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Kiel
Kiel
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Nach dem Gewitter war der Wind ganz abgeflaut. Das Schiff lag mit schlappen Segeln an der Boje. Nur wenn ein Dampfer vorüber fuhr, gluckten die Wellen gegen die Planken. Der schwerfallende Gewitterregen hatte jede Bewegung der glatten Fläche ausgelöscht, der Wasserspiegel der Förde sah aus, als wäre sie frisch gewaschen. In der mit Feuchtigkeit übersättigten Luft standen die Ufer ohne Modellierung als großer dunkler Schattenriss, in dem die Häuser körperlos wie helle Flecke hafteten.
Wie ich vom Heck aus das Ufer von der Nikolaikirche auf dem Stadthügel von Kiel bis zum Waldvorgebirge von Düsternbrook überblickte, schoss mir die lange Strecke zu einem redenden Bilde der Geschichte des Bodens zusammen. Ich weiß nicht, ob es noch eine andere Stadt gibt, deren Entwicklung sich so deutlich in ihrer Silhouette ausdrückt. Ganz hinten auf dem höchsten Punkt des alten Stadthügels strebt der kräftige Turm von St. Nikolai auf. Dort wurde auf dem vorbestimmten Hügel im Wasser ganz am Ende der Förde, wo es am sichersten war, von Schauenburger Grafen Kiel (zwischen 1233 und 1242) gegründet als eine Konkurrenz zu Lübeck. Dort hat sich sein Bürgertum im Anschluss an die Hanse kräftiger entfaltet, als bei solchen Konkurrenzstädten, die als Typus zur Zeit der großen deutschen Städtegründungen nicht selten vorkommen, die Regel ist, so dass es sich schließlich einer gewissen Unabhängigkeit gegenüber der Fürstengewalt erfreute. Aus jener fernen Zeit ragt der trotzige Turm der Stadtkirche empor, dem die Restauration den Charakter nicht hat nehmen können. Sonst blieb aus der ersten Zeit der Entwicklung nicht viel übrig außer den Resten eines Klosters und dem ziemlich unveränderten Straßennetz, das ursprünglich in acht Straßenzügen kreuzförmig von dem im Mittelpunkt gelegenen Markt ausging. — Ein seltener Stadtgrundriss.
Kiel um 1588
Auf den Turm von St. Nikolaus, dem Schutzpatron der Schiffer, folgt in der Prozession am Ufer eine andere Silhouette, die ihrer Form nach aus der Ferne schwer deutbar wäre, ein ungegliederter hochstrebender Kasten unter mächtigem Ziegeldach, alles zusammendrückend, was die Stadt enthält, mächtiger und massiger als selbst die Kirche, wenn sie auch mit der äußersten Turmspitze höher aufragt.
Es ist das Schloss, auf dem Platz der alten Stadtburg errichtet zur Zeit der zweiten Blüte der Fürstenmacht, die seit Ende des sechzehnten Jahrhunderts alles unterjochend an die Stelle des erschlafften Bürgertums getreten war.
Kiel Schloss um 1900
Unser Hamburger Baumeister Sonnin, der Erbauer der Michaeliskirche, hat dem alten Schloss seine heutige Gestalt gegeben. Auf ihn wird auch der weitaus schönste Privatbau Kiels, das Schweffelsche Haus zurückgeführt. Als im achtzehnten Jahrhundert das Land sicher geworden, wurde auch dem Kieler Schloss ein großer Park angefügt, der am Strand der Förde entlang weit ins Land führte. Zwei mächtige Alleen schlössen ein Blumenparterre ein, das in der Ferne am Abhange der Hügelreihe in eine Terrassenanlage überging. Wie überall wurde im neunzehnten Jahrhundert, als die absolute Fürstenmacht ausgeklungen war, dieser Park der neuen Macht des Bürgertums ausgeliefert, und der Schlossgarten zog sich auf ein enges, wohlumfriedetes Gelände am Schloss zurück. Die alten hohen Baumgänge fassen nun die öffentlichen Schmuckanlagen ein, und sie sind nicht mehr auf das Schloss orientiert, sondern auf das Repräsentationsgebäude einer anderen Macht, der Universität, die, im 17. Jahrhundert vom Fürstentum gegründet, nach vielen Schicksalen, zeitweilig fast völlig untergegangen — 1765 konnte sie ihr hundertjähriges Bestehen nicht feiern, weil sie keine Räume und keine Studenten mehr hatte — im neunzehnten Jahrhundert Stadt und Land beherrscht hat. Die Gelehrtenwelt der Universität ist seit dem Mittelalter ganz republikanisch organisiert. Sie drückt sich im Städtebild nicht wie Kirche und Fürst durch eine einzige große Form aus, das würde ihrem Wesen nicht entsprechen, es ist in ihr nichts einzelnes, das ragen könnte. Breitgelagert ruht ihr Hauptpalast auf der untern Terrasse des alten Schlossparks. Zu ihm führen die Alleen, als Teppich zu seinen Füßen breitet sich dazwischen das in Rasenplätze verwandelte Blumenparterre des Schlosses aus, das ehemals von der entgegengesetzten Richtung ausging. Hohe Mauern, Bäume und Büsche des kleinen Schlossgartens unterdrücken jede Spur des ehemaligen Zusammenhanges.
