Kitabı oku: «Kugelhagel auf Sylt: Ein Kubinke Krimi», sayfa 2
4
Am Nachmittag saßen wir in einem für uns bereitgestellten Flieger nach Sylt.
Inzwischen wussten wir zumindest, dass es wohl so schnell keine Chance gab, an Engelmeyers Manuskript und vor allem an das zugrunde liegende Recherchematerial heranzukommen. Kriminaldirektor Hochs Telefonkonferenz hatte dazu ein paar sehr ernüchternde Erkenntnisse ergeben. Demnach hatte tatsächlich weder bei seinem Buchverlag noch in der Redaktion des Nachrichtenmagazins, mit dem er zusammenarbeitete, irgendeine Ahnung davon, wo sich dieses Material befinden mochte. Angeblich hatte Engelmeyer einen Cloudspeicher in einem sicheren Server benutzt, um seine Daten aufzubewahren. Und angeblich war dieser Speicher extrem gut gesichert. Aber letztlich war das alles nur Hörensagen, basierend auf Stellungnahmen, die Engelmeyer gegenüber seinen jeweiligen Geschäftspartnern angegeben hatte.
Was davon tatsächlich der Wahrheit entsprach und was nur Gerede war, das vielleicht auch den Sinn hatte, Verwirrung zu stiften oder dem Verlag plausibel zu machen, weshalb man erst im letztmöglichen Moment das Manuskript liefern konnte, würden wir selbst herausfinden müssen.
„ Wenn Engelmeyer so offen über seine Sicherheitsmaßnahmen gesprochen hat, dann verstehe ich nicht, wieso der Täter den Laptop gestohlen hat”, meinte Rudi. „Er musste doch wissen, dass man damit nichts anfangen kann.”
„ Vorausgesetzt, er hat auf dem Laptop nicht doch irgendetwas gespeichert”, gab ich zu bedenken.
„ Dann wäre Engelmeyer extrem unvorsichtig gewesen.”
„ Kann doch sein, dass er einfach nur nie damit gerechnet hat, dass es jemand schafft, in sein Anwesen einzudringen.”
„ Und dieses Gerede vom Speicher in der Cloud war nur ein Manöver, um potenzielle Täter genau davon abzuhalten, Harry?”
„ Können wir das wirklich ausschließen, Rudi?”
Rudi zuckte die Schultern.
„ Das wiederum würde aber voraussetzen, dass jemand davon wusste und den Täter darüber informiert hat.”
„ Es gibt immer jemanden, der für so einen Verrat in Frage kommt, Rudi.”
„ Hausangestellte?”
„ Ja, zum Beispiel. Es könne jemand im Haus etwas darüber mitbekommen haben und diese Information dann zu Geld gemacht haben.”
Rudi seufzte. „Bis jetzt ist das nichts als eine haltlose Theorie.”
„ Eine Möglichkeit, Rudi. Keine Theorie. So weit sind wir nun wirklich noch nicht. Es ist genauso möglich, dass der Killer einfach nur schlecht informiert war.”
„ Sicher.”
„ Davon abgesehen, gibt es vielleicht selbst für den Fall, dass Engelmeyer tatsächlich immer nur in der Cloud gearbeitet und niemals auch nur ein einziges Kilobyte heruntergeladen hat, Möglichkeiten, nachzuvollziehen, was er mit seinem Rechner angestellt hat.”
„ Das wäre wohl so etwas ähnliches wie Magie, Harry.”
„ Wir beide haben schon erlebt, was alles möglich ist. Gelöschte Daten können rekonstruiert werden und selbst, wenn man sich wirklich große Mühe gibt, keine Spuren zu hinterlassen, mit denen irgendjemand etwas anfangen könnte, besteht doch immer die Möglichkeit, dass doch etwas zurückbleibt.”
„ Klingt nach einem Auftrag für Lin-Tai.”
Dr. Lin-Tai Gansenbrink war die Mathematikerin und IT-Spezialistin unseres Ermittlungsteam Erkennungsdiensts in Quardenburg. Ich hatte bereits vor unserem Abflug versucht, Lin-Tai wegen dieser Sache anzurufen. Allerdings war sie erst am Abend von einem Flug nach Hamburg zurück. Dort war sie als Expertin für Datenschutz gewesen. Das Rechnersystem des Hamburger Polizeipräsidiums war so von Trojanern verseucht gewesen, dass man ohne externe Hilfe wohl nicht mehr weiter gewusst und sich an das BKA gewandt hatte.
