Kitabı oku: «Wandlerin», sayfa 7
Ein Verbündeter

Colorado
Vier Tage war sie jetzt auf der Flucht und obwohl sie seit dem Zusammenstoß auf dem Parkplatz keinen Verfolger hatte ausmachen können, war Karina immer noch unter Hochspannung.
Die Nächte hatte sie vorzugsweise draußen verbracht. In der Nähe von Menschen herrschten zu viele Gerüche, als dass sie rechtzeitig ihre Verfolger gewittert hätte. Das Wetter war zu ihrem Glück warm und trocken genug.
Am liebsten hätte sie jeglichen Kontakt mit Menschen gemieden. Wenn es tatsächlich wieder zu einer Konfrontation kommen sollte, war nicht ausgeschlossen, dass auch Unschuldige zu Schaden kamen. Und das wollte sie auf jeden Fall vermeiden. Doch da war das leidige Problem mit der Verpflegung. Solange sie nicht in direkter Gefahr war, schien es sinnvoll, ihre Vorräte zu sparen. Also nutzte sie jede passende Möglichkeit, um sich mit Kalorien vollzustopfen.
Auch jetzt saß sie in einem kleinen Restaurant am Stadtrand und verputzte bereits ihr drittes Steak. Die fassungslosen Blicke der Bedienung ignorierte sie. Sie hatte schnell bemerkt, dass ihr Körper seit der Wandlung deutlich mehr Kalorien verlangte als vorher. Ihr Stoffwechsel war offenbar sehr hoch und körperliche Anstrengung verstärkte das noch. Normalerweise konnte sie das kaschieren, indem sie ständig kleine Mahlzeiten zu sich nahm. Doch im Moment war sie froh, wenn sie zweimal am Tag die Gelegenheit zum Essen fand. Also hielt sie sich nicht zurück und hoffte, dass ihr Essverhalten sie nicht verriet.
Der Geruch war so plötzlich hinter ihr, dass sie erstarrte. Bevor sie reagieren konnte, schob sich eine Gestalt in ihr Blickfeld und setzte sich ihr gegenüber.
Karina blinzelte. Sie war sich sicher, den Mann vor ihr noch nie gesehen zu haben. Angst kroch in ihr hoch, doch bevor sie aufspringen konnte, hob er die Hand und lächelte sie freundlich an.
„Bleib. Ich tu dir nichts.“
Etwas in seiner Stimme ließ sie zögern. Er klang tatsächlich nicht bedrohlich. Misstrauisch betrachtete sie ihr Gegenüber.
Der Mann war hochgewachsen, wenn auch nicht viel größer als sie, und schlank. Aber seine Körperspannung verriet, dass er sich zumindest fit hielt. Blaue Augen musterten sie neugierig und Karina musste zugeben, dass dieser Mann verflixt gut aussah. Die blonden Haare waren ordentlich kurz geschnitten und sein Kinn glattrasiert. Gekleidet war er in eine Stoffhose und ein kurzärmeliges, weißes Hemd. Insgesamt wirkte er sehr gepflegt. Und bei weitem nicht so gefährlich wie ihre beiden Verfolger.
Doch er roch nach Asche.
„Was willst du?“, fragte sie schließlich und versucht, ihrer Stimme einen ruhigen Klang zu geben.
„Dich kennenlernen.“
„Ähm, und warum?“
Er lachte leise.
„Nun, kannst du es dir nicht denken? Du bist wie ich. Zum Teil jedenfalls. Und das ist – nun, sagen wir mal, sehr ungewöhnlich.“
Sie schluckte nervös. „Und warum ist das so – ungewöhnlich?“
Er beugte sich vor und fixierte sie mit ernstem Blick.
„Weil du eine Frau bist. Wandler sind normalerweise männlich.“
„Oh.“ War das so? Sie wusste es nicht und das war schlimm genug. „Und – was meinst du mit Wandler?“
Jetzt schien er überrascht zu sein.
„Du kennst den Begriff tatsächlich nicht?“
Sie schüttelte langsam den Kopf.
Er lehnte sich zurück und wirkte nachdenklich.
„Hm, du weißt wohl wirklich nicht viel über uns.“
„Ich weiß gar nichts“, gab sie zu.
„Tja, und das ist das Problem, nicht wahr? Deshalb lässt Hunter dich jagen.“
„Woher weißt du das? Wer ist Hunter?“
Wieder lächelte er.