Kiel 1855
Hinter dem Hauptgebäude der Universität, in dem die wichtigsten Funktionen des Gesamtorganismus ausgeübt werden, erhebt sich eine Akropolis von Laboratorien aller Art, von Krankenhäusern und anderen Instituten, die zur Universität gehören, eine Stadt in oder neben der Stadt.
Auf die Universität ist dann seit der Gründung des Reichs im Bilde der Stadt eine andere Großmacht gefolgt, die ihr Wesen gründlicher als alle anderen erweitert und umgestaltet hat, die Marine. Wo das Reich der Universität aufhört, beginnt das der Seegewalt. Und während vom Wasser aus nur eben die Dächer der Universitätsgebäude sichtbar sind, lagert sich die massige Marineakademie breit am Ufer. Ein trauriges Stück erzakademischen Unvermögens, ganz aus Anlehnungen zusammengefügt, ein typisches Erzeugnis der Ohnmacht und des Unverstandes unserer abstrakten Architektur, die nirgends zu Hause ist, als an den Zeichentischen der Akademien und Baubüros.
An die Entwicklung der Marine schließt sich die vom Kaiser angeregte und geförderte Gründung und Ausbildung des Wassersports großen Stils, der in Kiel seine Heimat gefunden hat. Auch diese Phase drückt sich im Stadtbilde aus. Als Seitenstück zur Marineakademie erhebt sich das von Krupp erbaute Hotel der Seebadeanstalt mit dem kleineren Gebäude des kaiserlichen Yachtklubs neben sich. Das Hotel rührt nun schon nicht mehr von den Akademikern alten Stiles her, die aus italienischen Phrasen einen stümperhaften Aufsatz zusammenleimen, sondern von einem Akademiker neuen Stils, der schon mit englischen Gemeinplätzen arbeitet. Was an diesem Platz zwischen Seestrand und bewaldetem Hügelzug seine Aufgabe war, hat er nicht eine Minute überlegt. Sein Werk ist wie das seines Vorgängers im Büro am Zeichenbrett entstanden. An der Stelle, wo es steht, hätte dies Gebäude nur durch Masse und Einheit sich behaupten können gegen die Einheit des grünen Waldhintergrundes und die Einheit des Wasserspiegels zu seinen Füßen. Es hätte sich gehört, dass das Dach als eine große möglichst einfach gegliederte Masse zusammengehalten wäre, und dass die Hauswand als eine feste, einheitliche Masse darunter gestanden hätte. Aber das Dach ist durch lauter Giebel zerkleinert, man empfindet es überhaupt nicht mehr, und die Wand ist in zwei Teile zerlegt, einen roten Unterbau, der bis zum ersten Stock reicht, und einen weißen Oberbau bis zum Dach. Dazukommt, wiederum teilend und zerkleinernd, im obersten Stock allerlei Fachwerk, das gar nicht dahingehört und an soliden Bauten nichts als Blendwerk bedeutet. Statt sich in die Hefte der englischen Zeitschriften zu vertiefen, wie sein Vorgänger an der Marineakademie in seine (oder anderer) italienische Erinnerungen, hätte sich der Erbauer dieses großen Hotels das Schweffelsche Haus in Kiel ansehen und sich fragen sollen, was sich dort an entwicklungsfähigen Gedanken findet, oder alte Herrensitze des siebzehnten oder achtzehnten Jahrhunderts in Holstein und Schleswig. Er hätte nichts gefunden, das er hätte kopieren dürfen. Aber er hätte Wirkungen beobachten können. Vom Gebäude des Yachtklubs soll man lieber gar nicht sprechen, wenigstens nicht von der Fassade.
