Kitabı oku: «Madame Therese», sayfa 3
Zum erstenmal begriff ich, was der Tod ist; diese Menschen, die ich zwei Minuten vorher voll Leben und Kraft, in wüthendem Angriff auf ihre Feinde, wie springende Wölfe gesehen hatte, da lagen sie jetzt durcheinander, gefühllos wie die Steine am Weg.
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Auch in den Reihen der Republikaner hatte es Lücken gegeben: auf dem Gesicht ausgestreckte Todte und einige Verwundete, Wangen und Stirne voll Blut; sie verbanden sich den Kopf, Gewehr bei Fuß, ohne ihre Reihe zu verlassen; ihre Kameraden halfen ihnen das Taschentuch umbinden und den Hut darüber stülpen.
Der Kommandant zu Pferd beim Brunnen, seinen großen Federhut auf dem Kopf und den Säbel in der Faust, ließ die Reihen zusammenrücken; neben ihm waren die Trommler in Linie aufgestellt, und etwas entfernter, ganz nahe dem Trog, die Marketenderin mit ihrem Wägelchen. Man hörte die Kroaten zum Rückzug blasen. An der Wendung der Straße hatten sie Halt gemacht; eine ihrer Schildwachen wartete dort hinter dem Winkel des Rathhauses; man sah nur den Kopf des Pferdes. Einige Flintenschüsse fielen noch.
»Stellt das Feuern ein!« rief der Kommandant. Und alles schwieg; man hörte nur noch fernher die Trompete.
Hierauf machte die Marketenderin den Gang durch die Reihen, um der Mannschaft Branntwein einzuschenken, während sieben oder acht große Burschen am Brunnen mit ihren Soldatenschüsseln Wasser holten für die Verwundeten, die alle mit kläglicher Stimme zu trinken verlangten.
Ich hatte mich weit zum Fenster hinausgelegt, um die verlassene Straße ganz hinunter zu sehen, und fragte mich, ob die Rothmäntel es wohl wagen würden, zurück zu kommen. Der Kommandant schaute auch nach dieser Richtung aus und sprach, gestützt auf den Sattel seines Pferdes, mit einem Hauptmann. Plötzlich schritt der Hauptmann durch das Carré, schob die Reihen zur Seite und trat eilends in unser Haus.
»Der Hausherr,« rief er.
»Er ist ausgegangen.«
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»Nun, du, führe mich in eure Scheue! Geschwind!«
Ich ließ meine Holzschuhe da und schickte mich an, am Ende unseres Hausgangs, wie ein Eichhörnchen die Treppe zu erklimmen. Der Hauptmann folgte mir. Oben sah er mit schnellem Blick die Leiter zum Taubenschlag und stieg sie vor mir hinauf. Im Taubenschlag stützte er die beiden Ellbogen auf den Sims des etwas niedrigen Dachfensters, um hinaus zu sehen. Ich schaute über seine Schulter weg. Der ganze Weg, so weit das Auge reichte, war mit Menschen bedeckt: Kavallerie, Infanterie, Kanonen, Munitionswagen, Rothmäntel, grüne Pelze, Weißröcke, Helme, Kürasse, Reihen von Lanzen und Bajonetten, Linien von Pferden, und Alles dies bewegte sich gegen das Dorf zu vorwärts.
»Das ist eine Armee,« murmelte leise der Hauptmann vor sich hin.
Er wandte sich kurz um, und wollte wieder hinabsteigen; aber es kam ihm ein Gedanke. Er zeigte mir längs des Dorfes, auf zwei Büchsenschußweiten, einen streifen Rothmäntel, die sich hinter Obstgärten in einen Einschnitt des Terrains verbargen.
»Du siehst diese Rothmäntel?« sagte er.
»Ja!«
»Ist das ein Fahrweg, der da vorbeigeht?«
»Nein, es ist ein Fußweg.«
»Und die große Schlucht, die ihn gerade vor uns mitten durchschneidet, ist sie tief?«
»O ja!«
»Gehen nie Fuhrwerke oder Narren darüber?«
»Nein, das geht nicht an.«
Darauf stieg er, ohne mich weiter zu fragen, rückwärts die Leiter wieder hinunter, so geschwind wie möglich, und eilte nach der Stiege. Ich folgte ihm; wir waren schnell drunten; [35] aber wir waren noch nicht am Ende des Gangs, als eine anrückende Masse von Kavallerie die Häuser erzittern machte. Dessen ungeachtet trat der Hauptmann hinaus, ging über den Platz, drückte zwei Mann im Glied zur Seite und verschwand.
