Kitabı oku: «Die Inseln der Weisheit», sayfa 8
Ein kleiner Verdruß ging nebenher: wir vermißten Geo Rottek, unseren Schiffsoffizier. Er hatte sich irgendwo auf der Tour abgezweigt und war nicht wieder zum Vorschein gekommen. Sollte er sich verirrt haben? oder in eine Schlucht gestürzt sein? Ich äußerte Besorgnis, allein der Kapitän verschwor sich mit allen Eiden, es wäre nichts dergleichen zu befürchten; Rottek sei die Umsicht und Gewandtheit in Person, und wenn er sich unsichtbar mache, so geschähe es sicher nur, um uns später mit eigenen Expeditionsergebnissen zu überraschen. Wir verwarfen deshalb den aussichtslosen Plan einer suchenden Streife auf unbekanntem Terrain und warteten das Weitere ab, das übrigens – wie vorweg gesagt werden soll – die Auffassung des Kapitäns als vollkommen zutreffend erwies.
* * *
Als wir in die Stadt zurückkehrten, erlebten wir ein Getümmel. Wir erblickten aufgeregte Gesichter, wie sie in das vorgezeichnete Gesamtbild des Phlegmas durchaus nicht hineinpaßten. Jünglinge und halbwüchsige Burschen drängten sich heran, und einige steckten uns beschriebene Zettel in die Hand. Wir wurden zuerst nicht klug daraus, bis Donath, der ausführlicher herumgehorcht hatte, die Erklärung brachte. Eine Volksversammlung war im Stadthaus angesagt, und die Veranstalter legten Wert darauf, daß wir, die fremden Gäste, uns daran beteiligten; nicht nur als stumme Zuhörer, sondern, wenn es der Gang der Dinge erfordern sollte, mit Abgabe unserer eigenen Meinung. Es ginge um Wohl und Wehe der ganzen Insel.
Es war also ersichtlich, daß in der buddhistischen Aufmachung unseres Gewährsmannes eine Unstimmigkeit heraustrat. Und wir erkannten auch bald, wo das Loch in der Rechnung saß: in dem Widerstreit zwischen Alt und Jung, der durch Jahrhunderte unter Druck niedergehalten, jetzt plötzlich durchstieß. Agitatoren aus den Nordinseln waren eingedrungen und hatten den Samen des Mißvergnügens ausgestreut. Pochte das Glück an die Pforte? Nein, das stand noch weit draußen und wagte sich nicht heran. Aber in jungen, eingeschläferten Herzen war ein Drang erwacht nach einem unbestimmten Ziele. Was dieses Ziel versprach, verkroch sich noch hinter Schleiern; nur das eine wußten sie, ahnten sie wenigstens: es sollte anderswo liegen als dort, wohin der knöcherne Finger des Buddhismus wies.
Auf der Tribüne stand der Hauptagitator Sterridogg von der weitentlegenen Insel Unalaschka, auf der sich schon die klimatischen Einflüsse der antarktischen Region bemerkbar machen. Wir konnten seiner Rede gut folgen, da man uns vornan Plätze angewiesen hatte. Trotzig genug sah der Geselle aus, wie er aus tiefliegenden, verkniffenen Augen die Versammlung musterte, und der Eindruck des Trotzes verschärfte sich noch durch ein bellendes Organ und durch ruckende Kopfwürfe, die seinen schütteren Jungbart in Schwingung versetzten.
Die Senioren der Stadt waren nur spärlich vertreten. Sie mochten wohl der ganzen Angelegenheit keine wesentliche Bedeutung beimessen und sich darauf verlassen, daß die ruhige Beredtsamkeit und die Autorität des einen Vlaho ausreichen würde, die gefährdete Jugend bei Raison zu halten. Der saß abseits, versteinert, ganz Buddha. Und es schien ein Fluidum von ihm auszugehen, wie von einem Gesalbten, in dessen Gegenwart sich keine Stürme erheben dürfen.
Aber die Bewegung war vorhanden. Eine verhaltene Gärung, deren Ursprünge weiter zurücklagen in geheimer Wühlarbeit der fremden Aufwiegler. Deren Sprecher begann:
Vléhanesen! Jungmannen und Jungfrauen! Wir sind hierhergekommen, um euch aufzurütteln zur Ergreifung der Menschenrechte, zu einem Menschentum, von dem ihr nichts wißt, nichts ahnen könnt, da eure Seelen in Gefangenschaft schmachten. Vertiert seid ihr unter der Lehre eurer Väter, die euch Ruhe, Entbehrung, Gleichgültigkeit, Entkräftung auferlegt, in einer von Kräften strotzenden Welt.
