Kitabı oku: «Die schwarze Tulpe»

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Die schwarze Tulpe

Alexandre Dumas

Inhaltsverzeichnis

Erster Band.

I. Ein dankbares Volk.

II. Die zwei Brüder.

III. Der Zögling des Ex-Großpensionärs.

IV. Die Flucht.

V. Der Tulpenliebhaber und dessen Nachbar.

VI. Die Wuth eines Tulpenliebhabers.

VII. Der zufriedene Mensch wird mit dem Unglücke bekannt.

Zweiter Band

I. Der zufriedene Mensch wird mit dem Unglücke bekannt.

II. Der vereitelte Diebstahl.

III. Das Zimmer der Familie Witt.

IV. Des Gefangenenwärters Tochter.

V. Verhör und Urtheil.

VI.Cornelius van Baerles Testament.

VII. Die Execution.

VIII. Wie es während dieser Zeit einem Zuschauer erging.

IX. Die Tauben von Dortrecht.

Dritter Band.

I. Das Thürgitter.

II. Lehrer und Schülerin.

III. Die erste Zwiebelknospe.

IV. Rosas Liebhaber.

V. Die Frau und die Blume.

VI. Begebenheiten die während dieser acht Tage vorfielen.

VII. Die zweite Zwiebelknospe.

VIII. Das Aufblühen der Tulpe.

Vierter Band.

I. Der gefährliche Feind.

II. Die schwarze Tulpe wechselt ihren Herrn.

III. Van Systens, der Präsident.

IV. Ein Zweites Mitglied der Gartenbaugesellschaft.

V. Die dritte Zwiebel.

VI. Das Lied von den Blumen.

VII. Baerle verläßt Löwenstein, rechnet aber vorher mit Gryphus ab.

VIII. Man fängt zu vermuthen an, welcher Todesstrafe Cornelius unterzogen wird.

IX. H a r l e m.

X. Die letzte Bitte.

Schluß.

Erster Band.
I.

Ein dankbares Volk.

Die Stadt Haag, um die Mitte des siebzehnten Jahrhunderts noch die Hauptstadt der sieben vereinigten gleichnamigen Provinzen, mit ihrem großen, schattigen Parke, dessen majestätische Bäume, weit über die gothischen Häuser hervorragten, und den fast orientalischen Kuppeln ihrer Thürme, die sich in den breiten Flächen ihrer Kanäle abspiegelten, hatte am 20. August 1672 ein so festliches und geräuschvolles Aussehen, daß man mit voller Bestimmtheit irgend eine große Feierlichkeit, ja beinahe ein Ereigniß erwarten konnte. Durch alle Gassen und Straßen drängte sich eine rothe oder schwarze Fluth murrender und keuchender Bürger nach Buytenhoff, jenem schrecklichen Gefängnisse hin, von dem man noch heute die vergitterten Fenster zeigt. Die drohenden Mienen der aufgeregten Masse, der Umstand, daß jeder Einzelne entweder mit dem Degen, dem Gewehre oder einem Stocke bewaffnet war, verriethen eben so einen mehr ernsten als friedlichen Gegenstand, besonders, wenn man in Erfahrung beachte, daß diese ganze drohende und bewaffnete Menge sich nur aus der Ursache versammelt hatte, um der Escortirung, des in jenen Gefängnissen seit längerer Zeit schmachtenden, durch den Chirurgen Tyckelaer des Meuchelmordes angeklagten, und zur Verbannung verurtheilten Cornelius von Witt, Bruder des Ex-Großpensionärs von Holland, beizuwohnen.

Die Geschichte jener Zeit, und besonders die, jenes Jahres, um dessen Mitte beiläufig unsere Erzählung beginnt, hängt so genau mit den eben erwähnten zwei Namen zusammen, daß wir nothgedrungen diese vielleicht überflüssig scheinende Einleitung vorangehen lassen, und unsern Leser, dem wir gleich auf der ersten Seite die möglichst angenehmste Unterhaltung versprechen, aufmerksam machen müssen; den genannten Punkt, — ob unsere Aufgabe gut oder schlecht gelöst werde, — stets im Auge zu behalten und selbst zu urtheilen, wie unerläßlich wichtig derselbe zur Klarheit unserer Erzählung und der folgenden politischen Ereignisse sich herausstellt.

