Kitabı oku: «Delicious 1 - Taste me | Erotischer Roman»
Impressum:
Delicious 1 - Taste me | Erotischer Roman
von Alice White
Schon in frühester Kindheit zeigten sich bei Alice White vielseitige Begabungen für künstlerische und kreative Bereiche. Ihre große Leidenschaft – das Theater – machte sie 2015 zum Beruf. Neben den darstellenden Künsten und dem Face- und Bodypainting nahm das Schreiben schon immer einen bedeutungsvollen Teil in ihrem Leben ein.Inspiriert wird die Hamburger Autorin unter anderem von erstaunlich detailgetreuen Träumen, die sie dann mit einem olivenhaltigen Getränk in ihrer mit ehrwürdigen Schreibmaschinen dekorierten Wohnung zu Papier bringt.
Lektorat: Melanie Reichert / www.buchstabenwirbel.de
Für Désirée! Meine schärfste Kritikerin, engste Vertraute und beste Freundin
Originalausgabe
© 2018 by blue panther books, Hamburg
All rights reserved
Cover: © Geribody @ bigstockphoto.com
Umschlaggestaltung: MT Design
ISBN 9783862777600
www.blue-panther-books.de
Einleitung
Ich begehre zwei Männer zur selben Zeit.
Sie könnten unterschiedlicher nicht sein.
Ich will ihre Lippen schmecken,
ihre Haut auf meiner spüren,
von ihren Händen liebkost werden.
Ich will sie beide, zur selben Zeit.
Ich habe unzählige Male daran gedacht,
davon geträumt,
darüber fantasiert.
Aber Fantasie reicht mir nicht.
Nicht mehr ...
1
Der schrille Pfeifton des Weckers riss mich unsanft aus dem Schlaf. Erhitzt rieb ich mir übers Gesicht. Mann, der Traum hatte es in sich gehabt. Was für ein Szenario. Der kommt definitiv auf meine Wunschliste.
Ich drehte mich zur Seite und schaute mit verschwommenem Blick auf die Anzeige des Weckers.
»Heilige Scheiße«, stieß ich aus, sprang regelrecht aus meinem Bett und bahnte mir den Weg über die herumliegende Wäsche auf dem Boden zum Kleiderschrank. Ich tadelte mich halbherzig für meinen nicht vorhandenen Ordnungssinn und griff nach dem erstbesten Kleidungsstück, was meine Finger durch die halb versperrte Schranktür erreichen konnten. Diverse Kisten mit Krimskrams türmten sich in dem ohnehin schon beengten Raum. Das Chaos verfolgte mich überallhin. Der Alarm ging erneut.
»Ja doch«, motzte ich und suchte meine Siebensachen zusammen. Laut fluchend, stromerte ich vom einen Zimmer ins nächste, um mich fertig zu machen, immer mit der mahnenden Uhr im Nacken, die mir hämisch grinsend aufzeigte, dass ich mal wieder zu spät kommen würde.
»Böser Wecker«, maßregelte ich mein unschuldig vor sich hin pfeifendes Elektrogerät und zog mich in rekordverdächtiger Geschwindigkeit an. Ich legte ein dezentes Make-up auf, um die Augenringe so gut es ging zu kaschieren, und bürstete mir meine kurzen, widerspenstigen Haare, die wie so oft in alle Richtungen abstanden. Ausgerechnet heute. Böser Blick in Richtung Wecker. Keine Reaktion. Böser Blick zu meinem Spiegelbild. Der rote Lippenstift ließ mich halbwegs lebendig aussehen. Über den Kissenabdruck auf meiner Wange konnte er jedoch nicht hinwegtäuschen.
»Ja ich weiß«, sagte ich zu mir selbst, schnappte meine Tasche und schloss die Tür hinter mir. Laut polternd rannte ich die Treppe hinunter. Vor dem Haus atmete ich einmal tief ein, warf noch einen kontrollierenden Blick in meine Tasche und sprintete los. So hätte der Tag nicht anfangen müssen. So müssten meine Tage grundsätzlich nicht anfangen. Ich sollte wirklich mein Zeitmanagement überdenken. Oder zumindest in Erwägung ziehen, es zu überdenken. Irgendwann. Ja, Pünktlichkeit war noch nie meine Stärke gewesen.