Bis zur Seebadeanstalt reicht heute der Stadtkern von Kiel. Alle Lebensmächte, die die Entwicklung bestimmt haben und noch bestimmen, sind, wie es sonst nirgendwo vorkommt, dem Gelände angepasst in langer Linie hintereinander aufgereiht, Kirche, Schloss, Universität, Marineakademie, Seebadeanstalt. Aber die Stadt reicht weiter. Am jenseitigen Ufer gehören die großen Werften dazu, von Holtenau her grüßen die neuen Torpedokasernen am Torpedohafen, und das früher wie eine ferne Nachbarstadt im Abendlicht leuchtende Friedrichsort mit seinen Kasernenbauten erscheint heute schon zur Stadt gehörig. Die ganze Förde ist jetzt der Marine untertan. Die Marine hat Kiel, das vor einem Menschenalter nicht viel mehr als zwanzigtausend Einwohner zählte, auf gegen hundertfünfzigtausend gebracht. Ältere Hamburger, die Kiel in der Mitte des neunzehnten Jahrhunderts gekannt haben, müssen sich erst besinnen, dass Kiel eine Großstadt geworden ist. Kiel ist es freilich wie fast alle heutigen Großstädte nur der Einwohnerzahl nach, nicht durch Leistungen, die über die mechanische Einrichtung des Lebens hinausgehen. Es könnten Dutzende von solchen Großstädten in Europa vom Erdboden verschwinden, ohne dass die Menschheit um ein Atom an wertigem Besitz ärmer würde. Wir müssen uns daran gewöhnen, in den heutigen Großstädten, in der modernen Stadt überhaupt, etwas anderes zu sehen, als in der antiken oder mittelalterlichen. Sie formt keinen geschlossenen Organismus mehr. Sie hat keine Bürger, sondern nur Einwohner. Sie verlangt nichts von sich, ihre Einwohner verlangen nichts von ihr, niemand wundert sich, wenn sie nichts anderes leistet als mechanische Verwaltungsarbeit der Polizei-, Sicherheits-, Versorgungs- und Reinigungsdienste. Wenn es gelänge, die schlafenden Stadtseelen zu wecken? Oder sind sie tot für immer?
Wir lagen ruhig auf dem Heck im Sonnenschein und warteten auf die nächste Brise. Aber ohne Ungeduld. Alle Hast war von uns gewichen, wir fühlten keinen Antrieb mehr, wollten nichts erreichen, hatten nicht das Bedürfnis, vorwärts zu kommen. Der Augenblick erfüllte und genügte uns. Spät abends erhob sich der Wind. Wir steuerten unserem nächsten Ziel zu, Kopenhagen. Als wir am anderen Morgen früh ans Deck stiegen, kreuzten wir im Sund.
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Kieler Museen
Kieler Museen
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Wir hatten die Absicht, ehe wir an Bord gingen, die Kieler Museen zu besuchen. Aber es wurde nichts daraus, weil es uns drängte, an Bord und auf die See zu kommen. Wir haben es dann auf der Rückfahrt nachgeholt.
Auch in Kiel sind in der zweiten Hälfte des neunzehnten Jahrhunderts kunst- und kulturgeschichtliche Museen entwickelt worden. Es hat dabei, wie auch an anderen Orten die Regel, kein Gesamtplan vorgelegen, denn den konnte es nicht geben, wo weder ein von der ganzen Bevölkerung empfundenes Bedürfnis vorlag, noch im Organismus der modernen Stadt eine einzelne Behörde vorhanden war, deren Aufgabe in der Pflege kultureller Dinge bestand. Hätte es nicht einzelne Sammler und Gruppen von Kunstfreunden gegeben, deren Seele sich, der Masse voraus, höheren Dingen hingab, Kiel wäre ohne eigenen Kunstbesitz in das neue Jahrhundert eingetreten. So haben sich die Sammlungen unabhängig von einander an drei Ansatzpunkten entwickelt, haben das typische Schicksal ungleichmäßiger, weil von zufälligem Vorhandensein willenskräftiger Individuen abhängiger Entwickelung gehabt, stehen auch heute noch im Werden und haben ihr Gebiet noch nicht scharf gegeneinander abgegrenzt.
Thaulow-Museum
Es sind ihrer drei, das Museum vaterländischer Altertümer, das Thaulow-Museum und die Kunsthalle.
Das Museum vaterländischer Altertümer und das Thaulow-Museum stellen die kultur- und kunstgeschichtliche Vergangenheit von Schleswig-Holstein dar, die Kunsthalle enthält die Gemäldegalerie.