Cornelius von Witt, Ruart di Pulten, so viel als Inspector der Dämme von Holland, Deputirter und Exbürgermeister von Dortrecht, seiner Vaterstadt, war gerade 49 Jahre alt, als das holländisch Volk ganz unerwartet, von einer besondern Neigung und Sehnsucht nach der Statthalterschaft ergriffen, die, durch Johann von Witt, Großpensionär von Holland, und sein für immerwährende Zeiten erlassenes Edict gebildete Republik abschaffen, und die frühere Regierung einführen wollte.

Aber bei so unerklärbaren und großartigen Bewegungen, sucht die Masse, durch welche dieselbe hervorgerufen, ausgebildet und zum höchsten Grade der Vollkommenheit gebracht werden, wo möglich ihr, oft auf gar keine Grundlage basirtes, räthselhaftes Princip zu befestigen, und alle hinter demselben auftauchenden, drohenden Gespenster für immer zu beseitigen. Und so standen denn hinter der Republik auch zwei mächtige, kühne Gestalten, Johann und Cornelius Witt, die Römer Hollands, die als unbeugsame Freunde der Freiheit, dem Nationalgeschmack nicht huldigten, während hinter der Statthalterschaft, die schwache, ernste und beugsame Stirne des jungen Wilhelm von Oranien auftauchte, der mit vollem Rechte von einen Zeitgenossen den Beinamen: der Schweigsame, erhielt, den er auch während seines ganzen Lebens führend, der Nachwelt überließ.

Zu der damaligen Zeit wuchs mit jeder Stunde der moralische Einfluß, den Ludwig XIV. beinahe auf ganz Europa, und besonders auf Holland, nach dem glücklichen Erfolge des merkwürdigen Feldzuges am Rhein ausübte; eines Feldzuges, der in dem kurzen Zeitraume von drei Monaten, die Macht der vereinigten Provinzen zertrümmerte, und durch den von Boileau besungenen, wohl bekannten Romanhelden, Graf von Guiche, eine so große Berühmtheit erlangte.

Ludwig XIV. von den Holländern, durch französische Flüchtlinge, die sich daselbst aufhielten, unaufhörlich beleidigt und lächerlich gemacht, war ihr erbittertster Feind geworden. Der Nationalstolz machte ihn zum Mithridates der Republik. Aus diesen vorangegangenen Ursachen, zudem von einem mächtigen Feinde besiegt, und kleinmüthig gemacht, läßt sich die, gegen die Brüder Witt herrschende Aufregung, um so eher erklären, da das, durch die erhaltenen Wunden vollständig ermattete Volk, in der Beibehaltung jener, durch die beiden Männer mit aller Kraft vertheidigten Verfassung, seinen sichern Untergang voraussah, und nur von einem andern Oberhaupte die vollständige Rettung, aus dem nahenden Verderben erwartete.

Und jenes fragliche Oberhaupt, der junge Prinz Wilhelm von Oranien, Sohn Wilhelm II., und —durch Henriette Stuart, ein Enkel Carl I., dieses schweigsame Kind, dessen Schatten wir bereits ein Mal hinter der Statthalterschaft auftauchen sahen, war wirklich in jedem Augenblicke bereit, hervorzutreten, und sich mit Ludwig XIV., und dessen bisher so ungeheuerm Glücke zu messen.

