Kitabı oku: «Tessiner Erzählungen», sayfa 3

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Teresa

Ein schöner Tag sagte sich an. Die Sonne war noch nicht zu sehen, sie stand hinter den östlichen Bergen und färbte den Himmel da­rüber gelb und rot. Doch das Morgenlicht füllte schon das Tal, das schattenlos in tiefster Stille dalag, als ob es mit offenen Augen schlafe. Alle Vögel schwiegen. Es war jener verzauberte Moment, wo der Tag zwar Tag, aber auch noch Nacht ist und so den Vorge­schmack des Himmels gibt, der ja ewiger Tag und ewige Nacht zugleich sein soll.

Die alte Teresa war schon auf dem Wege zur Arbeit. Jetzt, wo es so viel zu mähen gab, wartete sie nicht die Frühglocken ab, um aufzustehen. Ihre Wiesen hingen steil unter der Straße gegen den wilden Bach herunter und gaben hartes Gras, das die Alte sorgfältig mit der Sichel, Fleckchen für Fleckchen, oft Büschel für Büschel, abmähte. In ihren vielen Röcken bewegte sie sich gegen die Halde zu und maß in Gedanken im Voraus die große Hitze, die der Tag bringen werde. Gutes Heuwetter! Alles andere interessierte sie nicht.

Plötzlich blieb sie stehen, rückte ihren alten Strohhut auf den Hinterkopf und hob die Nase; sie ging ein paar Schritte weiter, blieb wieder stehen, drehte sich rundum, schnupperte nach rechts und links. – «Was ist das für ein Geruch?», sagte sie vor sich hin. Sie sprach oft mit sich laut, auch mit ihrer Kuh. –

«Was ist das? dieser Geruch … dieser arge Geruch … dieser Gestank kann man schon sagen …? Woher?» Jetzt lief sie vorwärts. Je näher sie ihrer Halde kam, desto schärfer drang der Geruch auf sie ein und desto eifriger suchte sie in Gedanken, woher dieser stammen könnte.

Eigentlich konnte er nur aus einer jener neuzeitlichen Anlagen stammen, die von Zeit zu Zeit geleert werden mussten. Die waren aber schnell gezählt, denn die meisten Leute hatten Gruben, wie es von jeher Brauch gewesen.

Es kamen nur in Frage …

Während die Teresa überschlug, wer denn als Urheber dieses pestilenzartigen Geruches in Frage kommen könne, war sie am Mäuerchen angekommen, das ihre Halde von der Straße trennte.

Da sah sie die Bescherung.

Über die Herkunft dessen, was da breit auf ihre Wiese vergos­sen lag, war bei dem jetzt ganz eindeutigen Geruch nicht mehr zu zweifeln. Verdonnert stand die Alte. Sie wollte ihren Augen nicht trauen. Der Atem fehlte ihr. Sie ächzte. Dann spürte sie den hellen Zorn in sich aufsteigen. Mit den Fäusten fuchtelnd verwünschte sie laut die Nichtsnutze, die dieses nächtlicherweile getan hatten. Und warum getan? Warum gerade auf ihre Halde? Das war Bosheit.

Die alte Teresa stand mit den übrigen Dorfbewohnern nicht auf bestem Fuß. Sie lebte für sich in ihrer kleinen Wohnung oben im Palazzo, den die Sciori aus der Stadt der Erb-Familie abgekauft hatten. Sie ging zu niemandem und ließ selten einen Menschen zu sich kommen. «Es ist besser, man bleibt allein», sagte die Teresa. Sie fand die Dorfbewohner dumm und faul und spottete gerne über sie. Auch in die Kirche ging sie kaum. Wozu? Was sollte ein so junger Mann wie der Herr Pfarrer einer so alten Frau wie die Teresa Wichtiges sagen können? Das Abendmahl? «Ach», sagte sie etwa, und zeigte mit ihrem Daumen gegen den Mund, «man kommt auch aus ohne den Bissen.» Es ist klar, dass die Dorfleute sie nicht liebten. Die Alte war ihnen ein Ärgernis. Dieser Hochmut! Und manch einer versuchte die Teresa zu plagen oder ihr bei Gelegenheit und im Geheimen einen Streich zu spielen.

Ein solcher Streich war das wohl, musste die Teresa denken. Sie ging aufgeregt hin und her, die Hand an der Nase zum Schutz, und äugte herum. Da entdeckte sie noch mehrere Anlagen tiefer unten, wo sie gestern das Heu hatte liegen lassen, weil es noch nicht ganz dürr war. Im Nu war ihr klar: Das Heu und die ganze mühsame Arbeit um das Heu waren verloren. Ihr Zorn wurde ­heftiger. Sie schimpfte und wetterte. Dann kehrte sie entschlossen um und rannte ins Dorf hinauf, um dem Segretario zu melden, was ihr angetan worden sei.