„Ich kann es dir gerne erklären. Aber ungern hier. Es gibt viel zu viele neugierige Ohren. Aber eines kann ich dir versichern. Ich gehöre nicht zu Hunter. Und ich bin überhaupt nicht damit einverstanden, wie er dich jagen lässt.“
Das hörte sich zunächst gut an. Doch konnte sie diesem Fremden trauen?
„Wie hast du mich gefunden?“
„Nun, zunächst habe ich diverse Informationsquellen, die mir verraten haben, wo du möglicherweise zu finden bist. Und dann hatte ich vermutlich einfach nur Glück, dass ich deinen Verfolgern zuvorgekommen bin.“
Das ließ Karina ängstlich zusammenfahren. „Du meinst, sie sind nicht weit weg?“
„So ist es. Inzwischen haben sie noch Wölfe im Team, und Wolfsnasen sind echt eine Plage. Die schüttelt man nicht so leicht ab.“
„Wölfe!“
Karina schluckte. Sie ahnte, was für Wesen er meinte. Ob das die beiden Männer von der Tankstelle waren? Doch eigentlich hatten diese ganz harmlos gewirkt.
Nervös sah sie zur Tür.
Der Mann lächelte spöttisch.
„Glaub mir, wenn sie hier wären, hättest du es schon mitbekommen. Die sind nicht zu übersehen.“
„Wirst du ... wirst du mich verraten?“
„Süße, das ist nicht dein Ernst. Ich habe doch gerade schon gesagt, dass ich Hunters Vorgehensweise nicht gutheiße. Das Letzte was ich will, ist, dass er dich in seine Klauen bekommt. Hunter ist ein ausgesprochen gnadenloser Mann. Ehrlich gesagt halte ich ihn für den schlimmsten Despoten aller Zeiten. Wer nicht nach seiner Pfeife tanzt, wird eliminiert, so einfach ist das. Und Wölfe sind auch nicht viel besser. Diese blutrünstigen Biester sind die geborenen Jäger. Und du kannst dir vielleicht vorstellen, was die mit ihrer Beute anstellen, wenn sie sie einmal gepackt haben.“
Das konnte und wollte Karina erst gar nicht. Der Mann hatte sehr leise gesprochen und brach ab, als die Bedienung wieder an den Tisch trat, um die leeren Teller abzuräumen. Erst als die Frau wieder verschwunden war, beugte er sich vor.
„Komm mit mir! Ich verspreche dir, die Kerle kriegen dich nicht. Vertrau mir!“
Noch zögerte Karina. Dieser Mann behauptete zwar, dass er ihr helfen wollte, aber sie kannte ihn nicht. Allerdings wirkte er ehrlich und schien bereit zu sein, ihr Informationen über diese bedrohlichen Kreaturen zu geben.
Letzteres gab den Ausschlag. Es war immer gut, mehr über seine Gegner zu wissen, und hier bot sich vermutlich ihre einzige Chance.
„Also gut“, nickte sie und wagte ein zaghaftes Lächeln. „Ich gehe mit dir. Verrätst du mir auch deinen Namen?“
Er grinste jetzt breit und zufrieden.
„Javier. Javier Baird. Eine gute Entscheidung. Du wirst es nicht bereuen.“
Das hoffte sie selbst.
Javier Baird führte sie zu seinem Wagen. Karina war beeindruckt. Offenbar hatte ihr neuer Bekannter einen kostspieligen Autogeschmack. Er fuhr einen fetten Porsche, so viel erkannte sie. Mit Autos kannte sie sich nicht aus, aber dass dieses Modell teuer war, konnte selbst sie erkennen.
Er hielt ihr die Beifahrertür auf und schob sich dann elegant hinters Steuer.
„Wo fahren wir hin?“, fragte Karina.
„Erst mal weiter nach Westen. Ich kenne da ein abgelegenes Hotel, wo wir Unterschlupf finden und reden können.“
Das war Karina nur recht. Unterschlupf hörte sich gut an und reden noch besser. Sie brannte darauf, mehr über Wandler und Wölfe zu erfahren. Und über Javier Baird, der so erschreckend normal wirkte. Auch wenn er es wohl nicht war.
Das Hotel war gewöhnungsbedürftig und nicht sehr komfortabel, aber Karina beschwerte sich nicht. Immerhin verlangte er kein Doppelzimmer. Dafür waren die nebeneinanderliegenden Einzelzimmer über eine Tür miteinander verbunden.
Karina überlegte, warum sie das beruhigend fand. In den letzten Jahren hatte sie immer auf sich selbst aufpassen müssen. Die Möglichkeit, dass ihr jemand zu Hilfe eilen konnte, war - erleichternd. Angenehm. Wohltuend.