Der Prinz war zu jener Zeit zwei und zwanzig Jahre alt. Johann von Witt hatte bisher seine Erziehung geleitet. Die Absicht dieses edlen Mannes ging einzig und allein nur dahin, aus dem altadeligen Prinzen, einen thätigen Bürger, einen guten Sohn seines Vaterlandes zu bilden. Aus Liebe zu dem Letzteren, aus mehr als väterlicher Neigung für seinen Zögling, beseitigte er jede nur keimende Herrscheridee, und führte den Knaben, durch Hinweisung auf das durch ihn selbst erlassene Edict, langsam zu der Ueberzeugung, daß er auch in der Zukunft jede Hoffnung zur Statthalterschaft, als eine Unmöglichkeit aufgeben müsse. Aber die Vorsehung schien diesen so wohlbegründeten Plan eines schwachen Sterblichen, nur mitleidig zu belächeln, denn gerade durch den so unerwarteten Eigensinn der Holländer, durch den Schrecken, den Ludwig XIV. einflößte, geschah es, daß die Politik des Großpensionär’s gänzlich vernichtet, das Edict abgeschafft, und die Statthalterschaft mit Wilhelm von Oranien an der Spitze, wieder eingeführt wurde. Und was wollte eben diese unerforschliche Vorsehung, durch die so plötzliche Umwandlung der bestandenen Ordnung bezwecken, welche unergründbaren, durch eine düstere Zukunft verschleierten Pläne, hatte sie mit dem Prinzen vor.

Der Großpensionär beugte sich unmittelbar den Forderungen und dem Willen seiner Mitbürger, während der kühne Cornelius gänzlich widerstand, und selbst dann, als die Orangisten sein Haus umlagernd, ihm mit dem Tode drohten, die Urkunde, welche die Statthalterschaft wieder einführen sollte, nicht unterschrieb.

Aber auch dieser kühne, männliche Charakter erlag einer mächtigen, höhern Stimme, der Stimme des Herzens. Als nämlich seine Gattin in Thränen zerfließend, auf ihren Knieen bat, sein Leben, und durch dies, das ihre zu erhalten, da gab er nach. Er unterschrieb mit bebender Hand, und vor seine Unterschrift setzte er die beiden Buchstaben, V. C, vi coactus, d. h. durch Gewalt gefertigt.

Ein außerordentliches Wunder schien ihn schon an diesem Tage der Nachstellungen seiner Feinde zu entziehen.

Johann von Witt hatte sich zwar durch seine leichtere und schnellere Fügsamkeit in den Willen des Volkes, die Sympathie eines großen Theiles gesichert, aber trotzdem würde er bald das Opfer eines meuchelmörderischen Angriffes gefallen sein, wenn nicht seine eigene Kühnheit ihn mit Ausnahme einiger wenig bedeutenden Wunden und Dolchstiche gerettet hätte.

Aber damit waren die Orangisten noch immer nicht zufrieden. Das Leben dieses Mannes, war ein ihren Plänen noch immer mächtig entgegenstehendes Hinderniß, das sie nunmehr, da die Gewalt kein günstiges Resultat hervorgebracht hatte, auf dem Wege der Verläumdung zu vernichten suchten. Und so durch die Abänderung ihrer Tactik, in jedem Augenblicke bereit, eine mißlungene Schändlichkeit durch eine neue besser berechnete zu krönen, warteten sie mit gespannter Ruhe den sich darbietenden günstigen Zeitpunkt ab.

Beobachten wir die Erscheinungen im menschlichen Leben etwas genauer, so werden wir mit Gewißheit den Grundsatz aufstellen können, daß zur Ausführung irgend einer großen, für die Gegenwart und Zukunft wohlthätigen Handlung, nicht sogleich das rechte Wesen auftrete, daß es beinahe im unerklärbaren Rathschlusse einer mächtigen Vorsehung verborgen liegt, es nicht erscheinen zu lassen; während dem zur Vernichtung der Existenz eines Einzelnen, oder auch eines großen Theiles der Gesellschaft, sich hunderte von Armen zur thätigen Beihilfe erheben, und eben so viele Elende, mit dem Mordwerkzeuge in der Faust nur eines Winkes harren, den niederträchtigen Zweck zu erfüllen. Ruhig, unbeachtet, verschwindet diese große Menge, einzeln einstrahlender Stern steht der Auserwählte im Buche der Geschichte da, der durch das Fatum erwählt, einen hohen edlen Plan glänzend durchführte.

