Kitabı oku: «Kubinke im Spinnennetz: Kriminalroman», sayfa 2

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„Guten Morgen, Dorothea”, begrüßte ich die Sekretärin unseres Chefs. Rudi und ich waren eigentlich ein paar Minuten zu früh, was allerdings nicht unser Verdienst war. Ich hatte Rudi, wie jeden Morgen an der bekannten Ecke abgeholt. Auf dem Weg bis zum Hauptpräsidium in Berlin gab es eigentlich immer irgendwelche verkehrsbedingten Überraschungen und so tat man gut daran, einen gewissen Zeitpuffer mit einzuplanen. Aber an diesem Morgen war ausnahmsweise mal wirklich alles glattgelaufen. Keine Baustellen, kein Stau und kein Unfall. Diesen Tag musste man sich wohl rot im Kalender anstreichen und vor allem gut in Erinnerung behalten. Denn sehr oft kam das nicht vor.

„Schön, dass Sie etwas eher da sind”, sagte Dorothea Schneidermann. „Sie können gleich weiter ins Büro von Kriminaldirektor Hoch gehen.”

„Da hatte ich mich schon so auf einen kleinen Plausch mit Ihnen gefreut - und Sie schicken mich gleich weiter”, meinte ich gut gelaunt.

Dorothea Schneidermann lächelte verhalten.

„Sie kennen den Chef doch - selbst wenn Sie zu früh sind, ist das für ihn gerade pünktlich.”

„Vielleicht verraten Sie uns schon mal, wo es hingeht”, meinte Rudi. „Nur für den Fall, dass Sie schon Hotels gebucht haben sollten.”

„Rostock, Ostsee”, sagte Dorothea.

Und damit war auch schon klar, um welchen Fall es ging.

Die Anschläge auf die Polizeidienststellen im Norden hatten natürlich in den Medien großes Aufsehen erregt. Spekulationen über einen terroristischen Hintergrund kursierten und angebliche Experten äußerten sich reihenweise in den Medien. Es war anzunehmen, dass keiner dieser Experten mehr wusste, als die Ermittlungsbehörden bisher herausbekommen hatten. Aber das hinderte sie keineswegs daran, so zu tun, als verfügten sie über einen höheren Wissensstand.

Wenige Augenblicke später traten wir in das Büro von Kriminaldirektor Hoch, unserem Chef beim BKA in Berlin.

„Guten Morgen. Schön, dass Sie da sind”, sagte Kriminaldirektor Hoch, während bereits ein Telefon klingelte. Kriminaldirektor Hoch bedeutete uns mit einer Geste uns zu setzen. Dann nahm er den Hörer ab. „Jetzt nicht”, sagte er nur. „Rufen Sie in einer halben Stunde wieder an! Danach habe ich Zeit für Sie.” Kriminaldirektor Hoch legte auf und wandte sich uns zu. „Sie haben sicher schon mitbekommen, dass es im Moment an mehreren Stellen zugleich brennt”, erklärte unser Chef mit ernstem Gesicht, während er sich seine Hemdsärmel hochkrempelte und die Hände anschließend in den tiefen Taschen seiner weiten Flanellhose verschwinden ließ. „Von Anschlägen auf mehrere Polizeigebäude in Mecklenburg-Vorpommern und Schleswig-Holstein werden Sie gehört haben. So viel kann ich Ihnen sagen: Das ist jetzt unser Fall, nachdem erste Ermittlungen davon ausgehen, dass es sehr wahrscheinlich nicht um das Werk von terroristischen Gruppen aus dem Ausland handelt.”

„Wie kann man das so schnell ausschließen?”, konnte ich mir eine Nachfrage nicht verkneifen.

„Ausschließen ist zu viel gesagt”, erklärte Kriminaldirektor Hoch. „Aber erste Erkenntnisse über den verwendeten Sprengstoff und die Art der Zündung legen den Schluss nahe, dass dieser Fall mit einem anderen in Zusammenhang steht.”

„Meinen Sie die Proteste und darauffolgende Erstürmung des Regierungsgebäudes durch Anhänger dieser christlich-fundamentalistischen Sekte, die sich Königreich der letzten Tage nennt?”, fragte Rudi.

