Kitabı oku: «Fünfzehn Hunde», sayfa 3

Yazı tipi:

Ich verstehe, sagte Majnoun. Mir geht es genauso. Aber wir müssen es ertragen, weil wir den Dingen in unserem Kopf nicht entrinnen können.

Da bin ich anderer Meinung, sagte Atticus. Mit den anderen zusammen sein heißt frei von sich selbst sein. Es gibt keinen anderen Weg. Wir müssen zu den alten Gewohnheiten zurückkehren.

Wenn wir sie denn finden können, sagte Majnoun.

In dem Moment tauchten Frick, Frack und Max auf. Max sagte:

Die große Hündin ist tot.

Was ist passiert?, fragte Majnoun.

Sie wurde von einem Rudel anderer Hunde angegriffen. Sie sind jetzt in der Nähe unseres Lagers.

Wie viele?, fragte Majnoun.

Viele, sagte Max, aber sie sind nicht so groß wie wir.

Wir müssen unseren Platz verteidigen, sagte Atticus.

Frick und Frack liefen vor Majnoun, Max und Atticus links und rechts neben ihm. Kurz vor dem Waldstück drehten die Brüder sich plötzlich um und attackierten Majnoun ohne Vorwarnung. Max und Atticus machten sofort mit. Die Hunde waren schnell und gnadenlos, und obwohl Majnoun versuchte zu entkommen, hatten sie ihn. Die vier bissen ihn und schlugen ihre Zähne in seine Flanken, seinen Hals, die Sehnen seiner Beine, seinen Bauch und seine Genitalien. Wäre es taghell gewesen, der Anblick des blutenden Hundes hätte die Verschwörer befriedigt. Sie wären vielleicht noch erregter gewesen, so berauschend waren der Geschmack des Blutes und das Adrenalin des Mordens.

Wenn es Tag gewesen wäre und sie etwas weniger aufgeregt gewesen wären, hätten sie sich bestimmt vergewissert, dass Majnoun tot war. Sie fielen über ihn her, bis er keinen Widerstand mehr leistete, bis die Zuckungen seines Körpers aufhörten. Dann ließen sie ihn als vermeintlich tot zurück und liefen in das Wäldchen, um ein neues Leben zu beginnen, das in Wirklichkeit die Obsession war, sie könnten das alte weiterführen.

2
MAJNOUN & BENJY

ALS MAJNOUN AUFWACHTE, war er in einem Haus, das nach Erdnussbutter und gebratener Leber roch. Er lag in einem Weidenkorb, der mit einer dicken, orangefarbenen Decke ausgekleidet war, die nach etwas Süßem und Seifigem und nach Mensch roch. Er versuchte, sich zu bewegen, aber merkte, dass er es nicht konnte. Es war zu schmerzhaft. Sein Bauch war rasiert und er war in weiße Verbände gewickelt, die nach Öl, Pinie und etwas Undefinierbarem rochen. Sein Gesicht juckte, aber sein Kopf steckte in einem Plastikkragen. Das schmale Ende des Kragens war so geschnitten, dass die Öffnung um seinen Hals passte. Das weite Ende ragte hervor wie ein Megaphon. Selbst wenn er sein Gesicht hätte kratzen wollte, er hätte es nicht gekonnt. Auch seine vier Beine waren rasiert und bandagiert. Er hob den Kopf, um besser zu sehen, wo er sich befand, aber er war nirgendwo: ein weißgrauer Raum mit Fenstern, in denen sich ein strahlend blauer Himmel zeigte.

Während des Angriffs auf ihn – an den er sich plötzlich mit einer Lebhaftigkeit erinnerte, die schmerzte – hatte er angenommen, dass die Dunkelheit, in die er fiel, endlos sein würde. In der Zeit, da er frei gewesen war, hatte er sich Gedanken über den Tod gemacht und in jenem Moment geglaubt, seine Stunde sei gekommen. Der weißliche Raum schien zu beweisen, dass er noch am Leben war, und unerwartet überfiel ihn Enttäuschung. Wozu weiterleben nach dem, was er durchgemacht hatte?

Da er wissen wollte, wo er war, hob Majnoun seinen Kopf höher. Er versuchte, sich bemerkbar zu machen, aber seine Stimme klang leise und matt, und selbst das zaghafte Bellen tat weh.

Hinter ihm war das dumpfe Geräusch von Schritten zu hören.

Er ist wach, sagte eine Stimme.

Und das Gesicht eines Mannes verdunkelte den Raum.

Wie fühlst du dich?, fragte der Mann.

Das Gesicht einer Frau drängte das Gesicht des Mannes aus Majnouns Blickfeld.