Tausend kurze fremde Schreie, wie von einem Schwarm Raben: »Hurrah, Hurrah!« erfüllten nun die Straße von einem Ende zum anderen und übertönten fast das dumpfe Gepolter des Galopps.
Ich war ganz stolz, daß ich den Hauptmann in den Taubenschlag hatte führen dürfen, und hatte die Unklugheit, unter die Hausthüre zu treten. Die Uhlanen, denn diesmal waren es Uhlanen, kamen wie der Wind daher, die Lanze hinten über, auf dem Rücken den wallenden Schafpelz-Dolman, die großen härenen Mützen über die Ohren, die Augen weit aufgesperrt, die Nasen in die Schnurrbärte vergraben und die großen am Kolben mit Kupfer beschlagenen Pistolen im Gürtel. Das war wie eine Erscheinung. Ich hatte gerade nur Zeit, mich zurück zu werfen; ich hätte keinen Tropfen Blut mehr gegeben, und erst als das Kleingewehrfeuer wieder anfing, wachte ich unseren zerbrochenen Fenstern gegenüber, hinten in unserer Stube wie von einem Traume wieder auf.
Die Luft war verdunkelt; das Carré ganz weiß von Rauch. Der, Kommandant war hinten am Brunnen allein, unbeweglich auf seinem Pferd; man hätte ihn durch diesen bläulichen Schwall, aus dem hunderte von Flammen sprühten, für eine Bronzestatue halten können. Die Uhlanen schwärmten wie unzählige Heuschrecken umher, legten ihre Lanzen ein und zogen sie zurück; andere feuerten ihre großen Pistolen auf vier Schritte in die Reihen ab.
Es kam mir vor, das Carré weiche zurück, und es war auch so.
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»Schließt die Glieder, haltet fest!« rief der Kommandant mit seiner ruhigen Stimme.

»Aufrücken, fest aufrücken!« wiederholten die Offiziere von Distanz zu Distanz.
Aber das Carré wich; es bildete in der Mitte einen Halbkreis. Das Centrum berührte fast den Brunnen. Auf jeden Lanzenstoß erfolgte die Parirung des Bajonetts; aber manchmal ließ es den Mann im Stich. Die Republikaner hatten keine Zeit mehr zum Laden, sie schossen nicht mehr, und die Uhlanen kamen immer wieder, zahlreicher, verwegener, wickelten das Carré in ihren Wirbel ein und erhoben bereits ein triumphierendes Geschrei, denn sie hielten sich für die Sieger.
Ich selbst hielt die Republikaner für verloren, als der Kommandant, da die Sache auf der Spitze stand, seinen Hut auf seinen Säbel steckte und einen Gesang anhob, der einem die Haut schaudern machte; das ganze Bataillon fiel einstimmig ein.
Und augenblicklich stellte sich die Vorderseite des Carré’s wieder her und trieb mit dem Bajonett diese ganze Masse mit ihrem Lanzenwald zurück.
Es war, wie wenn dieser Gesang die Republikaner wüthend gemacht hätte. Ich habe nie etwas Fürchterlicheres gesehen. Und ich habe seitdem oft gedacht, daß in der Schlacht erhitzte Menschen wilder als die wilden Thiere sind.
Aber was noch entsetzlicher war, die letzten Reihen der österreichischen Kolonne, ganz hinten in der Straße, drängten, ohne zu sehen, was am Eingang zum Platze vor sich ging, mit dem Rufe: »Hurrah, Hurrah!« immer vorwärts, so daß die in den ersten Gliedern, welche vor den Bajonettstößen der Republikaner nicht zurückweichen konnten, sich in unaussprechlicher Verwirrung herumtrieben und ein schreckliches Angstgeschrei [37] ausstießen. Ihre großen, in die Nüstern gestochenen Pferde stiegen mit aufgerichteter Mähne, heraushängenden Augen, schrillem Wiehern und fabelhaften Sprüngen empor. Ich sah von ferne diese unglücklichen Uhlanen in toller Angst sich zur Flucht wenden, sich mit dem Griff ihrer Lanzen unter ihren eigenen Kameraden Platz machen und sich wie Hasen längs der kleinen Bauernhäuschen aus den Staube machen.
Man sah nichts als ganze Haufen todter Pferde und Menschen; das Blut floß darunter weg und folgte dem Graben bis zur Furth.
»Stellt das Feuer ein!«, schrie der Kommandant zum zweitenmal. »Zum Angriff!«.