Einen Sindaco besaß das Dorf momentan nicht. Der Sin­daco hatte es vorgezogen, sich der – wie es hieß – gerechten Unzu­frie­denheit seiner Dörflinge durch eine Reise zu entziehen. Im Ge­heimen wurde geflüstert, er sitze irgendwo in Sicherheit. Man hatte sich demnach an den Segretario zu wenden, wenn man mit irgendeiner Sache nicht selbst fertig wurde.

Der Segretario stand hemdärmelig auf dem Dorfplatz, als die Teresa durch die schmale Dorfgasse hinauf angesegelt kam. Er begriff wohl schon im Voraus, weswegen sie kam, denn er wehrte gleich ab, er habe keine Zeit und es gehe ihn nichts an und er wolle von dem Weibergeschwätz gar nichts hören. Damit verschwand er schlurfend in seinem dunklen Hausflur.

Diese Haltung des Segretario, die keine war, brachte die Teresa erst richtig in Schwung. Auf eigene Faust unternahm sie eine Erkundigungsreise durch das Dorf, von der Piazza an bis zum hintersten Hause. In jedem Haus, in welchem sie von gewissen neumodischen baulichen Veränderungen wusste, kehrte sie ein und untersuchte den Ort umständlich und genau, ob er geleert worden sei oder nicht. Es musste sich ja schnell herausstellen, wer die Missetat begangen hatte, und dann Gnade dem Gott. Eine große Strafe hatte der zu bezahlen, und wenn er kein Geld haben sollte, so müsse er direkt ins Gefängnis kommen.

Es hatten sich der aufgeregten Alten Neugierige und Schadenfreudige beigesellt, die wussten, dass sie auf ihre Rechnung kommen würden; denn, ob nun der Täter entdeckt und, wie die Teresa androhte, bestraft würde: Es wäre schön. Oder ob die Teresa un­verrichteter Sache und ungesühnt ihren Zorn werde schlucken müssen: Es wäre auch schön. In beiden Fällen konnte man sich nur freuen. Und dann war die Expedition selbst schon ein seltenes Vergnügen.

Es wurde nichts entdeckt. Alle Kessel waren noch voll, und die alte Teresa zog stumm zurück durch das ganze Dorf, den Hut wie einen Heiligenschein im Nacken. Mit langen Schritten ließ sie die anderen hinter sich. Drunten am Hang raffte sie den unverdorbenen Rest ihres Heues zusammen. «Die Halunken, die Verbrecher», stöhnte sie und trug ihre Hotte, die doppelt so hoch war wie die gebückte kleine Frau, vor den Heustock, wo sie das Heu ausbreitete. Hier sollte es fertig trocknen, da es drunten auf der Wiese nicht mehr sicher war. Dann machte sie sich zurecht auf die Alp zu steigen, um nach ihrer einzigen Kuh zu schauen. Verbohrt in ihren Zorn stieg sie den steinigen, steilen Weg zu ihrem Ställchen hinauf und merkte nicht, wie die Sonne, die in­zwischen schon hoch am Himmel stand und heiß ins Tal schien, sie unbarmherzig röstete. Denn ihr Zorn brannte heißer als die Sonne.

Während diesem war die Köchin Marta mit ihrer kleinen Tochter Marietta im Palazzo erschienen, um zuerst für die verschiedenen Haustiere, Katzen, Hunde, Kaninchen und Tauben, das Frühstück zu rüsten, dann ums Haus herum zu wischen und für acht Uhr den Morgenkaffee bereitzuhalten.

Marta wohnt im Dorf. Sie ist am Morgen, wenn sie im Palazzo ankommt, stets sehr in sich gekehrt. Sie sträubt sich innerlich gegen den Arbeitstag, der wieder begonnen hat.

Sie wehrt sich dagegen und versucht, in ihre Nachtträume verhängt, das Wachwerden möglichst hinauszuschieben. Mit versponnenem Gesicht sinnt sie etwas Fernem, Schönem nach, aus dessen Wirkungskreis sie nur langsam entsinkt. Ihre Augen blicken dann, ohne zu sehen, ihre Bewegungen sind steif, bei jedem Geräusch fährt sie zusammen. Erst kleine Seufzer und Ach-Rufe künden an, dass sie sich anschickt, den Tag und seine Mühe anzunehmen.