Sie hockten sich in seinem Zimmer an einem kleinen Tisch nieder und genossen ein reichhaltiges Abendessen, das Javier Baird kurzerhand nach oben bestellt hatte.
Es war seltsam, mit anzusehen, dass er anscheinend den gleichen Appetit in sich trug wie sie.
„Bist du ... bist du wirklich wie ich?“, fragte sie schließlich leise.
Javier stockte beim Essen und sah hoch. Dann nickte er und hob die Hand. Vor ihren Augen formte sie sich zu einer bedrohlichen Klauenhand. Ihr bekannte rote Muster tanzten auf seiner Haut und als sie aufsah, blickte sie in flammendgelbe Augen.
Sie schluckte unwillkürlich. Mehr Beweise waren wohl nicht nötig.
„Aber – was sind Wandler? Warum gibt es sie? Wie sind sie entstanden? Warum – warum bin ich auch so?“
Javier zuckte mit den Schultern.
„Wie wir entstanden sind? Evolution? Genetik? Mutation? Keine Ahnung. Es gibt Wandler jedenfalls schon sehr lange. Und wie du zu deinen Fähigkeiten gekommen bist, welche auch immer das sein mögen ... Nun, das weißt du vermutlich besser als ich. Über die ganze Sache ist striktes Redeverbot verhängt worden. Nur wenige wissen darüber Bescheid. Alles was ich weiß ist, dass man an dir herumexperimentiert hat. Und es geht das Gerücht um, dass du nicht nur Wandlerfähigkeiten in dir trägst, sondern auch Wolfs- und Hexengaben.“
Karina sah ihn entgeistert an.
„Sagtest du gerade Hexengaben? Hexen gibt es auch?“
Er lachte mitleidig.
„Du weißt wirklich nichts. Aber gut, das können wir ja ändern. Hexen gibt es jede Menge, und ehrlich gesagt kann ich dir nur raten, einen großen Bogen um sie zu machen. Diese Weiber sind hochgradig verrückt. Wenn sie der Meinung sind, dass du Hexenfähigkeiten besitzt, werden sie alles daran setzen, dich einzufangen und dazu zu bringen, ihrem Kreis beizutreten. Fügst du dich nicht, bist du tot.“
„Das ...“ Karina schüttelte unwillkürlich den Kopf. „Aber das ist doch nicht in Ordnung. Man kann doch niemanden dazu zwingen.“
Er lachte trocken auf.
„Man nicht, Hexen schon. In einem Punkt haben sie natürlich recht. Hexen, die unerkannt und unausgebildet durch die Gegend laufen, können durchaus gefährlich sein. Und vor allem könnten sie mit ihrer Magie dazu beitragen, dass Menschen auf sie aufmerksam werden. Und das will niemand von unseren Völkern. Weder Hexen noch Wölfe, Vampire oder Wandler. Wir sind alle daran interessiert, dass Menschen nichts von uns erfahren.“
Das leuchtete Karina sogar ein. Menschen konnten grausam sein, das wusste sie aus eigener Erfahrung. Und sie neigten nun mal dazu, allem Fremden und Andersartigen mit Misstrauen zu begegnen. Evolutionsmäßig war das vielleicht sinnvoll, aber in einer globalen und multikulturellen Welt wirkte diese Denkungsweise eher archaisch. Trotzdem. Karina konnte sich noch sehr genau an die ablehnenden und furchtsamen Gesichter ihrer Mitgefangenen erinnern. Keiner hatte in ihr das gesehen, was sie eigentlich war: ein Opfer krimineller und unmoralischer Experimente.
Und das, obwohl gerade diese Menschen das gleiche Schicksal durchlitten hatten wie sie.
Nachdenklich blickte sie auf ihre Hand und ließ sie zur Klaue werden. Langsam hob sie diese und gewährte Javier einen Blick darauf.
Karinas Klauen waren deutlich größer und länger als seine.
„Wouh“, murmelte er beeindruckt und in seinen Augen entstand ein faszinierter Glanz.
„Ich kann verstehen, dass Menschen vor mir Angst haben“, sagte sie leise. „Ich bin ein Monster. Sogar andere Monster hatten Angst vor mir. Vielleicht wäre es tatsächlich besser, wenn es mich nicht mehr gäbe. Darüber habe ich schon oft nachgedacht.“
„Und warum sitzt du dann hier?“, fragte Javier ebenso leise.
„Vielleicht weil ich feige bin. Zu feige, mich selbst umzubringen. Aber ehrlich gesagt will ich noch nicht sterben. Ich will einfach nur ein normales Leben führen. Ohne Gewalt und Schmerz.“
Javier legte seine Hand auf ihre Klaue.