Jetzt eben schlug es neun Uhr auf der Kirche.
Wie das Dorf in diesem Augenblick aussah, läßt sich nicht beschreiben. Die Häuser durchsiebt von Kugeln, die Läden an ihren Angeln hängend, die Fenster ausgebrochen, die Kamine wankend, die Straße voll zerbrochener Ziegel und Backsteine, die Dächer der schuppen durchlöchert, und diese Haufen von Todten, diese unter einander geworfenen zappelnden und blutenden Pferde: man kann es sich, nicht vorstellen.
Die auf die Hälfte zusammengeschmolzenen Republikaner mit hinten überhängenden Hüten, stramm und fürchterlich anzusehen, standen Gewehr im Arm in Erwartung.
Hinten, ein paar Schritte von unserem Haus, berieth sich der Kommandant mit seinen Offizieren. Ich hörte ihn ganz gut:
»Wir haben eine österreichische Armee vor uns,« sagte er mit resolutem Ton; es handelt sich darum, unsere Haut in Sicherheit zu bringen. In einer Stunde werden wir zwanzig oder dreißigtausend Mann auf dem Halse haben; sie werden das Dorf mit ihrer Infanterie einschließen und dann sind wir [38] verloren. Ich werde zum Rückzug schlagen lassen. Hat einer etwas einzuwenden?«
»Nein, es ist gut,« sagten die andern.
Dann brachen sie auf, und zwei Minuten später sah ich eine große Zahl Soldaten in die Häuser dringen und Stühle, Tische, Schränke außen auf einen Haufen tragen; einige warfen von den Scheuern Stroh und Heu herab; andere führten aus den Schuppen Karren und Wägen heraus. Innerhalb zehn Minuten hatten sie am Eingang der Straße eine haushohe Barrikade errichtet. Heu und Stroh waren darüber und darunter. Sie arbeiteten unter Trommelschlag. Alsbald fing das Feuer an von einem Strohbündel zum andern bis zur Höhe der Barrikade hinauf zu klettern; die Dächer zur Seite erglänzten von der rothen Flamme, und ein schwarzer Rauch lag wie ein ungeheures Gewölbe über dem Dorf.
Von Ferne hörte man großes Geschrei; Flintenschüsse ertönten von der andern Seite; aber man sah nicht hindurch, und der Kommandant gab Befehl zum Rückzug.
Ich sah die Republikaner vor unserem Hause langsamen und festen Schritts mit funkelnden Augen, mit rothen Bajonetten, schwarzen Händen, hohlen Wangen vorüber ziehen. Zwei Trommler marschierten hinten nach, ohne zu schlagen; der kleine, den ich unter unserem Schuppen hatte schlafen sehen, war dabei. Er hatte seine Trommel auf der Schulter und ging niedergebeugt; große Thränen liefen über seine runden Wangen, die der Pulverdampf geschwärzt hatte. Sein Kamerad sprach ihm zu. »Allons, kleiner Jean! Courage!« Aber es schien nicht, als ob er auf ihn hörte. Horatius Cocles war verschwunden und die Markedenterin auch. Meine Augen folgten der Truppe bis an die Wendung der Straße.
Seit einigen Augenblicken läutete die Glocke des Rathhauses, und ganz fern ab hörte man jammernde stimmen rufen: »Feuer! Feuer!«
Ich schaute nach der Barrikade der Republikaner; das Feuer hatte die Häuser ergriffen und stieg himmelhoch auf; von der andern Seite her erfüllte Waffengeräusch die Straße, und schon sah man aus den Häusern der Nachbarschaft lange schwarze Stangen aus den Dachläden heraus kommen, um das Gerüst des Brandes zu zerstören.
IV.
Nach dem Abzug der Republikaner verging wohl eine Viertelstunde, ehe sich unsrerseits jemand auf der Straße zeigte. Alle Häuser schienen verlassen. Auf der andern Seite der Barrikade hingegen stieg der Tumult. Das Geschrei der Leute: »Feuer! Feuer!« klang schauerlich fort und fort.
Erschreckt von dem Brand, war ich unter den Schuppen herausgetreten. Nichts regte sich; man hörte nur das Knistern des Feuers und die Seufzer eines Verwundeten, der, gegen die Mauer unsres Stalles gelehnt, da saß. Er hatte eine Kugel in der Seite und stützte sich mit beiden Händen, um nicht umzusinken. Es war ein Croat; er sah mich mit einem fürchterlichen und verzweiflungsvollen Blicke an. Ein wenig weiterhin lag ein Pferd auf der Seite, das seinen Kopf auf dem langen Hals wie einen Pendel hin und her bewegte.