Du hast so viel Glück! So viel Glück! Wer ist der Glückliche, hä? Wer ist der Glückliche?

Ich glaube nicht, dass er in nächster Zeit fähig sein wird, aufzustehen, sagte der Mann. Ob er wohl hungrig ist?

Hungrig war ein Wort, das Majnoun gut kannte. Seine eigene Sprache benutzend, schnalzte und winselte er und bellte schwach die Worte, die bedeuteten, dass er tatsächlich hungrig war.

Ich weiß, du hast Schmerzen, Junge. Bleib ganz ruhig, sagte die Frau.

Dann zu dem Mann:

Ich denke, er ist zu schwach, um etwas zu essen.

Schon möglich, sagte der Mann, aber sehen wir mal.

Der Mann verließ den Raum und kam mit einem Teller mit weißem Reis und gehackter Hühnerleber zurück. Er stellte ihn vor Majnoun hin (es roch göttlich!), öffnete den Plastikkragen und schaute zu, wie Majnoun sich vorsichtig zu dem Teller bewegte – ohne aufzustehen – und mit einer seitlichen Bewegung seiner Zunge ein bisschen von dem Essen zu sich nahm.

Ich habe mich wohl geirrt, sagte die Frau.

Warum gibst du ihm keinen Namen?

Du denkst, wir sollten ihn behalten?

Warum nicht? Wenn es ihm erst einmal besser geht, kann er dir tagsüber Gesellschaft leisten.

Okay. Warum nennen wir ihn nicht Lord Jim?

Du willst ihn nach dem langweiligsten Buch der Welt benennen?

Wenn ich das wollte, würde ich ihn Golden Bowl rufen.

Während Majnoun dem Lärm lauschte, den die Menschen machten, erinnerte er sich daran, wie unvorhersehbar ihre Geräusche waren. Als er bei seiner Familie lebte, machten die Menschen zahllose Geräusche, von dem keines irgendetwas mit ihm zu tun hatte. Und dann kam plötzlich aus dem Nebel belanglosen Lärms etwas Bedeutungsvolles: Zum Beispiel wurde sein Name gerufen, ein Napf mit Futter, das er für später aufgehoben hatte, wurde weggenommen, oder eine Türglocke läutete, jemand rief, und er, eindeutig der einzige, der sich um diese sporadischen Invasionen ihres Territoriums kümmerte, musste den Eindringling anbellen oder ihn anspringen, um sicherzustellen, dass er für niemanden von ihnen eine Bedrohung war.

Als Majnoun den Reis und die Leberstückchen fraß, behielt er die beiden Menschen im Auge, bereit, schneller zu fressen, falls sie nach dem Teller griffen.

Was für ein guter Esser!, sagte die Frau. Was für ein guter Hund!

Dann legte sich Majnoun erschöpft in den Weidenkorb zurück. Er ließ es zu, dass der Mann ihn mit einem übel riechenden Zeug einrieb und den Plastikkragen wieder zumachte. Als sie ihn verließen, war er schon eingeschlafen.

Sechs Monate vergingen, bevor Majnoun nur wenige Minuten aufstehen konnte. Selbst dann konnte er das Hinterbein nicht benutzen, dessen Sehnen am schwersten verletzt waren. Lange Zeit hatte er eigentlich nur drei Beine. Auch war es demütigend, nicht in der Lage zu sein, draußen zu pissen und zu scheißen. Die Menschen machten es noch schlimmer, indem sie ihm Windeln anzogen. Sie wechselten sie regelmäßig, aber nicht immer so schnell, wie er es sich gewünscht hätte.

In den langen Monaten seiner Gesundung hatte Maj­noun kaum mehr zu tun als in seinem Bett zu liegen und über das Leben nachzudenken: sein Leben, das Leben im Allgemeinen. Das bereitete ihm Pein, weil seine Gedanken unweigerlich zu jener Nacht des Verrats zurückkehrten. Er war von dem Hund mit dem zerknautschten Gesicht betrogen worden. Er hatte ganz offen und ehrlich mit ihm gesprochen, und aus einem Gefühl der Brüderlichkeit war es ihm schwergefallen, sich auszudrücken. Als Dank dafür war der Hund mit dem Knautschgesicht unter denen, die beabsichtigt hatten, ihn zu töten. Und doch schien es Majnoun manchmal, dass die anderen recht gehabt hatten, ihn zu attackieren. Er hatte sich so weit von seinen Instinkten entfernt, dass es nicht mal ihm selbst mehr klar war, ob er es noch verdiente, als Hund zu leben.

