Inseln der Weisheit», sayfa 21

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»Hier wird nicht ausgelegt, sondern buchstäblich befolgt!«

– Das tue ich ja auch, zum Donnerwetter! Und demgemäß formuliere ich die Hauptthese: »Sämtliche Kriege mit Einschluß der Verteidigungskriege, sind abzuschaffen,« – — – wer dafür ist, erhebe die Hand! – — Ich konstatiere: das ist die Mehrheit.

»Gegenprobe! Gegenprobe!«

– Die soll erfolgen. Die Hand möge erheben, wer zwar den Krieg an sich verbieten, den Verteidigungskrieg indes erlauben will; – — das ist die Minderheit.

»Unerhört!« schrien die von O-Blaha. »Jetzt war›s doch die Majorität! Ein sauberer Präsident, der nicht sehen kann, oder nicht sehen will! Außerdem ist ja da drüben gemogelt worden! Mehrere von Allalina haben beide Hände hochgehoben!«

»Infame Verleumdung!«

»Nein, blanke Wahrheit! Wir sind in eine Falle gelockt! Man vergewaltigt uns! Wir haben die Mehrheit und sollen uns ducken? Und die da drüben mit ihrem niedergestimmten Blödsinnspazifismus sollen triumphieren?«

Der Präsis schwang die Glocke: Ich nehme alle meine Geduld und Friedlichkeit zusammen, um diesen empörenden Äußerungen gegenüber die Haltung zu bewahren. Das Resultat der Abstimmung ist von mir verkündet und bleibt bestehen. Wir schreiten also zur weiteren Probe, betreffs des Antrags mit der silbernen Kapsel…

»Aber nicht mit uns, Sie Karikatur von einem Vorsitzenden! Sie können sich selber verkapseln lassen, in Spiritus! Wir haben genug von dieser Komödie! Auf, Brüder und Schwestern von O-Blaha, hinaus, zurück auf unsere Insel! Luft wollen wir schöpfen nach diesen Miasmen der Unmoral, die uns hier umstänkern!«

Und in wirrem Tumult löste sich die Konferenz auf, indes die Häupter von Allalina in tiefster Depression nach dem Ethischen Ministerium eilten, um über die entsetzliche Sachlage zu irgend einem Ergebnis zu gelangen.

Also jetzt offnes Bekenntnis zu dem Hauptgrundsatz unserer dreifach rektifizierten Ethik: Liebe deine Feinde! Wir werden uns die moralischen Ohrfeigen sokratisch einstecken und mit Duldermine selig lächeln, – spottete Firnaz.

Das ist unmöglich, meinte ein bekümmerter Ratsherr.

– Warum unmöglich? Wir selbst haben soeben per majora das Prinzip der Nichtverteidigung zum Beschluß erhoben. Oder solltest du dich doch beim Ausmaß der Händezahl geirrt haben?

– Ganz bestimmt nicht; es war wirklich die Mehrheit. Und dennoch, dennoch – ich ersticke förmlich! Schließlich gibt es doch auch eine Ethik der Ehre, und wenn wir uns nicht rühren, bleibt unsere Ehre besudelt!

So kann man die Sache auch auffassen. Also, rühre dich, Bruder! Hast du bereits mit dem Katekiro gesprochen? – Er meinte die höchste Amtsperson des Landes, die unter diesem Titel fungierte und als Träger der Exekutive unbedingtes Ansehen genoß.

Gleich beim Verlassen der Konferenzaula, sagte Branisso. Nie in meinem Leben habe ich ihn so aufgeregt gesehen. Aber auf seine Weisheit können wir uns verlassen. Wir müssen auf ihn warten.

Die Anwesenden versanken in unheilverkündendes Schweigen. Es war wirklich, als flatterte der Demokritische Dämon über dem Komplex ihrer Tugend. Nach einer Viertelstunde betrat der Katekiro den Raum, mit wallendem Pulse, hochrot im Gesicht: »Ich habe mich bereits zu einer Amtshandlung entschlossen, gestützt auf den Paragraph vier der Verfassung, der mich in dringenden Fällen des bedrohten Staatswohls hierzu ermächtigt, vorbehaltlich Ihrer am selben Tage einzuholenden Zustimmung.«

»Diese erteilen wir in blindem Vertrauen; ein Widerspruch wird nicht vernommen; also was hat der Katekiro veranlaßt?«

»Ich habe sofort an die Regierung der Schwesterinsel depeschiert: Wir verlangen rückhaltlosen Widerruf der Schmähungen mit dem reuevollen Ausdruck des tiefsten Bedauerns. Wir verlangen ferner das schriftliche Bekenntnis der einseitigen und ausschließlichen Schuld an dem Scheitern der Pazifisten-Konferenz, ausgefertigt von sämtlichen Notabeln der Insel O-Blaha. Wir fordern schließlich die Entsendung einer Sühne-Deputation, die uns das Dokument der Abbitte zur Reparation des Unrechts zu überbringen hat.«

– Und wenn sie sich weigern? Oder wenn sie Ausflüchte suchen?

