Kitabı oku: «Spreemann Co», sayfa 3
Herr Spreemann gähnte. Die Spannung ließ nach. Er blinzelte nach seinem hohen Federbett. Zum erstenmal in seinem Leben begriff er, daß die Ehe ihre guten Seiten haben konnte. Wenn da noch so ein Bett im Zimmer stände, hätte man es wagen können, unter das hohe Deckbett zu kriechen . . .
So aber blieb er im Lehnstuhl und ließ sich weiter die Zehe kühlen.
Bis draußen ein Hahn krähte. Wahrhaftig, über den Dächern dämmerte der erste Morgenschein.
Eilig verabschiedete Herr Spreemann Mamsell Lieschen. Wenige Augenblicke später lag er im Bett.
Nötiger, als daß man weiß, was die andern wollen, ist zu wissen, was man selbst will.
Viertes Kapitel
Mamsell Schmidt hatte nur eine kurze Stunde zu schlummern gewagt. Als die Sonne richtig am Himmel stand, war auch sie wieder am gewohnten Werk. Leise öffnete sie die Fenster des Wohnzimmers und spähte hinaus. Das Firmenschild hing schief. Zerbrochen aber schien es nicht. Platz und Straße waren leer und still. Alle Arbeit schien zu ruhen. Lautlos lag die Stadt im neuen Morgenrot. Nur aus den Schornsteinen stieg ein leichter Rauch und verriet, daß Leben in den Häusern war. Die Sonne war ebenso blutig zurückgekommen, wie sie gegangen war. Aber nun war es Tag. Mamsell Lieschen erschauerte nicht. Sie sah noch zu, wie drüben auf dem Dach des Eckhauses der alte Herr Jung mit einer weißen Fahne seine Tauben zu einem Morgenflug anregte, dann ging sie an ihre Arbeit. Auf leisen Filzschuhen räumte, reinigte und heizte sie.
Herrn Spreemanns Ofen war vom Nebenzimmer aus zu heizen. Vorsichtig, ohne Lärm zu machen, schichtete Lieschen das glatte Buchenholz auf, um es dann mit einem Kienspan aufprasseln zu lassen. Von oben drang wieder der gewohnte brenzlige Qualm herunter. Diese Geizhälse heizten mit Torf. Das hatte man bei Herrn Spreemann nicht nötig. Zufrieden schloß Mamsell Schmidt die Ofenklappe, lauschte einen Augenblick an Herrn Spreemanns Tür und eilte dann lautlos zu neuer Tätigkeit.
Man schien wirklich in einer Zeit des Umsturzes zu leben. Trotzdem Ofen und Sonne längst für ihn wirkten, schlief Herr Spreemann bis in den Mittag hinein. Das war in seinem ganzen Leben noch nicht vorgekommen. Mamsell Schmidt hatte sich schon Sorgen gemacht, und als er das Frühstückszimmer betrat, begrüßte sie ihn wie einen, der von weither zurückkommt. Sie berichtete sofort, daß das Firmenschild schief hinge, aber keineswegs zerbrochen sei. So beschloß Herr Spreemann, erst eine belebende Tasse Kaffee zu trinken, ehe er den Laden öffnete. Mamsell Lieschen bestärkte ihn in diesem Entschluß, denn die Straßen waren immer noch leer und still. Selten, daß ein eiliger Schritt vorüberklappte. Vor einigen Augenblicken war allerdings die Zeitung gekommen.
Herr Spreemann öffnete sie, und was er da las, ließ seinen Kaffee kalt werden. Eine lange Reihe von Toten war aufgezählt. Und auch der Name des kleinen Herrn Hirschhorn war dabei. Er hatte, bald nach seinem Davonstürzen, die Freiheit und Gleichheit gewonnen, die allen Menschen gewiß ist.
Mit Rührung besann sich Herr Spreemann, daß ihn der kleine, geschickte Mann bis auf den gestrigen Unfall kein einziges Mal geschnitten. Und daß er niemals mehr als vier Groschen für alle zehn Zehen genommen hatte. Auch Mamsell Lieschen schluchzte und vergaß vollständig, daß sie ihn nicht hatte leiden mögen.
»Wenn ich denke, daß er gestern noch lebendig in meiner Küche stand,« sagte sie und putzte sich wieder heftig die Nase.
Nur gut, daß von dem Lehrling und dem »jungen Manne« nichts in der Zeitung zu finden war.