Museum vaterländischer Altertümer
Aber eins greift im Bestand der Sammlungen, wenn nicht in der Sammeltätigkeit, auf das Gebiet des anderen über. Das Museum vaterländischer Altertümer sammelte ursprünglich alles, was der Name deckt. Es hat sich nun schon seit langer Zeit auf die vorgeschichtliche Epoche beschränkt. Dabei besitzt es jedoch im Erdgeschoss einen Saal mit nicht unerheblichen Beständen aus der christlichen historischen Zeit. Das Thaulow-Museum hat allmählich seine Aufgabe in der Darstellung der künstlerischen Kultur des Landes seit der Einführung des Christentums gefunden. Aber es hat in jüngster Zeit als Vermehrung seiner Schätze an alter Bildnerkunst angefangen, plastische Werke lebender schleswig-holsteinischer Künstler zu erwerben und greift damit auf das Gebiet der Kunsthalle über, der Gemälde und Skulpturensammlung. Während die Altertümersammlungen in Besitz und Pflege des Staats übergegangen sind, sorgt für die Kunsthalle ein Kunstverein, dessen Leitung Mitglieder der Universität in Händen haben. Die historischen Sammlungen sind jedoch ebenso wenig vom Staat gegründet worden. Das Museum vaterländischer Altertümer entstammt der Tätigkeit eines Vereins, das Thaulow-Museum der des Privatmannes, dessen Namen es heute trägt. In Hamburg sind diese Kieler Sammlungen wenig bekannt. Am ehesten weiß man noch vom Thaulow-Museum, dessen auffallendes Gebäude nahe am Bahnhof nicht leicht übersehen werden kann, und das schon durch die Persönlichkeit seines Gründers, die sich einer gewissen Volkstümlichkeit erfreute, die Aufmerksamkeit auf sich gezogen hat. Am wenigsten weiß man bei uns von dem heute zweifellos anziehendsten und lehrreichsten, dem Museum vaterländischer Altertümer.
Während das Thaulow-Museum und die Kunsthalle dem von Hamburg kommenden kaum sehr viel neue Anregungen bieten können, gewährt das Museum vaterländischer Altertümer Aufschlüsse, die unsere verwandte Hamburger Sammlung naturgemäß nicht geben kann. Es ist seinem sachlichen Inhalt und seiner Aufstellung nach eins der anziehendsten Museen, die wir in Norddeutschland besitzen. Räumlich umfasst es das Gebiet Schleswig-Holsteins, zeitlich die ungeheure Spanne menschlichen Lebens auf der Scholle jenseits der Einführung des Christentums bis zurück in die erste Dämmerung menschlicher Kultur. In einem schönen, schlichten, alten Backsteingebäude, das im Schlossbezirk liegt und bis 1876 der Universität diente, wird es aufbewahrt. Die Aufstellung der großen Schätze arbeitet mit den bescheidensten Mitteln, aber gerade deshalb kommt der Inhalt der Schränke ohne Abzug und Zusatz zur Geltung. Keine Üppigkeit der Architektur oder der Wanddekoration, keine Gemälde und vergoldeten Ornamente zerstreuen die Aufmerksamkeit. Man sieht in diesem Museum wirklich nichts als den Inhalt.
Die Leiterin des Museums, Fräulein Direktor Prof. Dr. Mestorf, der kürzlich zu allen anderen Ehren die goldene Medaille für Kunst und Wissenschaft verliehen wurde, war so liebenswürdig uns einzuführen. Wer sie in ihrem Museum kennen lernt, ist geneigt, die schlanke Dame mit ihrer aufrechten Haltung und den feinen, durchgearbeiteten Zügen schließlich ebenso interessant zu finden, wie den Inhalt ihres Museums, und niemand würde der federnden Gestalt ein Alter von fünfundsiebzig Jahren zutrauen. Dabei hat sich Fräulein Mestorf bei der Präparierung der umfangreichen Moorfunde mehr als einmal an den Rand des Todes gebracht. Durch die Arbeit ihres Lebens hat sie sich eine führende Stellung erworben. Es gibt wohl in Deutschland keine zweite Frau, die so viel erreicht hat. Sie ist seit 1891 Direktor ihres Museums, an dem sie vorher Kustos war, hat, wenn ich nicht irre, als erste Frau in Preußen für gelehrte Arbeit den Titel Professor und bei ihrem 75. Geburtstag in diesem Jahre die goldene Medaille für Kunst und Wissenschaft erhalten. Wie ist sie