»Ausflüchte bei Ethikern? So gut wie ausgeschlossen. Nein, sie werden sich erklären. Meine Depesche setzt ihnen eine Frist von fünf Stunden.«

– Aber das ist ja ein Ultimatum!

»So nennt man das wohl völkerrechtlich. Ich befürchte übrigens keine Ablehnung. Denn unsere Forderung ist gerecht, und wer Gerechtes ruft, der weckt das Echo der Gerechtigkeit. Binnen vier Stunden und fünfzehn Minuten werden wir die volle Befriedigung unseres sakrosankten Anspruchs in Händen haben.«

Das Echo kam herüber, klang aber etwas anders, als erwartet. Es war ein Schuß, der die Fahnenstange des Ministeriums fortriß, zugleich die mit dem Bilde der Themis gezierte Flagge. Ein Beweis, daß die von drüben gesonnen waren, das Ultimatum mit einem drastischen Ultimatissimum zu beantworten.

Die sprachlose Geisterstarre wurde zuerst von Firnaz durchbrochen: Es wäre interessant, genau festzustellen, wer hier angreift, ob wir mit unserer gepfefferten Depesche, oder jene mit ihrem Geböller.

Aber auf solche spintisierende, wenn auch völkerrechtlich äußerst wichtige Erörterungen konnte man sich nicht einlassen. Es galt zu handeln. Denn der Krieg war erklärt, wenn man auch nicht recht wußte, von wem.

Um den ethischen Gepflogenheiten des Staates die Ehre zu geben, muß bemerkt werden, daß man auf Allalina wirklich nicht recht auf ein solches Vorkommnis eingerichtet war. Die militärischen Tugenden der Bevölkerung waren begreiflicherweise höchst unentwickelt, und die Waffenmacht beschränkte sich auf eine bescheidene Polizeitruppe. Von Alters her ruhten irgendwo etliche historisch sehr merkwürdige Geschütze, über deren momentane Verwendbarkeit die Ansichten auseinandergingen. Die auf der Schwesterinsel waren um eine Idee besser gerüstet. Wie man später erfuhr, besaßen sie eine Batterie kleinkalibriger Kanonen, mit der Metallgravierung »Ultima ratio pacis«. Wenn die hielten, was sie versprachen, so konnte man damit schon etwas anfangen.

Allein, Not lehrt rüsten, und die Kräfte wachsen mit der Notwendigkeit. Plötzlich erhöhte sich auf Allalina ein neues Prinzip: die Organisation erhob ihr Haupt, in dessen Augen Pflicht und Opferfreudigkeit funkelten. Branisso sträubte sich zwar zuerst mit Händen und Füßen, als ihn der Katekiro zum Kriegsminister ernannte. Aber gerade die Prinzipe, denen er zeitlebens gedient hatte, drängten ihn schließlich zur Annahme der schweren und ungewohnten Amtsbürde. Denn hier war nicht nur das Vaterland in Gefahr, sondern die Gerechtigkeit an sich, und namentlich das Statut des radikalen Pazifismus. Dies konnte nur dadurch gerettet werden, daß die Talmipazifisten der Gegenseite gründlich niedergeworfen wurden. Jetzt erhielt die Justitia Gelegenheit, mit ihrem Schwert vernichtend dreinzuschlagen.

Eins war von vornherein klar. Man durfte den Austrag der Affäre nicht von heute auf morgen erwarten. Das konnte Monate dauern, wenn nicht Jahre, denn man schien auf beiden Seiten entschlossen, ganze Arbeit zu machen. Ein frischer, fröhlicher, lebendiger Haß flutete durch die Gemüter, der sich ganz gewiß nicht bei einem kompromißlichen Scheinfrieden beruhigen würde. Hier hieß es: Rom contra Carthago, und nur ein Diktatfrieden, dem die Erschöpfung aller Möglichkeiten vorangehen mußte, konnte zum Heile führen. Es sollte daher höchstens als ein Vorspiel gelten, daß sämtliche Fischkutter mit Bombardiergerät ausgerüstet wurden. Auf Allalina betrachtete man es als einen zustimmenden Wink des Himmels, daß die historischen Geschütze bei den ersten Proben, bis auf 75 Prozent Versager, tatsächlich losgingen. Und in den Kirchen wurden Dankeshymnen angestimmt, als der Ausguck meldete: Drüben mehrere Hausmauern umgefallen. Daß analoge Vorfälle auch hier zu beobachten waren, störte die Freude nur wenig.