Monatelang waren das Einzige, was ihn von diesen manchmal schmerzlichen Gedanken ablenkte, die Menschen. Sie faszinierten und frustrierten ihn gleichermaßen. Was würde er sagen, wenn man ihn aufforderte, sie zu schildern? Wo würde er beginnen? Wie zum Beispiel könnte er ihre Gerüche bestimmen? Komplex: Lebensmittel und Schweiß, dazwischen unbekannte Gerüche. Meist rochen sie nach ungewöhnlichen Dingen, aber der menschliche Geruch, den er am meisten mochte, war der, wenn sie sich paarten. Er war scharf und echt und beruhigend, so dass er in manchen Nächten, nachdem sie seinen Korb in ihr Schlafzimmer gebracht hatten, friedlicher schlief; der Geruch der Kopulation diente als eine Art Beruhigungsmittel.

Allmählich lernte er auch mehr über ihre Sprache. Erst einmal nahm er die Feinheiten der Töne wahr. So sprach etwa einer zu dem anderen mit ansteigender Stimme, und dann konnte man die Erwartung spüren, bis der Angesprochene etwas erwiderte. Der Ton schien wichtiger zu sein als die Worte. Und es war immer ein wenig eigenartig, wenn sie den anschwellenden Ton ihm gegenüber gebrauchten, als ob sie auf eine Erwiderung warteten, als ob sie von ihm erwarteten, dass er versteht.

Hast du Hunger, Jimmy?

Möchtest du nach draußen gehen, Jim?

Friert Jim? Ist dir kalt, Lord Jim?

Majnoun war fasziniert vom Tonfall der Stimmen, und tatsächlich war es diese Faszination, die zum ersten erns­ten Zwischenfall mit der Frau führte, die die meiste Zeit mit ihm verbrachte. Sie schien interessierter an seiner Gesellschaft zu sein. Immer wieder trug sie seinen Korb vom Schlafzimmer in ein Zimmer mit einem großen Schreibtisch. Dort verbrachte sie Stunden und stand nur auf, um sich zu strecken, mit ihm zu sprechen oder eine Tasse aus der Küche zu holen. Eines Tages stand sie auf, reckte sich, lief hinüber zu dem Korb, kraulte Majnouns Kopf und sagte:

Bist du hungrig, Jim? Möchtest du ein Gutti?

Majnoun dachte kurz nach und sagte dann:

Ja.

Obwohl der Laut Ja für ihn nicht leicht hervorzubringen war, hatte er ihn für sich geübt, zusammen mit dem Laut Nein und zahlreichen anderen wichtigen Wörtern. Er hatte auch das Nicken geübt, um Zustimmung anzuzeigen, und das Schütteln seines Kopfes von links nach rechts, um Widerspruch zu signalisieren. Als die Frau fragte, ob er ein Leckerli wollte, war er nicht sicher, was effektiver war: das Nicken oder das gesprochene »Ja«. Nachdem er »Ja« gesagt hatte, war er für ein paar Augenblicke immer noch unsicher, weil die Frau sich nicht bewegte und ihn anstarrte. Verwirrt von ihrer Reaktion, schaute Majnoun ihr in die Augen, nickte und sagte dann wieder:

Ja.

Die Frau atmete plötzlich schneller, dann fiel sie zu Boden. Mehrere Minuten lang rührte sie sich nicht. Unsicher, was von ihm erwartet wurde – nie zuvor war ihm diese jähe menschliche Bewegungslosigkeit begegnet –, senkte Majnoun seinen Kopf, leckte das Fell auf seiner Pfote und wartete auf das, was geschehen würde. Nach einer Weile rührte sich die Frau und murmelte vor sich hin. Dann stand sie auf. Vielleicht, dachte Majnoun, ist sie nicht sicher, ob sie mich richtig verstanden hat. Er schaute zu ihr hinauf, nickte und sagte:

Gutti.

Diesmal schrie sie auf und rannte in panischer Angst aus dem Zimmer. Majnoun kam der Gedanke, dass das, was er für einfach gehalten hatte – der ansteigende Ton, die angemessene Antwort –, eine kompliziertere Transaktion war, als er vermutet hatte. Von dem Mann war die Frau nicht weggerannt, wenn er das Wort Ja oder das Wort Gutti sagte. Vielleicht, dachte er, gab es irgendwelche subtile Begleittöne, die er ausgelassen hatte: ein Schnalzen der Zunge, ein Jaulen oder ein kurzes Knurren. Sehr oft legte der Mann einen Arm um ihre Schulter, wenn er redete. Vielleicht hätte er sie anstupsen sollen, bevor er »Ja« sagte?

Nächstes Mal, dachte Majnoun, werde ich ihre Schulter berühren, wenn sie sich zu mir herunterbeugt.