Aber die kleine Marietta ist frisch wie ein Wiesel vom frühen Morgen an. Sie widmet sich mit Eifer ihren verschiedenen Pflichten, wovon die wichtigste ist, die Gartenwege frei zu halten von Unrat. An diesem Morgen, während ihre Mutter tiefsinnig am Herde stand und wartete, bis die Hundepolenta kochte, zog sie mit ihrem kurzen Rechen und der Schaufel im Garten herum, auf der Suche nach dem Ding, das solchen Geruch verbreiten konnte. Sie fand nichts. Verwundert kam sie zu ihrer Mutter und fragte, woher es so rieche. Marta hatte nichts bemerkt. Nein, sie habe Schnupfen, sie rieche nichts, das Kind solle hinausgehen und sie in Ruhe lassen. Sie wollte wieder in ihren Träumereien untertauchen, doch gelang es ihr nicht ganz. Sie begann nun auch etwas zu riechen, das ihr ungewöhnlich schien. Aber da­r­über nachzudenken, was es sein könnte, wollte sie nicht. Nein, nicht denken! Denken war für Marta vom Schlimmsten, was ihr zugemutet werden konnte. Eine richtige Strafe und Qual. Wenn etwas sie zwang, zu denken, so fing sie an zu weinen, als ob sie Schmerzen hätte. Sie setzte sich dann etwa, schwach, auf die äußerste Kante eines Stuhles, legte ihre Wange in die Hand und schluchzte. Wenn man sich mitleidig zu ihr neigte, um sie zu trösten, konnte man vernehmen, das sei jetzt zu viel … wirklich zu viel für eine arme Frau, die schon so viel Unglück gehabt hatte mit dem Mann und den toten Kindern. Sie werde nun wohl auch sterben, das sei das Beste, dann sei alles aus! Sie erholte sich erst langsam, wenn jemand anders für sie die schwere Frage gelöst hatte. Oder sie machte, um einer klaren Antwort auszuweichen, ein Gesicht, als ob sie frisch vom Himmel falle und sagte: «Ich weiß nicht.» Dieses «Ich weiß nicht» vermochte sie mit solcher Überzeugung zu sagen, dass niemand versuchte, mehr von ihr zu erfahren. So kam sie meistens um die für sie so peinliche Arbeit des Denkens herum.

Auch jetzt schob sie die Anwandlung, zu überlegen, woher der Geruch stammen könnte, schnell von sich. «Ich weiß nicht», sagte sie gähnend vor sich hin, zogt die Achseln in die Höhe, legte den Kopf ein wenig schief und versank in ihr Sinnen.

Im Schlafzimmer war die Sciora erwacht. Sie freute sich im Voraus auf den Moment, den schönsten jeden Morgens: wenn sie die dicken Fensterladen aufschlagen und mit einem Blick die ganze sonnenüberflutete Sommerwelt übersehen würde, Tal und Berge, blauer Himmel, Felsen, Wälder und Bäche. Dann ging sie rasch zum Ostfenster, um es zu öffnen und den Tag einströmen zu lassen. Aber bevor sie die Laden aufgeschlossen hatte, stach der Geruch ihr in die Nase.

«So etwas», dachte sie, «gehen die verrückten Menschen bei dieser Hitze die Wiesen düngen.» Wie sie übers Land schaute, sah sie niemanden mit dem nützlichen Geschäft beschäftigt. Kein Mensch weit und breit. Aber Schwaden von übelstem Geruch drangen ein, füllten das Zimmer, standen schon in den anderen Zimmern, die sie nun durchging, um in der Küche zu landen und die Marta zu fragen, was denn dieser Geruch zu bedeuten habe.

Die Marta fuhr auf und sagte, sie habe Schnupfen, sie rieche nichts, sie wisse nichts. Das schien der Sciora fast unglaublich, einen solchen Schnupfen konnte es gar nicht geben. Während sie der Marta diese Bemerkung machte, kam das Kind mit neu­gie­rigen Augen wieder in die Küche. Die Sciora fragte, ob es Auskunft geben könne, aber Marietta schüttelte den Kopf.

Die Sciora nahm etwas über sich und ging, von den Hunden freudig begleitet, durch den Garten dem Geruch entgegen. Es zog sie neben dem Garagehäuschen auf die Straße hinunter und lud sie ein, über das Mäuerchen zu schauen, das die Wiesen der Teresa von der Straße trennte.

Dort sah sie die Bescherung.

Sie staunte ein wenig über die Masse des Unrates, der da schamlos an der Sonne lag und dampfte. Das ist nun wirklich etwas, das zum Himmel stinkt, dachte die Sciora und stieg eilig wieder in ihren verpesteten Garten hinauf, während aus den oben gelegenen Häusern grobes Schimpfen ertönte. Dort lehnten sich die Leute gegen den Geruch auf, wie es durchaus verständlich war. Sie standen auf ihren Holzbalkonen, die Frauen hielten sich die Nachtjacken mit der Hand bis unters Kinn zu, als ob sie die verdorbene Luft so abwehren könnten. Die Männer fingen untereinander Zank an; jeder wollte der Findigere sein und den anderen mit Vermutungen über das Geschehene aufklären.