Branisso bewährte sich ausgezeichnet als Organisator, und weitausblickende Bürger sahen schon im Geiste sein zukünftiges Erzmonument neben der Gerechtigkeitsstatue auf dem Eintrachtsplatz. Er hatte sich in seiner überströmenden Weisheit mit der technischen Insel Sarragalla in Verbindung gesetzt und sechs Ingenieure von dorther verschrieben. Die waren auch schon unterwegs, und man versprach sich von ihnen enorme Kulturwunder an Lambda-Strahlen, Giftgasen, telekinetischen Perkussionen und Lufttorpedos. Jetzt zum erstenmal seit Kriegsbeginn konnte eine gewisse Übereinstimmung beider Parteien wahrgenommen werden in Rückbesinnung auf verflossene Gefühlsgemeinschaft. Denn die O-Blahenser hatten gleichfalls sechs vorzügliche Ingenieure von der technischen Insel engagiert. Aber bis deren Mirakel beiderseitig durchgreifen konnten, hätte man sich doch noch wochenlang mit dem Kleinkrieg behelfen müssen, der die Menschen auf niederem Niveau festhielt. Der Schaden war vorläufig relativ unbeträchtlich und entsprach schon nach drei Tagen nicht mehr den hohen Erwartungen, die sich auf einen großartigen Feuerzauber gerichtet hatten. Deshalb näherte sich Branisso mir und meinen Gefährten mit einem Anliegen.

– Sie begreifen unsere Lage, sagte er, wir sind in dieses abwegige Abenteuer hineingeraten, ohne es zu wünschen, ja, ohne zu wissen, wie …

»Wie die Jungfer zum Kind,« schaltete Firnaz ein.

– Aber da wir nun einmal drin sind, müssen wir siegen. Ich würde Verrat am Vaterland begehen, wenn ich anders dächte und wenn ich nicht bis aufs äußerste darauf bedacht wäre, durch unsern Sieg die friedliche Durchdringung unserer Ideen zu ermöglichen. Da aber, die Kräfte vorläufig balancieren, so muß alles versucht werden, um der guten Sache einen Vorsprung, ein Übergewicht zu verschaffen. Sie sind im Besitz eines Schiffes, dessen Stärke unsere gesamte Fischerflottille um das Vielfache übertrifft. Ihre Atalanta ist mit modernen Waffen ausgestattet, und wenn Sie sich entschlössen, auch nur einen Tag …

»Davon kann gar keine Rede sein, Verehrter,« versetzte Mac Lintock. »Wir sind hier Gäste und dürfen aus unserer Neutralität nicht heraustreten. Ich, der Besitzer des Schiffes, bin Amerikaner, und Sie wissen zweifellos, daß Amerika es aufs Strengste vermeidet, sich auch nur mit einem Schuß an den Händeln anderer Völker zu beteiligen.«

»Gewiß, das haben Sie niemals getan,« meinte Firnaz; »und dies ist ja auch der Grund, weshalb ihre Oberhäupter Wilson und Roosevelt zweimal den großen Friedenspreis der Nobel-Stiftung bekommen haben. Nur meint mein Bruder, daß jedes Prinzip Ausnahmen verträgt.«

– Und diese Ausnahmepflicht ist hier gegeben. Sie waren Zeuge der Vergewaltigung, die über uns hereinbrach; und Sie müßten nicht fühlende Menschen sein, wenn Sie nicht das zornige Bedürfnis verspürten, der beleidigten Unschuld zum Recht zu verhelfen. Ihre Atalanta lagert vorläufig an der sicheren Westseite der Insel und befindet sich außer Schußbereich. Aber wer verbürgt Ihnen, daß nicht Ihre eigenen Interessen verletzt werden, wenn erst die bewußten Ingenieure eintreffen und zu operieren anfangen? Wenn Sie dem zuvorkommen und morgen zu schießen beginnen, kann der Krieg in zwölf Stunden beendet sein, und Sie würden das erhebende Bewußtsein davontragen, den Triumph der heiligen Sache bewirkt zu haben.

Unser Offizier Geo Rottek schien nicht ganz abgeneigt, der Lockung Gehör zu geben. Es war unverkennbar, daß sich der eingelullte Tatendrang in ihm zu regen begann. Auf eine Demonstration zum mindesten könnte man es ankommen lassen, und wenn dabei einige Kernschüsse mit unterliefen, so wäre das auch kein Unglück. Im Gegenteil, wenn diese Kernschüsse säßen, – und dafür garantierte er – so wären sie nur das Salutgedonner eines raschen Friedens, und unabsehbares Blutvergießen könnte dadurch verhindert werden.