Indem ich so da stand und dachte, was die Franzosen doch für arge Räuber seien, die uns ohne irgend einen Grund niederbrennen, ließ sich hinter mir ein schwaches Geräusch vernehmen. Ich wandte mich um und sah im Schatten des Schuppens zwischen den Strohbündeln, die von den Balken fielen, das Scheunenthor halb offen und dahinter das blasse [40] Gesicht unsres Nachbars Spick mit weit aufgesperrten Augen. Er streckte den Kopf behutsam vor und horchte; nachdem er sich dann überzeugt hatte, daß die Republikaner den Rückzug angetreten hatten, stürzte er hervor, schwang seine Haue wie ein Wüthender und rief:
»Wo sind sie, die Lumpen? wo sind sie? ich werde ihnen allen den Garaus machen.«
»Ach,« sagte ich zu ihm, »sie sind fort; aber wenn ihr lauft, könnt ihr sie noch am Ende des Dorfs einholen.«
Darauf sah er mich mit einem schiefen Blicke an. Er mußte sich aber überzeugt haben, daß ich ohne Bosheit redete, denn er lief dann dem Feuer zu.
Gleichzeitig öffneten sich mehrere Thüren; Männer und Weiber kamen heraus, sahen sich um, hoben die Hände zum Himmel und schrieen: »Die verfluchten Kerle! die verfluchten Kerle!« Und jeder beeilte sich, seinen Eimer zum Löschen zu holen.
Der Brunnen war bald von Leuten umgeben; es war kein Platz mehr; man bildete eine Kette auf beiden Seiten bis in die Gänge der bedrohten Häuser hinein. Einige auf den Dächern stehende Soldaten gossen Wasser in die Flamme, aber alles, was man thun konnte, bestand im Schutz der Nachbarhäuser. Gegen elf Uhr stieg eine bläuliche Feuergarbe zum Himmel; unter der Zahl der zur Barrikade verwendeten Fuhrwerke befand sich auch das Wägelchen der Markedenterin, und die zwei Fäßchen Branntwein, die darauf waren, explodierten in dem Brand.
Auch der Onkel war in der jenseitigen Kette unter der Aufsicht von österreichischen Schildwachen, es gelang ihm aber, sich los zu machen und über einen Hof weg und durch die Gärten kam er zu uns herüber.
»Gott sei Dank!« rief er, »Fritzel ist gerettet!«
[41]
Ich sah bei dieser Gelegenheit, daß er mich sehr liebte, denn er küßte mich und fragte:
»Wo bist du denn gewesen, armes Kind?«
»Am Fenster,« erwiderte ich. Da wurde er ganz blaß und rief: »Lisbeth, Lisbeth!«
Aber sie antwortete nicht, und es war uns nicht möglich, sie aufzufinden; wir gingen durch alle Zimmer, schauten selbst unter den Betten nach und dachten, sie habe sich zu irgend einer Nachbarin geflüchtet.
Einstweilen war man des Feuers Meister geworden und plötzlich hörten wir die Oesterreicher draußen rufen:
»Platz, Platz, zurück!«
Zu gleicher Zeit sprengte ein Regiment Kroaten blitzschnell an unserem Hause vorbei. Sie jagten den Republikanern nach, allein wir erfuhren den andern Tag, daß sie zu spät kamen. Der Feind hatte die Wälder von Rothalps gewonnen, die sich bis hinter Pirmasens erstrecken. Nun begriff man endlich, warum sie die Straße verbarrikadiert und Feuer ein gelegt hatten. sie wollten die Verfolgung der Kavallerie verzögern, was ihre große Geschicklichkeit im Kriegführen bewies.
Von diesem Augenblick bis fünf Uhr Abends defilierten zwei österreichische Brigaden durch das Dorf an unsern Fenstern vorbei: Uhlanen, Dragoner, Husaren, dann Kanonen, Gepäck und Munitionswagen; gegen drei Uhr kam dann der Obergeneral in der Mitte seines Stabs, ein großer alter Herr mit einem Dreispitz auf dem Kopf und in einem langen weißen polnischen Rock, der so mit Wülsten und Goldstickereien bedeckt war, daß neben ihm der republikanische Kommandant mit seinem abgeschabten Hut und Uniformrock nur wie ein einfacher Korporal ausgesehen hätte.