Als die Sciora droben angelangt war, stand ihr Mann vor dem Haus. Er bewegte sich nicht gerne für Unwichtiges, auch hatte er eine ausgesprochene Abneigung gegen die übelriechende ­Seite des Lebens. Die Sciora musste ihn darum recht eigentlich überreden, sich um die Angelegenheit zu kümmern, so nämlich, dass sie seine Neugierde aufstachelte, indem sie meinte, sie verstehe nicht recht, was dort auf der Halde liege und rieche, es sehe seltsam aus. Der Scior lachte über die List, setzte sich aber in Bewegung, durch den Garten, bedächtig übers Treppchen hinunter, um das Garagenhaus herum und schaute über das Mäuerchen. Ja, das war ihm eine klare Sache. Er ging gar nicht mehr in den Garten hinauf, sondern sofort den Dorfweg hinan, mit Gattin und Hunden, um unverzüglich den Herrn Segretario von dem Ungehörigen in Kenntnis zu setzen und zu bitten, man möge um Abhilfe sorgen.

Auf der Dorfstraße meinte die Sciora, sie könne doch nicht gut im Pyjama mitkommen, nicht wegen des Herrn Segretario, sondern weil das Pfarrhaus einen oberen Ausgang auf die Piazza habe und der Herr Pfarrer doch jeden Moment dort heraus erscheinen und an ihrer Bekleidung Anstoß nehmen könnte. Der Pfarrer hatte schon einmal eine Viertelstunde lang ein nervöses Lachen nicht beherrschen können, als er der Sciora einen Besuch machen wollte und sie unerwarteterweise im Pyjama getroffen hatte. Es war sehr peinlich gewesen. Als er wieder ruhiger geworden war, hatte er unvermutet großes Hagelwetter angekündigt. Die Sciora hatte nicht recht begriffen, ob als Strafe für ihre un­züchtige Kleidung oder weswegen. Jedenfalls war es besser, jetzt eine Begegnung mit dem Pfarrer zu vermeiden und den Mann allein zum Segretario gehen zu lassen.

So zog der Scior weiter. Die Sciora nahm den oberen Weg in ihren Garten und wartete dort mit einiger Neugierde auf das, was geschehen würde. Bald kam der Mann mit dem Bescheid zurück, leider kenne niemand den Täter, doch werde von der Ge­meinde aus Wasser getragen und auf die Halde ausgegossen werden, um den Unrat hinabzuschwemmen. Nach kurzer Zeit sahen die Sciori, über ihre hohe Gartenmauer gelehnt, wie drunten auf der Straße Maurilio, der Küster, mit der Feuerwehrbrente und dem Kessel zum Feuerlöschen Wasser hinuntertrug und es dort über das Mäuerchen schüttete, Mal um Mal. Gegen Mittag nahm der Geruch ab.

Aber die Neugierde der Dörfler, die wissen wollten, wer das Unmögliche getan habe, nahm nicht ab. Vermutungen schwirrten herum, die einen beschuldigten die anderen, doch da sich die wenigen, die in Frage kamen, alle über ein volles Fass ausweisen konnten, fielen auch die besten Kombinationen immer wieder zusammen. Die Aufregung im Dorf stieg, als die Teresa am Nachmittag wieder erschien. Sie behauptete, den Gestank bis auf ihre Alp hinauf gerochen zu haben. Sie habe den ganzen Tag nicht essen können. Nicht nur wegen der verdorbenen Luft, sondern auch wegen der Beleidigung. Denn das sei eine Beleidigung, was da geschehen sei, wahrhaftig eine grobe Beleidigung … für die Sciori.

Sie stand unten an der Gartenmauer, die Sciora schaute von oben herunter.

«Meine Sciori sind beleidigt worden», klagte sie mit lauter, schriller Stimme, «und die Beleidigung ist enorm.»

Sie sah hinauf, ob diese Worte Eindruck machten, und fuhr dann heftiger fort: «Ja, es ist eine Beleidigung, es ist eine Ven­det­ta.»

Die Sciora schüttelte den Kopf, doch ihr ungläubiges Gesicht spornte die Alte zu noch kühneren Behauptungen an. Sie rief: «Ich kann mir schon denken, woher diese Vendetta stammt, ja, ich weiß es genau … es ist Vendetta, reine Vendetta! … Aber ich sage nichts», fügte sie leiser hinzu und zog ihre Augenbrauen hoch in die verrunzelte, braune Stirne hinauf, «ich sage nichts, bis ich den Elenden überführt habe.»