„ Wir müssen versuchen, so zu denken, wie es Engelmeyer getan hat”, meinte ich. „Dann haben wir vielleicht eine Chance, noch etwas mehr über die Hintergründe herauszufinden.”
„ Der Killer - oder sein Auftraggeber - muss das getan haben”, meinte Rudi. Er hatte den bisherigen Flug dazu genutzt, sich das am Sylter Tatort gesicherte Material der Polizei genauer anzusehen und zog nun offenbar erste Schlüsse. Zu dem vorhandenen Material gehörte eine große Zahl von Fotos, die die Örtlichkeiten genauestens dokumentierten. Ein Übersichtsplan des Anwesens gab zudem eine genaue Vorstellung davon, welchen Weg der Täter mutmaßlich gegangen war.
Er war skrupellos gewesen. Nicht nur Raimund Engelmeyer, sondern auch zwei Leibwächter und ein mannscharfer Deutscher Schäferhund waren dem Unbekannten zum Opfer gefallen - allesamt mit sehr gut gezielten Schüssen niedergestreckt. Selbst den Hund hatte der Unbekannte mit nur einem Schuss niedergestreckt. Dass der Täter überhaupt auf das Gelände hatte gelangen können, hatte wohl mit seiner originellen Verkleidung zu tun. Er war nämlich als Gärtnergehilfe auf das Grundstück gelangt. Rudi hatte mir ein Überwachungsvideo gezeigt, auf dem zu sehen war, wie einer der Wachmänner, von denen sich Engelmeyer rund um die Uhr beschützen ließ, den angeblichen Gärtnergehilfen sogar nach Waffen durchsucht hatte.
Ziemlich gründlich sogar.
Trotzdem hatte er es geschafft, eine Waffe auf das Grundstück zu bringen. Die Vermutung lag nahe, dass er sie nicht am Körper getragen, sondern im Aufsitzrasenmäher versteckt hatte.
„ Es gibt da noch eine Hausangestellte, Chantal Weber”, sagte Rudi. „Sie hat den Anschlag überlebt und war wohl gerade im Haus.”
„ Wir werden mit ihr sprechen müssen. Gibt es ein Vernehmungsprotokoll?”
„ War nicht bei den Unterlagen, die wir bekommen haben, Harry.” Ich zuckte mit den Schultern. Zu diesem frühen Zeitpunkt war es nicht ungewöhnlich, dass so etwas noch nicht vorlag. „Es gibt nur den Vermerk eines Kommissars, der am Tatort war, dass die Hausangestellte den Toten entdeckt und die Polizei gerufen hat. Ach ja, und dann bin ich über noch etwas anderes gestolpert, Harry.”
„ Worüber?”
„ Über einen toten Alligator, den der Bericht erwähnt.”
„ Herr Engelmeyer scheint ein Freund exotischer Haustiere gewesen zu sein, Rudi.”
„ Der Alligator hat mehr Schüsse abbekommen, als das eigentliche Opfer.”
„ Also ich wäre an der Stelle des Killers auch vorsichtig gewesen, was diesen Alligator betrifft.”
„ Darf man als Privatperson in Deutschland so ein Tier überhaupt halten?“
„ Keine Ahnung, aber ich kann das ja mal im Internet recherchieren.“ Rudi tippte auf seinem Laptop herum. Dann sagte er: „Ja, da steht es. Das ist tatsächlich erlaubt. Man muss nachweisen, das Tier artgerecht zu halten, dann ist es kein Problem.“
„ Also mir wäre schon ein Goldfisch zu anstrengend.“
5
Auf Sylt holte uns ein gewisser Paul Mahler, Kommissar im LKA, von dem kleinen Flughafen ab. Wir stiegen in einen roten Mercedes, ein Dienstfahrzeug aus den Beständen der Fahrbereitschaft unserer Kollegen.
