Kitabı oku: «Von Gangstern, Diven und Langweilern», sayfa 2
1.3 Der Einfluss der Gleichaltrigen
Je älter die Schülerinnen und Schüler werden, desto weniger richten sie sich direkt an ihrer Lehrperson aus. Sie orientieren sich nach ihren Kolleginnen und Kollegen. Fragt man Kinder ab der vierten Primarschulklasse, weshalb sie die Schule besuchen, dann betonen sie regelmäßig die Kontakte zu ihren Mitschülern und Mitschülerinnen. In ihrer Wahrnehmung ist nicht der Stoff, sind nicht die Lektionen, die Prüfungen und eigene Arbeiten das Wichtigste, sondern die Schule wird als sozialer Treffpunkt verstanden. Wichtig sind natürlich auch die Pausen, während deren man sich treffen kann.
Die Ausrichtung auf die Gleichaltrigen oder Peers entspricht einem entwicklungspsychologischen Bedürfnis. Während kleine und größere Kinder sich an ihren Eltern und an erwachsenen Bezugspersonen orientieren, sucht der Jugendliche vor allem die Akzeptanz seiner Kollegen und Kolleginnen. Der Fokus richtet sich auf die Peers. Freundschaften werden geschlossen, eine Clique wird gebildet, Klatsch und Tratsch wird ausgetauscht, Geheimnisse werden geteilt. Die Lernenden suchen in der Klasse nach Seelenverwandten und wollen Sehnsüchte, Träume, Hoffnungen und auch Ängste teilen. Sie erleben ihre Gleichaltrigen jedoch auch als Konkurrentinnen und Konkurrenten, mit denen man sich messen und vergleichen muss. Sie beginnen, sich selbst zu entdecken, und sehen in der Gemeinschaft der Peers einen Experimentierraum. Sie wollen herausfinden, wer sie sind, welches Persönlichkeitsprofil sie auszeichnet und welche Kompetenzen sie entwickeln werden. Die Suche nach einer eigenen Identität geschieht größtenteils in Auseinandersetzung mit den Gleichaltrigen. Zu den Erwachsenen geht man auf Distanz, weil man sich nicht mehr als Teil der Mutter, des Vaters versteht, sondern eigenständig sein möchte. Man entwickelt eigene Verhaltensweisen, einen eigenen Jargon und pflegt eigene Freizeitbeschäftigungen, um den Unterschied zu den Erwachsenen hervorzuheben. Oft wird der Einfluss der Erwachsenen sogar gefürchtet, da dadurch die Selbstständigkeitsversuche bedroht werden.
Fühlt sich eine Lernende, ein Lernender in der Klasse wohl und wird sie oder er von seinen Kollegen und Kolleginnen akzeptiert, dann steigt die Lernmotivation. Wird sie oder er jedoch geächtet, ignoriert oder gemobbt, dann droht die Schule ein traumatisches Erlebnis zu werden. Oft verhindert die Identifikation mit den Peers und den Klassencodes, dass die Jugendlichen dies vor Lehrpersonen zugeben. Dieser Wille und dieser Druck zur Konformität erschweren natürlich die Suche nach einer eigenen Identität. Die Gleichaltrigen haben darum eine Schlüsselfunktion für das Wohlbefinden der Jugendlichen. Gelingt es der Lehrperson, hier positiv Einfluss auszuüben, dann wird die Klassenführung leichter.