Hier machte sie eine Pause. Dann schlang sie ihre harten Hände ineinander, streckte sie weit von sich und wimmerte: «Diese Beleidigung … dieser Tort! … Das können meine Sciori nicht aushalten, es ist unmöglich! Wie sollen sie sich in ihrem Garten, unter den Bäumen, noch wohl fühlen, bei diesem Geruch … bei dieser Beleidigung?» … Sie fasste sich, tat ein paar Schritte und schaute mit Haltung um sich. Ihre Bewegungen waren feierlich, ihr Gesicht bekam einen entschlossenen Ausdruck, ihre altväterische Sprache wurde gemessen und erinnerte an Bibel­verse.

Es traf sich, dass gerade der gute Maurilio mit seiner schweren Wasserlast die Straße hinunterkam. Teresa stellte sich ihm entgegen, breit, mitten auf der Straße. So, begann sie, er trage hier Wasser, aber er sei nicht imstande gewesen, den Übeltäter auf­zufinden. Sonst renne er jedem kleinsten Vergehen nach, als ob er der Landjäger sei. Aber heute vermöge er nichts aufzudecken. Heute, wo es wichtig wäre, dass man den Schelm fange, um den Sciori den guten Willen zu zeigen. Wenn sie Küster wäre und nicht mehr Arbeit hätte als so ein Küster, sie hätte schon längst herausgefunden, wer es gewesen sei. Sie habe übrigens, obschon sie nur die Teresa sei und alle Hände voll zu tun habe, einen verdächtigen Fleck entdeckt auf der unteren Kirchentreppe … Die Sciora hatte dem Gespräch von ihrer Gartenmauer aus zugehört und frug nun schnell dazwischen, an wen denn die Teresa denke.

«Es könnte einer an die Agnese denken», sagte langsam die Alte und zwinkerte mit den Augen. Die Sciora hatte auch schon daran gedacht, das Übel komme aus der Wirtschaft der Agnese, denn wer im ganzen Dorf, bei der spärlichen Ernährung der Menschen, konnte eine solche Menge Unrat schaffen, wenn nicht die Wirtschaft der Agnese? Sie rief also, froh über die Entdeckung: «Nun, dann ist es eben der Junge der Agnese, der den Streich gespielt hat!», worauf die Teresa mit Sybillengesicht antwortete: «Eben nein, denn ihr Kübel ist voll. Ich hatte nur ge­dacht, es könnte sie sein, sie ist es aber nicht.»

Es tat ihr sichtlich leid, dass es nicht die Agnese war. Es hätte die Alte gefreut, der Agnese etwas Böses nachweisen zu können, dieser Agnese, die ohne zu arbeiten, so viel Geld verdiente. Ja, war das überhaupt verdient? Nahm sie es den leichtsinnigen Männern, die den Abend in ihrer Wirtschaft verbrachten, nicht einfach ab? Schade, dass es nicht die Agnese war!

«Auch hat es ein ganzer Mann geschafft, nicht bloß ein Junge», fügte sie laut und drohend ihren Gedanken hinzu.

Aus der Stille, die diesen Worten folgte, hörte die Sciora die beschwichtigende Stimme des Küsters: «Es ist ein nächtlicher Bubenstreich, ein nächtlicher Bubenstreich … nichts anderes.»

Darüber erregt sich die Teresa aufs Neue und fängt wieder an. Sie steht dem kleinen, beladenen Mann gegenüber wie eine alte Römerin: «Nichts als Banditen habt ihr im Dorf; wo ist ein einziger Gentiluomo, frage ich? Nichts als Banditen und Räuber. So sind die Alten, so werden die Jungen. Keine Zucht, keine Ordnung, keinen Respekt. Wie stehen sie alle herum, den lieben langen Tag, die Haare schön gescheitelt oder aufgetürmt, in roten oder blauen Jacken, die sie drunten im Bazar gekauft haben und die nichts wert sind: nur um den Mädchen zu gefallen. Keiner tut etwas Rechtes, nichts als Unfug haben sie im Kopf, nichts als Bosheiten. Oh, Banditen … Banditen!»

Sie zetert auf den Mann los, der klein und schmächtig vor ihr steht, von seiner Last fast zu Boden gezogen. Er wirft von Zeit zu Zeit schüchtern dazwischen: «Bubenstreiche … nächtliche Bu­ben­streiche … sonst nichts! Nichts Ernstes.» Sie kreischt: «Was, nichts Ernstes? Du nimmst sie noch in Schutz? Schäme dich … Schämen sollst du dich! Sonst nichts? Eine Beleidigung ist es, ein Tort für meine Sciori, eine Vendetta, sage ich!» Bei dem Wort Vendetta bekommt sie einen wilden Glanz in die Augen.