Kriminaldirektor Hoch war im ersten Moment überrascht. Er hob die Augenbrauen. „Sie haben ins Schwarze getroffen, Rudi. Wie sind Sie drauf gekommen?”

„Es gab keine anderen bedeutenden Operationen in letzter Zeit”, sagte Rudi. „Ich verfolge die Neuigkeiten, die in unserem Datenverbundsystem zu finden sind und weil sonst ziemlich selten irgendetwas Derartiges passiert, ist mir dieser Fall aufgefallen.”

„Normalerweise sind christlich-fundamentalistishe Sekten ja eher pazifistisch eingestellt”, erklärte Kriminaldirektor Hoch. „Bei dieser Gruppierung ist das offenbar anders. Es geht um einen oder mehrere Täter, die hochprofessionell arbeiten, aber möglicherweise noch weitere Anschläge plant.”

„Vielleicht weihst du mich bei Gelegenheit mal in diesen Fall ein”, meinte ich an Rudi gerichtet.

Von dem ,Königreich der letzten Tage‘ hatte ich natürlich auch schon gehört. Es handelte sich um eine christlich-fundamentalistische Sekte, die keinerlei staatliche Autoritäten akzeptierte, ähnlich wie die sogenannten Reichsbürger. Sie rechneten sehr bald mit der Wiederkunft Christi und dem Ende aller Tage. Königreich der letzten Tage - so nannten sie ihre Kirche. Oder besser gesagt: ihren Staat. Sie erkannten nämlich die Autorität Deutschlands oder eines Staates nicht an. Deswegen lebten sie meistens auf abgelegenen Anwesen und großen Bauernhöfen, die sie als exterritoriales Gelände betrachteten. Aus dem rechtsradikalen Milieu war so so etwas bekannt. Aus dem christlich-fundamentalistischen und esoterisch-apokalyptisch angehauchten Sekten-Milieu war es eine neue Erscheinung.

„Soweit ich weiß, ist der Umgang für staatliche Stellen nicht besonders leicht mit dieser Gruppe”, meinte Rudi.

„Das Königreich der letzten Tage verfügt über enorme Geldmittel, die nur zum Teil aus den überschriebenen Vermögen und Erbschaften ihrer Mitglieder stammen”, fuhr Kriminaldirektor Hoch fort. „Die Sekte finanziert sich sehr wahrscheinlich überwiegend durch ihre Beteiligung am Drogenhandel. Und genau deswegen wurde ihr Zentrum in Rostock vor einiger Zeit gestürmt. Es kam zu heftigen Schusswechseln sowie mehreren Toten und Verletzten auf beiden Seiten. Jetzt müssen sich die überlebenden Mitglieder deshalb vor einem Gericht verantworten.”

„Wollen vielleicht noch in Freiheit befindliche Mitglieder des Königreichs der letzten Tage die inhaftierten Sektenangehörigen durch Terroranschläge freipressen?”, fragte Rudi. „Viel Sinn macht so ein Vorgehen nicht.”

„Aus ihrer Sicht führt das Königreich der letzten Tage einen Krieg gegen die gottlos gewordene Bundesrepublik Deutschland”, erläuterte der Herr Hoch. Er aktivierte einen Großbildschirm. Wenig später erschien darauf ein BKA-Dossier. „Eine dieser Personen, die sich auch nach der Erstürmung der Sektenzentrale noch in Freiheit befinden, ist dieser Mann. Er heißt Christian Timmer, war Sprengstoffspezialist bei der Bundeswehr. Nach traumatischen Erlebnissen in Afghanistan konvertierte er zum glauben der Sekte. Er ist wegen verschiedener Vergehen aus der Bundeswehr entlassen worden. Später arbeitete er unter anderem wieder als Sprengstoffexperte im Bergbau. Ihm wird die Beteiligung an mehreren Anschlägen auf staatliche Einrichtungen zur Last gelegt. Außerdem starb ein Mann, der aus der Sekte aussteigen und mit den Behörden zusammenarbeiten wollte, kurz vorher durch eine Autobombe.”

„Die Kollegen denken, dass Christian Timmer den Krieg des Königreichs der letzten Tage im Alleingang fortsetzt?”, vermutete ich.