Auch hier fand sich bald, was man suchte. Ein Chirurg von Profession, Namens Tyckelaer, schien als ein Agent des bösen Geistes, von diesen mit allen hier nöthigen Gaben ausgerüstet, ganz für die Umstände und den vorhabenden Zweck zu passen.

Von den Orangisten gewonnen, erklärte dieser Elende offen, Cornelius von Witt, habe in der Verzweiflung über die Abschaffung des Edictes, (ein Satz, der in den hinterlassenen Papieren auch wirklich vorkam, ) und aus Haß gegen Wilhelm von Oranien, einen Mörder gedungen. Dieser Mörder sei er selbst, aber von Gewissensbissen gepeinigt, vor der Schändlichkeit dieses Vorhabens zurückbebend, habe er sich bewogen gefunden, dasselbe mit allen Einzelheiten zu enthüllen, und vor Gericht mit Beweisen darzuthun, wie Cornelius von Witt durch die Ausführung dieser Absicht die Statthalterschaft stürzen, und an ihrer Stelle, die Republik wieder einführen wollte. Der Ausbruch des Zornes und der Wuth, den die Orangisten nach Kundmachung dieses Complottes sehr geschickt fingirten, läßt sich nicht schildern. Am 16. August 1672, wurde Cornelius von Witt, durch den Fiscal Prokuratur, in seiner Wohnung verhaftet, und sodann in das bereits genannte Gefängniß den Buytenhoff abgeführt. Dort, wie der elendeste, gemeinste Verbrecher, in eine dumpfe Kammer gesperrt, trieben die Untersuchungsrichter es so weit, ihn, den Ruart von Pulten, den Bruder des edlen Johanns von Witt, gleich den verworfensten Bösewichtern, zur Erpressung des für ihre Absichten so wichtigen Geständnisses, der Vorbereitungstortour zu unterziehen.

Aber Cornelius war nicht nur ein großer Geist, er verband zugleich mit seinen erhabenen Eigenschaften jene Seelenstärke, die allen physischen Einflüssen kühn die Stirne bietend, nur ein Attribut der höchsten Vollkommenheit bleibt. Fest an seinem politischen Glauben hängend, kann man ihn mit Recht unter die Familie jener Märtyrer rechnen, die kein haarbreit von ihrem vorgezeichneten Wege abweicht, und ihre Ideen mit dem ganzen Aufwande körperlicher und geistiger Kraft, wie einst unsere Vorfahren ihren religiösen Glauben, vertheidigen. Er lächelte zu allen Schmerzen, während der Folter recitirte er mit fester Stimme, die im Metrum geschriebenen Horazischen Verse, Jusium et lenacem ; er gestand nichts, und ermüdete dadurch nicht nur die Ausdauer, sondern auch den Fanatismus seiner Henker. Aber trotz dem Allen, hoben die Richter die von Tyckelaer gemachte Anschuldigung nicht auf, ihr Grimm schien durch den Muth des Unglücklichen nur noch mehr gesteigert zu werden, so daß sie ihm durch einen kurzen Urtheilsspruch seiner Würden und Aemter beraubten, ihm die Bezahlung der Gerichtskosten aufbürdeten, und zugleich auf ewige Zeiten aus Holland verbannten.

Schon dieser Schritt trug sehr viel zur Beruhigung des aufgeregten Volkes bei, eines Volkes, dem das unschuldige der der Politik sein ganzes thatenreiches Leben ausschließlich gewidmet, dessen Wohlstand es begründet hatte. Und doch war auch dieses, wie die Folge lehren wird, nicht genug.

Die Athener, die der Nachwelt ihren größten Ruhm in ihrer Undankbarkeit zurückließen, treten hier beschämt vor den Holländern zurück, da sie sich wenigstens mit der bloßen Verbannung ihres Wohlthäters Aristitides zufrieden gaben.