Ich drehe mich generell noch mal um, wenn der Wecker klingelt und drücke die Schlummertaste. Das wiederhole ich meist so fünf- bis zehnmal. Was zur Folge hat, dass ich grundsätzlich eine Stunde später aufstehe, als ich eigentlich müsste. Ich verbrühe mir fast jedes Mal die Lippen an meinem Kaffee, hechte im Zeitraffer durchs Badezimmer und muss nahezu jeden Morgen zum Bahnhof rennen.
Heute war es natürlich nicht anders. Im Laufschritt eilte ich durch die Fußgängerzone, eine Hand fest an die Taille gedrückt, um die fühlbar stärker werdenden Seitenstiche abzumildern. Ich schaute im Gehen auf mein Handy. Noch drei Minuten, um die Bahn zu schaffen. Das war machbar. Doch in dem Moment, als ich wieder aufblickte, knallte ich frontal gegen einen immens großen Instrumentenkoffer. Ich hielt mir den Kopf und fluchte laut.
»Augen nach vorne im Straßenverkehr«, hörte ich eine weibliche Stimme rufen. Eine junge Frau mit knallroten Haaren schaute mich belustigt an und ging dann weiter. Schwarze Hose, Nietengürtel, Nietenarmband, Chucks. Seltsam, eine Kontrabass spielende Rock-Göre. Was es nicht alles gibt. Ich wendete mich wieder nach vorne und rannte zum Gleis. Ich hechtete die Treppe hoch und sah, wie mir die Bahn direkt vor der Nase wegfuhr.
Ich musste zehn Minuten warten, um die nächste zu nehmen, würde somit meinen Anschlussbus verpassen und fast eine halbe Stunde zu spät kommen. Aber damit nicht genug, fühlte ich auch noch eine Beule an der Stirn heranwachsen.
***
Abgesehen von der peinlichen Gewissheit, dass ich erneut durch Unpünktlichkeit glänzen würde, ging ich an diesem Morgen mit froher Erwartung ins Restaurant. Der Personalmangel der letzten Wochen und die daraus resultierende Doppelbelastung für das restliche Team hatten ihre Spuren hinterlassen. Die Tage waren länger und die Pausen umso kürzer gewesen. An mein letztes freies Wochenende konnte ich mich nicht einmal mehr erinnern. Dafür kannte ich vermutlich jede einzelne Falte und jeden noch so kleinen Pickel meiner Kollegen, so oft, wie wir uns in den letzten Wochen gesehen hatten.
Heute war es endlich so weit. Der Tag, auf den wir alle sehnlichst hingearbeitet hatten. Heute sollten endlich zwei Ersatzkollegen nachrücken. Und zu meiner Freude wusste ich bereits, dass es männliche sein würden. Ich alleine unter Männern: Herrlich. Der Tag konnte nur noch besser werden.
Bis letzten Monat hatte ich mich noch mit ’nem halben Hühnerstall herumplagen müssen. Jede Menge zickiger und spät-pubertärer Mädchen. Ach was, Tussis. Von tätowierten Getto-Schlampen, wie mein Bruder André sie nennen würde, die keinen Satz ohne Alter oder Digger hinbekamen und jedes Mal stolz ihre Röcke lüfteten, wenn sie ihr Tattoo erweitert hatten, bis hin zu den solariumgebräunten Assibräuten, mit künstlichen Fingernägeln und Hello-Kitty-Aufklebern auf dem Auto.
Ja, ich übertreibe ein bisschen. Die waren bestimmt ganz nett. Aber ich konnte mit solchen Weibern einfach nichts anfangen. Die regten sich über Dinge auf, da konnte ich nur lachen. Am schlimmsten fand ich, wie sie allesamt zu kleinen, naiven Dummchen verstummten, sobald ein brauchbarer Kerl in der Nähe war. Dann wurde dusselig gekichert, mit den Fingern im Haar herumgespielt oder der Mann mit Bambi-Augen angehimmelt und alle naselang getätschelt, wie es Großmütter bei ihren Enkeln ungefragt taten. Gruselig.