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Der Bürgermeister und die Gemeinderäthe von Anstatt erwarteten ihn auf dem Dorfplatz in ihren Sonntagskleidern mit langen Schößen und entblößten Hauptes. Er hielt dort zwei Minuten still, betrachtete die um den Brunnen herum liegenden Haufen von Todten und fragte:
»Wie viel Mann Franzosen waren hier?«
»Ein Bataillon, Exzellenz,« antwortete der Bürgermeister mit tiefem Bückling.
Der General erwiderte nichts; er lüpfte seinen Dreispitz und setzte seinen Weg fort.
Dann kam die zweite Brigade, voran Tyroler Jäger in grünen Röcken, mit schwarzen Hüten, mit aufgeschlagenem Bord und mit gezogenen Innsbrucker Stutzen; dann andere Infanterie mit weißem Rock und himmelblauen Hosen und großen bis zum Knie reichenden Kamaschen. Dann die schwere Reiterei, sechs Schuh hohe, in Kürassen steckende Männer, von denen man unter dem Visier ihrer Helme nur das Kinn und lange rothe Schnurrbärte sah; dann endlich das große Fuhrwesen der Ambulanz mit über Reifen gespannter grauer Leinwand und zuletzt die Lahmen, die Nachzügler und die Memmen.
Die Chirurgen der Armee gingen auf dem Platz herum; sie hoben die Verwundeten auf und legten sie auf die Wägen und einer ihrer Vorgesetzten, ein kleiner Greis mit weißer Perücke, sagte zum Bürgermeister, indem er auf den Rest hinwies:
»Das alles lassen sie baldmöglichst begraben.«
»Nach Ihrem Befehl,« antwortete der Bürgermeister gravitätisch.
Endlich waren die letzten Fuhrwerke vorüber; es war ungefähr sechs Uhr Abends. Die Nacht war angebrochen. Onkel Jakob stand mit mir auf der Schwelle des Hauses. Fünfzig Schritte vor uns am Brunnen lagen die Todten über die Staffeln hergelegt, das Gesicht nach oben, mit aufgerissenen Augen, weiß wie Wachs, da sie all ihr Blut verloren hatten. Die Weiber und Kinder des Dorfs wandelten um sie her.
Und als der Todtengräber Jeffer mit seinen zwei Buben, Karl und Ludwig, die Hauen über der Schulter, ankam, sagte ihnen der Bürgermeister:
»Nehmt zwölf Männer mit euch und macht auf der Wiese im Wolfthal eine große Grube für alle diese Leute. Ihr versteht mich? Und alle, die Wagen und Karren haben, müssen mit ihrem Gespann helfen, denn das ist eine Gemeinde frohn.«
Jeffer verbeugte sich und machte sich sogleich mit seinen zwei Buben und den Männern, die er sich ausgewählt hatte, nach der Wiese im Wolfthal auf.
»Wir müssen aber doch Lisbeth auffinden,« sagte hierauf der Onkel zu mir.
Wir fingen wieder an vom Speicher bis zum Keller Alles zu durchsuchen, und erst am Ende, als wir wieder hinaufsteigen wollten, sahen wir hinter unserer Sauerkrautstande zwischen den zwei Kellerlöchern im Dunkel ein Ding wie eine Pack Leinwand liegen; der Onkel schüttelte es, da rief Lisbeth mit kläglicher Stimme:
»Tödtet mich nicht! Habt um’s Himmels Willen Mitleid mit mir!«
»Steh auf!« rief der Onkel mit Güte; »es ist alles vorüber!«
Aber Lisbeth war noch so erschüttert, daß sie kaum einen Fuß vor den anderen setzen konnte, und daß ich sie an der Hand, wie ein Kind hinauf führen mußte. Dann, als sie in ihrer Küche den Tag wieder sah, setzte sie sich in den Winkel hinterm Herd und fing an bitterlich zu weinen, und betete [44] und dankte dem Herrn für ihre Rettung, ein Beweis, daß alte Leute so zäh am Leben hängen, wie die jungen.
Die Stunden des Jammers, welche nun folgten, und die Anstrengung, der sich der Onkel unterziehen mußte, um all den Unglücklichen zu folgen, welche seine Hilfe in Anspruch nahmen, werden meinem Gedächtnis immer eingeprägt bleiben. Es verging kein Augenblick, wo nicht eine Frau oder ein Kind in unser Haus trat und rief:
»Herr Doktor, geschwind! Kommen sie! mein Mann, mein Bruder, meine Schwester ist krank!«
Der eine war verwundet, der andere aus Angst toll geworden; wieder einer lag da und gab kein Lebenszeichen mehr.
Der Onkel konnte nicht überall sein.