„ Ich habe gehört, dass Sie wegen dem Engelmeyer-Fall hier sind”, sagte Mahler. „Normalerweise bedeutet das für uns immer Ärger, wenn Kriminalinspektoren zu ermitteln beginnen.”
„ Da haben Sie eine falsche Sichtweise, Herr Mahler”, sagte ich.
„ Ach, ja”
„ Wir versuchen nur zu helfen.”
„ Ja, ich verstehe schon. Und am Ende werden ein paar von unseren eigenen Leuten verhaftet, die tagtäglich nichts anderes tun, als ihren Kopf für das Recht hinzuhalten.”
„ Nur dann, wenn es sich um schwarze Schafe handelt, die vergessen haben, was es bedeutet, das Recht zu verteidigen.”
Mahler hatte eine ziemlich rustikalen Fahrstil. Die Art und Weise, wie er sich in den laufenden, aber eher geringen Verkehr einfädelte, war hart an der Grenze dessen, was die Verkehrsregeln noch erlaubten.
„ Ja, ich weiß”, sagte Mahler. „Der Engelmeyer-Fall hat hohe Wellen geschlagen, richtig?”
„ So ist es,“ bestätigte ich.
„ Und Sie denken, dass jetzt ein paar Leute hier sehr froh darüber sind, dass auf wundersame Weise nicht nur Engelmeyers letzter Beitrag zur journalistischen Weltliteratur, sondern auch seine Recherchedaten unauffindbar sind und man so niemals aufdecken wird, wer jetzt vielleicht hier mal ein Auge zugedrückt oder dort mal ein paar tausend Euro von einem Kriminellen genommen hat.”
„ Ich weiß ebensowenig wie jeder andere, was genau Engelmeyer über die Verflechtungen zwischen BKA, LKA, Justiz und organisiertem Verbrechen hier in Schleswig-Holstein herausgefunden hat”, stellte ich klar. „Aber vielleicht finden wir das zu Grunde liegende Material ja im Lauf unserer Ermittlungen.”
„ Dann weiß ich nicht, ob ich wirklich hoffen soll, dass Sie Erfolg haben”, bekannte Mahler mit überraschender Offenheit.
„ Wie darf ich das denn verstehen?”
„ Genau so wie ich es gesagt habe, Herr Kubinke.”
„ Nennen Sie mich Harry!”
„ Ich bleibe lieber bei Herr Kubinke.”
„ Wieso, denken Sie, das kommt bei Ihren Kollegen beim LKA nicht gut an, wenn Sie sich mit einem Kriminalinspektor verbrüdern und ihn beim Vornamen nennen?”
Mahler schwieg. Ich hatte wohl ins Schwarze getroffen. Ein gewisser Corps-Geist ist sicherlich in jeder Abteilung und in jeder Polizeieinheit notwendig. Man muss zusammenhalten. Aber dieser Zusammenhalt darf nicht über dem Gesetz stehen. Und manchmal ist es leider notwendig, sich gegen die eigenen Kollegen zu stellen, um dem Gesetz zu seinem Recht zu verhelfen.
Rudi mischte sich in das Gespräch ein.
„ Wenn wir Kollegen uns nicht an das Gesetz halten, dann können wir es von niemandem erwarteten”, sagte er.
„ Schon möglich”, gab Mahler zurück. „Aber Sie sollten das auch mal von einer anderen Seite aus betrachten.”
„ Und von welcher?”, hakte ich nach.
„ Ein Kommissar oder ein Polizist hat Mühe die Raten für sein Haus abzustottern und dafür zu sorgen, dass seine Kinder eine vernünftige Ausbildung bekommen. Dafür gibt’s dann die Aussicht auf eine Pension, die es einem erlaubt, seinem Ende entgegenzudämmern, ohne zu verhungern. Und auf der anderen Seite sind da diese Typen in ihrem Lamborghini und Porsche, die mit den Scheinen nur so um sich schmeißen und das Jahresgehalt eines Polizisten in einer Nacht auf den Kopf hauen, ohne mit der Wimper zu zucken. Leute, die sich das Kokain mit Hundert-Euro-Scheinen in die Nase ziehen und den Schein anschließend anzünden, weil das so angenehm riecht. Können Sie wirklich nicht verstehen, dass man da mal schwach werden kann? Ist das so abwegig, dass ein Ermittler auf der Straße oder irgendein kleines Licht im Innendienst des LKA vielleicht eines Tages sagt: Jetzt bin ich auch mal dran!”