„Das ist keine Vermutung”, erklärte Kriminaldirektor Hoch. „Timmer hat das über das Internet offen angedroht. Und da bei den Anschlägen in Rostock, Lübeck und Neubrandenburg sowie in Potsdam ein Sprengstoff verwendet wurde, mit dem sich Timmer hervorragend durch seine bisherigen Tätigkeiten auskennt.“

„Ein verblendeter Hassverbrecher!”, meinte Rudi. „Dürfte nicht leicht sein, ihn zu fassen, zumal wenn er wenig Rücksicht auf seine eigene Sicherheit nimmt.”

„Abgesehen von seinem zweifellos vorhandenen Hass auf Deutschland gibt es allerdings noch ein sehr viel konkreteres Motiv im Hinblick auf den Anschlag in Rostock”, sagte Kriminaldirektor Hoch. „In der dortigen Behörde lagerten nämlich die bei der Erstürmung der Sektenzentrale gesicherten Beweismittel. Darunter ein Waffenarsenal, um das manche Polizeibehörde das Königreich der letzten Tage beneiden würde. Damit nicht genug: Einige dieser Waffen wurden in der Vergangenheit bereits für Verbrechen verwendet. Dabei geht es insbesondere um die bisher nie aufgeklärten Morde an mehreren Drogenkurieren sowie an ehemaligen Mitgliedern des Königreichs der letzten Tage, die von der Sektengemeinschaft als vogelfreie Abtrünnige gesehen wurden.”

„Das heißt, einige der inhaftierten Sektenmitglieder können jetzt aufatmen, weil bei dem Anschlag in Rostock wichtige Beweismittel vernichtet wurden?”, fasste ich zusammen.

„Genau das, so vermuten die Kollegen, könnte das Motiv sein. Ich habe heute Morgen bereits ausführlich mit dem Kollegen Norman Hoffmann in Schwerin gesprochen. Die Staatsanwaltschaft von Rostock hatte gehofft, einige bislang unaufgeklärte Morde an abtrünnigen Sektenmitgliedern jetzt endlich aufklären zu können. Erst ein Teil der Waffen ist ballistisch überprüft worden. Diese Ergebnisse wird man natürlich bei Gericht verwerten können. Bei den anderen wird es jetzt schwieriger - je nachdem, was von den Beweismitteln noch übrig geblieben ist. Und selbst wenn das der Fall sein sollte, so werden die meisten Waffen nach dieser Explosion erstens wohl kaum noch in einem Zustand sein, in dem man ballistische Tests durchführen kann, die den allgemein üblichen Standards auch nur ansatzweise entsprechen.”

„Gut, ich nehme an, dass wir die relevanten Dossiers bereits in unseren Mailfächern finden”, meinte ich.

„So ist es. Sie beide fahren unverzüglich nach Rostock.” Kriminaldirektor Hoch sah auf die Uhr. „Sie sollten bald aufbrechen. Dorothea hat bereits alles vorbereitet.”




6


Ungefähr zwei Stunden dauerte der Flug von Berlin nach Rostock. Natürlich nutzten wir die Zeit, um uns schon mal einigermaßen in die Materie einzuarbeiten. Rudi hatte das Laptop auf den Knien und sah sich die einschlägigen Dossiers an, die insbesondere zu dem Einsatz des BKA gegen die Zentrale des Königreichs der letzten Tage vorlagen.

„Ich frage mich, wie es sein kann, dass man diesen Schlag zu einem Zeitpunkt geführt hat, als eine der maßgeblichen Personen, die man hinter Gitter bringen wollte, gar nicht anwesend war”, sagte ich.

„Du sprichst von diesem Sprengstoffspezialisten Timmer.”

„Genau, Rudi.”

„Eine Überwachung ist niemals lückenlos. Ich denke, da hat man sich einfach geirrt, was den Aufenthaltsort von Christian Timmer angeht.”

„Und wenn da jemand einen Tipp gekriegt hat?”

„Ausschließen können wir das nicht, Harry.”

„Wir werden die Kollegen vor Ort mal danach fragen.”

„Dieses Königreich der letzten Tage soll bei seinen Drogengeschäften mit der Bande von Benny Drago zusammenarbeiten”, sagte Rudi. „Zumindest wird das vermutet, ohne dass dafür bisher gerichtsverwertbare Beweise vorgelegen haben.”