dazu gekommen, sich zu einer Zeit, wo es eine Frauenbewegung in Deutschland noch nicht gab, auf diesem, den Interessen der Frauenwelt so fern liegenden Gebiet anzusiedeln? Schon im Elternhause wurde sie als Kind von ihrem Vater, einem leidenschaftlichen Sammler vorgeschichtlicher Altertümer, in die Wissenschaft eingeführt. Ihr Vater, Dr. med. Mestorf in Bramstedt, hatte eine ansehnliche Sammlung vorgeschichtlicher Altertümer ausgebildet und war auf autodidaktischem Wege dahin gekommen, sie nach den drei großen Epochen der Stein-, Bronze- und Eisenzeit zu ordnen. Das war ein Jahrzehnt ehe die Wissenschaft die Lehre von der Dreiperiodenteilung aufgestellt hatte. So stand Fräulein Mestorf seit ihrer frühesten Jugend in Fühlung mit den Dingen, deren Erforschung sie ihr ganzes Leben widmen sollte. Sie und ihre Mitarbeiter kamen gerade noch im rechten Augenblick, um das letzte zu retten. Unendlich viel war im Lauf des Mittelalters bis gegen den Schluss des achtzehnten Jahrhunderts durch Schatzgräber, die die Hünengräber aufwühlten, zerstört worden. Denn das Volk hatte nie vergessen, dass in den künstlichen Hügeln nicht nur die Toten begraben lagen sondern ihre Schätze mit. Alle Sagen und Märchen sind voll davon. Voll auch von den Spuren der Enttäuschung derer, die statt des erhofften Goldes Scherben gefunden hatten und eine übernatürliche Erklärung für ihr Missgeschick suchten. Jeder kennt den Typus der Sage von dem schon berührten Goldschatz, der durch die Schuld des Finders verwandelt wird oder in unergründliche Tiefen versinkt, und von dem seltenen Sonntagskind, das den Schatz wirklich heim trägt. Aber mehr als die Schatzgräber hatte der Pflug zerstört, der das Ödland alter Begräbnisstätten der Kultur unterwarf. Im neunzehnten Jahrhundert sollten dann die Wegebauten, die die alten Grabstätten als Steinbruch ausnutzten und die tieffurchenden Dampfpflüge den Rest dezimieren. Was die Sammler und Gelehrten des neunzehnten Jahrhunderts gerettet haben, wird ihnen die fernste Zukunft danken. Es handelt sich nicht um seltsame Museumsstücke zum Anstaunen und Bewundern sondern um den Einblick in die Urgeschichte unserer Rasse, die uns nicht durch schriftliche Dokumente übermittelt ist. Frl. Mestorf hat sich ihren hervorragenden Platz in diesem Kreis erobert nicht nur als Leiterin und Mehrerin ihrer Sammlungen sondern auch durch ihre eigne ausgedehnte Forschertätigkeit, die sich über ein umfangreiches Gebiet erstreckt und weit über das Gebiet der Prähistorie hinausgreift. Sie ist für ihre Generation außerdem die eigentliche Vermittlerin der Forschungsarbeit des Nordens geworden, der klassischen Heimat der vorgeschichtlichen Wissenschaften. Ihrer Hingabe verdankt die deutsche Wissenschaft die Übersetzung der wichtigsten Lehrwerke der skandinavischen Forscher. Als sie von der Berliner Anthropologischen Gesellschaft zum Ehrenmitgliede ernannt wurde, fasste Virchow das allgemeine Urteil über ihre Bedeutung zusammen: „Fräulein Johanna Mestorf, jetzt Direktor der Altertumssammlung in Kiel, unter den lebenden Frauen diejenige, die durch aktive Leistungen am meisten zu dem Fortschritte der prähistorischen Archäologie beigetragen hat, wird hoffentlich noch lange in der wichtigen Stellung, welche sie zur Ehre ihres Geschlechts errungen hat, die Bande der Freundschaft, die uns mit ihr verknüpfen, durch treue Mitarbeit festigen“. Man möchte es dem Kieler Altertümermuseum anmerken, dass eine Frau es leitet. Es steckt in der Zubereitung und Aufstellung der Gegenstände eine Sorgfalt und Liebe, die nur der Frau in so hohem Maße eigen sein dürfte. Und wer Fräulein Mestorf bei der Behandlung der Funde beobachtet hat, wird wohl an die besondere Fähigkeit erinnert worden sein, die die Frau von dem Geist und der Geduld der schwierigen Handarbeiten mitbringt. Den Grundstock der Kieler Sammlung hatte seit 1835 