1.4 Die Lehrperson als Gegenfigur
In vielen Oberstufenklassen bestimmt der Code, dass man sich gegenüber Lehrpersonen cool und unnahbar gibt. Distanz ist vorgeschrieben. Für Lehrpersonen ist dieser Code ärgerlich. Wenn sich Lernende zynisch, scheinbar demotiviert und herabwürdigend verhalten, dann fühlt man sich nicht geschätzt und reagiert unter Umständen unwirsch. »Ich strenge mich für dich an, ich will, dass du etwas lernst, und deine Antwort ist Kritik oder Desinteresse!« Der äußere Eindruck kann jedoch täuschen. Viele Jugendliche setzen eine Maske auf, weil sie sich nach einem Peer-Code ausrichten. Das Skript ihrer Entwicklungsphase verbietet ihnen, sich gegenüber Lehrpersonen zu öffnen. Selbstständigkeit ist angesagt, und dazu gehört, dass zur Lehrperson Distanz markiert wird und man gewisse Themen nur untereinander diskutiert. Erwachsene verstehen sowieso nichts. Auch wenn die Jugend sich während der Pubertät abgrenzen will, die Beziehung zur Lehrperson bleibt wichtig. Sie folgt jedoch einem anderen Muster. Die Lernenden suchen in den Lehrpersonen nicht primär Gleichgesinnte, und sie suchen nicht den harmonischen Kontakt, sondern Gegenfiguren, an denen man sich reiben kann. Sie suchen Kontakt zu einem Erwachsenen, mit dem man sich streiten, über den man sich aufregen und bei dem man Abgrenzung inszenieren kann. Der kreative Dissens wird gesucht und nicht Harmonie. Jugendliche suchen Bezugspersonen, die wagen, sich ihnen zu widersetzen, ohne den Kontakt abzubrechen. Sie sind auf der Suche nach einem eigenen Profil, und dazu brauchen sie Erwachsene, über die sie sich ärgern und die sie als altmodisch empfinden können. Meistens helfen sie nach: Eine extreme Kleidung, ein flapsiger Stil oder unanständige Wörter dienen dazu, Gegenreaktionen zu provozieren. Wenn die Erwachsenen sich ärgern, dann hat man sein Ziel erreicht.
Als Lehrperson bleibt uns oft keine andere Wahl, als die entsprechende Rolle in diesem archetypischen Drama zu spielen.[10] Wir müssen uns als Projektionsfigur für den Jugendprotest hergeben, auch wenn uns ihr Bild von uns nicht entspricht, wir uns nicht als alt, hinterwäldlerisch und engstirnig erleben. Die Erwachsenen leben aus der Sicht der Jugendlichen in einer eigenen Welt. In ihrer Subkultur proben die Jugendlichen ihre Selbstständigkeit und bauen ihre eigene Identität auf. Wenn sie Erwachsenen begegnen, dann sehen sie in ihnen Repräsentantinnen und Repräsentanten eines anderen Lebensbereichs. Auch wenn der Altersunterschied klein ist und man sich bei vielen Themen versteht, überwiegt bei den meisten Jugendlichen das Gefühl, dass die Alten ihren Groove, ihre Probleme und Interessen nicht wirklich nachvollziehen können. Wenn deshalb eine Lehrperson behauptet, dass sie die Schüler und Schülerinnen bestens versteht und gleicher Meinung ist, dann widerspricht dies dem typischen Verhältnis zwischen Alten und Jugendlichen während der Adoleszenz. Jugendliche brauchen Gegenfiguren, damit sie ihr unabhängiges Denken und Handeln erproben können. Erwachsene, welche die Trends und den Jargon der Jugend übernehmen, irritieren. Ein Lehrer, der Rapper-Hosen mit tiefem Schnitt trägt und von »voll geil« spricht, wird als komisch empfunden. Die meisten Jugendlichen pochen unbewusst auf das Recht, nicht verstanden zu werden. Die Erwachsenen haben die Pflicht, mit Kopfschütteln, Stirnrunzeln, jedoch auch mit Bewunderung zu reagieren, wenn Jugendliche einen speziellen Rap vorführen oder die Hose sehr tief tragen.