„Das verstehe ich, aber sehr viel Hoffnung kann ich dir da nicht machen. Du bist kein Monster. Du bist eine Wandlerin. Und noch dazu eine mit besonderen Fähigkeiten. Ein normales Leben wirst du daher nie haben. Und Gewalt liegt in der Natur unseres Volkes. Einige von uns schaffen es, sich zu kontrollieren, doch die meisten geraten immer wieder in Auseinandersetzungen.“ Er grinste ihr entschuldigend zu. „Umso interessanter finde ich es, dass du dich bisher so gut verborgen halten konntest. Hattest du nie Schwierigkeiten? Von dem letzten Fall mal abgesehen?“
Karina schüttelte den Kopf.
„Nein“, sagte sie leise. „Ich meine, ein paarmal musste ich Männer abwehren, die zudringlich wurden. Aber ich konnte immer entkommen.“
Er wirkte eher ungläubig.
„Du bist nie ausgeflippt? Und hast dich dabei gewandelt?“
„Naja.“ Karina zögerte. „Ich rege mich manchmal schon recht schnell auf. Aber bisher konnte ich mich immer rechtzeitig zurückziehen. Ich weiß ja, dass eine Wandlung in der Öffentlichkeit nicht ratsam ist. Und ich will auf keinen Fall jemandem Angst einjagen oder gar verletzen.“
„Hm.“ Er wirkte nicht überzeugt, bohrte aber nicht nach. „Wie sieht es mit deinen Fähigkeiten aus? Beherrschst du Tarnung?“
„Irgendwie schon – denke ich. Aber ich weiß natürlich nicht, wie weit es überhaupt möglich ist, unsichtbar zu werden.“
Er grinste. „Also mit dem entsprechenden Training wird dich niemand sehen. Wandler natürlich ausgenommen.“
„Also ist es normal, dass ich Wärmebilder wahrnehme?“
Jetzt klappte ihm der Mund auf.
„Wärmebilder? Du siehst im Infrarotbereich? Verdammnis, das ist – neu.“
Karina war sich nicht sicher, ob ihr das gefiel. Aber viel wichtiger war ihr etwas anderes.
„Hab ich das richtig verstanden, dass Wandler einander sehen können, auch wenn sie sich – äh – tarnen?“
Javier nickte abwesend.
„Ja, wir haben wohl eine spezielle Ausstrahlung, Ausdünstung, was auch immer. Du wirst immer wissen, ob ein Wandler neben dir steht oder nicht. Aber Wärmebilder können wir normalerweise nicht erkennen. Wie sieht es mit deinen anderen Sinnen aus?“
„Sie sind besser als vorher.“
„Um wieviel besser?“
Karina zögerte. War es klug, diesem Mann alles zu verraten?
„Karina“, drängte er. „Du kannst mir wirklich vertrauen. Aber wenn wir deine Verfolger abhängen wollen, muss ich wissen, was du für Fähigkeiten besitzt.“
Also gut. Karina atmete tief durch.
„Ich höre und rieche sehr viel besser. Sogar besser als ich sehen kann.“
„Hast du irgendwann mal Dinge bewirkt, die dir seltsam vorkamen?“
„Du meinst, ob ich gehext habe? Nein!“
Das kam entschlossen. Sie konnte sich wirklich nicht entsinnen, jemals Ungewöhnliches bewirkt zu haben. Aber sie war auch immer damit beschäftigt gewesen, ihre neuen Fähigkeiten zu kontrollieren und unauffällig zu bleiben.
„Schade“, murmelte er. „Hexerei könnte uns tatsächlich helfen. Aber gut. Infrarotsicht ist vielleicht schon ein entscheidender Vorteil.“
„Ich will nicht kämpfen“, flüsterte Karina.
Er streichelte beruhigend über ihre Hand, die wieder normal aussah.
„Ich auch nicht“, versicherte er ihr. „Zumal deine Verfolger in der Überzahl sind. Und von Erdil weiß ich, dass er einer der besten Kämpfer von Asher Hunter ist. Es wäre nicht ratsam, ihm über den Weg zu laufen. Und Kriegerwölfe sind leider echte Kampfmaschinen. Die kennen nichts anderes. Also sollten wir ihnen möglichst aus dem Weg gehen.“
Karina war alles andere als beruhigt, versuchte aber, sich nichts anmerken zu lassen. Noch immer fragte sie sich, warum ihr dieser Wandler helfen wollte. Immerhin lief er ja in Gefahr, ebenfalls angegriffen zu werden. Aber sie wagte es noch nicht, nachzufragen. Sie wollte ihn nicht vertreiben. Er war die erste Person, mit der sie ehrlich reden konnte. Der Erste, der bereit war, ihr zu erklären, in was sie da hineingeraten war. Und das war ein gutes Gefühl. Eines, das sie nicht so schnell verlieren wollte.