Es war ein heller, klarer Tag. Man spürte es durch die geschlossenen Fenster, daß es zum Frühling ging. Während sich Herr Spreemann, gedankenerfüllt, die Pfeife stopfte, eilte Mamsell Schmidt zum Laubfrosch, um zu sehen, was er zu diesem Wetter sagte. Erschreckt prallte sie zurück. Er lag tot auf dem Boden seines Glashauses. Ob ihn die Aufregung getötet oder die einzige Fliege nicht genug Nahrung gewesen, war nun nicht mehr zu enträtseln. Von Grauen und Ekel gepackt, spähten Herr Spreemann und Mamsell Lieschen durch das Glas. Er lag auf dem grünen Rücken und zeigte einen gelben Bauch. So war er also nur auf einer Seite so hübsch grün gewesen? Auch die Natur lackierte also nur die obere, dem Käufer zugewandte Seite? Das gab beiden eine gewisse Beruhigung. Es tut immer wohl, sich mit der Schöpfung im Einverständnis zu wissen . . .
Milde und bewegt griff Spreemann zum Schlüsselbund und verließ die Wohnung, um endlich seinen Laden zu öffnen. Als er noch das Firmenschild musterte und mit Freude feststellte, daß ein wenig Tischlerleim hier alles kurieren könne, bogen zögernde Schritte um die Ecke. Und ehe Herr Spreemann sich noch selbst bemühen konnte, hoben sein Lehrling und sein »junger Mann« Eisenstange und Holzplanke von der Ladentür.
Der Lehrling hinkte, und der »junge Mann« trug einen Arm in der Binde. Statt der Kokarden hatten sie wieder ihre höflichen Mienen aufgesteckt. Aber die Kokarden waren noch da. Sie lagen in der Tasche, bereit, beim ersten Anlaß wieder hervorgeholt zu werden. Nur mußte man auch inzwischen leben und essen.
Die gegenseitige Begrüßung fiel etwas gezwungen aus. Der Lehrling begann sofort, alte Bindfäden aufzuknoten, und der »junge Mann« beeilte sich, mit dem gesunden Arm einen neuen Staubpuschel in Bewegung zu setzen.
Aber Herr Spreemann war sich schon vorher klar geworden, Milde walten zu lassen. Leute zu finden, die gestern nicht dabei gewesen waren, wäre gewiß nicht leicht. Ein Wechsel aus diesem Grunde hätte also keinen Sinn gehabt. Dagegen konnte es den einfachen Kunden gegenüber, vielleicht auch sogar den Besseren, beinahe als Empfehlung gelten, daß man sein Personal an der großen Gefühlsaufwallung hatte teilnehmen lassen.
So sagte er nur: »Vorüber ist vorüber« und begann im Lagerraum weiter zu arbeiten, wo er gestern aufgehört hatte. Mochten sich seine guten Mitbürger auch noch so wild gebärden, die Sommersäson wird trotzdem unbeirrt heranrücken. Man würde tüchtig schwitzen müssen, hätte Klaus Spreemann nicht wie stets auf seinem Posten gestanden und für sie alle vorausgesorgt. Reich an innerer Freude, ließ er den gespitzten Bleistift über die Etiketten spazieren.
Wenn sich nicht jeder von uns viel zu wichtig nähme, könnte die Welt nicht weiter bestehen . . .
Auch am Nachmittag war Spreemann in eifriger Tätigkeit, als die Ladentür heftig aufgerissen wurde. Er wollte schon seine Verbeugung machen, als er erkannte, daß es seine Tante Karoline war, die hereingestürmt kam.
»Gottlob, da bin ich,« sagte sie. Worauf Klaus einstweilen noch nichts erwiderte.
»Bist du vielleicht auch gestern zu Biere gewesen?« fragte sie nun.
Sie sah auf Spreemanns verbundenen Fuß, der im Filzschuh steckte, und bemerkte ebenso rasch, daß auch der Lehrling wie der »junge Mann« nicht ganz intakt waren.
»Ihr wart wohl alle dabei?« schrie sie aus. »Ist das eine Welt, ist das eine Welt, ich weiß nicht, wo mir der Kopf sitzt. Mein Mariechen . . .«
Klaus unterbrach sie, weil er nicht gern Unangenehmes hörte, und sagte:
»Ich habe die Nacht friedlich mit Mamsell Schmidt verbracht.«
Tante Karoline, die sich nicht hatte unterbrechen lassen wollen und gleichzeitig geschrien hatte, daß Mariechen, dieses sanfte, immer gehorsame Kind, auf den Barrikaden gestanden habe, brach ab, als hätte ihr jemand die Kehle durchschnitten.
»Wir waren bis zum Morgengrauen in meinem Schlafzimmer,« erzählte Klaus arglos weiter, mit der bescheidenen Ruhe eines Menschen, der die Wahrheit spricht.
Der Lehrling knotete Bindfaden, und der »junge Mann« puschelte . . .