Aber dem Himmel sei Dank hatten diese Vorzeigefrauen sich so oft durch die Betten des Hotels geturnt, dass wohl fast jeder mal was mit jedem gehabt hatte. Es hatte zu einer riesigen Diskussion im vollbesetzten Frühstückssaal geführt. Reviere waren markiert, Herzen gebrochen, Schimpfwörter in den Raum geschmissen und Ohrfeigen verteilt worden. Zwei der Frauen hatten entlassen werden müssen und die anderen beiden waren sich von da an so spinnefeind gewesen, dass sie es vorgezogen hatten, zu kündigen. Ich hatte dieses Spektakel unglaublich unterhaltsam gefunden und mich innerlich wieder einmal mehr gefreut, dass ich kein kleinkariertes, unbeholfenes Mädchen war. Ich hatte mich noch Tage danach mit meinen Kollegen darüber amüsiert.
Ich arbeite als Restaurantfachfrau in einem kleinen Landhotel kurz vor Hamburg. Es ist ein Knochenjob und ich werde vermutlich mit Ende fünfzig am Arbeitsplatz sterben, während ich einen zwölf Pfund schweren Truthahn tranchiere. Aber ich brauche das. Die Hektik, der raue Ton in der Küche oder die scharfen Anweisungen unseres Restaurantleiters Marlon, wenn es mal wieder nicht schnell genug ging. Und mit scharf meine ich nicht nur seine herrischen Befehle.
Marlon war ungemein attraktiv und unglaublich heiß, wenn er erst mal in Rage geriet. Ich stellte mir oft vor, wie er mich ins Getränkelager zerrte, stürmisch gegen die Wand presste und mir unter den Rock fasste. Dann würden wir es treiben wie die Karnickel und die Getränkekisten zum Umstürzen bringen. Aber er war mein Vorgesetzter und ich schätzte ihn als Kollegen zu sehr, um mit ihm etwas anzufangen. Er war im Umgang mit Frauen recht unkompliziert. Etwas, was ich besonders an ihm mochte, war seine Einstellung, die meiner sehr nah kam. Er vertrat die Meinung der radikalen Ehrlichkeit. Willst du Sex, dann sag es einfach, anstatt so ein Riesentheater darum zu machen. Er meinte immer, wenn man eine Frau erst zum Sex überreden und sich wie ein Stück Fleisch anpreisen müsste, dann sollte man es lassen. Nimm dir, was du willst, und sag, was du denkst. Immer und überall. Sehr erfrischend. Nüchtern und direkt. Das mochte ich.
Ich war da genauso. Na ja fast. Ich war vielleicht nicht ganz so schlagfertig wie er, aber ich konnte ihm ganz gut die Stirn bieten. Wir arbeiteten mittlerweile seit drei Jahren zusammen und bisher hatte ich nicht den Eindruck gehabt, als würde er mich flachlegen wollen. Das war mir auch ganz recht. Ich schlafe nicht mit Arbeitskollegen. Schon gar nicht mit Vorgesetzten. Auch wenn ich ihm jedes Mal die Kleider vom Leib reißen wollte, wenn er einen von seinen versauten Witzen erzählte und dann dreckig darüber lachte.
Männer mit solchem Humor fand ich schon immer sehr anziehend. Das steigerte die sexuelle Attraktivität um ein Vielfaches. Ein Kerl, der keinen Sinn für Humor hatte oder meinen nicht verstand, könnte aussehen wie Chris Hemsworth alias Thor, ich würde ihn nicht bespringen wollen. Wobei, okay, stopp. Thor würde ich jederzeit mit nach Hause nehmen. Das war aber auch die Ausnahme. Ansonsten regte sich bei mir rein gar nichts, wenn der Mann humorlos war.
***
»Alex, kommst du mal?« Ich kam gerade aus der Umkleide, als Marlon mich zu sich rief. Er stand an der kleinen Nische mit der Schwingtür zum Pass, das Verbindungsstück zwischen Gastraum und Küche, und zeigte auf unser Schwarzes Brett. Neben ihm stand ein junger Kerl, geschätzt Mitte zwanzig, blond und ein verschmitztes Lächeln auf den Lippen. Weiche Gesichtszüge, leichte Segelohren, na ja. Aber er war wirklich niedlich. Vielleicht etwas zu niedlich für meinen Geschmack. Sicher konnte er auch ganz anders. Die, die nicht danach aussahen, waren ja meistens so.