„Vielleicht sollten wir jetzt schlafen“, schlug Javier vor. „Morgen früh überlegen wir, wie es weitergeht.“
Karina stimmte zu. Die Aussicht, wieder in einem Bett zu schlafen, war sehr verlockend. Und Javier schien es ehrlich mit ihr zu meinen. Vielleicht würde sie zum ersten Mal seit Tagen wieder durchschlafen können.
Ein Mord
Asher Hunters Haus, Nähe Springfield, Ohio
„Boss, hast Du Zeit? Es ist leider wichtig!“
Rolf Harley, Asher Hunters Berater seit langer Zeit, streckte den Kopf durch den Türspalt und sein Gesichtsausdruck war, vorsichtig ausgedrückt, angespannt.
Asher Hunter sah kurz zu ihm und dann wieder zu den zwei Personen, die vor seinem Schreibtisch standen.
„Dauert es lange?“
„Na ja ...“, Rolf zögerte. „Es geht um Lennart Silver.“
„Ja und? Hat er wieder irgendwelche Beschwerden?“
„Er ist tot.“
Sofort hatte er die Aufmerksamkeit sämtlicher Personen.
Dr. Nathalie Bates und Medon White blickten gleichermaßen bestürzt zu ihm, wohingegen Asher Hunter völlig starr und ohne die Miene zu verziehen, sitzen blieb.
„Komm rein“, befahl er schließlich. „Was weißt du?“
Rolf schloss hinter sich die Tür und näherte sich dem Schreibtisch.
„Fabian Evans rief gerade an. Silvers rechte Hand. Er hat Silver in seiner Bibliothek gefunden. Jemand hat ihm von hinten das Hirn weggeblasen und ihn anschließend geköpft.“
„Fuck“, murmelte Medon. „Da war dieser Jemand besonders gründlich.“
„Wann ist das passiert?“, hakte Asher nach.
„Vermutlich gestern, aber so genau wusste Evans das nicht. Er hat ihn zum letzten Mal vor drei Tagen gesehen. Silver schließt sich wohl gerne in seiner Bibliothek ein, wenn er Ruhe haben will.“
Asher überlegte kurz. „Ich habe vor zwei Tagen mit ihm telefoniert. Wer war noch im Haus?“
Rolf hob die Schultern. „White war nicht sehr informativ. Er klang ziemlich durcheinander.“
Asher nickte. Damit war dieser Wandler vermutlich nicht alleine. Zu Lennart Silvers Haus gehörten fünfzehn weitere Personen. Sie wohnten nicht alle auf Silvers Anwesen, doch mit Sicherheit würden sie jetzt zusammenkommen. Und fünfzehn Wandler auf engem Raum ohne stabilen Anführer – das war keine gute Idee.
Für einen Moment schloss er die Augen. Hätte Silvers Mörder nicht noch ein paar Tage warten können? Zumindest so lange, bis das Problem Karina Wells gelöst war?
„Ich muss hin“, knurrte er. „Medon, wir diskutieren später weiter. Bis dahin passt du auf Sophia auf.“
„Ich ...“
„Hier! In diesem Haus!“
Man sah Medon an, dass er sich sehr zurücknehmen musste, um seinen Ärger nicht laut auszusprechen. Nathalie Bates legte sanft eine Hand an seinen Arm.
„Mach dir keine Sorgen, wir regeln das so schnell wie möglich. Und über einen Umzug von Sophia reden wir später. Du weißt, dass ihr zwei meine Unterstützung habt.“
Asher Hunter warf ihr einen äußerst angefressenen Blick zu.
„Das letzte Wort habe immer noch ich“, knurrte er und erhob sich. „Und was soll das heißen: Wir regeln das?“
„Ich fahre natürlich mit dir“, lächelte Nathalie ihn an. „Es geht um Mord und da kannst du jede Gehirnzelle mehr gebrauchen. Zumal du vermutlich eher damit beschäftigt sein wirst, hitzige Gemüter zu beruhigen. – Ich gehe schon mal Koffer packen. Wer soll noch mit? Karl und Louis?“
Asher nickte knapp und schluckte eine ärgerliche Bemerkung hinunter. Inzwischen sollte er sich eigentlich an Nathalies zupackende Art gewöhnt haben. Nun, ehrlich gesagt gefiel es ihm an ihr sogar sehr.