Erst als Klaus wieder viele ruhige Pfeifenzüge getan, quoll aus Karolines Mund die Frage, ob er verrückt sei oder sie.
Die Rückwirkungen der schlaflosen Nacht mit ihren verschiedenen Schrecken überstiegen alle Vorsicht für Zukunft und Hoffnungen. Außerdem hatten Mariechen und der Herr Sekretär einen verwundeten Russen von den Barrikaden heimgebracht, der sehr reich war und den man gesund pflegen würde.
Darum ließ sie alle Beherrschung zum Teufel fahren und fragte noch einmal, ob Klaus oder sie den Verstand verloren habe.
Aber ehe Klaus noch sein Gutachten abgeben konnte, klingelte die Ladentür, und Spreemanns andere Tante, Madame Ziehlke, kam herein. Im Pelzschal und großem Skunksmuff, erkundigte sie sich, wie ihrem Neffen der gestrige Schreckenstag bekommen sei. Auf ihrem runden Gesicht, das einem reifen Apfel glich. der schon ein wenig zu schrumpeln begann, sah man keine Spuren des ausgestandenen Schreckens. Mit breiter Neugierde wandte es sich jetzt der Tante Karoline zu.
»Ich hörte, daß dein Mariechen – aber das ist doch wohl nicht möglich . . .«
Tante Karoline wurde rot vor Ärger. Leugnen konnte sie die schon stadtbekannte Tatsache nicht, aber beschönigen. Das ist das Recht der Mutter. So sagte sie schnell und mit erhobenem Kopf:
»Mariechen begleitete nur ihren heimlichen Bräutigam.«
Sie dachte bei diesen Worten, die ihr selbst überraschend kamen, schnell zu dem jungen Russen hin. Er war noch bewußtlos, aber er würde es wohl nicht ewig bleiben.
»So, so, wieder einmal eine Aussicht, das ist ja nett,« antwortete Madame Ziehlke, die Hände tief in dem großen Muff. Sie war durch diese Neuigkeit nicht erschüttert; denn Karoline machte diese geheimnisvollen Anspielungen stets, wenn sie einen neuen Mieter bekommen hatte.
Karoline lenkte auch selbst das Gespräch sofort ab, indem sie der pelzverbrämten Madame Ziehlke zuflüsterte, was sie soeben aus Spreemanns eigenem Munde erfahren hatte.
Madame Ziehlke neigte nicht so zur Erregung, wie Karoline. Sie hatte gar keinen Grund dazu. Ihre beiden Töchter waren verheiratet, ihre Schwiegersöhne hatten zusammen eine recht rentable Mühle am Mühlendamm. Brot brauchten die Leute nun mal zu allen Zeiten, und ihr eigener Sohn bekam einmal die wohl renommierte Gerberei und hätte längst um die beste Bürgerstochter freien können. Aber sie hatte auch Enkelkinder. Schließlich war es kein Verbrechen, wenn Spreemanns Geld in der Familie bliebe.
Sie rückte daher ihre stattliche Fülle näher an die schmale Karoline heran und ließ sich das eben gehörte noch einmal sagen.
Spreemann merkte nichts davon; denn er gab dem Lehrling Auftrag, Kuchen mit Schlagsahne zu holen und Mamsell Lieschen mitzuteilen, daß man Kaffeegäste habe.
Als Spreemann die Damen nach oben begleiten wollte, kamen die ersten Kundinnen dieses Tages. Es waren zwei Milchfrauen, denen gestern die großen Schutenhüte abhanden gekommen waren.
Madame Ziehlke und Karoline gingen allein hinauf, was ihnen nicht ungelegen kam; denn sie wollten diese Mamsell da ein wenig aufs Korn nehmen.
Lieschen hatte einen ungeheuren Respekt vor Herrn Spreemanns Verwandtschaft. In demütiger Zuvorkommenheit befreite sie Madame Ziehlke von Samt und Pelz, nahm der Tante Karoline ihren leicht wiegenden Umhang ab, dann eilte sie davon, um den Kaffee zu bringen.
Als sie die dickbauchige Kanne auf den Tisch setzte, meldete sich der Lehrling und berichtete, daß der Herr Konditor sagen lasse, daß es heute keinen frischgebackenen Kuchen gebe und daß die süße Sahne heute sauer sei.
Um des Lehrlings Mund lag bei der Erledigung dieser Bestellung etwas, das im Kontakt stand mit der Kokarde in seiner Tasche. Aber die Damen hatten keine Gelegenheit, dies zu beobachten.
»Das sind doch ganz ungeheuerliche Zeiten, in denen wir leben,« sagte Tante Karoline. »Am hellichten Tage kein Krümchen Streuselkuchen in ganz Berlin.«
»Ach, es ist zu verstehen,« sagte da unglücklicherweise Mamsell Lieschen. »Nach solcher Nacht.«
»Ja, alles Gesindel hat sich diese furchtbaren Stunden zunutze gemacht,« sagte Tante Karoline und maß Mamsell Schmidt von oben bis unten.