Auf den anderen Inseln und auf den fernen Kontinenten leben Menschen, welche arbeiten und kämpfen, in Kampf und Arbeit das Gefühl des Lebens zu erstreiten. Ihr kriecht schleimig dahin als schneckenhafte Wesen, ihr habt Blut in den Adern, aber es pulsiert nicht. Raffet euch auf zur Blutwallung, werdet Kämpfer! Schüttelt ab den Bann, der euch zur Seelenlosigkeit verdammt – unterjocht die Unterjocher!
Wogegen ihr zuerst kämpfen sollt?
Das will ich euch sagen: Gegen die reiche Natur, die euch umgibt, die sich ihre schwelgerische Üppigkeit auf eure Kosten angemästet hat. Heuchlerisch scheint sie den Bewohnern alles zu gewähren, was des Lebens Notdurft verlangt, sie überschüttet sie mit Blüten und Früchten, sie bettet sie in landschaftliche Wonne, aber hinter dieser Freigebigkeit lauert der Verrat: Indem sie euch die Arbeit ersparte und in reglose Beschaulichkeit einlullte, dämpfte sie die Lebensgeister, sog das Mark aus den Hirnen und Nerven. Und nur in also entseelten Seelen konnte sich jene Verderblichkeit entwickeln, die man euch als Philosophie und Religion aufschwatzt: die entbehrende Buddhalehre. Dort hockt er, euer neuer Buddha, dessen eingefrorenes Gesicht nicht euer Erbe werden soll.
Ja, kämpfen wir gegen den Urgrund seiner Lehre, gegen die verweichlichende, geistdämpfende Natur, in der wir die Wurzel des Seelenelends erkennen. Nicht mehr mit Gleichgültigkeit wollen wir ihr begegnen, sondern mit Haß und Zorn. Ausrotten wollen wir ihre Fülle und Schönheit, hinter der sich der Satan verbirgt; ein Dämon, der auf Vléha die schlimmste Form des Lasters verbreitet hat, die Verblödung.
Zornbewehrt werden wir die Natur umgestalten, dieses verruchte Klima, das den Boden schwängert, um den Menschengeist mit Unfruchtbarkeit zu schlagen. Eine schwere Aufgabe? Wohlan, laßt erst euren Haß emporschwellen, daß er gewaltiger werde, als die Schwierigkeit. Laßt uns Bresche schlagen in jenen Gebirgswall, ein Tor öffnen den rauhen Nordwinden, daß sie mit eisigem Hauch das Gelände überfluten! Erprobung tausender, kräftiger, arbeitsbegieriger Männerarme! Seid ihr bereit?
Das Echo geriet nicht so volltönig, als der Agitator erwartet hatte. Nur ein leises Murmeln des Einverständnisses wurde vernehmbar, dann meldete sich ein junger Mann:
»Ich heiße Sergasch, bin Schwesternsohn unseres Königs und sitze auf einem Gütchen, das mich mühelos ernährt. In der überreichen Muße, die auf mir wie ein Alp lastet, habe ich mich dem Bücherstudium überliefert; und es geschah mir beim Lesen, als würde ich aus einem fürchterlichen Traum aufgeschreckt. Mit allem Respekt vor meinem Oheim sei es gesagt, daß mir seine Lehre schon lange verdächtig war. Sehr verständig hat der Sendbote Sterridogg gesprochen, den das Mitleid von seiner steinigen Insel Unalaschka hierher treibt, um uns die Augen zu öffnen. Heraus aus dem Dämmer der Apathie, hinein in die Leidenschaft! Wollen wir nicht verdorren, so müssen wir uns den Zwang zur Tat schaffen. Aber der vorgeschlagene Weg ist ungangbar. Wohl haben die Europäer natürliche Fesseln zerbrochen, in Suez und Panama, wo sie Kontinente zersprengten, um Meere zu vereinigen, allein derartige Menschengewalten vermögen wir Insularier nicht aufzubringen. Wir können unser Gebirge nicht öffnen, um das Klima hart zu machen. Sinnen wir daher auf andere Mittel. Wir brauchen den Notzwang, und wir werden ihn haben. Not! Befruchterin der Intelligenz, Mutter aller Erfindungen, Nähramme aller Tugenden, komme zu uns! Stehen dir die in Geilheit strotzenden Felder und Fruchtbäume im Wege, so werden wir sie beseitigen. Vernichtung den Hindernissen! Feuer herbei!«
»Feuer an die Plantagen!« – so erschollen Zurufe aus jugendlichen Kehlen.