Ich gehöre nicht dazu. Zu den Unscheinbaren. Ich halte mich selbst für gut aussehend. Ich weiß genau, welche Wirkung ich auf manche Männer habe, und koste das in vollen Zügen aus. Ich bin keine außergewöhnliche Schönheit und mit meinen eins einundsechzig ganz gewiss kein Modell, aber ich weiß meine Vorzüge durchaus in Szene zu setzen. Ich habe wenig Busen, aber dafür einen wohl geformten Hintern und schmale Beine. Ich bin zwar sehr sportfaul, also nicht sonderlich durchtrainiert, aber dennoch schlank.
Vor allem aber war ich mit mir selbst zufrieden und das machte den Unterschied. Eine Frau, die mit sich zufrieden war, strahlte Selbstsicherheit aus. Und laut meines Bruders war nichts heißer als eine selbstbewusste Frau, die wusste, was sie hatte und damit anstellen konnte. Aber das war nur die Meinung eines Mannes.
Allerdings hatte ich bisher auch nichts Gegenteiliges feststellen können. Es war nicht so, dass mir die Männer scharenweise zu Füßen lagen oder ich von einem erotischen Abenteuer ins nächste fiel. Nein. Aber ich konnte mich auch nicht beschweren. Wenn ich es wollte, kam ich gut und gerne auf meine Kosten. Mein Aussehen war da sicherlich von Vorteil. Ich wirke nicht unschuldig oder schüchtern. Nuttig und versaut aber auch nicht. Eher frech würde ich sagen. Ich wusste, was ich wollte, äußerte fast immer, was ich dachte, und das sah man mir auch an. Nein, ich war ganz sicher kein stilles Wasser. Aber dieser junge Mann, der da bei Marlon so lässig am Tresen lehnte, der hatte es faustdick hinter den Ohren. Da war ich mir sicher. Er sah zu unschuldig aus, um es tatsächlich zu sein. Aber egal, ich ficke keine Kollegen.
Ich ging auf die beiden zu, sagte flüchtig guten Morgen und entschuldigte mich für die Verspätung. Marlon nickte nur kurz, dann stellte er mir unseren neuen Mitarbeiter vor. Er war ein Freund von ihm und würde nur vorübergehend hier aushelfen, so lange, bis wir jemanden fest eingestellt hatten.
»Nur einer? Ich dachte, wir würden heute zwei nachbekommen.« Ich brauchte dringend einen Tag frei und wollte die neuen Mitarbeiter so schnell wie möglich mit den Abläufen vertraut machen. Neues Personal einzuarbeiten, war zeitintensiv. Selbst wenn sie vom Fach waren und man nicht alles erklären musste. Jeder Betrieb hat seine eigene Ordnung. Unsere war eine Katastrophe. Selbst ich musste noch manches Mal suchen, um alles zu finden. Unser Restaurant lag auf einem alten Gutshof und war früher mal ein Pferdestall gewesen. Das Herrenhaus, diverse Scheunen und anliegende Gebäude waren allesamt umgebaut worden. Logistisch ein Desaster. Die einzelnen Lager waren über das ganze Gut verteilt und brachten uns vor allem an heißen Tagen an unsere Grenzen.
»Christian kommt erst morgen. Keine Ahnung, warum. Hat mir irgendwas aufs Band gesprochen. Ich hab ehrlich gesagt nicht zugehört.« Marlon kratzte sich nervös am Kopf und starrte auf sein Telefon. Ich wusste, warum. Eine große Kaffee-Kuchen-Gesellschaft hatte sich kurzfristig angemeldet und die Spätschicht war unterbesetzt. Auch wenn Marlons Kumpel Hendrik schon des Öfteren gekellnert hatte, wie ich erfuhr, würde er uns heute wohl nur zuarbeiten können. Ich konnte Marlon ansehen, wie er mit sich rang und dass in ihm das schlechte Gewissen wuchs, weil er mich gleich wieder fragen würde, ob ich länger bleiben könnte.
»Wird auch so gehen. Ich bin ja auch noch da«, sagte ich, bevor er mich fragen musste. Marlon nickte dankbar und verzog sich durch den Seiteneingang nach draußen. Sein Büro lag im Nebengebäude, gegenüber des Restaurants. Ein Umstand, über den er sich beschwerte, so oft er nur konnte.