„Wir haben noch nicht einmal gerichtsverwertbare Beweise, dass die Bande von Benny Drago überhaupt existiert”, gab ich zu bedenken. „Offiziell ist dieser Benny Drago ein ehrenwerter Geschäftsmann, der sein Geld durch Finanzgeschäfte verdient und mit dem organisierten Verbrechen nichts zu tun hat.”

„Wie so oft: Die Spatzen pfeifen es von den Dächern, dass Drago der Kopf einer Organisation ist, die den Drogenhandel im Norden von Deutschland beherrscht, und man kommt an diesen Kerl einfach nicht heran.”

„Solange Spatzen vor Gericht nicht als Zeugen anerkannt werden, wird das wohl auch so bleiben”, meinte ich. „Wahrscheinlich haben die Kollegen gehofft, durch ihre Aktion gegen das Königreich der letzten Tage auch etwas zu finden, mit dem sich gegen Benny Drago und seine Organisation vorgehen ließe ...”

„Du musst dir mal die Fotos vom Explosionsort ansehen”, sagte ich. „Da gibt es ein paar verkohlte Objekte, von denen man vielleicht vermuten kann, dass es sich mal um Rechner und Festplatten gehandelt haben könnte.”

„Ja, ja, ich verstehe schon, was du meinst.”

„Ich will es mal auf den Punkt bringen: Benny Drago und seine Bande haben mindestens ein genauso großes Interesse daran, dass die bei der Durchsuchung des Sektenzentrums des Königreichs der letzten Tage sichergestellten Beweismittel jetzt nichts mehr sind als verkohlte Artefakte unklarer Herkunft.”

„Und trotzdem ist es nach Lage der Dinge natürlich am naheliegendsten, dass Christian Timmer unser Mann ist, Rudi.”

„Ein irrer Sektenkrieger, der seine verhafteten Glaubensbrüder gegenüber einem BKA rächen will, das für ihn nichts weiter als ein Terror-Instrument eines verhassten Staates namens Deutschland ist”, formulierte Rudi den Gedanken noch etwas schärfer, der auch mir im Kopf herumschwirrte. „Leute mit Timmers sehr speziellen Fähigkeiten dürften selten sein. Insofern gebe ich dir recht.”

„Über einen Punkt komme ich noch nicht so ganz hinweg.”

Rudi hob die Augenbrauen. „Und welchen?”, fragte er.

„Es gab drei Anschläge – jedes Mal so verheerend, dass quasi kein Stein auf dem anderen blieb: In Rostock, Lübeck und Neubrandenburg.”

„Richtig.”

„Also liegt es nahe, dass das Ganze etwas mit irgendeinem Problem im Norden zu tun hat.”

„Weswegen wir ja das Königreich der letzten Tage und diesen Christian Timmer im Auge haben. Worauf willst du hinaus, Harry?”

„Darauf, dass es - für den Fall, dass es um die Vernichtung von Beweisen ging - tatsächlich ausgereicht hätte, eines der Büros in die Luft zu sprengen. Nämlich das in Rostock. Wieso Lübeck und Neubrandenburg?”

„Vielleicht wussten der Täter und seine mutmaßlichen Hintermänner nicht, wo sich die Beweise zurzeit befanden?”

„Unwahrscheinlich, Rudi.”

„Ach, ja?”

„Über die bevorstehenden Prozesse gegen die verhafteten Mitglieder des Königreichs der letzten Tage wurde man unter anderem in der örtlichen Presse ausführlich informiert. Das heißt, dass man schon wusste, dass die Beweismittel in Rostock gelagert werden, und nicht etwa in der Asservatenkammer der örtlichen Polizei.”

„Okay, eins zu null für dich.”

„Und wenn man sich in dem Punkt nicht so ganz sicher gewesen wäre, hätte es mehr Sinn gemacht, die örtliche Polizeizentrale auf diese Weise anzugreifen - aber nicht die Büros in Lübeck und Neubrandenburg.”

Rudi zuckte mit den Schultern.

„Hast du eine Theorie, was diesen Punkt angeht?”

„Keine, die schlüssig wäre. Es sei denn ...”

„Ja?”

„Es ging gar nicht um die Vernichtung von Beweisen.”