Jetzt erhob sich Vlaho, dem es allmählich klar wurde, daß er mit einer priesterlichen Geste den Sturm nicht mehr zu beschwichtigen vermochte:
»Meine Kinder! Zum erstenmal in einem langen, von Heilswahrheit gesegneten Leben fühle ich die Notwendigkeit, aus der Gelassenheit herauszutreten. Welch ein Geist ist in euch gefahren! Ihr hört auf die Verführung neidischer Fremdlinge, die eure Seelen verwirren und ihnen die eingepflanzte Köstlichkeit entreißen wollen: die Unnahbarkeit, das Gleichmaß, die Unerschütterlichkeit. Leidenschaft, Haß und Wut wollen sie euch einimpfen, jene Erbübel, die da draußen ihr giftiges Wesen treiben und die ganze Weltgeschichte zu einem Register schreienden Jammers gemacht haben! Wollt ihr werden wie die Europäer von heute mit ihrem verzweifelten Kampf aller gegen alle, wollt ihr euch überschwemmen lassen von Schweiß und Blut, dann rufet die Not, beschwört ein Geschick herauf, gegen das wir Alten euch mit eiserner Brustwehr zu schützen beflissen waren. Denn das war der Sinn unserer Lehre, die man buddhistisch, zynisch, stoisch nennen mag, euch außerhalb des Schicksals zu stellen, durch weise gepflegten Gleichmut. Wir hielten die Eitelkeit der Freuden von euch fern, um euch mit Unempfindlichkeit gegen den Schmerz zu waffnen; euch das zu gewähren, was die weisesten der Griechen als ›Ataraxia‹ gepriesen haben; die Unangreifbarkeit des Geistes, der in der Einsicht von der Leerheit der Genüsse sich zum Herrn über den Körper aufschwingt. Jetzt aber werft ihr die Ataraxie von euch, stürzt in die Arme des Schmerzes und hofft in dieser Umarmung eine Wollust zu erleben …«
..»Weil es keinen anderen Weg zu ihr gibt« – rief Sterridogg dazwischen – »als den Umweg über Not, Schmerz und saure Arbeit. Dieser Priester dort, der uns mit griechischen Brocken kommt, der in aller Literatur so genau Bescheid weiß, warum unterschlägt er uns die Weisheit des alten Zoroaster und des neuen Zarathustra? der die Not gepriesen hat mit den Worten: Im Schmerz ist so viel Weisheit wie in der Lust, er gehört gleich dieser zu den arterhaltenden Kräften ersten Ranges! daß er weh tut, ist kein Argument gegen ihn, es ist sein Wesen! Menschen gibt es, die beim Herannahen des großen Schmerzes wachsen, die nie stolzer, nie glücklicher dreinschauen, als wenn der Sturm heraufzieht; ja! der Schmerz selber gibt ihnen die größten Augenblicke! Das sind die heroischen Menschen, die großen Schmerzbringer der Menschheit; jene Seltenen, welche dieselbe Apologie nötig haben, wie der Schmerz überhaupt; es sind arterhaltende, artfördernde Kräfte ersten Ranges! Begreift ihr›s, unglückselige, verkümmerte Genossen, daß ihr diesen Großen nachzueifern habt? Begreift ihr›s, daß die Prediger der anderen Lehre nichts anderes sind als Quacksalber, die euch mit Haschisch betäuben?«
»Feuer an die Plantagen!« antwortete es in verstärktem Chore. Vlaho war zurückgesunken, Eva meldete sich mit einem Zeichen, daß sie zu sprechen wünsche, und aller Blicke hefteten sich auf sie:
»Viéhanesen! Nicht um zu entscheiden, richte ich das Wort an euch, denn wir sind Gäste ohne Richterbefugnis; sondern um dem maßlosen Erstaunen Ausdruck zu geben, das uns befällt, angesichts dieser Vorgänge. Es ist wahr, wir kommen aus Ländern, in denen die Menschen durch Leid, Kampf und Arbeit von der Freude abgedrängt werden. Hier zum erstenmal fanden wir einen Erdflecken, den die Natur in rosiger Laune erschuf, um sich in einem Ausnahmefalle ihrer natürlichen Grausamkeit zu entäußern. Hier wäre der Boden für ein paradiesisches Geschlecht, das nur nötig hätte, seine Sinne offen zu halten, um glücklich zu sein. Und was haben wir angetroffen? Zwei Parteien zwischen Entsagung und Schmerzenssehnsucht, zwischen Gleichgültigkeit und Haß. Wir allein, wir Fremden, konnten hier des Weltelends vergessen, konnten uns aiuf einige Stunden im Glücke sonnen, das ihr nach zwei Methoden von euch abwehrt. Darf ich euch einen Rat geben? fahret hinaus zur Betrachtung der euch unbekannten Welt, wie wir hinausfuhren zur unbekannten Insel, erlebet den Kontrast, und bei der Heimkehr werden eure beiden Parteien verschmelzen zu einer einzigen, der selbstverständlichen Glückseligkeit. Ihr werdet nicht mehr Buddhisten sein und Antibuddhisten, sondern frohe Menschen auf der Insel der glücklichen Bedingungen.«
»Nach Auswandern ist uns schon lange zu Mute,« rief Sergasch dazwischen; »so wie sich Odysseus von der Zauberinsel der Kalypso fortsehnte nach dem steinigen Ithaka. Aber vorher wollen wir Rache üben an der Natur, hinter deren Engelsmaske wir den Belial erkannt haben!«
Ein greller Feuerschein züngelte durch die Fenster in den Versammlungsraum. Einige Verwegene hatten sich schon vorher beim ersten Aufruf des Priesterneffen entfernt und ihr Werk begonnen. Als wir hinauseilten, war es bereits in vollem Gange. Die Pflanzungen brannten und Flammen leckten nach den Ausläufern der Ortschaft. Alte Einwohner standen umher, starrten auf Vlaho, wie in Erwartung eines Signals, ob sie sich auch dieser Katastrophe gegenüber als gleichmütige Stoiker zu betragen hätten. Eine Stunde später befanden wir uns auf der »Atalanta«, vollzählig, denn auch der vermißte Geo Rottek hatte sich inzwischen wieder angefunden; nach einem nicht unfreundlichen Erlebnisse, das er uns erzählte, während sich das Schiff von der illuminierten Insel entfernte.