Teresa hatte sich in ihrem Ställchen droben über Mittag überlegt: Wenn die Tat, die ihr einen Teil ihres Heues verdorben hatte, als auf die Sciori gemünzt auf diese abgeschoben werden könnte, wenn sie, kurz gesagt, als Ärgernis für die Reichen von irgendeinem Armen gedacht und getan war, so mussten eigentlich die Sciori für das verdorbene Heu aufkommen. Ist das klar? Ja, das ist klar. Es war also sicher das Klügste, die Beleidigung nicht persönlich aufzufassen, wie sie es am Morgen spontan ge­tan, sondern sie den Sciori zu überlassen. Diese Sciori, denen es ja eigentlich gehörte, dass man sie plagte, wo man konnte, diese Sciori … so Zugelaufene … Fremde … Eindringlinge. Heute war es aber klug, diese Eindringlinge als ihre Sciori und den Tort als ihren Tort zu verkünden. Also schrie sie weiter:

«Meine Sciori können sich mit Recht beklagen über die schlechten Sitten hier im Dorf. Da kommen sie von weit her aus einer großen Stadt und beehren uns damit, unser bescheidenes Tal schön zu finden, so schön, dass die Sciora viele Monate im Jahr lieber hier als in der großen Stadt verweilt. Und nun dankt man ihr die Liebe zum Land so? Nicht genug, dass die Burschen ihre Garagentür vollschmieren mit unanständigen Zeichnungen, die man besser nicht anschaut. Nicht genug, dass sie am Abend vor der Garage Lieder singen, die die Sciora zum Glück nicht ganz versteht. Jetzt gehen sie und verpesten die Luft um den Pa­lazzo, dass man krank werden kann davon. Die Banditen sollte man einsperren … einsperren.»

Teresa fühlte, sie mache ihre Sache gut. Nach dieser langen Rede wurde sie ruhiger. Sie hatte alles gesagt, was sie für klug hielt. Von dieser Grundlage aus konnte sie später weitergehen, um die Sciori zu bewegen, ihr das verdorbene Heu, das ja wegen ihnen verdorben worden war, zu ersetzen. Sie stieg in den Garten hinauf, um den Fall nun still, unter Frauen, mit ihrer Sciora zu besprechen. Denn dass der Täter gefunden werden muss, ist klar. Das ganze Dorf wird nicht ruhig sein, bis man den Mann gefunden hat. Wer ist es? Darüber wird die Alte still. Nur ihre Augen wandern rasch hin und her, als ob sie am Boden Ameisen zählen würde. Sie kombiniert etwas.

Die Sciora, die die Sache für heute beschließen möchte, sagte nun, sie fahre morgen ins große Dorf hinunter und werde den Vorfall dem Landjäger melden, denn, obschon es ja hier im Garten nicht mehr rieche (das stimmt nicht ganz, aber sie sagt es, um die Teresa etwas zu ärgern, denn sie kennt die Alte und weiß, wie sehr sie sich im Grunde freut, dass die Sciori auf so peinliche Art gestört worden sind), also, obschon es im Garten nicht mehr rieche, so müsse doch für später gesorgt werden, dass solche Bubenstreiche nicht wieder vorkommen. Zäh wehrt sich noch die Teresa: «Oh, Sciora, es sind nicht Bubenstreiche, es ist Vendetta … Vendetta!»

Maurilio, der Küster, hatte den ganzen Tag unter der glühenden Sonne Wasser getragen. Endlich kam der Abend. Er hatte seine Glocken zum Ave zu läuten und tat es an diesem Tage manierlich. Er läutete nur, um die Zeit anzugeben und die Frommen zum Ave einzuladen, wie es gemeint war, und nicht, um seine Mitmenschen in Verzweiflung zu bringen, wie er das seit einiger Zeit betrieb. Sein Läuten war dann ein grelles Anschlagen der Glocken, als ob er zum Sturm läuten wolle, so dass die Hunde in lautes Gejammer verfielen und die Menschen, wenn das Gellen in der Luft immer noch kein Ende finden wollte, die Hände sinken ließen und einen Fluch zum Himmel schickten, aus welchem der Lärm kam. Besonders gefürchtet waren die Läutereien des Maurilio am frühen Morgen, um fünf Uhr. Es konnte aber auch vorkommen, dass es kaum über vier Uhr war. An schlafen war dann für längere Zeit nicht mehr zu denken. Denn kaum war das eine Geläute endlich in der kühlen Luft verzittert, begann ein neues. Die Köchin Marta sagte oft zu der Sciora, dieses Läuten werde ihr den Tod bringen. Jedermann wisse, wie spät sie einschlafe, oft erst gegen den Morgen. Kaum schlafe sie, gehe das Gelärme los und höre nicht auf, bis es Zeit sei, nach den Tieren zu schauen. Sie wisse es, daran werde sie sterben. Die Glocken würden sie unter die Erde bringen. An diesem Abend aber läutete Maurilio, wie es sich gehört, kurz und deutlich. «Aha, er ist müde», dachte die Teresa halb bedauernd und halb schadenfreudig, «es ist auch nicht verwunderlich, nach diesem schweren Tagewerk. Er, der sonst nichts tut, mag es spüren.»