Johann von Witt hatte gleich bei der ersten Nachricht von der Verhaftung seines Bruders, und der gegen ihn gerichteten Anklage, sein Amt als Großpensionär niedergelegt. Auch er fand sich für seine Aufopferung und Vaterlandsliebe würdig belohnt. In sein Privatleben folgten ihm seine unversöhnlichen Feinde, und die noch nicht vernarbten Wunden, als einzige Denkmale jener großen Männer, welche die ungeheure Schuld auf sich wälzen, von den edelsten Trieben beseelt, für ihr Vaterland, für ihre Mitbürger mit voller Selbstverläugnung zu wirken.

Wilhelm von Oranien, das schwache, schweigsame Kind, erwartete von diesem Ereignisse seine ganze Zukunft, er bot selbst alle Mittel auf, das Volk dahin zu bringen, daß es ihm durch die Leichname der beiden Brüder, die zwei Stufen bilde, die er nothwendig hatte, um den Stuhl der noch immer schwankenden Statthalterschaft, erklimmen zu können.

Gerade am 20. August 1672, strömte die ganze Einwohnerschaft von Haag nach dem Buytenhoff hin, um, wie bereits Eingangs erwähnt, der Escortirung des zum Exil verurtheilten Cornelius von Witt beizuwohnen, und zugleich beobachten zu können! welche Spuren die Tortour an dem Körper zurückgelassen, der seinen Horaz so vortrefflich kennend, unter den heftigsten Martern einzelne Stellen desselben recitirte.

Aber zugleich erscheint es uns nothwendig, hier noch zu bemerken, daß die große Menge keineswegs nur von bloßer Neugierde getrieben, nach dem Schauplatze eines seltenen Spectakels strömte, sondern, daß viele darunter sich dem Zuge, in der Absicht angereiht hatten, an Ort und Stelle selbst eine Rolle zu spielen, oder vielmehr eine, ihrer Meinung nach nothwendige Kleinigkeit abzuthun.

Es dürfte von selbst einleuchten, daß wir darunter die Ausgabe des Henkers verstehen.

Die Zahl derjenigen, die gerade diese feindliche Absicht nicht hegte, und theils aus wirklicher Neugierde, theils nur in der Absicht dahin eilte, einen großen Mann’ in den Staub gewälzt, zu ihren Füßen zu sehen, einen Act, der beinahe instinctmäßig dem Stolze der rohen; Menge schmeichelt, war so gering, daß sie in keinem Falle, der Gegenpartei Widerstand bieten konnte.

Cornelius von Witt, dieser Mann ohne Furcht, rief man allgemein, war er nicht eingespert? wurde er nicht geschwächt durch die Folter? Wie wird er aussehen? blaß, blutend, beschämt?

Und alle diese Fragen, alle diese Ergüsse der rohesten Natur, waren die nicht ein schöner Triumph der Bürgerschaft, die noch weit mehr als das Volk, nach der Erreichung eines Ruhmes strebte, der im Buche der Geschichte, mit blutigen Lettern aufgezeichnet steht?

Und dann riefen die Emissäre der Orangistenpartei, die sich unter dem Volke vertheilten; wird es auf Wege vom Buytenhoff bis zum Stadttore, nicht so eine kleine Gelegenheit geben, etwas Koth und einige Steine von der Erde aufzuheben, um sie nach der Richtung zu schleudern, die der Ruart von Pulten einschlägt, ein Mann, der die Einführung der Statthalterschaft mit vi coactus unterzeichnete, und selbst fest noch den Prinzen meuchlings ermorden lassen wollte, — werdet ihr auf diese Art dem Herrn nicht zugleich einen kleinen Beweis Eurer Anhänglichkeit liefern, und ihm deutlich zeigen, welcher glänzende Empfang bei dem allenfallsigen Versuche zur Rückkehr seiner warte.

Aber noch mehr und mächtiger wurde dieser bereits glimmende Funke durch die französischen Flüchtlinge zur vollen Flamme angefacht. Ohne viel zu bedenken, fügten diese wüthenden Feinde ihres eigenen Vaterlandes jenen wohlberechneten Aufreizungen, die Bemerkung bei, daß man die beiden Brüder aus dem Haag, sich gar nicht entfernen lasse, da einmal in Sicherheit, sie alle früher mit Frankreich gesponnenen Intriguen wieder fortsetzen, und von dem Gelde des Marquis de Louvois, recht gemächlich leben würden.