Lieschen merkte, daß man ihr böse war, und weil sie keinen Grund dafür wußte und heute ohnehin zum Weinen geneigt war, holte sie ihr weißes Taschentuch hervor.
»Ich habe nichts Unpassendes getan,« sagte sie und drehte ihre kurze, bescheidene Nase im Tuch herum.
Tante Karoline sagte, daß sie nichts Näheres über diese heikle Angelegenheit zu erfahren wünsche und sie nur ihren armen, unschuldigen Neffen bedaure. Und dann fügte sie hinzu, ob man nicht wenigstens ein Stück Brot mit Butter zum Kaffee bekommen könne.
In schnellem Gehorsam eilte Mamsell Lieschen davon.
Madame Ziehlke war von Lieschens Tränen bewegt worden. Sie teilte nicht mehr Karolinens Argwohn und sagte es ihr auch.
»Wer ist heute nicht müde,« sagte sie. »Auch ich kann meine Arme kaum heben.«
»Warum sagst du denn immer Arme?« antwortete Karoline gereizt.
»Nun, weil es doch zwei sind,« antwortete Madame Ziehlke, nun auch aus ihrer Ruhe gebracht. Diese magere Person konnte wirklich den freundlichsten Menschen in Wut bringen. Madame Ziehlke hatte gerade etwas in diesem Sinne auf der Zunge, als Mamsell Schmidt hereingestürzt kam und voll Erregung ausrief:
»Ruhe ist die erste Bürgerpflicht.«
Und dann in bebender Eile erklärte, daß man drüben, an der Hausecke, ein Manifest des Königs angeschlagen habe, worauf man vom Schlafzimmerfenster des Herrn Spreemann deutlich lesen könne, daß Ruhe die erste Bürgerpflicht sei.
»Aha, das sollte gewiß schon gestern fertig sein,« sagte Madame Ziehlke und trank befriedigt den Rest des guten Kaffees aus.
»Ich weiß nicht, was Sie immer in Herrn Spreemanns Schlafzimmer zu suchen haben,« sagte dagegen Tante Karoline, die aufgestanden war. »Man kann die Manifeste des Königs wohl auch von anderswo lesen, scheint mir.«
Sie nahm sich selbst den Umhang um; denn sie wollte nun rasch nach Haus. Sie verstand nicht viel von Politik und fürchtete neue Aufregungen durch Mariechen und den Herrn Sekretär.
Auch Madame Ziehlke ging. Die Dämmerung nahte, und man konnte nicht wissen, was geschah.
Erregende äußere Vorgänge hemmen die Innenpolitik. Beide Tanten vergaßen, ihrem lieben Neffen Lebewohl zu sagen.
Spreemann hatte sich mit seinen Kundinnen ein wenig verschwatzt. Man hatte auch hier des Königs Aufruf erörtert, wovon ein Abdruck gerade neben Spreemanns Ladentür geklebt worden war. Spreemann sah darin eine Auszeichnung. Sein Selbstbewußtsein hob sich, als er sich darauf als »Lieber Berliner« angeredet sah. Familiäre Fäden zogen sich vom Dönhoffplatz nach dem Schloß.
Darüber hätte Spreemann auch mit seiner engeren Verwandtschaft gern einige Worte ausgetauscht. Er war sehr erstaunt, niemanden mehr am Kaffeetisch zu finden.
»Etwas Unangenehmes?« fragte er; denn er hatte wohl bemerkt, daß Mamsell Schmidt bei seinem Kommen rasch die Nase aus dem Taschentuch geholt hatte.
»Nicht daß ich wüßte,« antwortete die Mamsell und stopfte das nasse Schnupftuch in die Tasche. Aber sie konnte doch nicht hindern, daß ein letzter Schluchzer aus ihrem unruhigen Gemüt in das stille, behagliche Zimmer sprang.
»Was ist das? Sind Sie krank?« fragte Spreemann und bedachte im gleichen Augenblick, daß dies sowohl Kosten, wie Störung mit sich bringen würde.
Lieschen schüttelte den Kopf.
Spreemann dachte nach. Einen Todesfall in der Familie konnte sie auch nicht zu beklagen haben, da sie allein in der Welt stand. Er hatte dies stets besonders an ihr geschätzt. Seine früheren Wirtschafterinnen benötigten beständig Urlaub zu Begräbnissen oder Taufen.
Lieschen schluchzte weiter. Gedämpft und ruckweise, wie ein Kind, das in der Ecke steht. Spreemann sog an seiner Pfeife.