„ Und die Hand aufhält?”
„ Ja, genau! Aber das muss deswegen kein grundsätzlich schlechter Mensch sein.”
„ Sondern?”
„ Einer, der schwach geworden ist. Vielleicht nur ein einziges Mal in seinem Leben, aber plötzlich zählen dann all die Jahre nicht mehr, die er vorher seinen Kopf hingehalten hat.”
„ Sind Sie schon einmal schwach geworden, Herr Mahler?”
„ Nein.”
Seine Antwort kam ohne jedes Zögern. Wir hatten in diesem Augenblick natürlich unseren Kollegen nicht an einen Lügendetektor angeschlossen, aber ich war mir trotzdem ziemlich sicher, dass er die Wahrheit sagte. Mit der Zeit entwickelt man so etwas wie einen besonderen Sinn dafür, ob jemand die Wahrheit sagt. Einen Instinkt. Ich will nicht behaupten, dass er mich nicht auch schon getrogen hätte, aber in diesem Augenblick hatte ich den Eindruck, dass Kommissar Mahler tatsächlich eine ehrliche Haut war.
„ Kennen Sie jemanden bei Ihnen, der schon einmal schwach wurde - wie Sie das ausgedrückt haben?”, hakte ich noch mal nach. Denn wenn das Thema nicht ihn selbst betraf, dann war das eigentlich die einzige plausible Erklärung dafür, weshalb ihn das alles ganz offensichtlich zu einem derart starken emotionalen Engagement trieb.
Diesmal zögerte Kommissar Mahler mit der Antwort.
„ Sie haben meine Frage schon richtig verstanden, oder?”
„ Meine Ohren sind in Ordnung, Herr Kubinke.”
„ Und?”
„ Die Antwort ist ja, Herr Kubinke. Und ich wette, dass Sie auch mit ja antworten müssten, wenn ich Ihnen dieselbe Frage stellen würde.”
„ Nun …”
„ Versuchen Sie mich jetzt nicht danach zu fragen, wen ich gemeint habe, Herr Kubinke. Darauf werde ich Ihnen nämlich nur dann eine Antwort geben, wenn irgendeine Verordnung, ein Gerichtsbeschluss, die dienstliche Anweisung eines Vorgesetzten oder irgendetwas Vergleichbares mich dazu zwingt. Und selbst dann würde ich mir noch sehr gut überlegen, wieviel ich darüber preisgebe.”
Einige Augenblicke herrschte Stille im Wagen. Paul Mahler beschleunigte bis auf die erlaubte Höchstgeschwindigkeit. Es herrschte im Moment kein Verkehr.
„ Wir brauchen einen Wagen hier auf Sylt”, sagte ich schließlich, denn mir war klar, dass es im Moment keinen Sinn hatte, über das andere Thema weiter mit Kommissar Mahler zu sprechen. „Und außerdem hat man uns gesagt, dass sich Ihr Büro um eine Unterkunft kümmert.”
„ Der Wagen steht bei der Polizeidienststelle für Sie bereit”, sagte Mahler in einem deutlich ruhigeren Tonfall. „Und was das Hotel angeht - es wird Ihnen gefallen. Es heißt Sylt Palisades, und manche Leute wären froh, sich dort einen Urlaub leisten zu können.”
6
Chantal Weber saß an einem Tisch im Freien. Er gehörte zu einer Bar mit dem klangvollen Namen ‘La Bella’, und es handelte sich um eine Bar, die dem entsprach, was die Italiener darunter verstanden. Ein Ort, an dem man den ganzen Tag etwas essen konnte und wo den ganzen Tag der Fernseher lief - vorzugsweise Sportübertragungen. Bei den Italienern war das Fußball, die Übertragungen der italienischen Liga, denn abgesehen von Brasilien gab es wohl kein Land auf der Welt, das ebenso fußballverrückt war wie Italien.
„ Ciao Ragazza“, sagte plötzlich eine raue Männerstimme, die sie zusammenzucken ließ. So sehr, dass sie um ein Haar den Drink umgeworfen hätte, der vor ihr auf dem Tisch stand. Sie zitterte.