„Was beinahe noch mehr für diesen Christian Timmer als Täter sprechen würde. Nach allem, was wir über ihn wissen, würde für ihn der pure Hass auf den Staat und dessen Behörden schon ausreichen, um dem BKA quasi eine Art Privatkrieg zu erklären.”

„Oder es steckt noch etwas anderes dahinter.”

„Ich denke, zu diesem frühen Zeitpunkt können wir in dieser Hinsicht nur im Nebel stochern, Harry.”

„Es gibt noch einen zweiten Punkt, der mich bisher an dem Fall irritiert, Rudi.”

„Immer raus damit!”, verlangte mein Kollege. „Ich nehme an, du sprichst von dem Anschlag in Potsdam.”

Ich hob die Augenbrauen. „Kannst du Gedanken lesen?”

„Deine schon.“

„Aha.“

„Wenn ich Verdächtige verhöre, klappt das leider nicht.”

„Du hast recht, der Anschlag in Potsdam passt irgendwie nicht zu den anderen drei.”

„Anderes Bundesland, andere Vorgehensweise”, fasste Rudi die Punkte zusammen, die natürlich auch mir durch den Kopf gegangen waren. „Wobei bislang alles dafür spricht, dass derselbe Sprengstoff verwendet wurde und die Methode auch identisch war. Wir müssen natürlich die genaueren Untersuchungen abwarten.”

„Wieso wurde nur ein Fahrzeug in die Luft gesprengt - und nicht die Büros?”, brachte ich den Punkt zur Sprache, über den ich schon die ganze Zeit nachgegrübelt hatte.

„Die Kollegen gehen davon aus, dass die Büros gemeint waren. Schließlich stand der Wagen direkt davor.”

„Der Schaden in Potsdam ist relativ gering”, gab ich zu bedenken.

„Vielleicht wurden die Auswirkungen der Detonation überschätzt.”

„Jemand wie unser Sprengstoffspezialist Timmer sollte sich da so sehr vertan haben?”, gab ich zurück.

„Wir werden der Sache nachgehen, Harry - und dabei diesen Punkt im Auge behalten.”




7


Am Flughafen von Rostock-Laage holte uns ein Kollege ab.

„Kriminalhauptkommissar Jens Günther”, stellte er sich vor. „Mein Wagen steht auf dem Parkplatz. Ich werde Sie ins Hotel bringen.”

„Ich dachte, wir fahren zuerst zu den Kollegen”, sagte Rudi, nachdem wir Kommissar Günther unsere Ausweise gezeigt und uns kurz vorgestellt hatten. „Und außerdem ist uns ein Wagen zugesagt worden. Mit dem können wir ja dann später selbst ins Hotel fahren.”

„Ja, genau”, sagte Günther. „Die Kollegen sind nämlich im Hotel. Wir fahren ins Hotel Hopfenbrau. Dort hat unsere Leitstelle nämlich ihr provisorisches Hauptquartier aufgeschlagen, denn von unserem Büro ist leider nur ein Trümmerhaufen übrig geblieben. Und so schnell war es leider nicht möglich, neue Büroräume anzumieten. Aber wir kümmern uns darum, wieder adäquate Räumlichkeiten zu bekommen.”

„Das Hotel Hopfenbrau”, murmelte ich. „Der Name kommt mir bekannt vor.“

„Ist ein sehr altes Haus”, sagte Günther. „Das eine interessante Geschichte aufweist. Drei Häuser mussten im 19. Jahrhundert weichen, damit dieses Gebäude errichtet werden konnte, das nach Fertigstellung ein repräsentatives Hotel wurde. Nach dem Krieg zog die sowjetische Kommandantur dort ein. Später nutzte es die Partei, dann der FDGB. Und zu guter Letzt nutzte es die Bezirksverwaltung des Ministeriums für Staatssicherheit. Doch nach einer umfangreichen Renovierung ist das Gebäude wieder das, was es einmal war – ein respektables Hotel.”

Rudi sah mich ab.

„Das Hotel, das Dorothea für uns gebucht hat, heißt Hopfenbrau”, stellte er fest.

„Wundert mich, dass noch Zimmer für Sie frei waren, nachdem wir dort eingezogen sind. Aber so können Sie auf jeden Fall rund um die Uhr an dem Fall arbeiten.”