Es ist eine auf die Erfahrung begründete Thatsache, daß die Zuseher bei so seltenen Gelegenheiten mehr laufen als gehen, und es wird daher auch Niemand Wunder nehmen, die ganze Volksmasse, gleich den brausenden Wogen, eines durch den Orkan aufgeregten Meeres dahinstürmen zu sehen.

Mitten unter dieser tobenden und lärmenden Menge, stürzte, Wuth im Herzen, jedoch ohne eigentlichen Plan, nach dem bezeichneten Platze, der biedere Tyckelaer, von den Orangisten als Heros der Rechtlichkeit, der Nationalehre, und der christlichen Liebe bezeichnet. Dieser Bösewicht entflammte die Menge durch seine lügenhafte Erzählung nur noch mehr. Die Ausführung der wohlüberlegten, einzelnen Umstände, die Mittel, die man ihm an die Hand gegeben, die Summen, die man angeboten, so wie der Entwurf eines schändlichen Planes, der alle Gefahr und Bedenklichkeit beseitigt, so wie die Ausführung des vorgeblichen Attentats sehr erleichtert hätte, Alles dies im gehörigen Zusammenhange vorgetragen, durch die weitere Mittheilung der Zuhörer noch bedeutend gräßlicher geschildert, verfehlte keineswegs die beabsichtigte Wirkung bei dem Pöbel zu erzeugen, und zugleich das Volk zu den lebhaftesten Acclamationen für den jungen Prinzen, und dessen ungestörte ruhige Zukunft zu stimmen.

Zugleich that sich die so künstlich aufgeregte Wuth des Volkes, in heftigen Schmähungen gegen die ungerechten Richter, Luft, deren gesundes, kräftiges Urtheil einen so ungeheuern Verbrecher, wie Cornelius entkommen ließ.

Die bereits hell auflodernde Flamme wurde durch mehrere Aufrufer noch bedeutend genährt.

»Er kommt durch er entwischt uns!«

»Ein Schiff, und zwar ein französisches, erwartet Ihn in Scheveningen, Tyckelaer hat es gesehen.«

»Der biedere, ausgezeichnete Tyckelaer« schrie die tobende Menge, wie im Chor.

»Und dazu habt ihr noch gar nicht berücksichtigt,« rief eine neue Stimme, »daß mit Cornelius auch sein Bruder Johann, der ein gleicher, wo nicht ein noch größerer Bösewicht ist, ebenfalls gerettet wird.

Und diese Elenden werden unser blutiges Geld in in Frankreich verprassen, unter dem Schutz Ludwig XIV, dem sie unsere Schiffe, unsere Arsenale, unsere Schiffswerften, so schändlich verkauft haben.«

»Sie dürfen nicht abreisen,« rief eine starke, weithin tönende Stimme.

»In den Kerker, in den Kerker« wiederholte die ganze wüthende Menge.

Zugleich begann das Wogen und Drängen immer stärker, die Bürger luden ihre Gewehre, ein anderer Theil schwang die Stöcke, oder ließ glänzende, bisher unter den Gewändern versteckte Beile blicken.

Noch war bis jetzt keine Gewaltthat vorgefallen, und eine Abtheilung Cavallerie, welche den Buytenhoff und die Haupteingänge in denselben bewachte, blieb ruhig, kalt und theilnahmslos; aber gerade durch diesen Gleichmuth drohender, als es die ganze aufgeregte Menge, mit ihrem Geschrei, und ihren Verwünschungen war. Unbeweglich standen sie da, nur auf den Befehl ihres Capitäns harrend, der den Degen zwar entblößt, die Spitze desselben aber nach abwärts gesenkt hatte.