Ein Mann in einem grauen Anzug setzte sich zu ihr. Der Fußballball-Kommentator von RAI Sport-TV überschlug sich gerade jetzt vor Begeisterung.
Seine Stimme drang verzerrt aus dem Inneren des Lokals und mischte sich mit ein paar Männerstimmen.
„ Wie geht es dir, Ragazza?“, fragte der Mann im grauen Anzug. Er trug sein Hemd weit offen. Ein goldenes Kreuz hing ihm neben einem Amulett um den Hals.
„ Ich kann das nicht”, sagte Chantal Weber.
„ Was kannst du nicht?”
„ Hör mal, ich …”
„ Haben sie dir Fragen gestellt, Ragazza?”, fragte der Mann im grauen Anzug. Er spielte dabei mit dem Amulett herum und ließ es schließlich gegen das Kreuz ticken. Das Geräusch, das dabei entstand, war metallisch und hart. Er machte das gleich noch einmal.
„ Sie haben mich alles Mögliche gefragt”, sagte Chantal Weber. „Und ich habe ihnen gesagt, was ich sagen sollte.”
„ Na bravo! Dann kann doch nichts schiefgehen, Ragazza!”
„ Ich weiß nicht.”
„ Verlier jetzt nicht die Nerven, hörst du? Was geschehen ist, ist geschehen. Das kann man nicht mehr ändern. Jetzt musst du nach vorne blicken. Ein neues Leben beginnen.”
„ Ja, vermutlich hast du recht. Aber das ist nicht so einfach.”
Ein Motorboot rauschte auf die Anlegestelle zu, die sich nur wenige Dutzend Meter von dem Lokal ‘La Bella’ entfernt befand. Das Boot legte an. Ein Mann sprang auf den Steg. Er winkte herüber.
Der Mann im grauen Anzug nahm die Hand von den Amulett und dem Kreuz auf seiner Brust und winkte zurück.
„ Ich werde abgeholt”, sagte er. Er stand bereits auf.
„ Warte!”, sagte sie. Er drehte sich zu ihr um und musterte sie.
„ Es ist besser, man sieht uns nicht zusammen.”
„ Ich glaube, es wäre das Beste, wenn ich für eine Weile einfach verschwinde”, sagte sie.
Aber er schüttelte energisch den Kopf.
„ Nein, das halte ich für keine gute Idee.”
„ Und wieso nicht?”
„ Hör, mal, Chantal …”
„ Ich sagte es dir schon: Ich halte das nicht durch!”
„ Wenn du dich jetzt vom Acker machst, wird das nur den Verdacht auf dich lenken. Es wird sich jeder fragen, was mit dir los ist, und das kann nicht in unserem Interesse sein. Und in deinem schon gar nicht.“
Sie schluckte. Seine Stimme hatte den Klang von klirrendem Eis. Chantal Weber wollte etwas sagen. Ihr Mund öffnete sich halb, aber sie brachte nicht einen einzigen Ton heraus. Ein dicker Kloß saß ihr im Hals. Sie war unfähig, auch nur ein einziges Wort über die Lippen zu bringen. Davon abgesehen spürte sie, dass es ohnehin sinnlos gewesen wäre.
„ Bleib einfach bei deiner Geschichte! Wiederhole sie immer wieder! Immer dasselbe. Dann wirst du die Polizisten überzeugen. In ein oder zwei Wochen kannst du dann meinetwegen verschwinden. Ich kenne da jemanden in Berlin, bei dem du unterkommen könntest. Aber darüber reden wir, wenn es soweit ist, klar?” Sie nickte stumm. Er grinste schief. „Addio, Ragazza! Ich werde mir jetzt etwas den Fahrtwind dieses Bootes um die Nase wehen lassen.”
7
Kollege Richard Karaman war ein stämmiger Mann. Der Chef des Kieler LKA war nach Sylt gekommen, um sich mit uns in der hiesigen Polizeidienstelle zu treffen.