Durch die Reaktionen der Erwachsenen werden den Jugendlichen Leitplanken gesetzt. An der Sorge oder am Ärger der Lehrpersonen merken sie, wenn sie zu weit gegangen sind und welche Grenzen es zu respektieren gilt. Sie schränken ihren persönlichen Experimentierraum ein. Es gilt, den Wunsch der Jugendlichen nach Gegenfiguren zu respektieren. Erfolgreich unterrichten heißt darum, die Spannungen und Auseinandersetzungen zu ertragen und durchzuarbeiten, wenn sich die Lernenden einem entgegenstellen oder mit einem nicht einverstanden sind. Wenn Jugendliche frech sind, sich doof und unflätig benehmen, dann geschieht dies nicht immer aus bösem Willen oder aus Unachtsamkeit. Sie wollen die Lehrperson testen und sie an ihre Aufgabe als Gegenfigur erinnern. Die Aufregung, die ausgelöst wird, vermittelt den Jugendlichen das Gefühl, dass sie keine Bubis oder brave Mädchen mehr sind.
Aus ethnologischer Sicht betrachtet, werden in Schulklassen Trennungsrituale vollzogen.[11] Die Gruppensituation weckt das Bedürfnis, die Abgrenzung von den Erwachsenen durchzuspielen und sie zu Gegenfiguren zu deklarieren, damit man sich leichter von der Kindheit verabschieden und der Erwachsenenwelt annähern kann. Wenn eine Schulklasse sich gemeinsam über eine Lehrperson aufregt und sie in der kollektiven Aufregung zur Fremden oder zum Fremden erklärt, dann heißt dies nicht, dass die persönliche Beziehung zur Lehrperson schlecht ist. Oft gibt es eine Diskrepanz zwischen dem Verhalten in der Klasse und in der individuellen Beziehung zwischen Lehrperson und Lernenden. Gegenüber den Kolleginnen und Kollegen grenzt sich ein Jugendlicher lärmig von einer Lehrperson ab, obwohl er sie im Grunde sehr schätzt.
1.5 Die Bedeutung von Regeln in der Schule
Schulen sind Territorien, die aufgrund der Vorstellungen von Erwachsenen gestaltet werden. Wie man miteinander umgeht, wie man miteinander spricht, was man darf und was nicht, wird von Erwachsenen festgelegt. Lehrpersonen, Schulleitungen und Behörden kommunizieren, was sie von den Lernenden erwarten. Verhaltensweisen, die unter Schülern und Schülerinnen verbreitet sind, sollen unterbunden werden. Gewisse Regeln sind offensichtlich und für alle nachvollziehbar: Man soll nicht dareinreden, wenn die Lehrperson spricht, nach der Pause hat man an seinem Platz zu sitzen, und in den Gängen darf nicht gerannt werden. Elektronische Geräte bleiben abgeschaltet, und Hausaufgaben werden erledigt. Andere Regeln haben eine erzieherische Funktion: Das Bloßstellen einer Mitschülerin oder eines Mitschülers muss vermieden werden, wie auch beleidigende, abschätzige oder gar rassistische Bemerkungen. Witze oder diskriminierende Bilder über Charakter, Geschlecht, Religion, ethnische Herkunft, Aussehen oder Denkart werden nicht toleriert, anzügliche Bemerkungen oder ein beleidigender Tonfall sind verboten. Die Verhaltensregeln werden oft in Ich-Sätzen und positiv umformuliert und zusammen mit den Lernenden erarbeitet. »Ich respektiere meine Kollegen, meine Kolleginnen und Lehrpersonen.« – »Ich strecke die Hand hoch, wenn ich etwas sagen will.« – »Ich behandle andere mit Respekt.« – »Ich werfe den Müll in den Abfalleimer.« – »Ich spreche die Erwachsenen auf anständige Weise an.« Den Lernenden wird kommuniziert, dass sie diese Regeln zwingend einhalten müssen, wenn sie keine Probleme wollen und damit ein reibungsloser Schulbetrieb möglich ist. Oft hängen sie anschließend zusammen mit Leitbildern an den Schulzimmerwänden oder werden von der Lernenden in einem feierlichen Akt unterschrieben.