Ich warf einen flüchtigen Blick auf die Gästezahlen, holte die Tischtücher hervor und begann mit Hendriks Hilfe, das Frühstücksbüfett aufzubauen. Das Hotel war derzeit nur mager belegt. Saisonale Flaute eben. Anfang des Jahres war es immer etwas ruhiger. Abgesehen von Seminaren und Firmenfeiern blieb die Laufkundschaft aus. Im Restaurant hingegen hatten wir Arbeit zu genüge. Wobei das eher an der Mangelbesetzung als an den Gästezahlen lag. Heute hatten wir nur zwanzig Frühstücksanmeldungen, was eher unterer Durchschnitt für einen Mittwochmorgen war.
Aus der hinteren Ecke des Restaurants, einer ehemaligen Pferdebox, die nun drei kleine Sitzecken beherbergte, vernahm ich leises Pfeifen. Ansonsten war der Gastraum noch leer. Freddy, ein kleiner sommersprossiger Rotschopf, dem man beim Gehen die Schuhe besohlen konnte, war bereits damit beschäftigt, die Stühle von den Tischen zu stellen und die Gedecke aufzulegen. Natürlich in aller Seelenruhe, so wie immer. Wäre er nicht so fleißig, hätte ich ihn schon längst an die Luft gesetzt. Wenn ich denn etwas zu sagen hätte. Mangelnde Geschwindigkeit und die Gastronomie vertrugen sich nicht. Aber er war immer sehr gewissenhaft und höchst penibel. Zumal er stets gute Laune hatte.
Nachdem Hendrik und ich mit dem Büfett fertig waren, nutzte ich die Zeit, bevor die ersten Gäste eintrafen, und versuchte, ihm eine Kurzversion vom heutigen Ablauf einzutrichtern. Ich zeigte ihm im Eilverfahren alle Räumlichkeiten und widmete mich dann den Vorbereitungen für das Mittagsgeschäft. Aber er schien sich mehr für meinen Ausschnitt als für die Tischordnung zu interessieren.
Normalerweise wäre ich geschmeichelt gewesen. Zumal keine Frau einen Push-up-BH trug, ohne ihre Brüste zeigen zu wollen. Ich hatte es schon immer genossen, die anerkennenden Blicke der Männer auf mir zu spüren. Und seien wir mal ehrlich, warum sollten sie auch nicht hinschauen dürfen? Natürlich in Maßen und zum richtigen Zeitpunkt. In diesem Moment war es allerdings unpassend. Ich stand unter Stress.
»Hey, Augen nach oben«, fuhr ich Hendrik schroffer an, als mir lieb war. Ich wollte nicht den Eindruck vermitteln, dass es mich generell störte. Aber ich war wohl so hart zu ihm, dass er den Blick schlagartig von mir abwandte und sich die folgenden Stunden wie ein emsiges Bienchen in die Arbeit vertiefte.
***
Am nächsten Tag lernte ich Christian kennen. Er war Mitte dreißig, hatte hellbraune Haare, die er zu einem kurzen Pferdeschwanz trug, und vom Dialekt her kam er wohl aus dem Rheinland. Er entschuldigte sich tausend Mal für sein spätes Antreten. Sein fester Freund hatte wohl irgendein Wehwehchen gehabt und er hatte ihn nicht allein lassen wollen. Erfrischend. Ein Gegenüber, mit dem man über die Vorzüge von männlichen Sexpartnern sprechen konnte, ohne dummes Gekicher und beiläufige Kommentare über Nagelpflege ertragen zu müssen. Ich war mit Marlons Auswahl mehr als zufrieden.
Und wie der anpacken konnte. Er sah unbeweglich wie ein Bügelbrett aus und auch genauso schlank, aber ich hatte schon lang keinen Mann mehr so Getränkekisten schleppen sehen wie Christian. Wäre er nicht schwul, hätte mich das angemacht. Manchmal reichte es mir völlig, wenn ein Mann seine körperliche Stärke unter Beweis stellen konnte. Wenn er drei Bierkästen auf einmal tragen konnte, wäre es ein Leichtes, mich anzuheben und auf ein Bett zu schmeißen.
Ich denke da rein praktisch. Die optischen Reize eines muskulösen Mannes lassen mich da total kalt. Nein, quatsch. Ich schaue gerne zu, wenn sie ihre Kräfte demonstrierten und sich ihr Bizeps anspannt. Das finde ich unglaublich heiß und kurbelte mein Kopfkino immer so schön an.