Nach dem Ave, die Sciora saß vor dem Haus, erschien die Köchin Marta mit dem halbvollen Kehrichtkübel, begleitet von ihrer kleinen Tochter und dem Zimmermädchen aus der Stadt. Sie wollen schnell zum Wasserfall gehen, um den Kehricht zu leeren. Sonst schob sie dieses Geschäft hinaus, bis der Kübel seinen Inhalt nicht mehr fassen wollte und als Kranz rings um sich her verstreute. Heute überwog aber die Neugierde die Faulheit und so zogen die drei mit dem kleinsten Hund davon auf dem Wege zum Wasserfall, der am Mäuerchen vorbeiführt. Ver­wundert sah die Sciora zuerst den Dackel in gestrecktem Lauf zurückkommen und sich in seiner Hütte verkriechen. Dann erschien die kleine Marietta mit glänzenden Augen wegen des Ungebührlichen, das sie gesehen, dann die Marta mit verwehten Löckchen und roten Flecken auf den Wangen vor freudiger Empörung und zuletzt das ganz blass gewordene Zimmer­mädchen aus der Stadt. Sie blieben vor der Sciora stehen und schwatzten alle durcheinander. Es rieche noch sehr arg dort unten, denn viele Stellen seien immer noch ganz bedeckt mit der Sache. Maurilio habe es wohl nicht gesehen, da es versteckt gegen den Wasserfall zu liege. Er werde auch morgen noch viel Wasser tragen müssen, der Ärmste! «Aber Sciora, wer hat es denn getan? Was meinen Sie, wer hat es getan?», wollten alle drei wissen. Die Sciora schüttelte lachend den Kopf. Dann hieß sie die Neugierigen nun an etwas anderes denken. Sie finde, es sei jetzt genug über die Sache gesprochen worden. Morgen sei auch wieder ein Tag, um sich daran zu freuen. Und miteinander gingen sie ins Haus.

Die Nacht brach ein. Von hier und dort tönte das Dängeln der Sicheln wie Glöcklein durch die Stille. Etwa hörte man ein Lied in der sanften Nacht, obschon es dem Pfarrer ein Ärgernis, singen zu hören. Singen und tanzen sind des Teufels. Dann verstummte alles. Die Sciora wunderte sich oft, wie ängstlich die Menschen hier in ihre Häuser flüchteten vor der Dunkelheit. Und doch waren die Nächte so schön. Sie stand am Fenster und schaute nach den Sternen, denen sie eigene Namen gegeben hatte: der Blaue, der Funkelnde, der Zwitschernde, der Flötenspieler, der seine Strahlen wie Honig heruntertropfen ließ, die Kuh, die so zufrieden am Himmel stand. Während sie nach ihren fernen Freunden schaute, klopfte es hart an die Türe. Sie schrak zusammen, das Nahe war ihr plötzlich fast unheimlich. «Wer ist da», rief sie. Niemand antwortete, doch wurde weiter gepoltert, ungeduldig und heftig. Sie ging die Türe öffnen.

Da stand, die Stalllaterne in der Hand, die Teresa, den zahnlosen Mund weit offen in stummem Lachen. «Es ist der Pfarrer», sagte die Alte.

Die Sciora begriff es schneller, als sie es glauben konnte: «Der Pfarrer?», fragte sie, freudig bewegt.

«Ja, der Pfarrer», sagte nickend die Teresa und nun quirlte das zurückgehaltene Lachen aus ihr heraus. Sie quickste und pustete. Das Sprechen machte ihr Mühe:

«Der Pfarrer», glücklich sah sie die Sciora an.

Sie fasste sich ein wenig und fuhr dann fort:

«Eigentlich war es der Maurilio, der Esel. Der Pfarrer weiß nichts davon. Maurilio hat in der Nacht die Kessel des Herrn Pfarrer hinausgetragen und über die Halde geschüttet, weil er zu faul war, bis zum Wasserfall zu gehen wie andere Christenleute. Maurilio hat es getan. Aber es ist halt doch vom Herrn Pfarrer.»