»Ihr werdet ihn in dem und dem Hause treffen,« erwiderte ich den Unglücklichen. »Eilet!«
Und sie gingen.
Erst sehr spät, gegen zehn Uhr, kam er endlich heim. Lisbeth hatte sich ein bisschen erholt; sie hatte Feuer auf dem Herd gemacht und den Tisch gedeckt, wie sonst; aber der Bewurf des Plafonds, Glas und Holzsplitter bedeckten noch den Boden. Mitten in all dem setzten wir uns zu Tisch und aßen still schweigend zu Nacht. Von Zeit zu Zeit erhob der Onkel den Kopf und sah nach den Fackeln, die sich auf dem Platze um die Todten her bewegten, auf die schwarzen Karren, die vor dem Brunnen mit ihren kleinen Kleppern hielten, auf die Todtengräber und auf die Neugierigen, alles in der Finsternis. Er betrachtete den Vorgang mit Ernst und gegen das Ende des Essens hob er mit ausgestreckter Hand an:
»Das ist der Krieg, Fritzel! Betrachte alles wohl und vergiß es nie! Ja, das ist der Krieg, Tod und Zerstörung, Wuth und Haß, Vergessenheit alles menschlichen Gefühls. Wenn uns der Herr mit seinem Fluch belegt, wenn er uns die Pest [45] und die Hungersnoth schickt, so sind dies unvermeidliche, von seiner Weisheit beschlossene Geißeln; aber hier ist es der Mensch selbst, der das Elend gegen seinesgleichen beschließt und seine Verwüstungen erbarmungslos auf’s äußerste treibt.
Gestern waren wir noch im Frieden, wir verlangten von niemand etwas, wir hatten nichts Schlechtes gethan, und plötzlich kommen fremde Menschen, die uns überfallen, ruinieren und alles zerstören. Oh! Verflucht seien die, welche solches Unglück aus Ehrsucht anstiften; sie sollen ein Gräuel sein für alle kommenden Jahrhunderte.
»Fritzel! behalte das wohl in deinem Gedächtnis; es ist das Abscheulichste, was es auf Erden gibt. Menschen, die sich nicht kennen, die sich nie gesehen haben, und die sich plötzlich auf einander stürzen, um sich zu zerfleischen. Das allein reicht hin, daß wir an einen Gott glauben. Denn ein Rächer solcher Ungerechtigkeit muß bestehen.«
So sprach der Onkel ernsthaft; er war sehr bewegt, und ich hörte gestreckten Hauptes zu, behielt jedes seiner Worte und grub sie in mein Gedächtnis ein.
Nachdem wir so eine halbe Stunde da saßen, erhob sich draußen auf dem Platze eine Art Streit. Wir hörten einen Hund heftig knurren und die Stimme unseres Nachbars Spick gereizt sagen:
»Gib Acht, gib Acht! du Lump von einem Hund! Ich geb’ dir ein’s mit der Haue in’s Genick. Das Thier ist gerade wie seine Herren; das zahlt mit Assignaten und mit Beißen; aber du kommst schlecht weg.«
Der Hund brummte noch stärker. Und andere Stimmen folgten mitten in der der Nacht:
»Das ist doch sonderbar. Seht einmal her! er will nicht von der Frau weg! Vielleicht ist sie nicht ganz todt.«
Auf das hin erhob sich der Onkel rasch und ging hinaus. Ich folgte ihm.
Es gab nichts Fürchterlicheres anzusehen, als [46] die Todten bei dem rothen Fackelschein. Kein Lüftlein regte sich, aber die Flamme schwankte doch und alle diese bleichen Gestalten mit ihren offenen Augen schienen sich wieder zu bewegen.
»Nicht todt?« schrie Spick, »bist du ein Narr, Jeffer. Glaubst du mehr zu wissen als die Chirurgen der Armee? Nein, nein, ihre Rechnung ist gemacht und das ist recht; das ist die Frau, die mir meinen Branntwein mit Papier bezahlt hat. Fort, bekümmert euch nicht darum! Der Hund muß hin sein, und die Geschichte muß ein Ende haben!«
»Was geht denn hier vor?« fragte hierauf der Onkel mit starker Stimme. Und alle die Leute wandten sich erschrocken um.