Problematik der Regeln
Die Erwartung ist, dass Kinder und Jugendliche Schulhausregeln respektieren, wenn sie immer wieder daran erinnert werden. Dass die Regeln internalisiert und zur Entscheidungsgrundlage der Schüler und Schülerinnen werden. Dass sie sich selbst disziplinieren, wenn sie über die Regeln informiert sind und ihren Sinn einsehen. Diese Vorstellung ist psychologisch naiv. Viele Regeln, die in der Schule festgelegt oder ausgehandelt und kommuniziert werden, lassen einen Interpretationsspielraum zu. Die Lernenden unterschreiben zum Beispiel einen Vertrag, in dem sie sich zu einem respektvollen Umgang miteinander verpflichten. Ob sie wirklich respektvoll miteinander umgehen, ist jedoch offen. Es kann vorkommen, dass sie trotzdem gute Freunde im Stich lassen, eine Kollegin mobben oder gemein sind. Interessanterweise werden sie jedoch immer noch beteuern, dass für sie Respekt wichtig ist, sie haben das Gefühl, dass sie sich loyal verhalten, nicht mobben und freundlich sind. Wort und Handlung stimmen nicht überein, denn das Eingeständnis der Diskrepanz würde persönlichen Stress auslösen. Man müsste sich eingestehen, dass man nicht so erhaben ist, wie man es sich vorstellt. Um diese kognitive Dissonanz zu verhindern, konstruieren die Jugendlichen Entschuldigungen. Sie haben dann den Freund »aus gutem Grund« nicht zum Fest eingeladen, die Kollegin hat sich beim letzten Treffen doof verhalten oder war unehrlich, darum haben sie ihr die Meinung sagen müssen. Die Jugendlichen wollen ihr positives Selbstbild erhalten und den Konflikt mit den bewusst deklarierten Werten vermeiden. Man erfindet eine Ausrede, um nicht mit dem eigenen Schatten konfrontiert zu werden. Regeln, die einen Interpretationsspielraum zulassen, eignen sich sehr gut dazu. »Ehrlichkeit« kann heißen, dass man einer Kollegin mitteilen soll, dass sie eine doofe Kuh ist, und »Respekt«, dass man gegen einen unflätigen Schüler vorgeht. Wenn Regeln einen Interpretationsspielraum zulassen, dann verhalten sich sowohl Jugendliche als auch Erwachsene nach persönlichen Opportunitäten. Die Regel wird beachtet, wenn sie einem nützt, sonst wird sie umformuliert. Diesen Mechanismus gilt es zu beachten, wenn man Schulhausregeln aufstellt. »Ich bin höflich, anständig und rücksichtsvoll.« –»Ich bin einfach normal nett.« – »Ich höre sofort auf, wenn jemand ›stopp‹ sagt.«: Das steht zum Beispiel an den Wänden eines Zürcher Schulhauses. Was aber heißt »normal nett«, was ist höflich, oder wann sollte der andere aufhören? Welche Handlungen können einfach gestoppt werden? Solche Regeln oder Leitsätze lassen einen Interpretationsspielraum zu und können somit, wenn sie einem in die Quere kommen, uminterpretiert werden.
Wegen dieses Täuschungsmechanismus laufen wir Gefahr, Schattenmotive zu übersehen. Wir einigen uns mit den Schülern und Schülerinnen auf der Ebene der Ideale, vermeiden jedoch die Auseinandersetzung mit ihren effektiven Verhaltensweisen. Lernende beteuern dann zum Beispiel, die Stopp-Regel einzusetzen, wenn sie von einem Mitschüler angegriffen werden. In Wirklichkeit provozieren sie einen Kollegen bis zur Weißglut und rufen dann unschuldig »Stopp«, wenn er sich wehren will. Schöne Worte und Leitsätze können manipuliert und mit dem eigenen Fehlverhalten in Übereinstimmung gebracht werden.