Was folgte, war jedoch so unangenehm, dass es für lange Zeit kein »nächstes Mal« geben sollte. Die Folge seines Sprechens waren klar: Die Frau hatte nun Angst vor ihm. Sie betrat kein Zimmer mehr, in dem er sich gerade befand. Dann brachte der Mann Majnoun zu einem Ort, wo er über Nacht blieb. Am folgenden Tag wurde Majnoun gestupst, geknufft, gepiekt, mit Fressen gefüttert, das nicht richtig schmeckte, und zur Beobachtung in einem Käfig neben anderen Hunden eingesperrt, die auf seinen Geruch aggressiv reagierten. So waren die Menschen, diese Unberechenbarkeit, dieses grausame Verhalten und Schikanieren. Das Schlimmste dabei war, dass er in seinem geschwächten Zustand nicht die Tür zu dem Käfig öffnen konnte. Er hatte keine andere Wahl, als sich seinem Schicksal zu ergeben.

Das Ganze erteilte ihm eine gute, wenn auch unerwartete Lektion. Er hätte gewiss versucht, mit Katzen oder Eichhörnchen, Mäusen oder Vögeln, ja mit jeder Spezies zu kommunizieren, hätte er ihre Sprache verstehen können. Doch von da an beschloss er, seine Kenntnis der menschlichen Sprache vor Menschen zu verbergen. Es war offensichtlich, dass Menschen, warum auch immer, es nicht ertragen konnten, dass Hunde mit ihnen sprachen.

Am dritten Tag kam die Frau, um ihn wieder abzuholen.

Gerade als Majnoun einschlief – die anderen Hunde hatten die Lust verloren, ihn zu bedrohen –, öffnete sich die Tür zu dem Raum, und die Frau wurde von einem der Männer hereingeführt, die ihn festgehalten hatten, als man ihm Blut entnahm. Der Mann öffnete die Tür zu seinem Käfig, und nicht ohne Beklommenheit folgte Majnoun der Frau nach draußen.

Auf der Straße kam Majnoun der Gedanke, wegzulaufen. Der Abend war einladend. Es war Spätfrühling. Die Sonne war noch nicht ganz untergegangen. Ein rötlicher Streifen lag auf den Gebäuden in der Ferne. Aber natürlich war Majnoun immer noch durch seine Verletzungen, durch den Schmerz beim Laufen gehandicapt. Er hätte nicht lange rennen können, er hätte sich nur erschöpft oder schlimmer noch, sich in einem Territorium verlaufen, das er nicht kannte. Also kletterte er auf den Rücksitz des Autos.

Die Frau setzte sich nicht ans Steuer, sondern nach hinten zu ihm.

Es tut mir leid, dass ich dich zu diesem Ort bringen ließ, sagte sie, aber du hast mir Angst gemacht. Verstehst du?

Dem ergeben, was auch immer kommen würde, aber fest entschlossen, kein menschliches Wort zu sprechen, nickte Majnoun.

Was bist du?, fragte sie. Bist du ein Hund?

Eine überraschend schwierige Frage. Er fühlte sich nicht mehr sehr wie ein Hund. Vielmehr verloren zwischen den Spezies. Aber er wusste, was sie mit dem Wort meinte, und nickte daher wieder.

Du musst verstehen, sagte sie, dass Hunde nie zu Menschen sprechen. Es ist noch nie passiert, soweit ich weiß. Ich dachte, du seiest besessen. Deshalb hatte ich Angst. Wie heißt du?

Das würde Majnoun nicht sagen, nicht nur weil »Maj­noun«, der Name, den ihm sein Herrchen gegeben hatte, schwer auszusprechen war, nicht nur, weil er nicht sprechen wollte, sondern auch, weil es ihm schien, dass er keinen wahren Namen mehr hatte. Er starrte die Frau an, dann schüttelte er den Kopf.

Mein Name ist Nira, sagte sie. Macht es dir etwas aus, wenn ich dich Jim nenne?

Eine unmögliche Frage. Majnoun war sich nicht sicher, was Nira wissen wollte. Akzeptierte er den Namen Jim? Ja, warum nicht? Verspürte er Unmut bei dem Gedanken, dass sie den Namen Jim benutzte, wenn sie ihn meinte? Nein, verspürte er nicht. Er starrte sie an und, das richtige Signal ratend, nickte ihr zu.

Du wirst nie wieder mit mir sprechen, nicht wahr?, fragte Nira.

Eine weitere schwierige Frage. Er beabsichtigte nicht, menschliche Wörter zu benutzen, aber was ihn betraf, so sprach er mit ihr. Diesmal antwortete er nicht. Er schaute hinaus aus dem Fenster auf den lampenbeschienenen Park auf der anderen Seite der Straße.