Ole wusste ganz sicher, was er an ihm hatte. Das war Christians Freund. Bei denen ging im Schlafzimmer bestimmt die Post ab. Ich würde ihn bei Gelegenheit mal danach fragen. Wenn wir uns etwas besser kannten natürlich. Morgen Abend vielleicht.
***
Hendrik und Christian mit dem Ablauf vertraut zu machen, ging überraschend schnell und reibungslos vonstatten. Christian merkte man an, dass er Gastronom mit Leib und Seele war. Und auch Hendrik erwies sich als sehr nützlich. Auch wenn er nicht vom Fach war, kannte er sich nach ein paar Tagen bestens am Tresen aus und übernahm somit den allabendlichen Bar-und-Cocktail-Dienst. Dafür war ich sehr dankbar. Hinter der Theke zu stehen, empfand ich um ein Vielfaches anstrengender, als am Tisch zu bedienen. Da kam man wenigstens gut in Bewegung. Die Arbeit hinter der Bar ging ordentlich auf den Rücken.
***
Nachdem ich die beiden Neuen eingearbeitet hatte und sie getrost in den Dienst entlassen konnte, ohne sie auf Schritt und Tritt kontrollieren zu müssen, konnte ich mir endlich mal wieder einen freien Abend erlauben und lud meinen Bruder André zu mir nach Hause ein. Normalerweise hätte ich für ihn gekocht, aber nach den letzten Wochen Akkordarbeit nahm er es mir nicht übel, dass ich ihn bat, auf dem Weg beim Chinesen zu halten. Als er hereinkam, stieg mir schon der herrlich vertraute Duft von Bratnudeln in die Nase und ich konnte es kaum erwarten, anzufangen. Nach einer halben Stunde saßen wir vollgefressen und alle viere von uns gestreckt auf der Couch.
»Der Fleck ist ja immer noch da. Hattest du nicht gesagt, der Hausmeister würde sich den ansehen?«, bemerkte er kritisch, als sein Blick zufällig auf die Wohnzimmerdecke fiel.
Seit der letzten feuchtfröhlichen Neujahrsfeier und einem versehentlich drinnen gezündeten Feuerwerkskörper, prangte dort oben ein schwarzer Fleck. Ich hatte den schon völlig vergessen. Um ehrlich zu sein, hatte ich den Hausmeister nicht mal angerufen. Die Verschmutzung war mir total egal. Es war eben nur ein Schönheitsmakel, der mir schon nach wenigen Tagen nicht mehr aufgefallen war. Aber im Gegensatz zu meinem Bruder, ein Ordnungsfanatiker wie er im Buche stand, war ich eher chaotisch. Ich bekam keinen Herzaussetzer, wenn ein Bild schief an der Wand hing oder schwarze Schlieren die Decke verschmutzen. Und meine Wohnung ließ daran auch keinen Zweifel: Chaos, wohin man sah.
Jeder Winkel meiner kleinen Zweizimmerwohnung war mit unnützem Zeug vollgestopft. Und an meine offene Wohnküche hatte ich mich erst mal gewöhnen müssen. Nicht nur, dass man von der Couch aus einen herrlichen Blick auf den Stapel aus dreckigem Geschirr im Waschbecken hatte, der Dunst vom Kochen setzte sich wirklich überall fest. André hatte mir sofort davon abgeraten, als ich ihm die Anzeige vorgelesen hatte. Ich glaube sogar fast, dass ich die Wohnung nur aus Trotz genommen hatte. Meine Einrichtung würde ich wohl als bunt und vielfältig beschreiben. Ich habe viele Jahre in WGs gewohnt, da hatte man einfach das übernommen, was der Vorgänger dagelassen hatte. So war ich über die Jahre an die unterschiedlichsten Möbel und Gegenstände gekommen, die von außen betrachtet nicht zusammenpassten.