Der Kapitän Kreyher fand, daß in diesen Erwägungen ein berechtigter Kern stecke. Die Atalanta hätte doch im Ganzen wenig zu riskieren, wenn sie die Affäre stoppte, die zwar heute noch ein Froschmäusekrieg sei, aber binnen wenigen Tagen ein Vernichtungskampf werden könnte. Unser Doktor Wehner verriet Zeichen innerer Schwankung. Eva fragte:

»Gesetzt, unsere Atalanta leistet das Gewünschte, wie wäre dann der Fortgang? Ich meine, werden Sie dann einen großen Strich unter das Vergangene machen und dem Gegner unbedingt verzeihen? Nicht das Geringste von ihm verlangen?«

– Aber, mein Fräulein, bedenken Sie! Das wäre doch ethisch das Allerschlimmste! Wenn wir nach gewonnenem Krieg Gleich auf Gleich proklamieren, so hätten wir doch gerade den Status quo ante, und wohin dieser Status führt, das haben wir doch eben schaudernd erlebt. Nein, mein Fräulein, Sie lassen sich von einer Utopie umgaukeln, die ganz unmittelbar in einen neuen Krieg hineintreiben würde, und eben weil wir diesen als überzeugte Pazifisten vermeiden wollen, müssen wir den Gegner so schwächen, daß er nie wieder am ewigen Frieden zu rütteln vermag. Wir wünschen die Mitwirkung Ihres starken Schiffes, aber wir wünschen sie nicht um den Preis einer flagranten Ungerechtigkeit!

»Und ich werde dir sagen, Bruder Branisso, was die Mehrheit unserer Gäste wünscht. Ganz einfach, sie wünscht uns alle miteinander zum Geier! Und ich wette mit dir um die ganze Kriegsbuße, die wir bekommen oder bezahlen werden, daß ihr Schiff noch heute verduften wird.«

Er hätte die Wette gewonnen.

Zwei Stunden nach unserer Abfahrt bemerkten wir hoch in der Luft einige bewegte dunkle Punkte, über deren Bedeutung uns das Teleskop nicht im Zweifel ließ. Es waren die fliegenden Ingenieure aus Sarragalla, die sich ihren Bestimmungsorten näherten, um mit technischer Großzügigkeit die Katzbalgerei der Inseln zu einem menschenwürdigen Unternehmen zu erhöhen. Ihre weitere Tätigkeit entzog sich unserer Beobachtung, denn wir bewegten uns rasch nach Süden, und die Flieger brauchten doch gewiß einige Zeit, um ihre Wunder zu montieren. Nachdem, was wir früher erfahren hatten, waren sie politisch ganz indifferent und verfolgten lediglich mechanische Effekte. Rottek vermutete, daß die Ingenieure die beiden Eilande als Versuchskarnickel für ihre neuen Erfindungen ausprobieren würden; mit all der Unparteilichkeit, die zu den schönsten Kennzeichen derartiger Technik gehört. Wahrscheinlich würden sie die Gelände ebenso behandeln, wie man in rückständiger Kultur mit Schiffen verfuhr, das heißt also, beide Inseln radikal auf den Meeresgrund versenken. Eine zukünftige Expedition wird festzustellen vermögen, ob diese Vermutung durch die Tatsachen gerechtfertigt worden ist. Unser Tagebuch reicht nicht soweit. Sollten aber spätere Geographen das Verschwinden von Allalina und O-Blaha feststellen, so wäre damit erwiesen, daß das Problem des Pazifismus hier durch den ewigen Frieden aller Beteiligten restlos gelöst worden ist.

Die Heimfahrt

Was folgt daraus? – Das Prinzip der Prinzipe. – Insel-Weisheit und Weisheits-Inseln. – Haec fabula docet.

Und wiederum Honolulu und die übrigen Etappen unserer Herfahrt in umgekehrter Reihenfolge. Unsere Beschreibung ist zu Ende. Aufzuarbeiten bleiben nunmehr einige gedankliche Rückstände; Dinge, die aus dem Unterbewußtsein emportauchen, um im Oberbewußtsein einen Platz zu suchen. Wir haben das Fazit zu ziehen, das bedeutsamer werden kann als die erlebten Tatsachen.

Ethische Betrachtungen lagen uns zunächst, da wir ja zuletzt Bezirke mit starkbetonten sittlichen Prinzipien verlassen hatten. Recht und Gerechtigkeit waren die Leit-Worte und Leit-Motive gewesen. Aber im Grunde hatten die Insulaner mit diesen Begriffen nur dasselbe Spiel getrieben, das wir selbst mit ihnen treiben. Spiel? Der Ausdruck ist noch zu schmeichlerisch. Denn ein Spiel, als an Regel gebunden, offenbart einen Sinn, und noch im kindlichen Spiel steckt bekanntlich ein tiefer Sinn. Aber im Gerechtigkeitsspiel der Erwachsenen verflüchtigt sich der Sinn zu einem gedanklichen Chaos.