„Gut, ich sag ihnen Bescheid.“ Sie packte Medon am Arm und zog ihn mit sich nach draußen.
Asher trat ans Fenster und sah mit verkniffener Miene in den Garten.
„Tut mir leid, Asher“, meinte Rolf leise. „Er war dein Freund, das habe ich durchaus mitbekommen.“
Asher rührte sich nicht. Schließlich knurrte er leise: „Lennart war eine echte Nervensäge. Ständig hat er sich wegen irgendeiner Nichtigkeit bei mir beschwert. Aber er hat seine Leute im Griff gehabt und war ein hervorragender Chronist. Es wird schwer, einen passenden Nachfolger für ihn zu finden.“
Und das war vielleicht noch untertrieben. Asher kannte unter Silvers Leuten keinen, der stabil genug war, um fünfzehn Wandler zu kontrollieren. Wenn alles schieflief, mussten sie das Haus auflösen und die Mitglieder verteilen. Auch das würde vermutlich mit Verlusten einhergehen. Wandler in eine neue Gemeinschaft einzubringen war nicht einfach. Und manchmal auch unmöglich.
„Du hast ein Auge auf Medon und Sophia“, meinte er schließlich an Rolf gerichtet. „Noch bin ich nicht bereit, dass Sophia zu ihm zieht. Sie ist noch zu instabil und Medon ist zu jung, um das abzufangen.“
Sein Berater nickte verständnisvoll. „Ich kann dich verstehen, Boss. Allerdings ist Medon für sein Alter außerordentlich beherrscht. Mit knapp siebzig war ich deutlich cholerischer als er. Und er liebt deine Tochter.“
Asher entglitt ein frustrierter Schnaufer. Natürlich hatte Rolf recht. Und Nathalie sowieso. Aber der Drang, seine Familie bei sich zu haben, um sie besser schützen zu können, war außerordentlich hoch bei ihm. Höher als bei allen anderen Wandlern, das wusste er. Es wurde Zeit, seinen Sohn Benedict nach Ohio zu holen. Vielleicht würde Sophias kleiner Bruder es ihm erleichtern, Sophia loszulassen.
Er wandte sich entschlossen vom Fenster ab und nickte Rolf zu.
„Wir reisen noch heute ab. Du hältst mich auf dem Laufenden, was Karina Wells und Erdil angeht.“
„Selbstverständlich.“
Silvers Haus, südlich von Lincoln, Nebraska
Sie trafen bereits am frühen Abend auf dem Hauptsitz von Lennart Silver ein.
Fabian Evans erwartete sie schon vor der Haustür. Breitbeinig, mit verschränkten Armen stand er da und wirkte alles andere als begeistert.
Asher ließ sich davon überhaupt nicht beeindrucken. Mit energischen Schritten überwand er die Distanz von der Limousine bis zum Eingang und blieb dann vor Evans stehen.
„Frieden, Fabian“, brummte er dann auf möglichst freundliche Weise. „Wir wollen alle dasselbe.“
Evans blinzelte misstrauisch. „Es geht das Gerücht um, dass du dieses Haus übernehmen willst.“
Asher stieß ein genervtes Schnaufen aus. „Glaubst du wirklich, dass das in meinem Interesse liegt? Mein eigenes Haus ist groß genug. Und niemand kann ernsthaft wollen, dass eures auseinandergerissen wird. Es existiert schon seit über hundert Jahren.“
Mit einer langsamen Bewegung legte er die Hand auf Evans Schulter.
„Frieden, Bruder. Wir werden Silvers Mörder suchen und finden. Genauso wie wir ihn richten werden.“
Fabian Evans wirkte besänftigt und nickte langsam.
„Gut, Ältester. So soll es sein.“
„Sind inzwischen alle anwesend?“
„Fast. Zwei fehlen noch, aber darüber reden wir drinnen.“
Evans wandte sich Nathalie zu und neigte respektvoll den Kopf.
„Dr. Bates. Es ist mir eine Ehre, dich kennen zu lernen. Ich weiß, dass wir Wandler und auch die anderen Völker dir viel zu verdanken haben.“
Asher trat zur Seite, um Nathalie Platz zu machen, die schräg hinter ihm gestanden hatte und nun lächelnd auf Evans zutrat.