„So ungefähr hatte ich mir das schon vorgestellt”, murmelte ich.

Wir gingen zum Wagen und stiegen ein. Günther setzte sich ans Steuer. Ich nahm auf dem Beifahrersitz Platz und Rudi auf der Rückbank.

Anstatt den Motor zu starten, drehte sich Jens Günther herum. Sein Gesicht wirkte sehr ernst. Ein harter Zug hatte sich um seine Mundwinkel herum in sein Gesicht gegraben.

„Ich möchte von Anfang an ein paar Dinge klarstellen”, sagte er. „Erstens: Ich bin nicht freiwillig in Rostock.”

„Aber als guter Bemater geht man eben dorthin, wo man hingeschickt wird”, meinte Rudi.

„Sie bekommen es sowieso heraus oder werden im Laufe Ihrer Ermittlungen davon hören”, fuhr Günther fort. „Es gab da einen korrupten Kollegen in Berlin, den ich gedeckt habe. Ich hatte großes Glück, dass man mich nicht achtkantig rausgeworfen hat und ich nochmal eine Chance bekam.”

„Und diese Chance hieß Rostock”, stellte ich fest.

„Richtig.”

„Warum haben Sie den Kollegen gedeckt?”

„Weil er mein Freund war. Es war ein Fehler. Ich habe nicht genau genug hingesehen und vielleicht habe ich auch manches einfach nicht sehen wollen, was mir bei jedem anderen sofort ins Auge gesprungen wäre. Wie auch immer, ich kann es nicht rückgängig machen und vermutlich wird mir diese Sache noch jahrelang wie ein Stück Scheiße am Schuh kleben. Aber ehe Sie jetzt davon hören und vielleicht glauben, dass das noch einmal passieren könnte ...”

„Das glaubt niemand”, sagte ich. „Ich jedenfalls nicht. Ich denke, Sie haben daraus gelernt.”

„Das habe ich.”

„Dann danke ich Ihnen für Ihre Offenheit, Herr Günther. Wenn Sie wollen, können Sie mich Harry nennen.”

„Was mich betrifft, bleibe ich lieber bei Herr Kubinke”, erklärte Günther. „Denn das ist das zweite, was ich Ihnen in aller Offenheit mitteilen möchte: Ich kann nicht verstehen, dass man uns zwei Kriminalinspektoren aus Berlin vor die Nase setzt, was die Aufklärung dieses Falles angeht. Ich vertrete die dezidierte Meinung, dass unsere Rostocker Dienststelle die Ermittlungen in eigener Regie hätte zu Ende führen sollen, zumal eigentlich auch völlig klar ist, wer dahintersteckt.”

„Wer steckt denn Ihrer Meinung nach dahinter?”

„Das Königreich der letzten Tage. Das Ganze hat mit unserem Einsatz gegen diese Sekte zu tun. Haben Sie sich schon genug eingearbeitet, um mit diesem Begriff etwas anfangen zu können?”

„Haben wir”, versicherte ich.

„Diese Leute hassen das BKA. Sie hassen den Staat. Sie halten sich für Auserwählte, die am jüngsten Tag gerettet werden und für Menschen, die kein Gesetz, außer dem Gesetz Gottes akzeptieren und behaupten, dass Grundstücke, die ihren Mitgliedern gehören, exterritoriale Gebiete seien, auf denen Ihnen kein Polizist Vorschriften machen dürfte. Aber die Wahrheit ist, dass Sie ihre Sekte mit schmutzigen Drogengeldern finanzieren. Das ist die Kraftquelle, aus der sie in Wahrheit schöpfen - nicht irgendeine göttliche Offenbarung!”

„Nun, ich gebe zu, dass die Spur, die zum Königreich der letzten Tage führt, sehr breit und sehr deutlich zu sein scheint ...”

„Zu sein scheint?”, echote Günther. Da war ein harter, scharfer Unterton in seinem Tonfall, der mir nicht gefiel. Aus irgendeinem Grund schien er es fast schon als eine Art persönlicher Beleidigung aufzufassen, dass man diese Spur nicht als die einzig mögliche Ermittlungsrichtung bezeichnete, sondern als das, was sie war: Nur einer von mehreren möglichen Wegen, um zu einem Ermittlungserfolg zu gelangen.