Wo ein Staatsmann, ein Volksredner den Mund auftut, wo ein Leitartikler zu schreiben anhebt, da ergießt sich »Gerechtigkeit« in Strömen. Und Millionen von Hörern und Lesern verschlucken sie milliardenfach, ohne sich zu fragen, ob sich dabei etwas Denkbares denken lasse. Sie ereifern und entrüsten sich um einen Begriff, der findbar sein müßte, um seinen Weltkurs zu verdienen. Er läßt sich aber ebensowenig finden, wie die Körperlichkeit eines Spiegelbildes hinter dem Spiegel. Man greift ins Leere, und nur ein kompletter Narr könnte es dort suchen. Aber der Verstand zahlloser Verständiger ergeht sich in der nämlichen Narretei. »Immerhin,« – so meinte einer unserer Fahrtteilnehmer, »immerhin erfassen wir doch den Begriff der Gerechtigkeit etwas genauer als jene Insulaner von Allalina und O-Blaha.«

– Das eben leugne ich. Und ich finde weder unser Gerede noch die praktischen Folgerungen, die wir daraus ziehen, auch nur um eine Spur sinnvoller. Weil man etwas nicht Existierendes überhaupt nicht erfassen kann, weder genau noch ungenau. Allenfalls ließe ich mich zu dem Zugeständnis herbei, daß die ethischen Inselmenschen etwas konsequenter verfahren als wir. In ihrem abenteuerlichen Schlußerlebnis steckt wenigstens die Methode der Abkürzung. Sie geben uns in übersichtlicher Gedrängtheit das Bild unserer eigenen Geschehnisse. Wäre ein Europäer imstande, die Jahrtausende seiner Weltgeschichte mit einem Blick zu überfliegen, so würde sie ihm ebenso grotesk vorkommen, wie die soeben von uns beobachtete Katzbalgerei mit ihren Gerechtigkeitsmotiven.

»Sie wollen offenbar darauf hinaus, daß das Fazit unserer Entdeckungsreise überhaupt unter diesen Gesichtspunkt gebracht werden kann?«

– Ich werde mich damit nicht begnügen. Gewiß, es verlohnte sich, die verlebendigte Abkürzung unserer eigenen Schicksalsläufe hier wie in kinematographischer Beschleunigung durchzumachen. Aber darüber hinaus ergeben sich noch andere Orientierungen, wie man sie eben nur in diesen Gebieten gewinnen kann. Denn wir alle leben in und von Prinzipien, und deren Beschaffenheit wird uns am klarsten im Verkehr mit Menschen, die ihre eigenen Prinzipe offensichtlich und eigensinnig übertreiben. Oder zu übertreiben scheinen.

»Warum sagen Sie »scheinen«?«

– Weil ein Prinzip, wenn es wirklich vorhanden wäre, gar nicht übertrieben werden könnte. Es müßte sein wie ein physikalischer Satz. – Ein Planet verfolgt in seiner Bahn die Linie eines Kegelschnitts, das ist sein Prinzip. Der Planet ist davon völlig durchdrungen und kann darin nicht zu viel oder zu wenig tun. Wenn aber der Mensch seinem Handeln ein Prinzip vorsetzt, so verfolgt er gar keine angebbare Linie. Von Punkt zu Punkt wird er durch Zufälligkeiten des Urteils abgedrängt, von Sekunde zu Sekunde ändert sich das Wesen seines Vorsatzes, das heißt, sein sogenanntes Prinzip ist in sich prinziplos. Was ihm als ein stählerner Strang erscheint, wird im Gang der Geschehnisse ein Zwirnsfaden, der fortwährend abreißt und fortwährend neu angeknüpft werden muß. Wer sehr eifrig knüpft, den nennen wir konsequent, prinzipientreu, das ist alles. Aber in Wirklichkeit hat er doch nur einen wirr verknoteten Zwirnsknäuel in der Hand, und er unterliegt einer fixen Idee, wenn er sich einredet, aus solchem Knäuel eine Richtung ablesen zu können.