»Ist es der Laubfrosch?« fragte er vorsichtig.
Lieschen schüttelte den Kopf.
»Oder der arme Herr Hirschhorn?«
Lieschen verneinte.
»Überhaupt so das Unglück im allgemeinen?«
Jetzt antwortete Lieschen, daß sie doch Herrn Spreemann gesund und munter vor sich sähe und es somit eine Sünde sein würde, über fremdes Unglück zu weinen.
Und der Sprache nun wieder habhaft, stotterte sie weiter hervor, daß Madame Karoline sie nicht für wert befunden habe, sich den Umhang von ihr zureichen zu lassen.
»Woran haben Sie es fehlen lassen?« fragte Spreemann.
Lieschen stieß ruckweise hervor, daß Madame Karoline – der Meinung zu sein scheine – daß sie – Mamselle Schmidt – in der verflossenen Unglücksnacht – nicht ihre Pflicht erfüllt habe.
»Und dabei ist die Zehe doch geheilt,« sagte sie zum Schluß, das Gesicht vergraben in dem durchweichten Tuch.
Spreemann räusperte sich und stand auf.
Er hatte Tante Karoline besser verstanden.
Er fand es plötzlich sehr warm im Zimmer. Schwül. Unangenehm.
»Öffnen Sie das Fenster, Mamsell Schmidt,« befahl er.
Voll Diensteifer gehorchte Lieschen. Als sie auf den Stuhl stieg, um den oberen Riegel zu öffnen, fiel es Spreemann zum erstenmal auf, daß auch mit ihr viel Rundliches verbunden war. Er war erstaunt.
Als Lieschen mit bescheidenem Sprung wieder auf dem Teppich stand, sagte er:
»Ich bin nicht unzufrieden mit Ihnen, das genügt.«
Lieschens Tränen waren getrocknet. Mit dankbarem Blick fragte sie, ob sie Herrn Spreemann zum Abend Radieschen vorsetzen dürfe, die schon gestern geputzt wären.
Herr Spreemann genehmigte es, und jeder ging an seine Arbeit.
Lieschen hatte sich den ganzen Tag über noch nicht aus dem Hause gewagt, aber nun war der Wasservorrat zu Ende. Sie mußte auf den Hof hinunter, da half nichts. Kaum, daß sie unten mit den Eimern klapperte, kam Kreisrats Anna dazu.
Sie sah ebenso verweint aus wie Mamsell Lieschen.
»Haben Sie auch einen dabei?« fragte sie und schneuzte die Nase am rotwollenen Ärmel entlang.
»Wo?« fragte Mamsell Lieschen und zog mit aller Kraft die Eimer in die Höhe.
»Bei den Soldaten natürlich. Alle müssen sie mit Wrangeln aus der Stadt heraus. Meiner auch. Hätte ich nur gestern mitgemacht. Solch hochmütiges Bürgerpack. Alle Soldaten wegzugraulen.«
»Wer weiß, wozu es gut ist,« sagte Mamsell Schmidt.
»Gut ist?« äffte Anna nach. »Gut ist, wenn ich meinen Fritz bei mir habe.«
Sie warf den Eimer mit solcher Wucht in den Brunnen, daß das Wasser beide überspritzte. Mamsell Lieschen schleppte die schweren Eimer in würdigem Schweigen ins Haus.
Die Dämmerung kam, und aus den Häusern fiel der Lampenschein auf die leeren Straßen. Draußen war es ruhig, aber in den Stuben hämmerte die zitternde Erregung, die bei allen großen Geschehnissen erst hinterher kommt. Die Pfeifen waren mit Pulver geladen, die Stricknadeln sprühten Funken.
Durch die Hirne galoppierten Gedanken, an die man nie früher gedacht hatte. Trockene, wunschlose Lippen verlangten in heimlicher Gier nach Küssen und starkem Wein. Die sausenden Ohren forderten wilde, laute Worte, die die innere Unruhe überschrien.
»Es ist das Wetter,« sagte Spreemann zu seinen invaliden Angestellten und wischte sich mit dem Taschentuch über die Stirn.
»Gewiß, das Wetter,« wiederholten Lehrling und »junger Mann« und schnitten ein Gesicht, sobald ihnen Herr Spreemann wieder den Rücken kehrte.
Bei den vielen Zahlen, die Spreemann zu notieren hatte, sprang in seinem Kopf immerfort die Frage auf: wie alt mochte diese Mamsell Schmidt eigentlich sein? Er kalkulierte einige Ziffern und sagte sich dann gereizt, daß ihm dies höchst gleichgültig sein könnte. Die Person war tüchtig, verstand vorzüglich Karpfen zu kochen und Gänse zu braten, alles andere war nebensächlich. Aber als er 2,80 Mark auf ein Etikett kritzelte, mußte er sofort wieder denken, daß Mamsell Schmidt ungefähr 28 Jahre haben könne. Gedanken sind eine unangenehme Sache.