Die Episode des Offiziers lieferte zu unseren Erfahrungen eine sozusagen lyrische Ergänzung. Er war bei dem erwähnten Aufstieg tatsächlich vom Wege abgekommen, verlockt durch das Erscheinen einer seltsamen Springgazelle, die am Waldesrand sichtbar wurde, im Buschwerk untertauchte, wieder aufschnellte, sich umblickte, so daß Geo der Versuchung nicht widerstehen konnte, der Spur zu folgen. So verlor er den Kontakt mit den anderen und sah sich beim Fortwandern plötzlich auf einer mit Pinien umstandenen Matte, die einen Blick auf Tiefland und Meeresbucht freigab. Auf einer Moosbank saß ein etwa zwanzigjähriges Mädchen, dem er unter den Sehenswürdigkeiten der Insel sogleich eine besondere Stellung anwies. Ja, ihm erschien in diesem Moment der ganze Zauber der elyseischen Umwelt nur als die Fassung zu diesen einem versprengten Edelstein. Er blieb stehen, fragte nach dem Wege zur Stadt, erhielt Auskunft, schlug aber den Weg nicht ein, setzte sich vielmehr auf die Bank neben die junge Person und hatte die Genugtuung, daß diese Kühnheit sie nicht aufscheuchte. Jetzt betrachtete er sie eindringender, mit einer unbewußten, aber ergebnisreichen Analyse der Einzelheiten, die sich hier zur Gestaltung einer exotischen Hebe zusammenfanden. Und mitten in die stumme Entzücktheit hinein fiel eine Enttäuschung: die Augen, so schön sie geformt waren, so reizend sich Iris und Pupille vom zartgeäderten Weiß abhoben, zeigten keine optische Resonanz. Es ging keine Schwingung von ihnen aus, nichts, was auf ein Spiel der Nerven deutete, und es kam ihm in Erinnerung, was der Doktor in den ersten Minuten des Aufenthalts zu ihm gesagt hatte: »diese Menschen haben keine Seele.«
Er versuchte eine Unterhaltung anzubahnen. »Wie heißen Sie?« – »Wrogella«. – »Ein melodiöser Name; freuen Sie sich der Herrlichkeiten um uns?« – Sie verstand nicht. – »Empfinden Sie nichts beim Anschauen dieser Landschaft?« – »Die Landschaft ist überall dieselbe.« – »O nein, sie ist überall verschieden, sie bietet alle Arten von Schönheit; so wie auch Sie verschieden sind von Ihren Schwestern auf der Insel. Wissen Sie, Wrogella, daß Sie schön sind?« – Ein leises Vibrieren in ihren Zügen gab Antwort; schnell genug verschwand es, und sie sagte mit klangloser Stimme: »es ist verboten, das zu wissen.«
Eine großartige Erscheinung zeigte sich am Himmel. Hinter zarten Dunstwölkchen offenbarte sich das Halo-Phänomen, das sonst nur in der Polarregion sichtbar wird. Weitgeschwungene Kreise um die Sonne mit Neben- und Gegensonnen, mit hellfarbigen Berührungsbogen an den äußeren und inneren Bogen. »Wrogella,« rief er, »blicken Sie dorthin! Tausend Jahre könnte ein Mensch alt werden, ohne daß es ihm vergönnt wäre, solches Wunder zu erleben!« Und in der Ekstase ergriff er ihre rechte Hand, die sie nicht zurückzog.
Aber sie blickte auch nicht zum Himmel, an dem das Phänomen nach wenigen Sekunden verschwand.