„ Ich bin froh, dass Sie da sind“, sagte er. „Der Fall Engelmeyer wird noch von einer Mordkommission des LKA bearbeitet. Kriminalhauptkommissar Brinkmeier hat die Leitung, und ich habe auch nicht den geringsten Versuch gemacht, den Fall uns in Kiel zuzuschanzen, auch wenn sich die Zuständigkeit mit Leichtigkeit begründen ließe, schließlich geht es hier um organisiertes Verbrechen und natürlich spielt unser Büro dabei eine Rolle, und weiterhin könnte der Mord an Raimund Engelmeyer ja mit dessen Enthüllungen über die angeblichen Verflechtungen des BKA und des LKA mit dem organisierten Verbrechen stehen.”
„ Könnte?”, echote ich.
Karaman hob die Augenbrauen.
„ Es ist nur eine Theorie, Herr Kubinke. Ich gebe zu, dass das angesichts der Tatumstände naheliegt. Aber wir sollten nicht vorzeitig andere Ermittlungsrichtungen außen vor lassen.”
Mit fiel auf, dass Karaman immer noch ‘wir’ sagte - so als sei seine Abteilung im LKA für den Fall zuständig und die Ermittlungen würden von ihm selbst geleitet. Vermutlich nur reine Gewohnheit. Aber es zeigte auf der anderen Seite auch, wie schwer es ihm fiel, sich dieses Mal weitgehend herauszuhalten.
„ Sie haben natürlich recht”, sagte ich. „Und ich kann Ihnen versichern, dass wir in alle Richtungen ermitteln werden.”
„ Und ich kann Ihnen versichern, dass ich Sie in jeder Weise dabei unterstützen werde.”
„ Das freut mich zu hören”, sagte ich.
„ Ganz gleich, was Sie brauchen”, fuhr Karaman fort, „ich besorge es Ihnen. Ob es um Einsatzkräfte, Spezialisten oder einfach nur um das zur Verfügung stellen von Lagerräumen geht. Unser Büro steht Ihnen in jeder Hinsicht zur Verfügung, aber ich werde mich in Ihre Vorgehensweise nicht einmischen. Auch wenn ich dazu sicher große Lust hätte. Doch das würde uns allen am Ende nur um die Ohren fliegen.”
„ Das denke ich auch”, meinte ich.
„ Außerdem bekommen Sie natürlich alles, was sich noch an zusätzlichen Ermittlungsergebnissen anhäuft hat. Sie werden einen Teil des Materials schon bekommen haben, aber das eine oder andere Protokoll oder verschiedene Untersuchungsergebnisse dürften noch nicht vorgelegen haben, als Sie von Berlin aufgebrochen sind.”
„ Gibt es schon Ergebnisse der Ballistik?”, fragte Rudi.
„ Die gibt es”, nickte Karaman. „Fünf Minuten, bevor Sie hier eingetroffen sind, hat mich Kriminalhauptkommissar Brinkmeier von der Mordkommission darüber informiert.”
„ Und?”, hakte Rudi nach.
Karaman atmete tief durch. Es klang beinahe wie ein Seufzen. Und das ließ nichts Gutes ahnen. „Das Ergebnis ist, dass es kein Ergebnis gibt.”
„ Was soll das heißen?”, fragte ich.
„ Die Waffe, die der Täter benutzt hat, taucht in unseren Archiven nirgends auf. Sie ist zum ersten Mal bei einem Verbrechen aktenkundig geworden.”
„ Trotzdem sieht das alles ja nicht gerade nach dem ersten Mordversuch eines Ersttäters aus”, stellte ich fest.
Karaman schüttelte den Kopf.
„ Ganz und gar nicht. Die Vorgehensweise war höchst professionell. Unsere Ballistiker meinen, dass er ein sehr guter Schütze gewesen sein muss. Nur dieser Alligator hat ihn etwas aus der Fassung gebracht.”
„ Wie meinen Sie das?”
„ Er hat die Nerven verloren und wild drauflos geballert. Der Alligator hat mehr Schüsse abbekommen als das Opfer - das sagt alles. Schließlich war der Kerl ja nicht auf Großwildjagd dort, sondern mit dem Vorsatz Raimund Engelmeyer zu töten.”