Dieser Trupp, das einzige Bollwerk, welches das Gefängniß schützte, verhinderte durch seine würdevolle Haltung und Ruhe, jedes weitere Vordringen des Pöbels, und setzte zugleich einer Unordnung, die sich immer mehr auszubreiten drohte, unzerstörbare Schranken. Weniger geschah dieß von der, zu dem gleichen Zwecke aufgestellten Bürgerwehr, die es rathsamer zu finden schien, sich auf die Seite des Volkes neigend, durch drohende Geberden und Rufe, der allgemeinen Aufregung eine kräftigere Haltung und Form zu geben.

Es lebe Wilhelm von Oranien Tod den Verräthern.

Die Anwesenheit Tilly’s und seiner Reiterschaar, war den Bürgersoldaten ein mächtiger Widerstand, aber bald erhitzten sie sich durch ihr eigenes anhaltendes Geschrei, in gleichem Maße, als dieses durch den wachsenden Andrang stärker wurde, so sehr, daß sie in diesem Getöse, die Grundlagen ihres Muthes und ihrer Kühnheit suchend, das ihnen von Seite der Soldaten entgegengesetzte Stillschweigen, für Feigheit hielten. Sie versuchten es, auf diese Voraussetzung gestützt, einen Schritt weiter vorzudrängen, um so successive von dem Volkschwarme unterstützt, die Cavallerie aus ihrer innehabenden Stellung zu drücken.

Da sprengte aber Tilly, allein, ruhig und kalt, bloß den Degen schwingend, und die Stirne runzelnd, der Masse entgegen: »He da, meine Herren, von der Bürgergarde, was soll dieses Vorrücken bedeuten, was wollt Ihr?«

Die Bürger sammelten ihren ganzen Muth, indem sie die Gewehre heftig an einander schlugen, und Ihre früheren Rufe wiederholten:

»Es lebe Wilhelm von Oranien. Nieder mit den Verräthern!«

»Es lebe Oranien! Ganz recht,« erwiderte Tilly, dessen Lippen ein sarkastisches Lächeln umspielte. »Ganz recht, meine Herren, es lebe Oranien, auch Tod den Verräthern, wenn ihr es haben wollt. Schreit nach Herzenslust, das liegt ganz in Eurem freien Willen. Solltet Ihr aber Miene machen, diese Rufe durch die That zu bekräftigen, solltet Ihr die Personen, denen Ihr so geneigt zu sein scheint, wirklich dem Tode überliefern wollen, so mache ich Euch nur vorläufig zu wissen, daß ich hier bin, dieß zu hindern, und auch wirklich es in jedem Falle verhindern werde.«

Dann wandte er sein Pferd mit derselben Ruhe und Kaltblütigkeit gegen die Soldaten, und commandirte, als wenn er diesen einen Morgengruß zurufen wolle: »Ladet.«

Die Truppe gehorchte augenblicklich, und zwar mit einer Ruhe und Genauigkeit, die unter Bürgern und Volk eine so nahmhafte Verwirrung hervorbrachte, daß Tilly laut auflachte. »Ha, ha, ha, meine braven Bürger,« begann er nach einer Pause, die genügt hatte, seine Lachlust zu befriedigen, »fürchtet Euch nicht, keiner meiner Soldaten soll auch nur ein Zündkraut abbrennen, aber berücksichtigt dafür meinen wohlmeinenden Rath, haltet Euch ruhig auf Eurem Platze, und wagt es überhaupt nicht, einen Schritt dem Gefängnisse näher zu machen.«

»Wir haben aber auch Musketen,« entgegnete wuthentbrannt der Capitän der Bürgergarde.

»Ja, des Gott, ich sehe und höre, daß Ihr Musketen habt, nur immer zu, stützt Euch darauf, macht Ihr wollt, erwägt aber auch, daß meine Leute Pistolen haben, vortreffliche Pistolen, auf fünfzig Schritt, fehlt keiner seinen Mann, und Ihr steht nur fünfundzwanzig entfernt, macht also was Ihr wollt, es hängt wieder nur von Eurem Belieben ab.«

»Tod den Verräthern,« schrien die erbitterten Bürger, durch Tillys geringschätzende Aeußerungen, zum Bewußtsein ihrer Ohnmacht gelangt.