»Da hätten wir also nicht bloß Inseln der Prinzipe entdeckt, sondern noch obendrein ein Grundprinzip: das der allgemeinen Täuschung.«

– Damit kommen wir der Hauptsache schon näher. Und das Erstaunlichste ist, daß dieses einzig sonnenklare Menschenprinzip noch immer nicht zum Hauptsatz aller Philosophie erhoben worden ist. Ich kenne kein größeres Weltwunder. Selbst diejenigen Denker, die sich bis zu ansehnlichem Grade vom Landläufigen befreit haben, selbst solche, die imstande wären, die Peripherie zu durchstoßen, verfallen doch auf jeder Seite der Täuschung, als könnten sie ermitteln, feststellen, beweisen, sie reden von höheren und niederen Lebewesen, von Fortschritt, Rückschritt, Stillstand, Kultur …

»Das tun Sie doch auch!«

– Leider bin ich dazu gezwungen, durch den Dämon der Sprache, der mich in den fehlerhaften Zirkel einspannt und darin festhält. Aber ich spüre doch wenigstens den Zwang und rede mir nicht ein, daß das sprachlich Unvermeidliche sich mit den Dingen an sich deckt. Und mehr als das. Ich traue es mir zu, in jenem Zirkel hier und da eine Luke zu öffnen; zu eng, um hindurchzukönnen, aber weit genug, um hinauszuschauen. Und ich glaube, daß Sie jetzt imstande sein werden, mit mir hindurchzublicken; nachdem die Erfahrung auf diesen Inseln Ihre Aufmerksamkeit für das Absonderliche geschärft hat.

»Sie werden doch nicht am Ende hier ein Lehrgebäude errichten wollen?«

– Bewahre. Alles Systematische ist mir zuwider. Es handelt sich, wie gesagt, nur um einzelne Blicke, die Sie zur Ergänzung Ihres Weltbildes benutzen mögen. Also versuchen wir einmal eine Luke aufzusperren. Fragen wir uns, ob es möglich ist, ein Menschenprinzip und ein Naturprinzip in Vergleich zu setzen. Denken Sie zum Beispiel an das Prinzip der mechanisierten Inseln, welches auf bestimmte praktische Zwecke losging, auf Kraftausnützung, Zeitersparnis und derlei schöne Dinge. Was meinen Sie nun: Läßt sich das, was in dem trefflichen Ingenieur Forsankar vorgeht, mit einem Naturprinzip vergleichen?

»Wohl kaum. Der Techniker muß sich doch besinnen, greift oft fehl. Während ein Naturprinzip unerschütterliche Geltung hat.«

– Und dennoch ist eins wie das andere. Ich behaupte nämlich – jetzt passen Sie auf: in uns allen arbeitet das Bewußtsein Forsankars, und wir haben gar kein anderes Mittel, um die strengsten und allgemeinsten Naturgesetze zu begreifen, als eben dieses Bewußtsein. Nehmen Sie zum Beispiel das berühmte »Prinzip des geringsten Kraftaufwandes«.In der Physik gewöhnlich bezeichnet als das »Prinzip der kleinsten Wirkung«. Der Ausdruck ist miserabel und irreführend, er beruht auf einer fehlerhaften Uebersetzung von Maupertuis› Benennung »principe de la moindre quantité d›action«. Denn action ist nicht die Wirkung, nicht das Erwirkte, sondern der Aufwand, der das Erwirkte erzielt. Newton sagt klar: »Maximus effectus minimo sumptu«. Dieses Prinzip begreift den Satz von der Erhaltung der Kraft (Energie) in sich, reicht aber noch weiter als dieser und kann tatsächlich als das Fundament alles Naturerkennens angesehen werden.

Es ist die Grundlage unserer gesamten Naturkunde und damit aller Menschenweisheit überhaupt. Hier wird die Natur als große, verständige Arbeiterin vorgestellt, die durchweg so verfährt, wie ein Ingenieur von unendlicher Genialität. Wir können dies Prinzip gar nicht aussprechen, gar nicht denken, ohne die Natur in stärkstem Grade zu personifizieren, als ein geschäftiges Wesen, das technisch so wirkt, wie wir gern wirken möchten. Somit steckt in den Naturgesetzen, wie wir sie verstehen, der menschliche Willensdrang, und ihre ganze Kette wird zusammengehalten durch Ringe unserer eigenen Wünsche und Triebe. Aber jede Kette ist genau so stark wie das schwächste ihrer Glieder. Zerreißt nur ein einziger Willensring, Wunschring, Triebring, so fällt die ganze Kette der Naturkunde auseinander, sie wird unhaltbar, wertlos, und wir müssen bekennen, daß wir von allen Welterscheinungen auch nicht das geringste begreifen.

»Das sind ja schöne Aussichten! Wie war es denn auf den technischen Inseln? Dort hat uns doch der Meister Algabbi die Unhaltbarkeit und Torheit der technischen Wünsche bewiesen? Da wäre also doch schon ein Ring zerplatzt?« …

– Und wenn er richtig bewiesen hat, so wäre zu folgern, daß die Großmeisterin Natur uns nicht nur beständig foppt, sondern daß sie selbst nicht weise, sondern höchst törichte Prinzipien befolgt.