Zum Beispiel mein Wohnzimmertisch. Hätte ich diese Abscheulichkeit in einem Laden gesehen, hätte ich sie wohl kaum mitgenommen. Ein türkisfarbener Elefant mit kitschig bunter Malerei als Sockel und einer Glasplatte darüber. Die Platte hatte bereits etliche Kerben und die Goldverzierung am Rand war schon ziemlich abgeblättert. Jeder Gast, der einen Blick auf dieses Etwas warf, stellte sich wahrscheinlich die gleiche Frage: Was sollte das? Ich hingegen dachte an Pascal, wenn ich ihn genauer betrachtete. Ein Biologiestudent, mit dem ich für ein paar Monate zusammengewohnt hatte, bevor er seiner großen Liebe nach Australien gefolgt war. Seine Freundin hatte wohl eine Schwäche für Elefanten gehabt. Als sie ihn besucht hatte, hatte er sie mit diesem Tisch überrascht. Sie war zwar gerührt, aber mit Schmuck wäre er sicher besser beraten gewesen. Und nach Australien hatte sie ihn ja auch nicht mitnehmen können. So war ich zu diesem Tisch gekommen. Keine Ahnung, warum ich ihn hatte haben wollen. Ich mochte gar keine Elefanten. Aber mittlerweile gehörte er einfach zu mir und auch wenn ich ihn immer noch abscheulich fand, trennen würde ich mich davon nicht.
»Ich komme nächste Woche vorbei, dann mach ich dir das wieder ordentlich«, entschied André pflichtbewusst, um mir den peinlichen Anruf beim Hausmeister zu ersparen. Ich dagegen entschied einfach, nur lächelnd zu nicken und ihm nicht zu widersprechen. Ich glaubte, das war so ein Großer-Bruder-Moment, und den wollte ich ihm nicht kaputt machen. Ich war ohnehin selten genug hilfsbedürftig, um ihm das Gefühl vermitteln zu können, ich würde ihn brauchen. Ich ließ ihm die Genugtuung und wollte mir ein Bier aus dem Kühlschrank holen.
»Mist!«, fluchte ich lautstark. Mein Bruder drehte sich zu mir um und zog eine Augenbraue hoch. »Ich dachte, ich hätte noch Bier.« Meine Laune kippte schlagartig. Ich liebe meinen Bruder, aber nicht ohne Bier. So viel Fürsorge ertrage ich nur mit Alkohol. Klingt hart, ich weiß. Aber ich war noch nie der Typ, der sich gerne bemuttern lässt. Ich habe schon immer alles alleine gemacht. Nicht, weil ich es musste, sondern weil ich es konnte.
Ich ging in den Flur und zog meine Jacke an.
»Was hast du vor?«, fragte er mich.
»Zur Tankstelle, Bier holen.«
»Ich komme mit. Zigaretten sind alle.« André stand auf und folgte mir.
»Ich kann dir doch welche mitbringen. Die paar Meter schaffe ich auch alleine.«
»Es ist dunkel draußen. Du weißt, was ich von dieser Wohngegend halte«, sagte er entschuldigend. Und damit meinte er eine ruhige Seitenstraße mit mehr als genügend Laternen und mäßigem Verkehr. Gefährlich sah anders aus. Doch André grinste. Mittlerweile wusste er, wie sehr mir seine Art manchmal auf die Nerven ging und machte sich einen Spaß daraus. Hin und wieder konnte auch André einen Witz machen.
Ich griff nach meiner Tasche und schloss die Tür hinter uns. Er legte seinen Arm um mich und wir schlenderten zur Tankstelle. Ich zog mir meine Kapuze dicht ins Gesicht. Die Temperaturen stagnierten seit Wochen. Ende Februar und immer noch gefühlte zwanzig Grad im Minusbereich. Aber immerhin war es seit einigen Tagen trocken.
»Und, Kleines? Was macht dein Liebesleben?« Ich wusste, dass die Frage nicht ernst gemeint war. Er kannte meine Einstellung zu Partnerschaft und Liebe. Ich hatte noch nie sonderlich viel für Beziehungen übrig gehabt. Und Liebe, ja, die hatte bisher einen großen Bogen um mich gemacht, und dies war mir auch sehr recht. Der Märchenprinz hoch zu Ross wäre bei mir an der völlig falschen Adresse.
André wusste das. Was er eigentlich wissen wollte, war, wie mein Sexleben lief. Mit ihm darüber zu sprechen, war mir noch nie schwergefallen. Auch diesbezüglich war ich schon immer sehr nüchtern und direkt gewesen. Und André hatte sich über die Jahre an meinen derben Umgangston gewöhnt. Jedenfalls ließ er sich nicht anmerken, ob es ihm unangenehm war. Natürlich ging ich nie ins Detail. Immerhin wollte ich ja auch nicht genau wissen, was er mit seiner Verlobten anstellte. Das war etwas, was ich mir nicht ausmalen mochte. Daher ließ ich bei meinen Schilderungen die Einzelheiten weg. Was eigentlich schade war. Gerade die waren ja das Interessante daran.