„Es ist mir ebenfalls eine Ehre, dieses Haus zu betreten. Ich habe Lennart Silver nur einmal getroffen und er war ein kluger und ehrenwerter Mann. Uns trifft sein Tod tief und wir werden alles dafür tun, dass sein Mörder gefunden und gerichtet wird.“
Asher konnte geradezu sehen, wie Fabian Evans Dr. Nathalie Bates verfiel. Das war natürlich gut und hilfreich für das weitere Vorgehen, doch gleichzeitig spürte er bohrende Eifersucht in sich aufsteigen. Nathalie Bates gehörte ihm!
Demonstrativ legte er seinen Arm um ihre Schulter und nickte Evans zu.
Dieser wich sofort hastig nach hinten aus und wies zum Eingang.
„Seid willkommen.“
*
Ashers erstes Ziel war die Bibliothek. Fabian Evans und Nathalie folgten ihm. Andere Wandler waren nicht zu sehen, aber Asher war sich ihrer Anwesenheit bewusst. Seine Sinne registrierten noch weitere zwölf Männer. Alles Wandler. Offenbar hatten sie sich im Haus verteilt, was im Moment wohl das Vernünftigste war. Das Aggressionspotenzial war zurzeit noch höher als sonst und die Gefahr einer handgreiflichen Auseinandersetzung entsprechend groß.
Evans schloss die Bibliothek auf und sie betraten einen riesigen Raum, der vollgestopft war mit Regalen, die nicht nur an der Wand, sondern auch kreuz und quer verteilt standen. Alle Regale waren dicht gefüllt mit Büchern.
Mitten im Raum, vor einem großen Tisch, lag die schlanke, reglose Gestalt von Lennart Silver.
Jemand hatte ein Tuch über seinen Körper gezogen, doch um den Toten herum war der beigefarbene Teppich rot vom angetrockneten Blut.
Asher hockte sich nieder und zog langsam das Tuch zur Seite. Silvers Körper lag auf dem Bauch, der Kopf abgetrennt davor. Im Hinterkopf klaffte ein riesiges Loch und gab den Blick auf die zerstörte breiige Gehirnmasse frei. Der Mörder hatte offensichtlich nicht nur einmal geschossen, sondern ein ganzes Magazin in Silvers Kopf versenkt. Das allein war mit Sicherheit schon tödlich gewesen, aber die Abtrennung des Kopfes war definitiv endgültig.
Asher Hunter starrte minutenlang auf den alten Wandler und versuchte, seine Trauer und seinen Zorn in den Griff zu bekommen. Lennart Silver war einer der älteren Wandler gewesen. Sie hatten sich vor über dreihundertzwanzig Jahren kennengelernt. Anfangs mochten sie sich nicht, doch im Laufe der Jahre wuchs der Respekt voreinander und wandelte sich nach und nach in Freundschaft um.
Lennart war der Historiker unter den Wandlern gewesen und hatte alles über ihre Art zusammengetragen, was er finden konnte. Dafür war er weltweit unterwegs gewesen und kannte fast jedes Wandlerhaus. Er war auch einer der wenigen, die Asher dabei unterstützten, noch unbekannte, sogenannte „wilde“ Wandler aufzuspüren und in die passenden Häuser zu integrieren.
Asher würde ihn vermissen. Sehr sogar.
Schließlich stand er auf und nickte Nathalie zu, die sich bisher zurückgehalten hatte. Zögernd trat sie näher, um ebenfalls die Leiche zu betrachten.
Nach einiger Zeit sah sie sich weiter um. Asher ließ ihr freie Hand. Wenn jemand etwas Ungewöhnliches entdecken und in einen Zusammenhang mit Silvers Tod bringen konnte, dann war es Dr. Nathalie Bates. Er hatte noch nie zuvor eine so intelligente Person getroffen. Ihre analytischen Fähigkeiten waren außergewöhnlich und sie hatte ihm in den letzten Jahren mehr als einmal aus der Bredouille geholfen.
Dass sie sich für ihn entschieden hatte, wenn auch anfangs nicht freiwillig, erfüllte ihn immer noch mit tiefer Zufriedenheit.
Jetzt wanderte sie langsam im Raum herum und betrachtete den Tatort aus allen Perspektiven. Dabei wirkte sie hochkonzentriert.
Asher wandte sich an Fabian. „Was hast du in die Wege geleitet?“
„Dr. Smith hat Lennarts Tod bereits offiziell registriert. Demnach ist er an einem Herzinfarkt gestorben. Für die Verbrennung ist alles vorbereitet. Wir haben nur noch auf dich gewartet.“
Asher nickte zufrieden. Verbrennen war die übliche Art, tote Wandler verschwinden zu lassen. Niemand von ihnen hatte Interesse, dass neugierige Augen die Überreste eines Wandlers untersuchten. Leichen konnte man exhumieren und aufschneiden. Asche war deutlich weniger informativ.