„ Es gibt doch eine Video-Aufnahme davon, wie er von Engelmeyers Leibwächtern durchsucht wird”, stellte ich fest. „War es nicht möglich, ihn anhand dieser Aufnahmen zu identifizieren?”
„ Haben Sie die Aufnahmen gesehen?”, fragte Karaman.
„ Wir hatten während des Fluges etwas Zeit dafür”, sagte ich.
„ Dann haben Sie vielleicht auch gesehen, dass die Qualität der Aufnahmen nicht besonders gut ist. Unsere Experten haben sich das Material natürlich angesehen und ich nehme an, Ihre Leute in Quardenburg werden sich das auch noch vornehmen.”
„ Natürlich.”
„ Das Gesicht des mutmaßlichen Täters liegt im Schatten und wird außerdem fast die ganze Zeit über von einem der Leibwächter verdeckt.”
„ Könnte das Absicht gewesen sein?”, fragte Rudi.
„ Sie meinen, dass einer der Leibwächter mit dem Kerl unter einer Decke steckte?”
„ Wäre doch nicht ausgeschlossen”, fand ich.
„ Die Leibwächter wurden später erschossen”, gab Karaman zu bedenken.
„ Damit hätte der Täter möglicherweise auch lästige Mitwisser beseitigt - falls da etwas dran sein sollte”, gab Rudi zu bedenken.
„ Ich glaube trotzdem nicht an diese Theorie“, sagte Karaman. „Ich lasse mich aber gerne widerlegen, wenn Sie irgendwann handfeste Indizien haben sollten, die so etwas nahelegen könnten. Allerdings handelt es sich bei den Leuten, die für Engelmeyers Sicherheit zuständig gewesen sind, meiner Einschätzung nach um seriöse, vertrauenswürdige Security Leute, die alles mitbringen, was der Standard dieser Branche so verlangt.“
„ Sie kennen diese Leute näher?“, hakte ich nach, denn es war schon etwas auffällig, wie sehr sich Karaman vor diese Wachleute stellte. Meistens gibt es in diesen Fällen einen besonderen Grund dafür.
Karaman zögerte. Aber dann kam er doch mit der Sache heraus, die dahintersteckte.
„ Die Firma, die mit dem Personenschutz betraut war, genießt einen sehr guten Ruf. Sie wurde von Timothy Dietmund gegründet. Mit dem habe ich zusammen auf Sylt mal angefangen.”
„ Warum ist Dietmund ausgeschieden?”, hakte ich nach.
„ Nicht aus einem der Gründe, den Sie jetzt vielleicht im Auge haben. Er hat einfach die Chance gesehen, sich selbstständig zu machen. Und davon abgesehen war er vielleicht auch nicht der Typ dafür, Weisungen zu empfangen. Als sein eigener Chef geht es ihm entschieden besser.”
„ Es ist also damals nicht irgendetwas vorgefallen, was zu seinem Ausscheiden führte?”, vergewisserte ich mich noch einmal.
Karaman schüttelte den Kopf.
„ Nein. Nichts - von ein paar Meinungsverschiedenheiten mit Vorgesetzten mal abgesehen. Aber da war ganz sicher nichts, was irgendetwas mit den Enthüllungen eines gewissen Raimund Engelmeyer zu tun gehabt hätte.“
„ Und da sind Sie sich wirklich vollkommen sicher?“, fragte ich.
Karaman sah mich einen Augenblick an, wandte dann den Blick kurz in Rudis Richtung und lehnte sich dann in seinem Bürostuhl etwas zurück.
„ Herr Meier, ich weiß, dass Herr Kubinke schon Ihr Partner war, als Sie beide noch als Kriminalhauptkommissare in den Straßen von Hamburg unterwegs waren.“
„ Das trifft zu“, bestätigte Rudi.
„ Würden Sie für Ihren Kollegen Harry Kubinke die Hand ins Feuer legen?“
„ Jederzeit.“
„ Dann verstehen Sie vielleicht auch, was ich meine. So wie Sie beide sich absolut vertrauen, so war das auch zwischen Timothy Dietmund und mir. Aber Sie haben aus professioneller Sicht natürlich recht. Nehmen Sie jeden unter die Lupe, der in Ihr Raster passt.! Ich lege Ihnen keine Steine in den Weg. Aber da wir schon über Personen sprechen, denen Engelmeyers Recherchen vielleicht geschadet haben …”
„ Gibt es da jemanden?”, fragte ich.