Schon gut, sagte Nira. Es ist meine Schuld. Du musst nicht sprechen, wenn du nicht willst.

Die ganze Zeit, die sie zusammen verbrachten, bevor Majnoun wieder sprach, bat Nira ihn nie, etwas zu sagen. Tatsächlich bewunderte sie immer mehr seine Stummheit. Majnoun bellte nur selten. Er hielt es für sinnlos, eine Sprache zu benutzen, die, wie er wusste, Nira nicht verstand. Er übermittelte all seine Bedürfnisse und die meisten seiner Gedanken mit einem Nicken oder Schütteln des Kopfes. Als sie vertrauter wurden, benötigte Nira sogar weniger Zeichen von ihm. Sie lernte, seinen Ausdruck, den Zustand seines Körpers, die Neigung seines Kopfes zu lesen.

Im Moment jedoch saßen die beiden auf dem Rücksitz eines Honda Civic, und es sah nicht so aus, als ob sie miteinander so etwas wie »Verständnis« oder »Freundschaft« entwickeln würden. Nira fürchtete sich noch immer vor Majnoun. Schon wahr, er humpelte und war unfähig, länger zu laufen, ohne stehen zu bleiben und sich hinzulegen, und seine Beschränkungen riefen ihr Mitleid hervor. Deshalb hatten sie ihn ja zu sich genommen, nachdem sie ihn halbtot im High Park gefunden hatten. Aber der Gedanke, dass ein intelligentes Wesen in ihrem Haus war, dass sie dieses Lebewesen in ihr Schlafzimmer gelassen hatte, in das Herz ihres Privatlebens … der Gedanke war so erniedrigend, wie er beängstigend war. Es dauerte lange, bis sie diese Gefühle überwand. Majnoun schlief nie wieder in ihrem Schlafzimmer, und sie fühlte eine Verlegenheit, wann immer sie ihn seine Genitalien lecken sah.

Was die beiden einander wieder näherbrachte, das war die Qualität von Majnouns Schweigen. Es war raffiniert, die Art von Schweigen, die zu einer Reaktion auffordert. Anfangs sprach Nira mit ihm über triviale Dinge: die Arbeit, Renovierungen im Haus, die kleineren Ärgernisse des Lebens mit ihrem Ehemann Miguel. Allmählich begann sie, sich für tiefer gehende Themen zu öffnen: ihre Gedanken über Leben und Tod, ihre Gefühle über andere Menschen, ihre Sorgen um ihr Wohlergehen – sie hatte einen Kampf gegen den Krebs überlebt und war manchmal hilflos der Angst vor seiner Rückkehr ausgeliefert.

Obwohl Majnoun weder klüger noch aufgeweckter als sie war, schrieb Nira ihm eine Weisheit zu, die, wie sie vermutete, von seinem einzigartigen Blickwinkel auf die Welt herrührte. Aber sie bedachte nicht, dass Majnouns Sichtweise auch seine Fähigkeit beschränkte, sich ihre Sorgen vorzustellen und zu verstehen. Wenn sie sich etwa darüber beklagte, dass ihr Ehemann furchtbar unordentlich war, dass er die ekelhafte Gewohnheit hatte, seine Fußnägel zu schneiden und die abgeschnittenen Nägel in den Mund zu nehmen, schaute Majnoun sie völlig verwirrt an. Es schien ihm, dass Miguel Recht hatte, sich auf diese Weise zu pflegen. Wollte sie vielleicht selbst Miguels abgeschnittene Nägel kauen, fragte er sich.

Ein anderes Mal, als er in seinem Weidekorb lag, fragte sie:

Glaubst du an Gott?

Majnoun hatte das Wort nie zuvor gehört. Er hatte seinen Kopf geneigt, als wollte er darum bitten, dass sie die Frage wiederholt. Und sie tat ihr Bestes, die Vorstellung hinter dem Wort zu erklären. Wie Majnoun es verstand, schien sich das Wort auf einen »Herrn aller Herren« zu beziehen. Glaubte er an ein solches Wesen? Der Gedanke war ihm nie gekommen, aber er hielt es für möglich, dass es ein solches Wesen gab. Als sie wieder fragte, nickte er also. Dies war nicht die Antwort, die sie wollte.

Wie kannst du an etwas so Lächerliches glauben?, fragte sie. Wahrscheinlich glaubst du auch noch, dass Gott ein Hund ist.