Kein Zweifel, er saß neben einer Undine, und erriet intuitiv, daß diese undinenhafte Verfassung das wesentliche Merkmal der Rasse von Vléha bilden müsse. Aber er hielt doch ihre Hand, aus deren Fingerpolen ihm etwas entgegenströmte, wie eine Emanation.
Das ist wenigstens ein Vorteil ihrer Empfindungslosigkeit, dachte Geo; sie wehrt sich nicht, wenn ich ihre Hand liebkose. Und während er sie abwechselnd streichelte und an die Lippen führte, fragte er: »Wrogella, sind Sie verlobt? haben Sie einen Freund, einen Geliebten? Wissen Sie überhaupt, was Liebe ist?«
Sie antwortete nicht. Aber in ihren Augen ging etwas vor, mit kristallischen Reflexen, verschleiert im Dunsthauch von Tränen. Und auf einmal öffnete sie ihre Arme und flog ihm an die Brust. Wie ein junges Vogelherz pochte es ihm entgegen. Diese eine Buddhistin war entzaubert zu einem Nirwana, das ihr besseres versprach, als die überlieferte Mystik.
– Das ist der Anfang eines Romans, lieber Rottek, sagte Mac Lintock; wie denken Sie sich die Fortsetzung?
»Fortsetzung?« entgegnete jener, »ich dächte, wir wären schon seit ein paar Stunden über den Schluß hinaus. Ich auf dem Schiff, das Mädchen auf der brennenden Insel! Der Vorhang ist gefallen und wird nach menschlichem Ermessen nie wieder gehoben.«
– Das soll man nicht verschwören. Sie machen mir nicht den Eindruck, als wenn der rasche Triumph des Abenteuers Ihnen genügte. Bei einem Helden, der Brünnhilde erweckte, kann auf den Siegfried-Schluß der Anfang der Götterdämmerung folgen: Zu neuen Taten!
»Sie sind ein Menschenkenner, Herr Mac Lintock. Tatsächlich, ich verspüre heftige Reue. Ich hätte auf Vléha bleiben oder Wrogella mitnehmen sollen.«
– Es gäbe noch eine dritte Möglichkeit. Sie können eines Tages zurückkehren und mit ihr den unterbrochenen Kursus wieder aufnehmen. Ich denke mir das um so vorteilhafter, als ich selbst beabsichtige, in späteren Jahren hier eine Ferienkolonie für uns alle zu begründen.
»Glänzende Idee!« rief Donath, »aber die Pflanzungen sind doch vernichtet?«
– Ich halte diesen Brand für ein Theaterspektakel. In einem Jahre blüht und fruchtet hier alles wie zuvor. Das einzige wirklich Eingeäscherte wird der Buddhismus sein, und der verdiente nichts anderes, denn er ist eine Donquichoterie. Ich taxiere: wenn wir einmal wiederkehren, dann herrschen hier die sogenannten geordneten Zustände, mit Katasterämtern, Steuerbüros und sonstigen Behörden, die den Leuten das Leben genau so sauer machen, wie bei uns. Aber man wird wenigstens wissen, an wen man sich als Businessman zu halten hat. Und wenn inzwischen die Preise nicht gar zu arg hochgeschnellt sind, dann kaufe ich die ganze Insel und gebe sie der hübschen Wrogella zur Mitgift.
Was aber würde unser deutscher Buddha gesagt haben, wenn er mit uns von der Partie gewesen wäre?
Vermutlich folgendes:
Hier auf der Insel der glücklichen Bedingungen war der beste Ansatz vorhanden für das Verwirklichen der Verneinung des Willens zum Dasein. Die Sehnsucht nach Sansara, die Ataraxie, Senecas Doktrin und mein Pessimismus hätten hier auf engem Boden das Zweckdienliche geschafft, die Überwindung der Gattungsexistenz. Dann hätte ein goldenes Zeitalter beginnen können, worin sich die Natur allein auslebt, ohne die störende Mitwirkung der Menschen, welche in keinem Betracht in den Kosmos hineinpassen. Fast waren sie so weit, dieser schnöden Mitwirkung in freiwilligem Verdorren zu entsagen. Da erhob sich ein neues Gewühl zu dem blöden Zwecke, sich das nämliche Joch, das sie eben abwerfen wollten, frisch aufzubinden, mit aller Festigkeit, daß es ihnen den Nacken recht gründlich wundscheuere. Und mitten in dem Getümmel sehen wir die Blicke zweier Liebenden sich sehnsüchtig begegnen, – und warum so heimlich, furchtsam und verstohlen? Weil diese Liebenden die Verräter sind, welche heimlich danach trachten, die ganze Not und Plackerei zu perpetuieren, die sonst ein baldiges Ende erreichen würde.