»Geht,« rief dieser abermals, »Ihr fängt an, bedeutend langweilig zu werden, ich höre gar nichts anders als fortwährend diese alte Leier.«

Hierauf sprengte er auf seinen früher innegehabten Posten ohne sich auch nur im Entferntesten um den immer steigenden Tumult zu kümmern.

Und dieses gereizte, wüthende Volk, diese nach Blut dürstende tobende Menge, ahnte in dem Augenblicke wo es ein Opfer für seine Rache forderte, nicht im geringsten, das hundert Schritte von dem Platze sich zwischen Fußgehern, Wagen und Reitern, ein zweites dem gleichen Schicksale bestimmtes Wesen, gleichsam als habe es Eile, seinem Verhängnisse in die offenen Arme zu eilen, nach dem Buytenhoff durchdrängte. Johann von Witt war nämlich, so eben in der Nähe des Platzes aus einem Wagen gestiegen, und beeilte sich, blos von einem Diener begleitet, das Gefängniß zu erreichen. Es gelang ihm glücklich, ein Zufall führte ihm gerade den Gefangenenwärter, den er übrigens zu kennen schien, entgegen:

»Guten Tag, Gryphus!« redete er denselben an, »ich komme, um meinen Bruder abzuholen, der, wie Du weißt, zum Exil verurtheilt wurde.«

Der Gefangenenwärter, eines jener öden, gefühllosen und kalten Wesen, dessen ganze Bestimmung größtentheils im Auf- und Zumachen der Gefängnißthüren besteht, grüßte den Ankommenden ehrerbietig, und öffnete ihm sodann die Thüre eines langen Ganges. Kaum waren jedoch beide zehn Schritte in demselben vorgegangen, als sie ein beiläufig achtzehn Jahre altes, in ihrer vollsten Blüthe dastehendes und reizendes Mädchen trafen. Sie verbeugte sich eben so ehrfurchtsvoll vor Johann, der ihr freundlich das Kinn berührte:

»Guten Tag, meine liebe Rosa, wie geht es meinem Bruder?«

Das Mädchen vermochte es nicht, eine Thräne, die langsam dem großen, schwarzen Auge entquoll, zurück zu halten, und gleichsam, als wollte sie einer unangenehmen Beantwortung, der an sie gerichteten Frage, ausweichen, erwiderte sie:

»O! mein theurer Herr, ihr kennt die Qual und Angst meines Herzens nicht. Nicht das schmerzt mich, was man Eurem Bruder bereits angethan, denn all’ dieß Leid hat er kühn und muthig, überstanden.«

»Nun, und was befürchtest Du dann, mein schönes Kind?«

»So viel, so unendlich viel, all’ das Böse, .nämlich, das man ihm noch anthun will.«

Johann’s offener Blick umdüsterte sich.

»Du fürchtest, oder meinst, das Volk — habe ich recht?«

»Ja, ja, hört Ihr es denn nicht?«

»Fürchte Dich nicht, mein liebes sind. Das Volk ist aufgeregt, aber sobald es uns nur sehen, sobald es sich der Wohlthaten, die es aus unsern Händen empfing, erinnern wird, vergißt es Alles, und beruhigt sich auch.«

Das Mädchen richtete einen fragenden Blick auf den Ex-Großpensionär, der eine ganze Welt von Zweifeln in sich schloß; dann einem Winke ihres Vaters gehorchend entfernte sie sich nach einer entgegengesetzten Seite.

Johann war ergriffen. Die unerwartete Tiefe von Nachdenken und Welterfahrung, die in diesem einzigen Blicke verborgen lag, bei einem Mädchen, das nicht einmal des Lesens mächtig, nur der unmittelbaren Stimme ihrer unverdorbenen kräftigen Natur folgte, schien ihm in diesem Augenblicke beinahe die Eingebung einer höhern Macht, die oft auf unerklärbare Weise dem:: Erwählten einen Blick in die dunkle Zukunft gestattet.

Aber seine Augen ganz wieder der unverwüstbar grünenden Palme der Hoffnung zuwendend, schritt er mit derselben kalten Ruhe nach dem Zimmer seines Bruders.

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