Majnoun glaubte nichts dergleichen. Er glaubte nur, dass der »Gott«, den Nira beschrieben hatte, möglich war, genauso wie er glaubte, dass eine ständig läufige Hündin möglich war. Ein »Herr aller Herren« war eine Idee, aber keine, die ihn betraf, daher konnte er auch Niras Verachtung nicht verstehen. Ähnliche Missverständnisse gab es, als Themen wie »Regierung« (eine Gruppe von Herren, die entscheidet, wie ein Rudel sich verhalten soll) und »Religion« (eine Gruppe von Herren, die entscheidet, wie sich ein Rudel gegenüber einem Herrn der Herren verhalten soll) zur Sprache kamen. Je mehr Nira von diesen Dingen sprach, desto schwieriger war es für Majnoun zu glauben, dass irgendeine Gruppe von Anführern – besonders menschliche – gemeinsam handeln konnten, mit welchem Vorhaben oder Ziel auch immer. So dass schließlich sowohl »Regierung« als auch »Religion« sehr schlechte Ideen zu sein schienen.

Der für beide wohl frustrierendste Moment war, als Nira fragte, ob er je einen anderen Hund geliebt hatte. Wie bei dem Wort Gott hatte Majnoun keine Ahnung, was das Wort Liebe bedeutete. Nira versuchte über mehrere Tage, ihm einen Sinn der Bedeutung des Wortes zu vermitteln, aber Majnoun fand ihre Erklärungen widersprüchlich, frustrierend und vage. Das Wort entsprach keinem Gefühl, das er wiedererkennen konnte, aber ihre Ideen waren interessant genug, um ihn aufmerksam bleiben zu lassen. Nira ihrerseits war überzeugt, dass ein so sensibles Tier wie Majnoun Liebe gefühlt haben musste.

Das Gefühl, das du für deine Mutter hattest, sagte sie, das ist Liebe.

Aber selbst wenn Majnoun seine Mutter je gekannt hätte, wäre es eine zu kurze Bekanntschaft gewesen, um irgendwelche besonderen Gefühle hervorzurufen. Und es gab auch sonst keine Kandidaten für Majnouns Liebe. Sein Herrchen? Sein Herrchen war ein Herr gewesen, und seinem Herrn war man aus Gewohnheit, aus Furcht oder Notwendigkeit treu. Gewiss, Majnoun hatte seine Zeit als Welpe genossen. Er war seinem Herrchen dankbar. Bei dem Gedanken an ihn erinnerte sich Majnoun an Momente purer Freude, wenn er etwa auf einem Feld einem Ball nachjagte, ein unbeschreibliches Vergnügen. Aber sein Herrchen betreffend, da waren Majnouns Gefühle komplexer und viel dunkler als »Liebe« und schlossen auch Emotionen wie Groll und Abneigung ein. Nein, wenn er ein Menschenwort hätte wählen müssen, dann wäre es Treue gewesen, die Majnoun seinem Herrchen gegenüber empfand. (Aus diesem Grund hätte er, obwohl er sich namenlos fühlte, es vorgezogen, Nira würde ihn Majnoun nennen, der Name, den ihm sein Besitzer gegeben hatte.)

Für andere Hunde hatte er kein so komplexes Gefühl wie Treue, ganz zu schweigen von dem Gefühl, das Nira zu beschreiben versuchte. Was Majnoun betraf, so war seine Beziehung zu anderen Hunden meist unkompliziert. Es gab Hunde, die man dominieren konnte, und andere nicht. Da andere Hunde einen beißen oder besteigen konnten, wenn man es nicht wollte, war es am besten, eindeutige und leicht mitteilbare Gefühle zu zeigen.

Nach einiger Zeit kam Majnoun zu der Überzeugung, dass Nira, wenn sie über »Liebe« sprach, etwas meinte, was ihm für immer unverständlich bleiben würde. Als sie eines Tages sagte:

Miguel ist mein Gefährte. Ich liebe ihn,

war Majnoun zu gelangweilt, um sich dafür zu interessieren. Um Nira dazu zu bringen, nicht weiter über »Liebe« zu reden, nickte er beim nächsten Mal mit dem Kopf, als ob er verstehen würde. Beide wussten jedoch, dass er log. (Zufälligerweise war Majnoun ein schlechter Lügner, der seine Lügen mit Enthusiasmus vorbrachte, den er sonst nicht an den Tag legte.) Es blieb ein wunder Punkt zwischen ihnen.