Die Frauen freuten sich zusammen, denn der Pfarrer war nicht ihr Freund. Teresa zeigte, sooft es ging, dass sie den jungen Mann, wie sie den Pfarrer nannte, nicht nötig habe. Und die Sciora war kein einziges Mal in die Kirche gegangen, um seiner Predigt zu lauschen. Doch war ihr in der ersten Zeit ihres Aufenthaltes berichtet worden, dass der Herr Pfarrer sich wohl auf ihren Besuch in der Kirche vorbereitet habe, denn die Texte zu seiner Predigt seien bedeutungsvoll gewählt gewesen, zum Beispiel: «Der Herr sagte, ich kenne euch, die ihr nicht Gottesfurcht im Herzen tragt, und es soll euch schlecht gehen.» Auch: «Niemand kann zweien Herren dienen, sagte der Herr.» Sogar etwas von Sodom und Gomorrha, doch war der Text zu lang gewesen, Marta, die sich dafür interessierte, hatte ihn nicht erfahren können, denn niemand hatte ihn behalten.

Das Dorf war die erste Pfarrei des jungen Pfarrers. Er war erschrocken gewesen über die Fülle der Sünden, in welchen seine Pfarrkinder lebten, und er hatte sich vorgenommen, zur Ehre des Himmels und zu seiner eigenen, sie davon abzubringen. So war er ein eifriger Pfarrer geworden. Nichts entging seinen aufmerksamen Augen, seinem wachsamen Ohr. Man konnte ihn in später Nachmittagsstunde etwa gegen die Alp hinauf wandeln sehen, weil er sogar dort oben selbst nachsehen wollte, ob die Frauen und Mädchen auch so angezogen waren, wie es unserem Herrgott gefällt. Am Sonntag wurden neuentdeckte Sünder von der Kanzel herab gescholten, nicht mit Namen, aber so, dass ein jeder wusste, von wem die Rede sei. Der Pfarrer regte sich dabei sehr auf, er vergoss oft gar Tränen über seine sündigen Pfarrkinder und ermahnte sie, doch standhaft zu sein gegen das Böse. Die Kirche war voll. Es war ja nicht angenehm, sich selbst vor allen bloßgestellt zu sehen, aber es war schön zu hören, wenn der Nachbar in seinem geheimen Tun erkannt wurde. In der Fastenzeit wurde der Pfarrer noch emsiger. Er malte seinen erschrockenen Zuhörern das Fegefeuer so deutlich aus, dass sich die Frauen nach der Predigt kaum zur Kirche hinauswagten, aus Furcht, der Böse hole sie an der nächsten Ecke. Viele seufzten: Unser Herr Pfarrer ist wirklich ein heiliger Mann. Dass nun, trotz dieser Heiligkeit, der Unrat, über den sich heute alle empört hatten, aus seinem Bereich kam, daran ergötzten sich die Frauen, Teresa wie die Sciora. Das war ein richtiges Vergnügen, ohne Nebengeschmack.

Nun sollte die Alte erzählen, wie sie es erfahren habe. Der Fleck auf der unteren Kirchentreppe und das kurze Läuten des Maurilio, auch sein braves Wassertragen ohne jedes Aufbegehren und Verfluchen des Missetäters haben die Teresa stutzig ge­macht. Sie sei darum zu Maurilio gegangen und habe ihm gesagt: «Ich, Teresa, zahle zehn Franken dafür, dass von der Kanzel herunter der Skandal verkündet wird mit der Aufforderung, der Schlimme, der die Tat begangen habe, solle sich stellen.» Mau­rilio habe schnell gesagt, sie solle das doch lassen, das passe sich nicht. Sie, die Teresa, habe darauf gefragt, ob denn der wüste Kerl ungestraft davonkommen solle? «Ich, Teresa, werde zehn Franken zahlen, damit der Herr Pfarrer von der Kanzel herab verkünde, was Scheußliches getan wurde und der Schuldige sich stelle.» Da sei dem alten Maurilio ganz elend geworden. Er habe zu stöhnen begonnen, er sei es ja selbst gewesen, er selbst, er, Maurilio, für den Herrn Pfarrer. Er habe nicht bis zum Wasserfall gehen mögen und habe darum die Sache über die nächste Halde ge­schüttet. Er habe sich gedacht, es werde regnen, diese Hitze könne ja nicht länger dauern. Und nun regne es nicht. Laut habe er dann gejammert, sie solle stille sein, es gehe um die Ehre des Herrn Pfarrer.

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