ein Verein für die Erhaltung vaterländischer Altertümer zusammengebracht. Aus dem heutigen Bestande des Museums und nach dem Namen zu schließen, hatte man sich ursprünglich keineswegs auf die Vorgeschichte beschränkt. Im Jahre 1873 wurde die vorgeschichtliche Sammlung in Flensburg mit der Kieler vereinigt. Nach und nach hat das Museum auch eine Anzahl von Privatsammlungen aufgesogen. Wann die ältesten Reste menschlicher Kultur, die das Museum zur Anschauung bringt, entstanden sind, entzieht sich der genauen Schätzung. Geräte aus Knochen und roh bearbeitetem Stein entstammen aus einer Ansiedlung, die man etwa 10 Meter unterhalb des heutigen Spiegels der Kieler Förde entdeckt hat! Wie lange ein und dieselbe Wohnstätte benutzt wurde, lässt sich aus dem Inhalt eines Schrankes ablesen, der die Funde aus dem Husumer Mühlteich zusammenfasst. Als dieser künstliche Teich vor einigen Jahren entwässert wurde, fanden sich auf dem Boden die Reste einer Wohnstatt aus dem Mittelalter und in den Schichten darunter Spuren aller vorhergehenden Zeitalter bis zur ältesten Steinzeit. Der Ort hat mithin eine menschliche Ansiedlung getragen von den allerfernsten Urzeiten bis zu den Tagen, wo Mönche den Mühlteich anlegten. Was dieser höchst anziehende kleine Schrank für die einzelne Siedlung leistet, das bietet das Gesamtmuseum für das ganze Land. Ursprünglich sammelte man ohne besondere Einsicht und ohne auch zu wissen, wie wichtig die genaue Feststellung der Fundstätte war, aus Interesse am einzelnen Gegenstand. Das Kieler Altertümermuseum besitzt wie alle verwandten Anstalten, aus dieser ersten Sammelzeit zahlreiche Funde ohne nähere Fundnotiz. Sobald aber die Grundlagen der neuen Wissenschaft gelegt waren, hat man den Grundsatz festgehalten, alles, was an derselben Stelle ausgegraben worden, im Museum nicht nach den Gegenständen zu trennen sondern zusammen zu lassen. Diese Einzelfunde sind dann nach den drei Zeitaltern geordnet. Aus den Einzelfunden ohne Herkunftsbezeichnung ist in einem der Schränke eine lehrreiche Zusammenstellung gemacht. Es sind systematisch alle Werkzeuge aufgeführt, die der Mensch der Steinzeit aus dem spröden Stoff herzustellen gewusst hat. Dabei stellt sich heraus, dass er die Grundformen aller heute aus Metall hergestellten Werkzeuge schon kannte, nicht nur Hammer und Beil, sondern die verschiedensten Formen von Messern, Sägen, Bohrern, Meißeln und Dolchen. Das Material, aus dem die ganze Entwicklung durch alle Zeitalter abgelesen werden kann, bieten die für jedes Zeitalter typisch verschiedenen Gräber, bei deren Untersuchung sich herausgestellt hat, dass nur für die Zeit von etwa 500—800 nach Christo keine Grabstätten mit Sicherheit nachzuweisen sind. Aber noch überraschender als die Gräberfunde sind die für Schleswig-Holstein und die skandinavischen Länder charakteristischen Moorfunde, zu deren Erklärung eine Stelle des Orosius angezogen wird, die berichtet, dass die Kimbern und Teutonen nach ihren Siegen über Manlius und Caepio bei Orange in Südfrankreich (105 v. Chr.) alles zerstört hätten, was ihnen an Beute in die Hände gefallen wäre. Die Kleider wären zerrissen, Gold und Silber in den Fluss geworfen, Panzer und Pferdeschmuck zerhauen, die Pferde in den Strudel versenkt, die Menschen mit Stricken an die Bäume gehängt als Weihegeschenke für die Götter. Die bedeutendsten Funde, die durch diese Stelle erklärt werden, sind der Torsberger und Nydamer Moorfund, deren Ursprung sich durch die römischen Münzen bestimmen lassen. Diese Funde allein lohnen schon die Reise nach Kiel. Sie wären Deutschland um ein Haar verloren gegangen. Die Dänen hatten sie 1864 eingepackt, um sie nach Kopenhagen zu schaffen. Als beim Friedensschluss die Auslieferung mitbedungen war, wusste niemand anzugeben, wo die Kisten mit ihrem unersetzlichen Inhalt verborgen seien. Schließlich aber