Zu der Zeit, da Nira und Majnoun ihr Missverständnis über »Liebe« hatten, waren acht Monate vergangen, und unzählige Vertraulichkeiten verbanden sie bereits. Sie wusste, was er gerne aß. Er wusste, dass er sie nicht stören durfte, wenn sie ihre Arbeit verrichtete. Er half ihr, so gut er konnte, das Haus zu putzen, und lernte, wohin Dinge gehörten, und legte sie, wenn möglich, an den richtigen Platz. Sie sorgte dafür, dass sein Kauspielzeug in gutem Zustand war, und kaufte neues, wann immer das alte zu abgenagt war, um noch Spaß zu bereiten. Kurzum, nach acht Monaten waren Nira und Majnoun Freunde.

Majnoun konnte nun auch ohne allzu große Schmerzen wieder gehen und sogar kurze Strecken rennen. Die Sehnen seines am schwersten verletzten Beins waren verheilt, auch wenn er vermied, es stark zu belasten. Seine Verbände waren längst weg, und abgesehen von seinem rechten Ohr – dessen Spitze von Max glatt abgebissen worden war –, sah er mehr oder weniger wie ein normaler Pudel aus.

Miguel schlug vor, dass Majnoun und Nira zusammen längere Spaziergänge im High Park machen sollten, nun da es dem Hund besser ging. Dieser Vorschlag war natürlich heikel. Obwohl Nira vor ihrem Mann Majnouns Sensibilität nicht verbarg und er die beiden oft bei ihrer Version von Causerie beobachtete, glaubte Miguel nicht, dass Majnoun mit Nira kommunizieren konnte oder sie mit ihm, jedenfalls nicht auf irgendeine tiefer gehende Weise. Er vermutete vielmehr, dass Majnoun eine Handvoll Worte verstand, aber dass darüber hinaus der Hund einfach nickte oder den Kopf schüttelte, mehr oder weniger willkürlich. Als Nira ihm – verängstigt – mitgeteilt hatte, dass der Hund zu ihr gesprochen hatte, hatte Miguel nur gelacht. Diese Hund-Mensch-Kommunikation war seiner Meinung nach ein Aspekt von Niras Vorliebe für Naturreligionen und Müsli, die gleichen Neigungen, die sie dazu gebracht hatten, Mary Daly zu lesen, mit lesbischer Liebe zu experimentieren und von der Heiligkeit ihrer Vagina zu reden. Schon wahr, der Hund war intelligent, aber nicht intelligent im menschlichen Sinne, besaß kein großartiges Gedächtnis und nicht die Fähigkeit zu reden. Daher bedachte Miguel auch zum Beispiel nicht die emotionalen Verwicklungen, die ein Gang durch den High Park für Majnoun bedeuten würde.

Einige dieser Komplikationen waren trivial; andere hatten psychologisches Gewicht. Trivial war: Nira wusste nicht, was sie mit der Leine machen sollte. Es gab in dem Park ganze Areale, wo Hunde nicht frei herumlaufen durften. Sie hielt es für erniedrigend, Majnoun auszuführen, als wäre er, nun ja, ein Hund. Majnoun selbst hatte in dieser Angelegenheit keine Meinung. Es erniedrigte ihn nicht, ein Halsband zu tragen, aber er erkannte klar die Nachteile, angebunden zu sein, wenn aggressive Hunde über ihn herfielen. Also kamen sie überein, dass er eine Leine haben würde, die mit dünnen Bändern an einem grünen Halsband befestigt war. Bei dem leichtesten Sprung würden die Bänder reißen, und Majnoun könnte sich verteidigen.

(Eingeschlossen in die Leinen-Frage war natürlich die Frage der Macht. Schon der Anschein von Macht bereitete Nira Unbehagen. Eines Tages fragte sie Majnoun, ob er sie an eine Leine nehmen, also ihre Positionen umkehren würde. Er hatte »Nein« geantwortet, und das ließ Nira sich noch unbehaglicher fühlen. Aber tatsächlich hatte Majnoun ihre Frage missverstanden. Hätte sie gesagt

Alle Hundebesitzer sind der Meinung, dass die ihnen Unterworfenen mit Leinen und Halsbändern an sie gebunden sein müssen. Wenn du ein Herrchen wärst, würdest du mich an einer Leine halten?

hätte Majnoun ohne zu zögern mit »Ja« geantwortet. Wenn sie ihm unterworfen gewesen wäre, hätte er sie natürlich dem Brauch gemäß behandelt. Ordnung in einem Rudel wird durch Konvention aufrechterhalten, und für Majnoun jedenfalls ergab es keinen Sinn, Konventionen, die funktionierten, umzuwerfen. Aber er hatte ihre Frage auf einer eher praktischen Ebene verstanden. Maj­noun hatte sich vorgestellt, wie unangenehm es für ihn sein würde, eine Leine in seiner Schnauze zu halten, während Nira auf ihren Händen und Knien herumlief. Nach seinem Verständnis der Frage war die einzig mögliche Antwort das »Nein« gewesen.)