Er schloß den Laden früher als sonst.
Draußen sickerte ein kühlender Regen aufs Pflaster.
Vielleicht beweinte der Himmel die tapferen Herzen, die sich zum Opfer gebracht. Schlafenden Wiegenkindern zum Heil. Vielleicht wollte er auch nichts weiter, als seine alte Pflicht erfüllen: neue Keime, neue Veilchen tränken. Wer kann dergleichen wissen . . .
»Da haben wir's,« sagte Spreemann befriedigt. »Der Regen hat uns in den Gliedern gesteckt, das war's.«
Er saß beim Abendbrot und lagerte Radieschen scheibenweise auf eine Butterstulle.
»Mir war es auch heute so kribblig,« antwortete Mamsell Schmidt, die noch ein Schüsselchen mit Wurst und Bratkartoffeln auf den Tisch stellte. »Ich hoffe nur, daß morgen wieder Markt ist. Man kommt aus aller Ordnung.«
Es klopfte an die Wohnungstür, und bald darauf führte Mamsell Schmidt den Herrn Kreisrat ins Zimmer.
Er war nicht im Schlafrock, sondern in Hut und Mantel. Die lange Pfeife guckte aus der Tasche.
Er sagte, wenn Ruhe die erste Bürgerpflicht wäre, sei Ordnung gewiß die zweite. Daher wollte er vorschlagen, daß man heute wieder pünktlich am Stammtisch erscheine. Spreemann fragte mit gefüllten Backen, ob man es wagen könne. Mamsell Schmidt seufzte hörbar und räumte noch dies und das vom Tisch, ehe sie das Zimmer mit einem zweiten, warnenden Seufzer verließ.
Giesecke hatte sich gesetzt, und indem er eifrig den Tisch musterte, um seiner Madame genau erzählen zu können, was der Herr Spreemann zu Abend gegessen, sagte er, daß auch seine Frau ihn nicht gern fortgelassen habe, daß man aber ein Mann sein müsse, weil man doch hören wolle, was es Neues gab.
So säuberte sich Spreemann mit der großen Serviette Lippen und Bart und erhob sich.
Mamsell Schmidt nahm den großen Hausschlüssel von der Wand, versenkte ihn in ein wollenes Beutelchen, damit er keinen Schaden in Herrn Spreemanns Tasche anrichte und reichte ihn dann, ergeben, dem Hausherrn. Die Herren verließen das Haus. Mamsell Schmidt sah hinter der Gardine, wie sie unter ihren großen Regenschirmen die breiten Pfützen umsegelten, in die der Regen prasselte. Gerade kam der Nachtwächter um die Ecke und blies die achte Stunde aus. Mamsell Schmidt seufzte. In später Nacht noch fortzugehen in dieser Zeit, bei solchem Wetter! Ein rechter Leichtfuß war Herr Spreemann manchmal. Hätte er eine Frau, sie würde dies sicher nicht zugeben.
»Sie haben es gut,« sagte inzwischen der Herr Kreisrat zu Spreemann.
»Inwiefern?« sagte dieser, die Blicke vorsichtig auf dem glitschenden. Boden.
»Ich meine nur so – mein Hausschlüssel hängt nicht so lose an der Wand.«
Spreemann kannte diese Klagen des Herrn Kreisrat. Darum lenkte er ab und sagte, daß die Ehe dafür andere Vorzüge habe. Darauf schwieg der Herr Kreisrat.
Wahrscheinlich, weil ihm so viel Gutes einfiel, daß er es nicht aufzuzählen vermochte . . .
Man war nun in der Zimmerstraße und sah die Laterne vor Klausings Bierstube. Vor der Tür klaffte ein tiefes Loch im Pflaster, eine Wunde von gestern.
Drinnen ging es lebhaft zu. Durch den säuerlichen Bierdunst und den steifen Tabakqualm sausten die Stimmen.
Heute gab es keine umständliche Begrüßung. Keiner wollte unterbrochen werden.
Herr Lehrer Pritzel war feuerrot im Gesicht und schon heiser. Er schrie, daß es der alte Herr Jung nicht wert sei, Enkel zu haben, die einmal stolze, freie Bürger sein würden, weil er nicht einsehen wollte, daß der gestrige Tag notwendig gewesen.
Herr Jung aber, von dessen hoher Stimme die Jahre nur noch eine dünne Schicht übriggelassen hatten, blieb dabei, daß er keinen Segen darin finden könne, wenn ihm zwanzig Tauben ertränken. Die wilde Menge hatte alle seine Wasserbehälter demoliert und dadurch den Taubenstall überschwemmt.