»Undenkbar! Mit einem so entsetzlichen Zeugnis dürfen wir weder die Natur noch uns aus dieser Expedition entlassen. Wir müssen versuchen, einen Ausweg zu finden. Wie wäre es denn, wenn jener Ring nicht platzte? Wenn ein Menschenprinzip so unzerbrechlich sein könnte wie ein Naturprinzip?«

– Dann würde noch Schlimmeres herauskommen. Denn Ihre Annahme würde bedeuten, daß wir alle mit unzerbrechlichem Zwange der Mechanisierung verfallen müßten. Sollte der technische Trieb wirklich so stark sein, wie jenes oberste Naturgesetz vom ersparten Kraftaufwand, so führt Ihr Ausweg sofort auf den Punkt, wo jede Hoffnung erdrosselt wird. Die Physik hat hierfür einen besonders lieblichen Ausdruck: »den Entropietod«, der das Ziel aller Weltmechanik darstellt. Dieser Tod umfaßt alle Bewegungen, alle Erscheinungen, körperliche wie geistige. Die Bewohner der Insel Allalina sind ihm schon beträchtlich näher als Sie und ich. Aber wenn Ihre Voraussetzung zutrifft, so werden wir sie bestimmt einholen und wir können uns mit ihnen auf ein Stelldichein im Nullpunkt des Daseins verabreden.

»Aber wie verträgt sich das mit Ihrer Aussage, daß wir uns die Natur als unendlich genial vorstellen?«

– Beides ist wahr, beides richtig nach Menschenlogik, die uns unausgesetzt den Widersprüchen ausliefert. Befragen wir doch die Geschichte der Wissenschaft. Die ersten Entdecker und Verkünder jener Sätze waren von der Genialität der Natur geradezu erschüttert und warfen sich wie berauscht in den Schoß der Gläubigkeit; mit flammenden Worten erklärten sie solches Prinzip für die herrlichste Offenbarung der Weisheit Gottes. Sie beteten zu einem Schöpfer, der ihnen als ein göttlicher Ingenieur erschien. Wie steht es nun mit seinem Weltwerk physikalisch genommen? Es beginnt mit einem Nullpunkt und muß beim Entropietod, also wiederum bei einem Nullpunkt enden. Großer Newton! Dein berühmter »Maximal-Effekt« ist das blanke Nichts! Und um den Weg von Null zu Null mit dem »geringsten Kraftaufwand« zu bewältigen, mußte der ganze Mechanismus des Universums mit der ganzen Arbeit von Jahrmillionen in Kraft treten?? Aber das ist ja der größte unter allen denkbaren Kraftaufwänden! Mithin führt das Prinzip sich selbst ad absurdum, die physikalische Logik erstickt an ihrem eigenen Widerspruch. War›s denn überhaupt physikalische Logik? War›s nicht vielmehr ein Gewebe von Theologie, Theosophie und Dämonologie? Gleichviel. Wenn hier eine Offenbarung auftritt, so offenbart sich nur eins: der ungeheure, unentrinnbare Fehlerzirkel! Denn das Naturprinzip zeigt sich von der einen Seite gesehen als unzerbrechlich, von der andern Seite als unmöglich.

»Sagen Sie doch, Herr, wozu dienen diese unheimlichen Betrachtungen?«

– Sie dienen zur Zerstörung alter Schulweisheit, und das scheint mir beträchtlich genug. Wenn wir von unserer Entdeckungsreise Destruktivstoffe des Denkens heimbringen, so schaffen wir neue Möglichkeiten des Wissens, indem wir altes Denkgestrüpp entwurzeln und verbrennen. Wir schlagen Lichtungen, und wir hätten sie nicht schlagen können, ohne mit diesen Inseln Bekanntschaft zu machen. Die Lebensprinzipe, die uns entgegentraten, zwingen uns, dem Wesen aller Prinzipe nachzuspüren, und aus dem Reiseabenteuer gestaltet sich das Gedankenabenteuer, ja ich möchte sagen: erst jetzt, da wir glauben, unsere Reise durch fröhliche Heimkehr abzuschließen, erst jetzt beginnt sie. Vor uns tauchen neue Inseln der Erkenntnis auf, apokalyptische Inseln, die man nur mit stillem Schauder betreten darf.