Ich fragte mich unwillkürlich, woher diese Voreingenommenheit kam. Es musste irgendetwas Persönliches sein. Ich beschloss, ihn zu einem späteren Zeitpunkt danach zu fragen. Im Moment schien mir das nicht so viel Sinn zu haben.

„Wir ermitteln in alle möglichen Richtungen und stehen eigentlich erst am ganz am Anfang”, stellte Rudi klar. „Insofern müssen wir immer damit rechnen, dass plötzlich Ergebnisse auftauchen, die uns in eine ganz andere Richtung führen, als wir zu Anfang gedacht haben.”

„Auf solche Klugscheißer haben wir hier gewartet”, sagte Günther. Er atmete tief durch. „Nehmen Sie mir das nicht übel, Herr Meier!”

„Ein netter Empfang ist was anderes, Herr Günther.”

„Bei dem Einsatz gegen das Königreich der letzten Tage sind zwei gute Kollegen von mir ums Leben gekommen. Diese Schweinehunde haben einfach wild um sich geballert. Denen war es vollkommen egal, wie viele Menschen zu Tode kommen. Und jetzt, bei dieser Serie von Anschlägen ...” Er brach ab. Einen Augenblick lang herrschte Schweigen. Ich beschloss, dass es das Beste war, ihm einen Moment Zeit zu geben, um seine Gedanken und Gefühle einigermaßen zu ordnen. „Ich bin nicht freiwillig nach Rostock gegangen, das ist richtig. Aber das heißt nicht, dass ich meine Kollegen hier nicht geschätzt habe. Jetzt sind die meisten von ihnen tot. Und ein paar weitere liegen in der Klinik und man muss abwarten, ob man sie wieder einigermaßen zusammenflicken kann. Bei mindestens drei von ihnen ist klar, dass sie nie wieder diensttauglich sein werden. Können Sie sich vorstellen, was das für ein Gefühl ist?”

„Das ist ganz bestimmt sehr schwer zu ertragen”, sagte ich.

„Und jetzt kommen Sie mir nicht damit, dass ich mich dienstuntauglich schreiben lassen und die Zeit mit Gesprächen beim Psychologen verbringen sollte, während dieser irre Sprengstoff-Killer frei herumläuft und wahrscheinlich schon den nächsten Anschlag plant, falls ihm nicht gerade der Sprengstoff ausgegangen sein sollte. Aber ich bin mir sicher, dass wir von diesem Typen wieder hören werden, denn sein irrer Privatkrieg ist noch lange nicht vorbei.”

„Wir werden alles tun, was wir können, um diesen Fall aufzuklären, und die Schuldigen zur Verantwortung zu ziehen”, sagte ich. „Das verspreche ich Ihnen. Aber das heißt nicht, dass wir mit vorgefassten Meinungen im Kopf und vollkommen blind durch die Gegend laufen können. Wir müssen einen kühlen Kopf bewahren und als Team funktionieren. Dafür brauchen wir jede Unterstützung. Auch Ihre.”

„Die haben Sie”, sagte Günther.

„Dass die Zuständigkeit für diesen Fall jetzt bei uns liegt, hat etwas mit der Dimension zu tun, die dieses Verbrechen hat. Dafür gibt es klare Richtlinien, und Sie werden es einfach akzeptieren müssen, dass wir Ihren Leuten vor die Nase gesetzt wurden, wie Sie das ausgedrückt haben.”

„Wir haben uns diesen Fall auch nicht ausgesucht”, mischte sich Rudi ein. „Also sollten alle Beteiligten das Beste daraus machen.”

„Natürlich”, murmelte Jens Günther. Seine Lippen bewegten sich dabei kaum. „Ich hoffe nur, dass uns Ihrer beider Eingreifen am Ende nicht unangemessen viel Zeit kostet.”

„Die Zentrale in Berlin hat Möglichkeiten, die keiner Polizeidienststelle zur Verfügung stehen, geschweige denn den lokalen Büros vor Ort”, gab ich zurück. „Also gehen Sie getrost davon aus, dass die Ermittlungen davon profitieren werden, dass wir eingeschaltet wurden.”

Jens Günther startete den Motor.

„Ich will hoffen, dass Sie recht behalten!”, sagte er.

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