1.6 Geschichten als Spielraum über die Regeln hinaus
Schulen sind halbchaotische Institutionen. Sie lassen sich nicht mit einem wirtschaftlich geführten Betrieb vergleichen, wo die Angestellten ausgewählt, speziell trainiert sind und entlassen werden, wenn sie die Anforderungen nicht erfüllen. Schulen haben explizit die Aufgabe, Menschen aus allen sozialen Schichten, mit verschiedensten Biografien und ethnischen Hintergründen zu unterrichten. Was in der Schule abläuft, wird nur zum Teil von den Lehrpersonen erfasst oder kontrolliert. Die Schüler und Schülerinnen setzen ihre eigenen Ziele, sie verfolgen private Interessen und formieren sich zu separaten Untergruppen. Die zusätzliche, spannende Herausforderung ist, dass sich die zu Unterrichtenden in einer anderen Altersphase befinden als man selbst. Lehrpersonen haben es mit Menschen zu tun, die im Leben andere Sorgen, Anliegen und Wünsche haben als die Erwachsenen. Die Lernenden sind in Entwicklung und auf der Suche nach ihrer eigenen Identität. All dies hat zur Folge, dass man als Lehrperson nicht wie in einer Firma Regeln und Bestimmungen erlassen und zwingend einfordern kann. Wir können die Lernenden nicht nur auf Anpassung trimmen, sondern müssen zu ihnen Brücken bauen und uns in ihre Welten einfühlen. Lehrpersonen sind nicht Firmenchefs, die klare Leitlinien setzen und Bestimmungen definieren, sondern sie haben es mit Menschen zu tun, die sich zum Teil nur widerwillig führen lassen, oft verwirrt und noch nicht ganz bei der Sache sind. Die Lernenden entwickeln zudem Codes, die sich von den Regeln, die die Lehrerschaft vertritt, unterscheiden. Lernende verhalten sich deswegen immer ein bisschen renitent. Verhaltensweisen werden von Schülerinnen und Schülern geduldet oder gelten sogar als cool, bei denen die Lehrpersonen sich die Haare raufen. Wenn Lernende mobben, intrigieren, stören oder Pflichten vernachlässigen, dann können wir nicht sicher sein, ob die Mitschüler und Mitschülerinnen dieses Verhalten ebenfalls ablehnen. Zu spät zum Unterricht kommen oder die Aufgaben ignorieren gilt zum Beispiel unter vielen Lernenden als cool und hebt das eigene Prestige in der Klasse. Durch das Zuspätkommen setzt man Zeichen. Wenn wir als Lehrpersonen eine zu enge Normbrille aufsetzen und uns unbedingt mit unseren Ideen durchsetzen wollen, dann drohen wir zu scheitern. Wir entfremden uns von den Schülern und Schülerinnen.
Kinder und Jugendliche brauchen für ihre persönliche Entwicklung Spielraum. Es geht nicht nur um Anpassung, sondern auch um das Ausloten von Grenzen, um Experimente und die Auseinandersetzung mit den Wundern und Verrücktheiten des Lebens. Es muss darum auch möglich sein, Fehler zu begehen, sich schlecht zu benehmen oder frech zu sein, ohne dass gleich der Vorschlaghammer droht. In der Sprache der Psychologie: Der Schatten muss auch seinen Platz haben. Hinter schlechtem Benehmen, Unverschämtheiten und Widerspruch verbergen sich oft Themen, die die Schüler und Schülerinnen faszinieren, für die sie jedoch weder eine Sprache noch einen Raum finden. Wenn die Erziehungspersonen sich als schattenlose Wesen, makellose Vorbilder präsentieren und Nulltoleranz vertreten, dann haben die Schüler und Schülerinnen ein Problem: Die Auseinandersetzung mit den Schattenthemen des Lebens wird ihnen überlassen. Sie müssen mit ihren Ambivalenzen, ihrem Neid, Hass und ihren Aggressionen selbst fertig werden. Da sie nicht einfach »Stopp!« rufen können, wenn sich ihnen eine unangebrachte Fantasie oder eine Aggression aufdrängt, müssen sie selbst eine Antwort finden.