Die letzten Zeilen stehen so wörtlich in Schopenhauers Hauptwerk. Noch viele gleichwertige wären daraus zu zitieren, lapidare Gedanken, die Satz für Satz wahr, sich insgesamt zu einem grandiosen Fehlerkreis zusammenschließen, zu einem Zirkel, von dem uns soeben die am Horizont verglühende Insel ein lebendiges Abbild geliefert hatte.
Kradak
Die Insel der Perversionen
Eigentlich ist es eine Gruppe dreier benachbarter Inseln, die man nach ihrer gegenseitigen Lage mit den Borromäischen im Lago maggiore in Vergleich bringen könnte. In ihren Wesenszügen treten Verwandtschaften hervor, die es mir nahelegen, sie gemeinsam zu behandeln, wie wir denn auch unseren Aufenthalt nach Zeit gemessen ziemlich gleichmäßig zwischen ihnen verteilten. Als Ausgangspunkt diente uns die mittlere Insel, Kradak, die mit den anderen einen unablässigen Bootsverkehr unterhält. Sie war, als wir landeten, der Schauplatz einer Verkaufsmesse, richtiger gesagt eines bunten Jahrmarkts und zeigte lebhaftes Treiben auf den Straßen, wie in der Karawanserei, in der wir Unterkunft fanden. Manche Auffälligkeiten traten uns im ersten Anlauf entgegen, sie waren indes nicht hervorstechend genug, um unsere Aufmerksamkeit erheblich zu fesseln; sie erschienen eher als launische Zufallsprodukte, denn als Zeugnisse für einen besonderen nationalen Geistestypus. Äußerlich betrachtet erinnerte die Ortschaft an Honolulu; freilich waren die Maße verkleinert, auf bescheidenere Verhältnisse reduziert, und das ganze hatte einen Stich ins Abenteuerliche, Verschrobene, Inkommensurable. Man könnte sagen: Honolulu ist die mittlere Proportionale zwischen einer europäischen Residenz und Kradak; jedenfalls blieben hier Einflüsse der uns vertrauten Kulturen, wenn auch in Verdünnung, deutlich erkennbar.
Nachdem wir uns eingerichtet, fanden wir uns im Speiseraum der Karawanserei zusammen, deren schwer aussprechbarer Name sich sinngetreu mit »Palace-Hotel« übersetzen läßt; und insofern auch sachgetreu, als tatsächlich ein gewisser Luxus vorhanden war, der die anheimelnde Bezeichnung rechtfertigte. Man aß an kleinen Tischen, und wir wurden deshalb getrennt; was uns nichts ausmachte, da wir gar keinen Wert darauf legten, dauernd zusammenzukleben. Wir verteilten uns also auf gut Glück und erwarteten die kulinarischen Genüsse, mit denen uns das »Palace-Hotel« segnen würde.
Ein Vorzeichen der Erfreulichkeit: Bedienung von zarter Hand. Ich persönlich hege die größte Hochachtung vor dem Kellnerstand, mit dem Vorbehalt, daß mir die einfältigste Hebe lieber ist als der tüchtigste Ganymed. Zwischen Tafelbedienung und Männerhand liegt für mich eine sexuelle Dissonanz. Diese Unstimmigkeit wurde hier vermieden. Die Dissonanzen und Querstände waren nichtsdestoweniger vorhanden, allein sie entluden sich, wie man bald sehen wird, nach ganz anderen Seiten.
Eine Bedienerin schwebte heran und pflanzte eine Schüssel mit angenehm duftendem und offenbar sorgsam präparierten Salat vor uns auf. Als wir, Donath und ich, uns anschickten, auf gut Homerisch gierig die Hände auszustrecken, erhob sich vom Nachbartisch ein Ortseingesessener, trat auf uns zu und sagte: »Ich warne Sie, meine Herren, und möchte Ihnen empfehlen, diese Warnung an Ihre Gesellschaft weiterzugeben. Dieser Salat nimmt unter unseren Volksgerichten die erste Stelle ein, er setzt indes eine Gewöhnung voraus, die man bei Landfremden nicht annehmen darf. Er ist nämlich aus den Blättern des Koka-Strauches zubereitet, der hier überall wild wächst und überdies in verfeinerten Kulturen massenhaft gezüchtet wird.«
»Wir sind Ihnen sehr verbunden,« sagte Donath, »obschon mich die Neugier lockt, wenigstens eine kleine Kostprobe zu nehmen; vorher will ich allerdings unsere Reisegenossen von Ihrer Mahnung verständigen.« – Als er nach einigen Sekunden zurückkehrte, hatte ich den autochthonen Herrn bereits gebeten, bei uns Platz zu nehmen. Der Mann gefiel mir, denn er zeigte weltmännischen Schliff und eine Ausdrucksweise, die auf weitreichende Erfahrung schließen ließ. Die besaß er in der Tat. Er war seit zehn Jahren höherer Beamter im Wohlfahrtsministerium der Inselgruppe mit dem Range etwa eines Staatssekretärs; vordem hatte Herr Trelloar (so hieß er) als Emissär im strengsten Incognito ausgedehnte Reisen unternommen, und wir merkten bald, daß ihm unsere Kulturzentren recht gut bekannt waren. »Ich reiste,« berichtete er, »unter der Maske eines finnischen Kaufmannes …«
»Also mit gefälschtem Paß?«
– Mit gar keinem Paß. Inkommodiert wird man in Ihren Ländern nur dann, wenn man sich überhaupt auf Ausweise einläßt. Verzichtet man darauf grundsätzlich und ersetzt man die Sprache der Schriftstücke durch das Esperanto klingender Münze, so verschwinden alle Verkehrsschwierigkeiten von selbst. Um nun auf unser Thema zurückzukommen …
Die Bedienerin hatte inzwischen auf sein Zeichen verschiedene andere Speisen aufgetragen, gegen deren Genuß Trelloar nichts einzuwenden hatte; Gerichte, die mit gewissen Abweichungen an die uns geläufigen erinnerten. Jedenfalls waren wir ganz gut versorgt und sonach disponiert, während des Mahles den Ausführungen unseres Partners zu folgen.