Eine weitere triviale Komplikation hatte mit Menschen zu tun. Die Zweibeiner, die in den Park kamen, waren ein bunter Haufen: alle Schichten, Hautfarben und Geschlechter. Da Majnoun durch seine Aussehen auffiel, fragten Leute Nira, ob sie ihn berühren oder ihm ein Le­ckerli geben durften – die Trockenkekse, die Majnoun meist fade oder zu süß fand. Nina nahm an, dass Maj­noun die Bekundung von Zuneigung nichts ausmachen würde. Sie war daher überrascht zu entdecken, dass au contraire Majnoun sehr wählerisch dabei war, wem er erlaubte, ihn zu berühren. Nira sagte dann:

Nein, er beißt nicht

oder

Na klar! Ich glaube nicht, dass er etwas dagegen hat, gestreichelt zu werden.

Und die ersten Male stand Majnoun noch still. Dann, einfach so, entschied er, dass er genug hatte. Eine ältere Frau kam auf sie zu und fragte, ob sie ihn streicheln dürfe, und er schüttelte den Kopf: »Nein«. Er wich vor ihr zurück und ließ sich nicht berühren.

Tut mir leid, sagte Nira.

Als die Frau weitergegangen war, sagte Nira zu Maj­noun: Ich wusste nicht, dass du etwas dagegen hast. Magst du es denn nicht, berührt zu werden?

Majnoun schüttelte den Kopf, und das, hätte man gedacht, war’s dann. Keineswegs. Von da an entschied Majnoun selbst, wem er es erlaubte, ihn zu berühren, nickte, wenn er dazu bereit war, und schüttelte den Kopf, wenn nicht.

Wenn Nira gefragt wurde:

Darf ich Ihren Hund streicheln?

antwortete sie:

Sie müssen ihn selbst fragen.

Als Antwort nickte Majnoun entweder sein »Ja« zur Freude des Fremden, der dann fragte:

Wie haben Sie ihm das beigebracht?

oder Majnoun schüttelte mit dem Kopf, was die Fremden ebenfalls entzückte und die gleiche Frage hervorrief:

Wie haben Sie ihm das beigebracht?

So oder so, Nira antwortete auf die Frage stets mit einem Achselzucken.

Da es ihr unmöglich war, irgendein Muster in Maj­nouns Antworten zu entdecken, vermutete sie, dass seine Wahl willkürlich war. Sie war es nicht, doch Majnouns Kriterien gingen über Niras Horizont. Erstens, Majnoun mochte es nicht, von Menschen berührt zu werden, die unangenehm rochen. Es war nach menschlichen Begriffen, als ob man aufgefordert werden würde, eine Hand mit Scheiße an den Fingern zu schütteln. Zweitens und subtiler war da die Frage nach dem Rang. Erfahren wie er war, in den feineren Abstufungen der Dominanz, erkannte er sofort, wenn sich Leute – zum Beispiel die ältere Frau, deren Berührung er zurückwiesen hatte –, verhielten, als ob sie Nira dominierten. Es lag an dem Ton, der Energie und Haltung der alten Frau. Da Maj­noun es unzulässig fand, dass irgendein Lebewesen außerhalb seines Rudels (also er, Nira und Miguel) einen höheren Rang als Nira hatte, weigerte er sich, von denen berührt zu werden, die sie ungewollt oder unbewusst herabsetzten.

Doch zur größten Komplikation wurde der Besuch des High-Parks durch das, was er in Majnoun wachrief. Dies war der Ort, wo er beinahe gestorben wäre. Daher hatte ihn Nira natürlich gefragt, bevor sie dorthin gingen, ob er überhaupt in den Park zurückkehren wolle. Der Name »High Park« bedeutete ihm nichts, aber sie stellte sicher, dass er wusste, dass das der Ort war, an dem Miguel und sie ihn mehr tot als lebendig gefunden hatten. Sie machte sich Sorgen, dass es für ihn bedrückend sein würde, an sein Trauma erinnert zu werden, aber Majnoun wollte dorthin. Also waren sie zusammen losgezogen, und er hatte zu seiner eigenen Überraschung schrecklich gelitten. Die Erinnerung, dort beinahe zu Tode gebissen worden zu sein, war demütigend. Und auch beängstigend. Nira vermied bewusst die Stelle, wo Miguel und sie ihn gefunden hatten, aber das machte keinen Unterschied. Majnoun kannte den Park gut – seine Gerüche, Hügel, Brunnen, Straßen, seinen Zoo, seine Restaurants und Mülltonnen –, und es schmerzte ihn, in seinem früheren Territorium herumzulaufen.

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