Hier setzt die Bedeutung von Geschichten ein. Geschichten sind ein Weg aus dem Dilemma zwischen den Anpassungsforderungen der Schule und dem Eingehenwollen auf die Bedürfnisse der Schülerinnen und Schüler. Durch Geschichten können Wirklichkeiten in den Unterricht eingebracht werden, die sonst keinen Platz haben. Geschichten eröffnen sowohl für die Lernenden als auch für die Lehrpersonen mentale Räume, in denen man sich mit Themen auseinandersetzen kann, die man sonst aus dem Unterricht ausschließen muss. Voraussetzung ist jedoch, dass die Lehrperson die Rolle der Geschichtenerzählerin oder des Geschichtenerzählers übernimmt. Es gibt verschiedene Gründe, wieso es sich lohnt, in der Schule mit Geschichten zu arbeiten.
TEIL 2
GESCHICHTEN ALS MITTEL DER KLASSENFÜHRUNG
2 — Die psychologische Bedeutung von Geschichten
3 — Geschichten als Denkanstoß
4 — Fazit
2 — Die psychologische Bedeutung von Geschichten
2.1 Eindrücke in einen Zusammenhang stellen und Sinn kreieren
Wir alle leben in und von Geschichten. Mithilfe von Geschichten interpretieren wir Erlebnisse. Eindrücke, Fantasien und Emotionen erhalten eine Bedeutung, wenn wir sie in den Kontext einer Geschichte einordnen oder mit einer Geschichte in Verbindung bringen. Ein Beispiel: Ein Mann nimmt auf einem Barstuhl Platz. Eine schwarze Limousine fährt vor und hält abrupt auf dem gegenüberliegenden Trottoir. Drei Männer mit finsteren Gesichtern und Sonnenbrillen steigen aus dem Auto und schreiten zur Bar. Der Kellner sieht die drei Herren und lässt ein Glas fallen. Wenn wir diese Einzelereignisse hören, werden wir vermuten, dass sie etwas miteinander zu tun haben: der Barbesucher, die drei finsteren Herren und das Missgeschick des Kellners. Die drei Ereignisse könnten jedoch auch keinerlei Zusammenhang haben. Wir projizieren eine Szenerie, durch die einzelne Ereignisse zu einem sinnvollen Ganzen werden. Geschichten liefern uns die Matrix, dank der wir unsere Umgebung oder Mitmenschen verstehen. Natürlich wissen wir oft nicht, ob wir Tatsachen erkennen. Vielleicht wollten die drei Männer in der Bar lediglich Zigaretten kaufen, und dem Kellner fiel das Glas aus der Hand, weil er übermüdet war. Ob wahr oder fantasiert: Dank den Geschichten erhalten Ereignisse im Rahmen eines Zeitkontinuums ein Profil. Sie werden zu etwas Besonderem. Sie bereichern uns und machen das Leben sinnvoll. Dank Geschichten problematisieren, erhöhen oder degradieren wir unsere Umwelt und Mitmenschen.
2.2 Themen werden auf den Tisch gebracht
Geschichten erweitern unseren Horizont. Wir setzen uns mit Themen auseinander, die weit weg sind, tabuisiert werden oder über die es schwierig ist zu reden. Gibt es die wahre Liebe? Welche Werte soll man im eigenen Leben verfolgen? Geld oder Geist? Wieso fasziniert Macht? Die Ereignisse und Handlungen einer Geschichte können eine Reflexion über persönliche Leitlinien oder eigene Werte auslösen. Kindern und Jugendlichen erlauben Geschichten, sich mit Themen auseinanderzusetzen, mit denen sie in ihrem Alter noch nicht vertraut sind. Sie können sich auf Herausforderungen vorbereiten, die im Lehrplan nicht vorgesehen sind.
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