Der Todtengräber nahm die Mütze ab, zwei oder drei andere entfernten sich und wir sahen auf den Brunnenstaffeln die Marketenderin ausgestreckt, weiß wie der Schnee, ihre schönen schwarzen Haare in einer Blutlache entrollt, ihr kleines Fäßchen noch an der Hüfte und die bloßen Hände rechts und links herabhängend. so lag sie auf dem feuchten Stein, über den das Wasser lief. Mehrere andere Leichname umgaben sie, und der Pudelhund, den ich am Morgen bei dem kleinen Tambour gesehen hatte, brummte zu ihren Füßen mit gesträubten Haaren, feurigen Augen und bebenden Lippen; wenn er den Spick ansah, schien er sich kaum halten zu können.
Trotz seines großen Muths und seiner Haue wagte der Schenkwirth doch nicht heranzukommen, denn es war leicht zu sehen, daß wenn er seinen Streich verfehlt hätte, das Thier ihm nach der Gurgel gesprungen wäre.
»Was ist denn das?« fragte der Onkel noch einmal.
»Weil der Hund nicht weggeht,« sagte Spick grinsend, so sagen sie, die Frau sei noch nicht todt.«
»sie haben recht,« sagte der Onkel kurz und grob. »Gewisse [47] Thiere haben mehr Herz und Verstand, als gewisse Menschen. Geh da weg!«

Er drückte ihn mit dem Elbogen auf die Seite und ging, sich bückend, gerade auf die Frau zu. Der Hund, statt auf ihn zu springen, schien sich zu beruhigen und ließ ihn machen. Alles war hinzugetreten, der Onkel knieete nieder, entblöste den Busen der Frau und legte die Hand auf ihr Herz. Man schwieg; es war mäuschenstill. Dies dauerte eine Minute, als Spick rief:
»He, he, he, man soll sie begraben? nicht wahr, Herr Doktor?«
Der Onkel erhob sich mit gerunzelten Augenbraunen, sah den Mann von Kopf bis zu Fuß an und sagte zu ihm:
»Elender! Wegen ein paar Maaß Branntwein, die diese arme Frau dir so gut bezahlt hat, als sie konnte, möchtest du jetzt sie gerne tödten und vielleicht lebendig begraben sehen.«
»Herr Doktor,« schrie der Schenkwirth und warf sich stolz in die Brust, »wissen sie, daß es Gesetze gibt und daß . . . «
»Schweig still,« unterbrach ihn der Onkel, »du bist ein erbärmlicher Mensch.«
Und indem er sich zu den anderen wandte, sagte er:
»Jeffer, bring diese Frau in mein Haus, sie lebt noch.«
Er warf noch einen letzten Blick der Entrüstung auf Spick, während der Todtengräber und seine Söhne die Frau auf die Tragbahre legten. Man setzte sich in Gang; der Hund folgte dem Onkel, dicht an seinen Beinen. Was den Schenkwirth anbelangt, so hörten wir ihn noch hinter uns beim Brunnen spöttisch wiederholen:
»Die Frau ist todt, der Arzt weiß ja viel als meine Haue. Es ist aus mit der Frau! ob man sie heute oder morgen begrabt, thut nichts zur Sache. Man wird sehen, wer von uns beiden recht hat.«
[48]
Als wir über den Platz schritten, bemerkte ich den Mauser und Koffel, die uns folgten, was mir das Herz erleichterte, denn seit es Nacht war, hatte sich meiner eine Art von Furcht bemächtigt, hauptsächlich vor den Todten, und es war mir lieb, viel Leute um mich zu haben.
Der Mauser ging vor der Tragbahre her, eine dicke Fackel in der Hand, Koffel an der Seite des Onkels sah traurig aus.
»Das sind entsetzliche Sachen, Herr Doktor,« sagte er im Gehen.
»Ah, seid Ihr es, Koffel,« erwiderte der Onkel. »Ja, ja, der Genius des Bösen ist in der Luft. Die Geister der Finsternis sind entfesselt.«
Wir traten nun in die schmale Hausflur, in welcher der herabgefallene Gips herumlag; der Mauser hielt an der Schwelle, leuchtete Jeffer und seinen Söhnen, die langsamen Schritts daher kamen. Wir folgten ihnen alle in das Zimmer, und der Maulwurffänger erhob seine Fackel und rief mit feierlichem Ton:
»Wo sind sie, die Tage der Ruhe, die friedlichen heimlichen Augenblicke der Ruhe nach der Arbeit? wo sind sie? Herr Doktor? Ach sie sind durch alle diese Löcher hinaus entflohen.«
Da erst sah ich recht das trostlose Ansehen unseres alten Zimmers, die zerbrochenen Scheiben, deren schneidende Scherben und glänzende Spitzen sich von dem schwarzbeschatteten Boden abhoben; ich verstand des Mausers Worte und fühlte, daß wir unglücklich seien.