wurde das Versteck verraten, und Schleswig-Holstein kam wieder in den Besitz dieses unendlich wertvollen Schatzes. Die beiden Funde stellen sich als Opfergabe nach gewonnenem Siege dar. Helme sind zerhauen, Schwerter verbogen, Speere zerbrochen, Schilde zerschlagen, Schildbuckeln verbeult. Aber das Moor hat alles getreulich aufbewahrt, auch das Holzwerk. Hier stehen wir vor wirklichen echten in der Schlacht getragenen Schilden unserer germanischen Vorfahren. Wir können uns ein Bild von der ganzen Bewaffnung des Kriegers machen und uns nach den erhaltenen Resten vorstellen, wie sein Pferd aufgezäumt war. Mehr noch, es wurde in Nydam ein ganzes Boot gefunden, das in allem wesentlichen wohlerhalten im oberen Stockwerk aufgestellt werden konnte. Sogar die Reste des Steuers wurden gefunden, das damals (etwa 400 Jahre nach Christi Geburt) noch nicht in der Achse des Schiffes befestigt und bewegt wurde, sondern an der rechten Seite des Heck befestigt war, ein wirkliches Ruder. Unsere Bezeichnungen Steuerruder, Steuerbord weisen heute noch auf diese Einrichtung der Vorzeit zurück. Aus einzelnen Moorfunden stammen die Moorleichen, die zum Teil mit ihren wohlerhaltenen Kleidern gefunden wurden. Man nimmt an, dass es sich um Missetäter handelte, die von Rechts wegen die Todesstrafe erlitten. Eine der Leichen war so gut erhalten, dass die Finder die Gerichte benachrichtigten, die im Hinblick auf einen möglichen Mord allen Ernstes ein Protokoll über den Fund aufnahmen, ehe sein Charakter erkannt war. Noch immer spendet der Boden neue Schätze. Die jüngste große Aufgabe des Museums besteht in der Ausgrabung der Reste der Stadt Haithabu, die viele neue Aufschlüsse gegeben haben und versprechen. Den Namen der einst bedeutsamen Stadt nennt auch ein Runenstein im Museum, auf dem es heißt: „Tholf setzte diesen Stein der Gefolgsmann Svens nach Erik seinem Waffenbruder, der den Tod fand als die Helden saßen vor Haithabu. Aber er war Schiffsführer und ein gar guter Mann“. Unser enges Hamburger Gebiet, aus dem gleich wohl mancher wertvolle Fund aus der Urzeit geborgen wurde, konnte kein Museum speisen wie die Moore und Grabstätten des überreichen Schleswig-Holsteins. Für uns muss nun Kiel eintreten.
Als wir durch die märchenhaften Zeugnisse unserer Vorzeit wandelten, die im Kieler Museum so ausgezeichnet geordnet und durch die Beischriften und den handlichen Führer auch dem Laien, der seine Augen brauchen kann, so leicht verständlich sind, dachte ich mir, wie ich wohl als Knabe oder junger Mensch dies Museum genossen hätte, wäre ich durch meine Lehrer in dies Heiligtum unseres Stammes eingeführt worden oder hätte man mich nur hingewiesen. Es überfiel mich wie ein Schauer, den ich heute, durch die Aufnahme so unendlich vieler Eindrücke in den Sammlungen Europas um die Frische gebracht, nicht mehr so unmittelbar und so stark zu empfinden vermag, wie der Knabe, der mit jungen Sinnen und unbelastetem Gemüt vor diese Welt tritt. Wenn in Hamburger Schulen einmal die Heimatkunde im höheren Sinn eine der Grundlagen einer organischen Bildung abgeben wird, dann wird dies schöne Kieler Museum einen Wallfahrtsort für unsere Jugend abgeben. Im Namen und Bestände des Museums vaterländischer Altertümer hätte der Keim einer Entwicklung über die vorgeschichtliche Epoche hinaus in die geschichtliche gelegen. Zweifellos wäre er auch zur Entwicklung gekommen, wenn die Verwaltung nicht mit ganzer Kraft und ganzer Teilnahme sich auf das Gebiet der Vorgeschichte geworfen hätte. Unterdes fand sich für die Sammlung der Altertümer aus den christlichen Jahrhunderten ein anderer Ausgangspunkt. Es war diesmal kein Verein, auch kein Mensch mit umspannenden Gedanken, dem gleich ein Ganzes vorschwebte, sondern ein Sammler, der an einem Punkte einsetzte und zunächst gar nicht geahnt haben wird, wohin seine Tätigkeit führen würde.