»Dann hätten Sie eben Enten halten sollen,« schrie Herr Lehrer Pritzel, »dann hätte sich die ganze Sache aufs Glücklichste erledigt.«
»Andermal werde ich Sie vorher um Rat fragen, Sie Mann der Wissenschaft,« rief Herr Jung mit einer Stimme, hoch wie ein Kirchturm.
Spreemann bestellte sich erst mal eine große Weiße mit Himbeer. Dann sagte er:
»Die Herren sprechen von gestern?«
»Allerdings,« antwortete der Lehrer und stieß eine Wolke Tabaksqualm aus.
»Ja, der gestrige Tag wird uns lange im Gedächtnis bleiben,« beeilte sich der Kreisrat einzuschalten.
»Das walte Gott,« sagte der Lehrer und qualmte wie die neuen Lokomotiven vorm Tor.
Der Kreisrat hüstelte, und dann sagte er, daß er bei aller Achtung vor dem Herrn Lehrer nicht zu begreifen vermöge, wie man, als ein Mann von Bildung, ein Parteigänger des Radaus sein könne und fügte noch hinzu, daß er zum Beispiel das eigenmächtige Vorgehen des Volkes keineswegs billige.
»Das sehe ich nicht ein,« mischte sich nun Herr Gerbermeister Ziehlke, Spreemanns beleibter Onkel, ins Gespräch. »Wenn man recht hat, kann man auch dreinhauen. Recht muß sein.«
Der Lehrer sagte, daß dies das erste Vernünftige sei, was er heute abend gehört habe.
Spreemann behauptete darauf, daß er das nicht auf sich beziehen könne; denn er hätte sich überhaupt noch nicht geäußert. Aber bedauerlich fände er die gestrigen Vorgänge auch. Und er wiederholte, was er schon gestern zu Mamsell Schmidt gesagt hatte, daß er überhaupt nicht begreife, warum die Leute immer unzufrieden wären.
»Na, zum Beispiel aus Hunger, werter Herr Spreemann,« knurrte der Lehrer und zerrte an seinem schwarzen Bart, als risse er damit allen seinen Tischgenossen die Haare aus.
»Dann müssen sie arbeiten. Wer arbeitet, kommt vorwärts.«
Spreemann sah bei diesen Worten seine eigenen Züge ruhig und würdig im Weißbier schaukeln.
»Besonders, wenn man eine Frau und fünf Kinder hat und der Lohn kaum für einen selbst ausreicht,« antwortete der Lehrer. Und dann drehte er sich ganz zu Herrn Spreemann und sagte ihm, mitten ins Gesicht hinein, daß ein Junggeselle überhaupt nicht über Volkswirtschaft mitreden rönne, ein Mann, der sich der allereinfachsten Bürgerpflicht entziehe.
Darüber lachte Gerbermeister Ziehlke laut auf. Dieser Lehrer war ein Kerl. Der gab es ihm.
Schadenfreude ist zwar nicht die edelste aller Freuden, aber sie macht Spaß. Nur ist sie, wie alle Laster, gefährlich und überrumpelt leicht ihre Anhänger. Ziehlke vergaß in diesem vergnüglichen Augenblick vollkommen, daß es der Erbonkel seiner Enkel war, den man da zum Heiraten aufreizte.
»Großartig,« gluckste er. »Allereinfachste Bürgerpflicht. Großartig.«
Aber Spreemann war nun auch heftig geworden und erklärte mit lauter Stimme, er würde sich in jeder Lebenslage zu benehmen wissen. Er würde genau wie jetzt in seinem Haushalt für alles eine Reservekasse anlegen. Auch für die fünf Kinder. Man erfahre doch immer eine geraume Zeit vorher, daß man Nachwuchs zu erwarten habe.
»Daß ich nicht lache,« sagte der Lehrer, kehrte ihm den Rücken zu und nahm eine Zeitung.
»Er hat's zu gut,« sagte der Kreisrat, der am Stammtisch durchaus nicht parteifest war. »Er hat's zu gut, der Herr Spreemann.«
Jetzt hatte sich aber der alte Herr Jung wieder zusammengerafft.
»Natürlich, man hat's zu gut,« piepste er. »Wenn einem zwanzig Tauben ersaufen, hat man's zu gut. Wenn dem soliden Herrn Spreemann, der gar keine Kinder hat, für jene große, neue Zeit, von der da trompetet wird, sein Ladenschild eingeschlagen wird, hat er's zu gut. Ich gratuliere Ihnen zu dieser Anschauung, meine Herren.«
Seine Stimme war in solche Höhe geraten, daß sie nicht weiter konnte. Herr Jung verstummte, nahm seine Weißbierschale und schmatzte Schluck für Schluck über seine dünnen Lippen, als schlürfe er heiße Medizin.