– Daß in den Koka-Blättern dieses Salates das wichtige Alkaloid Kokain steckt, ist Ihnen natürlich bekannt. Ebenso, daß diese Substanz nicht nur als schmerzstillendes und verhütendes Mittel gebraucht wird, sondern auch zur Betäubung in weiterem Sinne. Und indem es betäubt, weckt es gleichzeitig seltsame nervöse Zustände nach Art der Narkotika, qualitativ modifiziert, quantitativ stärker, besonders in solchen Mengen genossen wie hier. Unser Kokain – ich sagte Ihnen schon, daß wir die Pflanze nach besonderen Verfeinerungsmethoden pflegen – umhüllt den Genießer mit den angenehmsten Visionen und Phantasmagorien; nämlich dadurch, daß es den Schmerz aufhebt, der mit dem Dasein selbst verknüpft ist, sagen wir: den Existenzschmerz.
»Gut umschrieben,« bemerkte Donath Flohr, »aber ich als Europäer würde das direkter bezeichnen: der Kokaingenuß an sich ist eine Perversität und erzeugt Perversionen. Also glattweg ein Laster. Schon in winzigen Dosen, eingespritzt oder geschnupft, untergräbt er die sittliche Konstitution. Ich kann mir einstweilen noch gar nicht ausmalen, was aus einem Volk wird, daß sich dieses Zeug gewohnheitsmäßig aus vollen Schüsseln einverleibt.«
Trelloar entgegnete: – Lassen wir es einstweilen bei Ihrem Ausdruck Perversion. Sie werden vielleicht, und ich hoffe es, dahin gelangen, diesem Begriff eine neue Bedeutung abzugewinnen. Was unter gewissen Bedingungen pervers erscheint, kann unter anderen die Form einer harmlosen und durchaus naturgemäßen Gepflogenheit annehmen. Sind Sie Raucher?
»Heftig. Mit Leidenschaft. Ich qualme sogar im Bett.«
– Nun stellen Sie sich vor, Sie allein rauchten, Sie allein besäßen Tabak, kein Mensch außer Ihnen. Dann wären Sie zweifellos ein Perverser. Die Mediziner würden konstatieren, daß Sie dauernd ein starkes Gift schlucken, an dem Sie unabwendlich in wenigen Wochen zugrunde gehen müssen. Sie würden vielleicht auch an Moralprediger geraten, die nach historischem Vorbild beantragen, Ihnen die Nase abzuschneiden, weil Sie kraft höllischen Feuers mit dem Satan im Bunde stehen. Aber im modernen Kulturkreis sind Sie durchaus kein Perverser, sondern ein Raucher unter Millionen, der gedeiht, der als sittliche Persönlichkeit hundert Jahr alt werden kann …
… »und dem der Tabak,« schaltete ich ein, »die besten geistigen Inspirationen zuführt. Soweit bin ich ganz einverstanden mit Ihnen, Herr Trelloar. Man müßte nur erfahren, welchen besonderen Gepflogenheiten sich Ihre Genossen hingeben, und alsdann prüfen, ob es wirkliche Perversionen in jedem Betracht sind, oder bloß Abweichungen vom Normalgebrauch.«
– Beginnen wir mit Kleinigkeiten. Ich bemerke vorweg, daß ich selbst nur geringes Gewicht auf sie lege, weil sie nur die Äußerlichkeiten, nicht die Tiefe des Lebens betreffen. Dort drüben sitzt ein Bürger von Kradak, der sich eben einen eigenartigen Gang schmecken läßt; Sie können sämtliche Speisekarten zwischen Nordkap und Palermo durchgehen, ohne auf das Gericht zu stoßen: es ist Ziegenkäse mit Sardellen, am Spieß gebraten. Sein Nachbar ißt Krähenzungen in Vanille, nachdem er vorher Kaviar mit Schlagsahne konsumiert hat. Sein Nachbar trinkt getrüffelten Kaffee, und was er darin eintunkt, ist kein Kipfel oder Hörnchen, sondern Salzgurke. Träten diese Dinge vereinzelt auf, so könnte man sie als feuilletonistische Scherze und die Personen als perverse Sonderlinge betrachten. Es steckt aber ein Programm darin. Wir auf Kradak