Gustav Ferdinand Thaulow – 1817 – 1883
Der Professor der Philosophie an der Universität Ferdinand Thaulow begann um die Mitte des vorigen Jahrhunderts Holzschnitzereien aus Kirchen und Bauernhäusern zu sammeln, wie man damals überhaupt zu sammeln pflegte. Was als Möbel zu brauchen war, nahm er in Gebrauch. Möbel, die es zurzeit dieses Schnitzstils nicht gegeben hatte, baute er aus alten Teilen zusammen so gut es anging, Schreibtische, Schränke, Büfetts und dergleichen, ganz wie es auch bei uns die Brüder Gensler gemacht hatten. Aber er ging weiter und sammelte je länger mit umso schärferem Blick und zu höheren Zwecken. Schon Ende der sechziger Jahre ließ er die Hauptstücke seiner Sammlungen publizieren, und endlich entschloss er sich 1875 seine ganze Sammlung dem engeren Vaterlande anzubieten unter der Bedingung, dass ein Haus dafür gebaut wurde. Die Stadt schenkte den Platz, der Landtag gewährte die Mittel zum Bau und schon 1878 konnte das Museum eröffnet werden. Der Bau war gut gemeint, gehört aber zu den unbrauchbarsten Museen, die man sich ausdenken kann. Er ist nur Fassade. In diesem kleinen Palast haben die Sammlungen lange geschlummert, ja, sie haben sogar mannigfachen Schaden gelitten, weil ihnen die rechte Pflege fehlte. Es ist ein Verdienst Matthäis und seiner Nachfolger, sie zu neuem Leben erweckt zu haben durch umsichtige Bearbeitung und weiteren Ausbau. Die besten Jahre sind freilich versäumt worden. An mehreren Orten sind kleinere Museen für einzelne Landesteile der Provinz Schleswig-Holstein eingerichtet worden. Vieles hat der Kunsthandel entführt, und es ist jetzt nur schwer möglich, die Zeit diesseits des Schnitzstils, der allein den Begründer interessierte, das achtzehnte Jahrhundert und das erste Drittel des neunzehnten angemessen zur Vertretung zu bringen. Man darf im Thaulow-Museum das bürgerliche und fürstliche Möbel des Rokoko, des Empire und seines Nachfolgers, des sogenannten Biedermeierstils, nicht suchen. Aber unter den mittelalterlichen Altären — die Möbel der Gotik fehlen fast ganz — und unter den Schnitzwerken der Renaissance befinden sich doch einige seltene Schätze, die nicht nur vom Standpunkt der Lokalgeschichte von Bedeutung sind. Viel ist es freilich nicht. Da steht voran der herrliche, seines Farbenkleides beraubte Neukirchner Altar von einem Lübecker Zeitgenossen unseres Francke. Friedrich Knorr, Assistent am Altertumsmuseum, hat in einer sehr feinsinnigen Arbeit die verwandten Arbeiten in Lübeck, darunter die überaus herrliche Madonna der Marienkirche und den schönen Altar in Wismar, zusammengestellt und den künstlerischen Charakter des Urhebers, den man solange übersehen hatte, mit feinem Gefühl erläutert. Es ist damit für die deutsche Kunstgeschichte, deren Ausbau so arg vernachlässigt worden, ein sehr großer und echter Künstler aus der Vergessenheit gerissen, den man hoffentlich auch noch einmal mit seinem Namen nennen werden wird. Für uns Hamburger hat er als ebenbürtiger Zeitgenosse Franckes das höchste Interesse. Keinem Geringeren als Brüggemann, dem Urheber des berühmten Schleswiger Altars, wird der Altar aus der Goschhofkapelle bei Eckernförde zugeschrieben. Das Werk ist in alter Schönheit erhalten. Keine Übermalung hat die Figuren in die Barbarei des neunzehnten Jahrhunderts herabgezogen. Es ist wohl die schlichteste und geschmackvollste Gruppe, die je aus der Werkstatt eines norddeutschen Künstlers hervorgegangen sein mag. Maria und Anna, ihre Mutter, sitzen auf einer Bank und erheben die Hand nach dem Christkinde, das zwischen ihnen auf der Bank stand, aber leider verschwunden ist. Hinter der Bank stehen vier Figuren, Zacharias und Elisabeth, Joseph, der Nährvater, und Joachim, der Gemahl der Anna. Würdevolle Gestalten in lebendiger Bewegung. Aber von unerhörter Schönheit ist die Buche, die sich zwischen ihnen erhebt und in ihrer Krone das segnende Christkind trägt. Obwohl die Zweige als Massen stilisiert sind und auf dem Grün der Bemalung zierliche goldene Ränder tragen, so unrealistisch wie möglich, ist doch die Buche unverkennbar. Was dieser Baum mit dem Christkind darin bedeuten soll, weiß ich nicht. Ich erinnere mich nicht, ihm in dieser Form je sonst in der Altarplastik begegnet zu sein und habe auch nichts über den Zusammenhang erfahren können. Natürlich drückt es etwas aus. Man könnte an den brennenden Busch denken, aber das stimmt schließlich nirgends recht. Vorläufig müssen wir uns begnügen, zu bewundern und zu lieben. Aus der Kirche von Heiligenhafen stammen die beiden Gestalten von Adam und Eva (als Wappenhalter gebildet), die zu den zartesten und liebenswürdigsten Werken der norddeutschen Kunst gehören. Sie sind nicht übermäßig gut erhalten, aber wenigstens nicht durch Restauration entstellt. Unter den vielen Möbeln befindet sich ein Schrank von höchster Schönheit, der Susannenschrank genannt, weil die Schnitzereien in den Füllungen die Geschichte der Susanna erzählen. Wer das Museum besucht und weiter nichts der Erinnerung einprägt als das Bild dieser vier Kunstwerke, scheidet bereichert.
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