„Kann man Dr. Smith trauen?“
„Er gehört zum Kansas-Rudel.“
Asher hob fragend die Augenbrauen.
Fabian zeigte ein schräges Lächeln.
„Eigentlich heißt er Eli Pickett. Er musste vor einigen Jahren aus Altersgründen den Standort wechseln. Seitdem arbeitet er ab und zu für uns.“
Standortwechsel waren das gängige Verfahren unter Wölfen und Wandlern, um das Nichtaltern vor Menschen geheim zu halten. Standortwechsel für mindestens zwanzig Jahre und parallel dazu ein Namenswechsel. Von den Wölfen wusste Asher, dass sie zu diesem Zweck in Nachbarstaaten kleine Zweitrudel besaßen. Üblicherweise wanderten die Wechsler nach ihrer Auszeit wieder ins ursprüngliche Rudel zurück. Wandler hatten es da einfacher. Sie lebten noch abgeschotteter als Wölfe und meistens alleine. Es gab nur wenige von ihnen, die es auf Dauer miteinander in einem Haushalt aushielten. Daher fiel ihnen ein Standortwechsel leichter.
„Weiß Dylan Mason, dass Dr. Smith Kontakt mit euch hat?“ Das würde Asher wundern. Er wusste von dem Rudelführer des Kansas-Rudels, dass dieser Wandler auf den Tod nicht ausstehen konnte. Zudem war er ein rechthaberischer Tyrann. Asher verbiss sich ein Grinsen, als ihm einfiel, dass Nathalie ihn selbst nicht nur einmal genauso bezeichnet hatte.
„Nein“, kam die Antwort. „Eli hält aus eigenem Interesse darüber den Mund. Für einen Wolf ist er ganz okay. Lennart mochte ihn sogar.“
Das war eher erstaunlich. Bisher hatte zumindest Lennart immer eine ausgesprochene Abneigung gegenüber Wölfen gehegt. Anscheinend kannte er seinen alten Freund doch nicht so gut. Und jetzt war es zu spät dafür, ihn besser kennenzulernen.
„Hat Dr. Smiths Nase irgendetwas ungewöhnliches gerochen?“
„Er sagte, dass in den letzten Tagen nur Wandler hier im Haus ein- und ausgingen. Und hier im Raum waren außer Lennart noch sechs andere Personen. Genaueres konnte er nicht riechen. Irgendjemand, vermutlich der Mörder, hat hier eine Mischung aus Essig, Zitrusöl und Pfeffer versprüht. Eli hatte es eher eilig, den Raum zu verlassen.“
Das konnte Asher verstehen. Ihm selbst war diese Mischung auch in die Nase gedrungen. Sie war ihm unangenehm, doch für Wölfe war sie mit Sicherheit unausstehlich. Also schieden Wolfsnasen als Hilfe schon mal aus.
„Sobald die Leiche abgeholt wurde, möchte ich mit allen sprechen. Ich nehme an, dies hier ist der größte Raum?“
Fabian nickte.
„Gut, dann lass ihn reinigen und danach findet das Treffen statt.“
Es kam kein Widerspruch. Fabian Evans hatte inzwischen geschluckt, dass Asher das Sagen hatte. Diese Akzeptanz würde alles Folgende erheblich erleichtern. Asher war zufrieden.
Kurze Zeit später betraten er und Nathalie das Gästezimmer, in dem sie untergebracht waren. Es war groß und wirkte gemütlich. Das Mobiliar trug Spuren vieler Jahre, doch es war gepflegt. Lennart Silver war nie ein Mann gewesen, der mit seinem Vermögen protzte. Niemand hatte ihm angesehen, dass er ein schwerreicher Mann war.
Asher selbst legte deutlich größeren Wert auf sein Auftreten. Aber er stand durch seine Geschäfte auch mehr in der Öffentlichkeit als andere Wandler. Und er besaß sehr viel mehr Macht, als die meisten vermuteten. Geld war da natürlich hilfreich. Es half, die Aufmerksamkeit von Dingen abzulenken, die geheim bleiben mussten. Und es half ebenso, die öffentlichen Medien trotz seiner geschäftlichen Tätigkeiten, weitgehend fernzuhalten. Er lebte schon seit sehr langer Zeit mit dieser Gratwanderung – und er mochte sie.
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