»Nichts Besonderes. War lange nicht mehr aus. Die Arbeit war ziemlich anstrengend in den letzten Wochen.« Er sagte kein Wort dazu. Es kam ihm wohl ganz gelegen, dass ich nichts zu berichten hatte. Der letzte Mann, mit dem ich ein sexuelles Verhältnis gehabt hatte, war ihm nicht geheuer gewesen. Mir ehrlich gesagt auch nicht, aber der Sex war gut gewesen. Wir gingen eine Weile schweigend nebeneinander her. An der Tankstelle holten wir Zigaretten sowie zwei Sixpack Bier und liefen wortlos zurück.
***
»Sag mal, bist du mit Carina glücklich?«, fragte ich eine halbe Stunde später.
»Fang nicht wieder damit an. Ich weiß, du kannst sie nicht leiden.«
»Stimmt doch gar nicht.« Stimmte doch. Ich konnte sie nicht ausstehen. Ein zickiges Püppchen mit so viel Tiefgang wie ein Waschbecken. Ich würde nie verstehen, was André an ihr fand. Wahrscheinlich hatte sie ganz besondere Fähigkeiten im Schlafzimmer. Anders konnte ich mir das nicht erklären.
Mein Bruder zündete sich eine Zigarette an und versuchte, mir im Eilverfahren zu erklären, was für eine monogame Beziehung sprach. Als müsste er seine Verbindung mit ihr vor sich selbst rechtfertigen und schönreden. Er gestikulierte wild mit den Händen herum. Das machte er immer, wenn er nervös war. Alle paar Sekunden nahm er seine Brille ab, klappte sie zusammen, nur um sie gleich wieder aufzusetzen, bevor er sich erschöpft über seine kurzen Haare fuhr.
»Ich wollte doch nur wissen, ob sie wirklich die Eine ist. Ja, ich gebe zu, ich kann mit ihr nicht sonderlich viel anfangen. Ich finde sie langweilig und verstehe nicht, was euch verbindet. Aber wenn sie die Richtige für dich ist, dann ist sie es auch für mich.«
»Danke, Kleines«, hauchte André erleichtert und stupste mich an der Schulter an. Doch ich konnte es in seinem Hirn rattern hören. Ich war bestimmt nicht die Erste, die ihn das gefragt hatte. Soweit ich von seinen Kollegen wusste, konnte niemand Carina leiden. Ficken würde sie wohl jeder. Sie war schlank, hatte große Brüste und lange blonde Haare, unecht, da war ich ganz sicher. Sie hatte ein nettes, aber für mich nichtssagendes, Gesicht und sobald sie den Mund aufmachte, kamen nur banale Worthülsen heraus. Wirklich langweilig und uninteressant. Und ein richtiges Mädchen. Zickig, eifersüchtig, mit beschränktem Horizont. Für meinen Bruder würde ich mir definitiv etwas anderes wünschen.
Als er mir im letzten November erzählt hatte, dass er ihr einen Antrag gemacht hatte, hatte ich mir Meinen Glückwunsch regelrecht rauswürgen müssen. Aber was soll’s. Er urteilte nicht über meinen Lebensstil, er versuchte es zumindest, also würde ich Carina akzeptieren. Irgendwie.
Unser Abend endete wie so viele zuvor. Wir legten uns einen Film mit Arnold Schwarzenegger in den DVD-Player und sahen zu, wie er mal wieder die Welt rettete und dabei eine halbe Stadt in Schutt und Asche legte. Gegen Mitternacht schmiss ich André raus und legte mich hin. Ich dachte über ihn und Carina nach.
Monogam leben. Nein, das ist keine Option für mich. Ich bin kein Flittchen, aber ich mag die Abwechslung und will mich nicht festlegen. Monogam ist für mich monoton. Ich erlebe lieber Abenteuer oder zumindest stelle ich sie mir momentan gern vor. Was Hendrik wohl darunter trägt? Ich wette, nichts. Das ist heiß und spart Zeit.