»Jeffer, lege diese Frau auf mein Bett nieder!« sagte der Onkel traurig, unser eigenes Elend darf uns nicht vergessen lassen, daß andere noch unglücklicher sind, als wir.«
Und gegen den Maulwurffänger gewendet, sprach er: »Ihr bleibet da, um mir zu leuchten und Koffel muß mir helfen.«
Der Todtengräber und seine Söhne hatten die Tragbahre auf dem Boden niedergesetzt und legten nun die Frau auf das Bett hinten im Alkoven. Der Mauser, dessen ziegelfarbige Wangen beim Schein der Fackel eine purpurne Färbung an nahmen, leuchtete. Der Onkel stellte Jeffer einige Kreuzer zu, worauf sich dieser mit seinen Jungen entfernte.
Die alte Lisbeth war auch zum Zusehen herbeigekommen; ihr Kinn zitterte; sie wagte nicht, heranzutreten, und ich hörte sie ganz leise das Ave Maria hersagen. Ihre Furcht flößte mir Mitleid ein, als der Onkel rief:
»Lisbeth, was denkst du denn? um’s Himmels Willen, bist du denn toll? Ist diese Frau nicht wie alle Frauen, und hast du mir nicht hundertmal bei meinen Operationen geholfen? Fort, fort, ich glaube, du hast ganz den Kopf verloren. Geh, mach Wasser warm. Das ist alles, was ich dir heute zumuten kann.«
Der Hund hatte sich vor dem Alkov niedergesetzt und betrachtete durch seine zottigen Haare die auf dem Bett liegende unbewegliche und todesblasse Frau.
»Fritzel,« rief der Onkel, »schließ die Läden; es wird weniger ziehen. Und Ihr, Koffel, macht Feuer in den Ofen, denn jetzt von Lisbeth etwas zu erlangen, ist nicht möglich. Ach! wenn unter so vielem Elend uns nur ein bisschen Ruhe vergönnt wäre. Aber es geht alles durcheinander. Wenn der Teufel einmal im Zug ist, so weiß man nicht, wo er wieder anhält.«
So sprach der Onkel ganz niedergeschlagen. Ich lief hinaus, die Läden von außen zu schließen und ich hörte, wie er sie innen befestigte. Gegen den Brunnen zu blickend, gewahrte ich, daß zwei neue Wägen mit Todten abfuhren. Ich kam ganz zitternd zurück.
[50]
Koffel hatte inzwischen das Feuer angezündet, welches schon im Ofen knisterte. Der Onkel hatte sein chirurgisches Besteck auf dem Tische ausgebreitet; der Mauser wartete und sah, wie die vielen kleinen Messer glänzten.
Der Onkel nahm nun eine Sonde, trat zum Bett und zog die Vorhänge zurück; der Mauser und Stoffel folgten ihm. Mich überkam eine große Neugierde und ich ging zuzusehen; der Schein des Lichts erfüllte den ganzen Alkoven, die Frau war bis zum Gürtel nackt; der Onkel hatte ihr soeben die Kleider vom Leibe geschnitten. Koffel wusch ihr mit einem großen schwamm die Brust, die mit schwarzem Blut bedeckt war. Der Hund sah immer zu, er rührte sich nicht. Lisbeth war auch ins Zimmer zurückgekehrt; sie nahm mich an der Hand und murmelte, ich weiß nicht, welches Gebet. Im Alkoven sprach niemand, und als der Onkel die alte Dienerin hörte, rief er, wirklich erbost:
»Willst du still sein, alte Gans! Frisch; Mauser, hebet den Arm!«
»Ein schönes Geschöpf,« sagte der Mauser, »und noch dazu sehr jung.«
»Wie blaß sie ist,« meinte Koffel.
Ich trat näher herzu und sah die Frau schneeweiß, mit offener Brust und zurückgeworfenem Kopf und ihre schwarzen aufgelösten Haare. Der Mauser hielt ihr den Arm empor und darunter zwischen dem Busen und der Achselhöhle zeigte sich eine bläuliche Oeffnung, aus der einige Tropfen Blut flossen. Diese Wunde sondierte Onkel Jakob mit geschlossenen Lippen; die Sonde wollte nicht hinein. Ich war um so aufmerksamer, als ich nie etwas Aehnliches gesehen hatte, meine ganze Seele war dahinten im Alkoven. Ich hörte den Onkel murmeln:
Ücretsiz ön izlemeyi tamamladınız.