sagen uns, daß wir die Tafelmöglichkeiten vertausendfachen, wenn wir an keinem Menuzwange festkleben. Wir haben unsere Geschmacksnerven auf eine Vielfältigkeit eingestellt, die den Europäern fremd ist, da Ihr aus der Unerschöpflichkeit der Eßkombinationen nur ein Minimum herausholt. Genau genommen haben Sie alle, ob Amerikaner, Deutsche, Franzosen, Schweizer, Skandinavier, alle zusammen nur eine Speisekarte, bestenfalls vier Seiten lang, und Sie unterliegen mit Ihren Tafelfreuden dem ewig Gestrigen, wie Ihr Dichter sagt, das morgen gilt, weil›s heute hat gegolten. Wer darüber hinaus will, von Euch aus gesehen, hat einen perversen Geschmack. Salzgurke in süßem Kaffee oder Blindschleiche in Schokolade, das schmeckt abscheulich, so meint Ihr; aber das ist genau so, als wenn Ihr eine Klangmasse oder eine Tonfolge für gräßlich erklärtet, die früher einmal dissonierte; morgen wird sie konsonieren, und ein Ohr, das sich damit befreundet, ist nicht pervers, sondern nur in der Zeit voran.
»Wenn ich Sie recht verstehe, so wollen Sie auf Folgendes hinaus: Gewisse einzelne Perversionen, die vorläufig nur symptomatisch auftreten, sollen sich zu einem System zusammenschließen, und hierin soll zum Ausdruck kommen, daß man dem Leben erheblich mehr Reizungen abgewinnen kann, als man gemeiniglich annimmt.«
– Sie sind auf dem Wege zum Verständnis; allein Sie werden den ganzen Umfang der Reizvermehrung erst dann begreifen, wenn wir auf das geistige Gebiet gelangen. Ja! wir sind allerdings zu der Einsicht gelangt, daß der Mensch im allgemeinen von den Variationsmöglichkeiten, die ihm die Natur selber eröffnet, nur einen ganz kümmerlichen Gebrauch macht; und daß er der Erstarrung anheimfallen wird, wenn es ihm nicht gelingt, sich aus der Umklammerung des Formalismus zu befreien. Das Kennzeichen des Lebens, wie es sich da draußen und besonders bei Ihnen in Europa abgewickelt hat, ist die Monotonie. Unbeschadet der Wechselfälle in Krieg und Frieden, in Revolution und sonstiger historischer Gestaltung unterliegen Sie alle der Anpassung an eine Normale, die Ihnen als Internationalismus oder Kosmopolitismus vorschwebt, die aber im Grunde nichts anderes ist, als eine entsetzliche Gleichmacherei, in welcher die Besonderheiten untergehen, die gewesenen und noch viel mehr die zukünftigen. Das Grundgesetz der Natur, daß es so viele Empfindungen, Daseinsmöglichkeiten, ja Logiken gibt als Einzelmenschen, wird durch den Anpassungstrieb gewaltsam außer Kraft gesetzt. Die Dampfwalze der Nivellierung geht über alles hinweg. Ich stand in London und betrachtete jene endlosen Straßen, in denen jedes Haus dasselbe Bauschema verfolgt, jeder Bewohner dasselbe Leben absolviert, zur nämlichen Stunde das nämliche ißt, trinkt, hantiert, denkt, erledigt, abhaspelt. Und ich fragte mich: warum sind das Millionen, wenn sie in ihrer numerischen Überfülle nichts anderes aufzeigen als irgend ein Dutzend? Dann stand ich wiederum in Paris, Wien, Berlin, Stockholm, Florenz, New York, Kalkutta, und bemerkte zwar nationale Abtönungen, andere Baustile, aber das Grundprinzip blieb dasselbe: die Unterdrückung der Variation zugunsten der Uniformität. Und wenn ich mir die Leute ansah, so war der Eindruck vorherrschend: es gibt bei euch nur noch einen Typus, den langweiligen Kosmopoliten, der überall dieselbe Figur machen will und der sich in längstens einem Jahrhundert zum öden Allerweltsschema durchgesetzt haben wird.