Nur eine Tabakswolke verriet, daß der Lehrer noch hinter der Zeitung saß.
Spreemanns Onkel aber sagte:
»Was ich hör, sie haben dir dein Ladenschild eingeschmissen, Kläuschen, das wußte ich ja noch gar nicht.«
»Eingeschmissen ist zu viel gesagt,« dämpfte der Herr Kreisrat sofort diese verwandtschaftliche Anteilnahme. »Ein wenig lädiert. Leicht wieder geleimt.«
»Ach so,« sagte Onkel Ziehlke.
Spreemann aber schwieg. Er war beleidigt. Den krausen Kopf zwischen die breiten Schultern gezogen, trommelte er mit den Fingern auf den Tisch. Er ärgerte sich, daß er diesem Lehrer, diesem Federfuchser, nicht schon morgen beweisen könne, daß er auch mit fünf Kindern, mit sechs, mit neun, ja mit zwölf und dreizehn ordentlich auskommen würde.
»Er hat's zu gut, unser Spreemann,« wiederholte inzwischen Kreisrat Giesecke.
Er war immer neidisch auf seinen Nachbarn. Heute reizte ihn insbesondere die große Weiße mit Himbeer. Seine Rätin hatte nur den Groschen für eine kleine ohne bewilligt. Alles wurde für die Mitgift der Mädchen auf die hohe Kante gelegt. Recht hatte der Lehrer. Was wußte solch Junggeselle vom Leben?
»Wenn Ihre Mamsell Schmidt Sie verläßt, werden Sie doch noch Hals über Kopf in die Ehe springen,« sagte er aus diesem Gedanken heraus. »Solche Wirtschafterin finden Sie nicht zum zweitenmal.«
»Na, na,« sagte Onkel Ziehlke, dem endlich die Verfänglichkeit dieses Themas aufzufallen begann.
Spreemann hörte auf zu trommeln. »Warum soll Mamsell Schmidt mich verlassen?« fragte er.
Kreisrat Giesecke zuckte die Achseln und sagte, daß es allerdings nur eine bescheidene Hypothese von ihm sei, aber er wäre nun mal überzeugt davon, daß Mamsell Schmidt, sobald sie genug erspart habe, einen jungen Mann oder auch einen älteren Witwer heimführen werde. Das sei das Ziel jeder Haushälterin.
Der Lehrer steckte den Kopf hervor und bemerkte, daß dabei durchaus nichts Lächerliches sei. Jeder wolle sein Tröpfchen Liebe vom Leben.
Onkel Ziehlke schüttelte den Kopf und erklärte, daß er weder in Mamsell Schmidts Aussehen noch in ihrem Benehmen je etwas bemerkt hätte, was auf solche Vermutungen schließen ließe.
Spreemann atmete durch die Nase vor Erregung. Er sagte, daß es einfach eine Gemeinheit sei, einer hochanständigen Person solche lüsternen Frivolitäten anzudichten.
Herr Kreisrat blieb ruhig und erwiderte ganz langsam, daß er sich, bei aller Freundschaft für Herrn Spreemann, gegen das Wort Gemeinheit verwahren müsse, und daß er es leider bedeutend unpassender fände, wenn jemand die Ehe als lüsterne Frivolität hinzustellen versuche.
»Nee, mein Junge, da hast du einen ganz falschen Begriff von der Sache,« sagte Onkel Ziehlke einlenkend.
Spreemann trommelte.
Kreisrat Giesecke, der keinen Hausschlüssel hatte, sagte, daß es nicht seine Absicht war, den geschätzten Herrn Spreemann zu kränken.
Eine Höflichkeit erzeugt die andere. Spreemann hob sein Glas und stieß mit seinem Nachbar an.
»Nichts für ungut,« sagte Herr Kreisrat noch einmal, als seine kleine Schale an das große Weißbierbassin des anderen pochte.
Die anderen Herren kamen nach.
»Auch Prost ist'n Trost,« knurrte der Lehrer versöhnlich, als er mit Herrn Jung anstieß.
»Man muß die Meinungsverschiedenheiten nicht übertreiben,« antwortete dieser und gähnte.
Gähnen steckt an. Man wurde ruhiger.
Als man sich erhob, einigte alle die gleiche Zufriedenheit. Man war müde und wußte sich nicht weit von seinem guten Bette.
»Es war doch wieder mal recht gemütlich,« sagte Gerbermeister Ziehlke, als er aufstand, seinen schweren Körper streckte und zum Pelz griff.