»Wenn es nach uns ginge, führen wir am liebsten daran vorbei.«

– Das ist sehr erklärlich. Denn wir lieben die Irrtümer, die an uns festgewachsen sind, wie die Haut am Leibe, und es tut weh, wenn unsichtbare Fangarme nach uns greifen, um sie abzureißen. Aber an diese Prozedur haben wir uns ja schon ein bißchen gewöhnt: durch die Seltsamkeiten, die wir bemerkten, und die uns allesamt der Ansicht näherbrachten: die Seltsamkeit steckt in uns, nicht in den Dingen selbst. Wir haben uns gewundert über Gestaltungen und Denkweisen, wie ein Kirgise sich wundert, der nach Rom gerät, oder ein Eskimo, der nach Kairo versetzt wird. Jetzt wird Herr Mac Lintock nach Chicago zurückkehren, mein Freund Flohr und ich nach Berlin, Fräulein Eva nach irgendeiner Universitätsstadt, und wir werden aufhören, uns zu wundern, in einer gewohnten Umwelt, auf die unser Maßstab so ziemlich paßt. Aber wir dürften auch dort nicht eine Sekunde aus dem Erstaunen herauskommen, nämlich über uns selbst und unseren Maßstab. Dieser ist das größte aller vorhandenen Welträtsel, und wenn wir eine Insel auf dem Monde entdeckt hätten, so wäre das nicht entfernt so wunderbar, als die Tatsache, daß wir unausgesetzt mit diesem Maßstabe operieren und daß die ganze Menschheit ihre Existenz danach eingerichtet hat.

»Ach, Sie übertreiben! Dieser Maßstab, das Meßwerkzeug unseres Denkens, paßt doch auf viele Dinge, und wenn auch Fehlschlüsse unterlaufen mögen, so dürfen wir doch behaupten: wir gelangen an manches erweislich Wahre, Richtige, Stimmende.«

– Nichts paßt, nichts stimmt, alles bleibt im Anthropomorphismus stecken, in unserer unheilbaren Grundnatur, die uns zwingt, alles zu vermenschen, und anderseits aus dem Anthropos, aus dem Menschen, Dinge in die Welt hineinzudenken, die an sich dort gar nicht vorhanden sind. Der Anthropomorphismus ist die Kette am Fuße alles Betrachtens und Denkens, das Höchste, was wir leisten können, besteht darin, daß wir uns diese Kette ein wenig verlängern, daß wir sie wenigstens klirren hören und uns unserer Gebundenheit bewußt werden.

»Das heißt, Sie wollen einen offenbaren Vorteil gegen einen offenbaren Nachteil eintauschen. Frommt›s, den Schleier aufzuheben? Frommt›s, die Kette klirren zu hören?«

– Auch diese Frage ist anthropomorphisch, denn unsere Wünsche sind bedeutungslos gegen die Notwendigkeiten, die sich in uns vollstrecken. Eine solche Notwendigkeit trieb uns auf unsere Entdeckungsfahrt, wo wir Menschen sahen, die gewissen vermeintlichen Idealen nachjagten. Eine zweite Notwendigkeit treibt uns zu dem Bekenntnis, daß diese Menschen anthropomorphisch verfahren, aber nicht um ein Haar anthropomorpher als wir selbst, wenn wir die Ideale Wahrheit, Gerechtigkeit, Moral, Fortschritt, Erkenntnis ausrufen. Die letzte Notwendigkeit zwingt uns zur Landung an den geheimnisvollen Inseln, auf denen die unfaßbaren, kaum noch in Worten ausdrückbaren Weisheiten wachsen. Der Boden ist mit Verzicht gedüngt. Und wenn wir trotzdem anzusagen versuchen, was wir dort vorfinden, so behelfen wir uns mit andeutenden Umschreibungen.

»Immerhin, wir finden doch Weisheiten.«

– Negative, die sich mit den längst erworbenen positiven zu Null addieren. Das ist der Kernpunkt. Schon auf der Algabbi-Insel haben wir gemerkt, daß der Kulturbegriff nicht standhält. Jetzt gehen wir weiter. Es ist gesagt worden: die alte Wissenschaft ist ein Trümmerhaufen, die neue Wissenschaft ein Prachtbau, von dem niemand weiß, worauf er steht. Wir fangen jetzt an, es zu wissen: er steht auf der anthropomorphen Illusion; in ihr löst sich alles auf, die Wahrheit, die Wirklichkeit, die Geometrie, ja, alle elementaren Denkmittel bis zu den Begriffen Raum, Zeit, Größe, Körper, Lage, Beziehung, Zustandsänderung, Prozeß, Ursächlichkeit, Naturgesetz, die allesamt nichts anderes sind als Wunsch-Ausdrücke. Ach, glaubet nur, liebe Gefährten, das, was ich hier wie im Fluge andeute, wird einmal der Inhalt aller wissenschaftlichen Philosophie werden! Und wenn sich der Bericht über unsere Reise in einem Bande niederlegen läßt, so werden Bibliotheken notwendig sein, um das zu bewältigen, was aus ihr erfließt. Genug vorläufig des Transzendenten. Schrauben wir unsere Betrachtungen auf das Einfachere zurück. Sagen Sie aufrichtig: Kommen Sie heute noch mit der Vorstellung der Sittlichkeit so glatt zurecht wie damals, als wir auszogen, um Inseln mit fremden Kulturen zu entdecken?