„ Missstände bei Polizeibehörden sind ja so etwas wie Engelmeyers Spezialgebiet. Und daran hat er ja auch schon länger gearbeitet.”
„ Woher wissen Sie das?”
„ Sagen wir mal so: Das spricht sich herum. Und meiner Vermutung nach bestand Engelmeyers geplantes Buch in erster Linie aus aufgewärmten Sachen, die er schon lange in seinem virtuellen Giftschrank aufbewahrt hat.”
„ Warum hat er dann mit der Veröffentlichung solange gewartet?”
„ Das müssen Sie andere fragen. Meine Vermutung: Er wusste, dass er vieles nicht beweisen kann und anderes aus zweifelhaften Quellen stammte, und eventuell fürchtete er rechtliche Schwierigkeiten. Aber, wie gesagt, das ist nur eine Vermutung.”
„ Sie sprachen von einer Person, der Engelmeyer geschadet hat”, erinnerte Rudi den Dienststellenleiter.
Karaman nickte.
„ Ich spreche von Friedhelm Greif. Er hat hier bei uns jahrelang eine Abteilung zur Bekämpfung des organisierten Verbrechens geleitet. Vor zwei Jahren hat Engelmeyer eine große Story gebracht. Zuerst in einem Nachrichtenmagazin, anschließend haben sich die Fernsehsender darauf gestürzt und die Sache hat hohe Wellen geschlagen.”
„ Worum ging es?”
„ Um schlampige Ermittler, gefälschte Beweise, unter Druck gesetzte Zeugen und es stand der Verdacht im Raum, dass auch Bestechungsgelder geflossen sind, mit denen Bandenchefs Ermittlungen gegen ihre Unterchefs vermieden haben sollen. Letzteres konnte nie bewiesen werden.”
„ Und was ist mit den zuerst genannten Vorwürfen?”
„ Es gab ein paar Wiederaufnahmeverfahren, anscheinend unschuldig Verurteilte wurden freigesprochen, hohe Entschädigungssummen mussten gezahlt werden und auch, wenn es immer schwer ist, wenn mehrere beteiligte Behörden in ihrem Zusammenspiel versagt haben, einen einzelnen Schuldigen herauszupicken, war es einfach unumgänglich, dass es hier personelle Konsequenzen geben musste.”
„ Und die trafen diesen Friedhelm Greif”, schloss ich.
„ Ich maile Ihnen die Unterlagen dazu zu, Herr Kubinke”, versprach Karaman. Er zuckte mit den Schultern. „Greif ist gut davongekommen, wenn Sie mich fragen. Er wurde aus dem Dienst entlassen und wegen ein paar Vergehen, die man ihm nachweisen konnte, zu einer Geldstrafe verurteilt. Das war alles.”
„ Dann hatte er gute Anwälte”, sagte Rudi.
„ Oder ein paar Freunde an der richtigen Stelle”, meinte ich.
„ Es war eine Entscheidung meines Vorgängers”, sagte Karaman. „Ich war damals noch Stellvertretender. Aber ich hätte die Entscheidung genauso treffen müssen, denn Greif war nicht zu halten.”
„ Wir werde auch mit ihm sprechen müssen”, kündigte ich an.
„ Ich gebe Ihnen seine Adresse. Er hat übrigens in mehreren Prozessen vergeblich versucht, seine Wiedereinstellung und eine Rehabilitierung zu erreichen. Er hat das LKA verklagt, er hat Raimund Engelmeyer verklagt und so ziemlich jeden, der mit der Angelegenheit zu tun hatte.”
„ Was macht er jetzt?”, fragte ich.
„ Schlägt sich als Privatdetektiv durch. Aber es heißt, dass er nicht besonders erfolgreich in diesem Job ist, was damit zusammenhängen könnte, dass er vornehmlich in eigener Sache ermittelt.”
Ein verbitterter Ex-Kommissar, der Engelmeyer für seine Misere verantwortlich machte. Friedhelm Greif hatte auf jeden Fall ein Motiv.
Ücretsiz ön izlemeyi tamamladınız.